1 Einleitung

Analysen zur Entwicklung von Familien zeigen seit den 1980er-Jahren einen deutlichen Anstieg an nichtehelichen Lebensgemeinschaften und Scheidungen, mehr Zweit- und Folgeehen, sinkende Geburtenzahlen sowie – als relativ rezente Änderung – rechtlich abgesicherte gleichgeschlechtliche Partnerschaften und Elternschaften (Statistik Austria 2023a). Diese Trends gehen zeitlich mit veränderten Einstellungen und Werthaltungen einher. Obwohl etwa der Ehe weiterhin eine hohe Bedeutung beigemessen wird, erachtet ein steigender Anteil diese als „überholte Einrichtung“ (Berghammer und Schmidt 2019) und zugleich ist das Zusammenleben unverheirateter Paare in weiten Teilen der Bevölkerung sozial akzeptiert. Die Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlichen Paarbeziehungen steigt und unterschiedliche Elternschaftsmodelle, z. B. Ein-Eltern-Familien, werden stärker sozial anerkannt (Beham-Rabanser et al. 2018; Wonneberger und Stelzig-Willutzki 2018). Rechtliche Reformen tragen diesen Veränderungen nur teilweise Rechnung: So wurde etwa mit dem Gesetz zur Eingetragenen Partnerschaft (EPG) 2010 die Möglichkeit zur rechtlichen Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Paarbeziehungen geschaffen, während die wachsende Verbreitung von nichtehelichen Lebensgemeinschaften nur sehr zögerlich ihren Niederschlag in der Anerkennung von daraus abgeleiteten Rechtsansprüchen findet.

Vorliegende Publikationen nehmen häufig entweder den normativen Wandel von Einstellungen bzw. Veränderungen in den Lebensformen und Familienstrukturen in den Fokus (Sobotka und Berghammer 2021) oder betrachten Änderungen in den rechtlichen Normen (Barth et al. 2013; Barth und Erlebach 2015). Dieser Artikel ergänzt die bestehende Literatur, indem er die unterschiedlichen disziplinären Diskursstränge verbindet. Wir stellen zunächst separat Veränderungen in Familienverhalten und familienbezogenen Einstellungen sowie rechtliche Veränderungen in Österreich seit den 1980er-Jahren dar. Dabei behandeln wir vier Bereiche, die von besonders markanten Veränderungen geprägt sind (Adler und Lenz 2023b): (a) Nichteheliche Lebensgemeinschaften; (b) Scheidung, Ein-Eltern-Familien und Stieffamilien; (c) gleichgeschlechtliche Partner- und Familienbeziehungen sowie (d) medizinisch unterstützte Elternschaft. Der Beitrag dieses Artikels liegt darin, explorativ und deskriptiv unter Verwendung mehrerer Datenquellen erstmals eine solche thematisch breite Zusammenschau vorzunehmen, welche mehr als drei Jahrzehnte umfasst. Im abschließenden Kapitel diskutieren wir die zeitliche Abfolge der Entwicklungen von Verhalten, Einstellungen und rechtlichen Normen. Es ist nicht das Ziel dieses Beitrags, die Effekte spezifischer rechtlicher Veränderungen auf das Verhalten oder auf Einstellungen zu testen, wie dies bereits in einigen internationalen Studien umgesetzt wurde (Dotti Sani und Quaranta 2022; Fallesen 2021; Friedberg 1998). Daher ist es wichtig zu betonen, dass ein zeitlich paralleles Auftreten von Veränderungen aufgrund des komplexen Zusammenwirkens keine (eindeutigen) Schlussfolgerungen über Kausalitäten erlaubt.

In diesem Beitrag werden mehrere Datenquellen kombiniert. Wir geben zunächst Einblick in den Wandel der Familienstrukturen in Österreich über den Zeitraum von 1985 bis 2022 anhand bislang nicht in dieser Form publizierter Daten des Mikrozensus. Weiters greifen wir für die Darstellung der Veränderungen in den Einstellungen auf neue Umfragedaten, insbesondere das International Social Survey Programme (ISSP) 2023, zurück, welche für diesen Beitrag erstmals ausgewertet wurden. Auch in bisherigen Publikationen (z. B. Beham-Rabanser et al. 2018; Berghammer und Schmidt 2019) nicht dargestellte Zeitreihen bzw. Zeitvergleiche (wie etwa Einstellungen zu Homosexualität oder künstlicher Befruchtung auf Basis der Österreichischen Wertestudie) sind Teil dieses Beitrags. Die relevanten rechtlichen Änderungen werden exemplarisch im Zeitverlauf dargestellt.

Veränderungen wie der Anstieg von nichtehelichen Lebensgemeinschaften und Scheidungen sowie die Zunahme alternativer Wege in die Elternschaft jenseits von biologischen Zwei-Eltern-Familien wurden insbesondere in den Sozialwissenschaften in den 1980er-Jahren anhand der These der Pluralisierung familialer Lebensformen diskutiert. Diese geht davon aus, dass eine immer größere Vielfalt von Lebens- und Familienformen entsteht (Peuckert 2019) – eine Annahme, die heute kritisch hinterfragt wird, weil sich mit sehr wenigen Ausnahmen (u. a. gleichgeschlechtliche Elternschaft) nicht die Anzahl der Formen des Zusammenlebens erhöht hat, sondern es vielmehr zu einer prozentuellen Verschiebung bisher vorhandener Lebens- und Familienformen sowie zu einer Erweiterung von Ablaufmustern und Wegen in Bezug auf Partnerschaft und Familie gekommen ist (Adler und Lenz 2023a; Nave-Herz 2018). Vaskovics (2020) unterscheidet etwa bezüglich der Wege in die Elternschaft zwischen genetischen, biologischen, sozialen und rechtlichen Segmenten von Elternschaft. Die Trennung zwischen biologischen und sozialen Elternteilen ist, wie die Stieffamilienforschung zeigt, historisch nicht neu (Steinbach 2023), wenngleich sich deren Komplexität aufgrund von Trennung und Scheidung als häufigster Entstehungsursache erhöht hat. Zu weiteren Ausdifferenzierungen führte die Entwicklung der Reproduktionsmedizin: Ein Kind, das mit reproduktionsmedizinischer Unterstützung geboren wird, kann im Falle von heterologer Insemination mit einem Samenspender mehr als zwei Elternteile haben; genetische und biologische Segmente differenzieren sich (Bergold et al. 2017; Trappe 2022).

Die Veränderung von Einstellungen und Werten wird von klassischen Modernisierungstheorien als zentraler Bestandteil des sozialen Wandels moderner Gesellschaften beschrieben, charakterisiert durch einen Wandel hin zu Werten der Autonomie und Selbstentfaltung (Beck 2001; Dahrendorf 1994; Inglehart 2008; Parsons 1971). Die Wichtigkeit individueller Bedürfnisse und Präferenzen ist gestiegen – und damit auch die Akzeptanz von vielfältigen Lebensentwürfen, welche früher als abweichend erachtet und stigmatisiert wurden.

2 Datenbasis

Die in diesem Beitrag dargestellten Zahlen zu Familienformen beruhen auf Daten des Mikrozensus. Die empirischen Ergebnisse zu Einstellungen basieren vorwiegend auf Umfragedaten des International Social Survey Programme (ISSP). Familienbezogene Einstellungen wurden im ISSP Modul „Family and Changing Gender Roles“ zwischen 1988 und 2023 fünf Mal erhoben (siehe Tab. 1). Dies ermöglicht Zeitreihen von bis zu 35 Jahren. Die repräsentativen Stichproben umfassen zwischen rund 1000 und 2000 Personen. Für diesen Beitrag wurden Personen ab dem Alter von 18 Jahren berücksichtigt.Footnote 1 Während in früheren Erhebungen persönliche Interviews geführt wurden, fand die aktuelle Erhebung (Jänner bis März 2023) erstmals online statt (Computer-Assisted Web Interviews), ergänzt um Papierfragebögen.Footnote 2 Unterschiedliche Erhebungsmodi können sich auf das Antwortverhalten der Befragten auswirken.Footnote 3 Sofern bestimmte Themen im ISSP nicht abgedeckt sind (z. B. künstliche Befruchtung), werden die Europäische Wertestudie (EVS) sowie der Generations und Gender Survey (GGS) 2008/09 und 2022/23Footnote 4 herangezogen. Fehlende Werte lagen generell unter fünf Prozent und werden in diesem Beitrag nicht ausgewiesen. Sämtliche Analysen wurden gewichtet. Aufgrund des breiten Fokus des Beitrags (Verhalten, Einstellungen, Rechtsnormen) stellen wir die Ergebnisse für die gesamte Bevölkerung dar und analysieren die Daten nicht im Detail nach sozio-demographischen und sozio-ökonomischen Charakteristika (siehe Beham-Rabanser et al. 2018). Die letzte Welle der Datenerhebung erfolgte im ISSP und im GGS gegen Ende der Corona-Pandemie. Da pandemiebedingte Veränderungen nicht im Fokus dieses Beitrags stehen, sei hierfür auf entsprechende Publikationen verwiesen (u.a. Aschauer 2022; Wisbauer et al. 2023).

Tab. 1 Überblick über verwendete Umfragen aus Österreich

3 Wandel der Familienformen

Um einen Zeitvergleich darstellen zu können, folgen wir der üblichen (statistischen) Definition von Familien als Paare mit oder ohne Kinder bzw. Ein-Eltern-Familien, die in einem Haushalt zusammenleben. Kinder werden definiert als Personen unter 18 Jahren. Der Wandel der Familienformen in Österreich in den letzten (rund) vier Jahrzehnten ist von drei zentralen Trends geprägt:

Erstens ist eine zunehmende Verbreitung von nichtehelichem Zusammenleben unter Paaren ohne Kinder bis zum Alter von 64 Jahren zu beobachten (Abb. 1 und Tab. 2 im Anhang), wobei dies zumeist jüngere Paare betrifft. Im untersuchten Zeitraum wurde dies zu einer normativ erwartbaren Standardpassage im Beziehungsverlauf, welche sich auch zeitlich ausgedehnt hat (Prskawetz et al. 2008).

Abb. 1
figure 1

Familienformen im Zeitvergleich (1985–2022), in Prozent. Quelle: Mikrozensus (Daten von Statistik Austria auf Anfrage). Anmerkung: Kinder beziehen sich auf Kinder unter 18 Jahren im Haushalt

Ein zweiter wichtiger Trend ist die Pluralisierung von Lebensformen mit Kindern in Form einer Veränderung der prozentuellen Anteile. Zwar sind von allen Familien mit Kindern unter 18 Jahren nach wie vor Ehepaare mit leiblichen Kindern die bei weitem größte Gruppe (2022: 64 %), jedoch ist vor allem der Anteil von Lebensgemeinschaften mit Kindern stark angestiegen (2022: 18 %, siehe Abb. 2 und Tab. 3 im Anhang). Der Anteil anderer Familienformen mit Kindern – Ein-Eltern-Familien sowie Stieffamilien – blieb hingegen weitgehend stabil. 2022 waren 12 % aller Familien mit Kindern unter 18 Jahren mütterliche Ein-Eltern-Familien, 1 % väterliche Ein-Eltern-Familien sowie jeweils 4 % Stieffamilien mit verheirateten bzw. unverheirateten Eltern.

Abb. 2
figure 2

Familienformen mit Kindern im Zeitvergleich (1985–2022), in Prozent. Quelle: Mikrozensus (Daten von Statistik Austria auf Anfrage). Anmerkung: Kinder beziehen sich auf Kinder unter 18 Jahren im Haushalt

Drittens zeigt sich die Bevölkerungsalterung in einem steigenden Anteil an Ehepaaren im Alter von 65+ Jahre ohne Kinder (Abb. 1 und Tab. 2 im Anhang). Vor allem aufgrund des Anstiegs der Lebenserwartung – aber auch der geringen Kinderzahl – hat sich die sogenannte Nachfamilienphase („empty nest“) deutlich ausgedehnt. Diese Gruppe wird in den nächsten Jahren weiter anwachsen, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer, welche derzeit rund 60 Jahre alt sind (das Jahr 1963 war der Höhepunkt des Babybooms in Österreich), demnächst das Alter von 65 Jahren erreichen werden.

4 Veränderungen in Verhalten, Einstellungen und Rechtsnormen

4.1 Nichteheliche Lebensgemeinschaften

Paarbiografien und auf Dauer angelegte Partnerschaften haben sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend individualisiert und folgen weniger normativ oder sozial vorgezeichneten Mustern, wie sich am Beispiel des nichtehelichen Zusammenlebens zeigt. Zusammenleben, Heirat und Elternschaft sind heute, trotz bestehender Länderunterschiede, in allen europäischen Gesellschaften stärker entkoppelt als noch vor einigen Jahrzehnten (Lappegård et al. 2018; Sobotka und Berghammer 2021). Paarbeziehungen bestehen, in unterschiedlichen Institutionalisierungsgraden, biografisch oft hintereinander: Zunächst leben Paare heute üblicherweise unverheiratet zusammen (Sobotka und Berghammer 2021; Steinbach und Helms 2020), zunehmend auch dann, wenn ein Kind kommt (Lappegård et al. 2018; Statistik Austria 2023d). Viele Lebensgemeinschaften mit Kindern werden aber, wenn sie langfristig bestehen, früher oder später in eine eheliche Beziehung übergeführt (Berghammer et al. 2014). Gleichzeitig sinkt der Anteil der jemals verheirateten Personen: Unter den 1980 geborenen Frauen waren 41 % bis zum Alter von 40 Jahren nie verheiratet, während der entsprechende Anteil bei den 1960 geborenen Frauen nur 20 % betragen hatte (Statistik Austria 2023e).

Die Anzahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern erhöhte sich von 27.300 im Jahr 1985 auf 185.000 im Jahr 2022 (Statistik Austria 2023d), der Anteil der nichtehelich geborenen Kinder stieg im selben Zeitraum ebenfalls deutlich an, von 22 % (1985) auf 41 % (2022). Rund die Hälfte aller Erstgeborenen werden heute außerhalb von Ehen geboren (51 %) (Statistik Austria 2023f). Dieser Trend entspricht langfristigen Veränderungen in Europa (Perelli-Harris und Gassen 2012). Zumeist leben die Mütter unehelich geborener Kinder in einer Partnerschaft (mit dem Kindesvater) und heiraten zu einem späteren Zeitpunkt. Bis das Kind 18 Jahre alt ist, heiratet der Großteil (55 %) der Eltern, zumeist in den ersten sechs Lebensjahren des Kindes (Statistik Austria 2023h). Dauerhafte nichteheliche Lebensgemeinschaften mit älteren Kindern (10 bis 14 Jahre) stiegen zunächst an und pendelten sich bei rund 10 % (bis 2020) ein (Abb. 3 sowie Tab. 4 im Anhang). Im Jahr 2022 lag ihr Anteil bei 14 %. Ob der rezente Anstieg auf eine sinkende Legitimierungsrate hinweist oder Folge pandemiebedingter aufgeschobener Hochzeiten ist, werden die Entwicklungen der nächsten Jahre zeigen.

Abb. 3
figure 3

Nichteheliche Lebensgemeinschaften nach dem Alter des jüngsten Kindes (1985–2022), in Prozent (der Familien mit Kindern). Quelle: Mikrozensus (Daten von Statistik Austria auf Anfrage)

Die gestiegene Verbreitung nichtehelicher Lebensgemeinschaften geht einher mit einer hohen Akzeptanz. Bereits vor 30 Jahren (siehe Abb. 4) war eine permissive Einstellung gegenüber nichtehelichen Lebensgemeinschaften verbreitet: 65 % fanden es 1993 in Ordnung („stimme zu“ und „stimme voll und ganz zu“), dass ein Paar zusammenlebt ohne die Absicht zu heiraten. Bis 2023 stieg der entsprechende Wert auf 86 %. Zugleich wurden Vorbehalte gegenüber nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern im Zeitverlauf geringer. Während im Jahr 1988 69 % (voll und ganz) zustimmten, dass Menschen, die Kinder wollen, heiraten sollen, lag dieser Anteil 2023 bei 26 %. Gleichzeitig stimmte 2023 die Mehrheit der Befragten (55 %) (überhaupt) nicht zu, dass Menschen, die Kinder wollen, eine Ehe eingehen sollen. Nichteheliches Zusammenleben auch mit Kindern ist demnach heute mehrheitlich akzeptiert, wenngleich die normative Akzeptanz dieser Lebensform für Paare mit Kindern nach wie vor geringer ist als für kinderlose Paare.

Abb. 4
figure 4

Einstellungen zu nichtehelichen Lebensgemeinschaften, in Prozent. Datenquelle: International Social Survey Programme (18+ Jahre; gewichtet). Fallzahlen: 1988: n = 916; 1993: n = 915 und n = 910; 2003: n = 1909 und n = 1925; 2013: n = 1135 und n = 1150; 2023: n = 1093 und n = 1104

Inwiefern es parallel zu Verhaltens- und Einstellungsänderungen in Bezug auf nichteheliche Lebensgemeinschaften auch zu Adaptierungen im Recht gekommen ist, wird nachfolgend gezeigt. Anders als bei einer Ehe oder eingetragenen Partnerschaft resultieren in Österreich aus dem Faktum des Zusammenlebens für Lebensgefährt:innen sui generis keine gegenseitigen Rechte und Pflichten. Allerdings wird der wachsenden Verbreitung und Akzeptanz nichtehelicher Lebensgemeinschaften rechtlich in Teilbereichen Rechnung getragen, indem Lebensgemeinschaften unter bestimmten Voraussetzungen mit Rechtsfolgen verknüpft werden. So ist zum Beispiel eine Mitversicherung in der Krankenversicherung für Lebensgefährt:innen unter bestimmten Bedingungen möglich. (Moderate) Änderungen zeigen sich vor allem im Miet- und Erbrecht, wie im Folgenden exemplarisch dargestellt wird. Das Mietrechtsgesetz 1981 (MRG) sieht in § 14 [3] ein gesetzliches Eintrittsrecht für Lebensgefährt:innen im Todesfall für Mietverträge nach dem MRG vor. Erbrechtlich gelten Lebensgefährt:innen seit dem Erbrechtsänderungsgesetz (ErbRÄG) 2015 zwar als Angehörige, sind dabei aber rechtlich anderen Blutsverwandten nachgereiht. Nur wenn es keine gesetzlichen oder in einem Testament eingesetzten Erb:innen gibt, besteht seit 2017 ein außerordentliches Erbrecht von Lebensgefährt:innen, wenn der:die Partner:in mit dem:der Verstorbenen in den letzten drei Jahren im gemeinsamen Haushalt gelebt hat (§ 748 [1] ABGB). Deutliche Unterschiede zu verheirateten bzw. eingetragenen Paaren bestehen nach wie vor im Falle der Trennung einer nichtehelichen Partnerschaft. Anders als bei eingetragenen Partnerschaften und Ehen gibt es keine gesetzlichen Regelungen für die Aufteilung von Vermögen oder gemeinsamen Ersparnissen, ebenso keine wechselseitigen Unterhaltsansprüche und -pflichten, und im Todesfall keine Witwen- und Witwerpensionsansprüche. Mit dieser Rechtslage gehört Österreich innerhalb Europas zu jenen Ländern, die das Zusammenleben nichtverheirateter Paare rechtlich zurückhaltend regeln, etwa im Vergleich zu skandinavischen Ländern (Perelli-Harris und Gassen 2012).

Während die rechtliche Absicherung von nichtehelichen Partner:innen damit nur bedingt gegeben ist, wurden hingegen Kinder hinsichtlich erbrechtlicher Ansprüche, unabhängig davon, ob die Eltern verheiratet sind oder nicht, mit dem ErbRÄG 1989 gleichgestellt. Rechtlich wird damit klar zum Ausdruck gebracht, dass die Lebensform der Eltern für die Erb- und Pflichtteilsrechte der Kinder keine Bedeutung haben soll. Dies zeigt sich etwa auch darin, dass der Erbanspruch nicht an ein Vaterschaftsanerkenntnis zu Lebzeiten gebunden ist, sondern der Beweis der Abstammung vom Verstorbenen (etwa durch ein DNS-Gutachten) zeitlich unbeschränkt eingebracht werden kann. Unterhaltsrechtlich erfolgte die Gleichstellung ehelich und unehelich geborener Kinder bereits 1971.

4.2 Scheidung, Ein-Eltern-Familien, Stieffamilien

Scheidung oder Trennung als Möglichkeit der Auflösung einer Paarbeziehung haben sich bereits seit längerem gesellschaftlich etabliert. Die ScheidungsrateFootnote 5 betrug Mitte der 1980er-Jahre rund 30 %, stieg danach kontinuierlich an und erreichte 2007 ihren Höchststand (49,5 %). Seither pendelte sie sich auf einem moderaten Niveau ein und lag 2022 mit 34,5 % ähnlich hoch wie Mitte der 1990er-Jahre (Statistik Austria 57,58,a, b). Unter den 2022 geschlossenen Ehen waren 71 % beiderseitige Erstehen, bei 29 % war zumindest einer der Partner bereits (mindestens einmal) geschieden (Statistik Austria 2024b). Nach einer Scheidung sind Ein-Eltern-Familien eine verbreitete Familienform. Ihr Anteil an allen Familien mit Kindern unter 18 Jahren betrug im Jahr 2022 13 % (Abb. 2); 9 von 10 Ein-Eltern-Familien sind Familien alleinerziehender Mütter. Wenn neue Partner:innen hinzukommen, entstehen Stieffamilien, d. h. Familien, in denen mindestens ein Partner bzw. eine Partnerin ein oder mehrere Kind/er aus einer früheren Beziehung mitbringt. Ihr Anteil betrug im Jahr 2022 8 % aller Familien mit Kindern unter 18 Jahren (siehe Abb. 2).

Die Vorbehalte gegenüber Scheidungen nahmen im Verlauf der letzten Jahrzehnte deutlich ab. So zeigt die Europäische Wertestudie für Österreich, dass 1990 42 % der Befragten eine Scheidung nicht in Ordnung fanden (Werte 1–4 auf einer 10-stufigen Skala), während dies 2018 nur noch auf 15 % zutraf (siehe Abb. 5). Im gleichen Zeitraum stieg die Zustimmung zur Scheidung (Werte 7–10) von 26 % auf 65 %. Der Anteil jener, die uneingeschränkt zustimmten („in jedem Fall in Ordnung“; Werte 9–10), stieg von 13 % auf 46 % und damit auf mehr als das Dreifache.

Abb. 5
figure 5

Scheidung ist in Ordnung, in Prozent. Frage: Können Sie mir bitte für jeden der folgenden Punkte sagen, ob Sie dies unter keinen Umständen in Ordnung finden, in jedem Fall in Ordnung finden oder irgendwas dazwischen. Verwenden Sie dazu bitte die folgende Skala. [… sich scheiden lassen]. Datenquelle: Europäische Wertestudie (18+ Jahre; gewichtet). Fallzahlen: 1990: n = 1419; 1999: n = 1472; 2008: n = 1468; 2018: n = 1606

Eine Scheidung wird heute auch dann normativ akzeptiert, wenn ein Paar Kinder hat. Im Jahr 2022/23 stimmten 88 % der Befragten der Aussage „Es ist in Ordnung, wenn sich ein Paar in einer unglücklichen Ehe scheiden lässt, auch wenn sie Kinder haben“ (sehr) zu. Damit verdoppelte sich die deutliche Zustimmung („stimme sehr zu“) seit 2008/09 (von 20 % auf 42 %) (siehe Abb. 6).

Abb. 6
figure 6

In Ordnung, wenn Paar mit Kindern sich scheiden lässt, in Prozent. Frage: Es ist in Ordnung, wenn sich ein Paar in einer unglücklichen Ehe scheiden lässt, auch wenn sie Kinder haben. Datenquelle: Generations and Gender Survey (18 bis 45 Jahre; gewichtet). Fallzahlen: n = 4985 und n = 4546

Trotz dieser grundlegend permissiven Haltung sind Trennungen von Paaren mit Kindern nach wie vor ein polarisierendes Thema. So stimmte 2022/23 jede:r zweite Befragte zu (47 %), dass ein Kind „ein Zuhause mit Vater und Mutter [braucht], um glücklich aufzuwachsen“ (siehe Abb. 7). Die Bedenken hinsichtlich des Wohlbefindens von Kindern haben damit verglichen mit den Ergebnissen aus 2008/09 deutlich abgenommen, wo 75 % dieser Aussage zustimmten.

Abb. 7
figure 7

Kind braucht Zuhause mit Vater und Mutter, in Prozent. Frage: Ein Kind braucht ein Zuhause mit Vater und Mutter, um glücklich aufzuwachsen. Datenquelle: Generations and Gender Survey (18 bis 45 Jahre; gewichtet). Fallzahlen: n = 4979 und n = 4532

Die Akzeptanz gegenüber alleinerziehenden Müttern veränderte sich im Zeitverlauf nur geringfügig (siehe Abb. 8): sowohl 1988 als auch 2023 stimmten jeweils 58 % der Aussage „Eine alleinerziehende Mutter kann ihr Kind genauso gut großziehen wie ein EhepaarFootnote 6“ (voll und ganz) zu, wobei die uneingeschränkte Zustimmung („voll und ganz“) um fast zehn Prozentpunkte anstieg (von 14 % auf 23 %). Das Vertrauen in die Erziehungskompetenz alleinerziehender Väter stieg deutlicher an: Dass ein alleinerziehender Vater sein Kind genauso gut großziehen kann wie ein Ehepaar, fand 1988 nur ein Viertel (26 %), 2023 bereits die Hälfte der Befragten (51 %). Während 1988 eine Mehrheit (60 %) alleinerziehenden Vätern keine (ausreichende) Erziehungskompetenz zutraute, waren es 2023 38 % der Befragten und damit ähnlich viele wie bei alleinerziehenden Müttern (32 %). Trotz dieser Veränderungen ist nach wie vor eine gewisse Skepsis gegenüber Alleinerziehenden deutlich, wobei sich diese aktuell nicht mehr geschlechtsspezifisch äußert, sondern auf Mütter und Väter gleichermaßen bezieht und somit eine generell negative Einstellung gegenüber dieser Familienform bei einem Teil der Befragten ausdrückt: Mehr als ein Drittel erachtet es als nachteilig für Kinder, von einem alleinerziehenden Elternteil (unabhängig von dessen Geschlecht) erzogen zu werden.

Abb. 8
figure 8

Alleinerziehende(r) Mutter/Vater kann Kind genauso gut großziehen, in Prozent. Frage: Ein(e) alleinerziehende(r) Mutter/Vater kann ihr/sein Kind genauso gut großziehen wie ein Ehepaar. Datenquelle: International Social Survey Programme (18+ Jahre; gewichtet). Fallzahlen: 1988: n = 930 und n = 913; 2023: n = 1092 und n = 1079

Die permissivere Einstellung gegenüber Scheidung und Ein-Elternfamilien geht einher mit rechtlichen Reformen. Auf rechtlicher Ebene war zunächst die Einführung der Scheidung im Einvernehmen bahnbrechend. Diese ist in Österreich seit 1978 möglich, wenn die Ehe „unheilbar zerrüttet“ ist (§ 55a EheG). Mit der Reform des Ehegesetzes 1999 (EheRÄG 1999) wurde die Anwendung des Zerrüttungsprinzips weiter gestärkt, wobei das Verschuldensprinzip (§ 49 EheG) nach wie vor Gültigkeit hat (Deixler-Hübner 2021; Parisot 2021). Die Scheidung im Einvernehmen wurde mittlerweile zum Standardfall: der größte Teil aller Scheidungen (2022: 85 %) erfolgt einvernehmlich (Statistik Austria 2023b). Im Unterhaltsrecht wurde mit dem EheRÄG 1999 das Bedarfsprinzip gestärkt und damit der Schutz des wirtschaftlich schwächeren Partners (häufig die Frau) betont: Demnach besteht ein verschuldensabhängiger Unterhaltsanspruch, solange es einem geschiedenen Ehegatten aufgrund der Pflege und Erziehung eines gemeinsamen Kindes unter Berücksichtigung des Kindeswohls nicht zugemutet werden kann, sich selbst zu erhalten. Hinsichtlich dieses sogenannten Betreuungsunterhalts besteht nach wie vor ein gravierender Unterschied – und eine daraus resultierende indirekte Ungleichbehandlung von Kindern – nach dem Institutionalisierungsgrad einer Partnerbeziehung: Wird ein verheiratetes Paar geschieden, so geht man davon aus, dass der Betreuungsunterhalt bis zum fünften Lebensjahr des Kindes erforderlich ist (§ 68a EheG). Eine unverheiratete Mutter hat hingegen lediglich in den ersten acht Wochen nach der Geburt eines Kindes Anspruch auf Betreuungsunterhalt (§ 235 [1] ABGB).

Hat ein scheidungswilliges Paar Kinder, so ist eine schriftliche Vereinbarung über Obsorge- und Kontaktregelungen zu treffen. War bis vor etwa 20 Jahren ein Elternteil festzulegen, der mit der Obsorge für das bzw. die Kind(er) betraut wird (Alleinzuteilungsgrundsatz), so ist seit 2001 die Obsorge beider Elternteile nach einer Scheidung möglich (Barth 2022). Betont wird in der entsprechenden Gesetzesgrundlage (Kindschaftsrechts-Änderungsgesetz 2001 [KindRÄG 2001]) die elterliche Verantwortung für das Kind nicht primär als Recht, sondern als Aufgabe der Eltern (Mottl 2010), was der Norm der verantworteten Elternschaft Rechnung trägt (Landhäußer 2020). Mit dem Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz 2013 (KindNamRÄG 2013) wurde die Obsorge beider Elternteile als Standardfall etabliert (§§ 177 ff. ABGB) (Barth und Jelinek 2013). Das Wohl des Kindes wurde als leitender Grundsatz formuliert (§ 138 ABGB) (Buchebner-Ferstl et al. 2021) und festgelegt, dass jedes Kind „Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen [hat], es sei denn, dies steht seinem Wohl entgegen“ (Art. 2 [1] BVG Kinderrechte). Der bis dahin übliche Begriff „Besuchsrecht“ wurde durch den Begriff „persönlicher Kontakt“ ersetzt (§§ 186 und 187 ABGB) und vom Kind ausgehend konzipiert. Empirisch zeigt sich, dass sich Kontakte zwischen getrennt lebenden Eltern (meist Vätern) und ihren Kindern zwar in den letzten Jahrzehnten intensivierten, allerdings nach wie vor ein nicht zu vernachlässigender Teil der Kinder unbefriedigende und/oder sehr seltene Kontakte hat (Zartler und Berghammer 2023). So haben in Österreich 20 % der Kinder mit getrennt lebendem Vater gar keinen Kontakt zu diesem (Göttlinger 2021; Kaindl 2023, S. 22). Ebenso erhält fast ein Drittel der Kinder keine Unterhaltszahlungen durch den nicht im Haushalt lebenden Elternteil (Göttlinger 2021), obwohl dieser Anspruch rechtlich festgelegt ist. Weiters ist problematisch, dass die zugrunde liegenden Regelbedarfssätze (angenommener Durchschnittsbedarf eines Kindes) relativ niedrig und nicht zeitgemäß sind, u. a. weil sie auf einer Konsumerhebung aus 1964 basieren (BMSGPK 2021; Heitzmann und Pennerstorfer 2021).

Die Rechte von Kindern wurden mit dem KindNamRÄG 2013 moderat gestärkt, beispielsweise über ihre Anhörung vor Gericht (ab dem Alter von zehn Jahren), eigenständige Antragsmöglichkeiten in Kontaktrechtsverfahren (ab 14 Jahren), die Einführung von Kinderbeiständen oder Unterstützungsmaßnahmen wie Besuchsmittler:innen oder Familiengerichtshilfe (Dörfler-Bolt und Neuwirth 2021; Rechnungshof 2017).

Verstärkt stehen beide Elternteile im Fokus des Rechts, und zwar unabhängig vom Institutionalisierungsgrad oder der Konflikthaftigkeit ihrer Beziehung. So können auch unverheiratete Eltern seit einer Änderung im KindNamRÄG 2013 bestimmen, dass sie nach einer Trennung die Obsorge für ihre Kinder gemeinsam ausüben möchten. Eine Obsorge beider Elternteile kann auch gegen den Willen eines Elternteils festgelegt werden, sofern dies dem Kindeswohl dient (Barth-Richtarz 2013; Kipman 2021). Letzteres war 2015 in rund 530 Fällen mit rund 690 betroffenen Kindern der Fall (Rechnungshof 2017, S. 60).

Bei Obsorge beider Elternteile ist jeweils ein Hauptwohnsitz des Kindes festzulegen („Heim erster Ordnung“, Residenz- bzw. Domizil-Elternteil), um dem Kind einen eindeutig definierten Lebensmittelpunkt zu garantieren. EU-SILC Daten zeigen für Österreich, dass fast zwei Drittel der Kinder von getrennten bzw. nicht zusammenlebenden Eltern normalerweise den ganzen Monat in diesem „Haupthaushalt“ verbringen (also 30 oder 31 Nächte) und dass 38 % der Kinder nie beim anderen Elternteil übernachten (Blüher 2023). Die Eltern können jedoch auch vereinbaren, dass das Kind ähnlich große Zeitanteile bei jedem Elternteil verbringt.Footnote 7 Solche Doppelresidenz-Modelle, bei denen ebenfalls ein Domizilelternteil festgelegt werden muss, werden zwar in der Einzelfallrechtsprechung berücksichtigt (VfGH- und OGH-Judikatur), sind jedoch nicht im Gesetz geregelt. Auch wenn der elterliche Wunsch nach einer Doppelresidenz in den letzten Jahren angestiegen sein dürfte, wird dieser nur relativ selten (in etwa 5 % der Pflegschaftsverfahren) vor Gericht geäußert und dürfte zum Teil auch in Zusammenhang mit der Bemühung stehen, dadurch Unterhaltszahlungen zu reduzieren (Rille-Pfeiffer et al. 2018, S. 215).

Die Rechtsverhältnisse in Stieffamilien und insbesondere die „Stiefkindobsorge“ wurden rechtlich erstmals im FamRÄG 2009 geregelt, mit dem Ziel einer Angleichung an die gelebte Realität und die Beseitigung von Diskriminierungen (Kipman 2021). Stiefelternteilen wurde eine Beistandspflicht bei der Pflege und Erziehung des Stiefkindes im Alltag zugewiesen und erweiterte (allerdings eingeschränkte) Vertretungsbefugnisse zuerkannt: Sie sind verpflichtet, das Wohl des Stiefkindes zu schützen, und zwar unabhängig davon, ob sie mit dem leiblichen Elternteil verheiratet sind oder nicht. Seit dem KindNamRÄG 2013 sind Stiefelternteile auch in Obsorgeangelegenheiten eingebunden und können das Kind, wenn erforderlich, in Alltagsgeschäften vertreten (§ 90 [3] ABGB) – dies gilt allerdings nur für Angelegenheiten des täglichen Lebens, die keine gravierenden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben (wie z. B. medizinische Entscheidungen), nur mit dem Einverständnis des leiblichen Elternteils und nur für verheiratete Stiefelternteile, die außerdem den (ausdrücklichen oder mutmaßlichen) Willen ihres Ehepartners bzw. ihrer Ehepartnerin befolgen müssen (Kipman 2021). Es bestehen also weiterhin deutliche Unterschiede nach dem Rechtsstatus der elterlichen Paarbeziehung: Rechte werden von der Beistandspflicht dem biologischen Elternteil gegenüber abgeleitet, und während verheirateten Stiefelternteilen einige Rechte zustehen, fokussiert die Gesetzgebung im Falle unverheirateter Stiefeltern auf deren Pflichten dem Kind gegenüber. Diese Ungleichheiten bilden nicht ab, dass Eltern in Stieffamilien wesentlich häufiger unverheiratet sind als in Kernfamilien: Während 18 % der Eltern in Kernfamilien mit Kindern unter 18 unverheiratet sind, trifft dies fast auf die Hälfte (46 %) der Paare in Stieffamilien zu (Abb. 2 und Tab. 3 im Anhang). Generell scheint es schwierig, die Komplexität von Stieffamilien und die Position ihrer einzelnen Mitglieder zueinander rechtlich zu fassen (Helms 2023; Steinbach 2023).

4.3 Gleichgeschlechtliche Partner- und Familienbeziehungen

Der Wandel von Partnerschaft und Elternschaft betrifft auch das Muster der Zweigeschlechtlichkeit. Gesetzlich besteht die Möglichkeit zur Eintragung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften in Österreich seit 2010. Zwischen 2010 bis 2018 machten insgesamt 4187 Paare davon Gebrauch (nach dem höchsten Wert von 705 im ersten Jahr, im Durchschnitt etwas mehr als 400 Paare pro Jahr) (Buber-Ennser et al. 2021, S. 125). Seit 2019 stehen beide Rechtsinstitute – eingetragene Partnerschaft und Ehe – sowohl gleich- als auch verschiedengeschlechtlichen Paaren offen. Seit damals haben sich die Begründungen eingetragener gleichgeschlechtlicher Partnerschaften auf rund 100 pro Jahr eingependelt. Eine Ehe gingen sowohl 2022 als auch 2023 jeweils knapp 800 gleichgeschlechtliche Paare ein (Statistik Austria 2023g, 2024a). Daten über den Anteil der Paare, die – unabhängig vom Institutionalisierungsgrad – in gleichgeschlechtlichen Beziehungen leben, liegen für Österreich nicht vor.

Unsere Analysen auf Basis der Europäischen Wertestudie zeigen bereits vor der rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paarbeziehungen eine permissivere Einstellung von Teilen der Bevölkerung (siehe Abb. 9). Artikulierte Ablehnungen nehmen im Zeitverlauf ab: Während im Jahr 1990 die Mehrheit der Befragten (66 %) Homosexualität nicht in Ordnung fand (Skalenwert 1–4 von 10), traf dies 2018 noch auf ein Fünftel (21 %) zu. Gleichzeitig stimmten 2018 60 % (im Vergleich zu 15 % im Jahr 1990) (in jedem Fall) zu, dass sie Homosexualität in Ordnung finden (Skalenwert 7–10 von 10). Auch wird die Angleichung von Rechten für gleichgeschlechtliche Beziehungen und Familien von einer breiten Mehrheit positiv gesehen, wie aktuelle Ergebnisse des Generations und Gender Survey zeigen. Knapp über 80 % stimmten 2023 der Aussage (sehr) zu, dass homosexuelle Paare die gleichen Rechte haben sollten wie heterosexuelle Paare (Skalenwert 4 und 5 auf einer 5‑stufigen Skala) (Ergebnisse sind nicht als Abbildung dargestellt).

Abb. 9
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Homosexualität ist in Ordnung, in Prozent. Frage: Können Sie mir bitte für jeden der folgenden Punkte sagen, ob Sie dies unter keinen Umständen in Ordnung finden, in jedem Fall in Ordnung finden oder irgendwas dazwischen. Verwenden Sie dazu bitte die folgende Skala. [… Homosexualität]. Datenquelle: Europäische Wertestudie (18+ Jahre; gewichtet). Fallzahlen: 1990: n = 1416; 1999: n = 1457; 2008: n = 1430; 2018: n = 1576

Auch das Zutrauen in die Elternkompetenzen gleichgeschlechtlicher Paare steigt. Geschlechtsspezifische Zuschreibungen und Unterschiede zwischen Frauen- und Männerpaaren nehmen ab. Während im Jahr 2013 47 % die Ansicht teilten, dass ein Frauenpaar ein Kind genauso gut großziehen könne wie ein heterosexuelles Paar, trauten dies nur 33 % einem Männerpaar zu. Zehn Jahre später, im Jahr 2023, haben sich die Unterschiede nahezu angeglichen (siehe Abb. 10): Zwei Drittel (66 %) der Befragten stimmen (voll und ganz) zu, dass ein Frauenpaar und 60 %, dass ein Männerpaar ein Kind genauso gut großziehen könne wie ein heterosexuelles Paar. Gleichzeitig spricht allerdings ein Viertel (26 %) Frauenpaaren und fast ein Drittel (31 %) Männerpaaren diese Kompetenz ab.

Abb. 10
figure 10

Ein Paar, bei dem beide Frauen/Männer sind, kann ein Kind genauso gut großziehen, in Prozent. Frage: Ein Paar, bei dem beide Frauen/Männer sind, kann ein Kind genauso gut großziehen wie ein Mann und eine Frau. Datenquelle: International Social Survey Programme (18+ Jahre; gewichtet). Fallzahlen: 2013: n = 1066 und n = 1059; 2023: n = 1045 und n = 1024

Trotz einer grundsätzlich permissiveren Haltung in Bezug auf gleichgeschlechtliche Beziehungen und Elternschaft bestehen Vorurteile und Diskriminierungen gegenüber LGBTQIA+ Paaren und Familien allerdings fort, wie u. a. der EU-LGBTI II Survey der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte zeigt (European Union Agency for Fundamental Rights 2020). Trotz rechtlicher Schritte zur Gleichbehandlung von LGBTQIA+-Personen berichten Betroffene von (subtilen) Diskriminierungen im Alltag. 39 % der LGBTQIA+-Befragten in Österreich geben an, deshalb Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit zu vermeiden (im EU-28-Schnitt liegt dieser Anteil gar bei 61 %). 20 % und damit ähnlich viele wie im EU-Durchschnitt fühlten sich in den vergangenen 12 Monaten vor der Befragung am Arbeitsplatz diskriminiert, und doppelt so viele, nämlich 40 % der Befragten, nennen Diskriminierungserfahrungen in mindestens einem Lebensbereich. Während also rechtlich zahlreiche diskriminierende Bestimmungen gegenüber homosexuellen Paar- und Familienbeziehungen aufgehoben wurden, die sich auch in einer höheren verbal artikulierten Akzeptanz widerspiegeln, berichten Betroffene nach wie vor von (Alltags-)diskriminierungen, die sich nicht vordergründig an rechtlichen Verstößen festmachen lassen.

Die tiefe Verwurzelung heteronormativer Vorstellungen zeigt sich auch darin, dass der (rechtlichen) Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in Österreich ein ambivalent und ideologisch geführter Diskurs vorausging. Erste Schritte zur gesetzlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerbeziehungen wurden innerhalb Europa vergleichsweise spät mit dem Eingetragene Partnerschaft-Gesetz (EPG) im Jahr 2010 eingeleitet. Zunächst wurde dabei noch auf eine klare Abgrenzung zur Institution Ehe Bedacht genommen (Greif 2017; Neuwirth 2020). Das Rechtsinstitut der eingetragenen Partnerschaft stand ausschließlich gleichgeschlechtlichen Paaren offen, während die Ehe verschiedengeschlechtlichen Paaren vorbehalten blieb. Anders als eine Eheschließung konnte eine eingetragene gleichgeschlechtliche Partnerschaft zunächst nur als Verwaltungsakt bei der Bezirksverwaltungsbehörde eingetragen werden, nicht aber am Standesamt. Auch entfaltete eine eingetragene Partnerschaft keine namensrechtliche Wirkung. Ein gemeinsamer Name als sichtbares Zeichen der Zusammengehörigkeit für Dritte oder die Annahme eines Doppelnamens war nur im Wege einer gesonderten Namensänderung möglich, wobei eingetragene Partner:innen zunächst keinen Familiennamen, sondern nur einen gemeinsamen Nachnamen erhielten (Neuwirth 2020). Erst durch höchstgerichtliche Erkenntnisse wurden zahlreiche dieser diskriminierenden Ungleichbehandlungen zwischen den beiden Rechtsinstituten sukzessive aufgehoben, bis schließlich 2019 eine Öffnung von Ehe und eingetragener Partnerschaft unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung erfolgte. Rechtlich sind eingetragene Partnerschaften und Ehen nun weitgehend gleichgestellt.

Die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Beziehungen erfolgte nicht nur deshalb sukzessive, weil diskriminierende Regelungen gegenüber dem Rechtsinstitut der Ehe erst nach und nach durch zahlreiche Novellierungen des EPGFootnote 8 abgebaut wurden, sondern auch, weil im EPG 2010 Kinder bzw. Elternschaft von Partner:innen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften nicht berücksichtigt wurden. Erst in Folge von (erneuten) Klagen und höchstgerichtlichen Entscheidungen folgten weitere rechtliche Änderungen zur Anerkennung, z. B. im Fortpflanzungsmedizinrechts-Änderungsgesetz 2015 (FMedRÄG 2015), indem Methoden der medizinisch unterstützten Fortpflanzung auch für lesbische Frauenpaare geöffnet wurden (siehe Abschn. 4.4). Ebenso wurden durch höchstgerichtliche Judikatur Änderungen im Adoptionsrecht erreicht. So wurde mit dem Adoptionsrechtsänderungsgesetz 2013 (AdRÄG 2013) die Stiefkind-Adoption ermöglicht, wenngleich die gemeinsame Adoption fremder Kinder gleichgeschlechtlichen Paaren zunächst weiterhin verwehrt blieb. 2014 wurde auch diese Regelung vom VfGH als verfassungswidrig erklärt und aufgehoben (VfGH, 11.12.2014, G 119–120/2014), und seit 2016 ist gleichgeschlechtlichen Paaren ebenfalls eine gemeinsame Adoption von Kindern Dritter (Fremdkind-Adoption) rechtlich erlaubt. Seit 2024 gelten in verheirateten oder eingetragenen Frauenpaaren beide Frauen ab der Geburt eines Kindes rechtmäßig als Elternteile (bislang nur die leibliche Mutter), und es ist keine Stiefkind-Adoption mehr erforderlich (§ 144 ABGB).

4.4 Medizinisch unterstützte Elternschaft

Die Facetten der Segmentierung der Elternschaft haben sich seit der Geburt des weltweit ersten Babies im Jahr 1978, das außerhalb eines weiblichen Körpers befruchtet wurde, durch die Weiterentwicklung der reproduktionstechnischen Möglichkeiten stark ausdifferenziert. Dabei kann zwischen Assistierten Reproduktionstechnologien außerhalb eines Körpers (ART) wie z. B. In-Vitro-Fertilisation und medizinisch assistierten Reproduktionsverfahren (MAR) unterschieden werden. MAR-Verfahren beziehen sich auf unterschiedliche Interventionen, Verfahren, Operationen und Technologien zur Behandlung verschiedener Formen von Fruchtbarkeitsstörungen und Unfruchtbarkeit und gehen damit über assistierte Reproduktionstechnologien hinaus (Passet-Wittig und Greil 2021; Zegers-Hochschild et al. 2017). Wir beziehen uns, wenn nicht anders angegeben, wie in sozialwissenschaftlichen Forschungen üblich, auf den breiten Begriff der medizinisch assistierten Reproduktionsverfahren (MAR) (Passet-Wittig 2017; Trappe 2022).

Die Datenlage zur Inanspruchnahme reproduktionsmedizinischer Assistenz ist für Österreich sehr eingeschränkt und beruht zum einen auf Selbstauskünften. Im GGS 2022/23 gaben 15 % der Frauen und 11 % der Männer an, irgendwann in ihrem Leben mit Unfruchtbarkeit konfrontiert gewesen zu sein (Lazzari und Beaujouan 2023). Die Erfahrung von Infertilität nimmt bei Kinderwünschen in einem höheren Alter zu. Dass sie aufgrund eines unerfüllten Kinderwunsches eine Behandlung durchführen ließen, gaben im GGS 2022/23 8 % der Frauen und 6 % der Männer im reproduktivem Alter an (aufgrund einer hohen Verweigerung bei dieser Frage könnte der Anteil möglicherweise auch höher sein) (Lazzari und Compans 2023, S. 39). Dabei zeigt sich, dass Kinderwunschbehandlungen vor allem von Personen genutzt werden, die versuchen, ihr erstes Kind zu bekommen.

Zum anderen liegen seit 2016 die an die Gesundheit Österreich GmbH gemeldeten Daten vor. Im Rahmen des Fortpflanzungsmedizinrechts-Änderungsgesetzes (FMedG) 2015 wurde die rechtliche Grundlage für eine verpflichtende elektronische Meldung festgelegter Daten in den nach dem FMedG zugelassenen Krankenanstalten über medizinisch assistierte Reproduktion geschaffen (wie Anzahl der in § 1 (2) FMedG angeführten Methoden, Anzahl der daraus resultierenden Schwangerschaften bzw. Geburten). Informationen zum Alter der Frauen liegen nicht vor. Im Jahr 2022 wurden in 33 von 36 zugelassenen Krankenanstalten medizinisch unterstützte Fortpflanzungsinterventionen durchgeführt. Dabei wurden 20.787 MAR-Behandlungszyklen (durch Insemination, Introcytoplasmatische Spermieninjektion [ICSI] oder In-vitro-Fertilisation [IVF]) bei insgesamt 11.886 Frauen umgesetzt. Die Anzahl der daraus resultierten Geburten betrug im Jahr 2022 4132 Kinder (Kern 2023). Bei österreichweit 82.630 Lebendgeburten im Jahr 2022 (Statistik Austria 2023c) entspricht dies 5 % (Abb. 11).

Abb. 11
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Anzahl der Lebendgeburten, die aus medizinisch unterstützter Fortpflanzung resultierten (Balken; linke y‑Achse) sowie Anteil an allen Lebendgeburten (Linie; rechte y‑Achse). Quelle: Gesundheit Österreich (https://goeg.at/IVF_Statistik)

Die steigende Nachfrage nach medizinisch unterstützten Reproduktionsbehandlungen hat vielfältige Gründe, so etwa das Aufschieben der Familiengründung, wodurch sich gerade bei längeren Ausbildungen und späterem Berufseinstieg die reproduktive Phase verkürzt. In höherem Alter können bestehende Kinderwünsche seltener realisiert werden und das Risiko ungewollter Kinderlosigkeit steigt (Beaujouan 2023; Trappe 2022). Außerdem stellten Nave-Herz und Onnen-Isemann (1996) bereits Mitte der 1990er-Jahre für Deutschland fest, dass durch die neuen Behandlungsmöglichkeiten die Akzeptanz eigener Kinderlosigkeit abgenommen hat und biografisch früher und häufiger auf Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin zurückgegriffen wird. Zudem hat sich die Zielgruppe, die Hoffnungen in neue Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin setzt, erweitert (Passet-Wittig 2017). Neben (dauerhaft) kinderlosen heterosexuellen Paaren gehören Frauen und Männer, die nach einer Sterilisation ihren Lebensentwurf revidieren und in einer neuen Partnerschaft ihren Kinderwunsch nun umsetzen möchten, ebenso zur (potenziellen) Zielgruppe wie gleichgeschlechtliche Paare oder Frauen, die (aktuell) in keiner Partnerschaft leben und einen ausgeprägten Wunsch nach einem eigenen Kind haben (Kuhnt und Passet-Wittig 2023). Medienberichte über spektakuläre Erfolge in der Reproduktionsmedizin im hohen Alter nach der Menopause beflügeln zudem die Vorstellung, dass Schwangerschaft und Geburt umfassend planbar und „machbar“ seien.

Ergebnisse zu Einstellungen der Bevölkerung in Bezug auf Kinderwunschbehandlungen liegen nur für die jüngere Zeit vor. In der Europäischen Wertestudie wurde 2008 und 2018 nach der Einstellung zur künstlichen Befruchtung gefragt. Dabei zeigt sich: 2008 vertraten 44 % die Meinung, dass künstliche Befruchtung in Ordnung ist (Werte 7–10 auf einer 10-stufigen Skala), im Jahr 2018 waren es mit 67 % deutlich mehr. Dennoch fand dies auch 2018 jede:r zehnte Befragte „unter keinen Umständen in Ordnung“ (Abb. 12).

Abb. 12
figure 12

Einstellung zu künstlicher Befruchtung, in Prozent. Frage: Können Sie mir bitte für jeden der folgenden Punkte sagen, ob Sie dies unter keinen Umständen in Ordnung finden, in jedem Fall in Ordnung finden oder irgendwas dazwischen. Verwenden Sie dazu bitte die folgende Skala. [2008: Künstliche Befruchtung oder In-vitro-Fertilisation; 2018: Künstliche Befruchtung (Insemination oder In-vitro Befruchtung)]. Datenquelle: Europäische Wertestudie (18+ Jahre; gewichtet). Fallzahlen: n = 1446 und n = 1559

Die Einstellung zur Leihmutterschaft wurde im ISSP anhand einer 5‑stufigen Skala erstmals 2023 erhoben (zwanzig Jahre zuvor wurde nur dichotom gefragt: stimme zu, stimme nicht zu). 2023 stimmten 8 % „voll und ganz zu“, und weitere 9 % „stimmten zu“, dass „Das Austragen eines Kindes durch eine andere Frau (Leihmutter) verboten sein [sollte]“. Eine knappe Mehrheit spricht sich allerdings gegen dieses Verbot aus: 34 % „stimmten nicht zu“ und 19 % „stimmten überhaupt nicht zu“. 15 % votierten für „weder noch“ und eben so viele geben an, dass sie das „nicht sagen könnten“. Der hohe Anteil Unschlüssiger könnte ein Hinweis darauf sein, dass das Wissen über Leihmutterschaft bei vielen wenig ausgeprägt ist.

Die erste rechtliche Basis für die Nutzung medizinisch unterstützter Reproduktion wurde in Österreich 1992 mit dem Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) geschaffen. Dieses erlaubte eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung allerdings nur dann, „wenn nach dem Stand der Wissenschaft und Erfahrung alle anderen möglichen und zumutbaren Behandlungen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft durch Geschlechtsverkehr erfolglos gewesen oder aussichtslos sind“ (§ 2[2]). Neben dem Subsidaritätsprinzip schränkte das Fortpflanzungsmedizingesetz künstliche Befruchtung oder IVF-Behandlungen zudem auf Ehe bzw. eheähnlichen Lebensgemeinschaften ein. Nach der Implementierung des europäisch vergleichsweise restriktiven FMedG 1992 kam es über viele Jahre zu einem weitgehenden Stillstand, bis 2015 Aufweichungen strikter Regeln im Fortpflanzungsmedizingesetz erfolgten (Griessler und Winkler 2022). Dies unter anderem in Reaktion auf ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes aus dem Jahr 2013, durch das es gleichgeschlechtlichen Frauenpaaren freigestellt wurde, künstliche Insemination und In-vitro-Fertilisation (IVF) in Anspruch zu nehmen. Etliche Verbotsvorschriften, die in der Stammfassung des FMedG 1992 enthalten waren, wurden mit dem FMedRÄG 2015 aufgehoben (Bernat 2016). So wurde das Subsidiaritätsprinzip aufgeweicht, indem künstliche Befruchtung auch für gleichgeschlechtliche Frauenpaare erlaubt wurde. Zudem wurde die Möglichkeit für eine Samenspende von dritter Seite für künstliche Insemination oder eine IVF-Behandlung geschaffen. Erlaubt wurde mit dem FMedRÄG 2015 auch eine Kryokonservierung von reproduktiven Zellen, allerdings nur bei medizinischer Indikation, wie etwa im Fall einer Krebserkrankung, die eine Strahlentherapie erfordert. Im Umkehrschluss leitet sich daraus das Verbot des sogenannten „social egg freezing“ ab. Darunter versteht man das Einfrieren von Eizellen in jungen Jahren, um diese für eine Wunschschwangerschaft in einem späteren Lebensabschnitt nützen zu können.

Nach wie vor keinen Zugang zu künstlicher Befruchtung haben in Österreich Frauen, die zum Zeitpunkt des Behandlungswunsches in keiner Partnerschaft leben – mit dem Argument, dass „Kindern nicht von Vornherein nur ein Elternteil zur Verfügung stehen soll“ (ErlRV 445 dB 25. GP 1). Diese am Zweieltern-Familienmodell orientierte Argumentation unterbindet auch mit dem FMedRÄG 2015 eine bewusst angestrebte Einelternschaft. Auch bleibt weiterhin homosexuellen Männerpaaren die Umsetzung ihres Kinderwunsches verwehrt, da Leihmutterschaft verboten ist, ohne dass dieses Verbot explizit im Gesetz verankert ist. Auch in den parlamentarischen Debatten im Vorfeld des FMedRÄG 2015 wurden Regelungen zur Leihmutterschaft nicht im Detail aufgegriffen, festgehalten wird aber, dass diese weiterhin verboten sein soll (Griessler und Winkler 2022). Zugleich hat bereits vor Verabschiedung des FMedRÄG 2015 der österreichische VfGH entschieden, dass Leihmutterschaft ungeachtet des im FMedG verankerten Verbots „nicht mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar“ sei (Bernat 2016, S. 274) und dass ausländische Rechtsakte, die die Wunscheltern als Eltern im Rechtssinn des von einer Leihmutter geborenen Kindes ausweisen, grundsätzlich anerkennungsfähig seien (VfGH 14.12.2011 – B 13/11-10 –, RdM 2012, 104). Homosexuellen Männerpaaren mit Kinderwunsch bleibt angesichts des Verbots von Leihmutterschaft in Österreich lediglich die Möglichkeit, ihren Kinderwunsch mittels einer Leihmutter im Ausland umzusetzen, wobei sich die gerichtliche Anerkennungspraxis bei im Ausland von einer Leihmutter geborenen Kindern stark an den Interessen der sogenannten Bestelleltern orientiert (Koch 2018).

5 Zusammenschau und Ausblick

In den vergangenen Jahrzehnten veränderten sich Verhalten, Einstellungen und rechtliche Normen in Bezug auf Partnerschaft und Elternschaft. Deutlich zeigt sich mehr Offenheit für unterschiedliche Formen des Zusammenlebens und Wege der Begründung von Elternschaft. Der Beitrag ging der Frage nach, inwieweit die Veränderungen in den Einstellungen und rechtlichen Normen und im Verhalten zeitlich parallel oder (deutlich) zeitversetzt stattfinden und ob sich Hinweise für „neue Normalitäten“ abzeichnen.

Die Ergebnisse unserer Analysen unterstreichen die Komplexität des Zusammenspiels von Einstellungen, Verhalten und rechtlichen Normen. Änderungen in den Einstellungen und im Verhalten finden zum Teil deutlich zeitlich versetzt statt. Beispielsweise stieg die Anzahl nichtehelicher Lebensgemeinschaften erst Mitte der 1990er-Jahre stärker an – zu einem Zeitpunkt, an dem bereits zwei Drittel befürworteten, dass ein Paar zusammenlebt ohne die Absicht zu heiraten. Der starke Anstieg dieser Lebensform erfolgte, obwohl Rechtsnormen sie bis heute nur rudimentär berücksichtigen. In Bezug auf Scheidungen ist eine gegenläufige zeitliche Abfolge zu erkennen. Bis Mitte der 1980er-Jahre war die Gesamtscheidungsrate bereits auf rund 30 % angestiegen, während die Bevölkerung Scheidungen gegenüber noch eher ablehnend eingestellt war. Selbst als 2007 mit 49,5 % die bislang höchste Gesamtscheidungsrate erreicht war, fanden (im Jahr 2008) nur 42 % Scheidungen in Ordnung. Auch treten Änderungen in den Rechtsnormen zum Teil zeitversetzt zu entsprechenden Veränderungen in den Einstellungen auf, wie sich z. B. in Bezug auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften zeigt: Während sich bereits seit dem Ende der 1990er-Jahren ein deutlicher Anstieg der Befürwortung dieser Lebensform beobachten lässt (wobei nach wie vor rund ein Fünftel der Bevölkerung eher ablehnend ist), erfolgte deren rechtliche Anerkennung erst zwei Jahrzehnte danach. Manche Änderungen in den rechtlichen Bestimmungen sind aber auch Ausdruck von Anpassungen an bereits bestehende Verhaltensweisen, wie beispielsweise an der rechtlichen Position von Stieffamilien ersichtlich ist: ihr Anteil ist in den letzten 15 Jahren relativ konstant (bei rund 10 % aller Familien mit Kindern), rechtliche Regelungen entstanden jedoch nur zögerlich und eingeschränkt. Rechtsnormen haben das Potenzial, auf veränderte gesellschaftliche Partnerschafts- und Elternschaftskonstellationen zu reagieren, verfolgen umgekehrt aber auch die Intention, ein bestimmtes (erwünschtes) Verhalten zu ermöglichen oder zu forcieren, wie beispielsweise veränderte Regelungen in der Obsorge für Kinder zeigen: Die Obsorge beider Elternteile verweist auf die Intention des Gesetzgebers, die elterliche Verantwortung nach einer Scheidung auf beide Eltern aufzuteilen. Dass die erwünschte Umsetzung auf die Verhaltensebene nicht unbedingt gelingt, wird gerade am Beispiel von Kontaktrecht und Unterhaltszahlungen deutlich.

Zusammenfassend zeigen unsere Analysen über einen Zeitraum von mehr als drei Jahrzehnten, dass trotz der Etablierung neuer sozialer und rechtlicher Normen ältere, seit langem bestehende soziale Normen weiterhin parallel bestehen. Besonders deutlich zeigt sich dies in zwei Bereichen: Im Bereich gleichgeschlechtlicher Paar- und Elternbeziehungen können einerseits durchaus „neue Normalitäten“ konstatiert werden, andererseits bestehen Ungleichheiten weiter fort. Die gesellschaftlich tief verankerte Heteronormativitätsnorm, wonach Paar- und vor allem Elternbeziehungen von zwei Personen verschiedenen Geschlechts gelebt werden, wurde fluider, wie anhand steigender sozialer Akzeptanz deutlich wird, allerdings bei gleichzeitig (im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern) weiter bestehender relativ hoher Ablehnung (Berghammer und Schmidt 2021). Auch die erst rezent geschaffene Möglichkeit der rechtlichen Absicherung gleichgeschlechtlicher Paar- und Elternbeziehungen zeigt: Zwar steht ihnen sowohl das Rechtsinstitut der Ehe als auch jenes der eingetragenen Partnerschaft offen, doch Männerpaare bleiben, im Gegensatz zu Frauenpaaren, von der Nutzung medizinisch unterstützter Fortpflanzungsmethoden ausgeschlossen, da (trotz Vorhandensein zweier sozialer Elternteile) eine (in Österreich nicht zulässige) Leihmutterschaft erforderlich wäre.

Dies führt zum zweiten Bereich: Hinsichtlich Elternschaft verweisen unsere Analysen auf die enorme Beharrlichkeit der sozialen Zwei-Eltern-Norm. Dies wird beispielsweise nach einer elterlichen Scheidung deutlich: Obwohl rechtliche Normen die Verantwortlichkeit beider Elternteile für Kinder betonen und die Bedenken hinsichtlich der negativen Auswirkungen von Scheidung auf das Wohlbefinden von Kindern im Zeitverlauf abnehmen, polarisieren Scheidungen von Paaren mit Kindern nach wie vor, und ein Festhalten an der Zwei-Eltern-Norm ist deutlich ersichtlich (so stimmt auch 2023 fast jede:r zweite Befragte zu, dass ein Kind „ein Zuhause mit Vater und Mutter [braucht], um glücklich aufzuwachsen“ und knapp die Hälfte der Befragten ist für das Verbot von Leihmutterschaft oder ist diesbezüglich ambivalent). Auch wurde zwar das Subsidiaritätsprinzip, wonach medizinisch unterstützte Fortpflanzung nur dann durchgeführt werden darf, wenn andere (natürliche) Versuche fehlgeschlagen sind, zugunsten von Frauenpaaren mit Kinderwunsch durchbrochen, nicht hingegen zugunsten alleinstehender Frauen. Rechtlich soll demnach nicht gefördert werden, dass ein Kind nur einen Elternteil hat. Mutterschaft mit Unterstützung der Reproduktionsmedizin steht zwar lesbischen Paaren offen, nicht aber alleinstehenden Frauen.

Unsere Analysen basieren auf Querschnittsdaten zu unterschiedlichen Erhebungszeitpunkten. Dass daraus keine Kausalitäten abgeleitet werden können, wurde bereits einleitend betont. Eine weitere Limitation ist, dass die analysierten Zeitreihen in den Einstellungen aufgrund der eingeschränkten Datenlage große Zeitsprünge aufweisen bzw. sich zum Teil auf wenige Zeitpunkte beschränken müssen (wie etwa bei der Einstellung zur Erziehungskompetenz gleichgeschlechtlicher Frauen- und Männerpaare oder der Einstellung zu MAR). Manche Themen fehlen gänzlich wie etwa Einstellungen zu Stieffamilien. Diese Begrenzungen könnten zum Teil abgebaut werden, wenn neuen Partnerschafts- und Lebensrealitäten in Surveyumfragen verstärkt und kontinuierlich Rechnung getragen würde. Unter Berücksichtigung der gegebenen Begrenzungen lassen sich unsere deskriptiven Analysen insgesamt dahingehend zusammenfassen, dass sich neue Normalitäten zu etablieren scheinen, ohne dass dabei ältere Normen bereits ersetzt worden wären.