1 Einleitung

Die COVID-19 Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung veränderten die Lebensrealitäten und den Alltag von Familien (Ahrens et al. 2022; Beham-Rabanser et al. 2022). Sorgen um Veränderungen des Erwerbslebens, die Schul- und Betreuungssituation der Kinder und die ökonomische Absicherung brachten Belastungen mit sich. Eltern, insbesondere Mütter, waren gefordert, neuen Herausforderungen gerecht zu werden und ihre Familien in schwierigen und häufig wechselnden Situationen bestmöglich zu unterstützen, oftmals auf Kosten ihres eigenen Wohlbefindens (Beham-Rabanser et al. 2022; Langenkamp et al. 2022; Li et al. 2022; Zoch et al. 2021). Die Organisation des Familienalltags wurde ebenso zur Herausforderung wie der Umgang mit Infektionsrisiken und Maßnahmen (Berghammer 2022; Steiber 2021; Zartler et al. 2022).

Österreich setzte ab Winter 2021 als zentrale Maßnahme zur Eindämmung der Pandemie auf die Impfung, wodurch die Teilhabe an weiten Teilen des öffentlichen Lebens sukzessive nur mit gültigem Testnachweis, Impf- oder Genesungszertifikat gestattet war. Österreich führte als erstes europäisches Land eine Impfpflicht ein und verordnete einen sog. Lockdown für Ungeimpfte. Im Verlauf der Pandemie wuchs in der Bevölkerung das Bedürfnis nach einer Normalisierung des Alltags und es kam zu teils konfliktreichen Debatten über gesundheitspolitische Maßnahmen und deren Einhaltung (Kreuzberger und Aschauer 2022; Rothmüller und Wiesböck 2021). Auch internationale Forschungsarbeiten zeigen, dass die COVID-Impfung in Familien ein viel diskutiertes Thema darstellte (Euser et al. 2022; Francis et al. 2022; Schrodt et al. 2023). Die vorliegenden Ergebnisse basieren überwiegend auf quantitativen Daten (für Ausnahmen siehe Clayton et al. 2023; Deml et al. 2022) und fokussieren auf Einflussfaktoren auf die Impfentscheidung. Die Bedeutung der Impfung für Eltern und den Familienalltag wurde bislang kaum untersucht. Ebenso ist unklar, welche Konsequenzen die Impfentscheidung für Eltern hatte und wie sie mit diesen umgingen.

Der vorliegende Beitrag adressiert diese Forschungslücke und beantwortet folgende Fragen: Welche Bedeutung hatte die COVID-Impfung für Eltern im Zeitverlauf? Wie gingen Eltern mit den aus ihrer Impfentscheidung resultierenden Konsequenzen für ihr Sozial- und Familienleben um? Wie erlebten Eltern ihren Familienalltag während des Lockdowns für Ungeimpfte? Dies untersuchen wir für den Zeitraum ab der Verfügbarkeit der COVID-Impfung bis nach dem Ende des Lockdowns für Ungeimpfte. Die Datenbasis ist ein Teil-Sample der österreichweiten qualitativen Längsschnittstudie Corona und Familienleben (Zartler 2020) und umfasst Interviews mit 24 Eltern aus drei Erhebungswellen (Frühling 2021, Herbst 2021, Frühling 2022). Insgesamt 72 Interviews wurden mit dem Kodierschema der Grounded Theory nach Charmaz (2014) analysiert. Die Ergebnisse verdeutlichen die zentrale Bedeutung der Impfung sowie des Impf- und Genesungszertifikats für den Familienalltag und zeigen, wie die befragten Eltern den diesbezüglichen Herausforderungen begegneten.

2 COVID-19 Pandemie und Impfpflicht in Österreich

Österreich führte als einer der ersten europäischen Staaten einen landesweiten Lockdown Anfang 2020 ein, der rund 900.000 Familien mit Kindern unter 18 Jahren betraf (Kaindl und Schipfer 2021). Er umfasste die Schließung von Schulen, Kinderbetreuungs- und Bildungseinrichtungen, Geschäften, Restaurants und Kulturstätten sowie weitreichende Kontaktverbote mit allen außerhalb des Haushalts lebenden Personen. Nach einer schrittweisen Wiederöffnung im Mai/Juni 2020 und weiteren Lockerungen im Sommer folgten aufgrund steigender Fallzahlen zwischen November 2020 und März 2021 zwei weitere landesweite Lockdowns.

Die ersten Impfungen in Österreich waren Ende Dezember 2020 verfügbar, und das erste Halbjahr 2021 war von regionalen Lockdowns, Abstands- und Hygieneregeln sowie lebhaften Diskussionen über die Impfung geprägt (Wisbauer et al. 2022). Ab 1. Juli 2021 wurde der Grüne Pass als Nachweis für Geimpfte, Genesene bzw. PCR-getestete Personen ausgestellt und galt als Zutrittsberechtigung zu unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen (z. B. Gastronomie, Kultur, Sport, körpernahe Dienstleistungen). Darauf folgten Regelungen, welche die Voraussetzungen für die Teilhabe am öffentlichen Leben in unterschiedlichen Pandemiephasen festlegten: 3G (geimpft, genesen, Antigen- oder PCR getestet), 2G+ (geimpft, genesen oder PCR getestet) und 2G (geimpft oder genesen).

Im September 2021 wurde die Pandemie zur Pandemie der UngeimpftenFootnote 1 erklärt. Die Regierung initiierte eine Impfkampagne und forderte als erster EU-Staat eine allgemeine Impfpflicht. Seitens der katholischen Kirche wurde das Impfen als Akt der Nächstenliebe definiertFootnote 2. Dennoch erreichte die Impfquote lediglich 75 %Footnote 3, weshalb ab 15. November 2021 ein Lockdown für alle ungeimpften Personen ab dem zwölften Lebensjahr eingeführt wurde (Wisbauer et al. 2022). Da die Restriktionen kaum Wirkung zeigten, inkludierte der vierte Lockdown ab 22. November 2021 auch geimpfte und genesene Personen. Für diese endete der Lockdown vor Weihnachten, während er für die ungeimpfte Bevölkerung bis Ende Januar 2022 galt. Im Dezember 2021 wurde eine ImpfpflichtFootnote 4 ab 14 Jahren mit einer überwiegenden Mehrheit im Nationalrat beschlossenFootnote 5, deren Umsetzung wurde jedoch ausgesetzt.

3 Theoretischer Rahmen: Doing Family

Dieser Beitrag stützt sich theoretisch auf das praxeologische Doing Family Konzept, welches betont, dass Familien das Ergebnis permanenter Prozesse von Handlungen, Interaktionen und Praktiken sind, und folglich erst durch Organisation, Koordination und Darstellung des alltäglichen Familienlebens hergestellt werden (Finch 2007; Morgan 2011). Dies wird u. a. durch Balancemanagement erreicht, d. h. Verschränkungsleistungen auf organisatorischer Ebene, welche die individuellen Lebensführungen der Mitglieder ausbalancieren sowie Rollen und Verantwortlichkeiten innerhalb der Familie verhandeln (Jurczyk 2020). Zahlreiche Aufgaben und Abstimmungsprozesse verschränken das Leben der Familienmitglieder, um Familie im Alltag praktisch lebbar zu machen.

Doing Family geht über Haushaltsgrenzen hinaus und umfasst oftmals ein größeres Netzwerk (Reisenauer 2020), das aus erweiterter Verwandtschaft, Freund:innen, Bekannten und Nachbar:innen besteht. Insbesondere benötigen soziale Beziehungen außerhalb der eigenen Haushaltsgrenzen deutlich mehr Anstrengung im Beziehungsmanagement (Heitkötter 2020), da Herstellungs- und Gestaltungsleistungen physische Anwesenheit als notwendige Bedingung für Familienbeziehungen voraussetzen (Jurczyk 2014; Schier 2016).

Vor diesem Hintergrund nehmen Medienpraktiken eine besondere Bedeutung ein, „da der Familienalltag heute als durchgängig mediatisiert verstanden werden kann“ (Zerle-Elsäßer und Lange 2021). Medien und Kommunikationstechnologien begleiten den Familienalltag und konstituieren einen zentralen Teil von Doing Family Praktiken (Zartler und Kogler 2021). Dies war während der Pandemie relevant für die Herstellung von Familie mit nicht im Haushalt lebenden Familienmitgliedern. In Familiennetzwerken über die Haushaltsgrenzen hinweg wirken die „(Re‑)Konstruktionspraktiken von Familie bei der Nutzung von Social Media-Angeboten nicht nur integrativ“ (Zerle-Elsäßer und Lange 2021), sondern ermöglichen auch Praktiken der Segregation und Exklusion von Familienmitgliedern.

Familie stellt einen zentralen Bereich von Privatheit dar, in dem persönliche Beziehungen abseits von öffentlichen Einblicken und Einschränkungen gelebt werden können. Gleichzeitig erschwert die Privatheit eine Kontrolle von außen, was negative Auswirkungen, insbesondere hinsichtlich der Einhaltung von Individualrechten, nach sich ziehen kann (Jurczyk und Thiessen 2020). In diesem Spannungsfeld zeigen sich auch Praktiken zur Verhandlung von Familiengrenzen, die und Teil des Undoing Family sind: Individuen hinterfragen ihre (multilokalen) familiären Beziehungen kritisch oder distanzieren sich bewusst (Rerrich et al. 2020). Undoing Family bezieht sich auf alle dekonstruktiven Prozesse, die das Aushandeln des Familienlebens erschweren oder unmöglich machen (Weimann-Sandig 2024). Das Familienleben ereignet sich typischerweise auf einem Kontinuum von Doing und Undoing (Thiessen 2024). Insofern können Praktiken des Undoing Family sowohl Ausdruck der inhärenten Ambivalenz des Familienlebens als auch Ergebnis fehlender Kompetenzen oder Überforderung sein (Jurczyk und Meysen 2020).

Wenn Familien Krisen wie die COVID-19 Pandemie durchleben, erfordert dies eine Neuverhandlung familialer Alltagspraktiken und eine (Neu‑)Gestaltung sozialer Beziehungen (Ahrens et al. 2022). Um sich an veränderte gesellschaftliche und berufliche Rahmenbedingungen sowie Schul- und Betreuungskontexte anzupassen, sind Eltern gefordert, Abläufe und Routinen neu einzuführen oder zu adaptieren, Familienregeln neu zu verhandeln und sie in einem unbekannten Kontext anzuwenden. Darüber hinaus müssen sie neue Kommunikationswege etablieren und neue Interaktionsformen und Familienpraktiken entwickeln, die auf die Bedürfnisse jedes Familienmitglieds angemessen eingehen. Die Ausgangsbeschränkungen, die Impfpflicht und der Lockdown für Ungeimpfte bedeuteten Herausforderungen für bestehende Familienpraktiken. Vor allem die Durchdringung und wechselseitige Beeinflussung von privater und öffentlicher Sphäre erforderte Adaptionen familialer Praktiken, um einen kohärenten familialen Lebenszusammenhang zu ermöglichen.

4 COVID-Impfung und Familien: Aktuelle Forschungsergebnisse

Die Impfthematik dominierte die mediale Diksussion im Jahr 2021 und beschäftigte die österreichische Bevölkerung von der Entscheidung für oder gegen eine Impfung über den Zugang zur Impfung, Debatten über Impfneid bis hin zur Impfpflicht. Das Austrian Corona Panel Project (ACPP) (Kittel et al. 2021) zeigt, dass die Impfbereitschaft während der ersten Jahreshälfte 2021 stark anstieg und bereits im Sommer 2021 stagnierte (Eberl et al. 2022). Als zentraler Grund für eine Impfung wurde vorwiegend der Selbstschutz genannt (65 %), etwas seltener (51 %) der Schutz anderer Personen. 35 % der Befragten nannten als Impfmotivation ihre Hoffnung, die Impfung würde ein Leben wie vor der Pandemie ermöglichen (Paul et al. 2021). Clayton et al. (2023) zeigten für England, dass insbesondere geimpfte Eltern ihre Impfung als Beitrag, andere zu schützen, betrachteten.

Gegen eine Impfung sprach für zögerliche und nicht-impfbereite Befragte des ACPP die Sorge vor Nebenwirkungen. Jene, die ein geringes Gesundheitsrisiko durch eine COVID-Infektion sahen, wenig Solidaritätsempfinden bei der Bekämpfung der Pandemie empfanden, und jene, die Verschwörungsvorstellungen anhingen, sprachen sich gegen die Impfung aus (Paul et al. 2021). Auch die Forschungswerkstatt Corona-Proteste (2023) zeigte, dass Impfskeptiker:innen eine Impfung für riskanter als das Virus selbst hielten (88,4 %) und sich lieber auf das eigene Immunsystem verließen. Internationale Studien bestätigten, dass Sorgen um die Sicherheit der Impfung, Berichte über negative Folgen wie Impfschäden, Fehlinformationen sowie widersprüchliche Informationen die Impfbereitschaft negativ beeinflussten (Al-Amer et al. 2022; Walker et al. 2021).

Die Entscheidung für oder gegen eine Impfung ist komplex und wird maßgeblich durch die Informationen beeinflusst, die eine Person erreichen. Gerade während der Pandemie erfolgte die Informationsweitergabe häufig über soziale Medien (Memenga et al. 2023), und das soziale Umfeld (Familie, Freund:innen) nahm im Entscheidungsfindungsprozess eine zentrale Rolle ein (Zimmermann et al. 2023). Internationale Studien zeigen, dass Gespräche in der Familie über eine potenzielle COVID-Impfung die Impfentscheidung maßgeblich beeinflussten, besonders jene von jüngeren Familienmitgliedern (Euser et al. 2022; Link 2022; Schrodt et al. 2023). Zusammenfassend zeigen die Forschungsbefunde, dass die Familie eine bedeutende Rolle in der Entscheidung für oder gegen eine Impfung einnahm.

Besondere Bedeutung hatte die Impfentscheidung für die eigenen Kinder: Diese wurde als weitaus schwieriger erlebt als die eigene Impfentscheidung (Babicki et al. 2021; Evans et al. 2021). Zudem zeigten Deml et al. (2022) in einer qualitativen Untersuchung von Impfberatungsgesprächen in der Schweiz, dass die verantwortungsvolle Auseinandersetzung mit der COVID-Impfung sowie die Informiertheit von Eltern als Teil guter Elternschaft verstanden wurde. Dies unterstreicht die Bedeutung der Aufklärung und des Zugangs zu Informationen für Eltern. In Österreich zeigten die Impfstatistiken, dass die Impfquote mit dem Alter der Kinder anstieg. So waren im Februar 2022 18 % der Kinder zwischen fünf und neun Jahren vollimmunisiert; für 10- bis 14-Jährige lag dieser Anteil bei 42 %. Auch ein Zusammenhang mit der Familienform wird deutlich: Kinder aus Ein-Eltern-Familien wiesen eine höhere Impfquote (55 %) auf als Kinder aus Paarfamilien (44 %) (Wisbauer et al. 2022).

Die Impfentscheidung bzw. ein Genesungsbescheid beeinflusste im Pandemieverlauf die Ausgestaltung sozialer Beziehungen. Über pandemiebezogene Ausgrenzungserfahrungen sowie Erlebnisse von Kontaktverlust und Stigmatisierung wurde ebenso berichtet wie über gezielte Kontaktreduktionen zu maßnahmenkritischen Personen(-gruppen) (Rothmüller und Wiesböck 2021). Die Gesprächs- und Diskussionspraktiken sowie unterschiedliche Meinungen zu COVID-19 waren auch für Beziehungen in Familien bedeutsam. Teilnehmer:innen von Corona-Demonstrationen in Österreich erlebten Ablehnung am ehesten aus dem Verwandtenkreis und dem beruflichen Kontext (Forschungswerkstatt Corona-Proteste 2023). Die vorliegenden Forschungsergebnisse zeigen, dass sich Eltern über die gesundheitlichen Aspekte der COVID-Impfung hinaus auch über soziale Folgen für ihre Kinder und sich selbst Gedanken machten.

Die eigene Meinung zur Impfung führte, vor allem wenn diese im Widerspruch zu den Haltungen der Familie stand, im Familienkontext zu Konflikten, Stigmatisierung und Beschämung (Rothmüller und Wiesböck 2021). Neben den Distanzierungsmaßnahmen, den erheblich gestiegenen Alltagsanforderungen und den konfliktbehafteten, medial verbreiteten Themen rund um die COVID-Impfung, wurde auch die Herstellung von Familie deutlich schwieriger. Spannungen in Aushandlungsprozessen verstärkten die dekonstruktiven Prozesse, die das Herstellen von Familie beeinträchtigten oder sogar unmöglich machten (Weimann-Sandig 2024). Veränderungen in den Praktiken können sich negativ auf das Wohlbefinden einzelner Familienmitglieder auswirken. Höppner et al. (2022) zeigten dies für intergenerationale Undoing Family Praktiken zwischen Großeltern und Enkeln aufgrund von unterschiedlichen Einstellungen zu den geltenden gesundheitlichen Schutzmaßnahmen.

5 Methode und Sample

Die Daten für diesen Beitrag stammen aus der österreichweiten qualitativen Längsschnittstudie Corona und Familienleben, die das alltägliche Leben von Familien während der Pandemie erforschtFootnote 6. Die Studie umfasst ein Sample von 98 Eltern, die zwischen März 2020 und Juni 2022 in zwölf Erhebungswellen mittels problemzentrierter Interviews (Witzel 2000) sowie elektronisch geführter Tagebucheinträge (Alaszewski 2006; Filep et al. 2018) befragt wurden, beginnend in der ersten Woche des ersten Lockdowns (Dafert und Zartler 2024). Das Längsschnittdesign bietet die Möglichkeit einer Rekonstruktion sowohl in situ als auch im Zeitverlauf (Neale 2021; Vogl 2022).

Die Datenbasis umfasst InterviewsFootnote 7 im Zeitraum ab der Verfügbarkeit der COVID-Impfung (Ende 2020) bis nach dem Ende des Lockdowns für Ungeimpfte. Dementsprechend bilden die Erhebungswellen 10 (Frühling 2021), 11 (Herbst 2021) und 12 (Frühling 2022) die Datengrundlage für diesen Beitrag. Auf Basis der individuellen Relevanzsetzung bezüglich der Impfthematik wurde ein Subsample von 24 Interviewteilnehmer:innen (insgesamt 72 Interviews) herangezogen, wobei 14 geimpft (spätestens in Welle 11, d. h. im Herbst 2021) und 10 ungeimpft waren. Von den 14 geimpften Eltern waren fünf bereits in Welle 10 geimpft; neun waren in Welle 10 aus verschiedenen Gründen noch ungeimpft (z. B. Unzugänglichkeit der Impfung, Warten auf Erfahrungswerte), in Welle 11 aber geimpft. Alle zehn ungeimpften Eltern sprachen sich bereits in Welle 10 gegen eine Impfung aus und blieben bis zum Ende der Erhebung ungeimpft. Das Sample umfasst 22 Mütter und zwei Väter. 14 Eltern lebten in Kernfamilien, 8 in Ein-Eltern-Familien und 2 in Stieffamilien. Insgesamt hatten die Befragten 53 Kinder im Alter von 2 bis 27 Jahren. 15 Befragte lebten in ländlichen Regionen und 9 in Städten; verteilt über alle österreichischen Bundesländer außer Kärnten. 21 Befragte waren erwerbstätig und 3 erwerbslos.

Die Datenanalyse erfolgte mittels des Kodierschemas der Grounded Theory nach Charmaz (2014). Ausgehend vom theoretischen Ansatz des Doing Family Konzepts fokussierte die Analyse auf die familiale Alltagsgestaltung und die Herstellung von Familie, wobei familiale Praktiken, Herausforderungen und Rahmenbedingungen rekonstruiert wurden. Die Analyse umfasste die Erfahrungen der befragten Eltern, ihre Impfentscheidung und die entwickelten Bewältigungsmuster für den Umgang mit Herausforderungen im Familienalltag und während des Lockdowns für Ungeimpfte. Nach der Erstellung von Fallprofilen für alle 24 Fälle und einer detaillierten Kodierung von maximal kontrastierenden Fällen wurden erste Code-Cluster und Kategorien gebildet. Diese bildeten die Grundlage für die Kodierung der weiteren Fälle und wurden im Verlauf der Analyse verdichtet.

6 Ergebnisse

Mit der Verbreitung der ersten Informationen über einen wirksamen Impfstoff Ende 2020 wurde das Thema Impfung für den Familienalltag und die sozialen Beziehungen zentral. Nachfolgend werden die Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse bezüglich der COVID-Impfung innerhalb der Familien und die von den befragten Eltern entwickelten Strategien im Umgang mit der Impfung dargestellt.

6.1 COVID-Impfung: Aushandlung und Entscheidung in Familien

Die befragten Eltern vertraten entweder eine (eher) befürwortende oder eine kritische Haltung zur COVID-Impfung. Impfbefürworter:innen sahen sowohl individuelle als auch kollektive Vorteile. Auf individueller Ebene wurden gesundheitliche Aspekte (Schutz vor schwerem Krankheitsverlauf, verringertes Risiko einer Long-COVID Erkrankung) und die erhoffte Rückkehr zum ersehnten Normalalltag betont: „Ich hoffe, dass die Impfungen bald durch sind und […] dass ma dann endlich ein normales Leben zurück bekommen, weil jetzta des afoch ois scho nur mehr anstrengend is“ (27I, W10)Footnote 8. Auf kollektiver Ebene wurde die Impfbereitschaft als Beitrag zur raschen, gemeinsamen Bewältigung der Pandemie betrachtet. Impfbefürworter:innen empfanden es als „Privileg“ (07I, W10), früh geimpft zu werden, und betrieben dafür auch einen entsprechenden Aufwand.

Impfkritische Befragte argumentierten vornehmlich auf individueller Ebene und betonten gesundheitliche Sorgen und Ängste bezüglich der Impfrisiken, während sie in ihrem Entscheidungsprozess gesellschaftliche Aspekte kaum berücksichtigten. Die befragten impfkritischen Eltern bevorzugten häufig alternative Heilpraktiken und hatten meist bereits vor der Pandemie Bedenken gegen den empfohlenen Impfplan. Sie sahen sich nicht als Risikogruppe, integrierten allerdings ein engmaschiges Testverhalten in ihren Familienalltag, um Risikogruppen zu schützen. Die Entscheidung gegen eine Impfung erforderte folglich ein sehr komplexes familiales Gesundheitsmanagement.

Ab Herbst 2021 intensivierten sich Debatten um die Impfung, die sowohl das öffentliche Diskursfeld als auch familiäre Beziehungen prägten. Geimpfte Befragte äußerten vor allem Sorgen um die Gesundheit und soziale Exklusion ihrer ungeimpften Familienmitglieder. Gleichzeitig beunruhigte sie die Möglichkeit, dass diese sich Verschwörungsnarrativen zuwenden könnten. Ungeimpfte Befragte erlebten oft Unverständnis in Diskussionen mit Familienmitgliedern bzw. im Freundeskreis sowie einen Rechtfertigungsdruck bezüglich ihrer Impfentscheidung. Diese Konflikte, die sich entlang des Impfstatus manifestierten, können als Teil der Dynamik von Doing und Undoing Family interpretiert werden. Sie veranschaulichen, wie familiale Beziehungen und die Herstellung von Gemeinsamkeit unter Druck gerieten. Handlungspraktiken rund um ein Undoing Family verdichteten sich, wie beispielsweise im Ausschluss ungeimpfter Familienmitgliedern von Familienfesten ersichtlich wird. Trotz unterschiedlicher Meinungen unternahmen die befragten Eltern gleichzeitig Versuche, das familiäre Gefüge aufrechtzuerhalten, indem Überzeugungsarbeitet geleistet oder gesundheitspolitische Maßnahmen, die private Zusammentreffen regulierten, an familiäre Rahmenbedingungen angepasst wurden. Befragte Eltern, die sich trotz Skepsis im Zeitverlauf impfen ließen, berichteten, dass ihr Entscheidungsprozess maßgeblich durch das soziale Umfeld beeinflusst wurde.

Eltern, die sich impfen ließen, immunisierten meist auch ihre Kinder, während impfkritische Eltern dies ablehnten. In Familien mit Kindern unter 14 Jahren wurde die Impfentscheidung oft von den Eltern für die gesamte Familie getroffen. In den Familien impfkritischer Eltern führten Aufklärungsinterventionen in Schulen und Diskussionen in der Peer-Group dazu, dass Jugendliche die Haltung ihrer Eltern hinterfragten und sich schließlich aufgrund von Teilhabemöglichkeit an Freizeitaktivitäten sowie sozialen Gründen sich impfen lassen wollten: „Der [Sohn] redet davon, sich impfen lassen zu wollen, damit er nicht in der Schule als Außenseiter dasteht.“ (25I, W10). Die betroffenen Eltern signalisierten Offenheit, versuchten aber, ihre Kinder von ihrer impfkritischen Haltung zu überzeugen, was schließlich als emotional belastend erlebt wurde.

Mit der Einführung des 2G-Status gewann dieser zunehmend an Bedeutung. Geimpft bzw. genesen zu sein bedeutete Sicherheit, Stabilität und Schutz vor Maßnahmen wie Quarantäne: Eltern wollten verhindern, dass „[wir] dann vielleicht heraus gerissen werden aus dem Schulalltag, das wäre für uns ein Thema gewesen“ (10I, W11). Das Erlangen des 2G-Nachweises erleichterte die Alltagsorganisation und -gestaltung und reduzierte die Notwendigkeit häufiger Tests. Der Grüne Pass verstärkte im Zeitverlauf das Gefühl der Zugehörigkeit zur Gesellschaft, denn „das ist dann einfach ein gutes Gefühl, wenn du deinen grünen Pass herzeigen kannst.“ (07I, W11), während Eltern ohne 2G-Zertifikat sich zunehmend sozial exkludiert fühlten.

Die Impfentscheidung ist als Teil des Balancemanagements im Zeitverlauf zu verstehen, da der Impfstatus die Koordination und Organisation des Familienalltags vor dem Hintergrund der jeweils geltenden gesundheitspolitischen Maßnahmen mitbedingte. Die Koordinationsleistungen, die bereits vor der Pandemie für Familien besonders herausfordernd waren, wurden während der Pandemie um eine zusätzliche Dimension erweitert. Die Impfentscheidung wurde zu einem integralen Bestandteil des Familienmanagements, das darauf abzielte, den Alltag unter den gegebenen Bedingungen zu gestalten und dabei die Gesundheit und das Wohlbefinden der Familienmitglieder zu schützen.

6.2 Elterliche Strategien im Umgang mit dem Impfstatus

Im Umgang mit dem Impfstatus und der Ausgestaltung sozialer Beziehungen entwickelten die befragten Eltern zwei Bündel von Strategien, um Normalität im Alltag und eine Entlastung des Familienlebens herstellen zu können: Einerseits versuchten sie, Privatheit herzustellen, andererseits Zugehörigkeit zu erzeugen. Die Strategien wurden von geimpften und ungeimpften Eltern teils unterschiedlich eingesetzt und erfolgten jeweils auf drei Ebenen: sozial, räumlich und medial.

6.2.1 Privatheit herstellen

Die Einschränkungen des Familienalltags durch die Hygienemaßnahmen und die restriktive Gestaltung sozialer Beziehungen wurden als belastend und mitunter als überfordernd erlebt. Eine Strategie der Eltern im Umgang mit diesen Herausforderungen war die Herstellung von Privatheit, um mittels aktiver Grenzziehung einen stabilen und geschützten privaten Lebensraum für sich und ihre Familien zu festigen. Dies erfolgte (1) auf sozialer Ebene, um sich von Personen mit anderen Meinungen zu Impf- und Pandemiethemen abzugrenzen, (2) auf räumlicher Ebene, um für sich selbst und für die Familie eine (möglichst) COVID-freie Zone im Familienalltag zu schaffen, und (3) auf medialer Ebene, um ungewünschte oder negative Informationen auszublenden.

(1) Privatheit auf sozialer Ebene herstellen: Sozialkontakte selektieren, reduzieren und abbrechen

Restriktionen der Kontakte zu Personen außerhalb des eigenen Haushalts erforderten, dass der Impfstatus häufig thematisiert werden musste. Permanent waren Eltern mit Fragen konfrontiert wie: „Bist eh geimpft, wann bist du das letzte Mal geimpft, wie oft bist du geimpft, ja, bist getestet.“ (09I, W11). Dadurch wurden Sozialkontakte voraussetzungsreich und mitunter emotional belastend. Um sich und ihre Kinder vor Konflikten zu schützen und die Komplexität von (Familien‑)Treffen zu reduzieren, veränderten die Befragten die Ausgestaltung ihrer sozialen Kontakte. Sie versuchten, Privatheit herzustellen, die im Familienalltag unterschiedlich praktiziert wurde.

Sowohl geimpfte als auch ungeimpfte Befragte verfolgten die Strategie, ihre Kontakte nach dem Impfstatus bzw. der Meinung zum Impfen auszuwählen, zu reduzieren oder abzubrechen. Vor diesem Hintergrund wurden Einladungspraktiken zu Familienfeiern oder Treffen der Kinder vor allem von geimpften Befragten verändert und beispielsweise Familienmitglieder oder befreundete Kinder aus Haushalten ohne 2G-Nachweis nicht mehr eingeladen oder kurzfristig ausgeladen, um die anderen Familienmitglieder gesundheitlich und emotional zu schützen. Eltern adaptierten auch geltende Maßnahmen für Treffen im privaten Wohnraum durch eine strengere Auslegung gültiger Regelungen (z. B. 2G-Regel bei Familienfeiern, auch wenn 3G gesetzlich ausreichend war) und forcierten somit diese Selektion. Befragte Eltern ohne 2G-Nachweis adaptierten ihre Einladungspraktiken nicht, umgaben sich allerdings vorrangig mit ebenfalls ungeimpften Personen oder mit Personen gleicher Meinung.

Wenn Auseinandersetzungen aufgrund unterschiedlicher Meinung emotional belastend waren, wurde Privatheit auf sozialer Ebene durch Reduktion von Kontakten bzw. (zumindest temporäre) Kontaktabbrüche zu bestimmten Personen hergestellt. Dies betraf z. B. Eltern, Schwiegereltern und die erweiterte Familie, aber auch andere Sozialkontakte: „Ich möchte mir diese Thematik einfach nicht noch zusätzlich antun, indem ich mit irgendjemandem diskutieren muss oder mich rechtfertigen muss, warum ich mich nicht impfen lasse und deswegen vermeid ich […] prinzipiell die sozialen Kontakte“ (03I, W11). Neben der emotionalen Belastung durch Kontaktabbrüche wurde auch der Verzicht auf Unterstützung in Kauf genommen, z. B. in der Kinderbetreuung durch Großeltern. Kontaktabbrüche entstanden zumeist im Rahmen emotional aufgeladener Konflikte, mitunter aber auch aus Angst, Verwandte, die Teil der Risikogruppen waren, zu gefährden. So erzählte eine ungeimpfte Befragte, sie hätte ihre Mutter „früher sehr sehr oft gesehn, aber aufgrund dieser Lockdowns und alles und Angst, dass ich sie anstecke, hab ich mich natürlich distanziert und das is jetzt eigentlich noch geblieben“ (03I, W12).

Die Herstellung von Privatheit auf sozialer Ebene erforderte somit eine Neugestaltung sozialer Beziehungen, die sowohl pragmatisch als auch symbolisch ausgerichtet wurden. Die Ausgrenzung bestimmter Personen(-gruppen) kann als Beispiel für eine Strategie des Undoing Family betrachtet werden. Die damit zusammenhängenden emotionalen Konflikte brachten die familiale Gemeinschaft und die sozialen Bindungen der befragten Eltern unter Druck.

(2) Privatheit auf räumlicher Ebene herstellen: auf eigenen Wohnraum konzentrieren; räumliche Alternativen nutzen

Die befragten Eltern erlebten die Allgegenwärtigkeit der Pandemie als herausfordernd: Der Familienalltag war stark von den geltenden Maßnahmen geprägt, und kaum ein Aspekt des Familienlebens wurde nicht von Themen rund um die COVID-19 Pandemie durchdrungen. Beispielsweise beeinflusste das Testen den Familienalltag, insbesondere wenn ein negatives PCR-Testzertifikat für die Erwerbsarbeit vor Ort oder für den Schulbesuch der Kinder erforderlich war. Auch Freizeitaktivitäten im öffentlichen Raum wie Kino- oder Museumsbesuche wurden als Belastung wahrgenommen.

Folglich wurde Privatheit auf räumlicher Ebene als notwendig erachtet, um die Einschränkungen des Familienlebens durch die Pandemie und die Maßnahmen möglichst gering halten zu können. Dies erfolgte durch ein auf den eigenen Wohnraum konzentriertes Familienleben, das es ermöglichte „zuhause immer in meiner Blase zu leben, wo ich quasi ein bisschen Corona-frei bin“ (22I, W11). Die befragten Eltern verzichteten z. B. auf Freizeitaktivitäten wie Ausflüge oder die aktive Teilhabe in Vereinen. Manche Eltern betreuten ihre Kinder auch in Öffnungsphasen der Schulen zuhause, um räumliche Privatheit zu schaffen. War die Wohnsituation für die Herstellung räumlicher Privatheit nicht geeignet, so suchten die Eltern neue Rückzugsmöglichkeiten und nutzten Möglichkeiten, sich auf dem Land aufhalten zu können: „Zwei Monate durchgehend waren wir im Sommer […] am Campingplatz oder eben in Kärnten oder irgendwo. Und das ist schon sehr, eine sehr hohe Lebensqualität, die wir haben, weil wir von diesem ganzen Hysterischen […] nichts mitkriegen.“ (25I, W10). Einige Befragte verlegten das Familienleben in der Freizeit oder in Lockdownphasen in andere Gegenden und nutzten z. B. die Wohnorte von Freund:innen, um sich räumlich vom Pandemiealltag abzugrenzen: Eine ungeimpfte Mutter erzählte, sie sei mit ihrer Familie „draußen bei unseren Freunden in der Natur. Und da sind alle Menschen ungeimpft und da fragt niemand nach einem Test“ (25I, W11).

Für Eltern ohne 2G-Nachweis wurde das Herstellen von Privatheit auf räumlicher Ebene vor allem während des Lockdowns für Ungeimpfte notwendig, da der Familienalltag auf den privaten Wohnraum begrenzt war und dementsprechend umgestaltet werden musste. Alltägliche Erledigungen (wie z. B. Einkauf von Kleidung) konnten nicht getätigt werden. Logistische Herausforderungen wurden abgefedert, indem Personen aus dem erweiterten Familiennetzwerk, die über einen gültigen 2G-Nachweis verfügten, notwendige Besorgungen übernahmen.

Die Konzentration auf den eigenen Wohnraum und die Suche nach räumlichen Alternativen verweist auf das Bestreben, einen geschützten und „Corona-freien“ Raum zu schaffen, und unterstreicht die Bedeutung des privaten Familienraums für das Zusammenleben als Familie. Die Herstellung räumlicher Privatheit ist weiters eine Bewältigungsstrategie, die es Familien ermöglichte, die Kontrolle über ihre unmittelbare Umgebung zurückzugewinnen und ein Gefühl der Sicherheit und Normalität zu bewahren. Die Anpassung des Wohnraums und die Suche nach Alternativen verweisen auf die Fähigkeit von Familien, flexibel auf Krisensituationen zu reagieren und aktiv Lösungen zu finden, die einerseits den Familienzusammenhalt und andererseits die Resilienz der Familie stärkten.

(3) Privatheit auf medialer Ebene herstellen: Konsum reduzieren; Mediennutzungsverhalten adaptieren

Auch durch die Allgegenwärtigkeit des Themas Pandemie in (sozialen) Medien wurde die Herstellung von Privatheit für die Befragten relevant. Aktivitäten wie das gemeinsame Konsumieren von Fernsehnachrichten, die während der ersten Lockdownphasen stabiler Bestandteil des Familienalltags waren (Zartler et al. 2022), wurden verändert oder nicht mehr praktiziert. Einige Eltern verzichteten gänzlich auf Medienkonsum. Sie erlebten die vielen oft negativen Berichterstattungen zu COVID-19 als belastend und hatten Sorge, dass negative Medienberichte ihre Kinder belasten könnten, „was halt alles so gezeigt wird, im Radio auch gesagt wird, dass ich das ein bisschen fernhalte von den Kindern“ (27I, W11). Der Verzicht auf Medienkonsum wurde kaum als einschränkend erlebt: „Wenn man keine Zeitungen mehr liest, lebt man eigentlich ganz gut damit“ (42I, W10).

Für die befragten Eltern ohne 2G-Nachweis war die Herstellung von Privatheit auf medialer Ebene auch aufgrund von Hassnachrichten gegen Ungeimpfte von Bedeutung, denn „Facebook hat dann schon sehr viel beigetragen, indem die Ungeimpften dann wirklich sehr als die Bösen dargestellt wurden und verurteilt wurden“ (03I, W10). Einige Eltern entschieden sich, Social-Media-Aktivitäten im Alltag einzuschränken, „weil ich glaube ich hier einfach genug zu tun habe, mit den Kindern, Haushalt und Co, bin ich froh, dass ich mich damit nicht beschäftigen muss, weil wenn man da einmal anfängt zu lesen, da kommt man gar nicht mehr raus“ (28I, W11). Manche exkludierten bestimmte Personen aus ihren Social Media Accounts, nahmen nicht mehr am öffentlichen Austausch teil oder löschten ihre Accounts.

Die Anpassung des Mediennutzungsverhaltens und der aktive Rückzug aus (sozialen) Medien reflektiert eine facettenreiche Dynamik von Doing und Undoing Family Prozessen. Die entwickelten Strategien verdeutlichen das aktive Bemühen der befragten Eltern, um den Einfluss medialer Diskurse auf ihre Familien zu kontrollieren und zu minimieren. Sie verweisen auf das Bedürfnis, die familiale Privatsphäre vor der Omnipräsenz der Pandemie- bzw. Impfthematik zu schützen, den Einfluss der Außenwelt auf ihr Privatleben zu regulieren und eine Balance zwischen der Teilnahme am (digitalen) sozialen Leben und dem Schutz der familialen Privatsphäre zu finden.

6.2.2 Zugehörigkeit herstellen

Die jeweils geltenden Maßnahmen erschwerten Sozialkontakte und Freizeitaktivitäten im öffentlichen Raum und damit auch soziale Teilhabe sowie Freiheit in der Gestaltung des Familienalltags. Dem begegneten die befragten Eltern durch die Herstellung von Zugehörigkeit in dreierlei Hinsicht: (1) auf sozialer Ebene, um soziale Beziehungen zu schützen und soziale Exklusion zu vermeiden; (2) auf räumlicher Ebene, um den Handlungsspielraum über den eigenen Wohnraum hinaus auszuweiten; und (3) auf medialer Ebene, um Familienbeziehungen trotz fehlenden physischen Kontakts aufrechtzuerhalten oder online Gleichgesinnte zu finden.

(1) Zugehörigkeit auf sozialer Ebene herstellen: Kommunikation verändern; Maßnahmen adaptieren

Soziale Beziehungen gerieten durch die medialen, politischen und auch familialen Diskurse rund um die COVID-Impfung unter Druck. Der empfundene Impfdruck wurde ohne 2G-Nachweis zunehmend als emotionale Herausforderung erlebt: „Die Blüte davon war quasi, dass mein Papa mir unter Tränen erklärt hat, dass ich mich jetzt bitte impfen lassen soll, […] weil er einfach Sorge hat, […] also einfach auch Angst vor Long Covid bei seiner Tochter, […] aber wirklich hoch emotional. Das war das, was mich am meisten gerührt hat“ (09I, W12).

Zur Sicherung bzw. Herstellung sozialer Zugehörigkeit versuchten die befragten Eltern, belastete Beziehungen zu harmonisieren oder stabilisieren, indem das Kommunikationsverhalten angepasst und Themen rund um das Impfen bewusst vermieden wurden: „Ich sage nichts dazu. […] Wenn ich meine Meinung dazu äußern müsste, familienintern, dann würde das äh in einem handfesten Streit enden. Und folglich tue ich mir das nicht an“ (38I, W10). Wenn die Impfthematik in Gesprächen nicht umgangen werden konnte, wurde versucht, die eigene Position zu erläutern und Überzeugungsarbeit zu leisten.

Weiters wurde versucht, das Gefühl sozialer Zugehörigkeit über die Adaptierung geltender Maßnahmen zu stärken. So wurden trotz Ausgangsbeschränkungen Treffen im öffentlichen Raum initiiert, beispielsweise in der unmittelbaren Nachbarschaft, wie eine Befragte erzählte: „Wir haben dann alle einstimmig beschlossen, dass die Kinder weiterhin trotzdem in den Hof gehen sollen, trotz Lockdown“ (22I, W11). Ungeimpften Eltern fiel die Herstellung sozialer Zugehörigkeit während des Lockdowns für Ungeimpfte besonders schwer. Sie konzentrierten sich auf Sozialkontakte mit Personen ähnlicher Haltung: „Bei den Demonstrationen san a immer wieder mal Leit, de i kenn, […], des merk i, des tuat a guat irgendwie […] also dieses, ah, ma isch nicht allein“ (01I, W11).

Die Anstrengungen, soziale Zugehörigkeit zu erzeugen, deuten darauf hin, dass es den Befragten ein Bedürfnis war, soziale Beziehungen trotz Meinungsverschiedenheiten aufrecht zu erhalten. Dabei wurden Kommunikationspraktiken gezielt angepasst, um Konflikte zu vermeiden. Die Adaption von Maßnahmen und die Initiierung neuer Handlungsspielräume, zeigen, dass Eltern bemüht waren trotz restriktiver Rahmenbedingungen ihre familiären und sozialen Kontakte aufrecht zu erhalten. Schließlich zeigte sich auch die Schwierigkeit des Verzichts auf funktional bedeutsame Beziehungen, die zusätzliche Ressourcen beispielsweise bei der Kinderbetreuung zur Verfügung stellen und so das familiale Balancemanagement unterstützen können.

(2) Zugehörigkeit auf räumlicher Ebene herstellen: physische Treffen durch Testen oder Impfen ermöglichen; Alternativen suchen

Die Reduktion der Freizeit- und Alltagsgestaltung auf den eigenen Wohnraum frustrierte die befragten Eltern. Zugehörigkeit auf räumlicher Ebene herzustellen konnte dazu beitragen, den Handlungsspielraum über den eigenen Wohnraum hinaus auszuweiten und physische Treffen wieder zu ermöglichen. Ein 2G-Status erlaubte es aufgrund der damit verbundenen Erleichterungen, die Familienzeit wieder freier zu gestalten.

Zunächst war ein in den Familienalltag eingebettetes, engmaschiges Testen ausreichend, um Zugehörigkeit auf räumlicher Ebene zu schaffen, ohne sich selbst oder andere Personen zu gefährden. Umfassendes Testen ermöglichte, „dass wir zusammen haben sitzen dürfen oder in einem Rahmen, in dem auch Corona-technisch halt alles halbwegs konform ist“ (27I, W11). Mit fortschreitender Pandemiedauer wurde die Durchführung von Tests jedoch sehr aufwändig, besonders für Familien in ländlichen Regionen oder für Familien mit mehreren Kindern. So war es für einige Befragte letztlich unumgänglich, einen 2G-Status zu erlangen. Der Schutz vor der Krankheit durch die Impfung war für diese Eltern nebensächlich oder sogar irrelevant. Wesentlich wichtiger schien es, physischen Kontakt wieder zu ermöglichen, was die Eltern sich durch eine Impfung erhofften.

Eine Impfung, um Zugehörigkeit auf räumlicher Ebene zu ermöglichen, war für einige Eltern allerdings auch unter den zunehmend schwierigen Rahmenbedingungen keine Option. Aufgrund der Bedeutung des 2G-Status für das Gefühl der Zugehörigkeit und für die Rückkehr in ein „normales“ Leben suchten sie mit großem Aufwand alternative, teilweise auch risikobehaftete Wege zur Erlangung des 2G-Status. So provozierten manche Befragte bewusst eine Infektion. Andere erschwindelten einen 2G-Nachweis, z. B. indem sie eine Ansteckung vortäuschten oder versuchten, die Notwendigkeit eines 2G-Nachweises durch ärztliche Zertifikate zu umgehen.

Die Herstellung von Zugehörigkeit auf räumlicher Ebene fokussiert auf die räumliche Dimension des familialen Alltags und zeigt, dass Familien bestrebt waren, trotz Einschränkungen eine gewisse Normalität und Freiheit vor allem in den Bereichen Freizeitgestaltung und Alltagsorganisation wiederherzustellen. Diese Bemühungen umfassten organisatorische Abstimmungsleistungen wie die Erlangung eines 2G-Status, aber auch pragmatische und risikobehaftete Alternativen, um den Familienalltag in größerer Freiheit und Flexibilität gestalten zu können.

(3) Zugehörigkeit auf medialer Ebene herstellen: Online Kommunikation nutzen; Medienkanäle selektieren

Um Gefühle der Zugehörigkeit herzustellen, nutzten die befragten Eltern auch digitale und mediale Möglichkeiten, indem sie soziale Interaktionen in Onlineräume verschoben (z. B. Videotelefonate mit Großeltern, Zoom-Treffen mit Freund:innen der Kinder). Die Umsetzung war nicht immer einfach, und Eltern erzählten über die begrenzten Möglichkeiten digitaler Kommunikation: „Nur mit Skype mit Handy, Skype, telefoniern kurz, aber sie ist Kind [10 Jahre alt; Anm.], sie hat keine zu viel Interesse reden mit Opa oder Oma nur ‚hallo hallo, wie geht’s dir, tschüss‘“ (48I, W10).

Das Gefühl von Zugehörigkeit auf medialer Ebene wurde auch durch Selektion der konsumierten Medienkanäle erzeugt. Die befragten Eltern folgten Social Media Kanälen oder traten online Gruppen bei, welche die eigene Meinung teilten: „Viel Input […] aus so Gruppen wo, wo eben primär sich Ungeimpfte jetz a bissl zomtuan und schaun so, wos hom ma denn für Möglichkeiten und wie gehts’n weiter und wie schofft man des olls guat.“ (01I, W11). Dadurch konnte ein Gefühl der Zugehörigkeit auch im digitalen Raum hergestellt werden.

Die Verlagerung sozialer Interaktionen in den digitalen Raum als Reaktion auf die Einschränkungen physischer Treffen unterstreicht die Anpassungsfähigkeit und Kreativität der befragten Eltern. Die Nutzung von Online-Kommunikationsplattformen ermöglichte es Familien, Praktiken des Doing Family fortzusetzen, indem sie ein Gefühl der Nähe und Zugehörigkeit über Distanzen hinweg aufbauten und aufrechterhielten. Dies verdeutlicht, wie Familien unter den Bedingungen der Pandemie technische Mittel nutzten, um sozialen Zusammenhalt zu stärken und soziale Beziehungen aktiv zu gestalten. Die Herausforderungen und begrenzten Möglichkeiten digitaler Kommunikation, besonders bei jüngeren Kindern, verweisen auf die Grenzen eines Doing Family im digitalen Raum. Die gezielte Auswahl und das Abonnieren spezifischer Medienkanäle und Online-Gruppen, die vor allem die eigene Meinung widerspiegelten, illustriert, wie die Befragten Räume im digitalen Umfeld schafften, in denen sie ein Gefühl der Zugehörigkeit erlebten. Die aktive Verbindung in digitalen Gemeinschaften kann aber auch zu Dynamiken des Undoing Family führen, wenn dies zu einer verstärkten Polarisierung oder zu einem Rückzug aus anderen sozialen Beziehungen beiträgt.

Die beiden Strategienbündel unterstützten Eltern, bei dem Bedürfnis einen Normalalltag herzustellen und somit das Familienleben bzw. dessen Organisation zu entlasten. Sie zeigen, wie Eltern flexibel und adaptiv auf Herausforderungen der Pandemie reagierten, um das Wohlbefinden ihrer Familie zu sichern und den Alltag in einer Krisensituation zu bewältigen.

7 Diskussion

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Bedeutung der COVID-Impfung für Eltern, deren Auswirkungen auf das Sozial- und Familienleben sowie das Alltagserleben seit der Verfügbarkeit der COVID-Impfung und während des Lockdowns für Ungeimpfte in Österreich. Basierend auf dem Doing Family Konzept (Morgan 2011; Jurczyk 2020) wurden 24 Interviewfälle aus drei Erhebungswellen (Frühling 2021, Herbst 2021, Frühling 2022) der qualitativen Längsschnittstudie Corona und Familienleben (Zartler 2022–2024) mittels Grounded Theory nach Kathy Charmaz (2014) analysiert (insgesamt 72 Interviews).

Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse, dass im Verlauf der Pandemie das Bedürfnis nach einem Leben ohne Einschränkungen und die Rückkehr zu einem „normalen“ Familienalltag zunehmend an Bedeutung gewannen. Beides war immer stärker an die Erlangung eines 2G-Nachweises geknüpft. Die im Zeitverlauf stark steigende Bedeutung der Impfung, nicht nur aus gesundheitlichen Gründen, sondern auch aufgrund der Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe, verstärkte die Relevanz des Themas in Familien und machte die Adaption bestimmter Familien- und Alltagspraktiken unumgänglich. Die befragten Eltern entwickelten daher zwei Strategienbündel, deren Ziel die Herstellung von (1) Privatheit sowie (2) Zugehörigkeit war.

Im ersten Strategienbündel versuchten Eltern, durch Grenzziehungen Privatheit herzustellen und die Familie vor den Auswirkungen der Pandemie zu schützen. Dies beinhaltete auf sozialer Ebene die Selektion von Kontakten nach Impfstatus sowie die Reduktion oder den Abbruch von Kontakten. Auf räumlicher Ebene konzentrierten sie sich auf den privaten Wohnraum bzw. nutzten räumliche Alternativen, um einen „Corona-freien“ Raum zu etablieren. Auf medialer Ebene reduzierten sie die Mediennutzung, um negative Meldungen zu vermeiden.

Das zweite Strategienbündel zielte darauf ab, Zugehörigkeit herzustellen. Dies erfolgte durch Anpassung des Kommunikationsverhaltens und Adaptierung von Maßnahmen auf sozialer Ebene, um Sozialkontakte trotz Lockdowns zu ermöglichen. Auf räumlicher Ebene wurden physische Treffen durch engmaschige Testregime und alternative Wege zum 2G-Status ermöglicht. Die Herstellung von Zugehörigkeit auf medialer Ebene kompensierte fehlende physische Kontakte und ermöglichte es, ein Gefühl der Nähe und Zugehörigkeit aufrechtzuerhalten.

Diese aktive Gestaltung des familialen Lebensraums und der Familiengrenzen kann im Sinne des Doing Family Konzepts als Sorgetätigkeit gegenüber der Familie interpretiert werden. Handlungspraktiken auf sozialer und medialer Ebene zeigten sich darüber hinaus auch als Formen des Undoing Family (siehe auch Weimann-Sandig 2024). Besonders soziale Beziehungen des Familiennetzwerks, die oftmals über Haushaltsgrenzen hinaus gehen (Reisenauer 2020), erforderten umfassende Anstrengungen im Beziehungsmanagement, da die dafür erforderlichen Herstellungs- und Gestaltungsleistungen physische Anwesenheit voraussetzen, die während der Pandemie aufgrund der gesundheitspolitischen Maßnahmen nicht bzw. nur unter bestimmten Bedingungen möglich war. Dies hatte Auswirkungen auf soziale Beziehungen und erzeugte Ausgrenzungserfahrungen und Kontaktverlust (siehe auch Rothmüller und Wiesböck 2021). Insbesondere die Impfentscheidung wurde zur bedeutungsvollen Dimension physischer Anwesenheit.

Weiters verdeutlichen die Ergebnisse die besonderen Funktionen von sozialen Medien bzw. Medienpraktiken für die (Re‑)Konstruktionspraktiken von Familie über Haushaltsgrenzen hinweg, wodurch sich die Bedeutung von Medien und Kommunikationstechnologien für Familien (Zerle-Elsäßer und Lange 2021; Zartler und Kogler 2021) nun auch für die Pandemie bestätigen lässt. Über soziale Medien wurden dekonstruktive Prozesse verstärkt, die dazu führten, dass bestehende Familienbeziehungen kritisch hinterfragt und teilweise aufgelöst wurden, was die Komplexität und Ambivalenz des Familienlebens während der Pandemie verdeutlicht.

Die Ergebnisse verweisen auf die Bedeutung der Impfung für das Familienleben und die Ausgestaltung von Beziehungen im Familienalltag. Die entwickelten Strategien wurden im Zeitverlauf an die jeweils geltenden Regeln angepasst und unterstützten die befragten Eltern im Umgang mit dem eigenen Impfstatus sowie dem Impfstatus und den Meinungen in ihrem sozialen Umfeld. Die Bedeutung gesellschaftlicher Debatten für soziale Beziehungen wurde bereits mehrfach spezifisch für die Pandemie bestätigt (Aschauer et al. 2022; Daniel et al. 2023; Paul et al. 2021; Rothmüller und Wiesböck 2021). Ebenso konnten unsere Ergebnisse die Relevanz der Familie als Diskussionsort über Impfungen belegen (siehe auch Francis et al. 2022). Dieser Beitrag zeigt darüber hinaus, welche Bedeutung die Impfung und die Debatten darüber für den Familienalltag, für familiale Beziehungen und deren Gestaltung hatten. Als zentral erwiesen sich Themen rund um das Bedürfnis nach Normalität im Familienalltag.

Einschränkend ist zu erwähnen, dass auf Basis der verwendeten Daten ausschließlich die Perspektiven der befragten Eltern abgebildet werden können. Zu den Sichtweisen anderer Familienmitglieder können keine Aussagen getroffen werden. Alle Ergebnisse, welche die Kinder der Befragten betreffen, sind demnach strikt aus Elternperspektive zu interpretieren.