Das Themenheft Soziales Erinnern diskutiert die Relevanz von Körpern und Praktiken für Phänomene des sozialen Erinnerns und beschreibt damit vergangenheitsbezogene Bedingungen der gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit. In der sozialwissenschaftlichen Gedächtnisforschung werden Relationen zwischen Vergangenheit und Gegenwart u. a. sozial-, kultur- und gesellschaftstheoretisch diskutiert (z. B. Hodgkin und Radstone 2005; Tota und Hagen 2016; Lewis et al. 2022). Nach Gerd Sebald et al. (2020, S. 14) manifestieren sich die Konturen und Perspektiven einer Soziologie sozialer Gedächtnisse insbesondere in der Fokussierung auf „zeitliche Bezüge und zeitliche Ordnungsmuster sowie […] Prozesse und Verkettungen des sozialen Wandels und der gesellschaftlichen Transformation(en)“ (vgl. dazu auch Olick und Robbins 1998; Packard 2009; Dimbath et al. 2020). Soziale Abläufe des Erinnerns werden hier nicht als determiniert oder unilinear verstanden, vielmehr steht die Auseinandersetzung mit Kontingenzen, Selektivitäten und Pfaden der Fortsetzungen von Vergangenheitsbezügen im Vordergrund. Soziologisch werden dabei jedoch körperliche und praktische Bedingungen von konflikthaften Erinnerungen und Erinnerungskonflikten kaum erforscht (vgl. etwa Antony et al. 2016; Dimbath et al. 2016; Gukelberger et al. 2023).

Die Beiträge dieses Themenheftes schließen an diese Forschung direkt an und greifen körpersoziologische, interaktionssoziologische, organisationssoziologische und mediensoziologische Ansätze auf, um Praktiken des Erinnerns in ihrem Vollzug zu beobachten und um auf diesen empirischen Beobachtungen aufbauend deren sozial-, kultur- und gesellschaftstheoretischen Relevanzen für gegenwärtige Gesellschaften zu beschreiben. In diesem Sinne verfolgt das Themenheft das Ziel, die Relationen zwischen der Subjektivität und Intersubjektivät des Erinnerns und damit verbunden die sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Bedingtheiten des Erinnerns weitergehend zu bestimmen.

Erinnern ist sowohl ein körperliches als auch ein zwischenkörperliches Phänomen, das praktisch durch einzelne oder mehrere Mitglieder der Gesellschaft hervorgebracht und verobjektiviert wird. In der praktischen Hervorbringung materialisieren und medialisieren sie unterschiedliche Vergangenheiten in Form von situierten Erinnerungen. Mediale Prozesse des Erinnerns sind somit verkörperte Übertragungsverhältnisse (Krämer 2008), die Vergangenheit intersubjektiv erfahrbar, erinnerbar und darstellbar machen, und zugleich eine materiale und eine symbolische Seite aufweisen. Die medialisierten und verobjektivierten Erinnerungen zeichnen sich v. a. dadurch aus, dass sie in Prozessen subjektiver Aneignungen in jeweils spezifische Kontexte (erneut) übersetzt, interpretiert und generalisiert werden müssen, um sozial relevant zu werden (vgl. Sebald et al. 2020, S. 15). Einzelne subjektive Erinnerungen an vergangene Erlebnisse und deren subjektive Aneignungen erzeugen jedoch nie identisches Wissen über die Vergangenheit und tragen daher immer auch Konfliktpotenziale in sich. Folglich können differente Erinnerungen als ähnlich wahrgenommen werden, oder die wahrgenommenen Differenzen können je nach kulturellen, sozialen und politischen Relevanzsetzungen zu kurzfristigen oder verstetigten Konflikten führen (vgl. Gukelberger und Meyer 2022).

Vor diesem Hintergrund diskutieren die Sozial- und Kulturwissenschaften Zeit und insbesondere die Vergangenheit u. a. mit dem kulturtheoretischen Konzept des kollektiven Gedächtnisses (Halbwachs 1967; Assmann 1997). Mit diesem Konzept wird Kultur und Gesellschaft erinnerungstheoretisch als ein Untersuchungsgegenstand entworfen, dessen sozialtheoretischen Bedingungen jedoch analytisch-begrifflich und empirisch unzugänglich bleiben. Die phänomenologische Tradition der Soziologie hingegen beschreibt Zeiterfahrungen zunächst handlungstheoretisch, indem Erinnern zur Bedingung von Handeln im Allgemeinen und sozialem Handeln im Besonderen wird. Erinnern und Erinnerungen äußern sich dann in unterschiedlichen Formen von (innerer und äußerer) Zeit, intersubjektiver Synchronisation und gesellschaftlicher Koordination handelnder Subjekte. Das kommunikative Gedächtnis (Knoblauch 1999) reformuliert in diesem Sinne das wissenssoziologische Konzept des kommunikativen Haushalts (Luckmann 1986) und verbindet subjektive Aneignungsprozesse der Vergangenheit mit gesellschaftlich verobjektivierten Erinnerungswissen.

Dieses Themenheft schließt an Diskurse der Wissenssoziologie und Ethnomethodologie an, die die Bedingungen für soziales Erinnern konzeptionell und qualitativ-empirisch erforschen. Die einzelnen Beiträge arbeiten Ressourcen und Themen der Konstruktion von Vergangenheit in Bereichen vergangener und gegenwärtiger Gesellschaften heraus. Um in der Flüchtigkeit der Gegenwart bestimmte Ereignisse der Vergangenheit präsent zu machen, verfügen die Mitglieder einer Gesellschaft über kulturelles Wissen und praktisches Know-how, mit dem sie vergangene Ereignisse sozial anschlussfähig erinnern können. Dies bezieht sich sowohl auf die Erinnerung als auch auf die Tätigkeit des Erinnerns selbst. Was aus der Vergangenheit in der Gegenwart sagbar und erinnerungswürdig, was unsagbar und erinnerungsunwürdig scheint und wie es thematisiert werden kann, wird durch soziale, kulturelle und gesellschaftliche Dynamiken wesentlich mitbestimmt. Für Alfred Schütz und Thomas Luckmann ist das subjektive Bewusstsein und seine spezifische Zeitstruktur eine grundlegende Bedingung für Intersubjektivität, Handlungskoordination, gesellschaftliche Zeitkategorien und „historisches Bewusstsein“ (Luckmann 2002, S. 65). Im Subjekt und dessen Bewusstseinsstrom finden Momente des Erinnerns statt, wenn einzelne Erlebnisse im unmittelbaren Anschluss zu Erfahrungen werden, die dann als Erfahrungen zudem sprachlich-reflexiv typisiert werden. Ausgehend vom Subjekt und seiner inneren Dauer fragt Luckmann, wie die Koordination von Subjekten im Alltag gesellschaftlich organisiert wird. Luckmann geht dieser Frage nach, indem er verschiedene Formen von Sprachgebrauch und Wissensvorräten untersucht und als kommunikative Gattungen (1986) beschreibt. Vor diesem theoretischen Hintergrund beschäftigen sich die Beiträge des Themenhefts mit kommunikativen Problemen der Vergangenheitsrekonstruktion, z. B. wie selbsterfahrene körperliche Ereignisse adäquat erinnert und kommunikativ anschlussfähig in Sprache übersetzt werden können. Die rekonstruktive Arbeit an diesen vergangenen körperlichen Ereignissen kann z. B. im Recht oder im Gesundheitswesen als Teil einer professionellen Praxis besonders deutlich beobachtet werden (vgl. etwa Goodwin 1994; Antaki 2008; Meier zu Verl 2016). Kommunikative Gattungen der Rekonstruktion stellen den Mitgliedern einer Gesellschaft ein Repertoire bzw. Handlungswissen zur Verfügung, um diese wiederkehrenden kommunikativen Probleme im Umgang mit der Vergangenheit unproblematisch zu machen. Kommunikative Gattungen sind demnach „real kulturelle Objekte“ (Luckmann 1986, S. 206), die jedoch innerhalb von Gesellschaften und je nach Gattungstyp durch die Mitglieder einer Gesellschaft in je spezifischer Weise selbst reflektiert und vermittelt werden. Das Wissen über kommunikative Gattungen ist also Bestandteil gesellschaftlicher Wissensvorräte. Zugleich sind sie aber auch analytische Beschreibungskategorien der Wissenschaft, da Typen von Gattungen durch die Mitglieder der Gesellschaft verschieden stark reflektiert, beschrieben und theoretisiert werden.

In der neueren soziologischen Debatte über Erinnerung und Gedächtnis wird der Beitrag von Luckmann an vielen Stellen gewürdigt (vgl. etwa Knoblauch 1999; Berek 2009; Zifonun 2011; Schnettler und Baer 2014; Ayaß 2020), aber dessen empirisches Programm zur Untersuchung rekonstruktiver Gattungen und dessen Potenzial zur Beschreibung von Gesellschaften und ihrem praktischen Umgang mit der Vergangenheit und der Gewordenheit von gegenwärtigen Gegebenheiten findet unserer Ansicht nach dennoch zu wenig Beachtung. Bereits in den 1980er Jahren legten Thomas Luckmann, Jörg R. Bergmann und ihre Mitarbeiter:innen Angela Keppler, Wolfgang Kroner, Jürgen Schmucker und Bernd Ulmer im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsprojekts „Strukturen und Funktionen von rekonstruktiven Gattungen in der alltäglichen Kommunikation“Footnote 1 einige empirische Studien vor, die kleine und komplexe Formen rekonstruktiver Gattungen beschreiben (vgl. Bergmann 1985, 1987; Keppler 1987; Knoblauch 1987Footnote 2; Ulmer 1988; Keppler 1989; Bergmann und Knoblauch 1990Footnote 3; Ulmer und Bergmann 1993; Keppler 1994; Bergmann und Luckmann 1995). Es sind diese Pionierarbeiten zu verschiedenen rekonstruktiven Gattungen, die immer noch neue theoretische Impulse für den gedächtnissoziologischen Diskurs über Erinnern und Erinnerung bereithalten. Denn sie verfolgen anhand von empirischen Fallbeispielen das von uns formulierte und aktuell vernachlässigte Forschungsanliegen, soziologisch zu beschreiben, wie Vergangenheit durch Körper und Praktiken intersubjektiv hergestellt wird und wie dadurch kommunikative Probleme situativ gelöst werden.

Für die Akteur:innen wird die Kommunikation über Vergangenheit damit zu einem unproblematischen Problem, auch wenn z. B. unterschiedliche Versionen über vergangene Ereignisse im Konflikt miteinander stehen und diese Konflikte gegenwärtige und zukünftige Diskurse inhaltlich bestimmen (etwa Koch et al. 2016; Ayaß 2023). In seiner Untersuchung zur Konversionserzählungen zeigt Bernd Ulmer (1988) beispielsweise, wie Konvertit:innen in den Rekonstruktionen ihrer Konversionserfahrung nicht nur sprachliche Narrative, sondern darüber hinaus auch die Performativität ihres präsenten Körpers nutzen, um vergangene, teilweise innerliche Erfahrungen für sich und andere wiedererfahrbar zu machen.

Diese Verknüpfung von Erinnern mit Körpern und Praktiken sowie (inter-)subjektiven und gesellschaftlichen Konfliktpotenzialen, die allen körperlichen Erinnerungspraktiken innewohnen, wird mit diesem Themenheft weitergehend erforscht. Das Spektrum der Einzelbeiträge umfasst empirische und wissenssoziologische Untersuchungen verschiedener Bereiche der Gesellschaft, wie staatliche Behörden (Ordnungsamt und Polizei), Bildungsorganisationen (Universität), Institutionen der Erinnerungskultur (Museum) und Gesundheitsorganisationen (Pflegeheim). In diesen gesellschaftlichen Bereichen wird das Problem der Rekonstruktion von Vergangenheiten auf unterschiedliche Arten und Weisen materiell, körperlich, sprachlich und medial gelöst. Um die Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeiten und die Praktiken des Erinnerns in diesen Bereichen zu untersuchen, nutzen die Beiträge verschiedene Konzepte von Gedächtnis, Erinnern, Erinnerung, Rekonstruktion und Kommunikation. Ein Teil der Beiträge des Themenhefts wurde bereits im Rahmen der ad hoc Gruppe „Körpergedächtnis, soziales Erinnern und polarisierte Welten“ (organisiert von Sandrine Gukelberger und Christian Meier zu Verl) auf dem 41. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (26.–30. September 2022 in Bielefeld) präsentiert und diskutiert.

Der erste Beitrag „Soziales Erinnern an Inhaftierungen in der DDR: Zeitlichkeit, Zwischenkörperlichkeit und Generalisierung“ von Olga Galanova untersucht, wie Erinnerungen an körperliche Gewalttaten im Vollzug von Verhaftungen und Inhaftierungen durch die Volkspolizei und das Ministerium für Staatssicherheit (Stasi) in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) damals und heute thematisiert werden. Die Autorin zeigt, dass rekonstruktive Gattungen, wie Beschwerden, Gerüchte und Zeitzeugenberichte soziales Erinnern an staatliche Übergriffe ermöglichen. Die empirische Grundlage der Analysen bilden Berichte, Protokolle und Audiomitschnitte authentischer Telefongespräche, die die Stasi angefertigt hat und die aktuell im Bundesarchiv vorliegen, sowie televisuelle Erinnerungsformate von Zeitzeug:innen. Galanova systematisiert diese Datenmaterialien entlang ihrer Verweise auf körperliche Gewalttaten und Misshandlungen und rekonstruiert relevante Bedingungen des Erinnerns und politischer Erinnerungskonflikte. Die vergangenen subjektiven Gewalterfahrungen können von den Akteur:innen in kommunikativ anschlussfähige und verobjektivierte Erinnerungen transformiert werden und ermöglichen damit einen gesellschaftlichen Diskurs über politische Gewalterfahrungen in der DDR.

Anschließend beschäftigt sich Hanna Grauert in ihrem Beitrag „Institutionelles Erinnern und Alltagserinnern: Zur Temporalität und Normativität interaktionalen und konfliktiven Erinnerns bei behördlichen Kontrollen“ mit den kommunikativen Grundlagen sozialen Erinnerns in unserer gegenwärtigen Gesellschaft und in Interaktionen zwischen staatlichem Ordnungsamt und Zivilpersonen. Die Autorin macht interaktions- und organisationssoziologisch Praktiken der konfliktiven Herstellungen von Normativität und entsprechende Legitimationsformen empirisch beobachtbar. Die Untersuchung basiert auf einer ethnographischen Feldforschung in einem Ordnungsamt einer deutschen Großstadt, für die die Autorin Mitglieder des Ordnungsamts teilnehmend beobachtete. Die Analysen zeigen, wie Amts- und Zivilpersonen in unterschiedlichen Zeittiefen an erst kürzlich zurückliegende Ereignisse erinnern (z. B. das Parken eines Autos) und wie sich institutionelle Verfahren des Rekonstruierens von Alltagspraktiken sozialen Erinnerns praktisch und körperlich unterscheiden. Im Vordergrund stehen Situationen des Erinnerns, die die sozialen Abläufe konfliktiven Erinnerns sowie die Selektivität bei der Rekonstruktion von Vergangenheitsbezügen herausarbeiten. Mit Blick auf den Organisationsalltag einer staatlichen Behörde, zeigt der Beitrag, wie Fragmente alltäglichen Geschehens zu Episoden geteilter, kollektiver Erinnerung in nuce transformiert und beispielsweise in Form von Strafzetteln medialisiert und verobjektiviert werden.

Verobjektivierte Erinnerungen und deren erneute (inter-)subjektive Aneignung untersuchen Lucy Meechan und Dirk vom Lehn im Beitrag „Animating Memories: Revealing the Organisation of Remembering in Interaction at Museum Exhibits“, indem sie das Museum als einen Ort institutionalisierter Erinnerungskultur interaktionssoziologisch betrachten. Die Autor:innen zeigen anhand von Videoaufzeichnungen in verschiedenen Museen, wie deren Besucher:innen sich die ausgestellten Museumsobjekte über (zwischen-)körperliche und sprachliche Erinnerungspraktiken aneignen. In diesen Interaktionen werden unterschiedliche subjektive Vorstellungen vergangener Ereignisse und Erinnerungen verobjektiviert, indem die Besucher:innen ihre Erinnerungen an und Erlebnisse mit Museumsobjekten kommunikativ anschlussfähig machen. Der Beitrag zeigt, wie gelingende Prozesse der (inter-)subjektiven Aneignung von Objekten auf körperlichen Praktiken sozialen Erinnerns aufbauen und diese als situative Deutungsressourcen verfügbar machen. In ihrer Analyse argumentieren Meechan und vom Lehm, dass ihre detaillierten Videoanalysen v. a. jene subtilen und impliziten Körperpraktiken des kontextsensiblen Erinnerns beobachtbar machen, die in der aktuellen Diskussion der Gedächtnissoziologie bislang übersehen werden.

Der Beitrag „Körperliches Erinnern im Krisenmodus. Pandemiebedingte Veränderungen im Selbst- und Weltverhältnis junger Erwachsener“ von Hanna Haag und Sascha Oswald zeigt, wie neue subjektive Reflexionsräume des Alltäglichen aus den unmittelbaren Erfahrungen der Covid-19-Pandemie hervorgehen können, in denen das vormals Selbstverständliche krisenhaft erinnert wird. Die Autor:innen fragen daher, wie handelnde Subjekte die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf alltägliche Körperpraktiken und auf ihr Welt- und Selbstverhältnis beschreiben. Die Grundlage der qualitativen Untersuchung bilden Interviews und Gruppendiskussionen mit jungen Menschen zwischen 18 und 30 Jahren an Hochschulen in Deutschland (2020–2023). Die Autor:innen führen die Rekonstruktion pandemischer Krisenerfahrungen unter Bezugnahme auf die exzentrische Positionalität, Resonanztheorie und neue Phänomenologie durch. Damit rücken Haag und Oswald in ihrer Analyse die Wahrnehmung von Krisenphänomenen in den Fokus und machen deutlich, dass das was zuvor als kollektiv geteilte Normalität angesehen und verinnerlicht wurde, performativ hinterfragt und im Prozess des Erinnerns (inter-)subjektiv neu verhandelt werden muss.

Im letzten Beitrag „Sozialität, Gedächtnis und Demenz: Eine soziologische Studie zum praktischen Vollzug des Erinnerns“ untersucht Christian Meier zu Verl, wie kommunikativ anschlussfähiges Erinnern auch unter den prekären Bedingungen einer Alzheimer-Krankheit praktisch hervorgebracht wird und welche Potenziale für Konflikte und Krisen damit verbunden sind. Dabei entwickelt der Beitrag eine sozialtheoretische Position, die empirisch aufzeigen kann, dass es mit der neurodegenerativen Progredienz einer Demenz nicht zu einem allgemeinen Verlust von Sozialität, sondern zu Verschiebungen von Sozialitätsformen kommt. In sozialen Interaktionen können individuelle Wissensverluste und mögliche Erinnerungskrisen durch die Interaktionspartner:innen mit und ohne Demenz durchaus situativ kompensiert werden. Auf der empirischen Grundlage videobasierter Interaktionsanalysen beschreibt der Autor, wie Pfleger:innen und Bewohner:innen mit Demenz in verschiedenen Interaktionen sozial erinnern und wie demenzbedingte Probleme durch lokal verfügbare Ressourcen praktisch gelöst werden können. Soziales Erinnern kann also auch unter den Bedingungen eines demenzbedingten Wissensverlustes gelingen. Mit Blick auf die Progredienz der Demenz verschieben sich dabei die Formen gelebter Sozialität vom inhaltlichen Gespräch über Erinnerungen hin zu körperlich-affektiven Formen des Erinnerns.

Als Herausgeber:innen dieses Themenhefts möchten wir uns bei allen Beiträger:innen, den Gutachter:innen und der Redaktion der Österreichischen Zeitschrift für Soziologie, insbesondere bei Franz Ofner und Michael Parzer für das uns entgegengebrachte Vertrauen und die produktive Zusammenarbeit bedanken.