1 Einleitung

Eines der signifikantesten politischen Entwicklungen in Europa in den letzten 15 Jahren waren wahlpolitische Zugewinne für rechtspopulistische Parteien (RPP). In vielen EU-Mitgliedsstaaten kamen diese Parteien bei nationalen Wahlen auf 15–20 % der Stimmen (Halikiopoulou und Vlandas 2022, S. 10). Auch in Österreich konnte die Freiheitliche Partei Österreich (FPÖ) ihren Stimmenanteil bei Nationalratswahlen zwischen 2006 und 2017 von 11 % auf 26 % mehr als verdoppeln. Infolge der „Ibiza-Affäre“ verlor die FPÖ zwar insgesamt 10 Prozentpunkte bei der Nationalratswahl 2019. Mittlerweile liegt sie aber wieder in allen Umfragen bei deutlich über 20 % und belegt seit Herbst 2022 ununterbrochen Platz 1 in Wahlumfragen (PolitPro 2024). Wie kann diese Dynamik in der Stimmabgabe für die FPÖ erklärt werden?

Es gibt mittlerweile eine Fülle an sozialwissenschaftlichen Studien zur Geschichte der FPÖ, zu ihrer ideologischen Programmatik, zu ihren Wahlstrategien und zu ihrer internationalen Verortung (z. B. Auinger 2017; Heinisch 2004; Luther 2007; Pelinka 2019; Wodak et al. 2013). Diese Studien behandeln die Entwicklung der FPÖ von einem Auffangbecken für ehemalige Nazis hin zu einer der größeren Parteien Österreichs, die das Parteiensystem nachhaltig veränderte (Fallend et al. 2018; Pelinka 2019). Ferner wird ihre Rolle als populistische Partei im Spannungsfeld von Regierungsverantwortung und Opposition kritisch beleuchtet (Fallend 2012; Luther 2007). Auch werden ihre ideologischen Metamorphosen von einem Deutschnationalismus hin zu einer „Österreich-Zuerst“-Partei thematisiert (Heinisch 2004), ebenso wie ihre Abkehr vom Neoliberalismus hin zu einer „sozialen Heimatpartei“ mit wohlfahrtschauvinistischer Orientierung (Flecker et al. 2019; Ennser-Jedenastik 2020). Zudem erfährt der xenophobe Populismus der FPÖ verstärkt Aufmerksamkeit in der Forschung, auch in international vergleichender Perspektive (Wodak et al. 2013; Rheindorf und Wodak 2019).

Was bis jetzt noch zu wenig Aufmerksamkeit im österreichischen Kontext erfahren hat, ist eine soziologische Analyse der soziodemografischen Merkmale und Einstellungen ihrer Wähler*innenschaft. Zwar wurde in Studien (z. B. Plasser und Ulram 2007; Plasser und Sommer 2018) immer wieder die Motive und Charakteristika ihrer Wähler*innen beleuchtet, aber eine tiefergehende Analyse fand kaum statt. Eine Ausnahme ist Aichholzer et al. (2014), die auf der Grundlage von Daten der Austrian National Election Study (AUTNES) untersucht haben, wie der Aufstieg der FPÖ den Parteienwettbewerb in Österreich transformiert hat. Diese Studie befördert interessante Erkenntnisse zu neuen gesellschaftlichen Spaltungslinien zutage, anhand derer sich FPÖ-Wähler*innen von denen anderer Parteien unterscheiden (bei Themen wie Zuwanderung und Europa). Da die Datenbasis dieses Artikels aber schon etwas älter ist (2009), bedarf es einer Überprüfung der zentralen Ergebnisse, auch unter dem Eindruck jüngerer Entwicklungen wie der Öffnung des österreichischen Arbeitsmarktes seit 2011 (EU-Osterweiterung) und einem Anstieg der Fluchtmigration seit 2015. Hier setzt dieser Beitrag an, der auf Basis von Individualdaten des European Social Survey von 2014–2018 untersucht, welches die zentralen Determinanten sind, die die Wahl der FPÖ beeinflussen.

Der Beitrag ist wie folgt aufgebaut. Zuerst wird die Entwicklung der FPÖ im 21. Jahrhundert mit einem Schwerpunkt auf ihren ideologischen Transformationen nachgezeichnet. Anschließend wird der theoretische Rahmen skizziert und Hypothesen für die empirische Untersuchung formuliert. Im folgenden Abschnitt wird das Forschungsdesign der Studie skizziert. Danach werden die zentralen Ergebnisse der Studie präsentiert, die anschließend im Kontext der internationalen Forschungsliteratur evaluiert werden. Abschließend werden einige Überlegungen zur Zukunft des Rechtspopulismus in Europa angestellt.

2 Die FPÖ: Vom Neoliberalismus zur „sozialen Heimatpartei“

Der Aufstieg der FPÖ zu einer der größeren Parteien Österreichs ist untrennbar verbunden mit dem Namen Jörg Haider, der 1986 den Vorsitz übernahm. Haider etablierte einen neuen populistischen Politikstil, der Politik zunehmend als Unterhaltung inszenierte und die Lust an der Provokation suchte. Auch verfolgte er einen xenophoben Populismus, der zukünftig den Markenkern der FPÖ stellte. Dabei legte er die deutschnationalen Wurzeln der FPÖ nicht völlig ab, transformierte sie aber in eine österreich-nationalistische Partei, für die sinnbildlich der Slogan „Österreich zuerst“ steht (Pelinka 2019, S. 137–140; Rheindorf und Wodak 2019). Auch in sozialpolitischer Hinsicht wandelte sich die FPÖ von einer neoliberalen Partei hin zu einer „sozialen Heimatpartei“. Während die FPÖ in den 1980er-Jahren noch wirtschaftliche Eigeninitiative und Unternehmertum propagierte, vollzog sie in den frühen 1990er-Jahren einen ideologischen Schwenk und übte fortan Kritik am Neoliberalismus, der Globalisierung und sozialpolitischen Kürzungen (Betz 2002, S. 257).

Der Wandel der FPÖ hin zu einer „sozialen Heimatpartei“ steht in Wechselwirkung mit einer veränderten Wähler*innenschaft. Seit den 1990er-Jahren wird die Partei vermehrt von Arbeiter*innen und Personen mit niedrigerer Bildung gewählt. Diese „Proletarisierung“ ist auch bei anderen RPP in Westeuropa zu beobachten und steht in einem Zusammenhang mit der Transformation des Parteiensystems hin zu einem „tripolaren politischen Raum“ (Oesch und Rennwald 2018). In Österreich, wo der gemeinsame Stimmenanteil von der Sozialdemokratischen Partei Österreich (SPÖ) und der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) zwischen 1983 und 1999 von 91 % auf 60 % fiel (Müller 2000 in Fallend et al. 2018, S. 34), war diese Entwicklung besonders gut zu beobachten. Nachdem in den 1980er-Jahren beide großen Parteien Stimmen an die FPÖ verloren, war es seit den 1990er-Jahren verstärkt die SPÖ, die von Abwanderungstendenzen betroffen war (SORA 2023). Sinnbildlich für diese Entwicklung war, dass die FPÖ die SPÖ um die Jahrtausendwende als größte Arbeiter*innenpartei im Hinblick auf Wählerstimmen abgelöst hatte (Luther 2007, S. 245). Somit kann eine jüngst getroffene Diagnose, dass die Sozialdemokratie in Westeuropa vor allem Stimmen an konservative Parteien und die Grünen verloren hat (Abou-Chadi et al. 2021), für Österreich nicht bestätigt werden.

Der „linkspolitische“ Schwenk der FPÖ sollte aber nicht überbewertet werden. So sind Forderungen nach einem „schlanken Staat“ und Steuersenkungen weiterhin Teil ihrer Programmatik (Flecker et al. 2019, S. 214). Auch scheint es eine Diskrepanz zwischen Rhetorik und tatsächlicher Politik zu geben, vor allem dann, wenn die Partei Regierungsverantwortung übernimmt. Auch, und dies ist vielleicht der wichtigste Punkt, ist das positive Bekenntnis der FPÖ zum Sozialstaat verbunden mit einem Wohlfahrtschauvinismus, der universalistische und bedarfsorientierte Transferleistungen auf österreichische Staatsbürger*innen begrenzen möchte (Ennser-Jedenastik 2020). Diese rechtspopulistische Agitation gegen die „Zuwanderung in das Sozialsystem“ erlebte im Kontext der gestiegenen Asylmigration seit 2015 einen Aufwind, und wurde nicht nur von der FPÖ propagiert, sondern auch von der ÖVP unter Sebastian Kurz. Es zeigte sich, dass die FPÖ kein „Monopol“ (Pelinka 2019) auf rechtspopulistische Themen hat.

Nachdem die türkis-blaue Bundesregierung infolge der „Ibiza-Affäre“ 2019 zerbrach, erlebte die FPÖ bei den folgenden Nationalratswahlen einen Einbruch. Mittlerweile hat sie sich wieder konsolidiert. Hierauf deuten nicht nur die jüngsten Landtagswahlen 2023 in Niederösterreich, Kärnten und Salzburg hin, sondern auch Wahlumfragen auf Bundesebene, bei denen sie seit Herbst 2022 ununterbrochen auf Platz 1 liegt. Was treibt ihre Wähler*innenschaft an? Was sind deren zentrale Merkmale und Motive? Bevor dies näher im empirischen Teil untersucht wird, werden zunächst der theoretische Rahmen skizziert und entsprechende Hypothesen formuliert.

3 Theoretischer Rahmen

Beim Rechtspopulismus handelt es sich nicht um eine kohärente politische Philosophie, sondern um ein loses Bündel an Ideen und Vorstellungen. Ungeachtet bestehender zeitlicher und räumlicher Unterschiede weisen RPP einige inhaltliche Gemeinsamkeiten auf: (1) Ein xenophober Nationalismus, (2) eine Anti-Elitenhaltung und (3) ein politischer Autoritarismus (Betz 2020; Mudde 2007; Inglehart und Norris 2016). Ein xenophober Nationalismus manifestiert sich in einem konstruierten Gegensatz zwischen „Innen“ und „Außen“, indem ein vermeintlich homogenes Nationalvolk gegen „Eindringlinge“ von außen, insbesondere Migrant*innen, verteidigt werden muss. Dieser Nationalismus ist konstitutiv für alle RPP und geht mit der Ablehnung einer offenen, multiethnischen Gesellschaft einher. Eine Anti-Eliten-Haltung zeigt sich vor allem in einem konstruierten Gegensatz zwischen dem „guten“ Volk und einer „korrupten“ Elite, wobei letztere Politiker*innen, die Medien und Intellektuelle miteinschließt. Diese Haltung korrespondiert oftmals mit einer Neigung zum Autoritarismus, indem RPP von charismatischen Persönlichkeiten angeführt werden, die direkt die Interessen des „Volkes“ vertreten sollen. Gleichzeitig zeichnen sich RPP durch ein zumindest formales Bekenntnis zu den demokratischen Institutionen des politischen Systems aus, wodurch sie sich gegen offen rechtsextreme Gruppierungen abgrenzen (wobei diese Grenzen gelegentlich fließend sind, Panreck 2019).

Die Bedeutungszunahme von RPP geht Hand in Hand mit der „Neuordnung des politischen Raums“ (Koppetsch 2019) in Europa. In vielen Ländern bilden RPP mittlerweile einen dritten Block und konkurrieren mit Parteien der Linken um die Stimmen der Arbeiter*innen und mit Mitte-Rechts-Parteien um die Stimmen der alten Mittelschicht (Oesch und Rennwald 2018). Dieser tripolare Parteienwettbewerb ist Ausdruck davon, dass die zentrale ökonomische Konfliktachse zwischen Kapital und Arbeit, wie sie für das 20. Jahrhundert zentral war, zunehmend von einer kulturellen Konfliktachse überlagert wird, in der Themen wie Migration, Diversität und nationale Identität im Mittelpunkt stehen (Kriesi et al. 2006; Merkel 2017). Während sich RPP im Hinblick auf ökonomische Themen nicht eindeutig auf dem Links-Rechts-Schema einordnen lassen, haben sie eine „Marktführerschaft“ bei kulturellen Themen, wo sie eine ablehnende Haltung zu Zuwanderung, Multikulturalismus und der europäischen Integration einnehmen (Oesch und Rennwald 2018, S. 785).

Wie kann der Aufschwung rechtspopulistischer Parteien erklärt werden? In der Literatur dominieren im Wesentlichen drei theoretische Ansätze: (1) Die Modernisierungsverliererthese, (2) die kulturelle Backlash-These und (3) die politische Entfremdungsthese (Inglehart und Norris 2016; Koppetsch 2019; Oesch 2008; Rippl und Seipel 2018). Die Modernisierungsverliererthese geht davon aus, dass sich die Wähler*innenschaft rechtspopulistischer Parteien vor allem aus den gesellschaftlichen Schichten rekrutiert, die infolge von wirtschaftlichem Strukturwandel, Globalisierung und technologischem Wandel einen sozioökonomischen Statusverlust erlitten haben. Dies betrifft vor allem männliche Industriearbeiter, deren Erwerbsbiografien im Kontext von Deindustrialisierung, Offshoring und Automatisierung instabiler geworden sind (Gidron und Hall 2020; Lengfeld 2017). Vor allem gering qualifizierte Arbeiter*innen mussten seit den 1980er-Jahren Einkommenseinbußen hinnehmen, die von einem sich wandelnden Wohlfahrtsstaat immer weniger kompensiert wurden (Halikiopoulou und Vlandas 2022, S. 37–38). Da sich sozialdemokratische Parteien zunehmend zur politischen Mitte hin orientierten und auch wohlfahrtsstaatliche Reformen hin zu einem „aktivierenden Sozialstaat“ mittrugen, ist eine politische Repräsentationslücke entstanden, die RPP mit ihren protektionistischen Positionen im Hinblick auf Globalisierung, internationalen Handel und europäische Integration füllen (Oesch 2008, S. 351). Somit kann folgende Hypothese formuliert werden:

H1

Arbeiter*innen haben eine höhere Wahrscheinlichkeit als Nicht-Arbeiter*innen, die FPÖ zu wählen.

Meistens werden im Kontext von Modernisierungsverlier*innen auch noch die unteren Mittelschichten und prekäre Milieus genannt (Koppetsch 2019). Bei letzteren handelt es sich um Menschen in unsicheren Arbeits- und Lebensverhältnissen, die sich häufig in einer ähnlichen sozialen Lage wie Zuwander*innen befinden, sodass sie diese oftmals als Konkurrent*innen um Jobs, Sozialleistungen und Wohnraum wahrnehmen (Sachweh 2020, S. 373). Dies kann sie empfänglich machen für die Positionen von RPP, die nicht nur eine dezidierte Anti-Migrationspolitik verfolgen, sondern sich zunehmend auch als „soziale Heimatpartei“ gerieren (Flecker et al. 2019). Hieraus kann die folgende Hypothese abgeleitet werden:

H2a

Personen in einer objektiv prekären Lebenslage haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, die FPÖ zu wählen, als Personen, auf die dies nicht zutrifft.

Bei der Debatte um Prekarität muss berücksichtigt werden, dass es nicht nur um objektive Indikatoren geht, sondern auch um eine gefühlte Unsicherheit (Reinprecht 2008). Dies betrifft insbesondere die unteren Mittelschichten, bei denen oftmals Abstiegsängste im Zuge gesellschaftlicher Umbrüche vorherrschen. Zwar spiegeln diese Ängste nicht unbedingt ihre objektive wirtschaftliche Lage wider, sie sind aber nichtsdestotrotz real und können sie anfällig werden lassen für eine politische Radikalisierung (Rippl und Seipel 2018, S. 239). Somit kann eine weitere Hypothese zu Prekarität und Rechtspopulismus formuliert werden:

H2b

Personen mit ökonomischen Bedrohungsgefühlen haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, die FPÖ zu wählen, als Personen, auf die dies nicht zutrifft.

Die These von den Modernisierungsverlierer*innen ist kritisiert worden, da sich die Wähler*innen von RPP tendenziell aus allen sozialen Schichten rekrutieren (Lengfeld 2017; Schröder 2018). Zudem erzielten RPP gerade in den Ländern Nord- und Westeuropas wahlpolitische Erfolge, die vergleichsweise wenig von den Verwerfungen der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 betroffen waren (Koppetsch 2018, S. 383). Hier setzt die kulturelle Backlash-These an, die annimmt, dass der Aufstieg dieser Parteien weniger mit ökonomischer Deprivation zusammenhängt, sondern vielmehr eine Reaktion auf gesellschaftliche Wandlungsprozesse darstellt. Der Kontext hierfür sind Öffnungsprozesse im Zuge von Globalisierung und Europäisierung, aber auch Debatten um Multikulturalismus, Feminismus, LGBTIQ* und Diversität, die zunehmend von einer akademisch gebildeten Mittelschicht dominiert werden. Als Reaktion hierauf hat sich eine nationalkonservative Gegenbewegung formiert, die weiterhin an traditionellen Werten festhält und offene Grenzen, gesellschaftliche Liberalisierung und Vielfalt als Bedrohung ansieht. Der politische Ausdruck dieser Bewegung ist der Rechtspopulismus (Inglehart und Norris 2016; Koppetsch 2019). Auch wenn diese Backlash-Bewegung nicht auf ein einziges Mobilisierungsthema reduziert werden kann, ist die Ablehnung von Migration, Multikulturalismus und ethnische Diversität ihre zentrale inhaltliche Leitplanke (Arzheimer 2008; Ivarsflaten 2008; Rippl und Seipel 2018). Dementsprechend kann eine weitere Hypothese formuliert werden:

H3

Personen, die den kulturellen Wandel als Bedrohung wahrnehmen, haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, die FPÖ zu wählen, als Personen, auf die dies nicht zutrifft.

Kulturell motivierte Vorurteile gegen Zuwanderung stehen oftmals in einem Zusammenhang mit einer euroskeptischen Haltung (Taggart 2017, S. 257). Dies überrascht weniger, da es sich beim europäischen Integrationsprojekt um einen gesellschaftlichen Öffnungsprozess par excellence handelt, welcher traditionelle Konzepte von nationaler Souveränität, nationaler Kultur und nationaler Identität untergräbt. RPP rekurrieren vor allem auf den vermeintlich undemokratischen und elitären Charakter der europäischen Integration. Dabei bietet die Komplexität politischer Entscheidungen auf europäischer Ebene ein ideales Angriffsfeld für populistische Kampagnen gegen „Brüssel“ und „multikulturelle Eliten“ (Heinisch 2004, S. 255). Es ist kein Zufall, dass für einige RPP wie die AFD eine Anti-EU-Haltung ein konstitutives Moment bei ihrer Gründung war. Dabei wird eine euroskeptische Haltung sowohl bei links- als auch bei rechtspopulistischen Parteien vermutet. Im Hinblick auf ihre Wähler*innen zeigen sich aber deutliche Unterschiede: Während bei den Wähler*innen von RPP eine euroskeptische Haltung ein wichtiger Prädiktor ist, ist dies bei den Wähler*innen linkspopulistischer Parteien nicht der Fall (Rooduijn 2018, S. 363). Hieraus ergibt sich eine weitere Hypothese:

H4

Personen, die der europäischen Integration skeptisch gegenüberstehen, haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, die FPÖ zu wählen, als Personen, auf die dies nicht zutrifft.

Eine weitere Erklärung ist die Entfremdung vom politischen System als Motiv für die Wahl einer RPP. Diese Parteien sprechen besonders Personen an, die das Vertrauen in die politischen Institutionen und die Funktionsweise der Demokratie verloren haben (Plasser und Sommer 2018, S. 108–109). Teilweise wird diese Vertrauenskrise mit einem Bedeutungsverlust demokratisch legitimierter Politik im Zuge der Globalisierung erklärt. Vor allem wirtschaftlich mächtige multinationale Unternehmen nehmen durch ihre Lobbyarbeit Einfluss auf politische Prozesse und entziehen sich gleichzeitig einer nationalstaatlichen Kontrolle (Crouch 2020). Diese Erosion demokratischer Partizipation kann zu einer Politikverdrossenheit führen, die sich in einer Ablehnung der „politischen Klasse“ äußert (Rippl und Seipel 2018, S. 241). Dieser Prozess wird verstärkt durch den Bedeutungsverlust kollektiver Interessenorganisationen wie Gewerkschaften, von dem insbesondere RPP als vermeintlich neue Arbeiter*innenparteien profitieren. Für Personen, die zunehmend desillusioniert sind von den etablierten Parteien und den klassischen Interessenvertretungen, kann somit die Wahl einer RPP attraktiv erscheinen, da diese am deutlichsten eine „Anti-Establishment“-Haltung artikuliert (Oesch 2008, S. 353). Somit lautet die letzte Hypothese wie folgt:

H5

Personen, die vom politischen System entfremdet sind, haben eine größere Wahrscheinlichkeit, die FPÖ zu wählen, als Personen, auf die dies nicht zutrifft.

Diese unterschiedlichen Erklärungsstränge stehen nicht unbedingt in einem Widerspruch zueinander. Vor allem identitätspolitische Themen sind eng verflochten mit materiellen Interessen (Kriesi et al. 2006, S. 922). So ist bekannt, dass Personen in einer nachteiligen sozioökonomischen Lage eine höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen, xenophobe Einstellungen zu haben, was sie zumindest indirekt empfänglich macht für die Inhalte von RPP (Sachweh 2020, S. 374–375). Auch ist bekannt, dass Personen in prekären Lebenslagen eine geringere Wahrscheinlichkeit haben, von ihrem demokratischen Wahlrecht Gebrauch zu machen und stärker von den politischen Institutionen entfremdet sind (Emmenegger et al. 2012). Zudem kann ein subjektiver Statusverlust, der Menschen für die Wahl einer RPP anfällig werden lässt, sowohl in einer Erosion der ökonomischen Position begründet sein als auch in kulturellen Bedrohungsgefühlen (Gidron und Hall 2020). Im Folgenden wird nun das Forschungsdesign der Studie dargelegt.

4 Daten und Operationalisierung

Dieser Beitrag basiert auf den gepoolten österreichischen Individualdaten des European Social Survey (ESS) von 2014–2018 (Erhebungswellen 7–9). Der ESS ist eine seit 2002 durchgeführte länderübergreifende Befragung, die alle zwei Jahre stattfindet und an der aktuell über 30 Länder teilnehmen. Die Erhebung basiert auf einer Zufallsstichprobe von mindestens 1500 Personen pro Land, welche repräsentativ für die jeweilige Bevölkerung ab 15 Jahre ist.Footnote 1 Das Ziel des ESS ist es, Kontinuität und Wandel im Hinblick auf gesellschaftliche Strukturen, Arbeits- und Lebensverhältnisse sowie Haltungen und Einstellungen abzubilden.Footnote 2

In der Forschung zum Rechtspopulismus ist der ESS ein häufig genutzter Datensatz (z. B. Oesch 2008; Inglehart und Norris 2016; Halikiopoulou und Vlandas 2022). Dies liegt zum einen daran, dass er die wahlpolitischen Präferenzen und Stimmabgaben der Teilnehmer*innen abfragt, zum anderen aber auch Einstellungen und Haltungen zu Themen wie Migration, dem politischen System und der europäischen Integration. Auch werden eine Reihe von soziodemografischen Variablen zum Bildungsniveau, zur beruflichen Stellung, zum Beschäftigungsverhältnis und zur Einkommenssituation erhoben. Der ESS eignet sich sowohl für internationale Vergleiche, für länderübergreifende Analysen als auch für Länderfallstudien. Im österreichischen Kontext wurde der Datensatz bis jetzt noch kaum für vertiefende Analysen zur Wähler*innenschaft der FPÖ genutzt (eine Ausnahme ist eine vergleichende Studie von Oesch (2008)).

Es erscheint sinnvoll, die soziodemografischen Merkmale und Einstellungen von FPÖ-Wähler*innen in Relation zu Nicht-FPÖ-Wähler*innen zu untersuchen, da davon auszugehen ist, dass sich erstere von letzteren im Hinblick auf Einstellungen und Haltungen unterscheiden (Fallend et al. 2018, S. 36). Dementsprechend wurde das Item „Partei gewählt bei der letzten nationalen Wahl“ als abhängige Variable ausgewählt und dichotomisiert (Wahl der FPÖ = 1, Wahl einer anderen Partei = 0).Footnote 3 Bei den unabhängigen Variablen wurden neben soziodemografischen Indikatoren wie Alter, Geschlecht, WohnortFootnote 4, Berufsklasse und Einkommen auch Einstellungen zur Zuwanderung, zum gesellschaftlichen Wandel, zur europäischen Integration und zum politischen System herangezogen.

Um die Modernisierungsverliererthese zu prüfen, wurden verschiedene sozioökonomische Indikatoren herangezogen. Ob die FPÖ vorrangig von Arbeiter*innen gewählt wird (H1), wird mithilfe des leicht modifizierten Oesch-Klassenschemas (5er Fassung) ermittelt.Footnote 5 Dieses Schema steht in der Tradition von Robert Erikson und John Goldthorpe, welche die Bedeutung des Berufs für Arbeitsmarktungleichheiten hervorheben, geht aber über diese hinaus, indem die veränderte Klassenstruktur in „postindustriellen“ Gesellschaften in den Mittelpunkt gestellt wird (Oesch 2006). Für diesen Beitrag wurde zwischen sechs Berufsklassen unterschieden: Obere Dienstklasse, untere Dienstklasse, Kleingewerbe, Bürokräfte, Facharbeiter*innen und an- und ungelernte Arbeiter*innen. Ob Personen in einer prekären Lebenslage eine höhere Neigung haben, die FPÖ zu wählen (H2a), wird anhand des Nettohaushaltseinkommens (Dezile), einer möglichen Erwerbslosigkeit und des Bezugs von Sozialleistungen (ohne Pensionen) ermittelt. Im Hinblick auf die subjektive Dimension der Prekarität (H2b) wurde das Item „Bewertung des Haushaltseinkommens“ herangezogen.

Ein möglicher kultureller Backlash (H3) wird mit den folgenden Variablen untersucht, die allesamt für die Analyse invertiert wurden. Die Haltung zu sexuellen Minderheiten wird anhand des Items „Schwule und Lesben sollten so leben können wie sie es wünschen“ abgebildet. Ein Rekurs auf traditionelle Werte wird mit dem Item „Es ist wichtig, Traditionen und Bräuche zu befolgen“ abgefragt. Die kulturellen Auswirkungen der Migration wird durch eine Mittelwertskala der beiden Items „das kulturelle Leben eines Landes wird durch Zuwander*innen bereichert/unterminiert“ und „Zuwander*innen machen das Land zu einem besseren/schlechteren Land“ erfasst (Cronbach’s Alpha = 0,86). Eine euroskeptische Haltung (H4) wird anhand des Items „die europäische Einigung sollte weitergehen/ging zu weit“ überprüft. Um zu testen, ob die politische Entfremdung zu einer höheren Wahrscheinlichkeit führt, die FPÖ zu wählen (H5), wurde eine weitere Mittelwertskala mit den Items „Vertrauen in das nationale Parlament“, „Vertrauen in Politiker*innen“ und „Zufriedenheit mit der Demokratie“ gebildet (Cronbach’s Alpha = 0,80).

In der Analyse wird in zwei Schritten vorgegangen. Zuerst werden deskriptiv die Mittelwerte beider Untersuchungsgruppen miteinander verglichen. Anschließend wird eine binäre logistische Regressionsanalyse durchgeführt, um den Einfluss verschiedener Prädiktoren auf die abhängige Variable „Wahl der FPÖ“ zu ermitteln.

5 Empirische Ergebnisse

Ein deskriptiver Vergleich der beiden Untersuchungsgruppen befördert einige interessante Ergebnisse zutage (Tab. 1). Wie aus der Literatur hervorgeht (z. B. Halikiopoulou und Vlandas 2022), ist der Anteil an männlichen Wählern bei der FPÖ höher als bei anderen Parteien, wenn auch in einem überschaubaren Ausmaß. Wenn wir uns die Bildungsabschlüsse anschauen fällt auf, dass FPÖ-Wähler*innen eine im Durchschnitt niedrigere Qualifikation aufweisen als die Vergleichsgruppe. Dies bestätigt bisherige Erkenntnisse aus der Literatur (z. B. Pelinka 2019). Bei dem Haushaltsnettoeinkommen zeigen sich nur relativ kleine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen, ebenso wie bei der subjektiven Bewertung der Einkommenssituation. Die Tatsache, dass das Durchschnittseinkommen der FPÖ-Wähler*innen im fünften Dezil liegt und zudem die Einkommenssituation im Durchschnitt als ausreichend bezeichnet wird, kann als ein erstes Indiz dafür gewertet werden, dass sich diese Gruppe nicht mehrheitlich aus den prekären Schichten rekrutiert.

Tab. 1 Merkmale & Einstellungen FPÖ- & Nicht-FPÖ-Wähler*innen (Relative Häufigkeit/Mittelwerte mit Standardabweichungen in Klammern). Quelle: European Social Survey Wellen 7–9, Daten gewichtet (Poststratifizierungs-Gewicht)

Ein Rekurs auf traditionelle Werte scheint kein zentrales Unterscheidungsmerkmal zwischen FPÖ- und Nicht-FPÖ-Wähler*innen zu sein.Footnote 6 Interessant ist auch, dass sich die Einstellungen der beiden Untersuchungsgruppen im Hinblick auf Haltungen zur Homosexualität kaum unterscheiden. Auch FPÖ-Wähler*innen unterstützen mehrheitlich die Sichtweise, dass Schwule und Lesben so leben können wie sie es wünschen. Dies überrascht auf den ersten Blick, da oft davon ausgegangen wird, dass die Ablehnung von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften ein Merkmal von rechtspopulistischen Bewegungen ist (z. B. Inglehart und Norris 2016). Eine mögliche Antwort ist, dass zumindest in Westeuropa eine Liberalisierung der Haltungen zu Homosexualität breite gesellschaftliche Kreise erfasst hat, inklusive niedrig gebildeter Schichten (Abou-Chadi et al. 2021, S. 12–13).Footnote 7 Bei diesem Thema scheint eine gewisse Dissonanz zwischen der FPÖ und ihrer Wähler*innenschaft zu bestehen, da die Partei bisher nicht durch vergleichbare Statements zur Lebensweise von gleichgeschlechtlichen Paaren aufgefallen ist. Vielmehr sind Teile der FPÖ aktiv an homophoben und transphoben Aktivitäten beteiligt, die der Partei den Ruf eingetragen hat, „von allen österreichischen Parteien die mit Abstand LGBTQI-feindlichste (zu sein)“ (Schmid 2022).

Die größten Unterschiede zwischen FPÖ-Wähler*innen und denen anderer Parteien zeigen sich im Hinblick auf Einstellungen zur Zuwanderung („Kulturelle Auswirkungen der Zuwanderung“). Dies überrascht weniger, da ein xenophober Populismus und ein exklusives Verständnis von Nation und Gemeinschaft den Markenkern der FPÖ bilden (Rheindorf und Wodak 2019). Auch bei den Haltungen zum europäischen Integrationsprozess differieren die Mittelwerte zwischen beiden Untersuchungsgruppen erheblich, sodass davon auszugehen ist, dass eine euroskeptische Haltung bei FPÖ-Wähler*innen relativ weit verbreitet ist. Weniger stark unterscheiden sich die Mittelwerte beider Gruppen im Hinblick auf die Zufriedenheit mit der Demokratie und dem Vertrauen in das nationale Parlament und Politiker*innen. Aber auch hier zeigt sich, dass FPÖ-Wähler*innen insgesamt stärker von den politischen Institutionen entfremdet sind als die Wähler*innen anderer Parteien.

Mittels einer binär logistischen Regression wird nun der Einfluss mehrerer unabhängiger Variablen auf die Wahlpräferenz für die FPÖ analysiert (Tab. 2). Vorab wurde geprüft, ob Multikollinearität bei den unabhängigen Variablen vorliegt. Hierfür wurde sowohl der Varianzinflationsfaktor (VIF) als auch Korrelationen berechnet (Pearson und Spearman). Da der höchste VIF bei 1,49 liegt (Durchschnitt: 1,23) und kein Korrelationskoeffizient höher als 0,51 ist, kann davon ausgegangen werden, dass keine starke Multikollinearität vorliegt. Um für mögliche Jahreseffekte zu kontrollieren, wurden Dummy-Variablen für die verschiedenen ESS-Wellen in die vier Modelle inkludiert.

Tab. 2 Einfluss unabhängiger Variablen auf die Wahl der FPÖ (AME-Koeffizienten). Quelle: European Social Survey Wellen 7–9 (ungewichtet)

Für die Interpretation der Ergebnisse wurden die average marginal effects (AMEs) mit Stata 18.0 berechnet. Das Konzept der AMEs setzt sich zunehmend durch bei der Interpretation von logistischen Regressionsmodellen (Hartmann et al. 2022, S. 169). AMEs geben den durchschnittlichen Effekt der unabhängigen Variable X auf die Wahrscheinlichkeit der abhängigen Variable Y = 1 an, wenn alle anderen unabhängigen Variablen konstant gehalten werden. Sie haben den Vorteil, dass sie anders als Odds Ratios einen validen Vergleich der Effektstärken zwischen den verschiedenen Modellen erlauben (Best und Wolf 2012).

Modell 1 inkludiert soziodemografische Merkmale wie Geschlecht, Alter, Wohnort, Berufsklasse, Erwerbsstatus und Einkommenssituation.Footnote 8 Wenn wir uns den Einfluss dieser Merkmale anschauen, dann fällt auf, dass Geschlecht in Modell 1 einen signifikanten Effekt hat. Männer haben im Mittel eine um drei Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit als Frauen, die FPÖ zu wählen, unter Konstanthaltung aller anderen Merkmale. Allerdings ist dieser Effekt nicht mehr signifikant in den Modellen 2–4, wenn zusätzliche Einstellungsvariablen herangezogen werden. Dies kann so interpretiert werden, dass im österreichischen Kontext Geschlecht als solches nur einen begrenzten Erklärungswert hat im Hinblick auf die Wahl einer RPP.

In Bezug auf Alter zeigt sich durchgängig, dass jüngere Kohorten eine höhere Wahrscheinlichkeit haben als ältere, die FPÖ zu wählen Dies wurde auch schon in einer vorigen Studie zu Österreich ausgewiesen (Aichholzer et al. 2014), entspricht aber nicht unbedingt dem internationalen Forschungsstand. Wenn wir uns den Wohnort anschauen, fällt auf, dass Personen in urbanen Regionen eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, die FPÖ zu wählen als Personen in ländlichen Regionen.Footnote 9 Dies steht im Gegensatz zu bisherigen Studien zu RPP in Europa, die einen inversen Zusammenhang gefunden haben (z. B. Halikiopoulou und Vlandas 2022). Ein möglicher Erklärungsfaktor für den spezifisch österreichischen Kontext ist die Stärke der konservativen ÖVP in ländlichen Regionen, die auch kulturell-religiös begründet ist. Während Wähler*innen der ÖVP einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Personen aufweisen, die sich als religiös bezeichnen und regelmäßig in die Kirche gehen, verhält es sich bei Wähler*innen der FPÖ anders herum (eigene Analyse der ESS-Daten, vgl. auch Aichholzer et al. 2014).

Wenn wir uns den Einfluss der Berufsklassen anschauen, dann fällt auf, dass Arbeiter*innen von allen Klassen die höchste Wahrscheinlichkeit haben, die FPÖ zu wählen. Dieser Effekt zeigt sich sowohl bei Facharbeiter*innen als auch bei an- und ungelernten Arbeiter*innen (und über alle Modelle hinweg). Selbst wenn in Modell 3 und 4 für eine Vielzahl an unabhängigen Variablen kontrolliert wird, haben niedrig qualifizierte Arbeiter*innen eine durchschnittlich um zehn Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit, die FPÖ zu wählen als Angehörige der oberen Dienstklasse. Somit kann H1 bestätigt werden. Eine mögliche Erklärung ist, dass die sozioökonomische Position von Arbeiter*innen infolge von wirtschaftlicher Globalisierung, Automatisierung und institutionellem Wandel (Flexibilisierung der Beschäftigung, Rückgang des gewerkschaftlichen Einflusses) am stärksten erodiert ist. Vor allem niedrig qualifizierte Arbeiter*innen konkurrieren zudem oftmals mit Neuzuwander*innen um dieselben Jobs im Niedriglohnsektor (Schweighofer 2012).Footnote 10 Im Gegensatz zu H1 wird H2a von den Ergebnissen der Regression nicht bestätigt. Objektive wirtschaftliche Indikatoren (Bezug von Sozialleistungen, Erwerbslosigkeit, Höhe des Haushaltseinkommen), die auf eine prekäre Lage hindeuten können, haben keinen statistisch signifikanten Effekt auf die Wahrscheinlichkeit, die FPÖ zu wählen (vgl. auch Inglehart und Norris 2016). Anders sieht es bei der subjektiven Bewertung der Einkommenssituation aus, die in Modell 1 einen signifikanten Effekt hat, sodass H2b teilweise bestätigt werden kann. Dies könnte darauf hindeuten, dass eine gefühlte Unsicherheit von größerer Bedeutung ist als die tatsächliche wirtschaftliche Situation, die Menschen für RPP empfänglich werden lässt (Sachweh 2020). Insgesamt kann man die Tatsache, dass Arbeiter*innen eine höhere Wahrscheinlichkeit haben als andere Berufsklassen, die FPÖ zu wählen, als eine Bestätigung der Modernisierungsverliererthese lesen. Allerdings ist die Modellgüte (McFadden) in Modell 1 recht niedrig.

Die Modellgüte steigt in Modell 2 erheblich, wenn Einstellungsvariablen zum kulturellen Wandel inkludiert werden. Vor allem die Haltung zur Zuwanderung ist ein wichtiger Prädiktor für die Wahl der FPÖ. Steigt die unabhängige Variable „kulturelle Auswirkungen der Zuwanderung“ um eine Einheit, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, die FPÖ zu wählen im Durchschnitt um fünf bis sechs Prozentpunkte. Dieser Effekt ist hochsignifikant (und über alle Modelle hinweg). Anders sieht es im Hinblick auf Einstellungen gegenüber Schwulen und Lesben aus, wo sich kein signifikanter Effekt zeigt. Dies bestätigt die deskriptive Analyse aus Tab. 1, dass Homophobie weniger ein Treiber für die Wahl der FPÖ ist. Auch hat das Festhalten an Traditionen und Bräuchen keinen positiven Effekt auf die Wahl der Partei; im Gegenteil, steigt die Zustimmung zu diesem Item, sinkt die Wahrscheinlichkeit, die FPÖ zu wählen. Somit zeigen sich bei FPÖ-Wähler*innen weniger wertkonservative Haltungen, als vielmehr Elemente einer „konformistischen Rebellion“ (Adorno 1972), bei der die Forderung nach einem autoritären Staat, der sich vor allem gegen „Fremde“ richtet, Hand in Hand geht mit einer Anti-Establishment-Haltung. Insgesamt kann die kulturelle Backlash-These (H3) im Hinblick auf Zuwanderung eindeutig bestätigt werden, weniger aber im Hinblick auf eine allgemeine Ablehnung des gesellschaftlichen Wertewandels.

In Modell 3 wird eine weitere Einstellungsvariable zur europäischen Integration herangezogen, die ebenfalls einen statistisch hochsignifikanten Effekt hat. Steigt die ablehnende Haltung zur europäischen Integration um eine Einheit, dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, die FPÖ zu wählen, durchschnittlich um ein bis zwei Prozentpunkte. Somit zeigt sich, dass eine euroskeptische Haltung auch ein wichtiger Prädiktor für die Wahl der FPÖ ist, sodass H4 bestätigt werden kann. Eine Anti-EU-Haltung geht meistens Hand in Hand mit einer Anti-Globalisierungshaltung, und drückt sich im österreichischen Kontext oftmals in einer Ablehnung der Zuwanderung aus (Pelinka 2019, S. 143). Tatsächlich zeigen die ESS-Daten, dass negative Einstellungen zur europäischen Integration mit einer negativen Einstellung zu den kulturellen Auswirkungen der Zuwanderung korrelieren (Korrelation nach Pearson = 0,51). Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts die Arbeitsmarktentwicklung in Österreich in einem erheblichen Ausmaß durch Zuwanderung aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten geprägt wurde (Krings 2022). Diese Migrant*innen sind in den mittleren und unteren Berufsgruppen des Arbeitsmarktes überrepräsentiert, in denen auch ein erheblicher Teil der FPÖ-Wähler*innen vertreten ist. So gesehen erscheint es nicht unplausibel, dass in der Anti-EU-Haltung vieler FPÖ-Wähler*innen auch eine wahrgenommene Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt zum Ausdruck kommt, zumal die Partei als einzige in Österreich offen gegen das europäische Freizügigkeitsregime Stellung bezogen hat (Die Presse 2018).Footnote 11 In Modell 4 wird eine weitere Einstellungsskala zum Vertrauen in die politischen Institutionen und zur Zufriedenheit mit der Demokratie inkludiert. Es zeigt sich, dass dieser Prädiktor ebenfalls einen hochsignifikanten Effekt hat. Steigt die politische Unzufriedenheit um eine Einheit, dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, die FPÖ zu wählen, durchschnittlich um zwei Prozentpunkte, wenn alle anderen Variablen konstant gehalten werden. Somit kann Modell 4 als eine Bestätigung der politischen Entfremdungsthese (H5) gelesen werden.

Um mögliche interaktive Effekte zu überprüfen, wurden zusätzlich einige Interaktionsterme in Modell 4 aufgenommen (Berufsklassen × Zuwanderung, Europäische Einigung × Zuwanderung, Einkommen × Zuwanderung und Bewertung der Einkommenssituation × Politische Entfremdung). Insgesamt veränderten diese Interaktionsterme die Modellgüte nicht, sodass sie hier nicht abgebildet sind (s. Online-Supplement).

Um die Reliabilität der Ergebnisse zu überprüfen, wurden die Regressionsmodelle auch für die einzelnen Erhebungswellen gerechnet (sowie für die jüngste Erhebungswelle 10 (2020) (s. Online-Supplement)). Es zeigte sich, dass die Ergebnisse im Hinblick auf den Einfluss der unabhängigen Variablen weitgehend robust waren. Die wichtigsten Prädiktoren (kulturelle Auswirkungen der Zuwanderung, europäische Einigung und Politische Entfremdung) hatten einen nahezu durchgehend signifikanten Effekt. Eine Ausnahme zeigte sich in der Erhebungswelle 9 (2018), als „Politische Entfremdung“ leicht negativ und nicht mehr statistisch signifikant war. Eine naheliegende Interpretation ist, dass die politische Unzufriedenheit der FPÖ-Wähler*innen zu diesem Zeitpunkt geringer war als zu anderen Zeitpunkten angesichts einer damaligen türkis-blauen Bundesregierung. Auch fällt auf, dass in den Erhebungswellen 8 (2016) und 9 (2018) der AME-Koeffizient für „Zuwanderung“ deutlich angestiegen ist (s. Online-Supplement). Es ist naheliegend, dass sich in diesem Ergebnis die Dynamik der Flüchtlingskrise seit 2015 widerspiegelt, die seitdem das singulär wichtigste Motiv für die Wahl der FPÖ darstellt (Plasser und Sommer 2018).

6 Diskussion und Zusammenfassung

Dieser Beitrag hat untersucht, welches die zentralen Faktoren sind, die die Wahlentscheidung der FPÖ-Anhänger*innen beeinflussen. In theoretischer Hinsicht wurden drei Erklärungsansätze gegenübergestellt: Die Modernisierungsverliererthese, die kulturelle Backlash-These und die politische Entfremdungsthese. Auch wenn sich Evidenzen für alle drei Ansätze finden, legen die Ergebnisse nahe, dass die kulturelle Backlash-These die größte Erklärungskraft hat, warum Menschen die FPÖ wählen. Allerdings muss diese These insoweit relativiert werden, als dass in ihr weniger eine allgemeine Ablehnung des gesellschaftlichen Wertewandels zum Ausdruck kommt, sondern vielmehr eine konkrete Anti-Zuwanderungshaltung. Die Ablehnung von Homosexualität oder die Bewahrung von Traditionen und Bräuche, die Inglehart und Norris (2016) als Teil einer kulturellen Gegenbewegung auf gesellschaftliche Liberalisierungsprozesse identifiziert haben, ist ein weniger relevantes Motiv. Auch ist wichtig zu betonen, dass die kulturelle Dimension nicht losgelöst von politischen und ökonomischen Faktoren betrachtet werden kann. Vor allem die negativen Einstellungen der FPÖ-Wähler*innen zur europäischen Integration deuten auf eine Überlappung kultureller, politischer und ökonomischer Motive hin, die sich in einer Ablehnung von Migration und der multikulturellen Gesellschaft manifestiert. Somit können die Ergebnisse von Aichholzer et al. (2014) bestätigt werden, die auf die Bedeutung neuer gesellschaftlicher Spaltungslinien jenseits klassischer soziostruktureller cleavages hinweisen, gehen aber über diese hinaus, indem eine Anti-Zuwanderungshaltung als das singulär wichtigste Motiv für die Wahl der FPÖ identifiziert wird. Dies entspricht auch den jüngeren Erkenntnissen der Wahlforschung, die herausgearbeitet hat, dass die Partei erfolgreich latente Ängste, kulturelle Ressentiments und subjektive Bedrohungsgefühle im Kontext der jüngeren Flucht- und Migrationsbewegungen mobilisieren konnte (Plasser und Sommer 2018).

Eine Anti-Zuwanderungshaltung wurde auch anderswo als stärkster Prädiktor für die Wahl einer RPP identifiziert (Arzheimer 2008; Ivarsflaten 2008; Oesch 2008; Rippl und Seipel 2018; Schröder 2018). Im Vergleich dazu waren klassische ökonomische Themen wie die Höhe des Haushaltseinkommen oder der Bezug von Sozialtransfers von geringerer Bedeutung, ein Ergebnis, das sich auch in dieser Studie fand. Somit scheinen Einstellungen und Haltungen eine größere Erklärungskraft für die Wahl einer RPP zu haben als soziodemografische Merkmale. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass sich Einstellungen und Haltungen nicht in einem luftleeren Raum formieren, sondern in enger Wechselwirkung mit soziodemografischen Merkmalen wie der beruflichen Tätigkeit stehen. Es ist naheliegend, dass die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsklasse die Orientierung in der sozialen Welt und damit auch die politischen Präferenzen mit beeinflusst (Oesch und Rennwald 2018, S. 786). So gesehen vermittelt sich die ökonomische Dimension weniger über klassische Verteilungsthemen, sondern vor allem über den Status von Berufsgruppen und indirekt über das Bildungsniveau. In Österreich und anderswo ist seit den 1990er-Jahren eine „Proletarisierung“ der Wähler*innenstruktur von RPP zu beobachten (Oesch 2008). Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass zum einen geringer qualifizierte Arbeiter*innen stärker von den Folgen der Globalisierung und des wirtschaftlichen Strukturwandels betroffen sind, zum anderen aber auch stärker traditionalistische Einstellungen im Hinblick auf Zuwanderung und nationale Identität hegen (Gidron und Hall 2020). Auch muss in Rechnung gestellt werden, dass eine Anti-Zuwanderungshaltung eine unterschiedliche Bedeutung für verschiedene gesellschaftliche Milieus haben kann. Während insgesamt eine kulturell grundierte Ablehnung der Zuwanderung der wichtigste Prädiktor für die Wahl einer RPP ist, schwingen bei den unteren Schichten auch ökonomische Motive mit, indem die Neuankömmlinge als Konkurrent*innen um knappe Ressourcen wahrgenommen werden (Koppetsch 2019, S. 137–141; Lengfeld und Dinger 2018).

Dass eine Anti-Zuwanderungshaltung der stärkste Prädiktor für die Wahl einer RPP ist, entspricht weitgehend dem internationalen Forschungsstand. Allerdings ist dieses Ergebnis nicht vollständig zufriedenstellend, da unklar bleibt, gegen welche Gruppen von Zuwander*innen sich diese Haltung richtet. Angesichts der Diversität von Migrationsbewegungen ist es daher wünschenswert, wenn in Befragungen wie dem ESS stärker zwischen einzelnen Gruppen von Zuwander*innen unterschieden wird. Erste Ergebnisse aus Deutschland deuten darauf hin, dass die Anhänger*innen von RPP (in diesem Fall der AFD) vor allem Ressentiments gegen Flüchtlinge aus islamisch geprägten Ländern hegen (Lengfeld und Dinger 2018; Schröder 2018).

Wie dieser Beitrag demonstriert hat, kann der ESS auch für einzelne Länderfallstudien gewinnbringend genutzt werden aufgrund der Vielzahl an Einstellungs- und Strukturvariablen. Allerdings ist die Stichprobengröße vergleichsweise niedrig, sodass sich die Ergebnisse auf einem relativ hohen Aggregationsniveau bewegen. In dieser Hinsicht ist es wünschenswert, in Zukunft stärker die subnationale Ebene wie Wahlkreise oder Gemeinden in Analysen zum Rechtspopulismus zu berücksichtigen (Amengay und Stockemer 2019).

Ein weiteres Themenfeld, welches sich für zukünftige Forschungen anbietet, ist der Konnex zu Debatten um Umverteilung und Wohlfahrtsstaatlichkeit. Dies schließt nicht nur die Angebotsseite mit ein (die policies von RPP), sondern auch die Nachfrageseite (die Präferenzen ihrer Wähler*innenschaft) (Busemeyer et al. 2022; Ennser-Jedenastik 2020). Zudem ist ein Erkenntnisgewinn davon zu erwarten, stärker „sozial-ökologische Transformationskonflikte“ (Dörre et al. 2020) in die Analyse miteinzubeziehen. Diese Transformationskonflikte verlaufen quer zu der ökonomischen und der kulturellen Konfliktachse, da es einerseits um Verteilungsfragen geht, andererseits aber auch um „postmaterielle“ Werte und Einstellungen. Erste Forschungen aus Deutschland deuten darauf hin, dass RPP versuchen, sich auf Seiten der Transformationsverlierer*innen zu positionieren (ebd.).

Was sind die Implikationen dieses Beitrags für politische Parteien und Bewegungen in Österreich und anderswo, die sich von RPP abgrenzen? Um Wähler*innenstimmen zurückzuholen, erscheint es wenig erfolgsversprechend und zudem moralisch fragwürdig, einen linksnationalistischen Kurs einzuschlagen und die Politikinhalte der RPP zu kopieren (Abou-Chadi et al. 2021; Halikiopoulou und Vlandas 2022). Gleichzeitig wird ein ausschließlicher Fokus auf Themen wie ökonomischer Ungleichheit der zunehmenden Komplexität gesellschaftlicher Konflikte nicht gerecht, die sich eben nicht nur in Verteilungsfragen zeigen, sondern auch Fragen der kulturellen Identität berühren. Man mag es begrüßen oder auch nicht, aber auf absehbare Zeit werden Themen wie Migration und Integration im öffentlichen Diskurs virulent bleiben (was konjunkturelle Auf- und Abwärtsbewegungen nicht ausschließt). So gesehen sind progressive politische Kräfte mit der nicht ganz leichten Aufgabe konfrontiert, ein Bedürfnis nach (ökonomischer) Sicherheit und Gemeinschaft mit einem Bekenntnis zu Anti-Diskriminierung und Diversität im Rahmen einer neuen Form von Bürgerlichkeit zu verbinden, die sich nicht mehr primär über die Herkunft definiert (Gruber 2017, S. 105). Dies schließt auch eine Debatte über eine mögliche Reform des europäischen Asylsystem mit ein, welches in mehrfacher Hinsicht suboptimale outcomes produziert, vor allem im Hinblick auf das andauernde Massensterben im Mittelmeer, aber auch im Hinblick auf soziale Integration in den Aufnahmegesellschaften Westeuropas (Bröning und Mohr 2017; Koopmans 2023). Es erscheint unwahrscheinlich, dass der Aufstieg von RPP in Westeuropa kurzfristig durch „a single set of policies“ (Gidron und Hall 2020, S. 1049) gestoppt werden kann. Dass er längerfristig weitergehen muss, ist kein Naturgesetz.