Wenn man Sozioanalyse und Psychoanalyse miteinander vergleicht, lassen sich folgende Konvergenzen feststellen: Bei der Psychoanalyse handelt es sich um eine wissenschaftlich gut untersuchte psychotherapeutische Praxis, die davon ausgeht, dass die individuelle Verarbeitung der in früher Kindheit mit den primären Bezugspersonen auftretenden Konflikte unbewusst zu unterschiedlichen neurotischen Lösungen führen kann, welche die Möglichkeiten der Lebensgeschichte empfindlich einschränken und anfällig machen für den Zusammenbruch in späteren Belastungssituationen der Adoleszenz und des Erwachsenenalters. Die Erforschung von Depressionen hat beispielsweise gezeigt, dass sich Antriebslosigkeit, Freudlosigkeit, Ängste und Schuldgefühle psychodynamisch darauf zurückführen lassen, dass aggressive Impulse einer in der Kindheit – beispielsweise aufgrund allzu strenger Erziehung – hergestellten Triebstruktur verdrängt und gegen die eigene Person gerichtet werden. Das Bewusstsein geht über das individuelle Leiden durch Rationalisierungen hinweg („Die Schläge haben mir nicht geschadet“). Der durch die psychoanalytische Behandlung in Gang gesetzte Prozess einer kritischen Selbstreflexion wird freilich durch Widerstände behindert, welche die Analysandin dem Bewusstmachen von Unbewusstem entgegensetzt. Denn sie muss sich in der Interaktion mit der Analytikerin einem schmerzhaften Prozess der Selbsterkenntnis unterziehen, im Zuge dessen sie den manifesten Sinn ihrer guten Angepasstheit („Meine Eltern hatten es auch schwer“) durchschaut und einen affektiven Zugang zum latenten Sinn ihres durch traumatische Kindheitserlebnisse bedingten Unglücklichseins gewinnt.

Mit der Sozioanalyse begreift Pierre Bourdieu die Soziologie als eine Wissenschaft, die das komplementäre Gegenstück zur Psychoanalyse darstelleFootnote 1. Wie die Psychoanalyse davon ausgeht, dass Subjekte unter der Verdrängung unbewältigter lebensgeschichtlicher Erfahrungen leiden, so zielt Bourdieus Sozioanalyse auf eine „Psychoanalyse des Sozialen“ (1991 [1979], S. 31), die „das in der sozialen Welt Zensierte, Verdrängte“ aufdeckt (Bourdieu 2020a [1980], S. 22). Wenn Bourdieu von „körperlichen Empfindungen“ wie „Scham, Schüchternheit, Ängstlichkeit, Schuldgefühl“ spricht, die sich „in sichtbare Symptome wie Erröten, Sprechhemmung, Ungeschicklichkeit, Zittern“ umsetzen (Bourdieu 2020b [2001], S. 217), dann beschreibt er den Habitus der Beherrschten, welche die Sprechweisen und Bewegungsformen eines bestimmten sozialen Feldes reproduzieren, weil sie die herrschenden gesellschaftlichen Machtverhältnisse unbewusst inkorporiert haben. Während der manifeste Sinn sozialer Praxis dadurch bestimmt werde, dass die Individuen in ihrem Alltag gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse verleugnen, reproduziere sich die soziale Ungleichheit auf einer latenten Sinnebene durch unbewusst ablaufende Anpassungsmechanismen. Da die Individuen jedoch davon überzeugt seien, frei und unabhängig zu sein, würden sie ihr Leiden unter sozialen Klassenverhältnissen verdrängen. Wie der psychoanalytische Heilungsprozess hänge daher auch der herrschaftssoziologische Forschungsprozess von einer „kritischen Reflexivität“ ab (ebd., S. 151/Hervorhebung von mir/H.D.K), mit deren Hilfe die Widerstände gegen das Bewusstmachen des sozialen Unbewussten bearbeitet würden (vgl. Bourdieu 2020c [1998], S. 10). Die sich aufgrund der schon von Bourdieu beschriebenen Komplementarität beider Konzepte stellende methodologische Frage, ob sich die Sozioanalyse nicht mit der Psychoanalyse triangulieren lässt, soll exemplarisch anhand einer Analyse von Donald Trumps politischen Reden beantwortet werden.

Im ersten Teil meines Beitrags werden daher dessen medienwirksame Auftritte aus sozioanalytischer Perspektive betrachtet. Im zweiten Teil werden Trumps Masseninszenierungen in Anschluss an Alfred Lorenzer aus psychoanalytischer Perspektive erörtert. Und im dritten Teil wird umrissen, wie sich entsprechende Forschungsergebnisse auf einer sozialisationstheoretischen Bedeutungsebene aufeinander beziehen lassen.

1 Bourdieus sozioanalytische Perspektive

Zweifellos würde eine sozioanalytische Rekonstruktion den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Die Frage, wie sich Trumps politisches Handeln aus Bourdieus epistemischer Perspektive begreifen lässt, soll daher vor dem Hintergrund seiner Schriften zur Politik umrissen werden. In diesen Artikeln entwirft Bourdieu (2013) eine Theorie, die nicht nur zeigt, wie sich im politischen Feld gesellschaftliche Machtverhältnisse spiegeln. Vielmehr macht Bourdieu auch deutlich, dass dieses von Berufspolitikern beherrschte Feld seiner eigenen Logik folgt.

Wenn man von dem in diesen Schriften entfalteten epistemischen Standort ausgeht, dann gelangt man zu dem Schluss, dass Trumps permanentes Lügen keinen Verstoß gegen die im politischen Feld geltenden Regeln darstellt. Vielmehr könnte man mit Bourdieu davon sprechen, dass Trump durch die Konstruktion von Fake News die Eigenart des politischen Feldes maximal für seine Interessen ausnutzt:

„Die Kraft der von ihm [dem Politiker] präsentierten Ideen wird nicht wie auf dem Terrain der Wissenschaft, an ihrem Wahrheitswert gemessen […], sondern an ihrer Mobilisierungskraft.“ (S. 71)

Die „Wahrheit eines Versprechens“ hängt Bourdieu zufolge nämlich allein von der „Fähigkeit“ eines Politikers ab, „andere von seiner Glaubwürdigkeit und Autorität zu überzeugen“ (ebd., S. 72). Obwohl Trumps Worte für seine Kritiker nichts anderes als „inkompetentes Gerede“ sind, bilden sie für seine Anhänger „eine vernünftige Vorhersage“ (ebd., S. 73). Denn mit Bourdieu kann man davon reden, dass es zur Eigenart des politischen Feldes gehört, dass die im Kampf konkurrierender Ideen fallenden „Äußerungen, Programme, Versprechen, Prognosen […] nur in dem Maße wahr“ sind, „wie derjenige, der sie äußert […], imstande ist, sie vor der Geschichte wahr zu machen, indem er sie in der Geschichte geschehen lässt“ (ebd.).

Tatsächlich sind Trumps Worte, dass Amerika ein Land der Patrioten sei, die den Kampf gegen Linke, gegen Migranten und Andersdenkende aufnehmen, während seiner Präsidentschaft in dem Maße wahr geworden, wie er eine nationalistische Stimmungslage erzeugt hat, die während seiner Amtszeit Wut und Hass auf Schwarze und Muslime, Frauen, Schwule und Lesben generierte.

1.1 Der manifeste Sinn von Trumps populistischen Inszenierungen

Dass seine Anhänger Trump keine Lüge verübeln, hängt auch damit zusammen, dass er sie davon überzeugt, stets die Interessen des Volkes zu vertreten. So hat er etwa in seiner Rede zu seinem AmtsantrittFootnote 2 als Präsident davon gesprochen, die „Macht von Washington D.C.“ zu nehmen und „sie an euch, das Volk“ zurückzugeben (Trump 2017, TA 3)Footnote 3. Seine Worte, „von Müttern und Kindern […] in unseren innerstädtischen Problemvierteln“ (ebd., TA 6), vom „Schreckgespenst der Banden- und Drogenkriminalität“ zu sprechen und auszumalen, dass „verrostete Fabriken […] wie Grabsteine über die Landschaft unserer Nation verstreut liegen“ (ebd.), offenbaren, wie Trump die politische Lage als Populist dramatisiert. Er redet nämlich anders als Berufspolitiker, die sich Bourdieu (2013) zufolge vorsichtig und kompliziert ausdrücken und sich in ihren Aussagen möglichst wenig festlegen würden, weil sie fürchten, „etwas Falsches zu sagen oder zu tun, das […] im Gedächtnis der Gegner hängen bleibt“ (S. 75). Mit Bourdieu kann man davon reden, dass Trump im Gegensatz zu Berufspolitikern, die sich dadurch als professionell erweisen würden, dass sie sich der „legitimen Sprache“ der Herrschenden bedienen (ebd., S. 122), die Sprache der beherrschten Klasse benutzt, die sich als „natürlich, unzivilisiert, barbarisch“ und „vulgär“ beschreiben lasse (ebd.).

Durch sein „volkstümliches“ Auftreten (ebd.) vermittelte Trump seinen Anhängern den Eindruck, dass er im Gegensatz zu den Berufspolitikern in Washington, die über alles reden, aber nichts tun würden, ein erfolgreicher Immobilienmakler mit großem Geschäftssinn sei. Denn die Amerikaner hatten Trump durch die Fernsehsendung The Apprentice (Der Lehrling) kennengelernt, die zwischen 2004 und 2017 von NBC ausgestrahlt wurde.

Jede Folge dieser Staffel begann damit, dass Trump in seiner Stretch-Limousine erklärte, „der größte Immobilieninvestor von New York“ zu sein, dem in Manhattan „alle möglichen Gebäude, Modelagenturen, der Miss-Universe-Schönheitswettbewerb, Passagierflugzeuge, Golfplätze, Spielbanken und private Ferienresorts“ gehören (D’Antonio 2019 [2016], S. 405). Anschließend erzählte Trump den Kandidaten seiner Reality-Show, dass derjenige, der „hart arbeite“ durch einen Ausbildungsplatz in der Trump Organization „ein wirkliches großes Los ziehen“ könnte (ebd., S. 404). Und stets endete die Reality-Show damit, dass Trump die Leistungen der Bewerber um einen Job in seinem Unternehmen beurteilte und den schwächsten Kandidaten auf dem vom Publikum heiß geliebten Höhepunkt dieser Sendung „feuerte“, bis am Ende der Staffel nur noch der Gewinner übrig blieb (ebd., S. 401).

Da das Volk glaubte, Trump aufgrund seiner Fernsehauftritte hautnah als Immobilienmakler erlebt zu haben, der Menschen in seinen Unternehmen eine ehrliche Chance geben, aber auch Leistung verlangen würde, betrachteten ihn viele Amerikaner bei der Präsidentenwahl als das Schwergewicht, dem sie es zutrauten, die USA aus der von ihm beschworenen Krisenlage herauszuführen.

Zu Trumps populistischen Selbstinszenierungen gehörten auch massive Angriffe auf die politischen Eliten in Washington, die wie in seiner Inauguralrede sehr heftig ausfielen:

„Zu lange hat eine kleine Gruppe in der Hauptstadt unseres Landes von der Regierung profitiert, und das Volk hat die Kosten getragen. Washington blühte, aber das Volk hat nichts von dem Reichtum gehabt. Politikern ging es gut, aber die Arbeitsplätze wanderten ab und die Fabriken schlossen. Das Establishment schützte sich selbst, aber nicht die Bürger unseres Landes.“ (Trump 2017, TA 3)

Mit Bourdieu kann man davon sprechen, dass Trump den „grundsätzlichen Argwohn gegenüber Politikern“ (Bourdieu 2013, S. 101) schürte, der gerade von Nichtwählern geteilt werde. Während Berufspolitiker die politische Apathie vieler Bürger als Ausdruck von Inkompetenz beklagen, setzt Bourdieu dagegen, dass das Nichtwählen Ausdruck einer „Revolte“ gegen die der Politik gegenüber empfundene „Ohnmacht“ sei (ebd., S. 50). Diese Bürger würden einen Argwohn gegenüber Politikern empfinden, weil die auf dem politischen Feld handelnden Akteure eine „grundsätzliche Komplizenschaft“ verbinde (ebd., S. 101). Denn wie Bourdieu erläutert, werde das Sprechen und Handeln der Politiker „nicht von ihrer unmittelbaren Beziehung zu den Wählern, sondern von ihrer Beziehung zu den anderen Mitgliedern des Felds bestimmt“, von denen sie sich unterscheiden oder die sie unterstützen wollen (ebd., S. 102).

Wenn Trump im Zuge der Präsidentenwahl auf das Establishment schimpfte, das sich auf Kosten des Volkes bereichere, dann setzte er durch diese Attacken gegen Berufspolitiker auch seiner Gegenkandidatin Hillary Clinton zu, die viele Amerikaner als Vertreterin der Wall Street betrachteten. Ganz in diesem Sinne gab er etwa zum Besten, dass in den USA „eine Fabrik nach der anderen“ geschlossen worden sei, „ohne auch nur einen Gedanken an die Millionen und Abermillionen amerikanischer Arbeiter zu verschwenden“ (Trump 2017, TA 8), weil das Washingtoner Establishment „viele Jahrzehnte lang […] ausländische Industrien auf Kosten der amerikanischen Industrie reicher gemacht“ habe.

Und wenn er am Ende seiner Präsidentschaft erklärte, die Wiederwahl gar nicht verloren zu haben, weil die Demokraten die Wahl manipuliert hätten, dann griff er darauf zurück, im Verlaufe seiner Präsidentschaft so viel Misstrauen gegen die Demokraten gesät zu haben, dass seine Anhänger bereitwillig seinem Aufruf folgten, zum Kapitol zu marschieren.

Da der Sturm auf das Kapitol aber dazu dienen sollte, „das Stehlen zu stoppen“ (Trump 2021, 0:04:42)Footnote 4, weil die Demokraten „den dreistesten und unverschämtesten Wahldiebstahl“ der amerikanischen Geschichte begangen hätten (ebd., 0:14:39), kann man mit Bourdieu davon reden, dass Trump den von ihm geführten Machtkampf „nach dem militärischen Modell eines Mobilisierungsapparats“ organisierte (Bourdieu 2013, S. 90). Eine solche „Militarisierung“ des Denkens erzeugt Bourdieu zufolge ein ‚antiintellektuelles‘ Klima (ebd., S. 93) und zugleich „ein manichäisches Denken“ (ebd., S. 94), dementsprechend ein Politiker wie Trump seine Anhänger als wunderbare Patrioten verherrlicht und zum Kampf gegen die als Feinde perhorreszierten Demokraten aufruft. Wie Bourdieu ausführt, hat unter diesen Umständen jeder Einzelne nur noch „zu gehorchen“ (ebd., S. 32). Denn „jede Opposition“ stellt sich unter diesen Umständen als Verrat und Kollaboration mit dem Feind dar (ebd., S. 95).

Welche politischen Ziele Trump durch seine populistischen Auftritte zu erreichen suchte, offenbaren seine Worte, dass „unser Land […] vor lauter politischer Korrektheit zum Teufel“ gehen würde (Levitsky und Ziblatt 2018, S. 75). Denn auf diese Weise wandte er sich gegen die Idee des schon von Bill Clinton propagierten progressiven Neoliberalismus, der eine Allianz zwischen den Unternehmern des globalen Finanzkapitalismus mit den ‚neuen sozialen Bewegungen‘ herstellte, welche die Gesellschaft den Vorstellungen des Feminismus, Antirassismus, Multikulturalismus und der LGBTQ-Bewegung entsprechend umorganisieren will (vgl. Fraser 2017, S. 78). Den von den neuen sozialen Bewegungen getragenen Kampf um politische Korrektheit betrachtete Trump als Fesseln, von denen man sich befreien müsste, um endlich wieder all die Dinge zu sagen, auf die es in der Politik ankomme:

  1. 1.

    So gewann Trump dadurch Wählerinnen und Wähler, dass er mit der von ihm propagierten Parole „Make America great again“ einen neuen Nationalismus zu entfachen suchte, indem er etwa in seiner Amtsantrittsrede die Zukunftsaufgaben der USA auf die folgende Weise beschrieb. Indem er von der Weltraumeroberung, der Bekämpfung von Krankheiten und dem industriell-technologischen Fortschritt erzählte, erzeugte er die Illusion, als ob eine Wiederbelebung der die 50er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts beherrschenden politischen Ideen möglich sei, in denen Amerika noch als eine selbstbewusste Großmacht galt, deren Selbstverständnis noch nicht durch Bürgerrechtsbewegung, Feminismus und Globalisierung infrage gestellt wurde.

  2. 2.

    Ob er im Präsidentschaftswahlkampf behauptete, dass Obama ein illegitimer Präsident sei, weil er in Kenia aufgewachsen und deshalb kein gebürtiger US-Bürger sei (vgl. Gartner 2017, S. 123), ob er mexikanische Migranten als ‚Drogenabhängige‘, ‚Verbrecher‘ und ‚Vergewaltiger‘ beschimpfte und versprach, die illegale Einwanderung durch den Bau einer Mauer an der Südgrenze zu Mexiko zu stoppen (vgl. Knigge 2016), oder ob er als Präsident ein Einreiseverbot für Migranten und Besucher aus mehrheitlich muslimischen Ländern verhängte, um die USA vor Terroristen zu schützen (vgl. FAZ.NET 2017), in allen drei Fällen setzte er auf die Massenwirksamkeit rassistischer Beschimpfungen und Handlungen.

  3. 3.

    Indem er gegen Abtreibung und gegen die gleichgeschlechtliche Ehe wetterte, entsprach Trump zudem den Erwartungen fundamentalistischer Christen (vgl. Gorski 2020). Wie Philip Gorski ausführt, wirken auf Trumps republikanische Partei nämlich neben den Neokonservativen, die das Militär stärken wollen und für eine aggressive Außenpolitik eintreten, und den Neoliberalen, die für freie Märkte und niedrige Steuern eintreten, die Evangelikalen ein. Sie verfechten einen „weißen christlichen Nationalismus“ (ebd., S. 160), der das Erbe der von den Puritanern verfochtenen Weltanschauung bildet, dass sie selbst „Gottes neues ‚auserwähltes‘ Volk“ seien (ebd., S. 165). Daher betrachteten die Pilger und Gründerväter Neuengland als ein „neues Israel“ (ebd., S. 165), das in blutigen Kriegen von den als ‚Teufel‘ bekämpften ‚Indianern‘ so zu befreien war, wie man in den Südstaaten bezweifelte, dass die versklavten Schwarzen eine Seele hätten (ebd. S. 162). Außerdem bedient sich dieser weiße christliche Nationalismus einer „Rhetorik von Blut und Apokalypse“, weil die Evangelikalen der Johannes-Apokalypse entsprechend daran glauben, dass Amerika „ein zentrales Schlachtfeld“ in einem kosmischen „Endkampf zwischen Gut und Böse“ sein werde, an dessen Ende Christus zur Erde zurückkehren werde (ebd., S. 164).

    Gorski zufolge stellt der Trumpismus daher eine „säkularisierte Version des weißen christlichen Nationalismus“ dar, der modernisiert worden sei (ebd., S. 156). Wie die religiösen Fundamentalisten sich als Opfer der Linken betrachten, die Trump als ihren Beschützer brauchen, so sei er wie Kyrus, der persische König, der die alten Israeliten aus der babylonischen Gefangenschaft befreit habe, „ein heidnischer Mann, den Gott als Werkzeug“ zur Rettung seines Volkes benutze (ebd., S. 168).

  4. 4.

    Schließlich setzt Trump im Zuge seiner populistischen Inszenierungen auch auf Sexismus. Als die Moderatorin Megyn Kelly ihn durch ihre Fragen zu seinem Frauenbild entschieden konfrontierte, verspottete er sie im Nachrichtensender CNN als „Tussi“, aus deren Augen Blut gekommen sei, „Blut kam aus ihr heraus – wo auch immer“ (Georgi 2016). Derart verhöhnte er Kellys Fragen als Ausdruck einer Gereiztheit, die sich darauf zurückführen lasse, dass sie vermutlich gerade ihre Tage gehabt habe. Im Präsidentschaftswahlkampf brachte er eine Verachtung von Frauen vor allem durch seine gegen Clinton gerichteten Angriffe zum Ausdruck: „Wenn Hillary noch nicht mal ihren Ehemann befriedigen kann“, twitterte er im April 2015, „wie kommt sie dann darauf, Amerika befriedigen zu können?“ (Piehler 2016, S. 99). Wie seine rassistischen Äußerungen haben auch diese frauenfeindliche Sätze Trumps Popularität nicht geschadet. Vielmehr imponierte vielen Amerikanern, dass er sich nicht den Regeln politischer Korrektheit unterwerfe, sondern „Klartext rede“ (vgl. Georgi 2016) und damit ‚ehrlich‘ sage, was er denkt und fühlt.

1.2 Der latente Sinn von Trumps medialen Auftritten

Auf die Frage, in welcher Weise es in Trumps Inszenierungen um gesellschaftlich Unbewusstes geht, lassen sich mit Bourdieu zwei Antworten geben.

1.2.1 Die unbewusst gemachten Klassenverhältnisse

Was Trumps populistische Inszenierungen unbewusst machen, wird fassbar, wenn man sich seine Wählerschaft vergegenwärtigt: Die Präsidentschaftswahl gegen die demokratische Kandidatin Clinton gewann Trump dadurch, dass ihn überdurchschnittlich viele weiße Männer über 45 Jahre und zwei Drittel der weißen Wähler ohne akademischen Abschluss gewählt haben, die sich durch die gesellschaftliche Modernisierung bedroht fühlen und Trump als „Bewahrer traditioneller Rollenbilder“ betrachtet haben (Fischer und Meiritz 2016). Viele Wähler in den Bundesstaaten des ‚Rust Belt‘ glaubten, dass Trump das Versprechen einlösen werde, „die Jobs der Fabrikarbeiter zurückzuholen“ (Görs 2016). Auch die Mehrheit der vermögenden Amerikaner und der Christen wählten Trump (Kollenbroich et al. 2016). Besonders auffällig ist, dass über 80 % der Evangelikalen für Trump stimmten (vgl. Gorski 2020, S. 155). Selbst ein Drittel der männlichen Latinos wählten Trump, obgleich er sie als ‚Verbrecher‘ und ‚Vergewaltiger‘ beschimpft hatte (vgl. Kollenbroich et al. 2016). Zwar konnte Clinton 54 % der Frauen auf sich vereinigen. Doch Frauen, die in Clinton die „Vertreterin der Eliten“ sahen (Fischer und Meiritz 2016), wählten auch Trump, obschon er sich häufig frauenverachtend geäußert hatte.

Bei der zweiten Präsidentschaftswahl gegen Joe Biden gaben so viele US-Bürger ihre Wählerstimme ab wie nie zuvor. Obgleich er die Wahl verlor, gewann Trump aufgrund der hohen Wahlbeteiligung zehn Millionen neue Wähler hinzu (vgl. Fessenden et al. 2020). Wie bei der ersten Wahl tendierten zu Trump „populistische Gebiete, in denen sich viele weiße Wähler ohne Hochschulabschluss befinden“ (ebd.). Wie Trump noch mehr Wähler in den ländlichen Zentren von Pennsylvania und Wisconsin sowie auf den Feldern des Mittleren Westens mobilisierte, die 2016 seinen Sieg ermöglicht hatten, so gewann er auch unter weißen Arbeitern eine Fülle neuer Anhänger. Wie er in einigen demokratischen Staaten mit großer schwarzer Bevölkerungsanteilen von der geringen Begeisterung für Biden profitierte, so gewann er „auch in Gebieten mit vielen hispanischen Einwohnern eine beträchtliche Anzahl von Stimmen“ hinzu (ebd.). Auch die Zahl der Frauen, die Trump wählten, erhöhte sich (Kaddor 2020).

Zweifellos haben weiße männliche Arbeiter (deren Lebenserwartung gesunken war, während die der AmerikanerInnen insgesamt gestiegen war [vgl. Nachtwey 2017, S. 216]), „Farmer, Handwerker und kleine Gewerbetreibende, die nicht auf ein College gegangen sind, sondern gleich nach der Schule einen Beruf erlernt haben“ (Klingst 2018, S. 12), Schwarze und Hispanos mit einem eher niedrigeren sozialen Status Trump gewählt, weil er zu den Traditionen der Vergangenheit zurückkehren will, gegen politische Korrektheit wettert und/oder einen weißen christlichen Nationalismus propagiert. Aber diese Wahlentscheidung war ihnen nur deshalb möglich, weil Trump durch seine auf Rassismus und Frauenfeindlichkeit setzenden Inszenierungen unbewusst machte, dass er als Milliardär eine Politik der Reichen auf Kosten der Mehrheit betrieb. Wie er den Reichen 2017 eine Steuerreform zu Lasten der Allgemeinheit verschafft hat, so haben während seiner Amtszeit „Unternehmenschefs, Banker und vor allem Finanzmilliardäre“ von seiner Regierung profitiert (Buchter 2021). Wie Trump zu Gunsten der Unternehmer Arbeitsschutzbestimmungen aufgeweicht und zu Gunsten der Öl- und Gasindustrie Umweltschutzgesetze ausgehebelt hat, so haben durch sein Missmanagement der Pandemie 20 Mio. Menschen ihre Arbeit verloren (vgl. ebd.). Aber eben diesen „Bruch mit dem ‚Volk‘“ (Bourdieu 2013, S. 120), dass er eine Politik der Wirtschaftseliten auf Kosten der Allgemeinheit betreibt, hat Trump durch seine populistischen Inszenierungen unbewusst gemacht. So entstand der Eindruck, als ob er tatsächlich auf Seiten des Volkes gegen das Establishment kämpfe, mit dem er allerdings nicht die wirtschaftlich Mächtigen, sondern „die kulturellen Eliten“ meinte, die er als „Besserwisser in Wissenschaft, Medien und Kunst“ schmähte, weil sie die Religion verachten würden (Gorski 2020, S. 168f). Das gesellschaftliche Unbewusste, das sich zwischen Trump und seinen Anhängern herstellte, wird also dadurch bestimmt, dass Trump durch seine Reden die ökonomischen und sozialen Machtverhältnisse unsichtbar macht, die seine Anhänger nicht wahrnehmen wollen, obgleich sie Opfer seiner Politik der wirtschaftlich Mächtigen sind. Das von Kimberlé Crenshaw (1989) aufgeworfene Problem der Intersektionalität von Machtansprüchen stellt sich daher im Rahmen von Trumps Masseninszenierungen folgendermaßen dar: Die von ihm propagierten Vorurteile, in denen sich Rassismus, Frauenfeindlichkeit, religiöser Fundamentalismus und Nationalismus überkreuzen, täuschen über den von Trump praktizierten Klassenkampf der Reichen gegen die sozial Schwachen hinwegFootnote 5.

1.3 Das Mobilisieren eines androzentrischen Unbewussten

Zugleich kann man mit Bourdieu davon sprechen, dass Trump noch auf eine andere Weise gesellschaftlich Unbewusstes konstruiert. Denn Trump hat den Wahlkampf gegen die demokratische Präsidentschaftskandidatin auch zur Bühne eines Machtkampfes zwischen Männern und Frauen gemacht. Das hat der bereits erwähnte hässliche Witz über Clinton zum Ausdruck gebracht. „Wenn Hillary noch nicht mal ihren Ehemann befriedigen kann“, hatte er ja schon im April 2015 getwittert, „wie kommt sie dann darauf, Amerika befriedigen zu können?“ (Piehler 2016, S. 99). Der Umstand, dass er Clinton durch die Reduktion auf das ihr unterstellte sexuelle Versagen als Frau für die Lewinsky-Affäre ihres Ehemanns verantwortlich machte, lässt sich mit Bourdieu (2020c [1998]) dahingehend interpretieren, dass Trump damit ein frauenfeindliches Unbewusstes auf zweierlei Weise zum Ausdruck brachte. Einerseits signalisierte er so, dass Clinton wieder aus der von Männern beherrschten Öffentlichkeit verschwinden und sich auf ihre häuslichen Pflichten als Ehefrau zurückbesinnen sollte. Andererseits offenbarte er durch seinen misogynen Witz, dass Frauen für einen Mann wie ihn nur Sexualobjekte seien.

Mit Bourdieu kann man vermuten, dass es sich bei dieser Szene nicht um eine zufällige Entgleisung, sondern um eine frauenfeindliche Strategie handelt, die auch das von der Washington Post im Wahlkampf veröffentlichte Video aus dem Jahr 2005 widerspiegelt, in dem Trump sich dem Journalisten Billy Bush über sein Verhalten Frauen gegenüber folgendermaßen äußerte. Wenn ihn der Anblick einer schönen Frau sexuell errege, dann gebe er seinem Verlangen einfach nach, indem er sie küsse oder sie an den Genitalien anfasse. Wie auch immer eine Frau sich gerade fühle, sie füge sich, weil Trump als „Star“ über die Macht verfüge, sich alles erlauben zu können (vgl. Fahrenthold 2016, 1:11–1:28).

Wie viele Amerikaner im Präsidentschaftswahlkampf über dieses Video auch schockiert und empört waren, Trump kam die Medienwirksamkeit dieses Skandals entgegen, weil dieses Ereignis genau so wie der misogyne Witz über Clinton offenbarte, was er demonstrieren wollte: Dass Männer sich darauf zurückbesinnen sollten, das starke Geschlecht zu sein, das über die als schwach verachteten Frauen herrscht.

Die Frage, wie sich die soziale Tatsache erklären lässt, dass Männer wie Trump immer wieder über Frauen herrschen wollen und dieses Machtgefälle von beiden Geschlechtern oft auch als etwas Natürliches wahrgenommen wird, lässt sich Bourdieu (2020c [1998]) zufolge aufgrund des methodologischen Problems nur schwer beantworten, dass „wir, Männer wie Frauen Teil des Gegenstandsbereichs sind, den wir zu erfassen suchen“ (S. 14). Da „wir in Form unbewusster Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata die historischen Strukturen der männlichen Ordnung verinnerlicht“ haben (ebd.), greift Bourdieu auf die Ethnologie zurück, um die „‚Klassifikationsformen‘“ zu erschließen, „mit denen wir die Welt konstruieren“ (ebd.): So versucht er eine „objektive Archäologie unseres Unbewußten“ durch „die objektive Analyse einer durch und durch nach dem androzentrischen Prinzip organisierten Gesellschaft“ zu gewinnen (ebd., S. 10). Das stolze Volk der Berber, das die Bergregionen der Kabylei bewohnt, die sich in Algerien an der Küste des Mittelmeers entlangzieht, hat seines Erachtens „[…] eine paradigmatische Form […] der androzentrischen Kosmologie“ entwickelt, „wie sie allen mediterranen Gesellschaften gemeinsam und heute noch, wenn auch nur unvollständig und unzusammenhängend, in unseren kognitiven und sozialen Strukturen lebendig sind“ (ebd., S. 15).

Wie die Kabylen ihre soziale Welt mit Kategorien klassifizieren, welche die biologischen Geschlechter mit anthropologischen und kosmologischen Bestimmungen verknüpfen, aufgrund derer der Mann sich draußen auf dem Markt aufhalte, den Pflug führe und in den Krieg ziehe, so habe die Frau drinnen im Haus zu tun, versorge Kinder, Tiere und Gärten.

Zugleich würden diese Kategorien die kognitiven Strukturen des Erkennens bezeichnen, welche die sozialen Akteure als Habitus inkorporieren. Während Männer Ruhm und Auszeichnung in der Öffentlichkeit suchen und das Ehrgefühl durch den Einsatz von Kampf und Gewalt steigern würden, würden Frauen als tugendhaft gelten, wenn sie enthaltsam seien, jungfräulich und treu bleiben. Eigenschaften, die ihren Tauschwert auf dem Heiratsmarkt erhöhen. Die als Kognitionen inkorporierten Kategorien formen Bourdieu zufolge auch körperliche Haltungen auf geschlechtsspezifische Weise: Während es für den Mann eine Ehre sei, mit „aufrechter Körperhaltung“ zu gehen und dem anderen „erhobenen Hauptes“ ins Gesicht zu sehen (ebd., S. 52f), offenbare die Frau ihre Bereitschaft zur Unterwerfung, indem sie sich anschmiege, „mit gesenktem Kopf“ gehe und lächelnd „die Augen niederschlägt“ (ebd.), umzäunt von einem Schleier (ebd., S. 54).

Vergleicht man, wie männliche Herrschaft in der kabylischen Agrargesellschaft und in der Moderne beschaffen seien, fällt Bourdieu zufolge zweierlei auf: Aufgrund ihrer formaldemokratischen Struktur würden westliche Industriegesellschaften auf verfassungsmäßig verankerten Menschenrechten beruhen, die Männer und Frauen gleichstellen. Bildung, Berufsausübung und Verhütungsmittel hätten Frauen eine Emanzipation ermöglicht, aufgrund derer sie heutzutage nicht mehr auf die Sphäre häuslicher Verpflichtungen eingeschränkt werden, sondern sich den öffentlichen Raum zu eigen gemacht haben. Aber obwohl sich die ökonomischen, sozialen und politischen Strukturen seit den Zeiten der Berber so grundlegend gewandelt hätten, würden sich in der Gegenwart nach wie vor die androzentrischen Kategorien der Vergangenheit reproduzieren, die Männer auf „mystische“ Weise über Frauen herrschen lassen (ebd., S. 9). Wenn Trump sich als starker Mann präsentiert, der Frauen als Sexualobjekte betrachtet, die sich seinem Willen zu fügen haben, dann kann man daher mit Bourdieu davon sprechen, dass der ehemalige Präsident die Stimme einer aufgeklärten Vernunft unterläuft und sich an das androzentrische Unbewusste wendet, das Männer und Frauen immer wieder inkorporieren würden. Das heißt mit Bourdieu, dass der amerikanische Präsident genauso wie andere Akteure im Staat, in der Kirche, in Bildungsinstitutionen und in der Familie agiert. Sie stellen nämlich durch ihren Willen zur Macht immer wieder die „objektiven und subjektiven Strukturen der männlichen Herrschaft“ her, „die sich, seit es Männer und Frauen gibt, permanent vollzieht und durch die die männliche Herrschaft kontinuierlich von Generation zu Generation reproduziert wird“ (ebd., S. 144).

2 Lorenzers psychoanalytisch-tiefenhermeneutische Perspektive

Die in Abschn. 1.2.1 umrissenen demographischen Angaben, dass Trumps Wählerschaft sehr divers gewesen ist, sind auch in methodologischer Hinsicht wichtig. Denn diese Tatsachen zeigen, dass das Votieren für Trump nicht nur von objektiven Strukturen wie Klasse, race und gender, Bildung und Religion abhängig war. Vielmehr beruhte die Wahlentscheidung für Trump auch auf Strukturen der Subjektivität, deren Bedeutung sich nur durch ein psychoanalytisches Verständnis erschließen lässt. Wenn man aber das politische Handeln des ehemaligen Präsidenten aus der epistemischen Perspektive der Psychoanalyse betrachtet, dann begibt man sich auf das Feld der analytischen Sozialpsychologie, die in den 30er und 40er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts aus dem Forschungsinteresse der Frankfurter Schule entstand, mit Hilfe der Psychoanalyse die Massenwirkung des Nationalsozialismus zu erforschen (vgl. Fromm 1936; Löwenthal und Guterman 1949; Adorno 1973 [1950]). In den darauf folgenden Jahrzehnten häuften sich jedoch sozialpsychologische Beiträge, die durch eine naive Anwendung psychoanalytischer Begriffe auf die Kultur soziale und politische Phänomene psychologisierten und pathologisierten (vgl. König 1995, 2007). Dieser Sackgasse entgeht Lorenzer (1986), der das Problem der Anwendung der Psychoanalyse in den Sozialwissenschaften methodologisch reflektierte und mit der tiefenhermeneutischen Kulturforschung eine psychoanalytische Methode entwickelte, die dem jenseits der Couch gelegenen Forschungsgegenstand gerecht wird. Die Tiefenhermeneutik (vgl. auch König 2001, 2019b, 35,36,a, b), zielt darauf ab, die Eigenart der sich im Text objektivierenden Lebenspraxis aufgrund ihrer Wirkung auf eine Gruppe von Forschenden zu verstehen, die durch ihre Assoziationen und Irritationen diverse Lesarten konstruieren, die den hinter dem manifesten Sinn des Datenmaterials verborgenen latenten Sinn zugänglich machen.

Wie Trump mit seinen Anhängern aus psychoanalytischer Perspektive interagiert, zeigt die tiefenhermeneutische Rekonstruktion der Rede, die er am 6. Januar 2021 vor dem Weißen Haus gehalten hat, um seine Anhänger zum Sturm auf das Kapitol zu bewegen (vgl. König 2023). Zweifellos würde die Zusammenfassung dieser Interpretation den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Deshalb wähle ich aus Trumps Ansprache die Wirkungsanalyse einer kurzen Textpassage aus, anhand derer ich zwei Facetten des latenten Sinns stichwortartig darstelle, um zu verdeutlichen, wie sich die Bedeutung der Rede in der Spannung zwischen Manifestem und Latentem verstehen und wie sich diese Rekonstruktion sozialisationstheoretisch auswerten lässt.

2.1 Manifester und latenter Sinn einer Sequenz aus Trumps Rede zum Marsch auf das Kapitolc

Trumps (2021) unter dem Titel „Rettet Amerika“ gehaltene Rede wurde auf der am 6.–7. November 2021 in Frankfurt am Main durchgeführten Tagung der Forschungswerkstatt Tiefenhermeneutik analysiert. Wie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gruppendiskussion sich von ihrem jeweiligen Texterleben leiten ließen und ihren Einfällen folgten, um erste Verstehenszugänge zu erschließen, illustriert die Erörterung einer Sequenz, in welcher der damalige Präsident darüber sprach, dass er die Wahl gar nicht verloren habe, sondern die Demokraten ihm den Wahlsieg gestohlen hätten. Die Frage, was die einen Seminarteilnehmer irritierende Bemerkung Trumps bedeute, dass die Amerikaner Hühnern mit abgeschlagenen Köpfen vergleichbar seien, lenkte die Aufmerksamkeit der Interpretationsgruppe auf die folgende Szene der Rede:

„So etwas hat es noch nie gegeben. Man könnte Länder der Dritten Welt nehmen. […] Deren Wahlen sind ehrlicher als das, was wir in diesem Land durchgemacht haben. Es ist eine Schande. Es ist eine Schande. Sogar wenn man sich die letzte Nacht anschaut, rennen sie alle mit Wahlurnen herum wie Hühner mit abgeschlagenen Köpfen. Keiner weiß, was zum Teufel hier los ist.“ (0:06:08)

Die Worte, dass „keiner weiß, was zum Teufel hier los ist“ spiegeln die Verwirrung wider, in die Trump das Publikum durch den Satz versetzt, dass „alle […] mit Wahlurnen […] wie Hühner mit abgeschlagenen Köpfen“ herumrennen. Die sich damit einstellende Vorstellung, dass die Amerikaner nach dem Wahlbetrug nicht mehr wissen, was sie tun, erklärt Trump durch die insgesamt dreimal zur Sprache gebrachte „Schande“, dass die Demokraten die Wahlen in den USA schlimmer manipuliert hätten, als Diktatoren das in „Dritte-Welt-Ländern“ tun. Der manifeste Sinn dieser Szene läuft daher darauf hinaus, dass Amerika sich blamiert habe, weil die von Demokraten verübten Wahlmanipulationen schwerer wiegen würden als die in Militärdiktaturen verübten Verbrechen, Oppositionelle durch Mord und Folter zum Schweigen zu bringen.

Doch hinter dem manifesten Sinn dieser beunruhigenden Szenerie verbergen sich andere Lebensentwürfe, die in Trumps Anhängern noch tiefere Ängste und eine ohnmächtige Wut wecken:

  • Durch den Vergleich mit herumrennenden Hühnern stilisiert Trump seine Landsleute zum Federvieh des Farmers, der ihm allmorgendlich die im Stall liegenden Eier wegnimmt. So stellt Trump sinnlich-bildhaft dar, dass die Demokraten die Wahl „gestohlen“ haben und „abzocken“ wollen (ebd., 01:10:52). Wie kopflose Hühner würden die Amerikaner von der Angst eingeholt, dass die Demokraten sie um den ihnen zustehenden Lohn für ihre Arbeit (Eier) bringen.

  • Zugleich weckt die von Trump entworfene Szenerie die Vorstellung, dass die Demokraten Amerika durch Wahlmanipulationen in einen Schlachthof verwandelt hätten, in dem die um ihr Leben fürchtenden Bürger kopflos herumirren würden. Derart weckt diese Szene die unheimliche Vorstellung, dass die Demokraten blutdürstige Henker seien, welche die Amerikaner um den Verstand bringen würden, indem sie ihnen die Köpfe abschlagen.

Ob aber die Demokraten dem Farmer gleichen, für den die Amerikaner nur Hühner sind, denen er die Eier stiehlt, oder ob sie zu Henkern werden, welche die Bürger köpfen, diese Szenarien entfalten ihre Wirkung auf einer sich an das unbewusste Erleben der Menschenmenge wendenden latenten Bedeutungsebene, die das Gegenstück zu Trumps manifester Anklage bildet, dass die von ihnen verübten Wahlmanipulationen „total illegal“ seien (ebd., 0:34:34).

Welche Konsequenzen dieses von Trump entworfene Szenarium auf seine Anhänger hat, lässt sich folgendermaßen beschreiben:

  1. 1.

    Trumps Behauptung, dass „die korrupteste Wahl in der Geschichte“ (ebd., 01:05:43) die Folge des von den Demokraten verübten „kriminellen Unternehmens“ sei (ebd., 01:03:03), irritiert, weil er demokratische Abläufe destruiert, indem er Biden als illegitimen Präsidenten bezeichnet, dem man im Kapitol die formelle Bestätigung des Wahlsieges verweigern müsste. Es stellt sich die Frage, ob der manifeste Sinn der Erzählung, dass ein „unerhörter Angriff auf unsere Demokratie“ (ebd., 0:16:25) stattfinde und „unser Land zerstört werden wird“ (ebd., 0:11:25), nicht den latenten Sinn verbirgt, dass Trump durch das Reden von Wahlbetrug und durch die Hetze gegen den vom Volk gewählten Präsidenten demokratische Spielregeln verletzt und damit selbst die Demokratie gefährdet.

  2. 2.

    Die Anklage, dass die Demokraten „den Wahlsieg gestohlen“ hätten (ebd. 0:02:44), erscheint auch deshalb merkwürdig, weil Trump durch „die größten Steuersenkungen der Geschichte“ (ebd., 0:19:03) den sozial Schwächeren das gestohlen hat, was er den Reichen geschenkt hat. Der manifeste Sinn dieser Vorwürfe verdeckt den latenten Sinn, dass der Präsident durch die Rede von einem Wahldiebstahl unbewusst macht, dass die wirtschaftlich Mächtigen vor allem durch die Globalisierung der Märkte den ökonomischen und sozialen Niedergang von Klassen und Regionen verursacht haben.

  3. 3.

    Der Präsidentenwahl gibt Trump dadurch eine unheimliche Wendung, dass er ganz im Sinne der fundamentalistischen Christen dreimal die Hölle beschwört. So zieht er die eigene Wahlniederlage durch die Frage in Zweifel, woher, „zur Hölle noch mal“, so viele Stimmen für die Demokraten gekommen seien (ebd., 0:47:37)? Sodann behauptet Trump einerseits, dass die Demokraten durch eine „gefälschte Wahl […] wie die Hölle“ betrogen hätten (ebd., 0:29:29). Auf diese Weise redet er von der Hölle, um den politischen Gegner als Teufel zu perhorreszieren, der ein solches Chaos angerichtet habe, dass alle mit Wahlurnen „wie Hühner mit abgeschlagenen Köpfen“ herumrennen würden (ebd., 0:06:08). Und andererseits feuert Trump seine Landsleute durch die Worte an, dass „wir kämpfen wie die Hölle, und wenn ihr nicht wie die Hölle kämpft, werdet ihr kein Land [mehr] haben“ (ebd., 01:11:44). In diesem Fall beschwört er die Hölle, um seine Anhänger zu einer apokalyptischen Schlacht gegen den Teufel aufzurufen, den seine von ihm begeisterten Anhänger dann tatsächlich in Nancy Pelosi, der Mehrheitsführerin im Repräsentantenhaus, leibhaftig verkörpert sahen (vgl. Buse et al. 2021, S. 61). So wird der latente Sinn fassbar, dass es nicht die Demokraten sind, sondern dass es Trump selbst ist, der ein heilloses Chaos zu verantworten hat, weil er – in sich gegenseitig widersprechenden Sätzen – Tod und Teufel beschwört. Und indem er Gott anruft, um Amerika und seine zum Marsch auf das Kapitol entschlossenen Anhänger zu segnen (vgl. ebd., 01:13:19), entspricht er nicht nur den Erwartungen fundamentalistischer Christen, sondern macht derart auch das Wecken von Wut und Hass unbewusst.

Zudem waren die Forschenden der Gruppeninterpretation durch verschiedene Szenen wiederholt auf die gleiche Weise irritiert: Während der manifeste Sinn der Ansprache stets durch das Verbreiten von Lügen bestimmt wird, wird die Wahrheit ständig auf die latente Bedeutungsebene verbannt. Das heißt aber, dass sich das aus dem Alltag vertraute Verhältnis vom manifestem zum latenten Sinn umkehrt: Während im Alltag das Zur-Sprache-Bringen von Lebensentwürfen manifest ist, die als vernünftig und moralisch akzeptabel gelten, wird der manifeste Sinn von Trumps Rede durch das Mobilisieren von sozial anstößigen Affekten bestimmt: Wenn Trump behauptet, dass die Verhältnisse in Amerika schlimmer als in einer Militärdiktatur der Dritten Welt seien, dann weckt er in nationalistischen Landsleuten eine ohnmächtige Wut und Zerstörungslust. Wenn er amerikanische Männer als aufgeregte Hühner mit abgeschlagenen Köpfen verhöhnt, dann weckt er Todesängste. Während solche düsteren Phantasien im Alltagsleben auf eine latente Bedeutungsebene verwiesen werden, ist es der auf die Fakten verweisende „gesunde Menschenverstand“, den Trump in seiner Ansprache unbewusst macht.

2.2 Sozialisationstheoretisches Begreifen der szenischen Interpretation

Nachdem das tiefenhermeneutische Interpretieren anhand einer exemplarisch ausgewählten Textpassage illustriert worden ist, möchte ich sozialisationstheoretisch skizzieren, wie Trumps Anhänger durch seine politische Rede vergesellschaftet werden. Im Rückgriff auf psychoanalytische und sozialwissenschaftliche Konzepte, mit deren Hilfe die Interpretationsergebnisse typisiert werden, lässt sich dazu dreierlei sagen:

  1. 1.

    Nachdem Trump davon gesprochen hatte, dass wir unsere Verfassung vor denjenigen schützen müssten, die uns angeblich den Wahlsieg gestohlen haben, dankte er seinen Anhängern für „die außerordentliche Liebe“ (Trump 2021, 0:09:08), mit der sie sich versammelt hätten, um gemeinsam mit ihm durchzusetzen, dass er Präsident bleibe. Da reagierte die Menge mit dem Skandieren des Satzes: „Wir lieben Trump! Wir lieben Trump! Wir lieben Trump“ (ebd., 0:09:44).

    Im Rückgriff auf Freuds Konzept der Massenpsychologie (1999 [1921]) kann man davon sprechen, dass diese Worte eine sich in der Menge einstellende libidinöse Bindung an Trump offenbaren. Seine Anhänger fühlten sich der von Trump beschworenen politischen Krisenlage hilflos ausgeliefert, weil die Demokraten durch angebliche Wahlmanipulationen Amerikas Demokratie gefährdet hätten. Aufgrund der dadurch ausgelösten Ängste brachten sie Trump, der die Krisenlage entschlossen und selbstbewusst zu handhaben versprach, eine schwärmerische Verliebtheit entgegen. Narzisstische Sehnsüchte nach Größe und Macht wurden derart auf Trump übertragen, der als großer Bruder geliebt und als einzigartiger Führer in der Brandung einer drohenden Katastrophe idealisiert wurde. So gewannen seine Anhänger dadurch Halt und Orientierung, dass sie Trump als ‚Retter in der Not‘ in ihr Ichideal introjizierten (vgl. König 2022a, S. 240).

  2. 2.

    Indem Trump durch sein aggressives Auftreten die Ängste seines Publikums weckte, trat er auf eine so autoritäre Weise auf, wie es sowohl Leo Loewenthal und Norbert Guterman (1949) als auch Theodor W. Adorno (1973 [1950]) in ihren in Amerika durchgeführten Autoritarismusstudien beschrieben haben. Da der autoritäre Führer von seinen Gefolgsleuten rücksichtslosen Gehorsam verlange, werde er von den Massenindividuen als strenge Vaterfigur ins verbietende Über-Ich introjiziert (vgl. König 2022a, S. 241). Zugleich fordere die strenge Autorität zur Verschiebung der gegen sie aufkommenden aggressive Impulse gegen ihre Feinde auf.

    Wie das in der Interaktion zwischen Trump und seinen Anhängern geschah, illustriert eine weitere Szene aus der Rede, in der er das Publikum auf die folgende Weise begeisterte: Dass seine politischen Gegner von einer Wahlniederlage sprechen würden, obwohl er die Wahl gewonnen habe, sei „eine Schande“, die offenbare, dass es in Amerika schlimmer zugehe als in Dritte-Welt-Ländern. Als er dann hinzufügte, dass zur Zeit „niemand“ wisse, „was zur Hölle los“ sei (Trump 2021, 0:06:08), skandierten seine Landsleute aufgebracht: „Kämpft für Trump! Kämpft für Trump! Kämpft für Trump!“ (ebd., 0:07:11). Die Szene offenbart, wie Trump die Aggressionen, die er durch die dramatische Schilderung auslöste, dass der Ausgang der Präsidentenwahl eine Gefahr für die amerikanische Demokratie sei, gegen die Demokraten richtete, die ein „kriminelles Unternehmen“ zu verantworten hätten. (ebd., 01:03:03). Welche Aggressionen Trump durch seine Hetze freizusetzen vermochte, illustriert der dann erfolgte Sturm auf das Kapitol.

    Das bedeutet aber, dass die Affekte seiner Gefolgsleute nicht nur auf der libidinösen Bindung an Trump beruhten, den sie als großen Bruder idealisierten und der zu ihrem kollektiven Ichideal wurde. Vielmehr gehörte zu dieser Liebe der Massenindividuen zu Trump auch, dass sie ihn als zornige Vaterfigur ins Über-Ich introjizierten und sich von seiner Aggression gegen seine politischen Gegner anstecken ließen.

  3. 3.

    Mit Lorenzer (1981) lässt sich darüber hinaus begreifen, wie das persönlichkeitsstrukturelle Problem (die libidinöse Bindung an Trump und die autoritäre Wendung der Aggression gegen dessen Feinde) durch eine weltanschauliche Propaganda mit einer „besonderen Vergesellschaftungsform“ verknüpft wird (S. 118f.). Das bedeutet, dass Trump die Triebkonflikte der Massenindividuen autoritär aufgegriffen hat, um sie durch die republikanische Weltanschauung einer bestimmten politischen Sozialisation zu unterziehen.

Wie seine Version der republikanischen Weltanschauung eine – schon beschriebene – neoliberale Wirtschaftspolitik vertritt, welche die Märkte dereguliert und sozialstaatliche Maßnahmen demontiert, so diffamiert sie politische Gegner als „Linksradikale“ (Trump 2021, 0:02:44), die Amerika durch das Abbauen von Arbeitsplätzen, durch die Schwächung des Militärs und durch Grenzöffnungen ruinieren würden (vgl. ebd., 0:13:45).

Zugleich erweist sich diese Weltanschauung als rassistisch, weil sie sich gegen Schwarze wendet, obgleich Trump sie in seiner Rede nicht ausdrücklich erwähnt. Aber wenn er von ‚Wahlbetrug‘ in bestimmten Bundesstaaten spricht (vgl. Snyder 2021, S. 10), dann meint er jene Städte, in denen besonders viele Schwarze wohnen und wählen: Wie Timothy Snynder ausgeführt hat, handelt es sich bei der „Fantasie des [Wahl]Betrugs“ um ein „Verbrechen[.], das von Schwarzen gegen Weiße begangen wird“ (ebd.). Trumps Weltanschauung enthält daher eine Verschwörungstheorie, die darüber hinwegtäuscht, dass sowohl 2020 als auch in allen US-Wahlkämpfen zuvor das Gegenteil der Fall war: Mit den Worten von Snyder: „Schwarze Menschen warteten länger als andere, um ihre Stimme abzugeben, und ihre Stimmen wurden eher angefochten [als die der weißen Wähler]“ (ebd.). So propagiert diese Weltanschauung die rassistische Vorstellung einer Vorherrschaft der weißen Amerikaner, „die – wie Trump offen erklärt hat – daran interessiert“ seien, „die Zahl der Wähler und insbesondere die Zahl der schwarzen Wähler so gering wie möglich zu halten“ (ebd.).

Zudem offenbart Trumps Verachtung für Frauen im allgemeinen, die für einen Mann wie ihn stets verfügbar seien, und für eine Frau wie Clinton im Besonderen, die sich lieber um die Sexualität ihres Mannes kümmern sollte, als ins Weiße Haus einziehen zu wollen, dass sich seine Version der republikanischen Weltanschauung auch als sexistisch darstellt.

3 Zur Triangulation von Sozioanalyse und Psychoanalyse

Die sich nach Abschluss beider Strukturanalysen stellende Frage, wie sich denn nun Psychoanalyse und Sozioanalyse triangulieren lassen, lässt sich mit Lorenzer (1974) beantworten, der sich angesichts des Problems, wie man Psychoanalyse und politische Ökonomie zueinander in Beziehung setzen kann, mit der Frage auseinandergesetzt hat, wie man die Forschungsergebnisse „zweier Strukturanalysen von unterschiedlicher Art“ miteinander vermitteln kann (S. 224). Vor allem sei die Gefahr zu vermeiden, dass „aus richtigen Kausalverknüpfungen falsche, nämlich analogisierende Strukturaussagen erwachsen“ (ebd., S. 219). Wie von der Sozioanalyse her objektivistische Erklärungen der subjektiven Struktur zu unterlassen seien, so würden auch von der Psychoanalyse her vorgenommene subjektivistische Erklärungen objektiver Bedingungszusammenhänge in die Irre führen. Das bedeutet, dass Psychoanalyse und Sozioanalyse – wie in diesem Beitrag – getrennt voneinander durchzuführen sind, weil sowohl die Analyse der subjektiven Struktur als auch die Rekonstruktion der objektiven Strukturen einer Eigenlogik folgen. Vermittelt werden können die unterschiedlichen Forschungsergebnisse erst auf einer dritten Bedeutungsebene, die durch das sozialistionstheoretische Begreifen der Subjekte unter den Bedingungen objektiver Strukturzusammenhänge bestimmt wird:

„Der Zusammenhang zwischen subjektiven Strukturmomenten und deren objektiven Bedingungskomplexen muß über die Rekonstruktion der subjektiv-objektiven Sozialisationsstruktur verlaufen. Subjektive Sachverhalte müssen begriffen werden als Momente der Konstitution subjektiver Struktur, formuliert gemäß der ‚Logik der subjektiven Konstitutionsprozesse‘. Jeder Begriff muß allerdings zugleich sich konsistent der Logik der objektiven Konstitutionsbedingungen fügen, was beinhaltet: Er muß subjektive Struktur als objektiv geformt ausweisen entsprechend der realen Formbildung in demjenigen gesellschaftlichen Produktionsprozeß, aus dem er hervorging.“ (ebd., S. 224)

Die sozioanalytische Rekonstruktion zeigt, wie Trumps Rede seine Anhänger dadurch sozialisiert, dass er die Eigenart des politischen Feldes nutzt, um durch Lügen zu mobilisieren. Dabei greift er durch den Gebrauch der vulgären Sprache der Beherrschten die Kognitionen der Wählerinnen und Wähler auf, die sie aufgrund eher niedrigerer sozialer Positionen und entsprechender Lebensstile inkorporiert haben, und funktionalisiert sie im Dienst des von ihm verfochtenen weißen christlichen Nationalismus. So vermag Trump in seinen Anhängern den Glauben daran herzustellen, dass er das Volk retten will. Dieser politische Sozialisationsprozess gelingt aber nur deshalb, weil Trump unbewusst macht, dass er eine Politik der Reichen auf Kosten der Armen vertritt. Diesem politischen Machtkampf ist Bourdieu zufolge noch eine Besonderheit eigen: „Was man Klassenkämpfe nennt, sind in Wirklichkeit Klassifizierungskämpfe“ (Bourdieu 2013, S. 110). Was Bourdieu damit meint, wird fassbar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Trump für politische Ideen kämpft, welche die Klassengegensätze durch die Teilung der sozialen Welt in Weiße und Schwarze, in Männer und Frauen unbewusst machen (vgl. ebd.).

Dadurch, dass er durch rassistische und sexistische Klassifizierungskämpfe dafür streitet, dass die Politik wieder zu einer Sache von Männern wird, denen Frauen nur als willige Liebesobjekte zur Verfügung stehen sollen, wendet er sich zugleich an das androzentrische Unbewusste seiner Anhänger, unter dessen Einfluss die männliche Herrschaft über Frauen als natürlich erlebt wird. Auf diese Weise greift Trump das Wahrnehmen, Denken und Fühlen des Habitus auf, den seine Anhänger aufgrund der herrschenden Macht- und Ungleichheitsverhältnisse und des durch sie produzierten sozialen Unbewussten inkorporiert haben: Während er die Macht der Männer über die Frauen durch das Aufgreifen eines in der westlichen Kultur wirksamen androzentrischen Unbewussten biologisiert, bringt er durch die Beschwörung rassistischer und frauenfeindlicher Vorurteile, durch religiösen Fundamentalismus und Nationalismus die Klassengegensätze zum Verschwinden.

Diese sozioanalytische Rekonstruktion lässt sich mit der psychoanalytischen Rekonstruktion triangulieren, die offenbart, wie Trump in seiner Ansprache Einwände der Vernunft unterläuft, indem er das persönliche Unbewusste seiner Anhänger instrumentalisiert. Denn durch eine apokalyptische Dramatisierung der politischen Lage löst Trump massive Affekte der Angst und Panik aus, unter deren Druck seine Anhänger in dreifacher Weise auf früheste Formen der im Verlaufe ihrer Lebensgeschichte einsozialisierten Triebstruktur regredieren: (1) Durch seine charismatische Selbstinszenierung als Retter des Volkes verleitet er sein Publikum dazu, infantile Größen- und Allmachtsphantasien auf ihn zu übertragen. (2) Durch sein Auftreten als großen Bruder, welcher der von ihm begeisterten Geschwisterschar tatkräftig hilft, lädt er dazu ein, ihn zu lieben und ihn ins Ichideal zu introjizieren. (3) Und durch sein Insistieren darauf, dass Leben und Tod davon abhängen, dass sich seine Anhänger seinem Willen unterwerfen, inszeniert er sich als strenge Vaterfigur, dem man sich bedingungslos unterwerfen muss und dessen Autorität daher ins Über-Ich introjiziert wird.

Die autoritäre Unterwerfung seiner Anhänger unter seinen Willen verknüpft Trump mit der von ihm propagierten Weltanschauung des weißen christlichen Nationalismus: Das Versprechen, auf unerfüllte kindliche Sehnsüchte nach Liebe einzugehen, verknüpft Trump mit der von ihm beschworenen Liebe zum Vaterland und zum amerikanischen Volk; an unbewältigte Aggressionen gegen Eltern und signifikante Andere, die in der Kindheit Zuwendung versagten, vernachlässigend oder gewalttätig waren, wendet Trump sich im Zuge der Hetze gegen Demokraten und gegen das Ausland, gegen Schwarze und Mexikaner, gegen Migranten und Muslime, gegen Frauen, Schwule und Lesben. Und infantile Größen- und Allmachtsphantasien stimuliert Trump durch das Sympathisieren mit dem evangelikalen Glauben an eine von Gott geleitete Streitmacht, die gegen das Böse in dieser Welt kämpft, um das Himmelreich auf Erden wirklich werden zu lassen.

Auf der anderen Seite verspricht der weiße christliche Nationalismus, dass sich die sozialen Fragen durch die Rückkehr zu den Tugenden der Vergangenheit lösen lassen. Denn die republikanische Politik will die Gesellschaft nicht dadurch modernisieren, dass der Markt mehr kontrolliert wird, die Klassengegensätze abgemildert werden und die Umwelt zusehends geschützt wird. Vielmehr soll der Staat mehr aufrüsten, den Markt weiter deregulieren und sozialstaatliche Leistungen so demontieren, wie auch Abtreibungsverbot und Verbot der Schwulenehe durchgesetzt werden sollen. Auf diese Weise verbindet die Weltanschauung des weißen christlichen Nationalismus die autoritäre Lösung von unbewältigten Triebkonflikten und unerfüllten Größen- und Allmachtsphantasien mit der neokonservativen, neoliberalen und evangelikalen Antwort auf soziale und kulturelle Fragen.

Die Wirkung von Trumps Rede lässt sich daher als ein Prozess der politischen Sozialisation beschreiben, der sich sowohl von der Produktion der objektiven Struktur her als auch von der Produktion der subjektiven Struktur her umreißen lässt: Aus sozioanalytischer Perspektive lässt sich rekonstruieren, wie der Glaube der Wähler und Wählerinnen an Trump darauf basiert, dass er die sie unterscheidenden Klassengegensätze unbewusst macht, indem er sie auf kognitiver Ebene dadurch erreicht, dass er ihre Sprache spricht und damit die Kategorien benutzt, die sie aufgrund ihrer sozialen Position und ihres Lebensstils habitualisiert haben. Zugleich folgen seine Anhänger Trump, weil er durch die Idee, dass die Rettung Amerikas eine Sache kämpferischer Männer sei, die Frauen als das schwache Geschlecht verachten, auf das in westlichen Industriegesellschaften wirksame androzentrische Unbewusste zurückgreift. Und aus psychoanalytischer Perspektive wird rekonstruierbar, dass Trump seine Anhänger begeistert, weil er ihnen die Erfüllung unbewusster Triebimpulse, sexistischer Männlichkeitsphantasien und grandioser Größenideen verheißt, die in der Öffentlichkeit aufgrund ihrer Unvereinbarkeit mit der herrschenden Moral als sozial anstößig verdrängt und abgespalten werden. So korrespondiert die von Trump mit seinem Publikum eingeübte autoritäre Verhaltensstrategie, sich den Mächtigen zu unterwerfen und Aggressionen auf Schwächere zu verschieben, dem von ihm zugleich angesprochenen Habitus seiner Anhänger, die, weil sie die objektiven Strukturen inkorporiert haben, die herrschenden Machtverhältnisse bereitwillig akzeptieren und ihnen entsprechend handeln.