Dass, wo zwei sich streiten, lieben oder missverstehen, ein Dritter die gesamte Situation verändern kann, ist nicht nur klassischer Topos der Literatur – Hermes muss erst zu Odysseus und Kalypso geschickt werden, damit es überhaupt etwas zu erzählen gibt – sondern auch seit einiger Zeit Gegenstand intensiver sozialtheoretischer Reflexionen: Um die Rolle des/der Dritten rankt sich seit nunmehr zwanzig bis dreißig Jahren eine Diskussion (vgl. etwa Bedorf 2003; Bedorf et al. 2010; Eßlinger et al. 2010; Herrmann 2018; Waldenfels 1994), die von Joachim Fischer maßgeblich mitbestimmt worden ist. So ist die vorliegende Aufsatzsammlung mit ihren achtzehn Texten und einer kurzen Einleitung einerseits ein Blick zurück: Über einen weiten Zeitraum finden sich Fischers Beiträge zur Debatte versammelt, neun bereits veröffentlichte Texte aus den Jahren 2000 bis 2018 wurden größtenteils unverändert übernommen. Neun Originalbeiträge verankern die Rückschau andererseits in der Gegenwart. Der Band blickt außerdem auch in die Zukunft, handelt es sich doch, so Fischer, bei den Studien gleichfalls um Vorstudien: „Alles Prolegomena zu einem zwar konzipierten und in Vorlesungen dargelegten, aber noch nicht ausgeschriebenen Buch“ (S. 61), einer „‚Grundlegung der Sozialontologie‘“ (ebd.) im Zeichen der Tertiarität.

Wer mit einigen der bereits erschienenen Aufsätze Fischers vertraut ist, wird zentrale Thesen zum/zur Dritten wiedererkennen: Der/die Dritte wird in zwei Richtungen abgegrenzt: gegen den Anderen und gegen das Dritte. Der Dritte ist nicht einfach ein weiterer Anderer: Bereits bei Simmel – der als Schlüsselautor für Fischer gelten kann und dem gleich zwei Aufsätze im historischen Teil gewidmet sind – findet sich die Idee, dass der Dritte etwas qualitativ Neues in die Beziehung zwischen Ego und Alter bringt. Zum anderen ist der/die Dritte für Fischer eine personale Denkfigur und keine transindividuelle Entität (z. B.: Gesellschaft, Kollektiv, Diskurs etc.). Für das Eigenrecht des/der Dritten argumentiert Fischer schon seit längerem, neu hingegen ist die Verortung des Projekts in der Sozialontologie – wobei Fischer explizit zwei unterschiedliche Traditionen ausmacht, nämlich einerseits eine eher kontinentaleuropäische nach Theunissen, andererseits eine angelsächsisch geprägte nach Searle, deren gemeinsamer Nenner die Frage nach dem Sein des Sozialen sei (vgl. S. 12–17). Parallel zur Sozialontologie als philosophischer Disziplin verortet Fischer sein Projekt auch in der Sozialtheorie als soziologischer Disziplin – beide scheinen für Fischer allerdings den gleichen Gegenstand zu haben.Footnote 1 Sozialontologie/Sozialtheorie fragen deskriptiv nach dem Sein von Gesellschaft überhaupt, damit sind sie abgegrenzt einerseits von dem, was Fischer Sozialphilosophie/Gesellschaftstheorie nennt, die nämlich danach fragt, in welcher Gesellschaft wir leben; andererseits von der Sozialethik. Fischers These ließe sich also folgendermaßen zusammenfassen: Der/die Dritte als personale Figur ist eine sozialontologisch relevante, irreduzible Kategorie.

Fischers Beiträge zu diesem Themenfeld sind nach der kurzen Einleitung in fünf Abschnitten angeordnet: In einem ersten Abschnitt, „Exposition“, skizziert Fischer das Projekt, verortet es im Verhältnis zur Disziplin der Sozialontologie und zur bisherigen Diskussion und gibt Einblick in seine Genese. Der zweite Abschnitt, „Geschichte“, markiert historische Linien – zwei Beiträge widmen sich Simmel, ein Beitrag der philosophischen Anthropologie, einer dem Verhältnis der Theorie sozialer Akte Adolf Reinachs und der Austin’schen Sprechakttheorie. Der dritte, „Systematik“ betitelte Teil, umfasst zwei Aufsätze, Fischers zentralen Aufsatz aus dem Jahr 2010 (Fischer 2010) sowie einen englischsprachigen Aufsatz, den einzigen des Buchs. In beiden erläutert Fischer seine Argumente für die sozialontologische Relevanz des/der Dritten: das sprachformale Argument – das System der Personalpronomen sieht eine eigene Stelle für die dritte Person vor –, das psychoanalytisch informierte Soziabilisierungsargument – der/die Dritte spielt eine entscheidende Rolle beim Eintritt des Kindes in die symbolische Ordnung –, das Institutionalisierungsargument – die Figur des/der Dritten vermittelt zwischen Interaktion und Institution – und das Polymorphieargument – der/die Dritte tritt in zahlreichen Formen auf, die jeweils für sich gesellschaftstheoretisch relevant sind. Der vierte Teil widmet sich den „Konsequenzen“, die eine um den Dritten bereicherte Sozialontologie für die Soziologie und ihr Selbstverständnis mit sich bringt, bevor der abschließende fünfte Teil, „Erprobung“ betitelt, sich um Anwendungen dieser Theorie auf Funktionssysteme der funktional differenzierten Gesellschaft bemüht, indem der/die Dritte in Recht, Ökonomie, Politik, Medien, Familie und Liebe aufgesucht wird. Die Einteilung des Buchs ist überzeugend, sie sorgt für eine rhythmische Leseerfahrung, und strukturiert mit Rück- und Vorgriffen das gelegentlich heterogene Material. Lediglich der Aufsatz zur Sprechakttheorie will nicht ganz ins Bild passen: Die Parallelisierung der Theorie sozialer Akte Reinachs und der Austin’schen Sprechakttheorie führt nicht wirklich zu neuen Ergebnissen und das eigentliche Thema des Aufsatzes, das Verzeihen, stört als Spezialthema, das zudem wenig mit dem Dritten zu tun hat (im Verzeihen verzichte ich darauf, das Vorgefallene zu rächen oder vor die Gerechtigkeit des/der Dritten zu bringen), ein wenig die Balance der historischen Aufarbeitung. Außerdem fällt der englischsprachige Aufsatz etwas aus dem Rahmen – inhaltlich bringt er kaum Neues, sein Beitrag besteht im Wesentlichen im Bereitstellen der englischsprachigen Terminologie.

Nichtsdestoweniger ist die Lektüre des Bandes überaus anregend. Das hat auch damit zu tun, dass unter dem Titel des/der Dritten eine Reihe unterschiedlicher Problemstellungen und Zugangsweisen versammelt wird – ein Kennzeichen von Fischers Arbeit ist der Dialog über Disziplinen hinweg. Was Fischer über Simmel schreibt, wird er auch für sich selbst gelten lassen: „[D]ie Prominenz der dritten Figur“ ist „Resultat einer von mehreren gesellschaftlichen Erfahrungsfeldern inspirierten, überdeterminierten Koinzidenz.“ (S. 79) Die Figur des/-r Dritten erweist sich allgemein als hilfreiches Erkenntniswerkzeug, mit dem sich dyadische Konstellationen jeglicher Couleur darauf prüfen lassen, ob in ihnen nicht ein/-e Dritte/-r vergessen wurde – nicht nur, aber auch im Rahmen einer vor allem aus dem französischen Sprachraum bekannten „Theoriekritik an der ‚Utopie der Dyade‘“ (S. 53). Das erlaubt eine Revision sozialontologischer Grundbegriffe, die erst einmal, wie Fischer argumentiert, größtenteils an dyadischen Konstellationen ausgerichtet sind, seien es Konzeptionen des Dialogs, der Anerkennung oder der Alterität. Durchgeführt wird diese Revision von Fischer für den Begriff doppelter Kontingenz bei Parsons und Luhmann sowie für Meads Konzeption des generalisierten Anderen. Dass wir uns letztere Figur eher als einen generalisierten Dritten vorzustellen haben, ist durchaus bedenkenswert, ist doch aus der jüngeren Theoriearbeit die Vorstellung einer Instanz geläufig, der es genau nicht darum geht, was der/die Andere denkt, sondern was ein/e dritte/r Beobachter/in der Szenerie hätte denken können (Pfaller 2008).

Das Buch ist aber nicht nur ein Beitrag zur Sozialontologie, wie der Untertitel nahelegt, sondern auch, in Fischers Terminologie, zur Sozialphilosophie, respektive: Gesellschaftstheorie. In den Erprobungen der sozialontologischen Kategorie des/der Dritten werden ja Analysen gesellschaftlicher Subsysteme unternommen, zusammengehalten von der übergreifenden sozialphilosophischen These, dass in der modernen Gesellschaft „die Ausdifferenzierung von Teilsystemen entlang von je spezifischen Drittenfigurationen“ (S. 249) erfolgt. Was das bedeutet, wird im letzten Abschnitt für ausgewählte Funktionssysteme in Aufsätzen von je zehn bis zwanzig Seiten ausgearbeitet. Das ist in einigen Fällen sehr plausibel – für das Recht etwa die Richterin als Dritte – in anderen weniger: In der Ökonomie sei das kaufende Publikum der lachende Dritte gegenüber den Anbieter/innen, die sich gegenseitig in den Preisen unterbieten. Das speist sich nun zweifellos aus Simmels Idee von Konkurrenz entlang des lachenden Dritten, wird aber nicht wirklich ausgearbeitet. Mit der Figur des/der Dritten könnte man eben auch argumentieren, dass die Ökonomie etwa durch negative Externalitäten auch allerlei Dritte kennt, die nicht gar so viel zu lachen haben.

Die These vom kaufenden Publikum als lachendem Dritten lässt aber auch in anderer Hinsicht aufhorchen, unterminiert sie doch Fischers Betonung des personalen Charakters des Dritten: Ein Publikum kann überhaupt kein personaler Dritter sein, sondern ist von Personen kategorial verschieden. Seiner expliziten sozialontologischen Festlegung auf personale Dritte zum Trotz kommt Fischer immer wieder auf allerlei nicht-personale Dritte zu sprechen, neben dem kaufenden Publikum beispielsweise auch auf Medien und Koalitionen zwischen Parteien. An dieser Stelle sei angemerkt, dass Fischer überraschenderweise aus dem titelgebenden Begriff der Tertiarität recht wenig macht – dieser scheint nur die Tatsache zu bezeichnen, dass es eben personale Dritte gibt. Will man den Begriff, wie es ja intendiert zu sein scheint (vgl. S. 84, S. 117), analog zu „Alterität“ verwenden, würde sich eine Reihe neuer Möglichkeiten eröffnen: So wie sich der Gebrauch des Alteritätsbegriffs von der konkreten Gegebenheit eines personalen Anderen gelöst hat (und ich Erfahrungen von Alterität auch etwa in Kunst und Natur machen kann), ließe sich auch „Tertiarität“ als weiter gefasster Begriff verwenden, der dann die nicht vollgültig personalen Drittenkonfigurationen, die Fischer ja ohnehin vorschweben, mit umfassen würde. Die Frage, ob und inwieweit die so verstandene Tertiarität dann von einer vorgängigen primären Erfahrung des/der Dritten abhängig ist – eine Frage, die sich in analoger Weise ja auch für den Alteritätsbegriff stellt –, wäre dann eine genuin sozialontologische.

Dass die Figur des/der Dritten eine relevante Rolle in der Sozialontologie einnimmt, danach besteht nach Lektüre des Buchs kein Zweifel. Man wüsste jedoch gern mehr darüber, wie genau wir uns diese Rolle vorzustellen haben – dazu wäre aus meiner Sicht eine weitere Ausgestaltung des sozialontologischen Rahmens erforderlich. Das drückt sich etwa darin aus, dass Fischer in seinen Formulierungen dazwischen schwankt, ob die Figur des/der Dritten für die Sozialontologie ein konstitutives oder das konstitutive Element ist. Auch ist unklar, ob Fischer die Sozialontologie so versteht wie sein Gewährsmann Theunissen, dem es bekanntlich um „das vorgesellschaftliche Verhältnis zum Anderen“ (Theunissen 1977, S. 7) geht. Fischers Rede vom „Primat der Intersubjektivität“ (S. 54) scheint hingegen nur Folge einer methodischen Entscheidung, nicht aber Ausdruck eines sozialontologischen Arguments zu sein. Auch der sozialontologische Stellenwert von onto- und phylogenetischen Beobachtungen (etwa S. 149), die Fischer gelegentlich einflicht, wäre zu explizieren. Von der ausformulierten Sozialontologie, die Fischer in Aussicht stellen, darf man sich eine genauere Klärung dieser Fragen erhoffen. Das Publikum – was auch immer sein sozialontologischer Status – wird sich in jedem Fall freuen.