1 Einleitung

Am Ende der Volksschule im Alter von etwa zehn Jahren ist im österreichischen Schulsystem eine weitreichende Bildungsentscheidung über den weiteren Bildungsverlauf fällig. Für rund zwei Drittel geht es in der Mittelschule (MS)Footnote 1 als Pflichtschule der 10- bis 14-Jährigen weiter und für ein Drittel in der Unterstufe einer Allgemeinbildenden höheren Schule (AHS), wofür gute Noten in den Hauptfächern oder eine Aufnahmsprüfung die Voraussetzung ist. Durch diese Aufteilung nach den Leistungen bzw. Schulnoten erfolgt eine relative Homogenisierung der Entwicklungsmilieus mit ähnlicher sozialer Herkunft und Leistungsbereitschaft, denn sozioökonomischer Status und Schulerfolg hängen eng zusammen.Footnote 2

Im Unterschied zu ländlichen Regionen tritt in Wien mehr als die Hälfte (55 %) eines Jahrganges nach der Volksschule in die AHS-Unterstufe über, während dieser Anteil in dünn besiedelten Gebieten 20 bis 25 % beträgt (BMBWF 2021). Diese Disparität ist in erster Linie bedingt durch die Struktur des Schulangebotes bzw. der regionalen Verfügbarkeit von Plätzen in AHS-Unterstufen. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Lernumgebungen an Wiener Mittelschulen aufgrund der Sortierung stärker homogenisiert ist im Hinblick auf die soziale Zusammensetzung als am Land. Dies belegen auch die Ergebnisse der Bildungsstandard-Testungen, wobei der durchschnittliche Leistungsunterschied zwischen AHS und MS in Wien größer ist als bundesweit, bei gleichzeitig geringeren Leistungsunterschieden innerhalb der MS (Schreiner et al. 2018).

Vor diesem Hintergrund wird in diesem Beitrag der Übergang aus Wiener MS in den Sekundarbereich II anhand von Daten des Projekts „Wege in die Zukunft“ untersucht. Im Zentrum steht die Frage nach den sozialen Herkunftseffekten beim Übertritt in eine zur Matura führende Schule und ob sich dabei Unterschiede innerhalb des urbanen Raum Wiens zeigen. Denn zwischen den Wiener Bezirken bestehen erhebliche Unterschiede in der Bildungsbeteiligung im unteren Sekundarbereich, die bisher wenig beachtet wurden.Footnote 3 Laut Schulstatistik sind in der Inneren Stadt (1. Wiener Gemeindebezirk) und in der Josefstadt (8. Bezirk) weniger als 20 % der Schüler*innen der 8. Schulstufe in MS, während in der Brigittenau (20. Bezirk) mehr als 80 % in eine MS gehen und dieser Anteil in einer Reihe von weiteren Bezirken bei rund zwei Drittel liegt (siehe Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

MS-Anteil in der 8. Schulstufe nach Wiener Bezirken (Schuljahr 2017/18). (Anteil ergibt sich aus der Zahl der Schüler*innen in Abschlussklassen an Wiener MS im Vergleich zu allen Wiener Schüler*innen der 8. Schulstufe an NMS und AHS (inkl. Schulversuch NMS-Klassen an AHS). Zuordnung zu Bezirken erfolgte nach dem Schulstandort. Quelle: Schulstatistik, STATcube – Statistische Datenbank von STATISTIK AUSTRIA)

Bildungssoziologische Verlaufsanalysen untersuchen den Einfluss der sozialen Herkunft auf Bildungsentscheidungen und den Bildungserfolg, wobei nach Boudon (1974) primäre und sekundäre Herkunftseffekte unterschieden werden können. Demnach werden als primäre Effekte sozioökonomisch bedingte Unterschiede in den kognitiven Fähigkeiten und schulischen Leistungen bezeichnet, die vorwiegend aus unterschiedlichen kulturellen Prägungen resultieren (vgl. Boudon 1974, S. 36). Leistungsunabhängige Faktoren werden dagegen als sekundäre Effekte bezeichnet. Sie ergeben sich aus gruppenspezifischen Unterschieden in den Bildungsentscheidungen bei gegebenen Leistungen. So neigen Kinder aus Familien mit hohen soziokulturellen Ressourcen zu ambitionierteren Bildungsentscheidungen als solche aus ressourcenärmeren Familien, auch wenn diese das gleiche oder ein höheres Leistungsvermögen haben. Dem Konzept der relativen Risikoaversion zufolge geht es dabei um die Vermeidung sozialer Abwärtsmobilität (Breen and Goldthorpe 1997), weswegen Bildungsentscheidungen in allen sozialen Schichten so getroffen werden, dass der soziale Status gehalten werden kann.Footnote 4 Dies führt zu sozial unterschiedlichen Risikobewertungen bei sonst gleichen schulischen Leistungen.

Im Hinblick auf den Übergang nach der Mittelschule in Wien stellt sich die Frage, ob nach dem ersten Übergang nach der Volksschule weitere sekundäre Effekte auftreten und die in der unteren Sekundarstufe bestehenden sozialen Disparitäten verschärft oder aber verringert werden, etwa durch die anhaltende Expansion des höheren Sekundarbereichs und die damit einher gehende Öffnung der Bildungswege. Befunde für deutsche Bundesländer zeigen, dass sekundäre Herkunftseffekte beim Übergang an der zweiten Schwelle ähnlich hoch sind wie bei der ersten Schwelle, die soziale Herkunft derer, die von der Realschule in die gymnasiale Oberstufe übertreten, aber im Durchschnitt niedriger ist als bei denjenigen, die schon vorher am Gymnasium waren (Trautwein et al. 2011; Baumert et al. 2018; Scharf et al. 2020). Das trägt zu einer Öffnung und sozialen Diversifizierung in der Oberstufe bei. In Österreich spielen die berufsbildenden höheren Schulen (BHS) eine wichtige Rolle, denn deren Auf- und Ausbau war und ist auch mit der Hoffnung auf eine Verminderung regionaler und sozialer Bildungsungleichheiten verbunden (Bacher 2003; Kast 2010). Inzwischen wechseln 35 % der MS-Abgänger*innen in eine BHS und 9 % in eine AHS-Oberstufe (BMBWF 2021). Blickt man auf die Vorbildung beim BHS-Eintritt wird die Bedeutung dieses Schultyps noch deutlicher, denn er rekrutiert sich zu rund zwei Drittel aus MS-Abgänger*innen (Oberwimmer et al. 2019 Indikator C1.4). Durch die BHS-Expansion haben sich die Chancen nach der MS auf die Matura erhöht. Allerdings dürften dabei überproportional die sozial bevorzugten MS-Schüler*innen in ländlichen Gebieten zum Zug kommen, denn die BHS kompensiert vorwiegend die regionalen Unterschiede im geringen AHS-Angebot in ländlichen Regionen (Oberwimmer et al. 2019 Indikator C1.5). Die soziale Ausgleichsfunktion ist weniger gut belegt und wird infrage gestellt (Kast 2010). Bacher et al. (2012) finden Hinweise auf eine teilweise soziale Kompensation, weil die familiären Herkunftseffekte beim Übergang in BHS geringer sind als in AHS.

2 Modellierung der Herkunftseffekte

Im vorliegenden Beitrag wird der Einfluss von sozialer Herkunft auf den Übergang von der MS in eine zur Matura führende Schule (allgemein- oder berufsbildende höhere Schule, ABHS) modelliert. Abb. 2 zeigt diese Beziehungen und die Dekomposition des Gesamteffektes der sozialen Herkunft in die primären und sekundären Effekte. Daraus sind die Implikationen für die Interpretation der gefundenen Effekte abzuleiten. Die primären Herkunftseffekte werden vermittelt durch die Bewertungen in den Noten und Übertrittsempfehlungen der Schule. Diese sind eine Folge der Fähigkeiten und gezeigten schulischen Leistungen, die eigentlich als vorhergehende Mediatoren den Pfad vermitteln, in den hier verwendeten Daten aber nicht verfügbar sind. Da die Noten und Übertrittsempfehlungen der Lehrkräfte auch mit der sozialen Herkunft variieren (Bittmann und Mantwill 2020; Bagheri und Schels 2023), z. B. durch unterschiedliche Erfolgserwartungen und Einschätzung elterlicher Unterstützungspotenziale, kommt es zu einer Vermischung von Leistungseffekten, die an sich meritokratisch zu interpretieren wären, mit leistungsfremden Faktoren in der Bewertung, auch als sogenannte tertiäre Herkunftseffekte bezeichnet (Esser 2021). Die sekundären Herkunftseffekte werden im Modell vermittelt durch die idealistischen Bildungsaspirationen und der damit verbundenen Motivation sowie den Möglichkeiten entsprechend der familiären Ressourcen. Das allfällig verbleibende Residuum der sozialen Herkunft wäre als „direkter Effekt“ ebenfalls dem sekundären Herkunftseffekt zuzurechnen – etwa herkunftsbedingte familiäre Erwartungshaltungen, die sich nicht in der Leistung und in der (eigenen) Aspiration widerspiegeln. Empirisch ist zu erwarten, dass nach der Kontrolle der Mediatoren nur ein geringer direkter Herkunftseffekt verbleibt, weshalb dieser Pfad in der Abbildung gebrochen dargestellt ist.

Abb. 2
figure 2

Primäre und sekundäre Herkunftseffekte im Modell der Bildungsbeteiligung. (Darstellung adaptiert nach Esser 2021)

Aufgrund der im Vergleich zur Gesamtkohorte relativen Homogenität in Wiener Mittelschulen ist im Anschluss an die theoretischen Überlegungen zunächst zu erwarten, dass die Herkunftseffekte im Vergleich zu den direkten Effekten der Leistungen und Empfehlungen bzw. der Aspirationen gering sind. Diese Erwartung entspricht dem empirischen Befund, dass der absolute Herkunftseffekt im Bildungsverlauf durch die zunehmende Homogenisierung abnimmt (Hillmert und Jacob 2005). Für das Verhältnis zwischen primären und sekundären Herkunftseffekten wird im Einklang mit bisherigen Befunden von einem etwa gleich großen Effekt ausgegangen (vgl. Scharf et al. 2020). Analog dazu wird im Hinblick auf die strukturellen Unterschiede zwischen den Wiener Bezirken erwartet, dass in Bezirken mit höherer MS-Beteiligung aufgrund der größeren Heterogenität der absolute Herkunftseffekt stärker ausgeprägt ist als in Bezirken mit geringeren MS-Anteilen. Analog zur Selektionshypothese abnehmender Herkunftseffekte im Bildungsverlauf ist davon auszugehen, dass mit zunehmender Homogenität die sekundären Effekte an Gewicht gewinnen, sich also die relative Bedeutung von primären und sekundären Effekten zwischen den Bezirken entsprechend systematisch unterscheidet (Scharf et al. 2020).

3 Daten und Identifikation der Effekte

Die Analysen basieren auf Paneldaten der ersten drei Erhebungswellen des Projekts „Wege in die Zukunft“ (Flecker et al. 2019; Reinprecht et al. 2019; Mataloni et al. 2020) des Instituts für Soziologie an der Universität Wien (Flecker et al. 2020). Grundgesamtheit sind alle Abschlussklassen (8. Schulstufe) an Wiener MS des Schuljahres 2017/18 mit mehr als 7500 Schüler*innen. In der ersten Welle realisiert wurden 2850 Online-Interviews. Übergangsinformationen aus der zweiten und dritten Erhebungswelle, die jeweils im Jahresabstand durchgeführt wurden, liegen für insgesamt 961 Jugendliche vor, wovon 54 % in eine zur Matura führende Schule (AHS oder BHS) übergetreten sind.Footnote 5 Das finale Analysesample besteht abzüglich der fehlenden Werte in den Variablen Elternbildung und Migrationshintergrund aus n = 901 Fällen. Im Vergleich zur Ausgangsstichprobe der ersten Welle liegt eine Selektivität in den Ausfällen der Folgewellen vor (vgl. deskriptive Statistiken in Tab. S5 und S6 im Supplement), wobei jene mit schlechteren Noten und Empfehlungen sowie geringeren Aspirationen weniger gut erreicht wurden. Im Hinblick auf die Elternbildung, Geschlecht sowie Migrationshintergrund gibt es hingegen kaum Unterschiede.

Die abhängige Variable ist der binär kodierte Übertritt nach der MS, die den Wert 1 annimmt, wenn der weitere Schulbesuch eine ABHS war, und sonst 0 (anderer Schultyp oder kein Schulbesuch).

Die unabhängige Variable der sozialen Herkunft wird über die höchste abgeschlossene Bildung der Eltern ebenfalls als Dummy-Variable operationalisiert, deren Wert 1 ist, wenn zumindest ein Elternteil Matura hat, sonst 0.

Für die Mediation der primären Effekte wird der Durchschnitt der Schulnoten in den Hauptfächern der MS als Indikator für die Leistung mit einer Skala von 1 bis 7 herangezogen (1 bis 4 sind die Noten „sehr gut“ bis „genügend“ in der vertieften und 5 bis 7 die Noten „befriedigend“ bis „nicht genügend“ in der grundlegenden Allgemeinbildung). Die Skala wird für die Analysen umgepolt (bessere Noten haben höhere Werte) und standardisiert. Die Übertrittsempfehlung der Lehrkräfte ist eine Dummy-Variable mit dem Wert 1, wenn die Frage „Meine Lehrer und Lehrerinnen wollen, dass ich eine weiterführende Schule mache“ mit „stimme zu“ oder „stimme eher zu“ beantwortet wurde.

Die Mediation der sekundären Effekte verläuft durch die Bildungsaspiration, die als Dummy den Wert 1 annimmt, wenn die Frage „Wenn du es dir aussuchen könntest, was würdest du am liebsten nach deiner jetzigen Schule machen?“ entweder mit „AHS“ oder „BHS“ beantwortet wurde.

Als Kontrollvariablen wurden jeweils Geschlecht, Migrationshintergrund (keiner, 1. Generation, 2. Generation) sowie das Alter der Jugendlichen berücksichtigt.

Die Identifikation der Effekte erfolgt durch die Spezifikation von zwei logistischen Regressionsmodellen. Im reduzierten Modell wird der Gesamteffekt der sozialen Herkunft ohne die Mediator-Variablen ermittelt, während diese im vollen Modell zusätzlich berücksichtigt werden (jeweils mit den Kontrollvariablen). Der Vergleich der Koeffizienten zwischen den beiden Modellen sowie ihre Zerlegung in direkte und indirekte Effekte erfolgt anhand der KHB-Methode (Karlson et al. 2012). Dabei wird durch die Korrektur der Residualvarianz das reduzierte Modell auf das gleiche Messniveau wie das volle Modell gebracht und so werden die Koeffizienten vergleichbar. Zur besseren Interpretierbarkeit werden die durchschnittlichen marginalen Effekte der jeweiligen Größen berechnet. So kann der Effekt einer Variablen oder eines Konstrukts als die durchschnittliche Differenz in der Übertrittswahrscheinlichkeit in Prozentpunkten interpretiert werden. Für die Berechnungen wurden die Pakete khb (Studer und Karlson 2022) und margins (Leeper 2021) in der Software R genutzt.

4 Ergebnisse

Die Effektzerlegung zeigt, dass der Großteil des gesamten sozialen Herkunftseffektes auf den Übertritt in eine zur Matura führende Schule vermittelt durch die im Modell spezifizierten Mediatoren wirkt, etwa zu gleichen Teilen als primärer Leistungseffekt durch die Noten und Empfehlungen bzw. als sekundärer Effekt vermittelt durch die Aspiration (Tab. 1, letzte Spalte). Einschließlich des verbleibenden Residualeffektes der sozialen Herkunft macht der sekundäre Herkunftseffekt 63 % des gesamten Herkunftseffektes aus. Das entspricht den Ergebnissen des IQS auf Basis der Bildungsstandard-Überprüfung für alle 8. Schulstufen in Österreich (BMBWF 2021 Indikator C2.2). Der durchschnittliche marginale Gesamteffekt der sozialen Herkunft beträgt 14 Prozentpunkte (PP): um so viel ist die Wahrscheinlichkeit eines ABHS-Besuchs bei Jugendlichen, deren Eltern Matura haben, höher als bei anderen Jugendlichen. Im Vergleich dazu sind die Effekte der Mediatoren stärker, denn eine um 2 Standardabweichungen bessere Durchschnittsnote (das entspricht einer besseren Note um knapp 2,5 auf der Skala von 1 bis 7) geht mit einer rund 30 PP höheren Chance auf einen ABHS-Übertritt einher; mit ABHS-Aspirationen sind die Chancen um 29 PP höher (siehe marginale Effekte in Tabelle S4 im Supplement).

Tab. 1 Zerlegung des sozialen Herkunftseffektes und marginale Effekte

Um zu überprüfen, ob die unterschiedliche MS- bzw. AHS-Angebotsstruktur der Wiener Bezirken mit den sozialen Herkunftseffekten beim Übergang nach der MS zusammenhängt, wurden die Modelle auf Subsamples ausgewählter Bezirke angewendet. In Tab. 2 ist die Verteilung der indirekten Herkunftseffekte für die unterschiedlichen Bezirksgruppen sowie der absolute Herkunftseffekt (marginaler Gesamteffekt) aufgelistet (detaillierte Ergebnisse in Tabellen S1 bis S3 im Supplement). Entgegen der Annahme unterscheidet sich der absolute Herkunftseffekt nur minimal und beträgt in Bezirken mit hohem MS-Anteil ebenso 14 PP wie im Schnitt aller Bezirke und in Bezirken mit sehr niedrigem MS-Anteil. Die Verteilung zwischen primären und sekundären Herkunftseffekten unterscheidet sich dagegen deutlicher zwischen den Bezirksgruppen. In Bezirken mit hohem MS-Anteil und damit mit vergleichsweise vielen MS-Schüler*innen hat der primäre Herkunftseffekt ein höheres Gewicht als insgesamt und insbesondere in Bezirken mit geringem MS-Anteil, wo der sekundäre Herkunftseffekt den primären überwiegt. Dieser Befund ist im Einklang mit der theoretischen Erwartung und bedeutet, dass der Übertritt in eine ABHS in Bezirken mit hohem MS-Anteil eher von leistungsabhängigen Faktoren bestimmt wird.

Tab. 2 Verteilung der Herkunftseffekte und marginaler Gesamteffekt nach MS-Anteil in Bezirk

Diese Einschätzung spiegelt sich auch in den direkten Effekten der Mediatoren auf den Übergang wider. In Bezirken mit hohem MS-Anteil ist der direkte Effekt der Noten tendenziell höher (33 PP) als im Durchschnitt aller Mittelschulen Wiens und der Effekt der Aspirationen ist etwas niedriger (28 PP), während dies in Bezirken mit geringem MS-Anteil umgekehrt ist: hier schwächt sich der direkte Noteneffekt tendenziell ab (25 PP) und der Effekt der Aspirationen ist mit 36 PP höher (siehe Tabelle S4 im Supplement). Ebenso die primären und sekundären Herkunftseffekte, die in ganz Wien wie schon gezeigt ausgeglichen sind und jeweils knapp 6 PP betragen, ist in Bezirken mit hohem MS-Anteil der primäre Effekt fast doppelt so hoch wie der sekundäre Effekt (8 PP vs. 4 PP), während dieses Verhältnis in Bezirken mit niedrigem MS-Anteilen umgekehrt ist (3 PP vs. 6 PP).

5 Diskussion

In dieser Forschungsnotiz wurden die primären und sekundären Herkunftseffekte beim Übergang nach der MS auf eine zur Matura führende Schule in Wien untersucht. Die Ergebnisse legen die Schlussfolgerung nahe, dass die Entscheidung über den weiteren Bildungsverlauf nach der MS überwiegend von leistungsunabhängigen sekundären Herkunftsfaktoren geprägt ist. Denn der soziale Herkunftseffekt wird mehr durch Bildungsaspirationen und andere leistungsunabhängige Faktoren vermittelt als durch die Schulnoten und Übertrittsempfehlungen, die in der vorliegenden Studie für Schulleistungen stehen. Das auch innerhalb von Wien zwischen den Bezirken sehr unterschiedliche Schulangebot scheint strukturell auf die Gewichtung der sozialen Herkunftseffekte zu wirken. In Bezirken mit niedrigen MS-Anteil überwiegen aufgrund der größeren Homogenität die leistungsunabhängigen sekundären Effekte noch mehr. Dagegen ist in Bezirken mit einem hohen MS-Anteil die Übertrittsentscheidung eher von schulischen Leistungsfaktoren geprägt, was eher dem meritokratischen Ideal leistungsgerechter Bildungsentscheidungen entspricht, als wenn der Einfluss der Herkunftsfamilie unabhängig von der Leistung einen größeren Effekt hat. Einschränkend ist festzuhalten, dass Noten und Empfehlungen die Leistung nicht unverzerrt wiedergeben, sondern auch von anderen Faktoren wie Motivation und Aspiration sowie der sozialen Herkunft abhängen (Bittmann und Mantwill 2020). Dadurch kommt es zu einer Vermischung von primären und sekundären Effekten, die allerdings nur dann die Interpretation der Bezirksunterschiede beeinflussen, wenn Notengebungen und Empfehlungen systematisch zwischen den Bezirken variieren würden. Da dies nicht wahrscheinlich ist, verdient der bisher noch nicht beachtete Zusammenhang zwischen kleinräumiger Schulstruktur und Herkunftseffekten in Bildungsentscheidungen m. E. weitere Untersuchungen, auch weil die Ergebnisse aufgrund der geringen Fallzahlen in einigen Bezirken (insbesondere in jenen mit geringen MS-Anteilen) mit statistischer Unsicherheit verbunden sind und daher nur eingeschränkt belastbar sind. Hier würde sich anbieten, ähnlich gelagerte Untersuchungen auf Basis von Registerdaten für ganz Österreich durchzuführen. Auf Basis einer solchen Datengrundlage könnte etwa auch untersucht werden, ob die BHS zusätzlich zum regionalen Ausgleich auch zur Reduktion des sekundären Herkunftseffektes und damit sowohl zur Verringerung der sozialen Disparitäten als auch zur Erhöhung der Leistungsgerechtigkeit beitragen.