1 Einleitung

Im Fokus dieses Artikels stehen zwei Dimensionen von Bildungsungleichheit, die miteinander in Zusammenhang stehen: soziale sowie regionale Ungleichheit. Die soziale Schicht bleibt für Österreich ein wesentlicher Einflussfaktor auf die Bildungsentscheidungen eines Kindes. Insbesondere der Bildungsgrad der Eltern, aber auch der sozioökonomische Status der Familie spielen, unabhängig von den schulischen Leistungen der Schüler*innen, eine wesentliche Rolle bei der Wahl der Schulform (für eine Übersicht siehe Mayrhofer et al. 2019, S. 146 f.; Wimmer und Oberwimmer 2021, S. 261 ff.).

Während die Dimension der sozialen Bildungsungleichheiten seit der ersten PISA-Studie 2000 in sehr vielen Studien ausgeleuchtet wurde (für Österreich siehe Bacher 2003; Bruneforth et al. 2016; Bacher und Moosbrugger 2019; BMBWF 2021), ist der Forschungskorpus zur regionalen Dimension überschaubar (für eine Übersicht siehe Zehetner et al. 2022).

Bildungspolitik und Wissenschaft scheinen dabei von der Hoffnung getragen, durch die in den 1960er-Jahren forcierte Bildungsexpansion sei es zu einem Verschwinden regionaler Ungleichheiten gekommen (vgl. Ditton 2007, S. 22). Die umfangreiche internationale Forschung zu „rural“ und „urban education“ und den damit jeweils verbundenen Herausforderungen und Charakteristika (vgl. z. B. Tieken und Auldridge-Reveles 2019; Pink und Noblit 2017; Kvalsund und Hargreaves 2009) fand und findet wohl auch vor diesem Hintergrund in der deutschsprachigen Forschung kaum Widerhall (vgl. kritisch Lassnigg 2017, S. 1307 f.). Dabei wurde von den verfügbaren Studien ab den 2000er-Jahren widerlegt, dass Region keine Rolle (mehr) spiele: Obgleich die Bildungsbeteiligung insgesamt seit den 1960er-Jahren stark gestiegen ist, zeigt sich eine Persistenz der regionalen Ungleichheiten sowohl in Deutschland als auch in Österreich (vgl. Sixt et al. 2019, S. 136; Berkemeyer und Meißner 2017, S. 235 f.; Weishaupt 2009, S. 219; Ditton 2008, S. 641 f.; Bacher 2006, S. 56; Faßmann 2002, S. 36). Die Ursachen dafür sind in einem Zusammenspiel der regionalen Differenzen der Angebotslage, der subjektiven Deutung der Bildungsgelegenheiten sowie der milieuspezifisch unterschiedlichen Orientierungen zu finden.

Wesentliche Forschungsbemühungen in diesem Kontext liegen in der Analyse der Faktoren, die zur Reproduktion von Bildungsungleichheiten führen. Ein bedeutendes Konzept ist hierbei jenes der Bildungsaspirationen. Diese spiegeln die Ziele von Kindern und Jugendlichen bzw. deren Eltern wider und werden von Forscher*innen als mögliches verbindendes Element zwischen dem sozialen Hintergrund und den realisierten Bildungsabschlüssen diskutiert (vgl. Stocké 2005). Sind tatsächliche Ungleichheiten in den Bildungsentscheidungen in regionaler Perspektive schon ein wenig beleuchteter Gegenstand, so gibt es kaum Studien im deutschsprachigen Raum, die sich der regional unterschiedlichen Verteilung von Bildungsaspirationen zuwenden.Footnote 1 Wir gehen in diesem Aufsatz daher der Frage nach, ob es eine regional unterschiedliche Verteilung von Bildungsaspirationen gibt und ob diese Unterschiede gegebenenfalls durch regional ungleich verteilte soziale Einflussfaktoren entstehen, oder ob es davon unabhängige regionale Einflüsse gibt.

Als Datengrundlage für die vorliegende Analyse dient die Jugendstudie „Lebenswelten 2020“, die eine für Österreich repräsentative Stichprobe der Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 8 bis 10 bereitstellt. Als Indikator für Region dient in dieser Studie die subjektive Einschätzung, wie ländlich oder städtisch die Gegend wahrgenommen wird, in der die Schüler*innen wohnen. Regionale Unterschiede werden daher in diesem Aufsatz als Unterschiede zwischen ländlichen und städtischen Regionen gefasst, allerdings nicht im Sinne von objektiver Siedlungsdichte, sondern in Form subjektiver Wahrnehmungen.

Im Aufsatz wird zunächst das Konzept der Bildungsaspiration kurz erläutert (Abschn. 2.1), bevor auf die Forschungslage zu regionalen Bildungsungleichheiten im deutschsprachigen Raum Bezug genommen wird (Abschn. 2.2)Footnote 2 Darauf aufbauend werden die Forschungsfragen präzisiert und Hypothesen formuliert (Abschn. 2.3). Nach einer Darstellung der Stichprobe sowie der verwendeten Variablen und der Analysestrategie in Abschn. 3 werden die uni-, bi- und multivariaten Ergebnisse dargestellt und diskutiert (Abschn. 4), wobei auch auf Limitationen der Studie hingewiesen wird (Abschn. 5). Eine Zusammenfassung (Abschn. 6) schließt den Beitrag ab.

2 Theoretische Vorüberlegungen

2.1 Bildungsaspirationen

Das Konzept der Bildungsaspirationen wird in Bildungssoziologie und -forschung als mögliches erklärendes Bindeglied zwischen der sozialen Herkunft eines Kindes und seinen Bildungsentscheidungen begriffen (vgl. Stocké 2005). Der Begriff, der seine Ursprünge in der Sozialpsychologie hat, wird uneinheitlich und von verschiedenen Theorierichtungen jeweils anders verwendet (für eine Übersicht siehe Klapproth 2022). In vielen Studien werden die elterlichen Bildungsaspirationen fokussiert, die einen engen Zusammenhang zu jenen der Kinder aufweisen und als beeinflussend angesehen werden (vgl. Stamm 2005, S. 281; Meulemann 1979, S. 391). Gut belegt ist in diesem Kontext der Zusammenhang zwischen der sozioökonomischen Stellung der Eltern und den Bildungsaspirationen von Eltern und Kindern, wobei Eltern aus privilegierten Verhältnissen zumeist höhere Bildungsaspirationen aufweisen als sozial schlechter gestellte Eltern (vgl. Paulus und Blossfeld 2007; Ditton et al. 2005). Es gibt jedoch auch Studien, die zu gegenteiligen Befunden kommen, wobei hier insbesondere idealistische Aspirationen (Hoffnungen und Wünsche bzw. normative Erwartungen) bei Eltern aus niedrigeren sozialen Schichten höher liegen. Diese können dann auch mit dem Leistungsniveau der Kinder in Konflikt stehen und in weiterer Folge zu Frustrationserlebnissen der Kinder führen (Klapproth 2022, S. 453 f.). Gerade für Kinder aus niedrigen sozialen Schichten konnte gezeigt werden, dass diese mitunter ihre hohen Aspirationen trotz gegenteiliger schulischer Rückmeldung in Form von Noten aufrechterhalten, was als Aspirations-Leistungs-Paradox bezeichnet wird. Eine ähnliche Diskrepanz kann auf der anderen Seite auch bei Eltern aus hohen Sozialschichten beobachtet werden, die auch entgegen den Empfehlungen von Lehrpersonen an ihren hohen Aspirationen festhalten, was sich folglich auch in generell höheren Bildungsabschlüssen der Gruppe niederschlägt (Becker 2010, S. 465 f.; Merkens und Wessels 2002; Ditton und Krüsken 2006, S. 365). Vor diesem Hintergrund wurde darauf hingewiesen, dass die verschiedenen beeinflussenden Faktoren von Bildungsaspirationen als intersektional anzusehen sind (vgl. Grant 2017, S. 291; Gottburgsen und Gross 2012). Einen weiteren zentralen Faktor, der hinsichtlich seiner Verflechtungen mit anderen Ungleichheitsdimensionen mitbedacht werden muss, stellt auch in Hinblick auf Bildungsaspirationen der Migrationshintergrund dar. Schüler*innen mit Migrationshintergrund zeigen hohe Aspirationen, die in vielen Studien über dem Niveau der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund liegen (für einen Überblick siehe Becker und Gresch 2016). Dabei sind insbesondere idealistische Aspirationen stark ausgeprägt (Astleithner et al. 2021). Da diese Gruppe gesamt jedoch schlechtere Leistungen erzielt, münden insgesamt leicht unterdurchschnittlich viele Kinder mit Migrationshintergrund in maturaführende Schulen ein (Bruneforth et al. 2012, S. 200; Wimmer und Oberwimmer 2021, S. 261). Auch in dieser Gruppe gibt es somit eine Diskrepanz zwischen Aspirationen und schulischen Leistungen (vgl. Astleithner et al. 2021, S. 237).

Um zu erklären, wie sich soziale Unterschiede vermittelt durch Bildungsaspirationen in Bildungsentscheidungen übersetzen, ziehen verschiedene Theoriestränge unterschiedliche Argumente heran: Basierend auf dem Rational-Choice-Paradigma diskutieren verschiedene Autor*innen Bildungsaspirationen – ähnlich wie tatsächliche Bildungsentscheidungen – als Resultat einer Kosten-Nutzen-Rechnung, wobei von rationalen Akteur*innen ausgegangen wird, die die Bildungserträge einer gewählten Schulform einschätzen können, dazugehörige Kosten wahrnehmen und die Realisierungswahrscheinlichkeit eines gewählten Weges einschätzen können (vgl. Breen und Goldthorpe 1997; Esser 1999). Nach Boudons stark rezipierter Theorie der Herkunftseffekte kann Bildungsaspiration als zentraler Mediator der sekundären Effekte begriffen werden (vgl. Gresch 2012, S. 75). Primäre Herkunftseffekte im Verständnis von Boudon bezeichnen Unterschiede in den Schulleistungen, die aus klassenspezifisch unterschiedlichen Ressourcen resultieren: Schüler*innen aus höheren sozialen Schichten zeichnen sich im Vergleich zu Schüler*innen aus niedrigeren sozialen Schichten durch einen höheren Bildungserwerb aus. Hinzu kommen sekundäre Herkunftseffekte, die in Form von Bildungsentscheidungen relevant werden und ebenfalls von der sozialen Schichtzugehörigkeit abhängen. Mit diesen sekundären Effekten kann erklärt werden, wieso Schüler*innen bei gleicher Leistung unterschiedliche, von ihrer sozialen Schicht abhängige Bildungswege einschlagen. Vor dem Hintergrund ihrer Schichtzugehörigkeit unterscheiden sich Akteur*innen Boudon zufolge darin, welchen Wert sie schulischer Bildung beimessen, welche Erfolgswahrscheinlichkeiten sie bestimmten Bildungsgängen zuschreiben sowie welche allgemeinen Kosten- und Nutzenabwägungen von unterschiedlichen Bildungsoptionen sie vornehmen (vgl. Boudon 1974).

Im Rahmen von Ansätzen, die Verhalten stattdessen von schichtspezifischen Normen und Werten geprägt sehen, werden Bildungsaspirationen auf andere Weise als vermittelte Größe interpretiert (vgl. Bittlingmayer und Bauer 2007, S. 163). Bildungsentscheidungen werden in dieser Sichtweise auf weitgehend unbewusste schicht- und klassenspezifische Aspirationen zurückgeführt (Gambetta 1996, S. 153 ff.), womit diese Ansätze in der Tradition der Kapitalien- und Habitustheorie von Bourdieu und Passeron stehen. Bourdieu zufolge erwachsen klassenspezifische Einstellungs‑, Denk- und Verhaltensmuster im Rahmen der familialen Sozialisation und sind an die soziale Position geknüpft. Es sind nicht rational getroffene Bildungsentscheidungen, die das Bildungsverhalten erklären können, sondern vielmehr im Zuge der Sozialisation geprägte Orientierungen (vgl. Bourdieu und Passeron 1971). In weiterer Folge sind diese vorgeprägten Aspirationen nur dort umsetzbar, wo genügend Ressourcen in Form von ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital vorhanden sind, wobei insbesondere dem kulturellen Kapital beim schulischen Erfolg eine wesentliche Rolle zukommt (Ecarius und Wahl 2009, S. 27; Helsper 2006, S. 168).

2.2 Bildungsungleichheiten im regionalen Kontext: Bildungsangebot, Bildungsbeteiligung und Bildungsaspirationen

Bei der Analyse regionaler Bildungsungleichheiten wendet sich der Blick der Forschung insbesondere auf die Angebotslage und die damit verbundene Bildungsbeteiligung an unterschiedlichen Schulformen, die als Indikator für Ungleichheit zu betrachten ist. In der Angebotslage zeigen sich für Österreich und Deutschland eklatante Unterschiede, vor allem in Hinblick auf die Verfügbarkeit von zu Matura beziehungsweise Abitur führenden Schularten (Kemper und Weishaupt 2011; Ditton 2008) bzw. was die Länge von Schulwegen betrifft, die häufig in ländlichen Regionen länger ausfallen (Daniel et al. 2019, S. 135 f.; Sixt 2018, S. 90). Während es in Österreich eine breite Verteilung der Primarschulen gibt – so leben nur 2 % der Bevölkerung in Gemeinden, in denen es keine eigene Primarschule gibt – zeigen sich stärkere regionale Unterschiede im Bereich der höheren Schulen. Lediglich 44 % der Bevölkerung leben in Gemeinden mit einer voll ausgebauten Schulstruktur, die neben den Pflichtschulen auch maturaführende Schulen – allgemeinbildende höhere Schule (AHS) und/oder berufsbildende höhere Schule (BHS) – bereitstellt (Lassnigg et al. 2019, S. 69 f.). In den ländlichen Gebieten überwiegen in der Angebotsstruktur Volks- und Mittelschulen (ehemals Hauptschulen), während es in den städtischen Gebieten ein vielfältiges Angebot an höherbildenden Schulen gibt (Lassnigg 2017, S. 1315–1317). Verschiedene Studien zeigen, dass die Besuchsquote maturaführender Schulen in jenen Gemeinden deutlich höher ist, die über ein derartiges Angebot verfügen, als in den umliegenden Gemeinden (zusammenfassend Weishaupt 2009, S. 219; Sixt 2013, S. 459; Fickermann et al. 2002, S. 42). Dabei analysieren Sixt und Aßmann (2020) anhand aktueller Daten für Deutschland, dass der Einfluss des regional verfügbaren Schulangebots und der Distanzen auch nach Kontrolle anderer Einflussvariablen wie etwa des individuellen Leistungsniveaus von Bedeutung für die Schulwahl bleibt.

Für Österreich sind große Unterschiede zwischen den Bezirken nachweisbar, wobei entscheidend ist, ob eine Unterstufe der AHS angeboten wird. So zeigen Daten der Volkszählung 2001 eine hohe Bandbreite der Übertrittsraten: zwischen weniger als 4 % etwa in Deutschlandsberg oder Hermagor bis hin zu etwa 80 % in einigen Wiener Bezirken (Kast 2006, S. 255; ähnlich auch Faßmann 2002, S. 35–39). Laut Bildungsbericht 2018 (Mayrhofer et al. 2019) geht in großen Orten ab 100.000 Einwohner*innen knapp jede*r zweiter*r Schüler*in eine AHS-Unterstufe, während es in kleineren Orten bis 20.000 Einwohner*innen lediglich 27 % sind. Dies führt dazu, dass die Mittelschulen in schwach besiedelten Gebieten eine deutlich heterogenere Schülerschaft aufweisen als in den Städten, in denen eine starke Entmischung stattfindet. Ein Indikator hierfür ist die Leistungsheterogenität innerhalb von Schulen, die in Mittelschulen in dünn besiedelten Gebieten hoch und in städtischen Gebieten niedrig ist, während der Effekt sich an den AHS umkehrt: Hier ist die Leistungsspanne in den städtischen AHS höher als in den ländlichen. Die Mittelschulen im ländlichen Raum, die häufig die einzige einfach zu erreichende Schulart auf Ebene der Sekundarstufe I darstellen, sind somit sozial durchmischt und werden auch von leistungsstarken Schüler*innen besucht, während die städtischen Mittelschulen eher von benachteiligten Schüler*innen gewählt werden (Mayrhofer et al. 2019, S. 152 f.; Lassnigg 2017, S. 1308). Hier zeigen sich auch Segregationseffekte bezüglich der Aufteilung der Schüler*innen gemäß Merkmalen wie Sozialstatus, Erstsprache und Migrationshintergrund, die vor allem im urbanen Umfeld auf Ebene der Sekundarstufe I stark ausfallen (Lassnigg et al. 2019, S. 114–116; Biedermann et al. 2016, S. 105–151).

Auf Ebene der Sekundarstufe II zeigt sich in Österreich ein ausgleichender Effekt der BHS. Zwar sind Unterschiede in den Schulbesuchsquoten weiterhin vorhanden, allerdings sind diese stark abgeschwächt, da die BHS die Lücke im Angebot füllen. Auch in kleinen Orten unter 20.000 Einwohner*innen besuchen 55 % der Schüler*innen maturaführende Schulen (in Orten ab 100.000 Einwohner*innen: 65 %, in Wien: 70 %). Allerdings zeigt sich ein ausgeprägter Geschlechtseffekt. So liegt die Quote der Mädchen, die eine maturaführende Schule besuchen, in kleinen Orten bei 63 % und jene der Burschen bei 45 %. Zwar sind Mädchen auch in größeren Orten und Städten häufiger in der Sekundarstufe vertreten als Burschen, die Unterschiede sind jedoch deutlich geringer ausgeprägt (Mayrhofer et al. 2019, S. 137). Umgekehrt entscheiden sich Burschen österreichweit häufiger für eine Lehrausbildung als Mädchen, wobei dieser Unterschied wiederum in kleinen Orten am stärksten ausfällt.

Auch der Migrationshintergrund führt in Österreich zu Benachteiligungen im Bereich der Bildung, wobei sich auch hier regionale Unterschiede zeigen. So weisen in dünn besiedelten, ländlichen Gebieten 6 % der Kinder einen Migrationshintergrund auf (beide Eltern sind nicht in Österreich geboren) und ebenfalls 6 % haben eine nichtdeutsche Erstsprache, während in dicht besiedelten, städtischen Gebieten 41 % einen Migrationshintergrund haben (in Wien: 45 %) und 38 % nicht Deutsch als Erstsprache sprechen (in Wien: 42 %) (Oberwimmer et al. 2019a, S. 44–45). Weiterführende Analysen zeigen, dass der Anteil an Schüler*innen, die eine Kumulation von Risikofaktoren aufweisen (Eltern mit maximal Pflichtschulabschluss, niedriger Berufsstatus der Eltern und nichtdeutsche Erstsprache), mit der Größe der Region zusammenhängt. So finden sich in kleinen Orten unter 20.000 Einwohner*innen durchschnittlich 2,2 % Schüler*innen mit mindestens zwei Risikofaktoren. Dieser Anteil steigt mit steigender Wohnortgröße sukzessive an und erreicht mit 12 % Schüler*innen mit mindestens zwei Risikofaktoren in Wien seinen Höhepunkt (Oberwimmer et al. 2019a, S. 46; Wimmer und Oberwimmer 2021, S. 177 f.).

Parallel zu den beschriebenen regionalen Unterschieden im Bildungsangebot und in der Bildungsbeteiligung lassen sich auch in Bezug auf Bildungsaspirationen in Österreich deutliche Disparitäten ausmachen. Im Zuge der Bildungsstandard-Überprüfung wurden dazu Daten erhoben, die deutliche Unterschiede nach Urbanisierungsgrad aufweisen (Oberwimmer et al. 2019b, S. 202): Österreichweit äußern 56 % der befragten Schüler*innen der vierten Klasse Volksschule in dicht besiedelten, überwiegend städtischen Gebieten den Wunsch, ins Gymnasium überzutreten; in „mittel“ besiedelten Gebieten sind es 41 %; in „dünn“ besiedelten schließlich nur noch 26 %. Gleichzeitig lassen sich aber durchaus deutliche Unterschiede je nach Bundesland ausmachen, wobei sich ein gewisses Ost-West-Gefälle zeigt: Vor allem in Tirol, aber auch in Vorarlberg und in Oberösterreich haben Jugendliche durchgehend deutlich seltener den Wunsch, ins Gymnasium überzutretenFootnote 3 – sowohl in dichter als auch in weniger dicht besiedelten Gebieten (so sind es z. B. in Tirol auch in urbanen Gebieten nur 50 %). – Auch in Bezug auf die Aspirationen für die Sekundarstufe II zeigen sich ähnliche Zusammenhänge: Der Wunsch, eine Berufsschule, polytechnische Schule oder berufsbildende mittlere Schule zu besuchen (im Gegensatz zu maturaführenden Schulen), wird von Schüler*innen der 8. Schulstufe aus dünn besiedelten Regionen generell häufiger geäußert. Auch in den genannten westlichen Bundesländern finden sich diese Aspirationen insgesamt überdurchschnittlich häufig (vgl. ebd., S. 203).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass regionale Disparitäten verschiedene Aspekte betreffen: schulische Angebotsstruktur, Bevölkerungsstruktur und damit verbundene Risikofaktoren, aber auch die Nutzung schulischer Angebote bzw. Schulbesuchsquoten. Letztere hängen mit Bildungsaspirationen zusammen, die als vorgelagerter Faktor Bildungsentscheidungen und Bildungswege beeinflussen. Hier zeigt sich in räumlicher Perspektive, dass Kinder in Regionen mit geringer Siedlungsdichte geringere Aspirationen aufweisen (Ditton 2007; Oberwimmer et al. 2019b), wobei insbesondere die Wegzeiten, die in ländlichen Räumen weit länger ausfallen, einen großen Einfluss auf die tatsächliche Wahl einer Bildungseinrichtung haben (Sixt 2013; Terpoorten 2007). Die subjektive Einschätzung der Wegzeiten wiederum kann aber mit der sozialen Schicht zusammenhängen. So konnte in verschiedenen Studien gezeigt werden, dass sozial Benachteiligte, aber auch Migrant*innen häufiger die nächstgelegene Schule wählen (Kemper und Weishaupt 2011, S. 214). Auch für Österreich können Schlögl und Lachmayr (2004, S. 73) zeigen, dass pragmatische Gründe für die Wahl einer Schule, wie unter anderem auch die Länge der Wegstrecke, mit der sozialen Schicht korrelieren. Welche Entscheidungskriterien für Eltern ausschlaggebend sind, kann in einer Studie von Clausen (2006) gut nachgezeichnet werden. So differenziert er zwischen einem Entscheidungstyp, bei dem das Schulprofil einer Schule im Vordergrund steht, während beim anderen Typ der Schulweg als ausschlaggebend betrachtet wird. Je nach Bildungshintergrund wird unterschiedlich auf diese Entscheidungstypen Bezug genommen. Für Personen mit hohem Bildungshintergrund ist eher der Faktor „Schulprofil“ entscheidend, während für Personen mit einem niedrigen Bildungshintergrund vor allem die Nähe zum Wohnort entscheidend ist. Taylor (2002, S. 145 ff.) zeigt zwar umgekehrt in einer Befragung von Eltern in England und Wales, dass die Gruppe jener Eltern, die ihre Schulwahl nicht von der Länge des Schulwegs (in Bezug auf Zeit und auf Distanz) beeinflusst sehen, eher geringere Bildung aufweisen und häufiger in Sozialwohnungen leben. Der Effekt werde aber dadurch relativiert, dass Eltern aus sozioökonomisch schlechter gestellten Familien gleichzeitig eingeschränktere Möglichkeiten angeben, auch tatsächlich größere Distanzen beim Weg in die Schule zu überwinden, da sie die Kinder etwa seltener mit dem Auto in die Schule bringen können. Andere Studien wiederum legen nahe, dass die Akzeptanz für längere Schulwege eher von der direkten Wohnumgebung abhängt: Vor allem sozioökonomisch höhergestellte Familien, die in vergleichsweise ressourcenarmen Sozialräumen leben, meiden demnach das dortige Schulangebot und nehmen dafür u. a. auch längere Schulwege in Kauf, während Familien mit niedrigerem Bildungsniveau vor allem dann, wenn sie in privilegierten Stadtteilen leben, eher lokale Schulen wählen (vgl. Jurczok 2019, S. 167 f.; Jurczok und Lauterbach 2014, S. 148 f.).

2.3 Fragestellung und Hypothesen

Ziel des Beitrags ist die Untersuchung der Bildungsaspirationen Jugendlicher in Österreich im Kontext sozialer und regionaler Einflüsse anhand einer aktuellen sowie repräsentativen Datengrundlage. Wir gehen der Frage nach, welche Bildungsabschlüsse die Jugendlichen selbst anstreben und welche Rolle dabei Merkmale der Herkunftsfamilie sowie der Wohnregion spielen. Als Einflussdimensionen sozialer Ungleichheit werden – neben der Wohnregion – der sozioökonomische Hintergrund der Herkunftsfamilie, der Bildungshintergrund der Eltern sowie die ErstspracheFootnote 4 der Jugendlichen herangezogen. In der Bildungsforschung dient die Erstsprache mehrsprachiger Schüler*innen als Indikator dafür, dass Mängel in der Beherrschung der Unterrichtssprache Deutsch bestehen (vgl. Bruneforth et al. 2012, S. 197) und stellt somit einen weiteren Risikofaktor für Benachteiligungen im österreichischen Schulsystem dar (vgl. Oberwimmer et al. 2019a, S. 44).Footnote 5 Da keine direkte Messung für die Beherrschung der Unterrichtssprache vorliegt, wird die Antwortoption „eine andere Erstsprache als Deutsch“ als Annäherung verwendet. In einem ersten Schritt soll untersucht werden, wie sich die Ungleichheitsdimensionen in den verschieden Wohnregionen verteilen. In einem zweiten Schritt analysieren wir die Zusammenhänge der einzelnen Ungleichheitsdimension mit den Bildungsaspirationen. Die Forschungsfragen lauten somit:

  • Wie sind die sozialen Hintergründe der Jugendlichen regional verteilt?

  • Wie beeinflussen die verschiedenen Dimensionen sozialer Ungleichheit sowie die Wohnregion die Bildungsaspirationen der Jugendlichen?

Vor dem Hintergrund bisheriger Befunde gehen wir davon aus, dass höhere Bildungsaspirationen mit einem höheren soziökonomischen Status der Herkunftsfamilien (Hypothese 1) sowie einem höheren Bildungshintergrund der Eltern (Hypothese 2) verbunden sind. Weiters gehen wir davon aus, dass Jugendliche mit nichtdeutscher Erstsprache eher höhere Bildungsabschlüsse anstreben als Jugendliche mit Deutsch als Erstsprache (Hypothese 3). Im regionalen Kontext gehen wir davon aus, dass höhere Bildungsaspirationen eher in städtischen Wohnregionen zu beobachten sind (Hypothese 4). Bei einer detaillierteren Betrachtung einzelner Bildungsaspirationen erwarten wir, dass Jugendliche in ländlichen Regionen häufiger einen Lehrabschluss anstreben als in städtischen Regionen (Hypothese 5), während Hochschulabschlüsse häufiger in städtischen Regionen angestrebt werden als in ländlichen (Hypothese 6).

Insbesondere ist von Interesse, ob die regionalen Unterschiede in den Bildungsaspirationen lediglich auf die ungleiche Verteilung der sozialen Einflussfaktoren zurückzuführen sind, oder ob unabhängig davon Effekte der Wohnregion bestehen. Dies würde dafür sprechen, dass neben schulischer Leistung und sozialer Herkunft nach wie vor die Angebotsstruktur sowie die traditionelle Weitergabe von Lebensentwürfen in den Regionen bestimmende Faktoren für die Bildungsaspirationen und letztlich für Bildungsentscheidungen und -karrieren sind.

3 Methode

3.1 Daten

Datenbasis der Analysen bildet die Jugendstudie „Lebenswelten 2020“, deren Erhebung in einer Kooperation aller Pädagogischen Hochschulen Österreichs durchgeführt wurde. Der Datensatz basiert auf einer repräsentativen Stichprobe der in Österreich lebenden Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 8 bis 10 ab 14 Jahren im Schuljahr 2019/20 und umfasst 14.432 Jugendliche. Die Grundgesamtheit bildeten österreichweit 11.865 Schulklassen mit 250.490 Jugendlichen an Mittelschulen, polytechnischen Schulen, Berufsschulen, berufsbildenden mittleren und höheren Schulen sowie an allgemeinbildenden höheren Schulen. Die Stichprobenziehung folgte einem komplexen Stichprobendesign (siehe dazu u. a. Bacher 2009), bei dem die Klassen den Schichten Bundesland und Schultyp zugordnet wurden und dann innerhalb der Schichten eine Zufallsstichprobe (z. B. n Klassen des Schultyps x aus dem Bundeland y) gezogen wurden. Die Stichprobe war disproportional angelegt, da die Bundeländer für tiefergehende, länderspezifische Auswertungen weitgehend gleichermaßen vertreten sein sollten. Für eine österreichweite Auswertung wurden die Daten deswegen entsprechend ihrem tatsächlichen Vorkommen in der Grundgesamtheit gewichtet. Die Erhebung fand mittels standardisierter online-Fragebögen im Frühjahr 2020 im Klassenverband statt. Die Bruttostichprobe umfasste 23.186 Schüler*innen, die realisierte Nettostichprobe umfasst 14.432 Fälle (für eine ausführliche Stichprobenbeschreibung siehe Meusburger et al. 2021).

3.2 Variablen

3.2.1 Bildungsaspiration

Die Bildungsaspiration der Jugendlichen wurde mit der Frage „Welchen Schulabschluss möchtest du jedenfalls erreichen?“ erhoben. Die Antwortkategorien wurden in Anlehnung an die von der Statistik Austria (2015, S. 5) übliche Unterteilung der österreichischen Bildungsabschlüsse gebildet und reichten von „Pflichtschulabschluss (Neue Mittelschule/Hauptschule, Polytechnische Schule)“, „Lehrabschluss“, „Mittlerer Schulabschluss (z.B.: technische, kaufmännische, landwirtschaftliche Fachschule)“, „Matura an einer Berufsbildenden höheren Schule (z.B.: HAK, HTL, HLW, BAfEP)“, „Matura an einer Allgemeinbildenden höheren Schule (z.B.: Gymnasium)“ bis zu „Universität, Fachhochschule, Pädagogische Hochschule“. Zusätzlich zu den sechs Antwortmöglichkeiten konnte die Kategorie „weiß noch nicht“ gewählt werden.

3.2.2 Bildungshintergrund der Eltern

Der Bildungshintergrund der Eltern wurde in Anlehnung an die bundesweiten Standardüberprüfungen des BIFIE (jetzt IQS) durch die Frage nach dem höchsten Bildungsabschluss der Mutter und des Vaters erhoben. Die Antwortmöglichkeiten reichten von „kein Schulabschluss“, „Pflichtschulabschluss (z.B.: Hauptschule, Polytechnische Schule)“, „Ausbildung ohne Matura (z.B.: Lehre, Fachschule)“, „Ausbildung mit berufsbildender Matura (z.B.: HAK, HTL, HLW)“, „Ausbildung mit allgemeinbildender Matura (z.B.: Gymnasium)“ bis zur höchsten Kategorie „Fachhochschule, PÄDAK/Pädagogische Hochschule oder Universität“. Zusätzlich konnte die Kategorie „weiß nicht“ gewählt werden. Der elterliche Bildungshintergrund wurde über den höchsten, angegebenen Abschluss definiert, unabhängig ob der Vater oder die Mutter den höheren Abschluss besitzt und wie in den Bildungsstandards (Schreiner et al. 2018, S. 30) in die vier Kategorien „max. Pflichtschule“, „Ausbildung ohne Matura“, „Ausbildung mit Matura“ und „Hochschule/Universität“ sowie in „weiß nicht“ eingeteilt.

3.2.3 Sozioökonomischer Hintergrund

Der sozioökonomische Hintergrund wurde in Anlehnung and die Family Affluence Scale (FAS, vgl. WHO 2016, S. 17) als 11-stufiger Summenindex (0–10) aus den folgenden sechs Items gebildet:

  • Gibt es bei dir zu Hause ein eigenes Zimmer für dich alleine? (0=nein, 1=ja)

  • Wie viele Computer besitzt deine Familie insgesamt? (0=keinen, 1=einen, 2=zwei, 3=mehr als zwei) [Anmerkung: Für die Indexbildung wird 3 zu 2 umkodiert]

  • Besitzt deine Familie ein Auto? (0=nein, 1=ja, eines, 2=ja, zwei oder mehrere)

  • Wie häufig bist du mit deiner Familie im letzten Jahr in den Urlaub ins Ausland gefahren? (0=überhaupt nicht, 1=einmal, 2=zweimal, 3=öfter als zweimal) [Anmerkung: Für die Indexbildung wird 3 zu 2 umkodiert]

  • Wie viele Badezimmer (Räume mit einer Badewanne/Dusche oder beides) habt ihr zu Hause? (0=keines, 1=eines, 2=zwei, 3=mehr als zwei) [Anmerkung: Für die Indexbildung wird 3 zu 2 umkodiert]

  • Hat deine Familie eine Geschirrspülmaschine zu Hause? (0=ja, 1=nein)

Die Family Affluence Scale wurde entwickelt, um in der Kindheits- und Jugendforschung den sozioökonomischen Status der Herkunftsfamilie erheben zu können, ohne nach Einkommen und Berufsstatus der Eltern zu fragen, da diese Fragen von Kindern und Jugendlichen in der Regel schwer zu beantworten sind. Höhere Werte stehen für höheren sozioökonomischen Status. Für die Analyse in Kreuztabellen wurde die Skala zur besseren Übersicht in drei Kategorien eingeteilt (0–5=niedrig, 6–8=mittel, 9–10=hoch).

3.2.4 Erstsprache

Die Erstsprache als Dimension sozialer Ungleichheit wurde in Anlehnung an die Erhebungen der Bildungsstandards (Schreiner et al. 2018, S. 29) erhoben, wobei die Antwortmöglichkeiten zur Bilingualität oder einer nichtdeutschen Erstsprache zusammengefasst wurden. Die Frage lautete: „Welche Sprache/n wird/werden bei euch zu Hause hauptsächlich gesprochen?“ – mit den Antwortmöglichkeiten: „in Hochdeutsch oder Dialekt“ und „in einer anderen Sprache oder mehreren Sprachen“.

3.2.5 Wohnregion

Die Wohnregion wurde als subjektive Einschätzung, wie städtisch oder ländlich das Wohngebiet ist, erhoben. Die Frage wurde selbst entwickelt und lautete: „Die einen wohnen in einem sehr ländlichen Gebiet, andere in einer großen Stadt und viele dazwischen. Wo würdest du deine Wohnregion zwischen sehr ländlich und sehr städtisch einordnen?“. Die Antwortmöglichkeiten gingen von 1 = „sehr ländlich“ bis 6 = „sehr städtisch“. Für die Analyse in Kreuztabellen wurde die Skala zur besseren Übersicht in drei Kategorien eingeteilt (1–2=ländlich, 3–4=intermediär, 5–6=städtisch).

3.2.6 (Selbst eingeschätzte) Schulleistung

Die schulische Leistung wird in weiterführenden Analysen als Kontrollvariable eingesetzt. Da die Datenbasis keine direkten Messungen zum schulischen Leistungsniveau enthält, dient die Frage, wie gut es den Schüler*innen leistungsmäßig geht, als indirekter Indikator. Das Item lautete: „Leistungsmäßig geht es mir in fast allen Fächern derzeit …“ – die Antwortmöglichkeiten waren „sehr gut“, „eher gut“, „mittelmäßig“, „weniger gut“ und „gar nicht gut“.

Als weitere Variablen gingen der besuchte Schultyp und das Geschlecht (1 = Mädchen, 2 = Buben) in die Analyse mit ein, wobei der Schultyp dichotomisiert wurde in Schulen ohne Matura (Mittelschule; polytechnische Schule, Berufsschule, berufsbildende mittlere Schule) und Schulen mit Matura (AHS-Unterstufe, AHS-Oberstufe, BHS).

3.3 Analysestrategie

Im ersten Schritt wird dargestellt, wie sich die Ungleichheitsdimensionen in den verschiedenen Wohnregionen verteilen. In einem zweiten Schritt untersuchen wir die Zusammenhänge der einzelnen Ungleichheitsdimension sowie der Wohnregion mit den Bildungsaspirationen mittels bivariater Kreuztabellen. Um die direkten Effekte der untersuchten Einflussfaktoren auf die Bildungsaspiration unabhängig voneinander zu untersuchen, werden in einem dritten Schritt logistische Regressionsanalysen für bestimmte Bildungsaspirationen (Lehrabschluss, Hochschulabschluss und mindestens Maturaabschluss) durchgeführt. Damit soll überprüft werden, inwieweit regionale Unterschiede in den Bildungsaspirationen unabhängig von den sozialen Einflussfaktoren Bestand haben. Letztlich wird die Stabilität der Hauptergebnisse noch unter Konstanthaltung weiterer Kontrollvariablen geprüft. So werden die Analysen auch unter Ausschluss der Schüler*innen aus der Sekundarstufe II durchgeführt, da bei diesen eine wichtige Bildungsentscheidung bereits realisiert wurde. Ebenso werden die Ergebnisse unter Berücksichtigung der (selbst eingeschätzten) Schulleistung sowie nach städtischen und ländlichen Regionen getrennt geprüft. Schließlich werden die Bildungsaspirationen auch mit Fokus auf einzelne Schulformen, die die Jugendlichen besuchen, analysiert.

4 Ergebnisse

4.1 Wie sind die sozialen Hintergründe regional verteilt?

Es zeigt sich, dass die verschiedenen sozialen Hintergründe unter den Befragten je nach regionalem Kontext teils deutlich unterschiedlich verteilt sind (siehe Tab. 1). Dies wird etwa beim höchsten Bildungsabschluss der Eltern deutlich. So haben Eltern von Befragten aus städtischen Gebieten häufiger einen Hochschulabschluss als der Durchschnitt, während vor allem mittlere Abschlüsse (Ausbildung ohne Matura, z. B. Lehre oder Fachschule) häufiger in ländlichen Regionen anzutreffen sind. Jedoch ist der Anteil jener, deren Eltern maximal einen Pflichtschulabschluss (Hauptschule bzw. polytechnische Schule) aufweisen, wiederum in städtischen Gebieten etwas höher. Deutlich häufiger sind in städtischen Gebieten auch jene Jugendlichen vertreten, die nicht wussten, welchen höchsten Schulabschluss ihre Eltern haben.

Tab. 1 Soziale Ungleichheitsdimensionen nach Wohnregion (Spaltenprozente)

Die Wohnregion zeigt auch einen Zusammenhang mit dem sozioökonomischen Hintergrund. Ein hoher sozioökonomischer Hintergrund ist dabei häufiger in ländlichen Wohnregionen anzutreffen, während ein niedriger sozioökonomischer Hintergrund überdurchschnittlich oft in städtischen Wohnregionen vorkommt. Bei dieser Beobachtung muss allerdings beachtet werden, dass die Operationalisierung des sozioökonomischen Hintergrundes über die Family Affluence Scale höhere Skalenwerte für ländliche Regionen begünstigen kann. So führt etwa der Besitz von einem oder mehreren Autos in der Familie oder das Vorhandensein eines eigenen Zimmers oder mehrerer Badezimmer zu höheren Skalenwerten, wobei diese Merkmale in diesem Kontext eher als Indikatoren für ländliche Lebensumstände als für sozioökonomischen Status gesehen werden können (zur Validität der Familiy Affluence Scale siehe auch Hobza et al. 2017).Footnote 6

Tab. 2 Bildungsaspiration nach sozialem und regionalem Hintergrund (Zeilenprozente)
Tab. 3 Relative Chancen (Odds-Ratio) für das Anstreben eines Lehrabschlusses, eines Hochschulabschlusses oder eines Abschlusses mindestens mit Matura (jeweils 0 = nein, 1 = ja)

Deutlich variiert auch die Erstsprache je nach Wohnregion: Je städtischer die Wohnregion, in der die Befragten leben, desto höher ist der Anteil der Befragten mit nichtdeutscher Erstsprache. Dies ist ein erwartbares Ergebnis angesichts höherer Anteile von Schüler*innen mit Migrationshintergrund in städtischen Gebieten.

In der untersuchten Stichprobe sind Befragte, die eine maturaführende Schule (AHS Unter- oder Oberstufe, berufsbildende höhere Schule) besuchen, und jene, die eine Schule ohne Matura besuchen (Mittelschule, polytechnische Schule, Berufsschule) mit jeweils rund der Hälfte praktisch gleich verteilt. Differenziert nach Wohnregion zeigt sich, dass in ländlichem Gebiet der Anteil an Befragten in maturaführenden Schulen etwas unterdurchschnittlich und in Schulen ohne Matura etwas überdurchschnittlich ist.

4.2 Einflussfaktoren der Bildungsaspiration

Die Frage, welchen Schulabschluss die Jugendlichen jedenfalls erreichen möchten, wurde am häufigsten mit „Matura an einer Berufsbildenden höheren Schule (z.B. HAK, HTL, HLW, BAfEP)Footnote 7 beantwortet (siehe Abb. 1). 28,1 % der Befragten streben diesen Schulabschluss an. Am zweithäufigsten wird mit 23,5 % ein Hochschulabschluss angestrebt, gefolgt von einem Lehrabschluss mit 22,5 % und einer Matura an einer AHS mit 10,4 %. Lediglich 6,3 % streben einen mittleren Schulabschluss wie etwa einen Fachschulabschluss an. Nur 5,3 % wissen noch nicht, welchen Schulabschluss sie erreichen wollen. Weitere 4 % geben an, lediglich einen Pflichtschulabschluss (Mittelschule oder polytechnische Schule) anzustreben.

Abb. 1
figure 1

Frage: Welchen Schulabschluss möchtest du jedenfalls erreichen? Anteile in Prozent: N = 14.331; 101 Fälle (0,7 %) der Gesamtstichprobe (N = 14.432) als fehlende Werte nicht berücksichtigt. (Quelle: Jugendstudie „Lebenswelten 2020“, eigene Berechnungen. BHS Berufsbildende höhere Schule, Uni Universität, FH Fachhochschule, PH Pädagogische Hochschule, AHS Allgemeinbildende höhere Schule)

Die Kontextanalyse zeigt zahlreiche Zusammenhänge der Bildungsaspiration mit verschiedenen Hintergrundvariablen. So wird die Bildungsaspiration deutlich vom Bildungshintergrund sowie auch vom sozioökonomischen Hintergrund der Herkunftsfamilie beeinflusst. Darüber hinaus zeigen sich auch Zusammenhänge mit der Erstsprache. Ebenso lassen sich auch Unterschiede je nach Wohnregion beobachten (siehe Tab. 2).

Betrachtet man die Bildungsaspiration im Kontext des Bildungshintergrundes der Eltern, wird die Tendenz der Vererbung von Schulabschlüssen sehr deutlich sichtbar. In der Regel werden höhere Schulabschlüsse angestrebt, je höher der Bildungshintergrund der Eltern ist. So liegen etwa die Anteile derer, die einen Lehrabschluss anstreben, bei Jugendlichen, deren Eltern maximal einen Pflichtschulabschluss oder eine Ausbildung ohne Matura haben, bei jeweils über 30 %. Bei Jugendlichen, deren Eltern einen Hochschulabschluss aufweisen, liegt der Anteil hingegen bei unter 10 %. Während knapp ein Viertel aller Befragten angibt, selbst einen Hochschulabschluss anzustreben, sind es unter jenen, deren Eltern einen Hochschulabschluss haben, knapp die Hälfte. Unter Jugendlichen, deren Eltern eine Matura aufweisen, sind es noch etwa ein Fünftel und damit bereits weniger als im Gesamtdurchschnitt. Bei Jugendlichen, deren Eltern einen Pflichtschulabschluss oder eine Ausbildung ohne Matura haben, liegt der Anteil jener, die einen Hochschulabschluss anstreben, bereits deutlich unter 20 %. Auch ein Maturabschluss wird von jenen Jugendlichen vergleichsweise am häufigsten angestrebt, deren Eltern selbst eine Matura als höchsten Abschluss aufweisen. Auffällig zeigt sich auch die Gruppe jener, die nicht angeben konnten, welchen höchsten Schulabschluss ihre Eltern haben. Sie geben vergleichsweise häufiger an, maximal einen Pflichtschulabschluss erwerben zu wollen oder wissen häufiger als andere noch nicht, welchen Abschluss sie selbst erwerben wollen. Deutlich seltener als der Durchschnitt strebt diese Gruppe einen Hochschulabschluss an. Die Gruppe ähnelt in ihrem Profil damit jenen, deren Eltern maximal einen Pflichtschulabschluss aufweisen, wodurch eine gewisse Bildungsferne vermutet werden kann, die sich auch in der Bildungsaspiration niederschlägt und mit weiteren Ungleichheitsdimensionen in Zusammenhang steht. Regional betrachtet wurde bereits gezeigt, dass diese Gruppe etwas häufiger in städtischen Wohnregionen vertreten ist. Eine erweitere Kontextanalyse zeigt, dass diese Gruppe häufiger aus sozioökonomisch schwächeren Familien stammt und häufiger eine nichtdeutsche Erstsprache aufweist.

Eine sehr ähnliche Tendenz wie in Bezug auf den Bildungshintergrund der Eltern zeichnet sich auch im Zusammenhang zwischen den Bildungsaspirationen und dem sozioökonomischen Hintergrund der Herkunftsfamilie ab. In der Regel werden höhere Schulabschlüsse angestrebt, je höher der sozioökonomische Status der Familie ist. Lediglich ein Pflichtschulabschluss, ein Lehrabschluss oder ein mittlerer Schulabschluss werden vergleichsweise häufiger von Jugendlichen angestrebt, deren familiärer sozioökonomischer Hintergrund als niedrig einzustufen ist. Jugendliche mit mittlerem oder hohem sozioökonomischem Hintergrund streben im Vergleich zu Jugendlichen mit niedrigem sozioökonomischem Hintergrund häufiger einen Maturaabschluss an. Ein Hochschulabschluss wird am häufigsten von Jugendlichen mit hohem sozioökonomischem Hintergrund angestrebt. Ebenso ist zu beobachten, dass mit niedrigerem sozioökonomischem Hintergrund der Anteil jener, die noch nicht wissen, welchen Schulabschluss sie erreichen möchten, etwas höher ist.

Betrachtet man die Bildungsaspiration im Kontext der Erstsprache, wird ersichtlich, dass Jugendliche mit nichtdeutscher Erstsprache mit 28 % häufiger einen Hochschulabschluss anstreben als Jugendliche mit Deutsch als Erstsprache, die zu knapp 22 % einen Hochschulabschluss anstreben. Mittlere Abschlüsse und Maturaabschlüsse werden von Jugendlichen mit deutscher und nichtdeutscher Erstsprache in etwa gleich häufig angestrebt, wobei Jugendliche mit nichtdeutscher Erstsprache etwas seltener einen Lehrabschluss anstreben als Deutschsprachige.

Eine ungleiche Verteilung von Bildungsaspirationen zeigt sich auch hinsichtlich der Wohnregion. So werden Hochschulabschlüsse mit über 30 % deutlich häufiger in städtischen Gebieten angestrebt während mit etwa 28 % Lehrabschlüsse häufiger in ländlichen Gebieten angestrebt werden.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sowohl der soziale als auch regionale Hintergrund in Zusammenhang mit der Bildungsaspiration stehen. Höhere Bildungsabschlüsse werden angestrebt, je höher der Bildungshintergrund der Eltern und je höher der sozioökonomische Hintergrund der Familie ist. Hochschulabschlüsse werden häufiger von Jugendlichen nichtdeutscher Erstsprache und häufiger in städtischen Regionen angestrebt.

4.3 Multivariate Analysen

Die bisher dargestellten Analysen zeigen die Zusammenhänge der Bildungsaspiration mit einzelnen Einflussfaktoren. Dabei wird ersichtlich, dass neben den anderen Ungleichheitsdimensionen auch regionale Zusammenhänge bezüglich des angestrebten Schulabschlusses zu beobachten sind. Dies gilt insbesondere für das Anstreben eines Lehrabschlusses, was häufiger in ländlichen Gebieten, sowie eines Hochschulabschlusses, was hingegen häufiger in städtischen Gebieten zu beobachten ist. Da die untersuchten Ungleichheitsdimensionen selbst regional unterschiedlich verteilt sind, ist von Interesse, ob regionale Unterschiede in der Bildungsaspiration auch unabhängig von den weiteren Einflussfaktoren zu beobachten sind. Um dies zu untersuchen, wurden multivariate logistische Regressionsmodelle berechnet, um die Wahrscheinlichkeiten jeweils für das Anstreben eines Lehrabschlusses sowie eines Hochschulabschlusses in Abhängigkeit der Wohnregion und der weiteren Ungleichheitsdimensionen zu analysieren. In einem weiteren Modell wurden die Bildungsaspirationen in Abschlüsse ohne Matura und Abschlüsse mit mindestens Matura unterteilt, um neben den spezifischen Abschlüssen eine Dichotomie in ‚niedrigere‘ und ‚höhere‘ Abschlüsse zu erhalten.

4.3.1 Einflussfaktoren der Bildungsaspiration Lehrabschluss

Die logistische Regressionsanalyse modelliert die Vorhersagewahrscheinlichkeit für das Ereignis, einen Lehrabschluss erreichen zu wollen. Dazu wurde die Frage zur Bildungsaspiration, welcher Schulabschluss auf jeden Fall erreicht werden soll, dichotomisiert (Lehrabschluss: 0 = nein, 1 = ja). Als Einflussfaktoren wurden neben der Wohnregion der elterliche Bildungshintergrund, der sozioökonomische Status der Herkunftsfamilie (als 11-stufige Skala) sowie die Erstsprache der Jugendlichen in das Modell aufgenommen. Weiters wurde das Geschlecht als Kontrollvariable berücksichtigt. Die Ergebnisse sind in Tab. 3, Spalte 1 abgebildet.

Die logistische Regressionsanalyse zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, einen Lehrabschluss anzustreben, von allen im Modell beinhalteten Faktoren signifikant beeinflusst wird. Auch unter Kontrolle der verschiedenen Ungleichheitsdimensionen ist nach wie vor ein Effekt der Wohnregionen auf die Bildungsaspiration Lehrabschluss zu beobachten. Die Tab. 3, Spalte 1 angegebenen Odds-Ratios geben dabei die jeweiligen Wahrscheinlichkeitsübergänge an, einen Lehrabschluss anzustreben, wenn sich die entsprechende Einflussvariable um eine Einheit erhöht. Odds-Ratios können dabei als Multiplikationsfaktor interpretiert werden, um den sich die Wahrscheinlichkeitsverhältnisse ändern. Demnach bedeuten Odds-Ratios über 1 einen Anstieg und Odds-Ratios unter 1 eine Abnahme des Wahrscheinlichkeitsverhältnisses. Demzufolge verändert sich beispielsweise das Wahrscheinlichkeitsverhältnis, einen Lehrabschluss anzustreben, mit der Zunahme des sozioökonomischen Status um einen Skalenwert (auf einer 11-stufigen Skala) um den Faktor 0,86. Somit nimmt die Wahrscheinlichkeit, einen Lehrabschluss anzustreben, mit zunehmendem sozioökonomischem Status ab. Ebenso ist bei der Erstsprache eine Abnahme (um den Faktor 0,61) zu beobachten. Somit reduziert sich die Wahrscheinlichkeit, einen Lehrabschluss anzustreben, bei nichtdeutscher Erstsprache im Vergleich zu Deutschsprachigen. Umgekehrt kann gesagt werden, dass die Wahrscheinlichkeit, einen Lehrabschluss anzustreben, bei Deutschsprachigen im Vergleich zu Nicht-Deutschsprachigen um etwa das Eineinhalbfache (Kehrwert aus 0,61 = 1,63) ansteigt. Die Odds-Ratios der weiteren Einflussfaktoren liegen durchwegs über 1 und erhöhen somit das Wahrscheinlichkeitsverhältnis, einen Lehrabschluss anzustreben. Die Kategorien der Merkmale Schulabschluss der Eltern und Wohnregion wurden dabei als Dummy-Variablen ins Modell aufgenommen, wobei „Hochschulabschluss“ als Referenzkategorie für den elterlichen Schulabschluss und „städtisch“ als Referenzkategorie für die Wohnregion fungieren. Somit sind die Odds-Ratios der weiteren Kategorien in Bezug zur jeweiligen Referenzkategorie interpretierbar. Sehr deutliche Effekte zeigt der Bildungshintergrund der Eltern. So steigt die Wahrscheinlichkeit, einen Lehrabschluss anzustreben, mit einem Maturaabschluss der Eltern verglichen zu einem Hochschulabschluss bereits um das Zweifache. Haben die Eltern einen mittleren Abschluss oder einen Pflichtschulabschluss erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, einen Lehrabschluss anzustreben, im Vergleich zu einem elterlichen Hochschulabschluss um mehr als das Vierfache. Bei Jugendlichen, die den höchsten Schulabschluss ihrer Eltern nicht kennen, ist die Wahrscheinlichkeit, einen Lehrabschluss anzustreben, um das Dreieinhalbfache höher als bei Befragten, deren Eltern einen Hochschulabschluss aufweisen. Auch unter Kontrolle der sozialen Einflussfaktoren ist weiterhin auch ein regionaler Effekt zu beobachten. So steigt die Wahrscheinlichkeit, einen Lehrabschluss anzustreben in ländlichen Wohnregionen im Vergleich zu städtischen Regionen um das etwa das 1,6-fache – in intermediären Regionen lediglich um das 1,2-fache. Schließlich zeigt sich auch ein deutlicher Geschlechtereffekt auf die Bildungsaspiration Lehrabschluss. So ist bei Burschen die Wahrscheinlichkeit, einen Lehrabschluss anzustreben, im Vergleich zu Mädchen um das Zweieinhalbfache erhöht.

4.3.2 Einflussfaktoren der Bildungsaspiration Hochschulabschluss

Mit einem weiteren logistischen Regressionsmodell wurden die sozialen und regionalen Effekte auf die Bildungsaspiration Hochschulabschluss untersucht (siehe Tab. 3, Spalte 2). Auch hier zeigen sich signifikante Effekte aller berücksichtigten Einflussfaktoren. Die Modellgüte (Nagelkerkes R2 = 0,19) ist dabei etwas höher als beim Vorhersagemodells der Aspiration Lehrabschluss (Nagelkerkes R2 = 0,14). Ein höherer sozioökonomischer Status der Herkunftsfamilie geht mit einer höheren Wahrscheinlichkeit, einen Hochschulabschluss anzustreben, einher. Sehr deutlich sind die Effekte wiederum im Hinblick auf den elterlichen Bildungshintergrund. Verglichen mit der Referenzkategorie Hochschulabschluss (der Eltern) ist die Wahrscheinlichkeit, dass Jugendliche einen ebensolchen selbst anstreben, in allen anderen elterlichen Bildungskategorien deutlich geringer. Die Odds-Ratios reichen von 0,27 (Schulabschluss Eltern: Matura) bis 0,12 (Schulabschluss Eltern: weiß nicht). Werden zur einfacheren Interpretation die Kehrwerte herangezogen, bedeutet dies, dass die Wahrscheinlichkeit, einen Hochschulabschluss anzustreben, bei Jugendlichen, deren Eltern selbst einen Hochschulabschluss aufweisen, gegenüber jenen, die es nicht wissen, welchen Schulabschluss ihre Eltern haben, um mehr als das Achtfache höher ist. Verglichen mit Jugendlichen, deren Eltern lediglich einen Pflichtschulabschluss aufweisen, ist die Wahrscheinlichkeit um das 6,7-fache (Kehrwert aus 0,15) höher. Auch im Vergleich zu Jugendlichen, deren Eltern als höchsten Schulabschluss Matura aufweisen, ist die Wahrscheinlichkeit immer noch um das 3,7-fache (Kehrwert aus 0,27) höher. In Bezug auf die Erstsprache wird ersichtlich, dass Jugendliche mit nichtdeutscher Erstsprache häufiger angeben, einen Hochschulabschluss anzustreben, als deutschsprachige Jugendliche. Ebenso zeigt sich, dass die Wahrscheinlichkeit, einen Hochschulabschluss anzustreben, bei Burschen geringer ausfällt als bei Mädchen. Auch unter Kontrolle der sozialen Hintergründe bleibt ein regionaler Effekt bestehen. Verglichen mit städtischen Wohnregionen ist die Wahrscheinlichkeit, einen Hochschulabschluss anzustreben sowohl in intermediären Regionen als auch in ländlichen Regionen geringer. Im Vergleich zu ländlichen Regionen ist die Wahrscheinlichkeit für das Anstreben eines Hochschulabschlusses in städtischen Regionen um das 1,6-fache (Kehrwert aus 0,63) erhöht.

4.3.3 Einflussfaktoren auf „höhere“ Bildungsaspiration (mindestens Matura)

Ein weitgehend ähnliches Bild zeigt sich, wenn die Bildungsaspirationen in Abschlüsse ohne Matura und Abschlüsse mit Matura unterteilt werden und somit ein dichotomer Indikator für niedrigere und höhere Bildungsaspiration untersucht wird (siehe Tab. 3, Spalte 3). Wiederum wird ersichtlich, dass höhere Bildungsaspirationen seltener sind, je ländlicher die Wohnregion ist. Dieser Effekt bleibt auch unter Berücksichtigung der weiteren im Modell beinhalteten sozialen Einflussfaktoren beobachtbar. Die sozialen Hintergrundvariablen ergeben dabei Effekte in die erwartete Richtung. Als deutlichster Einflussfaktor erweist sich der Bildungshintergrund der Eltern. Je höher dieser ist, desto eher wird von den Jugendlichen mindestens ein Maturaabschluss angestrebt. Die geringste Wahrscheinlichkeit, einen solchen Abschluss anzustreben, weist dabei die Gruppe jener auf, die nicht wissen, welchen Bildungshintergrund ihre Eltern haben. Auch ein höherer sozioökonomischer Status der Herkunftsfamilie erhöht die Wahrscheinlichkeit, einen höheren Abschluss anzustreben. Gleiches gilt für Jugendliche mit nichtdeutscher Erstsprache. Wie zu erwarten, zeigt sich bei Burschen eine geringere Wahrscheinlichkeit als bei Mädchen, dass sie mindestens einen Maturaabschluss anstreben.

Die hier dargestellten Ergebnisse bleiben auch stabil, wenn die Analyse nur mit Jugendlichen aus der Sekundarstufe 1 (dies umfasst sowohl Schüler*innen aus den Mittelschulen sowie aus den AHS-Unterstufen) durchgeführt wird. Durch den Ausschluss der Schüler*innen der Oberstufe entfallen jene Jugendlichen, bei denen verglichen zur Unterstufe eine weitere wichtige Bildungsentscheidung bereits realisiert wurde. Die sozialen und regionalen Einflüsse auf die Bildungsaspiration sind aber weiterhin beobachtbar.

Ebenso bleiben alle Effekte erhalten, wenn versucht wird, die Schulleistung im Modell zu berücksichtigen. Die Schulleistung konnte in den erhobenen Daten allerdings nur indirekt einbezogen werden, nämlich über die Frage zur Selbsteinschätzung, wie gut es den Jugendlichen in der Schule leistungsmäßig geht.Footnote 8 Bessere subjektiv empfundene Schulleistungen erhöhen dabei jeweils die Wahrscheinlichkeit, einen höheren Bildungsabschluss anzustreben. Das Modell gewinnt dadurch nur geringfügig an Erklärungskraft (Nagelkerkes R2 = 0,21) bei weiterhin signifikanten sozialen und regionalen Einflüssen.

Führt man die Analysen für ländliche und städtische Wohnregionen getrennt durch, ändert sich zunächst nichts an den Grundtendenzen der sozialen Einflüsse. Jedoch ist beobachtbar, dass der Effekt der Erstsprache in Bezug auf die Bildungsaspiration am Land etwas stärker ausfällt als in der Stadt. Haben Jugendliche mit nichtdeutscher Erstsprache gegenüber deutschsprachigen in ländlichen Regionen eine 1,6-fach höhere Wahrscheinlichkeit, einen Abschluss mit Matura anzustreben, so ist es in städtischen Regionen nur eine 1,2-fache.

Der Unterschied ist noch deutlicher, wenn die Bildungsaspiration Hochschulabschluss betrachtet wird. Hier ist die Chance, einen solchen anzustreben, bei Jugendlichen mit nichtdeutscher Erstsprache in ländlichen Regionen gegenüber deutschsprachigen um das 2,1-fache erhöht, in städtischen Regionen nur um das 1,4-fache. In städtischen Regionen besteht dabei kein signifikanter Effekt des sozioökonomischen Hintergrundes mehr. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass auch der Zusammenhang zwischen der Erstsprache und dem sozioökonomischen Status in der Stadt stärker ausgeprägt ist. Generell ist eine nichtdeutsche Erstsprache mit einem im Schnitt niedrigeren sozioökonomischen Status assoziiert. Dieser Zusammenhang ist in im städtischen Gebiet (Spearman rho = 0,25**) stärker als im ländlichen (Spearman rho = 0,11**).

Wirft man weiters einen detaillierteren Blick auf die auf die Abhängigkeit der Bildungsaspirationen von der besuchten Schulform, so lassen sich regionale Unterschiede festzustellen. Wie gezeigt wurde (siehe oben), ist die Aspiration hin zu einem Lehrabschluss sowohl in ländlichen Regionen als auch erwartungsgemäß in Schulen ohne Matura am stärker ausgeprägt. Vergleicht man einzelne Schultypen im Detail (Ergebnisse nicht abgedruckt, bei Nachfrage beim Erstautor erhältlich), so wird ersichtlich, dass die Orientierung hin zur Lehre insbesondere in den ländlichen Mittelschulen hoch ist. Während 29,1 % der Mittelschüler*innen am Land einen Lehrabschluss anstreben, sind es in städtischen Regionen nur 20,8 %. Die intermediären Regionen liegen mit 23,1 % dazwischen. Ebenso zeigt sich in den Mittelschulen ein Unterschied bei der Aspiration hin zu mittleren Schulabschlüssen. Diese werden in den ländlichen Mittelschulen zu 10,9 % angestrebt, während es in den städtischen Mittelschulen nur 3,8 % sind. Auf der anderen Seite sieht man, dass in städtischen Mittelschulen im Vergleich zu ländlichen häufiger ein Hochschulabschluss angestrebt wird (städtisch: 13,1 %, ländlich: 8,8 %). Gleichzeitig geben Mittelschüler*innen in der Stadt auch häufiger an, lediglich einen Pflichtschulabschluss anzustreben (städtisch: 16,5 %, ländlich: 11,4 %). Ebenso ist der Anteil jener, die noch nicht wissen, welchen Abschluss sie erreichen wollen, in den städtischen Mittelschulen mit 7,6 % etwas größer als in den ländlichen (3,5 %). Die Kontrolle der sozialen Einflüsse mittels logistischer Regressionen zeigt dabei, dass die höhere Präferenz für den Lehrabschluss oder einen BMS-Abschluss in ländlichen Mittelschulen verglichen mit den städtischen auch unabhängig von den sozialen Einflüssen bestehen. Das häufigere Anstreben lediglich eines Pflichtschulabschusses in städtischen Mittelschulen ist bei Kontrolle der sozialen Einflussfaktoren ebenso signifikant.

Betrachtet man die AHS-Unterstufen, ist zu beobachten, dass in den städtischen Gymnasien mit 52,4 % deutlich häufiger ein Hochschulabschluss angestrebt wird als in den ländlichen Gymnasien mit 37,6 % (intermediär liegt mit 46,8 % dazwischen). Die geringere Neigung in Richtung Hochschulabschluss in den ländlichen Gymnasien schlägt sich in einer stärkeren Maturaneigung nieder: So geben die Schüler*innen in den ländlichen Gymnasien häufiger als in den städtischen an, als höchsten Abschluss einen AHS-Abschluss (ländlich: 20,6 %, städtisch: 14,8 %) oder einen BHS-Abschluss (ländlich: 31,4 %, städtisch: 25,9 %) anzustreben.

5 Limitationen

Vor der Zusammenfassung der Ergebnisse sei noch auf Limitationen der Studie hingewiesen. Im Rahmen der Lebenswelten-Erhebung wurde nicht die Siedlungsdichte erhoben, sondern nach der subjektiven Einschätzung, wie städtisch oder ländlich das Wohngebiet ist, gefragt. Damit kommt die Studie zum Teil Forderungen nach, Raum als etwas „individuell oder schichtspezifisch Erfahrenes zu konzeptualisieren“ (Bayer et al. 2018, S. 15), das nicht mit administrativ vorgegebenen Größen zu erfassen versucht wird. Dies ist auch als Annäherung an relativistische Raumtheorien zu verstehen, die Raum nicht mehr als reinen Container, sondern als Beziehungsgeflecht, das zwischen Menschen entsteht, begreifen (Freytag et al. 2014, S. 9 f.; Berkemeyer et al. 2015, S. 335 f.). Im Hinblick auf das Verständnis der Zusammenhänge zu Bildungsaspirationen sind mit vorliegender Datengrundlage dennoch Grenzen gesetzt. So weist beispielsweise Sixt darauf hin, dass insbesondere die Dichte schulischer Infrastruktur sowie die konkreten Distanzen zwischen Wohnort und Schulstandort (vgl. Sixt 2013, 2018) wichtige erklärende Größen für Bildungsentscheidungen sind. Die Einzugsgebiete von Schulen unterliegen hier sehr großen Schwankungen. Zusätzlich zeigen die Studien zu Schulwahlmotiven, dass dieselben Angebote schichtspezifisch unterschiedlich interpretiert werden, wobei weite Anfahrtswege für Angehörige höherer Schichten eine tendenziell vernachlässigbare Größe zu sein scheinen, während die „Nähe“ zu Bildungseinrichtungen auf der anderen Seite für Angehörige niedriger sozialer Schichten ein wichtiges Kriterium bildet. Hier ist anzunehmen, dass Wegstrecken schichtspezifisch unterschiedlich wahrgenommen werden. Eine Lösung für zukünftige Studien mit dem Fokus auf Bildungswahlentscheidungen könnte sein, subjektive Wegzeiten zu erfassen bzw. zu versuchen, die individuell wahrnehmbaren Grenzen von Bildungsgebieten abzustecken. Anhand der Daten der Lebensweltenstudie zeigte sich, dass die als intermediär eingestuften Gebiete tatsächlich in den meisten Analysen zwischen den ländlichen und städtischen Regionen lagen, es also in Österreich Gebiete gibt, die als verdichtet wahrgenommen werden und über eine gut ausgebaute Bildungsinfrastruktur verfügen dürften. Weniger gut konnten in den Analysen suburbane Gebiete berücksichtigt werden, die von den befragten Jugendlichen vermutlich als (sehr) ländlich eingestuft wurden, sich jedoch in der Nähe größerer Zentren befinden und daher mit vergleichsweise geringen Wegzeiten an einen gut ausgebauten Bildungsraum anschließen (siehe hierzu Lassnigg 2017, S. 1312 f.). Von Interesse bei der Beforschung räumlicher Unterschiede wäre daher eine stärker kleinräumlich orientierte Betrachtungsweise, die unterschiedliche räumliche Formationen in den Blick nimmt und zu erfassen versucht, welche sozialen Prozesse sich in Bezug auf das Zustandekommen von Bildungsaspirationen und letztlich Bildungsentscheidungen abspielen. Als Beispiel kann hier die verstärkte Orientierung innerhalb der ländlichen Mittelschulen zu einem Lehrberuf bzw. einer berufsbildenden mittleren Schule gelten, die zum Teil unabhängig von der sozialen Schicht entsteht.

6 Fazit

Im vorliegenden Beitrag wurden die sozialen und regionalen Einflussfaktoren auf die Bildungsaspirationen Jugendlicher in Österreich untersucht. Es zeigt sich auf die drei untersuchten Bildungsgänge „Lehre“, „mindestens Matura“ und „Hochschulabschluss“ durchgängig ein starker Einfluss des Bildungshintergrundes der Eltern, des sozioökonomischen Hintergrundes sowie des sprachlichen Hintergrundes. Zusätzlich zu diesen Faktoren zeigen sich auch regionale Einflüsse. So ist die Orientierung hin zum Lehrberuf in ländlichen Regionen stärker vorhanden als in städtischen. Der Hochschulabschluss wird hingegen in städtischen Regionen stärker angestrebt. Diese regionalen Effekte sind auch unabhängig von den zuvor genannten sozialen Einflussfaktoren zu beobachten. Die diesbezüglich formulierten Hypothesen konnten bestätigt werden (siehe Tab. 4).

Tab. 4 Ergebnisse der Hypothesenprüfung

Nähere Analysen zeigen hier einen Zusammenhang zwischen Region und besuchter Schulform. So ist die Orientierung hin zur Lehre und insbesondere zum Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule in ländlichen Mittelschulen am stärksten ausgeprägt. Hingegen ist der Anteil jener Schüler*innen, die lediglich einen Pflichtschulabschluss anstreben oder noch nicht wissen, was sie zukünftig machen wollen, in den städtischen Mittelschulen am höchsten. Auch in den Gymnasien lassen sich deutliche Unterschiede nach Region erkennen: Hier sind es die städtischen Gymnasien, deren Schüler*innen deutlich stärker als die anderen Gruppierungen einen Hochschulabschluss anstreben. Diese Unterschiede nach Schultyp bleiben weitgehend auch bei Kontrolle des sozialen Hintergrundes bestehen, was darauf hinweist, dass es regional unterschiedliche Präferenzen hinsichtlich des gewünschten Abschlusses gibt. Auch zeigt sich eine leichte Interaktion zwischen der gesprochenen Erstsprache und Region. Wie in anderen Studien zeigen sich auch in den Daten der Lebenswelten-Erhebung höhere Bildungsaspirationen bei Personen mit nichtdeutscher Erstsprache im Vergleich zu Personen mit Deutsch als Erstsprache, wobei dies in ländlichen Regionen noch deutlicher ausgeprägt ist als in städtischen.

Die Beobachtung, dass sich die individuellen Bildungsaspirationen Jugendlicher in Österreich über Faktoren wie ihren Wohnort und ihren familiären sowie sprachlichen Hintergrund deutlich unterscheiden lassen, kann als Beleg gesehen werden, dass Chancengleichheit im österreichischen Bildungssystem nach wie vor nicht realisiert ist. Dies erscheint vor dem Hintergrund ethischer und menschenrechtlicher Ansprüche an das Bildungssystem sowie dem Ethos von Lehrer*innen und im Schulsystem engagierter Professionist*innen als problematisch. Zudem ist der Umstand ungleicher Chancen und vorgezeichneter Bildungswege auch hinsichtlich demographischer Entwicklungen ungünstig, da es für die Erhaltung gesellschaftlicher Funktionen und des Wohlstandes von Bedeutung ist, möglichst allen Jugendlichen die Chance zu bieten, sich nach ihren individuellen Fähigkeiten zu entwickeln.