„Jenseits des Ressentiments und jenseits apokalyptischer Dauerleistungen, die eine Widerlegung nicht vorsehen, provozieren uns unsere Maschinen, wenn wir sie nur lassen, die alte Frage nach uns selbst neu zu stellen.“ (Meyer-Drawe 1996, S. 18 ff.)

1 Die fortlaufende Digitalisierung des Sozialen – Einleitung

Nicht nur in Deutschland, sondern in nahezu allen hochindustrialisierten Ländern werden Transformationsprozesse initiiert, die den digitalen Wandel in allen gesellschaftlichen Bereichen vorantreiben (sollen). Digitalisierung als gesellschaftliches Programm wird dabei seit mehreren Jahren intensiv diskutiert und als zukünftige gesellschaftliche Vision entworfen. Internet, soziale Netzwerke und digitale Kommunikationsformen haben den Blick auf die Welt verändert und zu einer Verdichtung und Intensivierung von Ereignissen, Informationen und Bildern und somit auch zu einer neuen Qualität der WeltbeziehungFootnote 1 geführt. Digitalisierungsprozesse werden im Hinblick auf individuelle, soziale und organisationale Folgen durchaus kritisch betrachtet und kontrovers diskutiert.Footnote 2 So sind die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Wandel von sozialen Kommunikations- und Governanceformen im Internet relativ gut erforscht (u. a. Aiken und Bischoff 2018), die Möglichkeiten der Digitalisierung in der Arbeitswelt oder im Bildungsbereich werden seit einigen Jahren intensiv diskutiert. Die Soziologie beschäftigt sich seit vielen Jahren eingehend mit dem Prozess der Digitalisierung von Gesellschaften (Baecker 2018; Nassehi 2019; Stalder 2016; Borgman 2015; Marres 2017; Daniels et al. 2017; Süssenguth 2015; Lupton 2014). Es steht inzwischen auch die Frage nach der Notwendigkeit einer „Digitalen Soziologie“ (Maasen und Passoth 2020, S. 11; Nassehi 2019) zur Debatte. Trotz Unterschieden in den Einschätzungen bezüglich der Folgen von Digitalisierungsprozessen besteht insgesamt große Übereinstimmung, dass Welt individuell zu erfahren und sie sich anzueignen heute zunehmend digital vermittelt wird.

Die Nutzung digitaler Technologien bietet wichtige Formen der Kompensation fehlender direkter Kommunikation und Interaktion. Jedoch ist die Frage, welchen Zugang eine digital vermittelte Weltbeziehung den Menschen zur Welt und zum eigenen Handeln eröffnen und wie diese unter der Perspektive der Humanisierung der Digitalisierung bewertet werden kann, nach wie vor nicht eindeutig zu beantworten.

Vor diesem Hintergrund nutzen wir Hartmut Rosas Resonanztheorie als Rahmen für eine kritische Reflexion ausgewählter Digitalisierungsdynamiken in den Feldern Arbeit und Alltag. Sie erweitert die Analyse der Mensch-Technik-Beziehung um den Aspekt der Beziehung des Menschen zur Welt. Dies spiegelt sich in der Prämisse der Theorie der Resonanz insofern, als dass „es im Leben auf die Qualität der Weltbeziehung ankommt, das heißt auf die Art und Weise, in der wir als Subjekte Welt erfahren und in der wir zur Welt Stellung nehmen; auf die Qualität der Weltaneignung“ (Rosa 2016, S. 19, Heraush. im Orginal). Dies scheint gerade in Zeiten digitaler Vergesellschaftung von großer Bedeutung zu sein. Nur so können, nach Ansicht der Autorinnen, wichtige Voraussetzungen geschaffen werden, um die Digitalisierung des Sozialen in kritischer und konstruktiver Absicht zu begleiten. Ziel der Überlegungen sollten Argumente für die allseits thematisierte Forderung sein, „den Menschen in den Mittelpunkt dieser Entwicklungen zu stellen.“Footnote 3 Vor diesem Hintergrund werden zwei Beispiele, Arbeit und Alltag, vorgestellt, in denen die Perspektive der Resonanztheorie wichtige Beiträge für eine kritische Reflexion von Digitalisierungsprozessen liefert.

Im Folgenden wird zunächst in Grundzügen die Theorie der Resonanz vorgestellt. Anschließend wird anhand der Themenfelder Arbeit und Alltag gezeigt, wie es dieser Ansatz erlaubt, digital vermittelte Weltbeziehungen zu analysieren und so einen kritischen Zugang zur Digitalisierung des Sozialen ermöglicht.

2 Die Theorie der Resonanz und ihre Relevanz für die Beschreibung sozio-technischer Dynamiken

Selbst die meisten seiner Kritiker*innen bestreiten nicht, dass Hartmut Rosa mit der Einführung der Kategorie der „Resonanz“ (2016) als einem Gegenentwurf zum Begriff der Entfremdung ein großer „Wurf“ (König 2016, S. 2; Thomä 2016, S. 1; Henkel 2016, S. 2) gelungen ist. Auch zeugt die anhaltende wissenschaftliche und öffentliche Debatte zur „Resonanztheorie“ davon, dass Rosa einen Nerv der Zeit getroffen und einer wichtigen „Erfahrung, die zur Sprache drängt“ (Waldenfels 2019), einen diskursiven Raum eröffnet hat. Interessanterweise beziehen sich diese Reaktionen nicht nur auf die soziologische und sozialphilosophische Debatte, sondern die „Resonanztheorie“ hat auch viele benachbarte Disziplinen wie etwa die Erziehungswissenschaften oder die Theologie zur Selbstreflexion angeregt (Wils 2019).

Dies verwundert angesichts der zentralen Frage, die Rosa beantworten möchte, nicht: Was ist ein gutes Leben in der Moderne? Die Gesellschaftsdiagnose, die diese Frage motiviert, hat Rosa vor allem in den „Umrissen einer Kritischen Theorie der Beschleunigung“ (Rosa 2012, 2005, 2009) entwickelt. Ihm geht es um eine „Neubestimmung von Entfremdung“ in der fortgeschrittenen Moderne, die von einem sich „weitgehend hinter dem Rücken der Akteure vollziehenden Prozess der Beschleunigung vorangetrieben wird“ (Rosa 2012, S. 300, Hervorh. im Orginal). Seine zentrale Prämisse ist, dass über einen sehr langen Zeitraum hinweg Beschleunigungsprozesse im Dienste des Modernisierungsprozesses standen und Teil dessen Erfolges wurden. Das ökonomische und technologische Innovationsparadigma hat zu enormen Steigerungspotenzialen in allen gesellschaftlichen Sphären westlicher Industriegesellschaften geführt, die das Projekt der Moderne mit seinen individuellen und kollektiven Autonomiegewinnen im positiven Sinne „wechselseitig unterstützt, ergänzt und vorangetrieben haben“ (Rosa 2012, S. 301).

Rosa bezieht dies nicht nur auf die Ebene des materiellen Wohlstandsniveaus, sondern auch auf die Ebene einer kontinuierlichen „Resonanzerweiterung“ (Rosa 2016) der geistigen und kulturellen Erfahrungshorizonte der Menschen in der Moderne. So sei dieser Prozess nicht einseitig negativ zu beschreiben, sondern, im Gegenteil, er beinhalte bemerkenswerte Kulturleistungen beispielsweise in der Bildung, in der Kultur und auch im Bereich von (technischen) Innovationen. Ähnlich wie schon von vielen Modernisierungstheoretikern vor ihm beschrieben (vgl. etwa Beck 1986; Bauman 2005), kehrt sich allerdings auch in Rosas Diagnose diese Dynamik gerade durch ihren Erfolg in ihr Gegenteil um: „die Beschleunigungsimperative drohen die Gestaltungsspielräume der Politik wie die Freiheitspotentiale individueller Lebensführung radikal zu erodieren“ (Rosa 2012, S. 301). Beschleunigung verselbstständigt sich und entwickelt sich zu einem „Steigerungszwang als strukturellem Kern der gesellschaftlichen Formation“ (Rosa 2017, S. 312). Diesen Zwang beschreibt er mit dem Begriff der „dynamischen Stabilisierung“ (Rosa 2016, S. 671–689) als das strukturelle Programm hochindustrialisierter Gesellschaften. Dieses Programm habe jedoch längst seinen Zenit überschritten und werde sich selbst zum Problem (vgl. auch Beck 1986). Denn das, was mit diesem Programm erreicht werden soll, nämlich die wissenschaftliche, technische und politische Welt kontrollierbar und verfügbar zu machen, scheint sich in ihr Gegenteil zu verwandeln. Die äußere Welt „weicht“ zurück, ist wenig kontrollierbar, entzieht sich mehr und mehr der Verfügbarkeit menschlicher Zugriffe und wendet sich letztlich gegen sie (ebda., S. 12 ff.).

Diese Kritik am kapitalistischen Wachstumsparadigma wird seit vielen Jahrzehnten aus unterschiedlicher Perspektive formuliert. Inzwischen zeugen weitreichende globale Umweltzerstörungen, soziale Verwerfungen und die rasant ansteigenden Folgen des Klimawandels von den „Pathologien der Vernunft“ (Honneth 2007) in hochindustrialisierten Gesellschaften, die sich nicht mehr länger ignorieren lassen. Wie oben dargestellt, richtet Rosa hierbei seine Kritik auf die Beschleunigungsverhältnisse und hier insbesondere auf das Verhältnis der Menschen zu ihrer Umwelt (Rosa 2016). Er beschreibt als zentrales Problem, dass das Verhältnis der Menschen zu der sie umgebenden Welt zunehmend mehr „verstummt“ (ebda., S. 523–598). Dieses Verstummen deutet er als eine neue Qualität von Entfremdung in hochtechnisierten Gesellschaften. So definiert er diese, im Anschluss an die Philosophin Rahel Jaeggi, als eine „Beziehung der Beziehungslosigkeit“ (Jaeggi 2005, S. 70; Rosa 2019a, S. 19) und beschreibt dieses Verhältnis als eine wachsende Empfindungslosigkeit der Menschen zur Welt, die auf allen Ebenen weitreichende und destruktive Folgen habe.Footnote 4 Dieses Verhältnis sei nicht lediglich als eine „bloße Abwesenheit dieser Beziehung“ (Jaeggi 2005, S. 70) zu verstehen, sondern diese Qualität der Nichtbeziehung zeichne sich durch das Nichtwahrnehmen der Zustände der äußeren Welt aus.

Ganz im Sinne einer positiven Dialektik ist es Rosa ein großes Anliegen, einen Lösungsansatz für diese zunehmend problematische Beziehung zur Welt vorzuschlagen: „Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung“ (Rosa 2016, S. 13). Resonanz und Resonanzfähigkeit werden von ihm zunächst als ein „Zustand oder Modus einer dynamischen Beziehung zur Welt, in dem sich Subjekt und Welt […] wechselseitig berühren und transformieren“ (Rosa 2019a, S. 17 ff., Hervorh. im Org.) formuliert. Ausschlaggebender Aspekt dieser Wechselbeziehung des gegenseitigen Berührens und Berührtwerdens sei allerdings, dass diese Beziehungsqualität als „selbstwirksam“ erfahren werden kann (ebda., S. 18). So sei gutes oder gelingendes Leben immer an die Erfahrung von Resonanz gebunden und diese könne, nach Rosa, nur in resonanten Beziehungsstrukturen entstehen. Mit dieser Prämisse stellt er das Verhältnis von Subjekt und Welt und damit auch die Frage nach einem gelingenden Leben in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Dies hat zu kritischen Interventionen aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven geführt (vgl. etwa Peters und Schulz 2017; Steinfath 2019; Landweer 2019; Haker 2019).

Helmut König hat die Quintessenz von Rosas Theorie auf eine einfache Formel gebracht (König 2016, S. 1): „Gutes Leben ist [nämlich] an die Erfahrung von Resonanz gebunden, und Resonanz kann immer nur in Beziehungen entstehen, in denen der oder das jeweilige Andere eigenständig bleibt und mit eigener Stimme spricht“. So wird Resonanz und Resonanzfähigkeit als menschliche Möglichkeit von Rosa in den Vordergrund gerückt, um die eigene Ausrichtung auf die Welt und zu sich selbst zu entwickeln, zu schärfen und vor allem zu stärken. Resonanz und Resonanzfähigkeit erscheinen so als die letzte Bastion der „Unverfügbarkeit“ (Rosa 2019b) menschlicher Seinsformen, aus der heraus „Anverwandlung“ und „Selbsttransformation“ (Rosa 2017, S. 311–330) stattfinden kann und soll. Das Bewusstwerden individueller Unverfügbarkeit als einer Form menschlicher Freiheit wird von der Theologie als eine „Offenbarung des Menschen als Antwortwesen“ (Huizing 2019, S. 129) gedeutet. Die Soziologie verweist allerdings auf den individuellen Charakter dieses Prozesses (Krings 2016), während die Philosophie in diesem Kontext nach der ontologischen Bedeutung von menschlicher Freiheit fragt. Rosa distanziert sich dezidiert von der Sichtweise, Resonanz als eine „Heilstheorie“ (Rosa 2016, S. 750) zu verstehen. Aber auch die Bedingungen der Möglichkeit subjektiver Freiheit werden bei ihm explizit wenig ausgelotet. Im Gegenteil, er zielt in seinen Arbeiten dezidiert auf die soziologische Perspektive, also auf Fragen nach den gesellschaftlichen Verhältnissen, „die es den Subjekten ermöglichen, konstitutive Resonanzachsen auszubilden und zu erhalten, welche ihnen die wiederkehrende Erfahrung von (momenthafter, prozessualer und transformativer) Resonanz und damit die Anverwandlung der Welt erlauben“ (ebda., S. 750). Allerdings bleibt hier die Frage weitgehend unbeantwortet, wie und auf welche Weise, diese „transformative Resonanz“ empirisch erhoben werden kann.

Wie oben bereits beschrieben, hat das Buch eine äußerst kritisch-konstruktive Debatte in unterschiedlichen Disziplinen ausgelöst, die zur kreativen Weiterentwicklung des Begriffs der Resonanz eingeladen hat. Ein wichtiger Aspekt dieser Debatte ist, inwieweit die menschliche Welterfahrung auch den Umgang mit technischen Artefakten miteinschließt bzw. inwieweit menschliche Welterfahrung technisch konstituiert und vermittelt ist.Footnote 5 Auch für Rosa selbst spielt diese Frage eine bedeutsame Rolle. Einerseits zeigt Rosa unter anderem am Beispiel der Musik und des Musizierens, wie Menschen bewusst und/oder unbewusst mittels eines Mediums in Resonanz gehen (Rosa 2016, S. 162 ff.), andererseits wirft er in kritischer Absicht die Frage auf, wie „sich die Natur des menschlichen und seines biographischen Weltverhältnisses insgesamt ändert, wenn Bildschirme zum Leitmedium nahezu aller Weltbeziehungen werden“ (ebda., S. 155, Hervorh. im Orginal). Dabei bezieht sich Rosa mehr und mehr auf die „Digitalisierung der Weltverhältnisse“ (ebda., S. 85), die die individuelle Wahrnehmung der Welt fundamental verändert hätten. So beschreibt er eine stetige Einschränkung der Wahrnehmung im Hinblick auf eine sinnliche Vielfalt des Erlebens.

„Die Welt antwortet uns, und wir erreichen sie, auf immer dieselbe Weise, über den immer gleichen Kanal, mittels der stets gleichen Augen- und Daumenbewegung […]. Die Welt, mit der wir interagieren, kommunizieren, an der wir arbeiten und in der wir spielen, riecht nicht, sie hinterlässt keine Gravitationswirkungen und taktilen Empfindungen und lässt keine Geschmackswahrnehmungen zu“ (ebda., S. 157).

Die Wahrnehmung der Welt mittels Bildschirms hat, nach Rosa, einen eher negativen Einfluss auf das Weltverhältnis und auch auf das Verhältnis der Menschen zu sich selbst. Dies zeige sich beispielsweise in der stark anwachsenden Praxis der Selbstoptimierung (Rosa 2016, 2019b; vgl. auch Mau 2017) durch digitale Technologien. Das systematische Messen alltäglicher Routinen wie Nahrungsaufnahme, sportliche Aktivitäten sowie der eigenen Vitaldaten durch digitale Technologien führe zunehmend von einem Wandel qualitativen (körperlichen) Erlebens zu einem quantitativen Erfassen der eigenen körperlichen Befindlichkeit (Gugutzer 2017). Auch hier identifiziert Rosa eine zunehmende Beziehungslosigkeit („Verstummen“) der Menschen zu sich selbst, zu ihrem eigenen körperlichen Empfinden und zu ihren Wahrnehmungen. Die Frage nach den Auswirkungen, die diese zunehmend digitale Vermittlung auf die Beziehungen der Menschen zu ihrer Umwelt sowie auf ihre Selbstwahrnehmung haben, erscheint angesichts der sozialen Vielschichtigkeit der Nutzung digitaler Technologien zunehmend virulent. Daher wird in diesem Beitrag zunächst in Bezug auf die Bereiche Arbeit und Alltag diskutiert werden, welche kritische Perspektive die Resonanztheorie auf digital vermittelte Welt in diesen Bereichen eröffnen kann, und woran sich Formen eines „guten“ Lebens messen sollten. Rosa spricht hier von einer „gelingenden“ Resonanz, die die individuelle Beziehungsebene der Menschen zu ihrer Umwelt bewusst integriert und in der die Erkundung dieser Resonanzräume wichtige Aspekte der individuellen „Lebendigkeit“ (Fromm 1987; auch Fuchs 2020) zum Ausdruck bringt. Diese Erkundungen weisen auf entscheidende Schritte in „Richtung einer eigenen Identität“ (Bauer 2019, S. 110), die es erlauben, einen individuellen integrierten „Selbst-Schwerpunkt“ (ebda., S. 110; Krings 2016) zu entwickeln. Erst dieser Schwerpunkt erlaubt es, in Distanz zu sozialen Identifikationen zu gehen, die eigenen sinnlichen, leiblichen und intellektuellen Bedürfnisse anzuerkennen, eigene Freiheiten zu erkunden und sich gleichzeitig „gegenüber unterschiedlichen Denk- und Lebensstilen zu öffnen“. In-Resonanz-Gehen meint immer zweierlei: die Selbstreflexion auf die eigene Lage und das In-Beziehung-Gehen zu einem Gegenüber, das mit eigener Stimme spricht, also sich aufeinander zu beziehen.

Digitale Technologien können Resonanzbeziehungen sowohl befähigen als auch verhindern. Allerdings sollten die Räume zur Befähigung dieser Möglichkeiten nicht den Pfadabhängigkeiten digitaler Technologien überlassen, sondern in individuellen und kollektiven Wertediskursen ausgehandelt werden (Nida-Rümelin und Weidenfeld 2018; Spiekermann 2019; Heidingsfelder 2019). Hier können Bezüge zur Resonanztheorie einerseits eine kritisch-reflexive Perspektive auf Mensch-Welt-Beziehungen in Digitalisierungsprozessen eröffnen. Andererseits erlaubt der normative Anspruch eines „guten“ (resonanten) Lebens auch Kriterien für die Gestaltung und Bewertung sozialer Handlungsräume aufzustellen. Auf dieses Programm einer empirischen Untersuchung von Resonanzbeziehungen und die notwendige Ableitung von Gelingenskriterien für Weltbeziehungen kann an dieser Stelle nur ausblickhaft hingewiesen werden. Im Anschluss an die bestehende Forschung werden wir im Folgenden diskutieren, welche Relevanz das Konzept der Resonanz für eine erweiterte kritische Reflexion von Technisierungs- und Digitalisierungsprozessen hat, und werden dies an den Prozessen der Digitalisierung von Arbeit und von Alltag beispielhaft darstellen.

3 Digitalisierung der Gesellschaft oder sozial konstituierte Resonanzräume?

Derzeit besteht große Einigkeit darüber, dass digitale Technologien die Vielfalt der Branchen und Sektoren sowie Gesellschaft mehr und mehr durchdringen und verändern werden. Diese Entwicklung ist politisch erwünscht, zeigt darüber hinaus eine hohe Relevanz in Zeiten der Pandemie und wird seit einigen Jahren vor der Perspektive der wirtschaftlichen Standortdebatte und Konkurrenzfähigkeit Deutschlands auf dem Weltmarkt vehement vorangetrieben.Footnote 6 Im Folgenden werden zwei gesellschaftliche Beispiele, die Digitalisierung in Arbeitskontexten sowie die Digitalisierung des Alltags, skizziert. An den beiden Beispielen soll herausgearbeitet werden, wie die Resonanztheorie genutzt werden kann, um die technisch vermittelten Weltverhältnisse in diesen Dynamiken kritisch zu reflektieren.

3.1 Digitale Arbeit

Im Hinblick auf die Veränderungen von Produktionsprozessen sowie der jeweiligen Arbeits- und Berufsfelder sind und werden Digitalisierungsprozesse der Arbeitswelt sehr gut erforscht und kritisch diskutiert (vgl. u. a. Funken und Schulz-Schaeffer 2008). Dahingegen trägt die Diskussion um die Digitalisierung der Industrie deutlich „technikoptimistische Züge hinsichtlich der sozio-ökonomischen Konsequenzen digitaler Technologien“ (Hirsch-Kreinsen 2018, S. 166). Gleichzeitig werden jedoch auch neue Fragen formuliert, denen im Rahmen der aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. So ist etwa, mit Hirsch-Kreinsen, zu fragen, „welchen politischen Stellenwert hierbei der seit einiger Zeit im Kontext von Industrie 4.0 begonnene Demokratisierungs- und Humanisierungsdiskurs letztlich hat“ (ebda., S. 166). Mithilfe der Resonanztheorie lässt sich die Leitidee einer Humanisierung der Digitalisierung eingehender betrachten. Sie knüpft an die eingangs gestellte Frage an, inwieweit das Soziale in Technisierungsprozessen aufscheint und konkret benannt werden kann. Wie können angesichts der Einführung avancierter technischer Optionen in unterschiedlichsten Arbeitsfeldern gleichzeitig auch Arbeitsbedingungen geschaffen werden, die Raum für individuelle, soziale und organisationale Lernprozesse eröffnen? Woran misst sich das Gelingen dieser Lernprozesse und inwiefern können digitalisierte Arbeitsformen Resonanz befördern oder behindern? Wie können diese Räume in politischen Handlungsoptionen berücksichtigt werden (Moniz und Krings 2016)? Im Diskurs zu digitalen Arbeitsprozessen stehen klassischerweise die Mensch-Maschine-Interaktionen im Vordergrund. Hier wird das Augenmerk auf die Veränderung dieses Verhältnisses gelenkt, indem beispielsweise auch zunehmend mehr von „Mensch-Maschine-Kooperation“ (Pfeiffer und Huchler 2018, S. 167; Pfeiffer und Suphan 2020) gesprochen wird. In den meisten Ansätzen geht es darum, eine optimale Mensch-Maschine-Konvergenz zu erreichen, um die Steigerungsdynamik effizienten Produzierens aufrechtzuerhalten. Dagegen gibt es wenig Räume im Arbeitsleben, die dazu beitragen könnten, Mensch-Technik-(Organisation‑)Welt-Beziehungen zu befördern und die Teilhabe, d. h. die Motivation der Beschäftigten in den Fokus der Organisationsentwicklung zu stellen (Laloux 2015).

Die digitalisierte und hochautomatisierte „neue“ Arbeitswelt spiegelt die Logik der Organisation der Erwerbsarbeit wider und prägt vor diesem Hintergrund fundamental das Resonanzerleben bzw. die Resonanzfähigkeit der Beschäftigten. In eine resonante Beziehung zu diesem Arbeitskontext eintreten, einen eigenen integrierten „Selbst-Schwerpunkt“ (Bauer 2019, S. 110) entwickeln zu können, weist auf die Qualität der jeweiligen Arbeitsbedingungen und ihre Gestaltungsoptionen hin. Ermöglicht der Arbeitskontext die berufliche Weiterentwicklung? Finden hier soziale Wertschätzung und Anerkennung (Honneth 1992) statt? Gibt es Möglichkeiten der persönlichen Gestaltung des Arbeitsumfeldes und/oder sind diese vornehmlich in Strukturen funktionaler (technologischer) Standards eingebettet? Diese Fragen stehen schon lange im Fokus der Arbeitssoziologie und erhielten im Rahmen der Ansätze der „Subjektivierung von Arbeit“ (Moldaschl und Voß 2003)Footnote 7 nochmals eine besondere Relevanz. Angesichts steigender technisierter und komplexer Arbeitsstrukturen wuchs und wächst „der Zugriff auf bislang kaum systematisch genutzte Potenziale der Arbeitskraft wie Innovativität, Kreativität, Sozial- und Kommunikationskompetenzen, Begeisterungsfähigkeit und ultimative Leistungsbereitschaft, Loyalität und Solidarität“ (Kleemann et al. 2003, S. 72). Diese subjektivierenden Arbeitszusammenhänge sind auf „reflexive und selbstbestimmte ‚Erwerbspersönlichkeiten‘ angewiesen“ (ebda., S. 102), die vor diesem Hintergrund häufig danach „strebten, authentisch zu sein“ (Thunman 2013, S. 63), und sich mit hohem Engagement ihrer Arbeit widmen. Resonanzfähigkeit im Hinblick auf die Arbeitsumwelt scheint gerade hier erforderlich zu sein, um den komplexen Anforderungen Genüge leisten zu können.

Die Kehrseite dieser Arbeitsformen führt nicht selten zu Zuständen der Erschöpfung und des Burnouts (Neckel und Wagner 2013; Ehrenberg 2004), da auch hier eine drastische Zunahme von Beschleunigungsdynamiken und Stress zu beobachten ist. Eine psychische Überforderung in Arbeitskontexten wird hierbei seit vielen Jahren in der Arbeitssoziologie als Spitze des Eisbergs neuer Entwicklungen diskutiert, die, nach Voß und Weiss (2013), zu psychosozialen Pathologien führen. So „leiden sie eher unter den neuartigen psychosozialen Anforderungen, die entstehen, wo ambivalente Freiheiten mit diffusen indirekten Herrschaftsformen verknüpft sind, so dass Menschen in höchst widersprüchliche Situationen“ (Voß und Weiss 2013, S. 36) hineinmanövriert werden. Neu an dieser Situation ist, dass „in praktisch allen Lebenssituationen auf die subjektive Lebendigkeit [der Beschäftigten] zugegriffen wird, und die Intensität, mit der dies geschieht“ (ebda., S. 46). Hier entstehen nicht selten Situationen mit neuartigen Risiken, vor allem das der Selbstüberlastung und das des selbstverschuldeten Scheiterns (ebda., S. 47). Darüber hinaus weisen sie häufig auf den Mangel an sozialer Anerkennung und auf Formen der Abwertung der individuellen Arbeitsleistung hin, was sehr häufig zu psychosozialen Störungen führen kann (Haller 2019).

Diese Entwicklungen lösen häufig individuelle Ängste und Überforderung aus. Sie evozieren Gefühle, nur noch wie ein Rädchen in der Maschine zu funktionieren, ohne weitgehende Berücksichtigung auf die sich wandelnden Bedürfnisse (Bauer 2015, 2019; Krings 2013). Ein großes Verdienst sozialpolitischer Bemühungen bestand zwar gerade über lange Zeiträume darin, individuelle Bedürfnisse im Hinblick auf die Verbesserung von Arbeitsqualität sukzessive zu berücksichtigen. Digitale Optionen stellen diese Errungenschaften aktuell jedoch wieder infrage, da die Möglichkeiten sozialer Resonanzräume in vielerlei Hinsicht zugunsten von Automatisierungstrends abgebaut werden.Footnote 8 Das Primat der „Mensch-Maschine-Konvergenz“ (Benedikter 2017, S. 20) in der (erfolgreichen) Gestaltung der digitalen Arbeitswelt steht weitgehend im Vordergrund der wissenschaftlichen und öffentlichen Debatte. Die daraus resultierenden Anforderungen an „Arbeiten 4.0“ (BMAS 2017) kreisen hier zwar konstruktiv um das gesamtgesellschaftliche Austarieren und die Stärkung „guter Arbeitsbedingungen“ (ebda., S. 128). Mit der rasant voranschreitenden Dynamik der Digitalisierung sind jedoch auch negative Phänomene verbunden, wie z. B. „Konflikte, Vertrauensverluste, Unhöflichkeit, Respektlosigkeit und Würdelosigkeit“. Diese erscheinen als die „Schattenseiten der Unvollständigkeit des Digitalen“ (Spiekermann 2019, S. 124). Gleichzeitig gerät technische Expertise mehr und mehr in den Fokus effizienzgetriebener Profilierung, während berufliche Erfahrung und Wissensbestände von Beschäftigten in aktuellen Arbeitsfeldern sozial und organisatorisch abgewertet werden (Honneth 2021).

Die Resonanzthese richtet den Blick in diesem Kontext dezidiert auf die Beschäftigten und ihre subjektiven Bedürfnisse nach einem „Resonanzraum“, der ihnen – idealiter – individuelle und soziale Lernprozesse einräumt und sie in die Lage versetzt, insbesondere über Arbeitsinhalte, Beziehungs- und Organisationsstrukturen im Rahmen ihrer Arbeitskontexte nachzudenken, diese zu thematisieren und gegebenenfalls zu verändern. Neu entstehende digitale Arbeitswelten können hier wichtige Impulse setzen, vor allem deswegen, weil die Digitalisierung als zentrales Veränderungsmoment neue und qualitativ anspruchsvolle Arbeitsformen generieren soll (BMAS 2017). Hier werden grundlegende Fragen angesprochen, ob und wie wir neue Organisationsmodelle entwickeln können, die „Arbeit produktiv, erfüllend und sinnvoll macht?“ (Laloux 2015, Einleitung; Nierling und Krings 2019).

3.2 Digitalisierung des Alltags

Ein weiteres Feld, das seit vielen Jahren intensiv beforscht wird, ist die Gestaltung und die Organisation des Alltags im Rahmen digital vernetzter Systeme. Digitale Technologien und ihre Anwendungen greifen verstärkt in das Alltagsgeschehen der Menschen ein und nehmen Einfluss auf die Handlungsweisen sowie auf die Wahrnehmung der Menschen im Hinblick auf das „in-die-Welt-gestellt-sein“ (Rosa 2016). Die Digitalisierung reicht inzwischen weit in benachbarte gesellschaftliche Sphären wie Arbeit, Bildung und Öffentlichkeit hinein und ihre Grenzen sind fließend geworden (Schrape 2021). Die Digitalisierung der sozio-kulturellen Alltagswelten wird seit einigen Jahrzehnten vor unterschiedlichen Fragestellungen intensiv beforscht (vgl. Bereich „Medien“ etwa Thiedeke 2020) und bildet weitere relevante gesellschaftliche Handlungsfelder aus (Nida-Rümelin und Weidenfeld 2018). Ein wichtiger Aspekt im Rahmen dieser Entwicklungen sind die funktionalen und technischen Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz, also Algorithmen, die als Basis für (Handlungs‑)Entscheidungen in unterschiedlichsten Kontexten herangezogen werden (sollen). Das heißt, digital berechenbare Prozesse und Ordnungsmuster werden mehr und mehr die Grundlage sozialen Handelns, was soziale Interaktionen und Entscheidungsstrukturen mit einbezieht und kontinuierlich verändert. Diese Interaktionen beziehen sich auf (neue) Kommunikations‑, Koordinations- und Organisationsstrukturen im Alltag und bilden formale und standardisierte „Muster“ in der sozialen Sphäre heraus (Nassehi 2019; Mau 2017).Footnote 9 Die Grundstruktur regelgeleiteter Digitalisierung wurde und wird hierbei zunehmend mehr zum Ausgestaltungsprinzip sozialen Wandels. Diese Grundstruktur ist nicht neu (vgl. Heintz 1993), schlägt sich jedoch zunehmend mehr im Alltagsleben der Menschen nieder und bildet die Grundlage für individuelle Entscheidungen. So fordern etwa Bewegungsapps die Individuen auf, den etablierten Bewegungsplan einzuhalten, den Spaziergang einzuplanen und spezifische Anweisungen zu beachten. Wetterapps informieren über die benötigte Kleidung und Smartphones sorgen für Unterhaltung und/oder Anweisungen im Rahmen des Trainingsprogramms. Im Vordergrund stehen funktionale Zielsetzungen und die Delegation von Entscheidungen bildet dann konsequenterweise die „most characteristic feature of metrix fixation is the aspiration of replace judgement based on experience with standardised measurement“ (Muller 2018, S. 6). Die unterschiedlichen Modelle digitaler Bewertungs- und Entscheidungsstrukturen können das soziale Miteinander sowie den Blick auf das Individuum selbst verändern. Das gilt insbesondere für die technische (Selbst‑)Vermessung, die seit einigen Jahren die Möglichkeit eröffnet, individuelle Gewohnheiten und Handlungsroutinen aufzuzeichnen und in Bewertungsmodelle zu überführen. Beispielsweise wird durch eine Vielzahl von am Körper getragenen Messgeräten dem Individuum die Information vermittelt, ob es ihm gut oder schlecht geht, was zu neuen Formen der Selbsterforschung führt (vgl. Gugutzer 2017; Mau 2017).

Diese „Extended-Self“-Phänomene (Clark und Chalmers 1998) sind in der Entwicklungspsychologie inzwischen gut erforscht und beschreiben die Verlagerung des Selbst in das Internet und auf seine sozialen Plattformen. Das Netz wird damit zu einem Raum, in dem sich in zunehmendem Maße entscheidet, was individuell gefühlt, individuell bewertet und in diesen Raum hinein kommuniziert wird. „Die Verlagerung des Selbst ins Internet und der zwischenmenschlichen Kommunikation in die sozialen Netzwerke hat dazu geführt, dass Letztere zur wichtigsten Resonanzquelle [für viele Menschen] geworden sind“ (Bauer 2019, S. 188; vgl. auch Rosa 2016, 2019a). Somit können auch neue digital vermittelte Formen der Kommunikation Resonanz begünstigen. Daraus sind kollektive Kommunikations- und Handlungsstrukturen entstanden, die zwar kontinuierlich das Bedürfnis der Menschen nach sozialer Nähe und nach sozialer Anerkennung spiegeln, diese jedoch eher in einen „Selbstunterbrechungshabitus“ (Spiekermann 2019, S. 108) versetzen als in verbindliche Sozialstrukturen.Footnote 10 Im Sinne der Kritik von Hartmut Rosa meint dieser „Selbstunterbrechungshabitus“ den auf Beschleunigung und Verdichtung zielenden Kontext digitaler Geräte und Services. „Sie beeinflussen durch ihr Eigenleben die Art, wie wir in der Welt leben“ und er beschreibt den ständigen Einfluss von digitalen Technologien als ernstzunehmende Phänomene, die solch „eine Macht über uns haben, dass wir an ihnen förmlich kleben bleiben“ (ebda., S. 101 ff.). Der Zugang zur Welt findet so einerseits zunehmend mehr durch das Medium digitaler Technologien statt. Andererseits können durch ihre Dominanz andere Zugänge zur Welt vernachlässigt werden. Die Abhängigkeit von digital vermittelter Kommunikation wird daher in vielen Studien bereits als ernst zu nehmendes Suchtphänomen beschrieben.

Die aktive Auseinandersetzung mit diesen Erfahrungen hat bei der US-amerikanischen Soziologin und Psychologin Sherry Turkle zu der weitsichtigen Frage geführt „why we expect more from technology and less from each other?“ (Turkle 2011). Sie hat nachgewiesen, dass das Internet als Resonanzraum dazu geführt hat, die Qualität sozialer Kommunikation und Verhaltenserwartungen signifikant zu verändern. Während Turkle am Beginn dieser technischen Trends noch die vielseitigen Möglichkeitsräume der Digitalisierung positiv gewürdigt hat, hat sich ihre Einstellung im Laufe der letzten Jahre signifikant verändert. So ziele, nach Turkle, der Umgang mit digitalen Technologien auf standardisierte Kommunikationsmuster, was individuelle und soziale Lernprozesse wenig fördere und die Erwartungen an dieselben auch stark verändern würde. In Resonanz zu Mitmenschen gehen, bedeute hingegen eine besondere Qualität des sozialen Lernens, nämlich „to be fully present for one another, we learn to listen. It’s where we learn the capacity for empathy. It’s where we experience the joy of being heard, of being understood. And conversation advances self-reflection, the conversation with ourselves that are the cornerstones of early development and continue throughout life“ (Turkle 2015, S. 4).

Was in diesen Sätzen zum Ausdruck kommt, ist die Notwendigkeit nicht ausschließlich digital vermittelter Resonanzräume gerade im modernen Alltagsgeschehen von Menschen. Diese Erlebnisqualität kann, wie auch Rosa betont, weder geplant noch kontrolliert werden. Sie muss immer wieder aufs Neue individuell hergestellt werden, damit ein Bewusstsein für eigene, selbstgewählte Weltzugänge und damit Weltverbundenheit entstehen kann (von Redecker 2020). Entscheidend ist hierbei die Überprüfung des eigenen Wahrheitsanspruches sowie der eigenen Möglichkeiten in all diesen Resonanzräumen. Das heißt, die individuelle Selbstbeobachtung, das Reflektieren auf diese Umwelt trägt in hohem Maße dazu bei, (Selbst‑)Wirksamkeit herzustellen und diese auch zu befördern (Krings 2016).

Im Hinblick auf Digitalisierung heißt das im Umkehrschluss aber nicht, dass der Einsatz digitaler Technologien diese Resonanzräume automatisch verkleinert. Im Gegenteil ist auch in technisch und digital vermittelten Kommunikationssituationen Resonanz möglich. Allerdings weisen die oben beschriebenen Phänomene der Digitalisierung von Arbeit und Alltag darauf hin, dass die Gefahr groß bleibt, funktionale Aspekte digitaler Technologien gegen die häufig aufwändigen und anstrengenden nicht technisch-medial vermittelten Beziehungen einzutauschen und diesen vorzuziehen.

Vor diesem Hintergrund, so unsere These, bleibt es zentral, nicht nur zu diskutieren, wie sich Menschen zu Technik in Beziehung setzen, sondern darüber hinaus auch die Effekte auf die Beziehungen von Menschen zur Welt zu erforschen und letztlich zu verstehen, in welcher Weise und mit welchen Folgen digital vermittelte Kommunikation die Resonanzebene Mensch-Welt formt. Die Resonanztheorie kann dafür einen sinnvollen Verstehensrahmen bieten.

4 Den Menschen in den Mittelpunkt stellen – Resonanz als Rahmen für eine Humanisierung der „digitalen“ Gesellschaft

In allen Verlautbarungen über die zukünftige „digitale“ Gesellschaft wird betont, dass der Mensch (wieder) mehr im Mittelpunkt der Gestaltungsaktivitäten stehen müsse. Was dies bedeuten könnte, verschwindet jedoch, so die Ausgangsprämisse der Autorinnen, hinter diversen abstrakten Imaginationen technischer Zukünfte, die die hohe „Ambivalenz“ (Grunwald 2010) des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts weiterhin festschreiben und sich zunehmend selbst Konkurrenz machen (Hausstein und Lösch 2020). Dies ist freilich nicht per se neuen digitalen Technologien anzulasten, sondern weist darauf, wie sehr die wissenschaftlich-technisch-ökonomische Triade in die gesellschaftliche Entwicklung eingeschrieben ist (Rosa 2016). Die Frage, wie und auf welche Weise das „Soziale“ im Rahmen dieser Entwicklungen abgeleitet und für die Gestaltung sozio-technischer Räume fruchtbar gemacht wird, bildet den Fokus auf das Verhältnis von Menschen zur Technik bzw. umgekehrt von der Technik zum Menschen. Die oben beschriebenen Beispiele der digitalen Technisierung weisen vor diesem Hintergrund in der Regel auf das Anliegen, eine bestmögliche „Mensch-Maschine-Konvergenz“ (Benedikter 2017, S. 20) zu erreichen. Das heißt, der Mensch soll bestmöglich an die Logik technischer Abläufe, bzw. umgekehrt, die Logik technischer Abläufe soll an individuelle und soziale Strukturen, angepasst werden, indem die „Bedarfe“ sozialer Akteure und gesellschaftlicher Gruppen ausgelotet werden.

Der Großteil der Arbeiten konzentriert sich auf die „ingenieurswissenschaftliche Machbarkeit oder betriebswirtschaftliche Nützlichkeit“ (Hergesell 2019, S. 13) der digitalen Technologien, das Soziale bleibt in diesen Debatten häufig unbestimmt. Man könnte auch sagen, es bleibt unterbestimmt, da die sozialen Erwartungen in der Regel aus dem Technischen abgeleitet werden. So wird schnell auf die Vorteile wie beispielsweise Reichweitenvergrößerung, Schnelligkeit und Entlastungen jedweder Art für das soziale und wirtschaftliche Leben verwiesen. Ein Versprechen, das jedoch häufig nicht eingelöst werden kann bzw. sogar gegenteilige Effekte zeitigt (Aiken und Bischoff 2018; Carr 2010, 2014).

Neueste Forschungen und Entwicklungen formulieren ohne Zweifel innovative Fragen an zukünftige „digitale“ Gesellschaften, in denen technologische Beiträge eine zentrale Rolle spielen werden. Auch wird – mindestens rhetorisch – eine aktive Gestaltung im Hinblick auf die Entwicklung „digitaler“ Gesellschaften unter Einbezug sozialer und ethischer Debatten gefordert. Allerdings bleiben soziale Visionen im Rahmen dieser Entwicklungen meist ungenau bzw. werden im Lichte der traditionellen sozio-ökonomischen Fortschrittslogik kontinuierlich reproduziert (vgl. zur gesellschaftsbildenden Rolle von Visionen auch Hausstein 2020; Hausstein und Lösch 2020).

Die Erweiterung der Achse Technik-Mensch-Welt, wie sie in der Resonanztheorie von Hartmut Rosa vorgeschlagen wird, stellt eine mögliche Erweiterung der kritischen Perspektiven auf Digitalisierungsdynamiken und damit auch mögliche Bewertungsrahmen für die Gestaltung dieser Prozesse vor. Gefragt wird normativ nach den Bedingungen eines „guten“ Lebens, die es insbesondere in hochtechnisierten Gesellschaften zu eruieren gilt. Methodologisch stellt die Resonanzthese die Frage, wie sich die Lebendigkeit von Menschen in ihren Weltverhältnissen stärken lässt, bzw. wie der einzelne Mensch in der Ausbildung seines Selbst gestärkt werden kann. Der unmittelbare Augenblick des In-Resonanz-Gehens bzw. die Stärkung der Resonanzfähigkeit eines jeden Menschen wird als ein „Zustand oder Modus einer dynamischen Beziehung zur Welt, in dem sich Subjekt und Welt […] wechselseitig berühren und transformieren“ (Rosa 2019a, S. 17 ff., Hervorh. im Orig.) verstanden. Ausschlaggebender Aspekt dieser Wechselbeziehung des gegenseitigen Berührens und Berührtwerdens ist, dass sie als „selbstwirksam“, d. h. auch leiblich erfahren werden muss (ebda., S. 18; Han 2009). Es gilt daher nicht nur Mensch-Technik-Beziehungen zu reflektieren, sondern darüber hinaus Wege zu zeigen, wie Räume der selbstbestimmten Gestaltung von resonanten Weltverhältnissen eröffnet werden können, welche auch als gelingend wahrgenommen und beschrieben werden können.

In den oben skizzierten Beispielen wurden zwei unterschiedliche Bereiche vorgestellt, die exemplarisch aufzeigen, welchen Mehrwert der Einbezug der Resonanzthese in diese Kontexte haben könnte. Dies ist zunächst als Kritik angelegt, sollte sich jedoch langfristig als handlungsanweisend für methodische Erweiterungen verstehen.

Im Kontext der gesellschaftlichen Arbeit ist die fortlaufende Technisierung der Erwerbsarbeit ein Topos, der das Reflektieren über diese Prozesse seit Beginn der Industrialisierung fortschreibt. Hier hat die Achse Mensch-Maschine bzw. Maschine-Organisation zu intensiven Debatten über die Humanisierung der Arbeitskraft geführt, die in aktuellen Debatten um Arbeit 4.0 zunehmend mehr individuelle, soziale und nachhaltige Aspekte der Arbeitswelt herausarbeiten und betonen. Aus unserer Sichtweise knüpft die Integration der Resonanzthese als eine Mensch-Technik-Welt-Achse sehr gut an diese Perspektiven an, indem sie ebenfalls den Menschen verstärkt in den Mittelpunkt der Arbeitsprozesse stellt (Seidl und Zahrnt 2019). So betont diese Sichtweise in besonderem Maße die „Vita activa“ (Arendt 1985; Rosa 2016) als ein „Tätigsein“ in einer „Menschen- und Dingwelt“, aus der sie sich niemals entfernt und die es nirgends transzendiert (Arendt 1985, S. 27). Arbeit ist grundlegender Bestandteil menschlicher Existenz. So ist in allen Gesellschaftsformationen das Individuum in besonderer Weise mit seinem Tätigsein verbunden. Sie bietet ihm Möglichkeiten der Selbst-Erweiterung und selbst in hochfunktionalen Arbeitsumgebungen sucht es danach, „selbstwirksam“ (Rosa 2019a, S. 18) zu sein, das heißt, in Resonanz zu seiner Umwelt zu treten und diese mitzugestalten.

Im Kontext der Digitalisierung des Alltags weist das Beispiel auf eine neue Qualität von Kommunikations- und Handlungsstrukturen, die eine große Vielfalt an sozialen und kulturellen Lebensformen zulässt. Verweise auf die Zunahme quantitativer und regelgeleiteter Formen des Weltzugangs sind notwendig, gleichzeitig gilt, Räume zu eröffnen, die den eigenen Selbstbezug in den unterschiedlichen Kontexten erkunden und stärken. Als eine individuelle Erlebnisqualität richtet sich der Einbezug der Resonanz in den Alltag der Menschen zunächst konkret auf subjektive Erfahrungen (Krings 2016). Diese können entwicklungspsychologische Reifeprozesse fördern und diese im Hinblick auf Kompetenzen wie etwa Sinnfindung, Offenheit und Toleranz erweitern. Sinnfindung, um die Welt umfassender zu interpretieren; Offenheit, um unterschiedliche Perspektiven einnehmen zu können, und Toleranz, um komplexere soziale Muster zu erkennen. Diese Lerneffekte können und sollten wichtige und notwendige Impulse für kollektive Lernprozesse sein (Kegan und Laskow Lahey 2009).

So liegt der Wert der Resonanztheorie angesichts der Diagnose des Verstummens zunächst darin, Qualitäten des Weltverhältnisses als Effekte technisch-medial vermittelter Weltbeziehungen kritisch zu reflektieren und dahingehend Räume für individuelle und kollektive Bewusstwerdungsprozesse zu öffnen. Diese Öffnung kann und soll als eine Einladung verstanden werden, Lebendigkeit und Selbstbestimmung, das heißt, die eigene moralische Stimme zu finden (von Redecker 2020). Die Verknüpfung der Forschungen zum Mensch-Technik-Verhältnis mit der von Rosa vorgeschlagenen qualitativen Erforschung von Mensch-Welt-Verhältnissen kann gerade in hochdigitalisierten Gesellschaften, in denen Weltverhältnisse mehr und mehr technisch und digital vermittelt sind, dabei helfen, Resonanzräume zu entdecken bzw. ihr Verschwinden zur Sprache zu bringen. Der Fokus auf die Verhältnisse von Mensch-Technik-Welt zielt dann weiterhin auf eine Aktivierung von Resonanzräumen, die langfristig individuell und institutionell dem „Wohl-Sein und Wachstum des Menschen – oder anders gesagt – dem Lebensprozess“ (Fromm 1987, S. 116) dienen. Gerade in einer Epoche, in der eine universale Entwicklung zu mehr Komplexität, Integration und der Einnahme von unterschiedlichen Perspektiven vonnöten ist, kann und soll auf diese Räume und Lernprozesse nicht verzichtet werden.