1 Einleitung

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Kultur des Kaffeekonsums deutlich gewandelt und ausdifferenziert. Dieser Wandel ging mit einer symbolischen wie ökonomischen Aufwertung einher (Tucker 2017). Die Geschichte dieser doppelten Aufwertung wird häufig in drei Wellenbewegungen erzählt (bspw. Manzo 2010). Die „erste Welle“ führte zur Veralltäglichung des Kaffees im globalen Norden. In den 1990er-Jahren folgte mit der „zweiten Welle“ der Aufstieg von Ketten und Selbstbedienungscafés in den Einkaufszentren und innerstädtischen Geschäftsstraßen. Die „dritte Welle“ ist von neu entstandenen Mikroröstereien geprägt, die kleine Mengen direkt gehandelten Kaffees verkaufen und bei der Zubereitung auf Technologie und Spezialwissen setzen (Manzo 2010). Kaffee durchlief damit einen Aufwertungsprozess, wie er auch für weitere Genussgüter beschrieben wurde (etwa für Wein: Ponte und Daviron 2011).

Beides, die Ausdifferenzierung der Konsumkultur und der neue Status, stellt die Kaffeeproduzierenden allerdings vor eine Herausforderung: Wenn nun nicht mehr eine gleichbleibende Qualität (erste Welle) oder bestimmte Geschmacksprofile (zweite Welle), sondern einzigartige Kaffees verkauft werden sollen, muss die Kundschaft entsprechend vorbereitet werden (Fischer 2019, S. 12). Die Röstereien und Cafés der dritten Welle können ökonomisch nur existieren, wenn ihre Kundschaft bereit ist, ein Vielfaches für ihren Kaffee zu zahlen. Eine Strategie besteht darin, die Kundschaft mit der Zubereitung und mit Beschreibungs- und Bewertungsvokabularen vertraut zu machen, die die Distinktion durch Kaffeekonsum betonen. Neben der Beratung der Kundschaft an der Theke und das Auslegen von Fachzeitschriften und Informationsmaterial bieten viele Röstereien Verkostungen (Tastings) in Kleingruppen an, in denen das sinnliche Erleben (Schmecken des Kaffees) mit der Vermittlung von Kaffeewissen (z. B. Kaffeesorten und Varietäten, Technologien des Trocknens, Geschmacksnuancen) verknüpft wird. Diese in Tastings geleistete Vermittlungsarbeit erlaubt es, die den Sinnen zugänglichen materiellen Qualitäten zu spüren (Sehen, Riechen, Schmecken), zu vergleichen und geschmacklich einzuordnen. Mit Vannini et al. (2012) lässt sich diese Vermittlungsarbeit als „sinnliche Sozialisation“ begreifen, durch die genuss- und distinktionsfähige Körper der Kundschaft hervorgebracht werden. Mit anderen Worten: Wir verstehen sinnliche Sozialisation als soziale Veranstaltung, die den Akteuren mittels reflexiver „Körperarbeit“ (Crossley 2006) symbolische Vergleichs- und Bewertungsinstanzen für ihre sinnlichen Wahrnehmungen anbietet. Das gemeinsame kommunikative Bearbeiten dieser Wahrnehmungen kann in Anlehnung an Mead eine geschmacksbezogene Perspektivübernahme anleiten.

Vor dem Hintergrund dieser Situationsbeschreibung erscheint uns Kaffee besonders geeignet, den Zusammenhang von Konsum, sinnlichem Erleben, Bewertungswissen und sozialen Ungleichheiten aufzuschlüsseln. Die soziologische Erforschung von Kaffeekonsum stützt sich bislang auf die Analyse von Institutionen, Wertschöpfungsketten und Codes sowie deren interaktive Aushandlung. Sie bleibt damit auf der Ebene des Symbolischen und blendet Körper und Sinne weitestgehend aus. Diese Leerstelle teilt sie mit der Bewertungssoziologie (Krüger und Reinhart 2017; Nicolae et al. 2019), die in der Regel nicht thematisiert, wie Körper und Sinne an der Hervorbringung von Bewertungen beteiligt sind. Unser Hauptanliegen besteht folglich darin, die Vermittlungsarbeit zwischen sinnlichem Erleben und Bewertungswissen zu beleuchten und dabei herauszustellen, wie Bewertungswissen körperlich erarbeitet wird.

Im Folgenden wollen wir zunächst die existierenden soziologische Zugänge zu Kaffee als Genuss- und Konsumobjekt zusammenführen, um deren körpersoziologische Leerstelle offenzulegen. Im nächsten Schritt wenden wir uns dann Feldbeobachtungen in einer Kleinrösterei zu. Auf diese Weise wollen wir empirisch erkunden, wie Röstereien ihre Kundschaft mit Geschmackswissen ausstatten und wie sich die dafür eingesetzte Vermittlungsarbeit auf den körperlichen Vollzug sinnlichen Erlebens stützt.

2 Soziologische Zugänge zu Kaffeekonsum

Die Soziologie nähert sich Kaffeeproduktion und -konsum typischerweise über drei Zugänge. Wirtschaftssoziologisch wird die Welt des Kaffees mit Fokus auf die strukturellen Rahmenbedingungen sowie die Konventionen und Praktiken der Konsum- und Produktionswelten erschlossen. So erklärt Morris (2013) den Aufstieg des Espressos in Europa mit Veränderungen rechtlicher Regelwerke und neuen Technologien, die es kleineren Unternehmen ermöglichten, einen italienischen Lebensstil zu vermarkten. Daviron und Ponte (2005) untersuchen die globalen Wertschöpfungsketten der „zweiten Welle“ und zeigen, dass am Ende nicht die materielle Qualität des Kaffees für die Erzielung hoher Preise entscheidend sei, sondern dessen Aufwertung am Ende der Wertschöpfungskette im globalen Norden. Fischer (2019) konstatiert, dass dieser Mechanismus auch für die „dritte Welle“ gilt. Hier sind es allerdings nicht global operierende Unternehmen wie Starbucks, sondern Kleinröstereien und Verbände wie die Specialty Coffee Association (SCA), die maßgeblich an der symbolischen Mehrwertproduktion partizipieren. Innerhalb der globalen Wertschöpfungsketten erfolgt die Übersetzung von materiellen in symbolische Werte durch den Einsatz kultureller Intermediäre, die die materiellen Qualitäten des Kaffees in ein standardisiertes Vokabular messbarer Geschmacksattribute übersetzen (Goldstein 2011; Holland et al. 2016).

Diese Studien zeigen, wie Kaffee als Ware kreiert wird, welche Wertformen er annehmen kann und welchen Einfluss globale und lokale Institutionen ausüben. Diese Forschung macht jedoch an der Kasse halt. Wie sich der symbolische Wert des Kaffees in schmeckendes Erleben und distinktionsfähiges Bewertungswissen übersetzt, wird nicht untersucht.

In kultursoziologischen Untersuchungen wird Kaffee vor allem als Objekt statusbezogenen Konsums behandelt, der Distinktion verspricht und die soziale Position der Konsument*innen anzeigt. Café-Ketten wie Starbucks bieten eine „thematische Umwelt“ an, die das distinktive und ästhetisierte Erleben einer „kosmopolitischen Kennerschaft“ erlaube und somit Klassenunterschiede sichtbar mache (Bookman 2013; Shaker Ardekani und Rath 2020). Praxistheoretische Studien untersuchen die Aneignung distinktiver Geschmacksregime. Quintão et al. (2017) greifen auf den Begriff der „reflexiven Ritualisierung“ (Arsel und Bean 2013) zurück, um die Transformation des Geschmacksregimes des Espressokonsums zu beschreiben. Die dafür nötigen Investitionen von Zeit und Geld in Akte und Momente des Schmeckens versprechen die Akkumulation subkulturellen und sozialen Kapitals.

Die kultursoziologischen Studien zeigen, dass der Genuss von Kaffee als Mittel der Distinktion fungieren kann. Denn analog zum Konsum von Wein (Diaz-Bone und Hahn 2008) verknüpft sich im Kaffeekonsum Klassenzugehörigkeit mit Kennerschaft: Angehörige der urbanen Mittelklasse positionieren sich somit als singulär, global und geschmacksorientiert. Kaffee ist dabei vor allem ein reflexiv gehandhabtes Vehikel der Bewertung und Zuordnung von Personen zu sozialen Positionen und er wird wie auch der Konsument*innenkörper auf seine Zeichenhaftigkeit reduziert.

Eine ethnomethodologische Perspektive auf den Konsum von Genussmitteln lässt stattdessen die Ausarbeitung und Anwendung von Vokabularen der Bewertung, Kennerschaft und des Geschmacks (Fele und Liberman 2021; Manzo 2010) in den Vordergrund treten. John Manzo (2010, S. 146–152) hebt wiederkehrende Themen hervor, die „coffee geeks“ verhandeln. Sie betonen, dass Geschmack angeeignet sei und sich auf eine Arbeit stütze, durch die (angehende) Kaffeeliebhaber*innen Zeit und auch beträchtliche Summen (bspw. für Equipment) investieren. Gleichzeitig problematisieren die untersuchten Akteure die negativen sozialen Effekte ihrer Expertisierung. Da Kaffee als ein geselliges Getränk etabliert ist, wohnt den (zugeschriebenen) Ansprüchen der „coffee geeks“ ein Irritationspotenzial inne. Fele und Liberman (2021) betonen die Praxis des Kaffee-Schmeckens, da Geschmack nicht losgelöst von den Kontingenzen der Situation und ihrer Entwicklung gedacht werden könne. Vor die Aufgabe gestellt, den Geschmack eines verkosteten Kaffees zu charakterisieren, clustern Laien Begriffe und Beschreibungen, sie objektivieren diese, indem sie Vorschläge in faktische Aussagen übersetzen, und sie kalibrieren ihre Aussagen.

Auch wenn die ethnomethodologisch fundierte Perspektive den Blick für die lokalen, situierten Praktiken des Kostens und Schmeckens von Kaffee und für Themen schärft, die innerhalb der sozialen Welt der Kaffeeliebhaber*innen relevant sind: Der Konnex von Sinnen, Körpern und Praktiken des Probierens bleibt auch hier unterbestimmt.

Die hier vorgestellten Forschungsstränge haben eine bedeutende Leerstelle gemein: Körper und Sinne werden zwar thematisiert (so etwa bei Holland et al. 2016), aber nicht systematisch in die Analysen von Bewertungen miteinbezogen. So betonen Quintão et al. (2017) die körperlichen Akte und Momente des Schmeckens, explizieren deren Einordnungen und Bewertung jedoch nicht. Diese Leerstelle der systematischen Vermittlung von Körperlichkeit und Bewertung betrifft nicht nur die soziologische Forschung zu Kaffee, sondern auch die Bewertungsforschung. Treten hier Körper auf, dann vor allem als Gegenstand von Bewertungspraktiken (Janetzko 2021). Die hier beschriebene Leerstelle in der Schnittmenge von unterschiedlichen Ansätzen der Konsum- und Bewertungsforschung findet sich ebenfalls in Bezug auf andere singuläre Genuss- und Luxusgüter wie Whiskey, Gemälde, Wein oder Zigarren wieder. Unsere anschließende Analyse soll den Mehrwert der Bearbeitung dieser Leerstelle am Beispiel von Kaffee verdeutlichen. Sie kann zugleich als Anregung gelesen werden, Vermittlungsarbeit in anderen sozialen Welten mit derselben analytischen Ausrichtung zu untersuchen.

3 „Sich ihn richtig reinziehen“ – Vermittlung von körperbasiertem Bewertungswissen

Die Spezialitätenkaffees der dritten Welle lassen sich als singuläre Güter (Karpik 2011) verstehen. Sie sind durch eine fundamentale Qualitätsunsicherheit gekennzeichnet. Ob ein Roman gefällt, ein Wein mundet oder eben ein Kaffee schmeckt, stellt sich erst im Konsum heraus. Zugleich verfügen die Akteure innerhalb der Welt des Kaffees über unterschiedliche Zugänge zum Produkt und bedienen sich unterschiedlicher Bewertungskriterien. Um die Qualifizierungen von Produzierenden und Konsument*innen zu koordinieren, ist Vermittlungsarbeit notwendig. Diese trägt dazu bei, dass die vielfältigen Formen der Valorisierung von Kaffee (z. B. mittels Labels) von den Konsument*innen als Qualitätsversprechen anerkannt werden.

Vermittlungsarbeit tritt in unterschiedlichen Formen auf. Sie kann en passant von Thekenpersonal ins Verkaufsgespräch eingeflochten werden, aber auch die Form eines Events annehmen. Eine solche Form der Vermittlungsarbeit sind Tastings. Darunter verstehen wir Formen der angeleiteten Verkostung, wie es sie beispielsweise für Wein und weitere Genussmittel gibt. Vermittlungsarbeit erschöpft sich nicht darin, explizites Wissen über die konsumierten Güter zu vermitteln. Sie ist an der Hervorbringung genuss- und distinktionsfähiger Körper beteiligt. Diese Überlegungen wollen wir im Folgenden an einem „Cupping“ plausibilisieren, an dem wir beide teilgenommen haben. Corona-bedingt fand diese Verkostung über eine Videoplattform statt. Der Feldzugang war also nicht im Sinne einer vollumfänglichen körperlichen Unterwerfung der Forscher unter die lokalen Bedingungen im Sinne von Goffmans „getting into place“ (1989) möglich. Statt uns den Gerüchen, Geräuschen in den Räumen der Röstereien anzupassen, ragte das Feld in unsere Arbeits- und Privaträume hinein. Aktivitäten, die im Feld von der Rösterei oder arbeitsteilig zwischen den Teilnehmer*innen in körperlicher Kopräsenz bewerkstelligt werden können, mussten nun individuell geleistet werden. Das verstärkte auch die quasi-experimentelle Situation der Verkostung: Jede*r musste sicherstellen, möglichst identische Tassen zu verwenden, das Kaffeemehl abzuwiegen und das Wasser zum richtigen Zeitpunkt zu kochen. Damit konnte zwar keine Standardisierung des Produkts über alle Teilnehmer*innen hinweg garantiert werden, wohl aber eine Konsistenz jedes einzelnen Verkostungsarrangements.

In dem uns von der Rösterei vorweg zugesandten Paket befand sich eine Anleitung für das Cupping, vier nummerierte Kaffeepäckchen sowie eine kaffeehaltige Süßigkeit. Zusätzlich erhielten wir einen Link per Mail sowie weitere Unterlagen. Dies sind im Einzelnen ein Bewertungsbogen, ein „Aromarad“, ein Transparenzbericht der Rösterei und ein Online-Gutschein.Footnote 1

3.1 Expertisierung: Wissen um materielle Qualitäten und Aufbau von Geschmackserwartungen

Im Ablauf gleicht das Cupping stark anderen Verkostungen für Konsument*innen, an denen wir teilnehmen konnten. Nach der Begrüßung durch den Vertreter der Kaffeerösterei, nennen wir ihn Tim, steigen wir in eine Vorstellungsrunde ein. Wir sind eine überschaubare Runde und sollen unseren Namen sagen, wo wir uns befinden und wie wir gerne unseren Kaffee trinken. Dann hält Tim für etwa 20 min einen PowerPoint-Vortrag über Kaffee. Die Mehrheit der Tastings, die wir bislang besucht haben, auch solche außerhalb der Kaffeewelt, weisen dieses Element des Inputreferats auf. Vorträge sind zum einen ein klassisches Element von Schulungssituationen, zum anderen bieten sie den Vortragenden die Gelegenheit, sich als Expert*in in Szene zu setzen. In Tims Vortrag geht es vor allem um die Vermittlung von Wissen über die Kaffeeproduktion. So lernen wir, dass der Geschmack von Kaffee von den Bedingungen des Anbaus, der Aufbereitung (Trocknen der Bohnen), der Röstung und der Zubereitung abhänge, die möglichst homogen ausfallen sollen und der technischen Kontrolle bedürfen.

Im Vortrag über die Kaffeebohnensorten wird die Arabica-Bohne als hochwertigere „Musterbohne“ präsentiert. Ihre Qualität hänge auch von der geografischen und topografischen Lage sowie vom Boden ab. Ihr Geschmack umfasse „die komplette Bandbreite“: Schoko/Nuss, würzig, umami, fruchtig-teeartig. Tim vergleicht die Bohne mit Weißwein: „eine Bourbon-Varietät aus Costa Rica schmeckt vielleicht ganz anders als eine Bourbon-Varietät aus Peru.“ (Protokoll Online-Cupping)

Uns wird auch vermittelt, dass das in den Bohnen schlummernde Potenzial erst durch die richtigen Techniken der Aufbereitung, Röstung und Zubereitung realisiert werden könne. Für die Aufbereitung, in der die Bohnen vom Fruchtfleisch der Kaffeebohnen befreit und getrocknet würden, ließen sich zwei Hauptverfahren („nass/washed“ und „trocken/natural“) unterscheiden, die zu einem je ganz anderen Geschmacksprofil der Bohnen führten:

Der Vorteil des „washed“-Verfahrens sei eine gleichmäßige Qualität der Bohne über Jahre. Man produziere mehr Säure, Frucht und der Kaffee schmecke clean. Beim „natural“-Verfahren ziehe die Fruchtsüße in den Kaffeekern ein. Der Kaffee sei süßer, runder, habe mehr Fermentationsgeschmack. Tim spricht von einem „unsauberen Geschmack“, fügt aber gleich hinzu, dass er das nicht negativ meine. (Protokoll Online-Cupping)

Je weiter sich die Darstellung dem Schritt der Zubereitung nähert, umso stärker werden technische Verfahren thematisiert, die ein bestimmtes sinnliches Schmecken garantieren sollen.Footnote 2 So wird das in der Mikrorösterei angewandte Langzeitröstverfahren bei niedriger Temperatur (bei 200 °C) dem für den „Industriekaffee“ typischen Kurzzeitröstverfahren (bei 800 °C) vorgezogen. Das eigene Verfahren wirke sich dabei positiv auf zwei Geschmackselemente aus: unerwünschte Röstaromen würden minimiert und erwünschte Säure erhalten. Tim weist auch auf die Preise für Rohkaffee hin und bemerkt, dass die Kilopreise, die seine Rösterei zahlt, deutlich über den Durchschnittspreisen liegen. In der Präsentation sehen wir auch Bilder von Personen, die professionell Kaffee verkosten und dabei die Form des Cuppings verwenden. Auf diese Weise werden auch wir unsere Blindverkostung durchführen. Während der Präsentation werden wir daher mit dem „Aromarad“Footnote 3 sowie dem Bewertungs-Formular vertraut gemacht, das von Cupping-Expert*innen genutzt wird. Im Anschluss an diesen Vortrag werden wir in das Cupping einsteigen.

Bis zu diesem Punkt lässt sich bereits festhalten: Die Vermittlungsarbeit stellt explizite Verbindungen zwischen den materiellen Qualitäten, standardisierten Verfahren der Produktion und erwartbaren individuellen Sinneseindrücken her.Footnote 4 Sie stützt sich dabei auf ein institutionell abgesichertes Expert*innenwissen, auf das im weiteren Verlauf Bezug genommen werden kann und das den Kaffee der Rösterei vor allem in Abgrenzung zu den großen Kaffeeunternehmen als besonders, technologisch innovativ und geschmacklich feiner positioniert. Dabei werden unterschiedliche Repertoires bedient. Zum einen werden im Vortrag wie auch später Verweise auf Wein und vergleichbare Genussmittel genutzt, bei denen das Wissen um deren Verfeinerung sozial weiter verbreitet ist. Zum anderen fällt die Technikaffinität auf, die hier keine gleichbleibende industrielle Qualität garantiert, sondern vielmehr als Voraussetzung für das besondere Geschmackspotenzial des Kaffees in Position gebracht wird.

3.2 Disziplin der Sinne: Standardisierte Versuchsanordnung und körperliche Synchronisierung

Das von uns besuchte Event gleicht vielen gängigen Formen der Wissensvermittlung. Sein spezifischer Charakter zeigt sich darin, dass auf den Vortrag ein Quasi-Experiment folgt. Vermittlungsarbeit im Kontext von Tastings arbeitet mit standardisierten Versuchsanordnungen. Da das Cupping nicht in den Räumen der Rösterei stattfindet, müssen die Teilnehmenden den Versuchsaufbau je individuell umsetzen. Hierzu dient die Anleitung, die wir vorab bekommen haben. Sie definiert sowohl das Material als auch die Vorgehensweise. Das liest sich so:

Das brauchen wir

  • 4 möglichst gleiche Tassen à 300 ml

  • ein kleineres Gefäß (Glas, Tasse, Schüssel …)

  • 2 Esslöffel

  • eine Küchenwaage

  • einen Wasserkocher

  • 2 Gläser Leitungswasser

  • Küchentücher

  • Stift und Papier

  • Bewertungskarte aus deinem Kaffeepaket

(Auszug aus der Cupping-Anleitung)

Dann folgt eine Schritt-für-Schritt-Darstellung des bevorstehenden Cuppings. In der Verkostung werden wir von Tim durch den Vorgang geführt und vor allem auch zeitlich mittels eines Timers getaktet und synchronisiert. Für das Cupping werden die vier uns unbekannten, aber durchnummerierten Kaffeemehlproben in Tassen mit heißem Wasser aufgegossen. Das klingt simpler, als es ist, denn sowohl die Menge des Kaffees als auch die des Wassers sollen für alle Teilnehmenden identisch sein. Neben diesen Parametern werden auch Wassertemperatur und Ziehzeit für alle normiert. In dieser Versuchsanordnung werden unsere Körper synchronisiert und damit das Riechen und Schmecken des Kaffees orchestriert:

Nachdem sichergestellt wird, dass alle ihr Wasser gekocht und den Kaffee abgewogen haben und damit wieder „da sind“, erklärt der Kursleiter, dass das Wasser nicht mehr kochen soll: eine Minute Warten soll reichen. Dann erfolgt das erste Kommando: „Wir gießen 200 ml in Tasse 1“. (Protokoll Online-Cupping)

In dieser Weise gießen alle Teilnehmenden gleichzeitig das heiße Wasser in ihre Tassen. Die „richtige“ Reihenfolge des Aufgießens wird später in der Reihenfolge des Verkostens reproduziert. Nachdem alle Tassen befüllt sind und ausreichend Zeit vergangen ist, nähern wir uns dem Moment des Probierens. Auch hierzu erhalten wir Anweisungen hinsichtlich des „richtigen“ Körpereinsatzes, die richtige Art und Weise des Riechens und Schlürfens. Nach Ablauf der Brühzeit werden wir aufgefordert, „die Kruste zu brechen“. Mit den zwei Löffeln wird das in den Tassen oben aufschwimmende Kaffeemehl von hinten nach vorne gezogen und es soll sofort gerochen werden. In diesem ersten Moment seien die meisten Aromastoffe enthalten, so Tim. Wir sollen riechen, aber nicht darüber sprechen, was wir wahrnehmen. Auf das intensive Riechen folgt das Probieren der einzelnen Kaffees. Es folgt die Anweisung, dass mit dem Kaffee möglichst viel Luft in den Mund aufgenommen werden solle. Man solle ihn „schlürfen“, „sich ihn richtig reinziehen“. Tim macht dies einmal vor. Er führt den Löffel Kaffee an den Mund und nimmt diesen mit einem lauten Schlürfgeräusch auf. Er kommt zum Urteil, dass der Kaffee jetzt trinkbar sei, dass man aber einen leichten Kaffee zu erwarten habe („kein Brett“). Dann schlürfen die Teilnehmenden hörbar ihren ersten Löffel Kaffee. Nach einer Pause wird derselbe Kaffee zum zweiten Mal verkostet.

Die Expertisierung des Kaffeekonsums verlangt den Einsatz von Verfahren der Standardisierung und in der Folge auch die Kontrolle des individuellen Körpereinsatzes. Die Vermittlungsarbeit konzentriert sich auf die Orchestrierung der Körper und ihres sinnlichen Erlebens. Der quasi-experimentellen Anordnung der Kaffeezubereitung entspricht eine Synchronisierung und Taktung der Körper im Modus der Disziplin (Foucault 1977). Damit wird sichergestellt, dass auch wirklich alle den jeweiligen Kaffee riechen und schmecken. Zugleich wird den Teilnehmenden in ihrem sinnlichen Erleben die Möglichkeit der gegenseitigen kommunikativen Vergewisserung darüber, was gerochen und geschmeckt werden soll, zunächst versagt. Die so organisierte Vermittlungsarbeit zielt darauf, dass alle unter vergleichbaren Bedingungen und mittels eines gleichartigen Gebrauchs der Körper zum selben Zeitpunkt denselben Kaffee konsumieren. Dabei geht es nicht um die effiziente Durchgestaltung von Arbeitsprozessen, sondern um die garantierte Extraktion eines bestimmten Geschmacks: eine Disziplin der Sinne.

3.3 Die Absorption von Qualitätsunsicherheit: Sinnliches Erleben und Geschmackswissen

Die eben beschriebene Disziplin der Sinne kann garantieren, dass alle denselben Kaffee riechen und schmecken, nicht aber, dass alle Dasselbe am Kaffee wahrnehmen. Hier setzt der letzte Schritt der Vermittlungsarbeit an. Er besteht darin, das körperlich orchestrierte sinnliche Erleben miteinander zu teilen und gemeinsam die getesteten Kaffees einzuordnen und zu bewerten. Damit wird die Kluft zwischen dem explizit vermittelten Geschmackswissen und dem sinnlichen Erleben geschlossen. Die Teilnehmenden werden aufgefordert, ihre Sinneseindrücke anhand der vorgegebenen Kategorien zu beschreiben und zu vergleichen.

Hier offenbart sich ein interessantes Spannungsverhältnis. Zwar wird kommuniziert, dass man nicht „falsch“ schmecken könne, während die standardisierte Zubereitung (Menge, Mahlgrad, Wassertemperatur, Extraktionszeit) doch gerade eine bestimmte Qualität des Geschmacks garantieren soll. Diese Spannung zwischen Standardisierung und individuellem körperlichen Geschmackseindruck zeigt sich dann auch in der Bewertung für die einzelnen Kaffees, die der von Fele und Liberman (2021) beschriebenen Trias von „clustern“, „objektivieren“ und „kalibrieren“ folgt.

Ich schlage rote Früchte und umami für den dritten Kaffee vor. Mir wird beigesprungen: Blaubeere, dunkle Beere, Rosine und „das lilafarbene Balisto“. Tim greift das auf und verweist auf kulturelle Geschmacksgedächtnisse: Wenn wir Zitrone schmecken, würde in Japan vielleicht an die Yuzu-Frucht gedacht. (Protokoll Online-Cupping)

Die Reihe der vorgeschlagenen Aromen wird vom Kursleiter mit Zustimmung belohnt und unter Rückgriff auf das Expert*innenwissen der Rösterei objektiviert. Für das Kalibrieren wird auf ein als kollektiv geteilt unterstelltes Geschmackswissen zurückgegriffen. Der Kaffee wird mit Blick auf kulturelle und biografische Geschmackserinnerungen einsortiert und letztlich werden individuelle Bewertungen ermöglicht: Niemand muss das „lila Balisto“ mögen.

Die beschriebene Abfolge von Clustern, Objektivieren und Kalibrieren kann nur auf der Grundlage der vollzogenen Disziplin der Sinne erfolgen, auf die sich der Austausch von Standpunkten, die Klassifizierung und daraus resultierende Valorisierungen des Kaffees beziehen müssen. Sie steht im Zentrum einer Vermittlungsarbeit, die die Anwendung von Bewertungsvokabularen einübt, über die kategoriale Zuordnung des sinnlich Erlebten Qualitätsunsicherheiten absorbiert und im Effekt geschmacks- und distinktionsfähige Körper hervorbringt.

4 Ausblick

In diesem Beitrag haben wir Kaffee-Tastings als sinnliche Sozialisation gedeutet und dabei das Konzept der Vermittlungsarbeit genutzt. Darunter verstehen wir diejenigen Formen von Arbeit, die an der fundamentalen Qualitätsunsicherheit singulärer Güter (Karpik 2011) ansetzen und diese bearbeiten. Am Beispiel von Tastings im Bereich des Spezialitätenkaffees haben wir eine grundlegende Form dieser Arbeit untersucht, die auch bei anderen Genuss- und Luxusgütern notwendig ist. Im konkreten Fall lässt sie sich durch vier Aspekte charakterisieren: Erstens greifen Röstereien auf die für die Genussmittelindustrie geläufige Eventform der Verkostung zurück. Dabei kommen standardisierte Bewertungs- und Klassifikationstools (Aromaräder, Bewertungsbögen) zum Einsatz, die in der Verkostung als gemeinsame Bezugsobjekte für eine „sanfte“ Disziplinierung der Sinne genutzt werden. Zweitens stellt Vermittlungsarbeit explizite Verbindungen zwischen materiellen Qualitäten des Kaffees und erwartbaren individuellen Sinneseindrücken her. Bezugspunkt ist ein Klassifikations- und Bewertungswissen, das den diskursiven Rahmen für die anschließende Verkostung aufspannt. Die Teilnehmenden sind somit nicht auf Vorwissen angewiesen, vielmehr bieten die Tastings eine Gelegenheit, distinktionsfähiges Wissen zu akquirieren. Drittens gleicht das Tasting in seinem Aufbau einem Quasi-Experiment. Über Standardisierungen (bspw. Kaffeemenge, Trinkgefäße und Zubereitungsmethode) und Synchronisierung der Teilnehmenden (bspw. sollen alle zum selben Zeitpunkt am Kaffee riechen) soll die Kontrolle möglicher Einflussfaktoren gelingen. In einem anderen Tasting wird der wissenschaftliche Anspruch besonders deutlich, als die Referentin vom „confirmation bias“ spricht, den es zu vermeiden gelte. Die Anlehnung an eine wissenschaftliche Experimentallogik hat zur Konsequenz, dass sich das Tasting deutlich von alltäglichen Situationen des Kaffeetrinkens unterscheidet. Viertens ermöglicht der Austausch über das Sinnlich-Wahrgenommene das gemeinsame Entdecken und Beschreiben von Aromen, in die vielfach Bewertungen eingelassen sind. Diese können sich auf Unterschiedliches beziehen, auf die verkosteten Kaffees, aber auch auf die sinnlichen Wahrnehmungen der Teilnehmenden.

Bewertungssoziologisch ist die hier geschilderte Vermittlungsarbeit in mehrfacher Hinsicht interessant. Zwar wurde die Valorisierung von Spezialitätenkaffee bereits beschrieben (Fischer 2019), dabei aber die Kundschaft ausgeklammert, ohne deren Mitarbeit Organisationen nicht auskommen (Tacke und Wagner 2005). Unsere These ist, dass diese Valorisierung über die verschiedenen Verfahrensschritte der Kaffeeproduktion (Anbau, Aufbereitung und Zubereitung) hinaus genuss- und distinktionsfähiger Körper bedarf, die nicht vorausgesetzt werden können. In der Welt der Genuss- und Luxusgüter kann Vermittlungsarbeit unterschiedliche Formen annehmen. Tastings sind aus unserer Perspektive eine forschungsstrategisch hoch relevante Form, da sie Einblick gewähren in die sinnliche Sozialisation idealer Kund*innen – ideal aus Perspektive der Produzierenden. Sie gewähren Einblicke in eine Bewertungskultur (Berli et al. 2021), in der Körper als notwendiges Element der Hervorbringung komplexer Qualifizierungen fungieren.