1 Einleitung

Obwohl soziale Aufwärtsmobilität durch individuelle Leistung zurückgeht (OECD 2018) und die Herkunft für soziale Positionen wieder zunehmend an Bedeutung gewinnt, bleiben meritokratische Werte die Grundlage normativer Orientierungen (Aulenbacher et al. 2017). Das Leistungsnarrativ hat sich in dessen historischer Entwicklung, beginnend beim Übergang zu einer Industriegesellschaft, quer durch alle gesellschaftlichen Klassen eingeschrieben und verfestigt (Dubet 2008, S. 97). In der kapitalistischen Wirtschaftsordnung manifestiert sich Leistung als Voraussetzung für Entlohnung und Anerkennung und bezieht sich dabei auf den quantifizierbaren Nutzen von Erwerbsarbeit, die in organisierter Arbeitsteilung gerechte Aufstiegschancen verspricht (Honneth 2003; Weiss und Hofmann 2016). Doch obwohl das meritokratische Leistungsprinzip die Realität immer weniger abbildet, setzt es sich weiterhin als Gerechtigkeitsversprechen durch (Flecker 2017; Menz 2017). Entwicklungen der letzten Jahrzehnte führen dazu, dass Leistung oft nicht mehr über die tatsächlich geleistete Arbeit beurteilt, sondern sozialen Positionen aufgrund des darin reflektierten Erfolges zugeschrieben wird (Flecker 2016, S. 39). Gleichzeitig nimmt die ökonomische Ungleichverteilung von Vermögen durch im meritokratischen Sinne leistungslos erworbene Erbschaften innerhalb von vermögenden Familien zu (Beckert 2017; Fessler et al. 2019). Dass ökonomisches Kapital auch mit kulturellem Kapital als Zugang zu Wissen und Bildung sowie sozialem Kapital als Beziehungen und Netzwerke (Bourdieu 2014 [1987]) innerfamiliär tradiert wird, zementiert die Vermögensungleichheit weiter ein (Pfeffer und Killewald 2015) und erhöht die Chancen von Vermögenserb:innen, im Verlauf des Lebens hohe soziale Positionen zu erreichen und ihr bestehendes Vermögen zu vermehren, gegenüber Nicht-Vermögenden enorm (Hartmann 2017). Hier steht die Bedeutung der sozialen Herkunft in einem Widerspruch zu dem meritokratischen Leistungsprinzip, demzufolge Erfolg und Vermögen auf entlohnter Leistung in der Erwerbsarbeit gründen sollen. Vermögenserbe ist also durch ein Spannungsverhältnis zwischen dem geltenden Leistungsprinzip und dem Statusprinzip geprägt (Beckert 2013). Da mit Kapital auch symbolische Macht einhergeht, die den Akteur:innen Definitionshoheit über gesellschaftlich geltende Prinzipien verleiht (Bourdieu 2014 [1987]), lohnt eine nähere Betrachtung, wie Vermögenserb:innen dieses Spannungsverhältnis deuten. Aufgrund des Einflusses von Vermögenden auf die öffentliche Meinung und den vorherrschenden Diskurs macht es – etwa für die Zukunft des Sozialstaates und Fragen von gerechter Verteilung – einen wesentlichen Unterschied, ob sie eine herabwürdigende oder wertschätzende Haltung gegenüber weniger privilegierten Gesellschaftsmitgliedern einnehmen, und welche Perspektive sie auf soziale Ungleichheit haben. Deshalb beschäftigt sich dieser Beitrag mit der Frage, wie sogenannte „working rich“, arbeitende Vermögenserb:innen, mit ihrer widersprüchlichen Situation zwischen Leistungsprinzip und Erbschaft vor dem Hintergrund der Deutung ihrer Lebensgeschichte umgehen und welche Gerechtigkeitsvorstellungen sie daraus ableiten.

2 Theoretischer Rahmen

Wie lässt sich die Weltsicht von „working rich“ theoretisieren? Dazu eignet sich Pierre Bourdieus (2014 [1987]) sozialraumtheoretischer Ansatz, der davon ausgeht, dass Positionen im sozialen Raum die jeweilige Perspektive prägen. Vermögenserb:innen teilen die soziale Position aufgrund ihrer ähnlichen Lebenslagen entlang objektivierter Merkmale, wie dem familiär tradierten ökonomischen sowie auch kulturellen und sozialen Kapital (ebd., S. 175). Dass mit ökonomischem Kapital auch kulturelles und soziales Kapital vererbt werden, zeigen auch empirische Studien (Melchior und Schürz 2015; Hartmann 2017). Mithilfe des Habitus-Konzeptes wurden in dieser Untersuchung die klassenspezifischen Muster, die im Laufe der Sozialisation als bestimmte Deutungen der Welt erlernt werden, bei den befragten Vermögenserb:innen rekonstruiert. Denn neben den Gemeinsamkeiten auf Strukturebene treten innerhalb einer „objektiven Klasse“ auch homogene Muster in Bezug auf die Wahrnehmung, das Denken und das Handeln der Akteur:innen als Habitus auf (Barlösius 2004; Altreiter 2019). Der Habitus konstituiert sich als strukturierte Struktur in aufeinander abgestimmten „Wahrnehmungs‑, Handlungs- und Denkschemata“ durch die objektiven Möglichkeiten innerhalb der Struktur des sozialen Raumes (Barlösius 2004, S. 128ff.). Er wirkt auf die strukturelle Ebene zurück und manifestiert immanente Dispositionen im System, das wiederum die klassenspezifische soziale Praxis prägt. Dieser Prozess findet ständig und meist unbewusst statt. Hier liegt nach Bourdieu das Moment der Reproduktion sozialer Ungleichheit.

Bourdieu versucht mit der Theorie des sozialen Raumes die Kontinuität und Stabilität der in die soziale Ordnung eingeschriebenen Machtverhältnisse in einer sich stetig wandelnden Gesellschaft zu erklären (Altreiter 2019, S. 53ff.). Daher eignet sich sein Ansatz hier für Analysen von klassenspezifischen, teils unbewussten Reproduktionsmechanismen sozialer Ungleichheiten. Objektive Strukturen werden so verinnerlicht, dass Individuen einen „sense of one’s place“, ein Gespür für die eigenen Möglichkeiten und Grenzen, entwickeln, aus dem heraus sie eine Lebensweise und einen Geschmack entfalten, der den Dispositionen ihrer Position im sozialen Raum entspricht (Bourdieu 2014 [1987], S. 727 f.). Mit diesem Analyserahmen werden die Sichtweisen der befragten Vermögenserb:innen in den Analysen sowohl als Konsequenz ihrer sozialen Herkunft als auch als eigene soziale Positionierung in der Gesellschaft gedeutet.

In ungleichen Gesellschaften finden soziale Kämpfe um die Ver- und Zuteilung von Ressourcen, aber auch um Deutungsmacht und die Frage, welche dieser Ressourcen in welcher Höhe wofür relevant sind, statt. Bourdieu verwendet hier den Begriff des symbolischen Kapitals. Dabei handelt es sich um eine Form der Legitimation von Kapital durch symbolische Macht (Barlösius 2004, S. 158f.). Jede der drei Kapitalsorten kann auch gleichzeitig symbolisches Kapital sein und den jeweiligen Akteur:innen, hier den untersuchten Vermögenserb:innen, Definitionshoheit verleihen (Bourdieu 2014 [1987]). Diese liegt vor, wenn sich die Perspektive einer bestimmten Gruppe im gesellschaftlichen Diskurs so durchgesetzt hat, dass sie unhinterfragt übernommen und als geltendes Prinzip akzeptiert wird. Daher sind nicht nur die klassenspezifischen Denkmuster der befragten Vermögenserb:innen vor dem Hintergrund der Deutung ihrer eigenen Lebensgeschichte relevant, sondern es ist auch entscheidend, welche Alltagsrealität durch diese Wahrnehmung konstruiert wird und in welchen subjektiven Gerechtigkeitsvorstellungen sie sich manifestiert.

Gerechtigkeitsvorstellungen von Vermögenserb:innen im Spannungsverhältnis zwischen Leistungsprinzip und innerfamiliärer Vermögensweitergabe werden als Teil des klassenspezifischen Habitus untersucht. Dafür bietet sich ein Blick auf „faktische Gerechtigkeitsurteile“ an (Müller und Wegener 1995, S. 25). Im Gegensatz zur normativ-philosophischen Debatte wird in der Soziologie die Frage behandelt, was Menschen als gerecht beurteilen (ebd.). Grundsätzlich handelt es sich bei Gerechtigkeit nicht um eine objektive Kategorie, sondern um geteilte „conceptions of the desirable“ (van Deth and Scarbrough 1995, S. 28). Gerechtigkeitsvorstellungen orientieren sich an normativen Ordnungen, die durch die Untersuchung auf subjektiver Ebene sichtbar gemacht werden können.

Der Fokus des Aushandlungsprozesses über Gerechtigkeit liegt primär auf der „Verteilungsgerechtigkeit“ (Liebig und Sauer 2016, S. 39). Gerechtigkeitsvorstellungen sind strukturell in Institutionen des Sozialstaates manifestiert (Liebig und Mau 2007). Als institutionalisierter Ausdruck der normativen Ordnung beeinflusst dieser die mit bestimmten sozialen Positionen verbundenen Rechte und Pflichten. Über ein Zusammenspiel von kontributiver und distributiver Gerechtigkeit ist in sozialstaatlichen Regelungen festgelegt, wann welche Beiträge geleistet werden und wie diese (um-)verteilt werden (Müller 1992, S. 25f.). Auf individueller oder gruppenspezifischer Ebene leitet sich daraus die Frage ab, ob und inwiefern ein grundsätzliches Einverständnis mit dieser Allokation vorhanden ist. Dafür lassen sich nach dem „Mehrprinzipien-Ansatz“ zumindest vier theoretische Gerechtigkeitsprinzipien heranziehen: Gleichheit (equality), Leistung oder Beitrag (equity), Bedarf (need) und Status (entitlement) (Deutsch 1975; Liebig und Sauer 2016; Kittel 2018). Die vier Prinzipien werden nach der Grundlage unterschieden, auf welcher Rechte und Pflichten zugeteilt werden. So stehen nach dem Gleichheitsprinzip allen die gleichen Rechte und Pflichten zu. Dem Leistungsprinzip zufolge orientiert sich die Zuteilung an individuell erbrachten Beiträgen, nach dem Bedarfsprinzip an den bestehenden Bedürfnissen. Das Statusprinzip teilt Rechte und Pflichten nach der sozialen Herkunft bzw. dem Geburtsprinzip zu. Mit diesem Ansatz soll die Frage beantwortet werden, welches Gerechtigkeitsprinzip unter den befragten Vermögenserb:innen denk- und handlungsanleitend ist.

3 Stand der Forschung

Aktuelle Studien zeigen, dass Vermögen enorm ungleich verteilt ist und diese Ungleichverteilung zu großen Teilen durch innerfamiliäre Vermögensweitergabe reproduziert und verfestigt wird, die sich der kapitalistischen Leistungslogik weitgehend entzieht (Fessler et al. 2012, 2016, 2019; Huemer et al. 2016; Korom 2017). In Österreich besitzt das reichste Prozent der Bevölkerung insgesamt 40 % und demgegenüber die vermögensarmen fünfzig Prozent gemeinsam nur 2,5 % des gesamten Privatvermögens (Ferschli et al. 2017; Fessler et al. 2019). Die reichsten zehn Prozent besitzen zusammen bereits etwas mehr als zwei Drittel (69,3 %) des Gesamtvermögens (Eckerstorfer et al. 2016, S. 626). Während sich bestehendes Vermögen schon durch die Kapitalrendite quasi von allein vermehrt, unterliegen Arbeitseinkommen einer langsamen, oft stagnierenden Entwicklung (Piketty 2014). Auch in Schweden, Norwegen und Deutschland ist die soziale Herkunft für den Vermögenserwerb und dessen Akkumulation bedeutend (Frick und Grabka 2009; Hansen 2014; Adermon et al. 2018). Die ungleiche Vermögensverteilung ist weitgehend durch Erbschaften und innerfamiliäre Schenkungen zu Lebzeiten bedingt, so bleibt das Privatvermögen innerhalb vermögender Familien. Leistung und Erwerbsarbeit sind für den Erwerb von Vermögen in Österreich nachrangig, während es maßgeblich ist, in welche Familie jemand geboren wird (Hartmann 2013; Mau 2015; Gaisbauer 2017). Hohe soziale Positionen werden in frühen Jahren insbesondere über die innerfamiliäre Weitergabe und Förderung von kulturellem Kapital, im Laufe der Berufskarriere durch das Zur-Verfügung-Stellen von sozialem Kapital und laufend mithilfe von ökonomischem Kapital zur Finanzierung, aber auch als Sicherheitsnetz, begünstigt. Michael Hartmann (2013) spricht dabei von der Selbstrekrutierung der Eliten. „Inmitten einer Kultur, die sich wie kaum je zuvor ausdrücklich als „meritokratisch“ versteht, nimmt faktisch das ursprünglich aristokratische Geburtsprinzip eine entscheidende Weichenstellung für die Entwicklung von Lebenschancen vor“ (Neckel 2008, S. 84). Trotzdem setzt sich Leistung in meritokratischer Logik als normatives Prinzip zur Legitimation sozialer Ungleichheit weiterhin durch (Frick und Grabka 2009; Menz 2017).

Für diese krasse Ungleichverteilung fehlt das Bewusstsein in der Bevölkerung, was die Aufrechterhaltung des meritokratischen Leistungsprinzips als Aufstiegsversprechen begünstigt. Auch die eigene Position in der Vermögensverteilung und im sozialen Raum wird kaum richtig beurteilt (Melchior und Schürz 2015; Weiss und Hofmann 2016; Fessler et al. 2016). Auf beiden Seiten, sowohl am unteren als auch am oberen Rand der Verteilung, gibt es die starke Tendenz, sich selbst der Mitte zuzuordnen, wobei die eigene Position umso mehr unterschätzt wird, je höher sie tatsächlich ist (Melchior und Schürz 2015). Nicht ein einziger der zehn Prozent reichsten Haushalte in Österreich verortet sich selbst korrekt im zehnten Dezil. Und lediglich 0,6 % der Haushalte im neunten Dezil ordnen sich selbst diesem zu (Fessler et al. 2019, S. 6 f.). Die reichsten Menschen Österreichs ordnen sich vielfach den mittleren Dezilen der Vermögensverteilung zu (ebd.).

Dieses Nicht-Wissen der oberen Klasse wird auf eine Ablehnung gesellschaftlicher Verantwortung zurückgeführt, die unter Aspekten der Gerechtigkeit bei der Bewusstmachung der ungleichen Verhältnisse entstehen könnte (Melchior und Schürz 2015). Da ökonomisches Kapital meist mit hohem Bildungsgrad korreliert, impliziert das Nicht-Wissen eine Gleichgültigkeit gegenüber strukturellen Ungleichheiten (ebd.). Die obere Klasse kann die sozialen Ungleichheiten aufgrund ihrer vermögensbedingten Privilegien ausblenden, um sich mit der gesellschaftlichen Realität nicht auseinandersetzen zu müssen und unter dem Deckmantel des Leistungsprinzips die Verantwortung für schwierige Lebenssituationen dem Individuum jeweils selbst zuschreiben (Heitmeyer 2011, S. 41). Dabei bildet sich eine vermögende „Klasse für sich“, indem die Mitglieder der oberen Klasse ein Klassenbewusstsein entwickeln bzw. eine „obere Klasse mit ständischer Lage“, die eigene moralische Ansprüche erhebt und sich von der unteren Klasse distanziert (Heitmeyer 2011; Neckel 2012). Daraus resultierende gesellschaftliche Spaltungstendenzen, die von oben herbeigeführt werden, seien vor allem auf der „Kultur des Erfolges […] vermessen in reinen Geld- und Statusbegriffen“ begründet (Neckel 2012, S. 10ff.). So geht es bei Leistung zunehmend weniger um Qualifikation oder die dahinterstehende Anstrengung in der Erwerbsarbeit, die zu höherem Einkommen und sozialem Status führen, sondern um das Ergebnis selbst (Flecker 2016, S. 39). Das führt zu einer zirkulären Rechtfertigung, bei der nur noch der Erfolg, unabhängig von tatsächlicher Anstrengung, als die eigentliche Leistung dargestellt wird (ebd.; Honneth 2013). Steuererhöhungen auf hohe Einkommen, Vermögen oder Erbschaften werden von deutschen Eliten explizit abgelehnt (Hartmann 2017, S. 300). Ähnliches gilt für Reiche in den USA, die sich vor allem für Kürzungen der Sozialprogramme aussprechen (ebd., S. 302 f.). Dabei versucht die Elite sich auf der Grundlage des Leistungsprinzips insbesondere durch Abwertung von unteren gesellschaftlichen Klassen abzuheben (Heitmeyer 2011). So findet „rohe Bürgerlichkeit“, die sich in dem Verständnis von Ungleichheit als „Ungleichwertigkeit“ ausdrückt und damit verbunden „Herabwürdigung“ der unteren Klassenlagen, Eingang in Sprache und Haltung (ebd., S. 39). Etwa die Diffamierung jener, die es sich angeblich in der sogenannten „sozialen Hängematte“ gemütlich zu machen versuchen, oder wenn bestimmte soziale Gruppen dessen bezichtigt werden, lieber „lange zu schlafen“, anstatt arbeiten zu gehen (Flecker 2019).

Durch die Verrohung der Sprache und herabwürdigende Haltung gegenüber weniger privilegierten gesellschaftlichen Gruppen werden im Umkehrschluss die strukturelle Differenz zwischen den Klassen und das Abnehmen solidarischer Haltungen, die im Widerspruch zur geforderten Selbstverantwortung stehen, legitimiert (Heitmeyer 2011, S. 41). Distinktion und Abgrenzung nach unten führen zu einer moralischen Selbsterhöhung und soziale Positionen werden zur individuellen Verantwortung erklärt. Darin findet sich die „neoliberale politische Ideologie“ wieder, die das „unternehmerische Selbst“ in den Mittelpunkt stellt und dabei „verschiedene Formen von Gerechtigkeit, Solidarität und Fairness, die nicht an Effizienz, Nützlichkeit und Verwertbarkeit gekoppelt sind“, verdrängt (ebd., S. 39ff.). Was bleibt, ist die ständische Differenz bzw. eine obere Klasse, die sich durch ihre subjektive Vorstellung von Gerechtigkeit und Moral legitimiert und sich zunehmend von Solidarität zwischen den Klassen und gesellschaftlichen Verpflichtungen löst (Neckel 2012).

Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich der Beitrag mit der Frage, wie „working rich“ das Spannungsverhältnis zwischen Vermögenserbe und Leistungsprinzip in ihrer Lebensgeschichte deuten und welche Gerechtigkeitsvorstellungen sie daraus ableiten. Er zeigt auf, wie Vermögenserb:innen ihr Vermögen in der Leistungsgesellschaft über Gerechtigkeitsvorstellungen als Teil des klassenspezifischen Habitus legitimieren. Die Vermögenslegitimation rechtfertigt die Reproduktion struktureller Differenzen und dient damit auch dem Machterhalt. Gleichzeitig werfen Unterschiede die Frage auf, ob die Perspektiven der Vermögenserb:innen homogen sind und zu einer durchgängigen Entsolidarisierung Vermögender mit dem Rest der Gesellschaft führen, wie in der beschriebenen Literatur angenommen wird. So tragen die Ergebnisse dieser Forschung wesentlich zu einer Differenzierung in der Betrachtung der oberen Klasse bei.

4 Methode und Sample

Von Juni bis August 2019 wurden Interviews mit sieben Vermögenserb:innenFootnote 1, sechs Männern und einer FrauFootnote 2, von der Autorin geführt. Die Auswahl der Befragten erfolgte entlang der Unterscheidung zu wohlhabenden Personen, für deren Wohlstand das Erwerbseinkommen grundlegende Bedeutung hat (Lauterbach und Ströing 2009, S. 20ff.). Demzufolge gelten jene Personen als vermögend bzw. reich, für deren Gesamtvermögen das Erwerbseinkommen eine untergeordnete Rolle spielt. Zentrale Kriterien der Auswahl waren zudem, dass Vermögen aus Erbschaften und Schenkungen zu Lebzeiten stammt, sowie statushohe berufliche Positionen. Die untersuchte Gruppe wird hier als „working rich“ bezeichnet, weil sie trotz Vermögen einer Erwerbsarbeit nachgeht. Die geerbten Vermögensbestände umfassen dabei über den eigenen Wohnsitz hinausgehendes Immobilieneigentum, Unternehmenseigentum und Finanzvermögen. Zudem sind die Befragten in statushohen Berufspositionen tätig. Im iterativen Forschungsprozess wurden die Befragten im Sinne des theoretical samplings (Glaser und Strauss 1967) ausgewählt. Die befragten Personen wurden zwischen 1944 und 1971 in wohlhabende Familien geboren, die nicht nur ökonomisches, sondern auch kulturelles und soziales Kapital in (unterschiedlich) hohem Ausmaß aufweisen. Der Zugang gelang insbesondere durch die Unterstützung von gatekeepern und der Zusicherung, dass Höhe und Zusammensetzung des Vermögens nicht Gegenstand des Interviews sein würden. Methodologisch ist diese Forschung im interpretativen Paradigma verortet, um zu verstehen, wie die Befragten ihre widersprüchliche Lebenssituation in ihren Wahrnehmungs‑, Denk- und Handlungsmustern subjektiv mit Sinn versehen. Die nach Alfred Schütz (1993 [1932]) über subjektive Wahrnehmung konstruierte Alltagsrealität ist denk- und handlungsanleitend und so auch zentral für internalisierte Deutungsmuster und Gerechtigkeitsvorstellungen. Die Befragten waren in problemzentrierten Interviews (Witzel 1985) aufgefordert, ihre Lebensgeschichte ausführlich zu erzählen, und beantworteten darüber hinaus auch Fragen zu ihrer Haltung bzgl. Verteilungsgerechtigkeit. Die ein- bis zweistündigen Interviews wurden zunächst mittels Feinstrukturanalyse hermeneutisch analysiert, um latente Denk- und Wahrnehmungsmuster herauszuarbeiten und so die unbewussten Deutungsmuster zu rekonstruieren (Froschauer und Lueger 2003). Hierbei stand die Frage im Mittelpunkt, wie die Befragten ihre widersprüchliche Lebenssituation mit Sinn versehen. Im nächsten Schritt wurde die Themenanalyse zunächst fallspezifisch und dann fallübergreifend angewendet (ebd., S. 158ff.). Dabei wurden insbesondere die Sichtweisen auf soziale Positionen und Verteilungsgerechtigkeit durch Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Fällen systematisch ausgewertet. Die systematischen Vergleiche bilden auch die Grundlage der Typenbildung (Kelle und Kluge 2010). Die herausgearbeiteten Typen erfassen die durch die Personen als Akteur:innen hervorgebrachten und von diesen reproduzierten Muster im Kontext der hier interessierenden Forschungsfrage (Przyborski und Wohlrab-Sahr 2014, S. 360). Alle Befragten lassen sich entlang der für die Fragestellung zentralen Dimensionen, die sich aus dem empirischen Material in Verbindung mit Theorie und aktueller Literatur ergeben, einem der beiden Typen zuordnen, die im Folgenden als Ergebnisse dieser Forschung dargestellt werden.

5 Ergebnis: Leistungsorientierte Abwertung und statusorientierte Wohltätigkeit

Die Interpretation der Daten als methodische Typenbildung führt entlang der Dimensionen Wahrnehmung der Klassenherkunft, Selbstpräsentation und Gerechtigkeitsvorstellungen im Ergebnis zu zwei unterschiedlichen Typen von Vermögenserb:innen. Der Typ „leistungsorientierte Abwertung“ nimmt seine Klassenherkunft als nicht-privilegiert oder benachteiligend und sich selbst als fleißig, sein Vermögen und seine soziale Position als selbsterarbeitet, wahr. Aus den spezifischen Merkmalskombinationen ergibt sich die Abwertung der Klassenherkunft und Leistung als dominierendes Gerechtigkeitsprinzip. Der Typ „statusorientierte Wohltätigkeit“ nimmt seine Klassenherkunft als privilegiert und sich selbst als verantwortungsvoll und tugendhaft, sein Vermögen und seine soziale Position als besondere Verantwortung wahr. Hier zeigt sich die Würdigung von Klassenherkunft und Status als dominierendes Gerechtigkeitsprinzip. Gemeinsam ist den beiden Typen, dass sie ihr Vermögenserbe in der Leistungsgesellschaft grundsätzlich legitimieren und ihr klassenspezifischer Habitus der Reproduktion struktureller Differenz und dem eigenen Machterhalt dient. Unterschiede zeigen sich in den Legitimierungsstrategien und den Gerechtigkeitsvorstellungen, die unterschiedliche Handlungskonsequenzen für die Solidarisierung mit oder Herabwürdigung von weniger privilegierten gesellschaftlichen Gruppen haben. Die Typen „leistungsorientierte Abwertung“ und „statusorientierte Wohltätigkeit“ werden im Folgenden charakterisiert und im Anschluss die zentralen Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede im Detail diskutiert. Vorab sind in Tab. 1 die Befragten mit ihren objektiven Merkmalen und der Zuordnung zu den beiden Typen ersichtlich.

Tab. 1 Fälle nach Typ und objektiven Merkmalen

5.1 Typ 1 „Leistungsorientierte Abwertung“

5.1.1 Wahrnehmung der Klassenherkunft und Selbstpräsentation

Der Typ „leistungsorientierte Abwertung“ zeichnet sich in der Deutung seiner Lebensgeschichte dadurch aus, dass die privilegierte Klassenherkunft abgewertet bzw. negiert wird. Befragte dieses Typus distanzieren sich in ihrer Selbstpräsentation von ihrer Herkunftsfamilie und von den Vorteilen, die durch familiär tradiertes Kapital erwachsen. Sie nehmen ihre Herkunft sogar hemmend und belastend wahr. Daher müssen sie sich in ihrer Wahrnehmung zunächst von ihren Familien abwenden, um schließlich eine erfolgreiche Laufbahn einschlagen zu können. Die Befragten haben die exklusivsten und teuersten österreichischen Gymnasien, sowie z. T. international anerkannte Universitäten besucht, deren Ansehen und Bedeutung für individuelle Lebensverläufe sie für überschätzt halten. Richard Eisenschmid meint dazu:

Meine Eltern waren halt sehr konservativ und haben versucht, eine gute Schule für mich zu finden und die Ordensschule hat immer den Ruf einer Eliteschule gehabt […]. Sie waren der vielleicht aus meiner heutigen Sicht irrigen Meinung, dass das was Besseres wäre. Die Ordensschulen sind schon wie eine Kaderschmiede, aber überbewerten würde ich es auch nicht (11/2 ff.Footnote 3).

Die weiteren Erzählverläufe der Lebensgeschichten sind vor allem dadurch gekennzeichnet, dass ein positiver Einfluss des Elternhauses auf den eigenen Werdegang abgewertet wird. Sie erzählen beispielsweise vom Druck, der ihnen Selbstbewusstsein genommen und sie dadurch eingeschränkt hat, oder vom heruntergewirtschafteten Unternehmen, das sie erst wieder auf die Beine stellen mussten. Erzählungen über die Eltern sind immer negativ konnotiert und enden mit einer persönlichen Distanzierung. Erst nach diesem Abnabelungsprozess beginnt ein gutes, selbstbestimmtes Leben. Dem folgt die Darstellung der Berufskarriere als individueller Leistungserfolg und Grund für den heutigen Lebensstandard, der sich als selbst erarbeitet und verdient von anderen abhebt. Dem für die jeweiligen Karrieren notwendigen familiären Immobilieneigentum, Unternehmenseigentum und Finanzkapital wird keinerlei Rechnung getragen. Die entsprechende Bildung wird ausgeklammert oder abgewertet und soziale Netzwerke werden überhaupt nicht als solche wahrgenommen. Im Gegenteil betonen die Befragten häufig, dass sie keinerlei Unterstützung hatten und darin vor allem den Anlass für ihren Erfolg sehen.

Im Denk- und Wahrnehmungsmuster der Befragten ist der Erfolg nur durch ihre individuelle Leistung und außerordentliche Leistungsbereitschaft möglich gewesen und wäre durch etwaige Unterstützung allenfalls gehemmt worden. Die Abwertung der sozialen Herkunft und die darauffolgende Distanzierung ist notwendig, um die Geschichte eines erfolgreichen Leistungsträgers oder einer erfolgreichen Leistungsträgerin erzählen zu können, der/die es ohne jegliche Hilfe „ganz nach oben“ geschafft hat. In der Deutung der eigenen Lebensgeschichte gründen der berufliche Erfolg und der hohe Lebensstandard auf Leistung als jenen sprichwörtlichen 120 %, mit denen man sich von anderen abhebt. Es gilt auch die Annahme, wer erfolgreich ist, hat etwas geleistet, weil die Befragten in ihrem habituellen Deutungsmuster von sich selbst auf andere schließen. Der Widerspruch zwischen Vermögenserbe und Leistungsnarrativ wird aufgelöst, indem das Vermögenserbe als Privileg verneint und Leistung als Gerechtigkeitsprinzip besonders hervorgehoben wird.

5.1.2 Gerechtigkeitsvorstellungen

Das Leistungsprinzip erstreckt sich infolge der Deutung der eigenen Lebensgeschichte insgesamt auf individuelle Ansprüche in Bezug auf Entlohnung, Belohnung und Anerkennung. Zunächst ist Erwerbsarbeit als Pflicht eines jeden Gesellschaftsmitgliedes, an die jegliche Rechte geknüpft sind, der Rahmen dafür, wie Friedrich Teichmann zum Ausdruck bringt:

In erster Linie musst du leisten und einzahlen. […] Achtzig Prozent der Österreicher sind leistungsfähig, können arbeiten gehen, die müssen nur in der Früh den Wecker stellen und aufstehen. […] Menschen ist zumutbar zu arbeiten, und zwar jedem (18 ff./35 ff.).

Bei Menschen ohne Erwerbsarbeit wird demnach automatisch auf fehlende Leistungsbereitschaft und „Nicht-Wollen“ geschlossen und dies mit einer Herabwürdigung verknüpft. Die Verantwortung wird direkt beim Individuum selbst gesehen. „In der Früh den Wecker stellen“ impliziert, Menschen würden nicht arbeiten gehen wollen und wären aufgrund des eigenen Unvermögens nicht erwerbstätig. Strukturelle Ungleichheiten werden, bei gleichzeitiger Herabwürdigung erwerbsloser Menschen, gänzlich ausgeblendet. Privilegien, wie beispielsweise eine bessere Behandlung Privatversicherter im Gesundheitssystem, werden legitimiert, indem sie durch persönliche Entscheidungen und finanzielle Priorisierungen durch die Versicherten selbst begründet werden. Eine Privatversicherung ist aus der Perspektive dieses Typus lediglich eine Frage des Wollens, nicht des Könnens.

Es ist einfach so, dass Menschen priorisiert Geld für Gesundheit ausgeben, also die einen kaufen sich Felgen fürs Auto und die anderen investieren in eine Zusatzversicherung (R. Eisenschmid 17/31–33).

Ein wesentliches Merkmal leistungsorientierter Abwertung ist auch die Ablehnung von Ansprüchen auf Unterstützung. Hier findet ein Umkehrschluss zur Deutung der eigenen Lebensgeschichte statt. Für diesen Typus gilt die subjektive Wahrnehmung fehlender Unterstützung in ihrem eigenen Werdegang als Antrieb für die entsprechende Leistungserbringung, die sie vermeintlich zum Erfolg geführt hat, weshalb Unterstützung allgemein als leistungshemmend angesehen wird. Diese Deutung führt weiter zu der Sichtweise, Menschen würden nur über Anreize zu Leistung motiviert, und Handlungen erfolgen nur aus den gesetzten Anreizen. Dabei ist die Distanzierung der oberen Klasse durch das Ausblenden gesellschaftlicher Ungleichheiten und die daraus folgende „Verrohung der Sprache“ besonders deutlich erkennbar (Heitmeyer 2011). So findet beispielsweise eine Abwertung finanzieller Unterstützung durch sozialstaatliche Leistungen statt, wie in diesem Zitat von Lucas Kold zum Ausdruck kommt:

Du bekommst mehr von dem, was du belohnst, und deswegen ist Hilfe begrenzt, weil wenn du jemanden, der arbeitslos geworden ist, durchfütterst, dann wird das zu seinem Beruf. Ich bin Sozialhilfeempfänger, das ist mein Beruf (12/31 ff.).

In diesem Kontext zeigt sich neben der abwertenden Sprache, die gegenüber Empfänger:innen sozialstaatlicher Leistungen verwendet wird, noch ein weiterer Aspekt, der die Befragten dieses Typus charakterisiert. Hilfe wird bei Armutsgefährdung durchaus zugestanden, sofern die gefährdende Lebenssituation nicht als selbst verschuldet angesehen wird, erfordert aber auch in diesem Fall eine zeitliche Begrenzung.

Sozialleistungen sind für die da, die es brauchen für eine gewisse Periode, aber nicht auf Dauer. (F. Teichmann 17/22–23).

„Die, die es brauchen“ impliziert, dass manche Empfänger:innen sozialstaatliche Leistungen nicht brauchen und diese ungerechtfertigt beziehen. Über diese Zuschreibung auf der Grundlage des Leistungsprinzips findet auch im öffentlichen Diskurs häufig eine soziale Abwertung von Erwerbsarbeitslosen statt. Daneben gibt es die Gruppe derjenigen, die zum Leistungsbezug berechtigt sind, weil der Bedarf tatsächlich besteht. Das impliziert wiederum, dass die Betroffenen nicht selbstverschuldet in die Situation der Bedürftigkeit geraten sind, sondern äußere Umstände dazu geführt haben, die sich nicht abwenden ließen. In der Literatur zum Sozialstaat wird das als „deservingness“, also entsprechend der Frage, wer ist der Unterstützung würdig und wer nicht, behandelt (van Oorschot 2000, 2006).

Das Leistungsverständnis dieses Typus kann mit der Deutung der eigenen Lebensgeschichte verknüpft werden und ist als Wahrnehmungs‑, Denk- und Handlungsmuster Teil des Habitus. Diesen charakterisiert, dass strukturelle Ungleichheiten gänzlich ausgeblendet, Leistung an Erfolg bemessen und jene Gruppen, die dem individualistischen Leistungsprinzip nicht genügen, herabgewürdigt werden. Durch die Auflösung der widersprüchlichen Lebenssituation zwischen Vermögenserbe und Leistungsnarrativ und der Deutung von Erfolg als Leistung sowie der Herausbildung des Leitungsprinzips als primäre Gerechtigkeitsvorstellung, drückt sich bei diesem Typus über die Verrohung der Sprache eine Entsolidarisierung mit sozial weniger privilegierten Gruppen aus.

5.2 Typ 2 „Statusorientierte Wohltätigkeit“

5.2.1 Wahrnehmung der Klassenherkunft und Selbstpräsentation

Der Typ „statusorientierte Wohltätigkeit“ ist in der Deutung seiner Lebensgeschichte durch die Würdigung der eigenen Klassenherkunft und der damit verbundenen Privilegien charakterisiert. Befragte dieses Typus identifizieren sich mit ihrer Herkunftsfamilie und drücken große Dankbarkeit für die daraus erwachsenen Lebenschancen, Möglichkeiten und die familiäre Unterstützung aus. Diese empfinden sie als ausschlaggebend für ihren erfolgreichen beruflichen Werdegang und heutigen Lebensstandard. Das schließt ihre hochwertige Ausbildung, individuelle Förderung, Tradierung von umfassendem Wissen sowie die Einführung in soziale Netzwerke ein und drückt sich auch in Herkunftsstolz aus:

Meine Familiengeschichte hat mich natürlich geprägt, also die lässt sich eh nachlesen. Wir waren eigentlich, viele von unseren Vorfahren in der Politik tätig, nicht. Also, als Minister oder als Abgeordneter oder in der Hochbürokratie oder auch im Militär oder so, das ist in dem Gen, das wir haben. (H. van Wegen 4/23–25)

Entsprechend der Würdigung fühlt sich dieser Typus einer Lebensführung verpflichtet, die in spezifischer Weise an Max Webers (1992 [1905]) protestantische Ethik erinnert. Nicht nur die ethisch begründete Berufspflicht und Fleiß, sondern auch Askese und Verantwortungsbewusstsein sind hochgehaltene Werte. Die Wahl der richtigen Lebensführung unterscheidet die Befragten von jenen, die mit geerbten Privilegien „falsch“ umgehen, indem sie beispielsweise verschwenderisch leben. Die standesgemäße Lebenshaltung, die das Vermögen legitimiert, wird innerfamiliär tradiert. Dieser Typus geht davon aus, dass nur jene, die gelernt haben, mit Vermögen umzugehen, ihre statusbedingten Verpflichtungen auch ernst und wahrnehmen. Zu den Verpflichtungen zählen sowohl Leistung als auch Verantwortung. Der Widerspruch zwischen Vermögenserbe und Leistungsnarrativ wird aufgelöst, indem Leistung zu einem Bestandteil statusbedingter Lebensführung und das Erfordernis der Leistungserbringung an den jeweiligen Status geknüpft wird. Leistung wird dort eingefordert, wo es die soziale Herkunft ermöglicht bzw. sogar erfordert, um dadurch den herkunftsbedingten Privilegien gerecht zu werden. Die richtige Lebensführung nach den internalisierten Werten rechtfertigt demnach das Erbe und den Vermögensbesitz dieses Typus auch deshalb, weil dadurch die erforderliche Verantwortung übernommen wird. Zum Beispiel werden der Erhalt eines Schlosses, Landgutes und anderer Kulturgüter oder auch eines Unternehmens als Verantwortung gegenüber der Gesellschaft gesehen, die von den befragten Vermögenserb:innen übernommen wird:

Für mich ist sozusagen schon auch die Verantwortung zumindest eines gebildeten Menschen, eines Menschen, der eine entsprechende Erziehung, Bildung genossen hat, auch wichtig sozusagen Kulturgut zum Beispiel zu erhalten (M. Prangerl 10/27–30).

5.2.2 Gerechtigkeitsvorstellungen

In der Deutung der Lebensgeschichte ist eine statusorientierte Gerechtigkeitsvorstellung reflektiert. Die standesgemäße Lebensführung dient der Legitimierung des Vermögens. Privilegien werden aus dem Statusprinzip abgeleitet. Leistung ist hier auch im Rahmen der Berufspflicht relevant, wird aber dem Statusprinzip untergeordnet. Zur Leistungserbringung ist jede:r im Rahmen der herkunftsbedingten Möglichkeiten verpflichtet. So wird Leistung gerade in privilegierten Positionen erwartet, während Benachteiligten gegenüber eine karitative Haltung eingenommen wird. Diese drückt sich darin aus, dass es durch das Standesprivileg als soziale Verantwortung angesehen wird, weniger Privilegierte zu unterstützen. Die Entscheidung, wer jene Gruppen sind, die der Unterstützung bedürfen, schreiben sich die Vermögenserb:innen selbst zu und spenden beispielsweise für Kunst, Bildung oder Hilfe für Geflüchtete. Dabei drückt sich eine philanthropische Haltung aus, die neben der Vermögenslegitimation auch der Distinktion dient und das statusbedingte Standesprivileg wiederum verstärkt. Nur wer durch familiär tradierte Werte gelernt hat mit Vermögen richtig umzugehen und soziale Verantwortung übernimmt, einen Teil davon also auch wieder an die Gesellschaft zurückgibt, verdient vermögend zu sein. Demnach entscheidet die soziale Herkunft qua Geburt, wem Vermögen zusteht und wem nicht.

Darüber hinaus zeichnet sich dieser Typus durch eine solidarische Grundhaltung mit humanistischen Grundwerten aus, die aus christlichen Wertvorstellungen resultieren. Von den Befragten wird eine von Hannes Gaumauf so bezeichnete notwendige „geistige Toleranz“ gegenüber anderen Gesellschaftsmitgliedern eingefordert, die sich auch in dem Zitat von Maximilian Prangerl abbildet:

Leute, die nicht die Möglichkeit hatten sich entsprechend zu entwickeln, die irgendwie unterdrückt worden sind, die misshandelt worden sind, die aus ihrer Heimat flüchten mussten, Leute die unheilbar krank sind […] und dann gibt’s halt auch Leute, die einfach im Leben Pech gehabt haben und unter die Räder gekommen sind oder mit einem Schicksalsschlag nicht fertig geworden sind und ein Alkohol- oder Drogenproblem entwickelt haben (7/16 ff.).

Hier zeigen sich auch Gemeinsamkeiten mit dem Typ „altruistische Solidarität“ aus der Untersuchung „Solidarität in Zeiten der Krise“ (Altreiter et al. 2019, S. 45). Diesen charakterisiert ebenso, dass aus der eigenen privilegierten Position eine moralische Verpflichtung zur Hilfe und Unterstützung der als benachteiligt wahrgenommenen Personen abgeleitet wird (ebd.). Dabei wird zunächst der Sozialstaat in seiner aktuellen Form als wichtige, gesellschaftliche Errungenschaft für die Vermeidung von Armut angesehen. Aus ihrer solidarischen Haltung schätzen sie diesen und sehen ihren gerechten Beitrag über den hohen Steuersatz auf ihr hohes Einkommen geleistet. Vermögensfinanzierte Unterstützung folgt jedoch einer karitativen Haltung. Das eigene Vermögen wird ausschließlich entlang der individuellen Entscheidung der Wohltäter:innen zu karitativen Zwecken gespendet. Forderungen nach Steuern auf Vermögen als Beitrag zum Sozialstaat werden vehement abgelehnt. Gefragt nach der Haltung zu Vermögenssteuern zur Umverteilung, deuten die Befragten die Armutsvermeidung in eine Frage nach Lebensglück und Neid um:

Es ist halt immer der Neid in so einer Gesellschaft die Sache und das ist das, was ich am Anfang gemeint habe, es wird das Glück des Menschen viel zu sehr an sein wirtschaftliches Vermögen gekoppelt. (M. Prangerl 11/18–21).

Dieser Typus nimmt unterschiedliche Ausgangsbedingungen aufgrund der sozialen Herkunft und damit verbundenen Lebenschancen wahr und erkennt diese auch an. Leistung wird in den Kontext der sozialen Herkunft gesetzt und nicht zur Herabwürdigung anderer genutzt. Dafür wird Leistung gemeinsam mit erhöhter Verantwortung und karitativer Haltung als Teil der standesgemäßen Lebensführung zur Legitimierung des Vermögens herangezogen. Aus der Umdeutung struktureller Ungleichheiten in Fragen von Glück und Neid kann geschlossen werden, dass die Würdigung der sozialen Herkunft und die daraus abgeleitete „geistige Toleranz“ und Wohltätigkeit bei einer grundsätzlich humanistischen Haltung vor allem der Entbindung von weiteren gesellschaftlichen Verpflichtungen aufgrund des Vermögenserbes dient. Die Gerechtigkeitsvorstellungen lassen sich mit der Deutung der eigenen Lebensgeschichte verknüpfen und sind als Wahrnehmungs‑, Denk- und Handlungsmuster Teil des Habitus, der der Legitimation dient und soziale Ungleichheiten im bestehenden Rahmen reproduziert, ohne sich dabei gänzlich zu entsolidarisieren.

6 Diskussion und Schlussfolgerungen

Im Ergebnis bildet diese Untersuchung zwei Typen von „working rich“ mit unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Handlungsmustern vor dem Hintergrund ihrer widersprüchlichen Lebenssituation ab. Die verschiedenen Deutungen des Spannungsverhältnisses zwischen dem geerbten Vermögen und dem gesellschaftlichen Leistungsprinzip führen auch zu unterschiedlichen Gerechtigkeitsvorstellungen der befragten Vermögenserb:innen, aus denen sich wiederum unterschiedliche Konsequenzen ableiten. Dennoch weisen sie auch Gemeinsamkeiten auf. In diesem Abschnitt werden die Unterschiede sowie die Gemeinsamkeiten der beiden Typen diskutiert. Die Diskussion soll auch Anstöße für weitergehende Forschungen anbieten.

Gemeinsam ist den beiden Typen, dass sie ihr Vermögen grundsätzlich legitimieren, indem sie das Spannungsverhältnis zwischen Leistungsprinzip und Vermögenserbe auflösen, sodass die Vermögensungleichheit gerechtfertigt erscheint. Die dabei als Teil des Habitus herausgebildeten Gerechtigkeitsvorstellungen tragen zu Machterhalt und der Reproduktion sozialer Ungleichheiten bei. Mit unterschiedlichen Legitimationsmustern werden Steuern auf Vermögen oder Erbschaften, wie auch von deutschen Eliten (Hartmann 2017), vehement abgelehnt. Durch das Erheben eigener moralischer Ansprüche und die damit verbundene Distanzierung von unteren Klassen beharren beide Typen auf einer strukturellen Differenz zwischen oben und unten. Unter dem Deckmantel der Leistungsgerechtigkeit geschieht dies bei dem Typus „leistungsorientierte Abwertung“ insbesondere über die „Verrohung der Sprache“ (Heitmeyer 2011, S. 39). Diese prägt die Sichtweise auf andere Gesellschaftsmitglieder, welche den eigenen moralischen Ansprüchen nicht genügen, im Verständnis von Ungleichheit als „Ungleichwertigkeit“ (ebd.). Gleichzeitig legitimiert der Typus „statusorientierte Wohltätigkeit“ soziale Ungleichheiten über familiäre Herkunft, sozialen Status und daran anknüpfende Lebensführung im Sinne der Statusgerechtigkeit. Andere werden von vornherein über das Geburtsrecht aus der vermögenden Klasse ausgeschlossen und erfahren selbstlegitimierende Barmherzigkeit, ohne emanzipatorischen Anspruch. Soziale Kämpfe über die gerechte Zu- und Verteilung von Ressourcen werden von den befragten Vermögenserb:innen mithilfe internalisierter Deutungs- und Handlungsmuster unter klassenspezifischen Gerechtigkeitsvorstellungen geführt und ein Machtanspruch von oben gestellt. Im gesellschaftlichen Diskurs können die internalisierten Muster durch symbolische Macht und Deutungshoheit zur Legitimierung von Vermögensungleichheit beitragen.

Unterschiede lassen sich vor allem in der Deutung des Leistungsnarrativs als Legitimierungsstrategie und die daraus folgenden Konsequenzen für die solidarische Haltung gegenüber anderen Gesellschaftsmitgliedern auf Grundlage der Gerechtigkeitsvorstellungen feststellen, die mit Blick auf konstatierte gesellschaftliche Spaltungstendenzen zentral sind.

Der Typus „leistungsorientierte Abwertung“ hat das Leistungsprinzip internalisiert und findet sich selbst darin wieder. Dabei werden herkunftsbedingte Privilegien und soziale Ungleichheiten ausgeblendet und Leistung wird als Erfolgskriterium in den Mittelpunkt gerückt. Dieser Sichtweise folgend, wird Leistung an Erfolg bemessen. Durch Distanzierung von der Herkunftsfamilie wird der eigenen Leistung enorme Bedeutung zugeschrieben. Umgekehrt werden auch soziale Ungleichheiten über das Leistungsprinzip legitimiert, indem ausbleibende Erfolge bis hin zu schwierigen Lebenssituationen fehlender Leistung und fehlender Leistungsbereitschaft zugeschrieben werden. Verantwortung für soziale Positionen wird immer individualisiert. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Leistungsprinzip und eigenen Statusprivilegien wird subjektiv aufgelöst, indem die Chancen aufgrund der sozialen Herkunft nicht nur ausgeblendet, sondern abgewertet werden. Dafür wird das Leistungsprinzip zur Herabwürdigung anderer genutzt und führt zur Entsolidarisierung. Eine Verantwortung Vermögender gegenüber der Gesellschaft, die bei der Bewusstmachung der ungleichen Verhältnisse entstehen könnte, wird mithilfe der eigenen Privilegien zurückgewiesen (Melchior und Schürz 2015). Der Habitus dieses Typus entspricht der beschriebenen „rohen Bürgerlichkeit“, die sich in dem Verständnis von Ungleichheit als „Ungleichwertigkeit“ und der Sprache und Haltung gegenüber unteren Klassenlagen ausdrückt (Heitmeyer 2011, S. 39). Besonders das Bild der sogenannten „sozialen Hängematte“ oder das Vorurteil, bestimmte soziale Gruppen würden lieber „lange schlafen“, anstatt arbeiten zu gehen, wird reproduziert (Flecker 2019). Solidarische Haltungen mit weniger privilegierten Klassen werden abgelehnt, weil diese im Widerspruch zur geforderten Selbstverantwortung stehen (Heitmeyer 2011, S. 41). Aufgrund dieser Definition von Leistung durch bloßen Erfolg findet bei diesem Typus Entsolidarisierung mit anderen gesellschaftlichen Gruppen statt und über seine Positionierung im gesellschaftlichen Diskurs trägt er zu gesellschaftlichen Spaltungstendenzen bei.

Dem gegenüber löst der Typ „statusorientierte Wohltätigkeit“ den Widerspruch zwischen Vermögenserbe und Leistungsprinzip in der Deutung der eigenen Lebensgeschichte subjektiv auf, indem er das Leistungsprinzip an die soziale Herkunft knüpft und Unterschiede dabei anerkennt. Zur Leistung ist nur verpflichtet, wer durch seinen Status dazu in der Lage ist. Privilegien werden wertgeschätzt und mittels standesgemäßer Lebensführung, Leistung in einer erfolgreichen Erwerbskarriere ist ein Teil davon, legitimiert. Diese wird wiederum von Vermögenden erwartet, um den statusbedingten Privilegien gerecht zu werden. Daraus folgt eine solidarische Haltung mit humanistischen Grundwerten, die an christliche Werte wie Nächstenliebe erinnern und zu philanthropischen Tätigkeiten bewegt. Herkunftsbedingte Statusunterschiede bilden die Grundlage für die Zuerkennung von Rechten und Pflichten. In diesem Habitus finden Distinktionsprozesse statt, die andere qua Geburt aus der vermögenden Klasse ausschließen. Distinktion führt zu einer moralischen Selbstüberhöhung, die sich in der subjektiven Gerechtigkeitsvorstellung manifestiert, und wird zu einem gesellschaftlichen „Zurückgeben“ umgedeutet. Hier findet die Legitimation der Klassendifferenz nicht durch rohe Bürgerlichkeit, sondern durch die Aufwertung der eigenen Positionen über Philanthropie statt. Aus der Forschung zu Philanthropie geht hervor, dass der soziale Status, insbesondere in demokratischen Gesellschaften, erst besonders gekennzeichnet und hervorgehoben wird (Ostrower 1996, S. 133f.). Es findet über Wohltätigkeit zugleich eine Verbindung mit und eine Distinktion von der Gesamtgesellschaft statt (ebd.). „Auf diesem Wege kann sich der ökonomische Elitenstatus auch kulturell veredeln und sozial legitimieren“ (Adloff und Sigmund 2005, S. 221). Die philanthropische Verantwortungsübernahme begleicht statusbedingte Schuldigkeit gegenüber anderen Gesellschaftsmitgliedern und lässt die Deutung von anders gearteten Gerechtigkeitsansprüchen in Neid zu. Spenden zu Legitimationszwecken zementieren Ungleichheiten weiter ein. Sie können nach dem Prinzip der Gabe nur in einem hierarchischen Verhältnis zwischen „Gebenden“ und „Nehmenden“ geleistet werden (Mauss 1990). Dieses Verhältnis wird durch die Gabe letztlich endgültig verfestigt, indem Schuldigkeit aufseiten der „Nehmenden“ entsteht, der diese nie gleichberechtigt gerecht werden können. Selbstständige Verfügungsmacht oder Unabhängigkeit soll über Wohltätigkeit nicht ermöglicht werden, denn die Gabe hat keinen emanzipatorischen Anspruch.

Das hier zugrundeliegende Material deutet auf objektive Unterscheidungsmerkmale hin. Zunächst sind die Befragten des Typus „statusorientierte Wohltätigkeit“ und deren Vorfahren eher dem ländlichen Raum, der Typus „leistungsorientierte Abwertung“ eher dem städtischen Gebiet zuzuordnen. Besonders auffällig ist, dass der leistungsorientierte Typus vor allem aus oft jungen Unternehmensfamilien kommt, Eltern oder Großeltern also selbst Unternehmensgründer:innen sind und einen sozialen Aufstieg erlebt haben. Befragte des statusorientierten Typus weisen im Gegensatz dazu „dynastische“ Familientraditionen mit mannigfaltigeren Vermögenswerten und -strukturen, von Großkonzernen bis hin zu Schlössern, die sich seit Jahrhunderten im Eigentum der Familie befinden, auf. Unterschiede im Habitus lassen sich wohl mit Unterschieden in der konkreten Zusammensetzung und dem jeweiligen Volumen der Kapitalsorten verknüpfen. Dabei lässt sich die Vermutung anstellen, dass sich der Umgang mit (geerbtem) Vermögen hinsichtlich des demonstrativen Müßiggangs und des ostentativen Konsums, zumindest in bestimmten Kreisen, verändert hat. Freilich müssen diese vorläufigen Thesen in einer breit angelegten Forschung weiter untersucht werden.

Nachdem die zwei Typen von Gerechtigkeitsvorstellungen von „working rich“ im Detail dargestellt wurden, möchte ich zum Abschluss noch auf die Unterschiede und die Bedeutung der subjektiven Wahrnehmungen im Spannungsfeld zwischen dem gesellschaftlichen Leistungsnarrativ und der sozialen Position von Vermögenserb:innen eingehen. Während bei einem Negieren herkunftsbedingter Privilegien Leistung zum denk- und handlungsanleitenden Gerechtigkeitsprinzip wird, gilt in der Würdigung der Herkunftsprivilegien das Statusprinzip als grundlegendes Gerechtigkeitsprinzip. In dessen Konsequenz zeigt sich ein wesentlicher Unterschied zwischen jenen, die tatsächlich soziale Ungleichheiten ausblenden und sich über die rohe Bürgerlichkeit durch fehlende Betroffenheit entsolidarisieren, und jenen, die soziale Ungleichheiten bewusst wahrnehmen, ihr Handeln daran orientieren und eine altruistisch solidarische Haltung mit humanistischem Menschenbild aufweisen, auch wenn soziale Ungleichheiten die Statusdifferenz weiter stützen sollen. Während sich die Ausführungen aktueller Untersuchungen ohne weitere Differenzierungen auf die obere Klasse beziehen, hat die hier vorliegende Untersuchung gezeigt, dass keineswegs vereinheitlichend von dieser Klasse gesprochen werden kann.