1 Einleitung

Die Jahre 2015 und 2016 werden im öffentlichen und im politischen Diskurs als einschneidendes Ereignis in der rezenten Zuwanderungsgeschichte Österreichs betrachtet. In diesen Jahren floh eine außergewöhnlich hohe Zahl an Schutzsuchenden nach Österreich; genauso wie nach Deutschland, Schweden und in einige südeuropäische Staaten. Viele dieser Geflüchteten haben ein Bleiberecht erhalten.Footnote 1 Die Integrationsprozesse dieser Menschen werden aufmerksam beobachtet: von der medialen und politischen Öffentlichkeit, von Organisationen, die diese Prozesse begleiten bzw. gestalten sowie von der Forschung. Ausdruck findet das beispielsweise in der ausführlichen medialen Berichterstattung im Herbst 2020, die sich der Frage widmete, was aus den Menschen geworden ist, die fünf Jahre zuvor als Geflüchtete nach Österreich und Deutschland zugwandert sind; in den Monitoring-Instrumenten, die in unterschiedlichen Institutionen etabliert wurden, um Eingliederungsprozesse in ausgewählten Bereichen zu beobachten; oder in den zahlreichen Forschungsprojekten,Footnote 2 die diese neu Zugezogenen anhand bestimmter Merkmale beschreiben oder ihre Integration dokumentieren und analysieren.

Im Rahmen quantitativer Analysen werden die Eingliederungsprozesse dieser Menschen in der Regel nach individuellen bzw. familiären Merkmalen untersucht und dabei wird unter anderem beobachtet, dass die Beschäftigungsaufnahme, der Spracherwerb oder der Aufbau sozialer Kontakte nach Geschlecht unterschiedlich verlaufen (bspw. Brücker et al. 2019a; de Paiva Lareiro und Schwarzmüller 2021; Niehues 2021; Brenzel et al. 2019; Hosner et al. 2017). Fragen nach den konkreten Umständen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die dazu führen, dass individuelle Merkmale oder familiäre Konstellationen solche Wirkungen entfalten, können in diesen Arbeiten selten beantwortet werden.Footnote 3 Den Effekten ebensolcher Rahmenbedingungen und deren komplexem Zusammenspiel gehen in den letzten Jahren verstärkt qualitative Forschungsarbeiten nach, die sich mit Eingliederungsprozessen von Zugewanderten in ländlichen Räumen befassen. Zahlreiche dieser Arbeiten vermuten ein hohes Potenzial von ländlichen Gebieten für Integration, das es zu nutzen gilt (bspw. Marcher et al. 2017; Perlik und Membretti 2018).

An dieser Stelle setzt diese Arbeit an und untersucht, ob sich eine positive Wirkung von ländlichen Räumen im Vergleich zu städtischeren Gebieten auf die soziale Teilhabe geflüchteter Frauen nachweisen lässt. Dazu werden quantitative Daten analysiert, die in der praktischen Integrationsarbeit in Vorarlberg erhoben wurden. Diese Daten bieten aufgrund des hohen Rücklaufs, der in der Befragung erzielt werden konnte, und aufgrund der in diesem Bundesland in den Jahren 2015 und 2016 praktizierten dezentralen Unterbringung von Asylsuchenden (Manahl und Hörl 2021) gute Voraussetzungen für die Untersuchung dieser Forschungsfrage.

Der Fokus der Analyse liegt dabei auf zwei von vier Dimensionen von sozialer Teilhabe (nach Bartelheimer und Kädtler 2012 bzw. Kronauer 2010), die in den verwendeten Daten gut abgebildet sind: der Teilhabe an sozialen Beziehungen und an Erwerbsarbeit. Eine weitere Dimension – die Teilhabe an Kultur und Bildung – kann in den verwendeten Daten nur über in Kursen erworbene Deutschkompetenzen angenähert werden.Footnote 4 Diese Dimensionen gesellschaftlicher Inklusion bilden auch wesentliche Aspekte weit verbreiteter Konzepte von Integration (Esser 2001; Ager und Strang 2008) ab; allerdings ohne bei sozialen Beziehungen eine Unterscheidung und Bewertung zwischen Kontakten zur Mehrheitsbevölkerung und Kontakten zu Personen gleicher Herkunft vorzunehmen.Footnote 5

Die These für diese Arbeit lautet, dass diese Aspekte gesellschaftlicher Inklusion – Erwerbstätigkeit, soziale Kontakte, Bildung – in engem Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen stehen, die zwischen ländlichen und in städtischen Räumen sowie auch innerhalb ländlicher Räume unterschiedlich ausgeprägt sind.

2 Ländliche Räume als Potenzial für die Integration von Zugewanderten?

In den vergangenen Jahren sind ländliche Räume verstärkt in den Fokus der Migrationsforschung gerückt. Dabei wird der Tatsache Rechnung getragen, dass in vielen Regionen, die lange nicht als Ziele internationaler Migration (wie bspw. Metropolen) betrachtet wurden, Zuwanderung stattfindet (Winders 2014; McAreavey und Argent 2018a). Mit der verstärkten Fluchtmigration der vergangenen Jahre nach Europa und der in vielen europäischen Ländern praktizierten Politik der dezentralen Unterbringung von Geflüchteten hat sich die Forschung auch zunehmend der Frage zugewandt, wie sich Eingliederungsprozesse von Zugewanderten im ländlichen Raum gestalten und welche Faktoren wesentlich dafür sind, dass die Integration dieser Menschen in diesen Regionen gelingt (Weidinger et al. 2017; Marcher et al. 2017; Gruber 2019; Engel 2013).

Die positive Wirkung von ländlichen Gebieten im Vergleich zum urbanen Raum auf das Voranschreiten von Integrationsprozessen wird von einigen Autor*innen darin gesehen, dass am Land soziale Kontakte zwischen der neu zugewanderten und der schon länger ansässigen Bevölkerung leichter entstehen und diese sozialen Beziehungen den Migrant*innen wiederum dazu dienen können, Wohnraum oder Beschäftigung zu finden und die Landessprache zu erwerben (Marcher et al. 2017; Perlik und Membretti 2018). Neben diesem möglichen Nutzen des ländlichen Raums für das Individuum wird Zuwanderung aber auch als Chance für periphere Gebiete betrachtet, die in den letzten Jahrzehnten von Abwanderung und wirtschaftlichem Abstieg betroffen waren. Durch internationale Zuwanderung könnten diese Regionen wiederbelebt, wirtschaftlich gestärkt sowie demographisch verjüngt werden (Galera et al. 2018; Perlik und Membretti 2018; Stenbacka 2016).

Galera et al. (2018) weisen allerdings darauf hin, dass sich das Potenzial des ländlichen Raumes für Integration nicht von selbst realisiert, sondern von großer Bedeutung ist, wie die Aufnahme von Zugewanderten – in den genannten Fallstudien primär von geflüchteten Menschen – gestaltet wird. Lokale Fallstudien (Marcher et al. 2017; Engel 2013; Galera et al. 2018; Weidinger et al. 2017, Gruber 2019; McAreavey und Argent 2018b; Stenbacka 2016) in unterschiedlichen europäischen Ländern verweisen dabei

  • auf die Bedeutung lokaler Integrationspolitik sowie auf die Erfahrung und das Know-how in der Verwaltung, in Schulen, in Arbeitsagenturen usw. betreffend die Bedarfe der neu Zugezogenen (insbesondere im Fall von Geflüchteten) und auf die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen lokalen Institutionen;

  • auf konkrete professionelle Integrationsmaßnahmen und -angebote (bspw. im Bereich des Spracherwerbs oder der Qualifizierung) vor Ort oder in mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbarer Nähe;

  • auf das Engagement der im Integrationsbereich aktiven Zivilgesellschaft (Einzelpersonen, aber auch Kirchen, NGOs, Sozialunternehmen);

  • auf lokale soziale Strukturen wie Vereine in den Bereichen Sport und Kultur bzw. Religionsgemeinschaften (die den Konfessionen der zuziehenden Menschen entsprechen);

  • auf die Art des vorhandenen Wohnraums und der Beschäftigungsmöglichkeiten;

  • sowie auf die Rolle von Vertrauens- oder Schlüsselpersonen (bspw. Bürgermeister*innen oder Leiter*innen von Aufnahmeeinrichtungen von Asylsuchenden) hin.

Auffallend ist, dass in diesen qualitativen Forschungsarbeiten zu Fluchtzuwanderung in ländliche Räume bislang selten gendersensible Perspektiven eingenommen werden. Das überrascht, da in den letzten Jahren – vor allem in quantitativen Forschungsarbeiten – ausführlich dokumentiert wurde, dass der Spracherwerb, der Aufbau sozialer Kontakte und die Arbeitsmarktintegration geflüchteter Männer und Frauen deutlich unterschiedlich verlaufen. Mit der BAMF-IAB-SOEP-Befragung liegt für Deutschland eine repräsentative Längsschnitt-Befragung vor, die die Integrationsprozesse von Geflüchteten beobachtet, die zwischen 2013 und 2016 in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben. In zahlreichen Publikationen zu den Befragungsergebnissen zeigt sich, dass der Deutscherwerb der geflüchteten Frauen langsamer voranschreitet, sie seltener Kurse oder Ausbildungen begonnen oder eine Beschäftigung aufgenommen haben, weniger soziale Kontakte pflegen (zu Deutschen, zu anderen Zuwanderungsgruppen oder zu Personen derselben Herkunft) und in ihrer Freizeit weniger häufig am öffentlichen Leben teilnehmen (z. B. im Rahmen von sportlichen Aktivitäten, Besuchen von Sport- oder Kulturveranstaltungen, Gastronomiebesuche etc.) als geflüchtete Männer (Brücker et al. 2019a; de Paiva Lareiro und Schwarzmüller 2021; Niehues 2021; Brenzel et al. 2019); und das, obwohl sich die Vorbildung dieser Männer und Frauen nicht stark unterscheidet und auch befragte Frauen kurz nach ihrer Ankunft in Deutschland mehrheitlich hohe Aspirationen hinsichtlich Deutscherwerb und der Aufnahme einer Beschäftigung geäußert haben (Brücker et al. 2016).

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die Forschung in Österreich zur Fluchtmigration um das Jahr 2015: Die FIMAS-Projekte stellen in ihren Befragungen wiederholt fest, dass geflüchtete Frauen bislang seltener erwerbstätig und häufiger am Arbeitsmarkt inaktiv sind als geflüchtete Männer (Hosner et al. 2017; Baumgartner et al. 2020), sowie dass sie im Fall einer Beschäftigung in Österreich größere Einbußen im beruflichen Status hinnehmen mussten als Männer und auch im Zeitverlauf in Österreich keine berufliche Aufwärtsmobilität zu beobachten ist (Leitner und Landesmann 2020). Darüberhinaus machen die Ergebnisse der FIMAS-Befragungen ersichtlich, dass gerade für den Berufseinstieg in Österreich soziale Netzwerke von großer Bedeutung sind (Baumgartner et al. 2020) und auch, dass junge geflüchtete Frauen über kleinere soziale Netzwerke und weniger Sozialkapital in Österreich verfügen als junge geflüchtete Männer (Baumgartner et al. 2021). Zu vergleichbaren Befunden betreffend Geschlechterunterschiede bei Integrationsprozessen – speziell im Bereich der Arbeitsmarktintegration – kommen auch Studien, die sich mit älteren Fluchtbewegungen nach Österreich bzw. Deutschland beschäftigt haben (Prettenthaler et al. 2017; Worbs et al. 2016; Bock-Schappelwein und Huber 2016; Jestl et al. 2019).

Quantitative und qualitative Forschungsarbeiten legen nahe, dass diese bei geflüchteten bzw. zugewanderten Männern und Frauen vielfach beobachteten Geschlechterunterschiede einerseits durch unterschiedliche Familienkonstellationen und familiäre Rollen (mit-)verursacht werden (de Paiva Lareiro und Schwarzmüller 2021; Niehues 2021); dass aber auch die Ausgestaltung lokaler Strukturen und Angebote darauf Einfluss nehmen, wie Eingliederungsprozesse verlaufen. So zeigen beispielsweise Büttner und Stichs (2018) in Bezug auf soziale Kontakte zur sogenannten Mehrheitsbevölkerung, dass diese von Männern, die über Heiratsmigration zugewandert sind, häufig bei alltäglichen Gelegenheiten (in der Arbeit, in der Nachbarschaft) gepflegt werden; bei Frauen hingegen verstärkt über institutionalisierte Angebote (wie bspw. Elterntreffpunkte). Und auch in der praxisorientierten Forschung verdichten sich die Hinweise darauf, dass für die Arbeitsmarktintegration von zugewanderten und insbesondere von geflüchteten Frauen professionelle Integrationsmaßnahmen und längerfristige Begleitstrukturen wesentlich sind (Biffl et al. 2019; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2018). Ebensolche Angebote und (Gelegenheits‑)Strukturen sind wiederum in ländlichen Räumen und städtischen Gegenden unterschiedlich ausgeprägt. Dadurch liegt die Annahme nahe, dass das Potenzial von ländlichen Räumen für die Integration – das in den zitierten Forschungsarbeiten postuliert wird – eine unterschiedliche Wirkung auf die Eingliederungsprozesse geflüchteter Frauen und Männer zeigt. Mit der nachfolgenden Analyse soll ein Beitrag dazu geleistet werden, diese Forschungslücke zu schließen.

3 Untersuchungsregion und methodisches Vorgehen

Um in dieser Arbeit den Einfluss von lokalen Rahmenbedingungen in ländlichen bzw. städtischen Gebieten auf die soziale Teilhabe geflüchteter Frauen in den Bereichen Beschäftigung und soziale Beziehungen zu untersuchen, werden Daten einer Befragung analysiert, die von Integrationsfachstellen des Landes Vorarlberg und den Vorarlberger Kommunen konzipiert und durchgeführt wurde. Es handelt sich somit um einen Datensatz, der aus der praktischen Integrationsarbeit stammt; der sich allerdings aufgrund seiner Zielgruppenerreichung und aufgrund der Tatsache, dass in Vorarlberg in den Jahren 2015 und 2016 sehr stark auf eine dezentrale Unterbringung von Asylsuchenden gesetzt wurde, gut für die Beantwortung der Forschungsfrage eignet.

3.1 Städtischer und ländlicher Raum in Vorarlberg

In Vorarlberg leben knapp 400.000 Einwohner*innen im dicht besiedelten Rheintal-Bodenseegebiet und in der deutlich dünner besiedelten Region Bludenz-Bregenzerwald. In diesen beiden NUTS-3-Regionen machen nicht-österreichische Staatsbürger*innen einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung aus (16,4 % in der Region Bludenz-Bregenzerwald; 17,7 % in der Region Rheintal-Bodensee). Beide Regionen sind wirtschaftlich stark und erwirtschaften jährlich ein BIP/Kopf, das deutlich über der bundesweiten Wirtschaftsleistung pro Kopf liegt. Dieses wird in beiden Regionen zu ca. 40 % im zweiten Sektor (Industrie und Gewerbe) und zu ca. 60 % im dritten Sektor (Dienstleistungen; im ländlichen Raum insbesondere auch Tourismus) erwirtschaftet (Machold 2020). Mit dem Tourismus finden sich auch in ländlichen Gebieten Vorarlbergs Arbeitsplätze in einer Branche, in der in den letzten Jahren vielen Geflüchteten die Aufnahme einer Beschäftigung gelang.Footnote 6 Im dicht besiedelten Rheintal-Bodenseegebiet sind Infrastrukturen wie Spitäler, Pflicht- und weiterführende Schulen, Bahnhöfe und Geschäfte in kürzerer Zeit erreichbar als in der Region Bludenz-Bregenzerwald (Machold 2020). Beinahe alle Einrichtungen im Bereich der Erwachsenenbildung finden sich in dieser Region.

3.2 Zum verwendeten Datensatz

Um die Lebenssituationen geflüchteter Frauen besser zu verstehen, wurde im Jahr 2019 von Akteur*innen in der praktischen Integrationsarbeit in Vorarlberg eine Befragung umgesetzt, deren Zielgruppe Frauen im erwerbsfähigen Alter waren, die ein Bleiberecht haben (Konventionsflüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte) und die in Vorarlberg in Haushalten leben, die die Mindestsicherung beziehen. Die Grundgesamtheit der Erhebung stellten alle weiblichen Konventionsflüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigten im Alter von 15 bis 60 Jahren dar, die im April 2019 in Vorarlberg wohnten und zu diesem Zeitpunkt die Bedarfsorientierte Mindestsicherung (heutige Sozialhilfe) bezogen (= 876 Frauen). Alle diese Frauen sollten befragt werden; geplant war demnach eine Vollerhebung.

Der Fragebogen wurde vom damaligen Koordinator für die Arbeitsmarktintegration von bleibeberechtigten Flüchtlingen des Landes Vorarlberg gemeinsamen mit den regionalen und kommunalen Koordinationsstellen für Asyl- und Flüchtlingswesen konzipiert. Der Fragenkatalog der Befragung umfasste Informationen zur Nationalität, zum Aufenthaltsstatus und zum Familienstand, zum Wohnort, zur Anzahl der Kinder im Haushalt und zum Alter dieser Kinder, zur Bildung der Frauen im Herkunftsland, zu ihrer Bildung in Österreich und zu ihren Sprachkenntnissen, zur Erwerbstätigkeit im Herkunftsland, zur aktuellen Erwerbstätigkeit, zu sozialen Kontakten in Österreich bzw. in der Wohngemeinde, zur Wohnsituation und zum subjektiven Gesundheitszustand der Frauen. Die Befragung wurde von den Koordinatorinnen für Asyl- und Flüchtlingswesen zwischen Mai und September 2019 im Rahmen von Face-to-Face-Interviews umgesetzt, die entweder in öffentlichen Einrichtungen (wie Gemeindeämter und Rathäuser) oder bei den befragten Frauen zu Hause stattfanden. Insgesamt nahmen 415 von 876 Frauen an der Befragung teil. Der Rücklauf war somit hoch und lag bei 47 %.

3.3 Einschränkungen des Datensatzes

Durch den Zugang zu den Befragten über die Daten der Mindestsicherung beschränkt sich die Grundgesamtheit der Erhebung auf geflüchtete Frauen, die 2019 in Haushalten lebten, die sich finanziell nicht selbst erhalten konnten. Es liegen keine Daten vor, die Auskunft darüber geben können, welchen Anteil der bleibeberechtigten Frauen in Vorarlberg dies genau betraf. Da in Vorarlberg der Weg gewählt wurde, dass Bleibeberechtigte sich erst ab einem bestimmten Niveau an Deutschkenntnissen (A2) beim AMS vormerken lassen sollen, bietet auch die Arbeitsmarktstatistik keinen Anhaltspunkt hierfür. Eine Annäherung ist allerdings über die Bevölkerungsstatistik möglich: Anfang des Jahres 2014 lebten nur 82 syrische, afghanische bzw. somalische Staatsbürgerinnen im Alter von 15–59 Jahren in Vorarlberg. Anfang des Jahres 2019 betrug die Anzahl der in Vorarlberg wohnhaften Staatsbürgerinnen im erwerbsfähigen Alter aus diesen drei Ländern hingegen 1015 Personen (STATcube 2021, eigene Berechnung). Es kann daher davon ausgegangen werden, dass es sich bei Frauen mit diesen Staatsbürgerschaften in Vorarlberg fast ausschließlich um Geflüchtete handelt, die ab 2015 zugewandert sind. Allerdings gab es im Jänner 2019 nur 75 über der Geringfügigkeitsgrenze beschäftigte Frauen mit diesen Staatsbürgerschaften in Vorarlberg (BaliWeb 2021, eigene Berechnung). Somit lebte Anfang 2019 der überwiegende Teil der geflüchteten Frauen aus diesen Herkunftsländern in Haushalten, in denen weibliche Haushaltsmitglieder nicht durch ein Erwerbseinkommen in Österreich zum Haushaltseinkommen beitrugen. Da gleichzeitig die Ergebnisse der FIMAS-Befragung auf niedrige durchschnittliche Nettoeinkommen bei Geflüchteten hinweise (1300 € bei einer Vollzeitbeschäftigung, Hosner et al. 2017), kann angenommen werden, dass viele geflüchtete Familien über das Einkommen einer Person (bspw. eines alleinverdienenden Mannes) die Selbsterhaltungsfähigkeit nicht erreichen. Somit liegt es nahe, dass ein großer Teil der bleibeberechtigten geflüchteten Frauen in Vorarlberg Anfang des Jahres 2019 in Haushalten lebte, die zumindest einen Teil ihres Haushaltseinkommens über die Mindestsicherung bezogenFootnote 7 und damit in den für diese Arbeit verwendeten Daten erfasst sind. Wahrscheinlich ist allerdings, dass erwerbstätige geflüchtete Frauen in den verwendeten Daten unterrepräsentiert sind: Laut Schätzung der Statistik Austria, basierend auf der Mikrozensus Arbeitskräfteerhebung, lag die österreichweite Erwerbstätigenquote von syrischen, afghanischen und irakischen Staatsbürgerinnen im Jahr 2018 bei 17 % (ÖIF 2020). Hingegen sind in den für diese Arbeit verwendeten Daten nur knapp 10 % der Frauen beschäftigt (siehe Abschn. 4).

3.4 Operationalisierung der Fragestellung

In der nachfolgenden Analyse werden die Arbeitsmarktbeteiligung und die sozialen Beziehungen geflüchteter Frauen in Abhängigkeit vom lokalen Kontext untersucht. Im Datensatz sind Variablen vorhanden, die diese Aspekte sozialer Teilhabe abbilden. Vorhandene Informationen zur Erwerbssituation werden dafür zu einer binären VariableFootnote 8 umkodiert. Die Teilhabe an sozialen Beziehungen kann im Datensatz über vorhandene Informationen zu sozialen Kontakten zu Nachbar*innen, über Vereine oder ehrenamtliche Helfer*innen operationalisiert werden.

Zur Operationalisierung des lokalen Kontexts wird die Urban-Rural-Typologie der Statistik Austria gewählt.Footnote 9 Die Verwendung dieser Typologie erscheint sinnvoll, da sie sich nicht nur auf die Einwohnerzahl bzw. Bevölkerungsdichte einer Gemeinde bezieht, sondern u. a. auch die Infrastruktur in den Bereichen Verwaltung, Gesundheit, schulische Bildung sowie Pendlerbewegungen bzw. die Erreichbarkeit von städtischen bzw. regionalen Zentren mit einschließt. Diese Typologie bildet damit einen Teil jener Dimensionen ab, die in den zitierten qualitativen Fallstudien zu Integration im ländlichen Raum als wesentlich für einen erfolgreichen Verlauf von Eingliederungsprozessen beschrieben wurden (siehe Abschn. 2). Die Urban-Rural-Typologie der Statistik Austria teilt Österreichs Gemeinden in Haupttypen (städtisch/urban – ländlich/rural) die wiederum in mehrere Untertypen gegliedert sind. Die Ergänzung der Urban-Rural-Typologie im Datensatz erfolgte über die vorhandenen Angaben zur Wohngemeinde. In der multivariaten Analyse werden darüber hinaus folgende Faktoren als Kontrollvariablen berücksichtigt: Alter, Staatsbürgerschaft, Bildung und Erwerbstätigkeit im Herkunftsland sowie Kinder im Haushalt. Zusätzlich werden die Deutschkompetenzen als weitere unabhängige Variable einbezogen. Dazu werden die im Datensatz vorhandenen Informationen zu erfolgreich abgeschlossenen Deutschkursen verwendet.Footnote 10

Da im Datensatz keine Variable vorhanden ist, die die Aufenthaltsdauer in Österreich angibt, werden russische Staatsbürgerinnen aus der Analyse ausgeschlossen. Denn da die Zuwanderung von Tschetschen*innen als Geflüchtete nach Vorarlberg bereits deutlich länger erfolgt als Fluchtmigration aus Syrien, Afghanistan oder Somalia, würden sich in der Analyse anderenfalls mögliche Effekte der Aufenthaltsdauer hinter allfälligen Effekten der Staatsbürgerschaft verbergen. Darüber hinaus wurden die Eingliederungsprozesse von Geflüchteten ab dem Jahr 2015 von anderen integrationspolitischen Programmen und Maßnahmen und von einem stärkeren ehrenamtlichen Engagement begleitet als zuvor, weshalb in dieser Arbeit ein Fokus auf diese jüngste Phase der Fluchtmigration gelegt wird. Die befragten geflüchteten Frauen hatten zum Befragungszeitpunkt alle ein Bleiberecht, womit ihnen der Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt offenstand. Mit dem Status als Konventionsflüchtlinge bzw. Subsidiär Schutzberechtigte hatten die Befragten auch ein Anrecht auf kostenlose Deutschkurse bis inkl. zum Kompetenzniveau A2. Somit waren die befragten Frauen zumindest nicht rechtlich darin eingeschränkt, an jenen gesellschaftlichen Bereichen teilzunehmen bzw. an Angeboten teilzuhaben, die in der nachfolgenden Analyse als abhängige bzw. als unabhängige Variablen verwendet werden.

3.5 Beschreibung der verwendeten Daten anhand sozio-demographischer Merkmale

Nach dem Ausschluss von Frauen in schulischen Ausbildungen und von Frauen mit russischer Staatsbürgerschaft verbleiben 343 Personen für die Analyse des Einflusses der lokalen Rahmenbedingungen auf Eingliederungsprozesse im Datensatz. Dabei handelt es sich überwiegend (zu 67,6 %) um Syrerinnen, zu 11,1 % um Afghaninnen, zu 9,6 % um Somalierinnen und zu 11,7 % um geflüchtete Frauen mit anderen Staatsbürgerschaften. 18,1 % der befragten Frauen waren im Alter von 15 bis 24 Jahren, 29,2 % im Alter von 25 bis 34 Jahren, 37,9 % der Frauen waren im Alter von 35 bis 44 Jahren und 14,9 % im Alter von 45 bis 60 Jahren. Drei Viertel der Frauen (74,3 %) hatten zum Befragungszeitpunkt Kinder unter 15 Jahren, mit denen sie in einem Haushalt lebten. Die im Herkunftsland erworbene höchste Bildung der befragten Frauen unterscheidet sich stark: 16,9 % der Befragten hatten im Herkunftsland keine Schule besucht, 13,4 % eine ein- bis vierjährige Grundschulbildung und 34,1 % eine fünf- bis achtjährige Grundschulbildung erworben. Zwei Drittel der Befragten verfügen damit über keinen über die Grundschule hinausgehenden Bildungsabschluss aus ihrem Herkunftsland. 17,8 % der Befragten haben eine weiterführende Schule besucht und 16,3 % haben im Herkunftsland ein Studium abgeschlossen. Von fünf Frauen (1,5 %) stehen keine Angaben zur Bildung im Herkunftsland zur Verfügung. Ein Drittel der Frauen (34,1 %) hat im Herkunftsland bereits Berufserfahrung gesammelt.

Die Verteilung der in Tab. 1 dargestellten sozio-demographischen Merkmale ist bei den befragten geflüchteten Frauen im ländlichen und im städtischen RaumFootnote 11 Vorarlbergs ähnlich bzw. beinahe ident. So haben beispielsweise 74,6 % der Frauen im ländlichen Raum und 74,3 % der Frauen im städtischen Raum Kinder unter 15 Jahren. 32,9 % der Frauen im ländlichen Raum verfügen über Berufserfahrung im Herkunftsland und 35,1 % der Frauen im städtischen Raum. Der Chi-Quadrat-Test ergibt zwischen keiner der in Tab. 1 dargestellten Variablen und dem lokalen Kontext Stadt/Land einen signifikanten Zusammenhang. Somit eignet sich dieser Datensatz nicht nur aufgrund des hohen Rücklaufs bei der Befragung, sondern auch aufgrund der ausgewogenen Verteilung der genannten sozio-demographischen Merkmale bei den befragten geflüchteten Frauen im ländlichen und städtischen Raum für die Untersuchung der Forschungsfrage.

Tab. 1 Sozio-demographische Merkmale der befragten Frauen

4 Soziale Teilhabe geflüchteter Frauen im ländlichen Raum Vorarlbergs

In diesem Abschnitt wird mithilfe des beschriebenen Datensatzes untersucht, ob sich ein Zusammenhang zwischen dem lokalen Kontext und den Eingliederungsprozessen geflüchteter Frauen in den Bereichen Beschäftigung und soziale Beziehungen nachweisen lässt. Dazu werden zunächst die bivariaten Zusammenhänge zwischen den beschriebenen abhängigen Variablen (Beschäftigung, soziale Kontakte) und der Variable für den lokalen Kontext (nach der Urban-Rural-Typologie der Statistik Austria) analysiert. Die statistische Signifikanz der bivariaten Zusammenhänge wird mittels Chi-Quadrat-Test überprüft. Anschließend erfolgt eine multivariate Analyse mittels binär logistischer Regression, um zu überprüfen, ob sich ein Einfluss des lokalen Kontexts auch nach der Kontrolle verschiedener sozio-demographischer Merkmale der befragten Frauen zeigt.

4.1 Beschäftigung und soziale Kontakte geflüchteter Frauen im ländlichen Raum – bivariate Analyse

Zum Befragungszeitpunkt waren 9,6 % (33 Frauen) der Befragten beschäftigt oder absolvierten eine Lehrausbildung; bei 90,4 % (310 Frauen) war dies nicht der Fall. Nach der groben Unterscheidung von Vorarlberg in städtischen und ländlichen Raum zeigt sich, dass die Mehrheit der Frauen zum Befragungszeitpunkt in städtischen Gebieten lebten (272 von 343 Frauen). Von diesen Frauen waren 11,4 % in Beschäftigung oder in einer Lehre. Der kleinere Teil der Befragten (71 von 343 Frauen) lebte in ländlichen Regionen; von ihnen waren zum Befragungszeitpunkt 2,8 % beschäftigt oder in Lehre. Dieser urbane bzw. rurale Kontext zeigt einen statistisch signifikanten Einfluss auf die Arbeitsmarktbeteiligung von geflüchteten Frauen in Vorarlberg.

Bei Verwendung der detaillierteren Gliederung der Urban-Rural-Typologie der Statistik Austria wird ersichtlich, dass Frauen, die in urbanen GroßzentrenFootnote 12 wohnhaft waren, am häufigsten beschäftigt bzw. in Lehre waren (12,4 %). Etwas niedriger war der Anteil der Frauen in Beschäftigung oder Lehre in urbanen KleinzentrenFootnote 13 (8,5 %). Seltener beschäftigt waren Frauen, die in ländlichen Gebieten lebten, die nicht als Umland von Zentren eingestuft werden (4,5 % der Frauen, die in solchen ländlichen Regionen lebten, waren erwerbstätig). Keine der befragten Frauen, die im Umland von Zentren lebte, war zum Befragungszeitpunkt in Beschäftigung oder in Lehre. Dieses Ergebnis kann nicht ohne Weiteres auf die Grundgesamtheit übertragen werden; die Irrtumswahrscheinlichkeit liegt bei 11 %.

Ausgeprägter sind die Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Gebieten Vorarlbergs bei den sozialen Kontakten, die geflüchtete Frauen zu Nachbar*innen, ehrenamtlichen Helfer*innen oder durch Vereinsaktivitäten pflegen. Zum Befragungszeitpunkt hatten 73,5 % der befragten Frauen (249 Frauen) solche Kontakte; 26,5 % der Befragten (90 Frauen) hatten hingegen weder soziale Kontakte zu Nachbar*innen noch zu ehrenamtlichen Helfer*innen oder über Vereine. Die grobe Unterscheidung der Wohnorte der geflüchteten Frauen in städtischen und ländlichen Raum zeigt, dass 77,6 % der in städtischen Gebieten wohnhaften Frauen und 57,7 % der in ländlichen Gebieten wohnhaften Frauen soziale Beziehungen zu Nachbar*innen und/oder ehrenamtlichen Helfer*innen und/oder über Vereinsaktivitäten pflegen.

Die detailliertere Gliederung der Urban-Rural-Typologie der Statistik Austria macht ersichtlich, dass Frauen, die in urbanen Großzentren wohnhaft waren, zu 81,7 % über die genannten sozialen Kontakte verfügten, geflüchtete Frauen in urbanen Kleinzentren zu 66,2 % und geflüchtete Frauen im ländlichen Raum im Umland von Zentren zu 63,0 %. Geflüchtete Frauen, die in Gebieten leben, die als ländlich eingestuft sind und die sich nicht im Umland von Zentren befinden, pflegen zu 54,5 % solche sozialen Kontakte. Der urbane bzw. rurale Kontext zeigt – sowohl in der groben als auch in der detaillierten Gliederung der Urban-Rural-Typologie – einen statistisch hoch signifikanten Einfluss auf die sozialen Kontakte geflüchteter Frauen in Vorarlberg.

Die bivariate Analyse macht somit deutlich, dass geflüchtete Frauen, die die Mindestsicherung beziehen und die in städtischen Gebieten leben, in etwa vier Mal so häufig am Erwerbsleben teilhaben wie geflüchtete Frauen, die in ländlichen Regionen Vorarlbergs wohnhaft sind. Geflüchtete Frauen in städtischen Regionen Vorarlbergs pflegen zudem in etwa 1,3-mal häufiger soziale Kontakte zu Personen in ihrem lokalen Umfeld als geflüchtete Frauen am Land. Diese Zusammenhänge sind signifikant bzw. hoch signifikant (Tab. 2).

Tab. 2 Teilhabe an Beschäftigung und an sozialen Beziehungen – bivariate Analyse

Überraschend ist bei dieser bivariaten Analyse das hochsignifikante Ergebnis, dass geflüchtete Frauen in städtischen Gegenden häufiger Kontakte in ihrem sozialen Nahraum haben als geflüchtete Frauen am Land. Dieses Ergebnis entspricht somit nicht der in der zitierten Literatur geäußerten Annahme, dass ebensolche sozialen Kontakte in ländlichen Gebieten leichter entstehen als in städtischen. In der Detailanalyse wird ersichtlich, dass es dabei vor allem die Kontakte zu Nachbar*innen sind, die einen Unterschied machen (siehe Tab. 3): mit 61,9 % haben geflüchtete Frauen im städtischen Raum wesentlich häufiger Kontakt zu ihren Nachbar*innen als Frauen im ländlichen Raum mit 26,8 %. Der Einfluss des Faktors Stadt/Land auf die Kontakte zu Nachbar*innen ist dabei hoch signifikant. Wohingegen bei sozialen Kontakten zu ehrenamtlichen Helfer*innen geringere Unterschiede zwischen Frauen im städtischen und Frauen im ländlichen Raum bestehen. 48,9 % der Frauen in städtischen Gebieten haben Kontakt zu Ehrenamtlichen im Vergleich zu 43,7 % der Frauen in ländlichen Gebieten. Dieser Unterschied ist statistisch nicht signifikant. Nur eine Minderheit der Befragten im städtischen bzw. im ländlichen Raum pflegt soziale Kontakte über Vereine (6 % bzw. 5,6 %).

Tab. 3 Teilhabe an sozialen Beziehungen im Detail – bivariate Analyse

Darüber hinaus sind im verwendeten Datensatz Informationen dazu vorhanden, ob die Befragten niedrigschwellige Angebote nutzen, die in Vorarlberg zumeist von Kommunen oder Fachinstitutionen (häufig mit Unterstützung von Ehrenamtlichen) umgesetzt werden, um eine Möglichkeit zum Kennenlernen von und zum Austausch mit anderen zu bieten (Begegnungstreffpunkte, Frauencafés, Eltern-Kind-Treffpunkte, Sprachencafés, Frauenfrühstücke etc.). Im städtischen Raum Vorarlbergs wohnhafte Frauen nutzen solche Angebote zu 40,9 %; im ländlichen Raum wohnhafte Frauen zu 25,7 %. Dieser Stadt-Land-Unterschied ist statistisch signifikant.

4.2 Beschäftigung und soziale Kontakte geflüchteter Frauen im ländlichen Raum – multivariate Analyse

In einem nächsten Schritt wird mit einer binären logistischen Regression überprüft, ob der Einfluss der lokalen städtischen bzw. ländlichen Rahmenbedingungen auf die Erwerbstätigkeit und die sozialen Beziehungen geflüchteter Frauen auch nachweisbar ist, wenn weitere sozio-demographische Variablen in die Analyse einbezogen werden.

Im Regressionsmodell wird dafür die Erwerbstätigkeit geflüchteter Frauen (Beschäftigung inkl. Lehre) als abhängige Variable verwendet. Die sozialen Kontakte der Frauen werden als eine der unabhängigen Variablen einbezogen, um den Einfluss sozialer Beziehungen auf die Beschäftigung zu untersuchen. Durch die Analyse der bislang getrennt voneinander untersuchten Variablen Erwerbstätigkeit und Sozialkontakte in einem Modell kann zudem überprüft werden, ob die theoretische Annahme der Interdependenz unterschiedlicher Dimensionen sozialer Teilhabe (Kronauer 2010; Bartelheimer und Kädtler 2012) in den verwendeten Daten nachweisbar ist. Dazu werden auch die in formalen Kursen erworbenen Deutschkenntnisse der geflüchteten Frauen als unabhängige Variable berücksichtigt, die nach dem erwähnten Konzept von sozialer Inklusion als ein Aspekt von Teilhabe an Bildung und Kultur stehen sollen. Neben dem lokalen Kontext werden darüber hinaus folgende Kontrollvariablen einbezogen: das Alter der Frauen, ihre Staatsbürgerschaft, ob Kinder unter 15 Jahren im Haushalt leben, ihre im Herkunftsland erworbene Bildung sowie ihre Berufserfahrung im Herkunftsland. Dabei handelt es sich um Variablen, deren Einfluss auf die Erwerbstätigkeit von Zugewanderten bzw. zugewanderten Frauen vielfach nachgewiesen wurde (beispielsweise von Huber et al. 2017; Dumont et al. 2016; Wälde und Evers 2016).

In der multivariaten Analyse wird schrittweise vorgegangen: Modell 1 bezieht die beschriebenen sozio-demographischen Variablen Alter, Staatsbürgerschaft, Kinder unter 15 Jahren, Bildung und Berufserfahrung im Herkunftsland ein; Modell 2 ergänzt zusätzlich die sozialen Kontakte, die Deutschkompetenzen, und den lokalen Kontext. Die logistische Regressionsanalyse zeigt, dass beide Modelle als Ganzes sowie auch einzelne Variablen signifikant sind und damit einen Teil der Varianz in der Arbeitsmarktpartizipation geflüchteter Frauen erklären.Footnote 14 Modell 1 hat eine mittlere Erklärungskraft. Der durch die sozio-demographischen Variablen erklärte Varianzanteil bei der Arbeitsmarktpartizipation geflüchteter Frauen beträgt 19,7 % (entspricht Cohens f2 von 0,25 und damit einem mittleren Effekt). Die Regressionsergebnisse zeigen, dass Frauen in Altersgruppen ab 25 Jahren mit einer geringeren relativen Wahrscheinlichkeit beschäftigt oder in Lehre sind als Frauen bis zum Alter von 25 Jahren. Allerdings ist die Wirkung des Alters auf die Erwerbsbeteiligung nicht signifikant. Ebenfalls keinen signifikanten Einfluss haben die Staatsbürgerschaften der befragten Frauen. Einen hoch signifikanten Einfluss haben hingegen Kinder unter 15 Jahren im Haushalt; wobei die relative Wahrscheinlichkeit einer Beschäftigung bei Frauen mit Kindern in diesem Alter niedriger ist als bei Frauen ohne Kinder (in diesem Alter). Das Ergebnis von Modell 1 zeigt zudem, dass die relative Wahrscheinlichkeit beschäftigt oder in Lehre zu sein bei Frauen deutlich höher ist, die im Herkunftsland eine weiterführende Schule besucht haben als bei Frauen ohne Schulbildung im Herkunftsland. Bei Frauen mit höherer Bildung im Herkunftsland ist hingegen die relative Wahrscheinlichkeit einer Beschäftigung niedriger als bei Frauen ohne schulische Bildung.Footnote 15 Diese Ergebnisse sind allerdings nicht signifikant. Hochsignifikant ist hingegen der Einfluss der Berufserfahrung im Herkunftsland. Eine solche Berufserfahrung geht mit einer höheren relativen Wahrscheinlichkeit einher, in Vorarlberg in Beschäftigung oder in Lehre zu sein.

Durch den Einschluss der Variable zu sozialen Beziehungen, die geflüchtete Frauen zu ihren Nachbar*innen, ehrenamtlichen Helfer*innen oder über Vereine pflegen, der Variable zu den Deutschkompetenzen und der Variablen für die lokalen städtischen bzw. ländlichen Rahmenbedingungen in Modell 2 steigert sich die Erklärungskraft des Modells. Der erklärte Varianzanteil beträgt 25,9 % (entspricht Cohens f2 von 0,35 und damit einem mittleren bis starken Effekt). Das Alter der Befragten und ihre Staatsbürgerschaft sind auch in diesem Modell nicht signifikant. Weiterhin einen signifikanten Einfluss auf die relative Wahrscheinlichkeit einer Erwerbstätigkeit haben die Beschäftigung im Herkunftsland (solche Berufserfahrung steigert die relative Wahrscheinlichkeit einer Beschäftigung) und Kinder unter 15 Jahren im Haushalt (die die relative Wahrscheinlichkeit einer Beschäftigung senken). Nach dem Einschluss der zusätzlichen Variablen in Modell 2 erweist sich zudem der Einfluss von Bildung im Herkunftsland auf die Erwerbstätigkeit in Vorarlberg als signifikant; wobei mit einer universitären Bildung (im Vergleich zu keiner schulischen Bildung) die Wahrscheinlichkeit einer Beschäftigung signifikant sinkt. Darüber hinaus wirken sich Deutschkompetenzen ab dem Niveau A2 signifikant positiv auf die Wahrscheinlichkeit beschäftigt zu sein aus. Zwischen sozialen Beziehungen zu Nachbar*innen, ehrenamtlichen Helfer*innen und Sozialkontakten über Vereine und der relativen Wahrscheinlichkeit einer Beschäftigung zeigt das Regressionsmodell einen signifikanten, negativen Zusammenhang an. Die Richtung dieses Zusammenhangs überrascht, da bei dem verwendeten Modell gesellschaftlicher Teilhabe von Bartelheimer und Kädtler (2012) angenommen wird, dass die unterschiedlichen Dimensionen sozialer Inklusion einander tendenziell stärkenFootnote 16. Und auch eine empirische Arbeit zu geflüchteten Männern, die in den letzten Jahren nach Österreich zugewandert sind, weist einen positiven (und kausalen) Zusammenhang zwischen sozialen Kontakten und einer Beschäftigung nach (Landesmann und Leitner 2019). Das Ergebnis dieser Analyse könnte daher ein Hinweis darauf sein, dass dies nicht auf alle Formen von Sozialkontakten zutrifft und beispielsweise Frauen, die am Arbeitsmarkt nicht aktiv sind, eher sozialen Kontakte in ihrem lokalen Nahraum benötigen, oder auch, dass erwerbstätige Frauen weniger Gelegenheit oder Bedarf haben, soziale Kontakte in dieser Form zu pflegen. Ein städtisches Wohnumfeld wirkt sich in der multivariaten Analyse – wie schon in der bivariaten Analyse – positiv auf die relative Wahrscheinlichkeit aus, dass geflüchtete Frauen in Beschäftigung sind. Der lokale Kontext zeigt dabei einen ähnlich starken Einfluss auf die relative Wahrscheinlichkeit einer Arbeitsmarktpartizipation wie Berufserfahrung im Herkunftsland oder Deutschkenntnisse ab dem Niveau A2. Allerdings ist dieser Einfluss des lokalen Kontexts statistisch nicht abgesichert; die Irrtumswahrscheinlichkeit liegt etwas über 10 % (p = 0,13) (Tab. 4).

Tab. 4 Beschäftigung geflüchteter Frauen – schrittweise binäre logistische Regression

5 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

In der Forschung zur rezenten Fluchtmigration nach Österreich und Deutschland wurde inzwischen vielfach nachgewiesen, dass die Eingliederungsprozesse von geflüchteten Männern und Frauen unterschiedlich verlaufen und Frauen beim Deutscherwerb, bei der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit und beim Aufbau sozialer Netzwerke gegenüber Männern benachteiligt sind (bspw. Brücker et al. 2019a; de Paiva Lareiro und Schwarzmüller 2021; Baumgartner et al. 2020). Gleichzeitig wird der Bedeutung der lokalen bzw. regionalen Rahmenbedingungen für die Teilhabe von Geflüchteten am gesellschaftlichen Leben und an der Erwerbsarbeit verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt (bspw. Schmidt et al. 2020; Brücker et al. 2019b; Baumgartner et al. 2020) und die Frage thematisiert, ob der ländliche Raum ein besonderes Potenzial für Eingliederungsprozesse von Geflüchteten bietet (bspw. Galera 2018). Der vorliegende Artikel möchte einen Beitrag zu dieser Debatte leisten, in dem untersucht wurde, ob sich für Eingliederungsprozesse förderliche Effekte ländlicher Kontexte bei Frauen zeigen, die ab dem Jahr 2015 als Geflüchtete nach Vorarlberg zugewandert sind und ein Bleiberecht haben. Der Fokus der Analyse lag dabei auf der Teilhabe am Erwerbsleben sowie auf der Teilhabe an sozialen Beziehungen im lokalen Nahraum.

Für die Beantwortung dieser Forschungsfrage wurde ein Datensatz verwendet, der aus der praktischen Integrationsarbeit in Vorarlberg stammt und sich durch eine gute Zielgruppenerreichung auszeichnet. Statistisch signifikante Einflüsse sozio-demographischer Merkmale, die sich in der Analyse zeigen und die aus der bisherigen Forschung zur Arbeitsmarktintegration zugewanderter Frauen bereits bekannt sind, weisen auf eine gute Qualität der Daten hin.

In der bivariaten Analyse dieser Daten wurde sichtbar, dass geflüchtete Frauen, die in Vorarlberg in einem städtischen Umfeld wohnen, häufiger beschäftigt oder in Lehre sind und häufiger soziale Kontakte in ihrem sozialen Nahraum haben, als das bei geflüchteten Frauen in ländlichen Gebieten Vorarlbergs der Fall ist. Die Wirkung des lokalen Kontexts auf die Erwerbstätigkeit ist dabei signifikant und jene auf die sozialen Beziehungen geflüchteter Frauen hoch signifikant. Der Effekt des lokalen Kontexts auf die Teilhabe am Erwerbsleben entspricht dabei der Erwartung, dass eine Beschäftigung bei geflüchteten Frauen in ländlichen Räumen weniger häufig ist als im städtischen Raum. Überraschend ist hingegen, dass geflüchtete Frauen in ländlichen Gebieten auch seltener soziale Beziehungen in ihrem lokalen Umfeld pflegen als geflüchtete Frauen in städtischen Gebieten. Somit ist am Beispiel geflüchteter Frauen in Vorarlberg die in der Literatur geäußerte Annahme nicht nachweisbar, dass im ländlichen Raum leichter soziale Kontakte zur lokal ansässigen Bevölkerung entstehen als in der Stadt. Mithilfe einer binären logistischen Regression wurde anschließend überprüft, ob sich dieser Einfluss der lokalen Rahmenbedingungen auch nach der Kontrolle der sozio-demographischen Merkmale Alter, Staatsbürgerschaft, im Herkunftsland erworbene Bildung und Berufserfahrung und der im Haushalt lebenden Kinder zeigt. Im Regressionsmodell wurden dazu Beschäftigung als abhängige Variable herangezogen und neben den genannten sozio-demographischen Kontrollvariablen der lokale Kontext sowie die Deutschkompetenzen der geflüchteten Frauen und ihre sozialen Kontakte als unabhängige Variablen einbezogen. Erwartungsgemäß bestätigte sich mit diesem Regressionsmodell ein signifikanter Einfluss von Kindern unter 15 Jahren und ein signifikanter Einfluss von Berufserfahrung im Herkunftsland auf die Wahrscheinlichkeit der Teilhabe der befragten Frauen am Erwerbsleben in Vorarlberg. Auch der Zusammenhang zwischen Deutschkompetenzen ab dem Niveau A2 und einer Erwerbstätigkeit erwies sich als signifikant; wobei höhere Deutschkompetenzen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit, in Beschäftigung zu sein, einhergehen. Ebenso signifikant ist der Einfluss sozialer Kontakte im lokalen Umfeld auf eine Erwerbstätigkeit; wobei soziale Kontakte im sozialen Nahraum mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit, in Beschäftigung zu sein, einhergehen. Somit bestätigt die empirische Analyse die Annahmen des verwendeten theoretischen Konzepts zu gesellschaftlicher Teilhabe, dass die unterschiedlichen Dimensionen sozialer Inklusion (Bildung, Beschäftigung, soziale Beziehungen) miteinander in Beziehung stehen – wenngleich es überrascht, dass die untersuchten sozialen Kontakte die relative Wahrscheinlichkeit einer Beschäftigung senken. Rezente Forschung zu männlichen Geflüchteten derselben Zuwanderungskohorte weisen hingegen einen positiven Zusammenhang zwischen sozialen Kontakten und einer Beschäftigung nach (Landesmann und Leitner 2019). Dies wirft für weitere Forschungsarbeiten die Frage auf, ob sich der Nutzen von sozialen Kontakten für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bei geflüchteten Männern und Frauen unterschiedlich gestaltet.

Der städtische bzw. ländliche Kontext zeigte in der multivariaten Analyse eine ähnlich starke Wirkung auf die Wahrscheinlichkeit einer Erwerbsbeteiligung geflüchteter Frauen wie ihre Berufserfahrung im Herkunftsland bzw. ihre Deutschkenntnisse. Dass dieses Ergebnis zum Einfluss der lokalen Rahmenbedingungen auf die Erwerbstätigkeit geflüchteter Frauen mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von etwas über 10 % behaftet ist, sollte aufgrund der kleinen Fallzahl (n = 325) in der multivariaten Analyse und des hohen Rücklaufs in der Befragung (47 % der Grundgesamtheit wurden erreicht) nicht überbewertet werden. Vielmehr bietet die Analyse einige Ansatzpunkt zum weiteren Nachdenken darüber, welche Rahmenbedingungen konkret die soziale Teilhabe geflüchteter Frauen beeinflussen: denn der ländliche Raum zeichnet sich in Vorarlberg (auch) aufgrund seiner touristischen Infrastruktur nicht per se durch fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten aus; woraus sich die Frage ergibt, welche anderen Faktoren die Beschäftigungsaufnahme im ruralen Kontext erschweren (möglicherweise fehlende Kinderbetreuungs- oder Qualifizierungsmöglichkeiten, Beratungs- und Orientierungsangebote). Und auch der beobachtete Zusammenhang, wonach Frauen in ländlichen Gebieten Vorarlbergs deutlich seltener soziale Beziehungen in ihrem lokalen Umfeld pflegen als geflüchtete Frauen in städtischen Gebieten, scheint weitere Forschung dazu erforderlich zu machen, durch welche Gelegenheitsstrukturen sich der urbane Raum im Vergleich zum ländlichen Kontext diesbezüglich auszeichnet.