1 Einleitung

In der Wissensgesellschaft sind schulische und berufliche Ausbildungen entscheidend für die Chancen am Arbeitsmarkt und damit für die Integration in die Gesellschaft selbst. Welche Ziele Jugendliche anstreben und ob diese erreicht werden, hängt jedoch maßgeblich von ihrer (Bildungs‑)Herkunft ab, weshalb man auch von der „sozialen Vererbung von Bildung“ spricht. Die soziale Herkunft entscheidet über die Ausstattung mit gesellschaftlich relevanten Ressourcen und findet zudem in einem klassenspezifischen Habitus Ausdruck (Bourdieu 1987; 1983). Die daraus resultierenden Handlungsmöglichkeiten, aber auch -restriktionen prägen die Bildungschancen ebenso wie die Berufswahl junger Menschen. Dieses als „Möglichkeitsraum“ bezeichnete Koordinatensystem wahrscheinlicher biografischer Verläufe zielt nicht nur auf die Erfassung der real gegebenen Möglichkeiten ab, sondern inkludiert auch deren Wahrnehmung und tatsächliche Nutzung (Bourdieu 1987, S. 188).

Bildungsaspirationen sind Teil dieses Möglichkeitsraums. Sie spiegeln die Ziele Jugendlicher wider und hängen daher auch mit den langfristig realisierten (formalen) Bildungsabschlüssen zusammen (Beal und Crockett 2010; Grant 2017; Diehl et al. 2016). Aus theoretischer Perspektive – unabhängig davon, ob es sich um Rational-Choice-Ansätze (z. B. Boudon 1974; R. Becker 2000; Coleman 1966) oder um Bourdieu’sche Zugänge handelt (Bourdieu und Passeron 1971; Bourdieu 1987) – wird davon ausgegangen, dass höhere elterliche Bildung mit höheren Bildungsaspirationen Jugendlicher einhergeht. Unterschiedliche Bildungsaspirationen und unterschiedliche Realisierungschancen dieser Aspirationen sind daher ein bedeutender Aspekt in der Reproduktion sozialer Ungleichheit.

Während Bildungsaspirationen generell sehr gut erforscht sind, wissen wir nur wenig über deren Genese im Kontext von Migration (Feliciano und Lanuza 2016; Relikowski et al. 2010), das gilt insbesondere für Österreich (Herzog-Punzenberger und Schnell 2019). Die Forschung zeigt, dass Migrant*innen, wenn man andere Faktoren wie z. B. den Familienhintergrund kontrolliert, tendenziell höhere Bildungsaspirationen haben als Nicht-Migrant*innen (B. Becker und Gresch 2016; Bacher et al. 2012). Die Erklärungskraft des Migrationshintergrundes für unterschiedliche Positionierungen im Bildungssystem und am Arbeitsmarkt schwindet jedoch, wenn andere Variablen berücksichtigt werden – maßgeblich die soziale Herkunft (z. B. Herzog-Punzenberger und Schnell 2012; Moser et al. 2016; Scherger und Savage 2010). Ob das auch für das Zusammenspiel von idealistischen und realistischen Bildungsaspirationen gilt, wissen wir nicht. Die erste Forschungsfrage lautet daher: Wie unterscheidet sich der Zusammenhang von realistischen und idealistischen Bildungsaspirationen nach Migrationsgenerationen unter Berücksichtigung der sozialen Herkunft und des Geschlechts?

Auch die Frage, ob die Zusammenhänge zwischen den Aspirationen Jugendlicher und dem Bildungshintergrund vom Migrationshintergrund beeinflusst werden, ist noch wenig erforscht. Die zweite Fragestellung dieses Beitrags lautet daher: Unterscheiden sich die Zusammenhänge zwischen höchster abgeschlossener Bildung der Eltern – einem wichtigen Indikator für die soziale Herkunft – und idealistischen Bildungsaspirationen nach dem MigrationshintergrundFootnote 1 bzw. nach Migrationsgenerationen?

Unsere Analysen basieren auf Daten des Projektes „Wege in die Zukunft“, einer Panelerhebung unter Schüler*innen bzw. Absolvent*innen an Neuen MittelschulenFootnote 2 (NMS) in Wien, das am Institut für Soziologie der Universität Wien durchgeführt wird. 2018 wurden in der ersten Welle der Onlinebefragung Schüler*innen des Abschlussjahrganges unter anderem zu idealistischen und realistischen Bildungsaspirationen befragt. Erstere bezeichnen die persönlichen Wünsche und Hoffnungen, Letztere sind konkreter und stärker an die tatsächlich erreichbaren Bildungsziele gebunden (McElvany et al. 2018). Die idealistischen Bildungsaspirationen beziehen sich auf die langfristigen Bildungsziele („Welche höchste Bildung würdest du gern in deinem Leben erreichen?“), die realistischen Bildungsaspirationen wurden durch die Frage nach konkret gesetzten oder bald zu setzenden Handlungen abgedeckt („An welcher Schule wirst du dich anmelden?“).Footnote 3 Die Ergebnisse werden nach einer Beschreibung des Wissensstandes zur Genese von Bildungsaspirationen insbesondere von Migrant*innen und der Erläuterung der Datengrundlage und der Auswertungsmethoden dargestellt. Schließlich folgt eine Diskussion der uni- und multivariaten Resultate in Hinblick auf die theoretischen Debatten zu Bildungsaspirationen.

2 Bildungsaspirationen im Kontext von Migration

Aus empirischer Forschung wissen wir, dass soziale Herkunft und Geschlecht einen Einfluss auf Bildungserfolg und -entscheidungen haben (Breen et al. 2009; Bacher et al. 2012) ebenso wie der Migrationshintergrund (Bacher 2010; B. Becker und Gresch 2016; Imdorf 2005). Insbesondere Jugendliche aus sozioökonomisch und hinsichtlich Bildung unterprivilegierten sowie migrantischen Milieus sind benachteiligt (Busse 2010). Die soziale Herkunft wirkt daher nicht unabhängig; vielmehr gibt es Intersektionen mit anderen sozialen Merkmalen wie Geschlecht und Migrationshintergrund (Hadjar und Scharf 2019; Gottburgsen und Gross 2012; Grant 2017, S. 291).Footnote 4 Wie aber sind Bildungsaspirationen mit dieser ungleichheitsrelevanten Strukturierung verknüpft?

Verschiedene Theorien versuchen die Entstehung von Bildungsaspirationen zu erklären. Nach Bourdieu sind individuelle Vorlieben und Wünsche an die soziale Position geknüpft. Daher werden je nach zur Verfügung stehenden Ressourcen unterschiedliche Bildungs- und Berufslaufbahnen als möglich und wünschenswert betrachtet bzw. eingeschlagen. Die Verteilung dieser Wünsche und Ressourcen ist in einer Gesellschaft keinesfalls zufällig, sie begründet soziale Unterschiede (Bourdieu 1983), und wird maßgeblich von der jeweiligen sozialen Herkunft geprägt (Bourdieu 1987). Familie und Bildungseinrichtungen sind demnach maßgebliche Sozialisationsinstanzen und damit entscheidend für die Reproduktion sozialer Ungleichheit.

Darüber hinaus sind wiederum Ressourcen in Form von ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital notwendig, um im Habitus verankerte Ziele bzw. Aspirationen umzusetzen (Bourdieu 1983) – für den Erfolg im Bildungssystem spielt vor allem kulturelles Kapital eine zentrale Rolle (Ecarius und Wahl 2009; Feliciano und Lanuza 2016; Scherger und Savage 2010). Das kulturelle Kapital eines Akteurs umfasst die in Sozialisationsprozessen erworbenen expliziten und impliziten Wissensbestände, Kompetenzen und Fähigkeiten, die in einer Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt als wertvoll erachtet werden. Für die intergenerationelle Transmission von kulturellem Kapital erweisen sich die frühkindlichen Sozialisationsprozesse im Elternhaus als besonders relevant. Bourdieu (1987) hat gezeigt, dass der Vorsprung, den Kinder privilegierter sozialer Klassen dabei erlangen, durch die und in der Schule nicht mehr aufgeholt werden kann bzw. Benachteiligungen im Erwerb von kulturellem Kapital durch die Institution Schule verstärkt werden (siehe dazu auch Willis 1977).

Aus einer anderen theoretischen Perspektive nähert sich Boudon (1974) dem Zusammenhang von Bildungsaspirationen und sozialer Ungleichheit: Die soziale Herkunft beeinflusst den Bildungserfolg, weil klassenspezifisch unterschiedliche Ressourcen sich in unterschiedlichen schulischen Kompetenzen manifestieren. Diese primären Effekte sozialer Herkunft erklären aber nur einen Teil der Unterschiede im Bildungserfolg zwischen verschiedenen sozialen Klassen. Sekundäre Effekte sorgen dafür, dass unterschiedliche Ziele als erstrebenswert scheinen, wodurch unterschiedliche Übergangsraten an weiterführende Schulen trotz gleicher schulischer Leistungen erklärt werden (Diehl et al. 2016). Die soziale Position ist somit (auch) Ergebnis bildungs-, ausbildungs- und arbeitsbezogener Interessen, die sich aus der sozialen Herkunft ergeben.

Für Jugendliche mit Migrationshintergrund haben zahlreiche internationale Studien gezeigt, dass Bildungsaspirationen bzw. berufliche Ziele tendenziell höher sind als von Kindern ohne Migrationshintergrund (B. Becker und Gresch 2016; Granato 2014; Jackson et al. 2012; Kao und Tienda 1998). Für Österreich gibt es wenige Publikationen, die sich explizit mit Bildungsaspirationen von Jugendlichen und Migration beschäftigen (für einen Überblick zu Bildungsforschung siehe Herzog-Punzenberger und Schnell 2019). Für den Übergang in die Sekundarstufe II lässt sich ein relativ starker sekundärer Effekt des Migrationshintergrundes feststellen: Kinder von im Ausland geborenen Eltern wechseln bei gleichen Leistungen eher auf maturaführende Schulen. Allerdings wird dieser Effekt durch die schlechteren Leistungen (primärer Effekt) mehr als wettgemacht, sodass insgesamt ein leichter, negativer Zusammenhang zwischen Migrationshintergrund und Wahl von maturaführenden Schulen besteht (Bruneforth et al. 2012; Bacher et al. 2012). In Hinblick auf die Frage, ob Jugendliche mit 17 Jahren eine maturaführende Schule besuchen, zeigen sich aber keine signifikanten Unterschiede mehr nach Migrationshintergrund, wenn man das Geschlecht, den Bildungsstand und den Berufsstatus der Eltern konstant hält (Neubacher et al. 2019).

Die tendenziell hohen Aspirationen von Migrant*innen führen häufig nicht zu entsprechenden schulischen Leistungen und Platzierungen am Arbeitsmarkt (Feliciano und Lanuza 2017; Hill und Torres 2010; Salikutluk 2013) und können angesichts niedrigerer Realisierungschancen zu einem bildungsbezogenen Hindernis für die Jugendlichen werden (Baird et al. 2008; Tjaden und Hunkler 2017). Begriffe wie Aspiration-Achievement Paradox (B. Becker und Gresch 2016; Salikutluk 2016), Attainment-Aspiration gap (Gutman und Schoon 2012; Hill und Torres 2010; McElvany et al. 2018) oder Immigrant-Paradox (Feliciano und Lanuza 2017) versuchen diese Divergenz zu fassen.

Wie lassen sich nun Unterschiede in der Höhe der Bildungsaspirationen theoretisch erklären?

Die These vom Zuwanderungsoptimismus geht davon aus, dass Zuwander*innen eine positiv selektierte Gruppe darstellen, die versucht hat, durch die Migration ihre gesellschaftliche Stellung zu verbessern, dementsprechend hohe idealistische Bildungsziele hat und diese Ziele auch an die nächsten Generationen weitergibt (Kao und Tienda 1995). Diesen Zuwanderungsoptimismus (der elterlichen Erwartungen) belegen mehrere Studien für den deutschen Kontext (Hunkler und Tjaden 2018; Kristen und Dollmann 2010; Relikowski et al. 2012; Salikutluk 2016, 2013).

Laut der Informationsdefizitthese führt geringeres Wissen der Zuwander*innen über die Bildungssysteme und ihre Anforderungen im Vergleich zu Einheimischen zu (unrealistisch) hohen Bildungszielen (Kao und Tienda 1998). Relikowski et al. (2012) berichten diesbezüglich, dass Migrant*innen weniger über das deutsche Bildungssystem wissen und dass sie die Leistungen der Kinder eher überschätzen (auch Gresch 2012). Salikutluk (2016) findet hingegen keine Evidenz für diese These.

Nach der These der variierenden Bezugsrahmen wird das Schulsystem im Ankunftsland durchlässiger empfunden als im Herkunftsland (Ogbu 1987) und schlechtere Schulleistungen werden als Konsequenz unzureichender Sprachkenntnisse angesehen und somit als vorübergehende Benachteiligung anders bewertet.

Die These der wahrgenommenen bzw. antizipierten Diskriminierung (Heath und Brinbaum 2007) postuliert, dass aufgrund persönlicher Diskriminierungserfahrung Migrant*innen höhere Bildungsaspirationen für ihre Kinder haben, da im höherqualifizierten Bereich von weniger Diskriminierung ausgegangen wird. So wäre stärkere Diskriminierung der Eltern in niedriger qualifizierten Berufsfeldern der Grund für die hohen Aspirationen Jugendlicher mit Migrationshintergrund (Teney et al. 2013). Zwar seien in Deutschland vor allem männliche Migranten in der Berufsausbildung stärker von Diskriminierung betroffen (Diehl et al. 2009), allerdings finden Hunkler und Tjaden (2018) für leistungsschwache Migrant*innen sogar einen schwachen, gegen die theoretische Annahme wirkenden Effekt von Diskriminierung auf Aspirationen.

Theorien zu ethnischen Netzwerken und sozialem Kapital gehen davon aus, dass Jugendliche aus unterschiedlichen (ethnischen) Netzwerken auf spezifische Ressourcen zurückgreifen können, welche die ungünstigere Ausgangslage wettmachen (vgl. Feliciano und Lanuza 2017). Voraussetzung dafür ist allerdings das Vorhandensein entsprechender bildungsbezogener Werte in der Community.

Einen weiteren Ansatz liefert die Theorie des Statuserhaltmotivs (Breen und Goldthorpe 1997). Demnach wollen Eltern, dass ihre Kinder mindestens den eigenen Status (den sie im Herkunftsland hatten) erreichen. So kann ein Bildungstitel in der Statushierarchie im Herkunftsland eine höhere Position bedeuten als im Aufnahmeland, womit auch die zu erreichende Referenz höher ist.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund en gros höhere Bildungsaspirationen haben, allerdings öfter in der Umsetzung scheitern. Wir wissen jedoch nicht, ob der Einfluss der sozialen Herkunft (die „soziale Vererbung“) für alle Migrationsgenerationen in gleicher Weise wirkt und wie sich idealistische und realistische Bildungsaspirationen im Migrationskontext zueinander verhalten.

3 Daten und Methoden

Unsere Forschungsfragen werden auf Basis der Daten der ersten Welle der Studie „Wege in die Zukunft“, durchgeführt vom Institut für Soziologie der Universität Wien, beantwortet. Das Projekt basiert auf einem Mixed-Methods-Längsschnittdesign, in dessen Rahmen einmal jährlich qualitative Interviews und Onlinebefragungen über einen Zeitraum von fünf Jahren durchgeführt werden (Vogl et al. 2020). Die ersten Erhebungswellen wurden jeweils in Abschlussklassen in Wiener NMS durchgeführt. Die Jugendlichen waren aufgrund unterschiedlicher Schul- und Migrationsgeschichten in der ersten Welle zwischen 13 und 16 Jahre alt und standen unmittelbar vor der Entscheidung: Welchen Weg sollen/können/werden sie nach der NMS gehen?

Die erste Welle der standardisierten Onlinebefragungen wurde von Januar bis März 2018 durchgeführt (Flecker et al. 2018). Vorab durchliefen die Fragebögen zwei Phasen kognitiver Pretests und einen Standardpretest. Dann wurden alle 117 Neuen Mittelschulen in Wien mit rund 8000 Schüler*innen kontaktiert. An dieser nicht vollständig realisierten Vollerhebung von Wiener NMS nahmen 53 Schulen mit allen vierten Klassen teil, 46 mit einem Teil der vierten Klassen; 17 Schulen beteiligten sich nicht. Insgesamt haben von 351 Klassen 236 teilgenommen: Über 3000 Jugendliche starteten die Online-Befragung, rund 2850 Jugendliche füllten den Fragebogen bis zum Ende aus. Folgende Variablen sind für die hier dargestellten Forschungsfragen relevant:

Geschlecht: Neben den Ausprägungen „männlich“ und „weiblich“ wurde auch eine Kategorie „kann/will mich nicht zuordnen“ im Fragebogen angeboten. Aufgrund der geringen Fallzahl bleibt diese Kategorie in den folgenden Analysen jedoch unberücksichtigt.

Migrationshintergrund: Migrationshintergrund wurde in vier Kategorien operationalisiert: Generation 1.0: Die Jugendlichen sind selbst im Ausland geboren. Generation 2.0: Die Jugendlichen sind selbst in Österreich geboren, beide Elternteile sind im Ausland geboren. Generation 2.5: Die Jugendlichen und ein Elternteil sind in Österreich geboren, der zweite Elternteil im Ausland. Kein Migrationshintergrund: Jugendliche und Eltern sind in Österreich geboren.

Der Bildungshintergrund stellt für unsere Analysen den zentralen Indikator für die soziale Position der Eltern und damit die soziale Herkunft dar. Als kulturelles Kapital bezeichnet Bourdieu (1983, 1987) vor allem Bildung. Für den Bildungshintergrund der Eltern wurde nach dem höchsten Bildungsabschluss von Mutter und Vater gefragt. Es handelt sich hier also um Fremdauskünfte, die vor allem im Migrationskontext in Hinblick auf die duale Ausbildung mit Unsicherheiten behaftet sind, was in der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden muss. Jener Elternteil mit der höheren Ausbildung bestimmt die Ausprägung des höchsten Bildungsabschlusses der Eltern. Ist nur ein Bildungsabschluss der Eltern angegeben, wird dieser verwendet.

Schulnoten (im letzten Zeugnis) werden als Indikator für die Chancen eine weiterführende Schule zu besuchen herangezogen: Erfragt wurden die Noten in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch. Die Schulnoten aus den Gruppen vertiefter bzw. grundlegender Allgemeinbildung in den Hauptfächern wurden in eine siebenteilige Notenskala zusammengefasst, wobei „1“ der bestmöglichen Note und „7“ der schlechtesten Note entspricht.Footnote 5

Die Erwartungen und Einschätzungen, die Lehrer*innen an bzw. über Schüler*innen haben, interagieren mit den Einschätzungen der Schüler*innen selbst und sind nicht unabhängig von ethnischen Zuschreibungen (z. B. Akifyeva und Alieva 2018; Ferguson 2003); sie wirken sich somit auch auf die Aspirationen aus (Brind et al. 2008). Gleichzeitig können Lehrer*innen Informationen, die über die Bewertung durch Schulnoten hinausgehen (etwa hohe Motivation oder Unterstützungspotenzial der Eltern) für ihre Einschätzungen heranziehen. Insgesamt kommt ihnen also eine wichtige Rolle in der Genese von Aspirationen zu, weshalb die Frage, ob Lehrer*innen eine weiterführende Schule empfehlen, berücksichtigt wird.

Die Bildungsaspirationen wurden, wie in Abb. 1 ersichtlich, in dichotome Variablen umgewandelt, die Bildungswege, die zur Matura führen, und solche, wo das nicht der Fall ist, trennen. Weiters wurde eine Variable berechnet, die die Höhe der idealistischen Aspiration mit der realistischen vergleicht. Tab. 1 zeigt die Verteilung der Untersuchungsvariablen sowie der fehlenden Werte. Da vor allem der höchste elterliche Bildungsabschluss und die Lehrer*innenempfehlung für eine weiterführende Schule vergleichsweise viele fehlende Werte aufweisen, werden für diese beiden Variablen die fehlenden Werte in die Analyse mitaufgenommen, um die Fallzahlen zu erhöhen und mögliche Verzerrungen durch Antwortausfälle zu vermeiden. Alle anderen Variablen werden fallweise ausgeschlossen.

Abb. 1
figure 1

Bildungsaspirationen. Die grau hinterlegten Ausprägungen werden in den Auswertungen als fehlende Werte behandelt

Tab. 1 Häufigkeitsverteilung der Untersuchungsvariablen

Im ersten Schritt wurde der Zusammenhang zwischen den unabhängigen Variablen und den idealistischen und realistischen Aspirationen sowie die Diskrepanz zwischen den beiden mit logistischen Mehrebenenregressionen untersucht, um dem komplexen Stichprobendesign Rechnung zu tragen und die gestufte Struktur der Daten (Schulklassen – Schüler*innen) zu berücksichtigen.Footnote 6 Dabei wurde für jede Migrationsgeneration jeweils ein Basismodell (BM) mit dem höchsten Bildungsabschluss der Eltern, der Migrationsgeneration und dem Geschlecht als unabhängige Variablen gerechnet und ein erweitertes Basismodell (EBM) mit zusätzlicher Berücksichtigung von Schulnoten in den Hauptfächern und der Einschätzung, ob Lehrer*innen eine weiterführende Schule empfehlen oder nicht. Für die Mehrebenenanalysen wurden das Geschlecht und die Schulnoten anhand der Gesamtmittelwerte zentriert. Zusätzlich zu den unstandardisierten Regressionskoeffizienten werden die jeweilige Fallzahl, die Anzahl der Klassen, Pseudo‑R2-Werte und die Intraklassenkorrelation (ICC) berichtet.Footnote 7

Für die Fragestellung, ob sich die Zusammenhänge zwischen idealistischer und realistischer Aspiration unterscheiden, wurden im zweiten Schritt separate Modelle für die jeweiligen Gruppen (Migrationsgenerationen) gerechnet. Da hierfür die Fallzahl innerhalb der Klassen für Mehrebenenanalysen zu gering ist, wurden an dieser Stelle logistische Regressionsmodelle für geclusterte Daten (Schulklassen) berechnet.Footnote 8

Durch die Regressionsanalyse erhält man einen Einblick, wie die einzelnen Variablen untereinander und mit den abhängigen Variablen zusammenhängen. Die Herkunftsländer wurden entsprechend der Kategorien der Bildungsdirektion Wien gruppiert und als Kontrollvariablen aufgenommen. Länder mit weniger als 40 Fällen wurden in die Kategorie „Andere“ zusammengefasst.

4 Ergebnisse

4.1 Deskriptive Verteilungen der Bildungsaspirationen in den Subgruppen

77 % der befragten Jugendlichen streben mindestens Matura an, wobei der Wert bei Mädchen (83 %) deutlich höher liegt als bei Burschen (72 %). Hat ein Elternteil studiert, wünschen sich 86 % der Jugendlichen Matura oder einen höheren Abschluss, wohingegen das nur auf 69 % der Jugendlichen mit Eltern, deren höchster Bildungsabschluss maximal eine Lehre ist, zutrifft. In Bezug auf die Migrationsgeneration zeigt sich, dass die Anteile derer, die eine Matura oder einen höheren Abschluss wollen, ohne Migrationshintergrund am niedrigsten sind (70 %), bei der zweiten Generation (beide Eltern im Ausland geboren) am höchsten (82 %), siehe Tab. 2.

Tab. 2 Bivariate Zusammenhänge zwischen sozialstrukturellen Merkmalen und Aspirationen

Insgesamt planen 52 % der Jugendlichen sich an einer maturaführenden Schule anzumelden, überproportional häufig planen das: Mädchen (55 %), Jugendliche, deren Eltern Matura (60 %) oder einen Universitätsabschluss (69 %) haben, Jugendliche ohne Migrationshintergrund (54 %) und jene der zweiten Generation (54 %).

Die geplanten Anmeldungen führen dazu, dass 26 % der Befragten mit ihren Schulanmeldungen die idealistischen Aspirationen nicht unmittelbar erreichen können. Bei Jugendlichen, deren Eltern einen Universitätsabschluss haben (19 %), und bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund (17 %) divergieren idealistische und realistische Aspirationen seltener als im Durchschnitt.

In der bivariaten Betrachtung streben Jugendliche mit Migrationshintergrund eher eine Matura an, melden sich aber seltener an einer maturaführenden Schule an als Jugendliche ohne Migrationshintergrund.

4.2 Das Zusammenspiel von Migrationsgeneration, Bildungshintergrund und Aspirationen

In multivariaten Analysen wird nun untersucht, ob sich die beschriebenen Unterschiede nach Migrationsgenerationen durch Unterschiede in der Bildungsherkunft bzw. durch andere Kontrollvariablen erklären lassen.

Hinsichtlich der idealistischen Bildungsaspirationen zeigt sich im BM, dass Jugendliche der ersten und der zweiten Generation auch unter Berücksichtigung der Bildungshintergründe überdurchschnittlich hohe Aspirationen haben. Im EBM, welches die schulbezogenen Faktoren berücksichtigt, bleiben diese positiven Effekte für die zweite Generation bestehen und auf 10 %-Signifikanzniveau auch für die erste Generation (Tab. 3). Die idealistischen Bildungsziele sind also vor allem in der zweiten Generation und unter Berücksichtigung von Kontrollvariablen besonders hoch.

Tab. 3 Zusammenhänge zwischen Aspirationen, sozialer Herkunft, Migration und Geschlecht

Bei den realistischen Bildungsaspirationen haben im BM lediglich Jugendliche der zweiten Generation unter Kontrolle der Bildungsherkunft signifikant höhere Aspirationen als Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Berücksichtigt man die schulbezogenen Faktoren (EBM), ist auch dieser Zusammenhang nur mehr auf einem 10 %-Niveau signifikant. Unterschiede in den realistischen Aspirationen ergeben sich also vor allem durch unterschiedliche Bildungsherkunft. Migrationsgeneration ist hinsichtlich der Anmeldung an einer maturführenden Schule kein relevantes Merkmal.

Untersucht man die Diskrepanz zwischen idealistischen und realistischen Aspirationen, bestätigen die multivariaten Modelle, dass bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund auch unter Kontrolle der Bildungsherkunft eher eine Diskrepanz zwischen idealistischer und realistischer Aspiration besteht. Das gilt für alle untersuchten Migrationsgenerationen sowohl im BM wie im EBM. Schulbezogene Faktoren können also nicht erklären, weshalb bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund eher eine Diskrepanz zwischen idealistischer und realistischer Aspiration auftritt. Interessant ist auch der Einfluss der elterlichen Bildungsabschlüsse, die im BM auf die Diskrepanz zwischen idealistischer und realistischer Aspiration wirken. Bei niedrigerer elterlicher Bildung besteht eher eine Diskrepanz zwischen idealistischen und realistischen Aspirationen. Berücksichtigt man die schulbezogenen Faktoren, verliert dieser Zusammenhang an Relevanz. Höhere Bildungsabschlüsse der Eltern wirken sich also vorrangig auf die schulbezogenen Faktoren aus (bessere Noten und Einschätzung der Lehrer*innen) und verringern so die Diskrepanz zwischen idealistischen und realistischen Aspirationen.

Zusammenfassend können wir festhalten, dass sich hauptsächlich bei den idealistischen Aspirationen und bei der Diskrepanz zwischen idealistischer und realistischer Aspiration ein Effekt der Migration zeigt. Vor allem Jugendliche der zweiten Generation, wenn beide Elternteile im Ausland geboren wurden, haben besonders hohe idealistische Aspirationen. Die höheren idealistischen Bildungsaspirationen dürften auch dazu beitragen, dass in allen Migrationsgenerationen eher eine Diskrepanz zwischen idealistischer und realistischer Bildungsaspiration auftritt.

4.3 Idealistische Aspirationen und Bildungshintergrund nach Migrationsgenerationen

Ob die Zusammenhänge zwischen dem Bildungshintergrund und den idealistischen Aspirationen zwischen den Migrationsgenerationen in gleicher Weise wirken, ist Gegenstand folgender Analysen (Tab. 4). Für Jugendliche ohne Migrationshintergrund bestätigen sich im Wesentlichen die oben dargestellten Befunde. Auch wenn die schulbezogenen Faktoren konstant gehalten werden, geht niedrigere elterliche Bildung mit niedrigeren idealistischen Aspirationen einher, wobei es keinen Unterschied macht, ob die Eltern Matura oder Universitätsabschluss haben. Bessere Noten alleine können die höheren Aspirationen von Jugendlichen mit höhergebildeten Eltern also nicht zur Gänze erklären.

Ebenso zeigen sich in der ersten Generation die erwarteten Zusammenhänge zwischen höchsten elterlichen Bildungsabschlüssen und den idealistischen Aspirationen. Unter Berücksichtigung der schulbezogenen Faktoren haben Jugendliche, deren Eltern Matura oder Lehrabschluss haben, niedrigere idealistische Bildungsaspirationen als Jugendliche, deren Eltern mindestens einen Universitätsabschluss haben.

In der zweiten Migrationsgeneration finden sich hingegen weder im BM noch im EBM signifikante Zusammenhänge zwischen Bildungshintergrund und den idealistischen Bildungsaspirationen. In dieser Gruppe wirkt sich also die Bildungsherkunft nicht auf die idealistischen Aspirationen aus.

Im BM für die Generation 2.5, in der nur ein Elternteil im Ausland geboren wurde, unterscheiden sich in den idealistischen Aspirationen Jugendliche, deren Eltern maximal eine Pflichtschule absolviert haben, lediglich auf einem Signifikanzniveau von 10 % von jenen, deren Eltern einen Universitätsabschluss haben. Für alle anderen untersuchten Bildungskategorien finden wir keine signifikanten Unterschiede. Im EBM zeigen sich überhaupt keine signifikanten Zusammenhänge mehr. Elterliche Bildung dürfte sich hier also nur wenig auf die idealistischen Aspirationen auswirken und spielt überhaupt keine Rolle, wenn man berücksichtigt, dass höhere elterliche Bildung mit besseren Noten einhergeht.

Tab. 4 Zusammenhang zwischen sozialstatistischen sowie schulbezogenen Merkmalen und idealistischer Bildungsaspiration nach Migrationsgenerationen

Um die Robustheit der Ergebnisse zu überprüfen und die Schätzer zwischen den Gruppen vergleichen zu können, wurden zusätzlich lineare Regressionen für geclusterte Daten mit robusten Standardfehlern durchgeführt.Footnote 9 Sie bestätigen die eben genannten Ergebnisse: Weder im BM noch im EBM zeigen sich in der zweiten Generation (2.0 und 2.5) signifikante Zusammenhänge zwischen den idealistischen Aspirationen Jugendlicher und der elterlichen Bildung.

Elterliche Bildung und schulbezogene Faktoren erklären also vor allem bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund und in der ersten Generation die Höhe der idealistischen Bildungsaspirationen. In der zweiten Generation und tendenziell in der Generation 2.5 sind die idealistischen Aspirationen losgelöst vom Bildungsniveau der Herkunftsfamilie.

5 Zusammenfassung und Diskussion

In diesem Beitrag haben wir uns mit Bildungsaspirationen als einem wichtigen vermittelnden Element in Prozessen der Reproduktion sozialer Ungleichheit befasst. Dafür wurde im ersten Schritt der Einfluss des Bildungsstands der Eltern, der Migrationsgeneration und des Geschlechts der Jugendlichen (Basismodell) sowie der Schulnoten und von Lehrer*innenempfehlungen für weiterführende Schulen (erweitertes Basismodell) auf idealistische und realistische Bildungsaspirationen sowie eine Diskrepanz zwischen beidem untersucht. Im zweiten Schritt wurde untersucht, ob sich die Wirkung der Bildungsherkunft auf die idealistischen Aspirationen nach Migrationsgeneration unterscheidet. Datengrundlage war die erste Welle des Projektes „Wege in die Zukunft“, bei dem im Frühjahr 2018 Schüler*innen der Abschlussklassen an NMS in Wien online befragt wurden.

Vor allem Jugendliche der zweiten Generation haben mit und ohne Berücksichtigung von schulbezogenen Faktoren (Noten in den Hauptfächern und Empfehlung der Lehrer*innen für eine weiterführende Schule) besonders hohe idealistische Aspirationen. Diese schlagen sich auch in einer höheren Wahrscheinlichkeit für eine Anmeldung an einer maturaführenden Schule nieder (realistische Aspiration). Insgesamt sind Jugendliche mit Migrationshintergrund (alle Generationen) aber eher von einer Diskrepanz zwischen idealistischer und realistischer Aspiration betroffen. Das gilt mit und ohne Berücksichtigung von schulbezogenen Faktoren (Schulnoten und den Lehrer*innenempfehlungen für weiterführende Schulen). Zudem konnten wir zeigen, dass sich die Zusammenhänge zwischen idealistischer Bildungsaspiration und elterlicher Bildung für verschiedene Migrationsgenerationen unterscheiden. Während bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund und in der ersten Generation die idealistischen Aspirationen sehr stark vom Bildungshintergrund beeinflusst werden, trifft das nicht auf die zweite Generation zu. In der zweiten Generation, vor allem, wenn beide Elternteile im Ausland geboren wurden, stehen die idealistischen Bildungsaspirationen nicht in Zusammenhang mit der Bildungsherkunft.

Folgende Limitationen müssen bei der Interpretation unserer Ergebnisse bedacht werden. a) Ein vorgelagerter Selektionsschritt in AHS-Unterstufe und Neue Mittelschule passiert am Ende der Volksschule. Wir haben also keinen repräsentativen Querschnitt eines Geburtsjahrganges, weshalb wir wichtige vorgelagerte Mechanismen der Reproduktion sozialer Ungleichheit nicht in den Blick bekommen. b) Die Proxy-Auskunft über Bildungsabschlüsse der Eltern unterliegt gerade im Migrationskontext größeren Unsicherheiten. c) Wir beziehen uns bei den Aspirationen lediglich auf Selbsteinschätzungen an einem spezifischen Übergang mit all den damit verbundenen Unsicherheiten. Einerseits kann man später noch auf eine maturführende Schule wechseln, andererseits heißt eine Anmeldung an einer maturaführenden Schule noch nicht, dass man die Matura auch erreicht.

Aus unseren Ergebnissen leiten sich zumindest zwei Forschungsdesiderate ab:

  1. a)

    Warum beeinflusst gerade in der zweiten Generation die Bildung der Eltern die idealistischen Bildungsaspirationen nicht? In der Literatur finden sich ähnliche Befunde: In der zweiten Generation hat die elterliche Ausbildung weniger Einfluss auf die erreichten Bildungsabschlüsse der Kinder (Fekjær 2007; Gang und Zimmermann 2000; Wolbers und Driessen 1996) oder jedenfalls für spezifische Migrationsgruppen (Kristen und Granato 2007; Louie 2001). Generell scheinen im Kontext von Migration sekundäre Effekte weniger stark ausgeprägt zu sein als wenn kein Migrationshintergrund vorliegt (Qian und Blair 1999; Salikutluk 2016; Relikowski et al. 2012). Zur Beantwortung muss das Augenmerk auf die intergenerationale Untersuchungsperspektive gelegt werden (Feliciano und Lanuza 2016) und der familiäre Habitus und die entsprechenden Bildungsstrategien müssen untersucht werden (vgl. Brake und Büchner 2009). Smith (2006) etwa beschreibt einen „immigrant bargain“, wonach Kinder von Migrant*innen die migrationsbedingten Opfer, welche die Eltern erbringen mussten, wieder gutmachen wollen. Wenn den Eltern der Aufstieg verwehrt wurde, müssten dementsprechend die Bildungsaspirationen der Jugendlichen besonders hoch sein. Die Ergebnisse, dass Migrant*innen in Ländern mit schlechteren Chancen eher Wert auf Bildung legen (Hadjar und Scharf 2019), stehen in Einklang mit dieser These. Das bedeutet, dass neben den Migrationsgründen auch die institutionellen Rahmenbedingungen in den Ankunftsländern zur Erklärung der Genese von Bildungsaspirationen herangezogen werden müssen. Daraus leitet sich auch die Frage ab, wie sich die Erwartungen an die Kinder verändern, je nachdem, ob die eigenen Aspirationen umgesetzt werden können oder nicht.

  2. b)

    Das zweite Forschungsdesiderat bezieht sich auf die Veränderung der Aspirationen im Längsschnitt. Die hohen idealistischen Bildungsaspirationen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund sind ein zweischneidiges Schwert. Sie tragen einerseits dazu bei, dass sich der bildungsbezogene Unterschied zu Jugendlichen ohne Migrationshintergrund verringern könnte, sofern die Aspirationen umgesetzt werden (können), andererseits formulieren Jugendliche mit Migrationshintergrund eher Bildungsziele, die sie nicht erreichen werden (vgl. Birkelund 2020; Tjaden und Hunkler 2017; Salikutluk 2013). So führt Zimmermann (2019) den hohen Anteil an Migrant*innen ohne Abschluss in Deutschland auf (unrealistisch) hohe Aspirationen und das darauffolgende Drop-out zurück (vgl. Baird et al. 2008; kritisch dazu: Feliciano und Lanuza 2016). Für die USA gibt es den Befund, dass ethnische Minderheiten weniger stabile Aspirationen haben (Kao und Tienda 1998) und dass die Aspirationen der zweiten Generation von mexikanischen Einwander*innen mit der Aufenthaltsdauer in den USA niedriger werden (St-Hilaire 2002). Die Diskrepanz zwischen idealistischen und realistischen Aspirationen zeigt jedenfalls, dass Mechanismen der Selbstexklusion (vgl. Skrobanek und Jobst 2010), also einer Anpassung des Möglichkeitsraumes an das, was jeweils durch die Klassenlage zugänglich ist, bei Migrant*innen und ihren Kindern weniger stark ausgeprägt sind. Ob und wie eine Anpassung der hohen Aspirationen im Zeitverlauf erfolgt und wie sich eine Adaption auswirkt, ist Gegenstand weiterer Analysen auf Basis der Daten aus dem Projekt „Wege in die Zukunft“.

Abschließend halten wir fest, dass die idealistischen Bildungsaspirationen in den verschiedenen Migrationsgenerationen nicht in gleicher Weise von der sozialen Position der Eltern abhängen und in unterschiedlichem Bezug zu den realistischen Bildungsaspirationen stehen. Vor allem in der zweiten Generation können wir eine Entkopplung von sozialer Herkunft und idealistischer Bildungsaspiration feststellen. Vorhandene theoretische Ansätze können nicht ausreichend klären, wie es zu diesen Unterschieden kommt. Weitere Forschung muss daher zeigen, ob diese Ergebnisse generelle Gültigkeit haben, und eine entsprechende Theorieentwicklung vorantreiben.