Wie in der Einleitung beschrieben, erklären die Kosmetiker*innen in den Interviews das Verhältnis zu ihren Kund*innen damit, wie – oder gar besser als – ein*e gute*r Freund*in zu sein. „Deine Nageldesignerin siehst du doch öfter als deine beste Freundin“, erklärt eine selbstständige Nageldesignerin im Interview und während einer Behandlung ergänzt ihre Kundin: „Hier geht es um so viel mehr als nur Nägel machen, schreib das auf.“ Die Nageldesignerin erzählt später im Interview, sie wolle ein „freundschaftliches Studio“ haben. Die Referenz der Freundschaft wird mit der Häufigkeit der Treffen und der Intimität der Gespräche begründet. Dabei betonen die Arbeitenden, „besser“ als eine Freundin zu sein, noch intimere Gespräche zu führen, noch mehr Vertrauen zu ermöglichen: „So offen wie mit mir konnte sie wahrscheinlich nicht mal mit einer Freundin drüber reden“, fasst die Angestellte einer medizinkosmetischen Praxis ihre Erfahrung mit einer langjährigen Kundin zusammen. Eine andere Kosmetikerin versteht ihre Rolle ähnlich: „[…] dass dir manchmal, denk ich, Patienten auch Dinge erzählen, die sie vielleicht nicht mal einer guten Freundin erzählen.“ Der einzige Mann im Sample sagt über seine Kundinnen, diese wären „wie Freundinnen“ und begründet seine enge Beziehung zu diesen mit seiner sexuellen Identität: „Ich hab’ den Pluspunkt, ich bin halt Mann […] und ich bin schwul. Also so der beste Freund der Frau und ich versteh auch jede Frau.“ Die Aussagen der Arbeitenden in Bezug auf ihre Kund*innen ließen sich zunächst als professionelle Rhetorik deuten, die jener ähnelt, die Rachel Sherman (2007) in ihrer Ethnografie zu Arbeitenden in Luxushotels findet. Deren professionelles Selbstverständnis folge, so Sherman, dem Credo „Better than your mother“. Die Fachzeitschrift „My Beauty Business“, die sich an Selbstständige und Gründer*innen richtet, zitiert eine erfolgreiche Kosmetikerin im Portrait mit folgenden Worten: „Zudem schalten wir über Social Media via Facebook und Instagram Werbung und verkörpern für unsere Kundinnen ein ‚Freundinnen‘-Image.“Footnote 6 Wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen werden, ist die Chiffre der Freundschaft aber nicht bloße Rhetorik, sondern Teil einer Arbeitspraxis, die versucht, den Kund*innen das Gefühl zu geben, als würden sie von einer Freundin behandelt. Die geleistete Arbeit kann somit als Emotions- bzw. Interaktionsarbeit gelten.
Intime Beziehungen: die Semantik der Freundschaft als Emotions- und Interaktionsarbeit
Freundschaften zeichnen sich durch Intimität aus, die laut Buschmeyer und Tolasch (2014) durch Vertrauen und ein exklusives Wissen gekennzeichnet ist (Definition im Anschluss an Zelizer 2010). Buschmeyer und Tolasch unterscheiden in ihrer Analyse der Intimität in körpernahen Dienstleistungen professionelle und private Intimität und untersuchen deren Grenzziehung und Überschreitung im Arbeitshandeln. Im Kosmetikstudio zeigt sich, dass die Referenz der Freundschaft tatsächlich vor allem auf geteiltem Wissen und Vertrauen beruht, das aber einseitig ist. So wird in der Kosmetikschule gelehrt, dass die Arbeitenden ihre eigenen Probleme „an der Garderobe lassen“ sollten, so die Lehrerin. Gleichsam aber sollen die Kund*innen dazu ermutigt werden, intime Erfahrungen und Emotionen zu teilen. Das führt dazu, dass die Arbeitenden, folgt man der begrifflichen Unterscheidung von Buschmeyer und Tolasch, in der Herstellung professioneller Intimität Elemente privater Identität übernehmen: Ihre Kund*innen sollen sich bei ihnen wie bei einer Freundin fühlen. Nach Buschmeyer und Tolasch (2014) ist das „[…] besondere an Dienstleistungen als professionelle Beziehungen, dass anders als in privaten Beziehungen, eine Ungleichheit zwischen den Beteiligten herrscht und beibehalten wird“ (ebd., S. 11). Hinzu kommt für das Feld der körpernahen Dienstleistungen, dass nicht nur emotionale Intimität hergestellt wird, sondern dass diese erst die körperliche Intimität ermöglicht: So berichten die Kosmetiker*innen in den Interviews, dass das Vertrauen, den Körper (an mitunter intimen Stellen) bearbeiten zu lassen, wesentlich von der zuvor etablierten emotionalen Beziehung abhängig ist. Deren Gelingen, so eine selbstständige Kosmetikerin, die während der Arbeit interviewt wurde, erfordere einen Raum „ohne Männer“. Nicht zuletzt, weil die Berufsbezeichnung nicht geschützt ist, müssen die (selbstständig) Arbeitenden das Vertrauen der Kund*innen gewinnen. Dies geschieht vor allem über intime Gespräche, die selbst zum Zweck der Dienstleistung werden: „Die Leute kommen vor allen Dingen wegen dem Reden“, erklärt eine andere selbstständige Kosmetikerin im Interview. In den Studios scheint es ein unausgesprochenes Übereinkommen zwischen den Dienstleistenden und ihren Kund*innen zu geben, dass Letztere, sobald sie ihren Platz am Nageltisch oder der Liege zur Gesichtsbehandlung einnehmen, anfangen, über sich selbst zu sprechen. Der Gegenstand der Dienstleistung, der Böhle (2006) folgend in der Interaktion erst festgelegt werden muss, ist nicht nur die Behandlung des Körpers, sondern das damit verbundene vertraute Gespräch. In der Schule lernen die Kosmetiker*innen das Ausfüllen von Anamnesekarten bei einem Erstgespräch, dessen Bedeutung eine Kosmetikerin im Interview so erklärt: „Dass man die Kundin nicht sofort in eine Kabine führt; und einfach anfängt, irgendwas zu machen. Sondern dass man sich wirklich hinsetzt, mit ihr einen Tee trinkt, und mit ihr abklärt, um was geht es?“
Die Herstellung von Vertrauen und Intimität lässt sich als Emotionsarbeit beschreiben, die – das zeigt auch der Forschungsstand – konstitutiver Teil ästhetischer Körperarbeit ist: „Although clients access the salon for a specific treatment, part of the experience they desire is to be listened to and to be able to off-load emotional issues in a relationship which, while often bearing a superficial resemblance to friendship, is actually a carefully managed piece of emotional labor“ (Black 2004, S. 7).
Emotionsarbeit meint im Anschluss an Arlie Hochschild den Aufwand, bestimmte Gefühle bei sich selbst und bei anderen zu erzeugen oder zu unterdrücken, was sich hier in dem Gefühl ausdrückt, Zeit mit einer Freundin zu verbringen:
„By ‚emotion work‘ I refer to the act of trying to change in degree or quality an emotion or feeling. To ‚work on‘ an emotion or feeling is, for our purposes, the same as ‚to manage‘ an emotion or to do ‚deep acting‘. Note that ‚emotion work‘ refers to the effort – the act of trying – and not to the outcome, which may or may not be successful.“ (Hochschild 1979, S. 561)
Emotionsarbeit bezieht sich als Begriff auf die reine Arbeit der Gefühlsproduktion und -unterdrückung, zunächst unabhängig von Kommodifizierung, Organisation und Professionalisierung der Arbeit, ob sie also privat oder als Teil von Erwerbsarbeit verrichtet wird. Der Kontext von Hochschilds Untersuchungen an amerikanischen Flugbegleiter*innen in den 70er-Jahren ist hier besonders relevant, weil Hochschild die These aufstellt, dass die in der Dienstleistung geleistete Emotionsarbeit ähnlich der Emotionsarbeit ist, die Frauen im Privaten verrichten. Diese, so Hochschild weiter, wird durch die Expansion des Dienstleistungssektors vermarktlicht und somit Teil von Arbeitsanforderungen. Die Emotionsarbeit bleibt dabei aber unsichtbar bzw. erfordert eine Re-Evaluierung dessen, was als Arbeit gilt und damit wertschöpfend ist. Die professionelle Emotionsarbeit ähnelt, wie auch die Chiffre der Freundschaft im Kosmetikstudio, privaten Emotionen. Im Anschluss an Hochschild sind zahlreiche empirische Studien und theoretische Debatten entstanden, die diese These kritisieren bzw. ergänzen (für einen Überblick: Penz und Sauer 2016; kritische Debatten bei Bolton und Boyd 2003; Brook 2010). Empirisch spezifisch, das zeigt der breite Forschungsstand zu Emotionsarbeit, muss analysiert werden, in welchem organisationalen Zusammenhang Gefühle kommodifiziert und kontrolliertFootnote 7 werden und inwiefern diese in Kontinuität zu welchen privaten feminisierten Emotionen stehen. Ein Großteil der Forschung im Anschluss an Hochschild untersucht Emotionsarbeit als von Unternehmen gesteuert und ausgebeutet (z. B. Leidner 1999); ebenso wird in der deutschsprachigen Dienstleistungsforschung davon ausgegangen, dass „Dienstleistungsgebende“ „typischerweise als abhängig Beschäftigte im Auftrag einer Organisation“ (Kutzner, Jacobsen und Goldmann 2009, S. 159) agieren. Damit werden vor allem jene nicht berücksichtigt, die informell und/oder selbstständig einer feminisierten Dienstleistungsarbeit nachgehen und die Spezifika einer solchen Arbeit werden analytisch nicht erfasst. Auch Rachel Lara Cohen (2010b) plädiert im Fazit ihrer vergleichenden Analyse zu selbstständig und abhängig beschäftigten Friseur*innen dafür, Emotionsarbeit abhängig von der Erwerbsorganisation differenziert zu analysieren. Denn Emotionsarbeit ist für Selbstständige, wie Abschnitt 3.2 zeigt, Teil der Erwerbsstrategie zur Stabilisierung prekärer Arbeitsbedingungen.
In der deutschsprachigen Arbeitssoziologie wird Dienstleistungsarbeit auch als „Interaktionsarbeit“ (Weihrich und Dunkel 2012) bezeichnet, die einen wesentlichen Bestandteil personenbezogener Dienstleistungen bzw. „front line work“ ausmacht (Böhle 2011). In seiner Definition von Interaktionsarbeit als zugleich rational zweckgerichtet und subjektivierend nimmt Böhle die im Forschungsstand zu Emotionsarbeit fehlenden organisationalen Dimensionen von Arbeit in den Blick:
Sie [Interaktionsarbeit] hat damit eine instrumentelle, zweck-gerichtete Ausrichtung. Dies beinhaltet auch, dass Interaktionsarbeit eine Reihe von Gemeinsamkeiten mit sonstiger Arbeit hat. Sie kann, ebenso wie sonstige Arbeit, betriebsförmig, als Erwerbsarbeit und abhängige Beschäftigung oder selbstständige Beschäftigung organisiert werden und wird in ihrer konkreten Ausprägung durch die Arbeitsorganisation und technische Arbeitsmittel bestimmt. (Böhle 2011, S. 457)
Böhle (2011, ebd.) betont zudem die Notwendigkeit der gegenseitigen Abstimmung und Festlegung des Gegenstands der Dienstleistung als wesentliches Merkmal eben dieser. Dies ist insbesondere in einem Feld wie der Kosmetikarbeit relevant, wo die Regelungen und Formalia der Arbeit niedrig gehalten sind und das Ziel der Dienstleistung nicht durch Unternehmen bzw. Management festgelegt und kontrolliert wird. Durch freundschaftliche Gefühle wird das Gelingen – wesentliches Motiv der Interaktionsarbeit bei Böhle – der intimen Dienstleistung vereinfacht, wenn nicht sogar ermöglicht. Auch Dunkel und Weihrich (2013) betonen die Reziprozität der Interaktionsarbeit und die Notwendigkeit beiderseitiger Koordination zum Gelingen. Dunkel und Rieder (2003) versuchen die Geschlechtlichkeit von Interaktionsarbeit einzufangen und beziehen sich explizit auf die Kritik der Frauen- und Geschlechterforschung am verengten Arbeitsbegriff der Arbeitssoziologie. Sie schließen des Weiteren an das Konzept „doing gender“ (West und Zimmerman 1987) an. Durch den mikrosoziologischen Zugang werden jedoch die in die Tätigkeit und Struktur der Dienstleistung eingeschriebene Geschlechtlichkeit und die (De‑)Kommodifizierungsbewegung, wie oben skizziert, vernachlässigt: „Männlichkeit oder Weiblichkeit können im Arbeitsprozess, z. B. im Rahmen von Gefühlsarbeit, eingesetzt werden, um bestimmte Ziele (z. B. Kundenzufriedenheit) erreichen zu können“ (Dunkel und Rieder 2003, S. 7). Heike Jacobsen kritisiert, dass „bei der Konzentration auf die Mikroebene der sozialen Interaktion jedoch leicht aus dem Blick [gerät], dass die Grenzstellensituation nicht ohne die organisationalen Strukturen und Strategien zu verstehen ist. […] Hier sind noch sehr viele Fragen offen“ (Jacobsen 2010, S. 219). Die Historie der geschlechterdifferenzierenden Arbeitsteilung wird im Konzept der Interaktionsarbeit vernachlässigt; in Hochschilds Theorie ist sie der Ausgangspunkt. Hingegen berücksichtigen die Forschungen zu Interaktionsarbeit die Bedeutung organisationaler Strukturen, die im Anschluss an Hochschild oft pauschal korporativ subsumiert werden.
Dass die Organisation der Arbeit einen wesentlichen Mediator in der Intensität und Form der geleisteten Emotionsarbeit darstellt, zeigt die weiter oben bereits angeführte Studie von Rachel Cohen:
Thus, whilst all stylists attempt to accommodate client demands, the way stylists ‚do being friends‘ with clients varies by employment relation, insofar as this involves performing favours that extend beyond the formal requirements of hairstyling work. Self-employed stylists with interests in client income and repeat custom are more likely to inconvenience themselves more frequently in order to accommodate clients, and to do this outside normal work spaces and times. (Cohen 2010b, S. 210)
Ebenso wie in Cohens Forschung leisten die Arbeitenden im hier untersuchten Feld, das lässt sich zunächst resümieren, emotionale Arbeit und Interaktionsarbeit, um ihren Kund*innen das Gefühl zu geben, „ihr Herz ausschütten zu können“ (in den Worten einer Kosmetikerin). Die dadurch hergestellte professionelle Intimität verweist auf eine Form privater Intimität (Freundschaft), die konstitutiv für die Bearbeitung des Körpers und zudem stark vergeschlechtlicht ist. Daraus lassen sich zwei Einsichten formulieren: Erstens ist es durch die Referenz einer privaten Beziehung erforderlich, die hergestellte Intimität immer wieder auch zu begrenzen, wie in 3.3 gezeigt werden wird (vgl. hierzu ausführlich von Bose und Klein 2020; Buschmeyer und Tolasch 2014). Zweitens sind Gefühle hier sowohl die Bedingung als auch das Produkt der Dienstleistung – modus operandi und opus operatum.
Freundschaft als Arbeit – Grenzen organisieren und überschreiten
Die ethnografischen Daten zeigen, dass Emotions- und Interaktionsarbeit nicht nur in der unmittelbaren Dienstleistungssituation während der Körperbehandlung geleistet wird, sondern dass die Arbeitenden die Freundschaftsgefühle aufgrund der Organisation der Arbeit bisweilen auch dauerhaft herstellen (institutionalisieren) müssen. Dies geschieht vor allem über Stammkundschaft (vgl. hierzu ausführlich Klein 2019), deren Bedeutung bereits in der Kosmetikschule vermittelt wird. Dort lernen die Schüler*innen, Hauterkrankungen und Allergien genauso wie den „Geburtstag der Kundin“ auf Anamnesekarten zu notieren, „um ihr dann ein kleines Geschenk machen zu können“, so die Lehrerin. Ebenso empfiehlt die Zeitschrift „My Beauty Business“, Stammkund*innen zwischendurch mit einem Smoothie oder einem Blumenstrauß zu überraschen: „Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft.“Footnote 8 Diese Form der unsichtbaren Arbeit drückt eine besondere Art der Fürsorge aus, wie Rachel Sherman (2007) mit Bezug auf Arbeitende in Luxushotels schreibt: „Labor can also be demonstrated in the absence of workers“ (ebd., S. 40). Damit geht die Dienstleistungsarbeit über das „uno actu“-Prinzip hinaus. Uno actu meint, dass „Produktion und Konsumtion der Leistung nicht konsequent getrennt [sind] wie in der Güterproduktion, sondern […] weitgehend parallel [erfolgen]“ (Pongratz 2012, S. 19). Die insbesondere für Selbstständige erforderliche Mehrarbeit gegenüber der eigentlichen Dienstleistungssituation (Produktion) bleibt als solche unsichtbar – strukturell, aber auch kulturell, weil die Thematisierung der Mehrarbeit den Freundschaftscharakter der Dienstleistungsbeziehung gefährden würde.
Auch wenn Selbstständige Angestellte haben, kann Arbeit kaum abgegeben und delegiert werden, weil dies den Exklusivitätsanspruch der Freundschaft gefährden würde, wie folgender Interviewausschnitt verdeutlicht:
Die erzählen dann ihre ganzen Probleme und Geschichten mit Männern und Kindern und Ding und Dang; also man hört auch sehr viel, man muss auch sehr diskret sein, es ist auch nicht gut, wenn man da rum ratscht und also man muss gut zuhören, aber auch sich unterhalten können. Und des merk ich halt so mit den Mitarbeitern. Weil eigentlich wollen ja alle Kunden zu mir. Weil erstens kann ich’s besser wie alle andern, ganz klar; hab ja die Erfahrung und ich bin ein sehr penibler Typ; und die Leute kommen vor allen Dingen wegen dem Reden. Also ich muss zumindest dann immer mal vorbeischauen, hallo, wie geht’s und paar Fragen und das ist so wichtig, dass der Kunde das Gefühl hat, er wird gemocht und hofiert und sie wollen halt am liebsten alle Chef-Behandlung, wie im Krankenhaus und so diese Ratschereien halt.
Für die Kund*innen zur Verfügung zu stehen, besteht aus Sicht der Interviewten aus zwei Komponenten: Fachlich, weil nur sie die beste Behandlung garantieren kann, und emotional, weil die Kund*innen kommen, um mit ihr zu reden. Die Organisation der Arbeit weist über die Interaktion hinaus und muss von den Selbstständigen angesichts der erwünschten Gefühle moderiert werden.
Dass sie für emotionale Arbeit auch außerhalb der Arbeitszeit zur Verfügung stehen, berichten auch die beiden abhängig beschäftigten Interviewpartnerinnen.Footnote 9 Beide erzählen von der Schwierigkeit, sich gegenüber den Kund*innen abzugrenzen, die nicht nur während der Behandlung ihre Gefühle „abladen“, sondern auch jenseits dieser die Kosmetikerinnen um Rat bitten. Eine der beiden abhängig beschäftigten Interviewpartnerinnen berichtet, dass sie gelegentlich Stammkund*innen ihre private Nummer gebe:
Oder die schreibt dann zum Beispiel, sie muss jetzt ihren Termin absagen, weil ihr Hund muss operiert werden; und sie macht sich so Sorgen; und sie möcht’ ihn da nicht alleine lassen. Dann bin ich auch so und sag: Mensch, wie ist denn die OP gelaufen; ja, geht’s dem Hund gut, also des is halt manchmal vielleicht auch einfach so dieses i‑Tüpfelchen mehr.
Während die Beziehungspflege mit den Stammkund*innen für die Selbstständigen erwerbsstrategische Momente aufweist, ist diese für die abhängig Beschäftigten Mehrarbeit („i-Tüpfelchen“), die sich weniger eindeutig als Bedingung der Erwerbssituation deuten lässt.Footnote 10 Für die Selbstständigen ist die Pflege der Stammkundschaft bedeutsam, weil dadurch die Prekarität der (Solo‑)Selbstständigkeit abgemildert werden soll (auch Cohen 2010a). So berichten die Kosmetiker*innen, dass die „Treue“ der Stammkund*innen bei Erwerbsunterbrechungen Kontinuität sichere (ausführlich dargestellt in Klein 2019). Einerseits wird die radikale Marktabhängigkeit durch die sozialen Beziehungen moderiert und zusätzlich mit der Stammkundschaft soziales Kapital akquiriert – dem selbstständigen Nageldesigner aus dem Sample wurden von einer Kundin neue Räumlichkeiten in einer schönheitschirurgischen Praxis zur Miete vermittelt. Andererseits aber führt dies zu neuen Anforderungen an die Arbeitenden in der Organisation der Arbeit: Kund*innen nicht abgeben zu können, diesen genug Zeit einzuräumen, Termine auch außerhalb der Arbeitszeit zu vergeben. Viele Selbstständige berichten von Konflikten, wenn Kund*innen nicht ihre Wunschtermine bekommen wegen Urlaub oder Elternzeit (zu diesen sogenannten „payoffs“ auch Cohen 2010a, S. 77 f.), und wie dadurch die Beziehung gefährdet wird. Analog zur Semantik der Freundschaft berichten Kosmetiker*innen auch über die Konflikte in den Beziehungen mit Kund*innen, wie das Beispiel von der selbstständigen Nageldesignerin mit dem „freundschaftlichen Studio“ zeigt:
Die Mädels, die dreh- manche verändern sich auch ganz schön. Weil’s auch schlimm ist, jaja du bist so gut mit manchen, du bist so dicke und irgendwann zerstreitest du dich auch mal mit denen.
Die engen sozialen Beziehungen führen zu Erwartungen an die Arbeitenden, derer sich diese mit Rekurs auf ihren professionellen Status nicht entledigen können; denn dieser schöpft sich aus der vermeintlich privaten Beziehung der Freundschaft. Dass private Beziehungen paradoxerweise Teil der Kommodifizierungs- und Professionalisierungsstrategie sind, ist der Struktur des Berufs Kosmetiker*in immanent. Der Rückgriff auf das private Netzwerk, Freund*innen und Familie ermöglicht den Aufbau eines Kundenstamms während der Gründung, der dann umgekehrt Teil des privaten Netzwerkes wird. Karina Becker analysiert die „Kommodifizierung des Privaten“ für den Verkauf von Tupperware als Erwerbsarbeit und zeigt dabei, wie soziale Beziehungen eine Ressource der Erwerbsarbeit sind, aber auch zum „Nullsummenspiel“ werden (Becker 2016, S. 115). Stellen diese Beziehungen Netzwerke und soziales Kapital, Treue und Loyalität zur Verfügung, erhöhen sie gleichzeitig die Arbeitsbelastung. Die Bedingung und die Folge von Stammkund*innenbeziehungen sind räumliche, zeitliche und insbesondere sozial-emotionale Entgrenzungen (nachfolgend 3.3). Um diese Dimensionen der Arbeit mitabzubilden – erhöhter organisatorischer Aufwand und die daraus folgende Entgrenzung – wird der Begriff der BeziehungsarbeitFootnote 11 vorgeschlagen. Mit Beziehungsarbeit ist eine Form emotionaler Arbeit gemeint, die den organisationalen Aufwand im Kontext der prekären Erwerbsstruktur und des Beschäftigungsverhältnisses mitberücksichtigt, langfristig und auf Dauer individualisiert angelegt ist und über das Uno-actu-Prinzip der Dienstleistungssituation hinausreicht.
Beziehungsarbeit – Grenzen neu verhandeln
Sind die Beziehungen zu den Kund*innen als „Freundschaften“ erfolgreich etabliert, folgt daraus eine Form der Entgrenzung der Arbeit, die ihrerseits schon die Bedingung für das Gelingen der Beziehung war. Diese Entgrenzung äußert sich zeitlich und emotional (allgemein zur Entgrenzung bei Solo-Selbstständigen Egbringhoff 2003). Zeitlich insofern, als außerhalb der Dienstleistungssituation diese organisiert werden muss, sowie an Feiertagen, spät abends und am Wochenende gearbeitet werden muss, um den Wünschen der Kund*innen gerecht zu werden, die durch die „Freundschaft“ mehr als eine standardisierte Dienstleistung erwarten. Das berichten alle Interviewten und einige teilnehmende Beobachtungen fanden feiertags und am Wochenende statt. Sozial-emotionale Entgrenzung meint zum Beispiel die Erfahrung der oben zitierten abhängig beschäftigten Kosmetikerin, auch außerhalb ihrer Arbeitszeiten für Terminwünsche und Trost zur Verfügung zu stehen. Die daraus folgende Belastung beschreibt eine andere abhängig Beschäftigte so, dass ihr Freund ihr „nicht mehr von seinem Tag erzählen [durfte], weil [sie] schon so viele Geschichten gehört“ hatte. Wenn Arbeitsbeziehungen wie Freundschaften sind, laufen Freundschaften und andere private Beziehungen Gefahr, Arbeit zu werden. Entgrenzung bedeutet hier, dass Arbeit, die aus dem Privaten schöpft, nur noch schwer von diesem abgegrenzt werden kann. Über die Sorgen ihrer Kund*innen gesteht eine Interviewpartnerin: „Das interessiert mich nicht die Bohne.“ Eine Nageldesignerin sagt nach einer Behandlung, die teilnehmend beobachtet wurde, über ihre Kundin: „Wenn du nur solche hast, bist du fertig am Abend.“. Die Arbeit, eine Freundin zu sein, besteht damit aus einer weiteren Komponente, nämlich sich von den daraus resultierenden, langfristigen und vertrauensvollen Beziehungen wieder abzugrenzen. Auf die Entgrenzung der Arbeit als Bedingung und Folge der Freundschaftssemantik und der daraus resultierenden Intimität und Erwartung folgt die Notwendigkeit der Abgrenzung. Die Entgrenzung in der Körperarbeit ist sozial und emotionalFootnote 12 und unterscheidet sich damit grundlegend von der für „white collar“-Berufe untersuchten Entgrenzung. Cohen beschreibt es mit diesen Worten: „Bringing files home rarely involves colleagues or clients entering the home, and does not turn family and friends into clients“ (Cohen 2010a, S. 78).
Der Anspruch bzw. das Selbstverständnis, für Kund*innen wie eine Freundin zu sein, ist gewissermaßen die „feeling rule“ (Hochschild z. B. 2003; auch Koch 2013) der hier untersuchten Dienstleistung. Diese Gefühlsregel der Freundschaft ist hochgradig ambivalent, denn sie enthält Momente der Anstrengung und ist gleichsam essenzieller Bestandteil des Alltags der Arbeitenden, was sich sowohl an der Latenz der Aussagen als auch an der Struktur des Berufs beobachten lässt: „Emotion work becomes an object of awareness most often, perhaps, when the individuals’s feelings do not fit the situation, that is, when the latter does not account for or legitimate feelings in the situation“ (Hochschild 2003, S. 96). Erst wenn die Kosmetiker*innen bemerken, wie anstrengend die Arbeit des Zuhörens und Mitfühlens ist, wird der Arbeitscharakter ihrer Tätigkeit deutlich, der ja zunächst eben genau durch die Referenz privater Freundschaft verschleiert bleibt. Dass Freundschaft wesentlicher Bezugsrahmen der Sozialität im Kosmetikstudio ist, lässt sich auf den reproduktiven Charakter der Arbeit und die damit einhergehende Semi-Professionalisierung und kaum geregelte Kommodifizierung zurückführen. Arbeiten, die durch die kapitalistische geschlechterdifferenzierende Organisation von Tätigkeiten historisch und mehrheitlich unentlohnt im Privaten verrichtet werden, bleiben durch die Assoziation des Liebesdiensts abgewertet.Footnote 13 Geschlecht ist einerseits Ressource der Arbeit, indem es als Kategorie den geteilten Bezugspunkt des exklusiven femininen Raums darstellt, und wird andererseits zum professionellen Risiko für die Arbeitenden, deren Arbeit sie zurück in den Bereich des „Liebesdiensts“ führt.Footnote 14
Paradox ist, dass die Ermöglichung körperlicher und emotionaler Nähe qua Freundschaftssemantik die Bedingung der Bearbeitung des Körpers darstellt, die Mittel der Professionalisierung aber aus dem Privaten schöpfen und nicht professionalisierend wirken. Dieser Zirkelschluss liegt in der Logik vergeschlechtlichter Arbeit begründet und lässt sich für eine Vielzahl reproduktions- bzw. haushaltsnaher Tätigkeiten nachweisen. So zeigen Cohen und Wolkowitz (2018) in vergleichenden Analysen, dass „Hair“ und „Care“ als feminisierte Arbeitsbereiche insbesondere materiell durch ähnliche Logiken konstituiert sind. Aber auch feminisierte Arbeit, die weniger stark den Körper involviert, wie der Verkauf von Tupperware, lässt sich – das zeigen die Analysen von Karina Becker (2016) – als Bewegung aus Kommodifizierung und De-Kommodifizierung darstellen. Mit Miriam Glucksmanns Analyserahmen der „total organisation of work“ (Glucksmann 2005, 2013) lässt sich diese Bewegung als elementarer Bestandteil in der Organisation von Arbeit verstehen, die sich durch „interconnectedness across boundaries between paid and unpaid work, market and non-market, formal and informal sectors“ (Glucksmann 2005, S. 28) auszeichnet.
Die aus dem in 3.2 aufgezeigten Organisationsaufwand resultierende zeitliche und emotional-soziale Entgrenzung der Arbeit lässt sich weder mit dem Konzept der Emotionsarbeit noch der Interaktionsarbeit vollumfänglich abbilden. Buschmeyer und Tolasch (2014) zeigen, wie die professionelle Intimität ständig Gefahr läuft, durch die private Intimität, die ihrerseits integraler Bestandteil der Professionalität ist, vereinnahmt und unterminiert zu werden. Dadurch werden die Arbeitenden verletzbar und müssen als Teil ihrer Arbeitspraxis Grenzen nicht nur überschreiten (lassen), sondern sie auch ständig neu ziehen (auch in Bose und Klein 2020). Bedeutsam wird die Entgrenzung des „do being friends“ (Cohen 2010b) mit Blick auf die Organisationsform der Arbeit, deren spezifische Professionalisierung durch die ihrerseits entprofessionalisierend wirkende Bedingung der Intimität zu einem, so nennt es Karina Becker (2016), „Nullsummenspiel“ führt.
Die emotionale Arbeit als Teil der ersuchten Dienstleistung ist nicht beliebig austauschbar, sondern wird durch Persönlichkeiten verkörpert. Beziehungsarbeit ist komplex, kann kaum standardisiert, routiniert oder externalisiert werden. Denn „wie eine Freundin“ zu sein bedeutet auch, eine bestimmte Freundin zu sein – daraus resultieren Anforderungen wie z. B. „eine eigene Persönlichkeit entwickeln“, so eine abhängig Beschäftigte, bzw. „authentisch sein“, wie eine Nageldesignerin ihren Erfolg beschreibt (auch nachzulesen bei Sharma und Black 2001, S. 922, sowie Becker 2016). Beziehungsarbeit bedeutet nicht, eine beliebige verhätschelnde und umsorgende Kosmetikerin für den Moment der Dienstleistung darzustellen, sondern einen bestimmten individuellen Typus über die Interaktion hinaus zu verkörpern und diesen in der Organisation der Arbeit zu berücksichtigen.
Wie die dargestellten Beispiele zeigen, geschieht die Beziehungsarbeit nicht nur in actu, sondern erfordert von den Arbeitenden, ihre Praxis entsprechend zu organisieren. So übersteigt die Arbeit zeitlich und sozial die Interaktion der Dienstleistung: Geburtstage notieren (wie in der Kosmetikschule gelehrt wird), Erreichbarkeit für Ratschläge auch außerhalb der Arbeitszeit, Organisation der Behandlung (Auslagerung bestimmter Tätigkeiten an Untermieter*innen/Angestellte, ohne Exklusivität zu gefährden) sind Teil der zusätzlichen „Mental Load“ der ausgeübten Profession. Als Negativfolie der „Freundin“ dient die „VIP-Kundin“, die das Prinzip der Exklusivität überstrapaziert und „wie eine Diva behandelt werden möchte“, so eine andere Kosmetikerin im Interview. Dies ist ein Verweis auf die Fragilität der Freundschaft, die auch durch die Kund*innen verletzt werden kann und zu einem „Einfrieren“ der Beziehungsarbeit führt (vgl. auch Cohen 2010b). Eine selbstständige Nageldesignerin spricht, wie weiter oben bereits zitiert, davon, sich mit den „Mädels“ zu „zerstreiten“. Legt man das Konzept der Interaktionsarbeit an, zeigt sich hier, wie das Gelingen der Dienstleistung von dem nicht formal festgelegten beiderseitigen Einverständnis über den Modus der Arbeit bedingt ist. Konkret: Die „Freundschaft“ als Bedingung und Beleg der gelungenen Dienstleistungsbeziehung wird gefährdet, wenn die „VIP“-Kundin zu sehr verwöhnt werden will und sich die Illusion der Reziprozität nicht aufrechterhalten lässt. Durch die Semantik der Freundschaft, so das Fazit, wird der erhebliche Mehraufwand, der mit der Erwerbsarbeit verbunden ist, zusätzlich unsichtbarFootnote 15: „[…] the friend designation is undermined by the market relationship which it conceals“ (Cohen 2010b, S. 213). Gefallen und Geschenke sind nicht zu trennen von den strukturellen Bedingungen, unter denen sie ausgetauscht werden. Sie sind unabdingbarer Teil der hier untersuchten Erwerbsarbeit, wirken jedoch dekommodifizierend. Der Erwerbscharakter der Arbeit wird durch die Beziehungsarbeit unsichtbar, gerade weil dahinter Arbeit steckt. Feminisierte, körpernahe Arbeiten („hair und care“) müssen durch die Historie der geschlechterdifferenzierenden Arbeitsteilung Professionalität erst mühsam erringen; die Professionalisierungsstrategien aber kommodifizieren das Private und fallen so zurück auf dekommodifizierende Semantiken wie Freundschaft. Die Professionalisierungsstrategie, mit Exklusivität und Vertrauen eine Arbeitspraxis aufzuwerten, bleibt dem kulturellen Bezugsrahmen des Privaten verhaftet und führt zu neuen Abwertungen, De-Kommodifizierungen und Entgrenzung von Arbeit. In anderen Worten: Wie eine Freundin zu sein, kann nicht in Rechnung gestellt werden.Footnote 16