Zusammenfassung
Politische Repräsentation ist mehr als Vertretung, denn sie bringt Mechanismen der Symbolisierung hervor, die zur Instituierung und Legitimierung einer politischen Ordnung beitragen. Sie produziert Bilder, Symbole, Rituale und performative Handlungen, die Vorstellungen von politischen Institutionen und Prinzipien, von Regierenden und BürgerInnen sowie vom politischen Raum einen Ausdruck verleihen. Sie steht somit in enger Verbindung zum politischen Imaginären. Der Aufsatz schlägt die Verbindung zwischen dem Symbolischen und dem Imaginären vor, um das Verständnis von politischer Repräsentation zu erweitern. Dafür setzt er sich mit der Theorie des sozialen Imaginären von Cornelius Castoriadis auseinander und kreuzt diese Perspektive mit dem wissenssoziologischen Ansatz von Peter Berger und Thomas Luckmann zur Konstruktion politischer Wirklichkeit. Der Text stellt das Konzept der primären Referenz der politischen Repräsentation als Indikator für Wandlungen des politischen Imaginären vor und eröffnet die Perspektive auf ein neues interdisziplinäres Forschungsfeld.
Abstract
Political representation is more than “acting for others” since it creates mechanisms of symbolization that institute and legitimize the political order. It produces images, symbols, rituals, and performative acts that materialize imaginations and conceptions of the political space, representatives, citizens, institutions, and principles. Thus, political representation is closely bound to the political imaginary. This article connects the concepts of the symbolic and the imaginary in order to enlarge the notion of political representation. It discusses Cornelius Castoriadis’ theory of the social imaginary by crossing it with Peter Berger’s and Thomas Luckmann’s theory of the social construction of reality. The article presents the concept of the primary reference of political representation as an indicator of the imaginary’s transformations and opens up the perspective for a new interdisciplinary research field.
Notes
In den 1980er Jahren hatte der Kreis um Dietmar Kamper eine kultursoziologische Etablierung des Konzepts versucht (vgl. Kamper 1986).
Dieses Buch war zum Zeitpunkt der Abfassung des vorliegenden Textes noch nicht erschienen und konnte nicht berücksichtigt werden.
Im Anschluss an Anderson müsste man fragen, welche Zeit- und Gemeinschaftsformen mit den neuen Nutzungen der Massenmedien und vor allem des Internets entstehen. Vielleicht ist dies die größte Umwälzung des sozialen Imaginären.
Für Castoriadis dagegen ist das Politische ein „Typ von Institution der Gesellschaft“ und schließt alles, „was die explizite Macht“ betrifft ein. Es handelt sich also um „die explizit instituierten Instanzen“, „die verbindliche Entscheidungen hinsichtlich dessen, was zu tun und zu lassen ist, treffen können, d. h. die Gesetze erlassen, ‚ausführen‘, Streitfälle schlichten und regieren können“ (Castoriadis 2006, S. 46). Damit beschreibt Castoriadis die Ebene der politischen Institutionen im engeren Sinne.
Literatur
Agridopoulos, Aristotelis, und Paul Sörensen. 2016. Imagination – Autonomie – Radikale Demokratie: Cornelius Castoriadis’ politisches Denken. kultuRRevolution. Zeitschrift für angewandte Diskurstheorie 2:45–52.
Anderson, Benedict. 1996. Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts. Frankfurt am Main: Campus.
Arnason, Johan P. 1991. Kulturelle Horizonte und imaginäre Bedeutungen. In Die Institution des Imaginären. Zur Philosophie von Cornélius Castoriadis, Hrsg. Cornélius Castoriadis, Agnes Heller, und Bernhard Waldenfels, 143–171. Wien/Berlin: Turia & Kant.
Berger, Peter, und Thomas Luckmann. 2001. Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Frankfurt am Main: Fischer.
Botticci, Chiara. 2014. Imaginal politics. Images beyond imagination and the imaginary. New York: Columbia University Press.
Castoriadis, Cornelius. 1990. Gesellschaft als imaginäre Institution. Entwurf einer politischen Philosophie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Castoriadis, Cornelius. 1991. The Social-Historical: Mode of Being, Problems of Knowledge. In Philosophy, Politics, Autonomy, Hrsg. David Ames Curtis, 33–46. New York/Oxford: Oxford University Press.
Castoriadis, Cornelius. 1997. Imagination, imaginaire, réflexion. In Fait à faire. Les Carrefours du labyrinth, Bd. 5, 270–336. Paris: Points.
Castoriadis, Cornelius. 2006. Demokratie als Verfahren und Demokratie als System. In Autonomie und Barbarei. Ausgewählte Schriften I, 43–68. Lich: Verlag Edition.
Condoleo, Nicola. 2015. Vom Imaginären zur Autonomie. Grundlagen der politischen Philosophie von Cornelius Castoriadis. Bielefeld: transcript.
Diehl, Paula. 2015. Das Symbolische, das Imaginäre und die Demokratie. Eine Theorie politischer Repräsentation. Baden-Baden: Nomos.
Diehl, Paula. 2017. Antipolitik und Postmoderne Ringkampf-Unterhaltung. APuZ, Wandel des Politischen? 67(44–45):25–30.
Disch, Lisa. 2012. The impurity of representation and the vitality of democracy. Cultural Studies 26(2–3):207–222. https://doi.org/10.1080/09502386.2011.636190.
Dosse, François. 2014. Castoriadis. Une vie. Paris: La découverte.
Gauchet, Marcel. 2007. L’avènement de la démocratie, I: La révolution moderne. Paris: Gallimard.
Göhler, Gerhard. 1997. Der Zusammenhang von Institution, Macht und Repräsentation. In Institution – Macht – Repräsentation. Wofür politische Institutionen stehen und wie sie wirken, 11–62. Baden-Baden: Nomos.
Göhler, Gerhard. 1998. Soziale Institutionen – politische Institutionen. Das Problem der Institutionentheorie in der neueren deutschen Politikwissenschaft. In Politik und Repräsentation: Beiträge zur Theorie und Wandel politischer und sozialer Institutionen, Hrsg. Wolfgang Luthardt, Arno Waschkuhn, 12–28. Marburg: Schüren Verlag.
Göhler, Gerhard. 2007. Politische Institutionen als Symbolsysteme. In Der Mensch– ein „animal symbolicum“?Sprache– Dialog – Ritual, Hrsg. Heinrich Schmidinger, Clemens Sedmak, 301–321. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Herbrik, Regine. 2011. Die kommunikative Konstruktion imaginärer Welten. Wiesbaden: Springer VS.
Iser, Wolfgang. 1991. Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Kamper, Dietmar. 1986. Zur Soziologie der Imagination. München/Wien: Hanser.
Lacan, Jacques. 1986. Das Spiegelstadium als Bildner der Ich-Funktion. In Lacan, Schriften I, Hrsg. Norbert Haas, 61–70. Weinheim/Berlin: Quadriga.
Lefort, Claude. 1990. Die Frage der Demokratie. In Autonome Gesellschaft und libertäre Demokratie, Hrsg. Ulrich Rödel, 281–297. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Mannheim, Karl. 1995. Ideologie und Utopie. Frankfurt am Main: C. H. Beck.
Näsström, Sofia. 2011. Where is the representative turn going? European Journal of Political Theory 10(4):501–510. https://doi.org/10.1177/1474885111417783.
Pitkin, Hanna F. 1972. The concept of representation. Berkeley: University of California Press.
Rehberg, Karl-Siegbert. 1994. Institutionen als symbolische Ordnungen. Leitfragen und Grundkategorien zur Theorie und Analyse institutioneller Mechanismen. In Die Eigenart der Institutionen. Zum Prozeß politischer Institutionentheorie, Hrsg. Gerhard Göhler, 47–84. Baden-Baden: Nomos.
Saward, Michael. 2010. The representative claim. Oxford: Oxford University Press.
Schnettler, Bernt. 2011. Thomas Luckmann: Kultur zwischen Konstitution, Konstruktion und Kommunikation. In Kultur. Theorien der Gegenwart, Hrsg. Stephan Moebius, Dirk Quadflieg, 212–226. Wiesbaden: Springer VS.
Schütz, Alfred. 2003. Theorie der Lebenswelt. Zur pragmatischen Schichtung der Lebenswelt. Konstanz: UVK.
Schütz, Alfred, und Thomas Luckmann. 2003. Strukturen der Lebenswelt. Konstanz: UVK.
Seyfert, Robert. 2010. Cornelius Castoriadis: Institution, Macht, Politik. In Das Politische denken: zeitgenössische Positionen, Hrsg. Ulrich Bröckling, Robert Feustel, 253–273. Bielefeld: transcript.
Soeffner, Hans-Georg. 2010. Symbolische Formung. Eine Soziologie des Symbols und des Rituals. Göttingen: Velbrück.
Sörensen, Paul. 2015. Ein Klassiker seiner Art: Cornelius Castoriadis als Stichwortgeber einer kritischen Theorie der Politik. In Die Stimme des Intellekts ist leise. Klassiker/innen des politischen Denkens abseits des Mainstreams, Hrsg. Walter Reese-Schäfer, Samuel Salzborn, 341–365. Baden-Baden: Nomos.
Taylor, Charles. 2004. Modern social imaginaries. Durham London: Duke University Press.
Thomas, Joël (Hrsg.). 1998. Introduction aux méthodologies de l’imaginaire. Paris: Ellipses.
Trautmann, Felix. 2018. Das Imaginäre der Demokratie. Politische Befreiung und das Rätsel der freiwilligen Knechtschaft. Paderborn: Konstanz University Press.
Waldenfels, Bernhard. 1991. Das Primat der Einbildungskraft. Die Rolle des gesellschaftlichen Imaginären bei Cornélius Castoriadis. In Die Institution des Imaginären. Zur Philosophie von Cornélius Castoriadis, Hrsg. Cornélius Costariadis, Agnes Heller, und Bernhard Waldenfels, et al., 55–80. Wien Berlin: Turia & Kant.
„Imaginaire“. 1989, in Encyclopédie Philosophique Universelle.
Danksagung
Ich danke den anonymen GutachterInnen der ÖZS für kritische Hinweise.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Diehl, P. Das politische Imaginäre und die politische Repräsentation. Österreich Z Soziol 44 (Suppl 2), 37–55 (2019). https://doi.org/10.1007/s11614-019-00372-1
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s11614-019-00372-1
Schlüsselwörter
- Castoriadis
- Soziales Imaginäres
- Berger und Luckmann
- Gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit
- Politische Repräsentation
- Das Symbolische