Wie in den meisten anderen westeuropäischen Ländern wurden ökologische Fragen auch in Österreich zu Beginn der 1970er-Jahre Gegenstand gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Dieser Umstand fand auch innerhalb der organisierten ArbeiterInnenbewegung seinen Ausdruck. So wurde bereits 1973 in der Arbeiterkammer ein „Umweltpolitisches Referat“ gegründet, und der Umweltbegriff fand 1975 erstmals Einzug in das Programm des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) und erlangte in den darauf folgenden Jahren zunehmend an Bedeutung (vgl. Glatz 1984). Die Konflikte rund um die geplante Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes in Zwentendorf (1978) und das Bauvorhaben eines Wasserkraftwerkes in Hainburg (1984) markierten nicht nur den Höhepunkt umweltpolitischer Auseinandersetzungen in Österreich, sondern müssen auch „als Symptome gesellschaftlichen Wandels“ (Natter 1987, S. 151) betrachtet werden.
Der vor dem Hintergrund der Ölkrise 1973/74 entstandene Energieplan von 1976 sah vor, „Erdöl durch Kohle, Kernenergie, Wasserkraft und Erdgas zu ersetzen“ (Winkler-Rieder 1997, S. 623). „Die AKWs sollten billigen Strom produzieren, wobei es anfänglich vor allem die Industrie war, die ein billiges Substitut für Erdöl suchte. Die Gewerkschaften schlossen sich diesem Kurs aus wachstums- und beschäftigungspolitischen Gründen an.“ (ebd.) In beiden Fällen positionierte sich der ÖGB nicht nur – über die Sozialpartnerschaft in einem „klassenübergreifenden Charakter“ – (Natter 1987, S. 166) eindeutig auf Seiten der Kraftwerksbauer, sondern nahm auch eine „besonders aktive Rolle“ (ebd.) ein.
Bundeskanzler Kreisky bescheinigte nach der knapp verlorenen Volksabstimmung gegen das AKW Zwentendorf, dass die „Gewerkschaftsfraktion und der persönliche Einsatz von ÖGB-Präsident Benya […] wesentlich zu diesem knappen Ergebnis beigetragen“ (APA-Meldung, 6. November 1978) habe.
Auch der Bau des Wasserkraftwerkes in der Hainburger Au wurde vom Österreichischen Gewerkschaftsbund und der Bundesarbeiterkammer befürwortetet. Damit geriet die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung nach Zwentendorf zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre in Konflikt mit der in den Kinderschuhen steckenden Umweltbewegung. Sowohl Gewerkschaften als auch BetriebsrätInnen brachten sich aktiv in den Konflikt rund um das Wasserkraftwerk ein. Nachdem die Rodungsarbeiten im Dezember 1984 vorerst gestoppt wurden, kündigte der ehemalige Zentralsekretär der Gewerkschaft Metall – Bergbau – Energie und Klubchef der SPÖ, Sepp Wille, im Parlament Arbeiterdemonstrationen gegen den Baustopp an. Zudem wurde eine BetriebsrätInnenkonferenz unter dem Motto „Pro Hainburg“ abgehalten (vgl. Baschnegger 1985). Für Empörung auf Seiten der KraftwerksgegnerInnen sorgte die Aussage von ÖGB-Vizepräsident Johann Gassner, welcher den Wunsch aussprach, „die Exekutive möge nun sorgen, daß die Arbeiter in der Au bald ihre Tätigkeit aufnehmen können“ (APA-Meldung, 17. Dezember 1984), sowie die Aussage des Betriebsrates des Bauunternehmens Universale, Josef Kerschbaum, der ankündigte, „daß die Belegschaft übermorgen dafür sorgen würde, daß die Au-Besetzer das Neue Jahr bereits bei sich zu Hause verbringen“ (ebd.).
Die Auseinandersetzung in und rund um die Au wurde durch den so genannten „Weihnachtsfrieden“ vorerst beendet. Dieser wurde durch den damaligen Bundeskanzler Sinowatz ausgerufen. In weiterer Folge bestätigte der Verwaltungsgerichtshof, welcher am 3. Jänner einem Beschwerdeantrag von WWF und Grundstückseigentümern stattgab und somit weitere Rodungsarbeiten untersagte (vgl. Nenning/Huber 1985, S. 163), den Stopp des Bauvorhabens. Das von 4.–11. März 1985 durchgeführte „Konrad-Lorenz-Volksbegehren“ gegen das Kraftwerk in Hainburg wurde von 353.900 Menschen unterschrieben (vgl. Hainburger-Au 2011). Der endgültige Schlussstrich wurde im Oktober 1985 gezogen, als eine von der Bundesregierung eingesetzte „Ökologiekommission“ ein Donaukraftwerk am Standort Hainburg ablehnte (vgl. APA-Meldung, 31. Oktober 1985).
Doch auch innerhalb der Gewerkschaften regte sich Widerstand gegen die offizielle Linie bezüglich beider Kraftwerke. Im Kontext von Zwentendorf entstand 1977 die fraktionsübergreifende Initiative „GewerkschafterInnen gegen Atomenergie“ (vgl. Leisch 2009, S. 104). Diese forderte „breite Diskussion und freie Meinungsbildung in Betrieben, Fach- und Ortsgruppen …“ (ebd.) Im Zusammenhang mit Hainburg erfolgte die Gründung der „Plattform Gewerkschafter gegen Hainburg“ (vgl. Dworczak 1985, S. 106), welche sich auf die „lebensbejahende Tradition“ (ebd.) der ArbeiterInnenbewegung berief. Im Prominentenkomitee unter der Führung von Konrad Lorenz befand sich zudem Günter Nenning, damaliger Vorsitzende der Gewerkschaftssektion Journalisten im ÖGB, der eine zentrale Rolle unter den KraftwerksgegnerInnen einnahm. Zweifelsohne handelte es sich in beiden Fällen um oppositionelle Stimmen. Diese „Geschichte von Unterlegenen“ (Hermand 1991, S. 17, zit. nach: Sandner 1999, S. 49) zieht sich durch das gesamte Politikfeld, da VertreterInnen von ökologischen Ansätzen meist im „Widerspruch zum mainstream des jeweiligen politischen Lagers“ (Bramwell 1989, S. 13, zit. nach: Sandner 1999, S. 49) standen. Aktuell zeigt sich dies beispielsweise an der Fraktion der Alternativen und Grünen GewerkschafterInnen (AUGE/UG), die als kleine oppositionelle Gewerkschaftsströmung die weitreichendsten Überlegungen und Kritikpunkte bezüglich der gewerkschaftlichen Praxis zu ökologischen Fragestellungen einnimmt (vgl. u. a. AUGE/UG 2009).
Zusammenfassend lassen sich drei zentrale Dimensionen bezüglich der Rolle der Gewerkschaften in Bezug auf die Konflikte rund um Zwentendorf und Hainburg feststellen. Erstens die Herangehensweise, ein gemeinsames Interesse mit der Industrie zu verfolgen; daran anknüpfend die Frage von Demokratie und Partizipation und drittens der traditionelle Konflikt „Arbeitsplätze vs. Umweltschutz“. Diese drei Konfliktfelder werden im Folgenden näher dargestellt.
Die Teilgewerkschaften bzw. der ÖGB agierten sowohl im Fall von Zwentendorf als auch in Hainburg in enger Kooperation mit der Wirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung. So titelte eine Presseaussendung der Sozialpartner bereits zu Beginn des Jahres 1984 mit „Arbeitnehmer und Arbeitgeber einig. Hainburg wird gebraucht“ (APA-Meldung, 19. Jänner 1984) und sah in einer Verzögerung des Baubeginns „nachteilige Folgen für Arbeitnehmer, die beteiligten Unternehmen, aber auch die Konsumenten“ (ebd). Die KraftwerksgegnerInnen stellten dem die Gefährdung der „Gesundheit und Sicherheit der Bevölkerung“ durch die Kernenergie (APA-Meldung, 17. Mai 1976) gegenüber. Auch im Falle von Zwentendorf ging der ÖGB ein Bündnis mit der Industriellenvereinigung, Siemens und der Wirtschaftskammer ein, um ein „Ja“ für Zwentendorf zu propagieren (vgl. Leisch 2009, S. 106). Seitens der GegnerInnen wurde in beiden Fällen kritisiert, dass sich die Gewerkschaften den Interessen der österreichischen Energielobby unterordnen würden. So forderte die „Plattform Gewerkschafter gegen Hainburg“ eine inhaltliche Orientierung „gegen die Profitinteressen der E‑Wirtschaft“ (Dworczak 1985, S. 106) seitens des ÖGB ein. Das gemeinsame Interesse, welches die Gewerkschaften dabei in den Mittelpunkt stellten, muss vor dem Hintergrund der Sozialpartnerschaft und ihrem „konstitutiven Element“ (Glatz 1984, S. 126) – der Wachstumslogik – betrachtet werden. Gerade diese „Wachstumsillusion“ (Blau und Häupl 1980, S. 167) wurde jedoch zunehmend, auch über die Ökologiebewegung hinaus, in Frage gestellt. Ebenso der Kompromiss, der nach 1945 in Form der Sozialpartnerschaft geschmiedet wurde. So erlebte dieser sowohl mit Zwentendorf als auch mit Hainburg eine „nachhaltige Erschütterung“ (Lackner 1990, S. 213), wobei diesbezüglich auch „das weit verbreitete, aus unterschiedlichen Quellen gespeiste Unbehagen mit den traditionellen politischen Parteien und Wirtschaftsverbänden in einem populistischen ‚Gegen-die-da-oben‘“ (Natter 1987, S. 163) deutlich wurde. Paul Blau sieht in der Auflehnung gegen Hainburg und Zwentendorf den Beweis für eine „fortschreitende Emanzipation von Obrigkeitshörigkeit“ (Blau 1999, S. 162), wobei die Gewerkschaften auch als Teil des „Establishments“ (ebd., S. 163) wahrgenommen wurden. Dieselbe Analyse zogen AktivistInnen der „Nein zu Zwentendorfbewegung“ (vgl. Leisch 2009).
Die Auseinandersetzungen um die beiden Kraftwerke Hainburg und Zwentendorf belebten auch den „alten“ Konflikt „Arbeitsplätze vs. Umweltschutz“ neu. Bereits 1983 warnte die „Vereinigung der industriellen Bauunternehmer Österreichs“ davor, „dass eine Verzögerung des Kraftwerkbaues die Arbeitslosigkeit unter den Bauarbeitern weiterhin verschärfen würde“ (APA-Meldung, 10. August 1983). Der Zentralbetriebsrat der VÖEST-Alpine AG, Franz Schwarz, argumentierte, dass der Bau des Kraftwerkes Hainburg in der VÖEST rund 800 Arbeitsplätze für ein Jahr absichere und ein „Nein“ zu Hainburg 300 Arbeitsplätze unmittelbar gefährden würde (vgl. APA-Meldung, 13. Dezember 1984). Auf einem Transparent auf einer Pro-Hainburg-Demo am Heldenplatz am 17. Mai 1984 war der Spruch zu lesen: „Die Arbeitsplätze müssen Vorrang haben“ (Hesoun und Pötschacher 1985, S. 74). Auch innerhalb der Diskussion rund um das AKW Zwentendorf wurde seitens der BefürworterInnen mit den neu entstehenden Arbeitsplätzen argumentiert bzw. im Falle eines „Neins“ bei der Volksabstimmung vor „Arbeitsplatzverlust“ gewarnt.
Die skizzierten Erfahrungen in den 1970er und 1980er Jahren sind in den österreichischen Gewerkschaften nach wie vor präsent und werden als „Traumata“ (Interview 02) bezeichnet. Dennoch lässt sich rund um den Jahrtausendwechsel eine Annäherung zwischen Gewerkschaften und der Umweltbewegung feststellen. Die über die Auswirkungen der Globalisierung entstandene Verbindungslinie zwischen Umweltthemen und Gewerkschaften (vgl. ILO 2002; Gregory et al. 1999) manifestierte sich auch in Österreich an Kampagnen wie „STOP-GATS“ oder der „Sozialforumsbewegung“.
Zudem lässt sich für diesen Zeitraum auch eine verstärkte inhaltliche Annäherung feststellen, wie Beiträge aus den Gewerkschaften aufzeigen, die sich mit Fragen der Globalisierung (vgl. Blau 1998) und strukturellen Veränderungen der Arbeitswelt und deren Auswirkungen auf ökologische Fragen (vgl. Blau et al. 1997; Ritt 1998; Littig und Grießler 2001) befassten.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Klimadebatte und den anhaltenden Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 erlangten diese Allianzen erneut an Bedeutung. Ein Beispiel hierfür stellt die Kampagne „Umwelt + Bauen“ dar (vgl. Umwelt + Bauen 2011): eine Kooperation zwischen der Gewerkschaft Bau-Holz (GBH), dem ÖGB, der Umwelt-NGO GLOBAL 2000, der Bundesarbeiterkammer sowie der Wirtschaftskammer Österreich und VertreterInnen aus dem Bereich der Bauindustrie, welche 2010 ins Leben gerufen wurde. Erklärtes Ziel ist es, die Öffentlichkeit von der Notwendigkeit nachhaltiger Investitionen zu überzeugen, die thermische Sanierung in Österreich voranzutreiben und damit Arbeitsplätze in der Bauindustrie zu schaffen (vgl. ebd., S. 3). Bemerkenswert an diesem Bündnis ist, dass mit der GBH und GLOBAL 2000 einstige Konfliktparteien an einem Strang ziehen. Vor allem die GBH hat hierzu in den letzten Jahren einige Initiativen entwickelt und greift das eigene Image als „Betonierer“ (ebd., S. 1) kritisch auf. Ein weiteres Beispiel für diese Annäherung ist das zivilgesellschaftliche Bündnis „Wege aus der Krise“. Auch in diesem Kontext arbeiten Gewerkschaften und Umwelt-NGOs eng zusammen, um sozial-ökologische Alternativen zur vorherrschenden Krisenpolitik aufzuzeigen (vgl. Wege aus der Krise 2014).