Seit etwa zehn Jahren wird seitens der Politik und Verwaltung eine gesteuerte internationale Zuwanderung als eine conditio sine qua non einer alternden Gesellschaft zur Ausschöpfung der Potenziale der Arbeitsmärkte und letztlich als Grundvoraussetzung dafür dargestellt, dass die internationale ökonomische Wettbewerbsfähigkeit von Nationalstaaten und damit das „Überleben“ gesichert werden kann. Formulierungen wie „Wir brauchen Zuwanderung“ und „Eine Großstadt hat in historischer Rückschau immer von der Innovation der Zuwanderer profitiert“ weisen jedoch auch auf die Notwendigkeit hin, die Zugewanderten in die Aufnahmegesellschaft zu integrieren. Hinsichtlich der Frage des „ob“ und des „wie“ der Integration gibt es jedoch innerhalb moderner Gesellschaften deutlich unterschiedliche Antworten, welche es bis heute schwierig machen, die Integrationsherausforderungen in Politik und Verwaltung angemessen zu diskutieren sowie entsprechende Rahmenbedingungen und Anreizsysteme zu setzen. Dabei werden zwei Aspekte der Integration intensiv diskutiert: erstens den Erwerb der Sprache des Aufnahmelandes als Voraussetzung für den Zugang zu Bildung und Erwerbsarbeit und damit zur sozio-strukturellen Integration. Zweitens die „Integration in der Nachbarschaft“ als Ort der jeweiligen Lebenswelt, des Zugangs zum Schulsystem und der Ort der Begegnung (Sozialintegration).

Verfolgt man die öffentlichen Diskurse über Zuwanderung und Integration, dann scheint eines sicher zu sein: Eine hohe Konzentration von Ausländern in einem Wohnquartier behindert die Integration in die Aufnahmegesellschaft! Diese Vorstellung ist in nahezu allen Köpfen von PolitikerInnen und Leitenden in der Verwaltung fest verankert. Diese These wurde ursprünglich innerhalb der humanökologischen Stadtsoziologie entwickelt (vgl. Hawley 1944) und wird weitgehend bis heute verfolgt. In den meisten deutschsprachigen Lehrbüchern wird diese These untermauert, obwohl die referierten empirischen Ergebnisse sehr unterschiedlich ausfallen (vgl. Friedrichs 1993, 1995; Hamm und Neumann 1996; Lichtenberger 1998; Häußermann und Siebel 2004).

Die Ursache für die unterschiedlichen Ergebnisse liegt vor allem in der bedenkenlosen Übertragung von Ausmaßen sozialräumlicher Konzentrationen von Ort zu Ort, zu unterschiedlichen Zeitpunkten, zwischen unterschiedlichen Minderheiten und Aufnahmegesellschaften sowie zwischen unterschiedlichen Wohnungsmärkten. Das bedeutet, dass die Übertragung sozialer Ungleichheiten entlang von Nationalitäten, Ethnien oder dem Einkommen über Logiken des Wohnungsmarktes in den Siedlungsraum im Sinne sozialer Gesetze als zeit- und raumunabhängig betrachtet wird. Das heißt also, dass man implizit davon ausgeht, dass der gesellschaftliche Kontext bedeutungslos sei.

Es ist für die Sozialwissenschaften problematisch, wenn in diesem normativ und emotional aufgeladenen Diskurs über Zuwanderung und Integration keine eindeutige, empirisch belegte Position bezogen werden kann. Das hat dann zur Folge, dass Stakeholder in Politik und Verwaltung bei ihren Deutungen der sozialräumlichen Herausforderungen und den daraus abgeleiteten Handlungen entweder pauschale Entwicklungen beschreiben und/oder oft populistischen Einschätzungen folgen. Diese sind in der Regel eindeutig: Segregation verhindern und bekämpfen! Lediglich im Zuge von Stadterneuerungsmaßnahmen wurde mit dieser Sichtweise ansatzweise gebrochen und statt der Bekämpfung unerwünschter Konzentrationen im Raum Strategien des Umgangs mit der Konzentration der Wohnstandorte von Menschen mit Zuwanderungshintergrund entwickelt (vgl. Breitfuss et al. 2006).

Angesichts des unklaren Kenntnisstandes innerhalb der Sozialwissenschaften und der ambivalenten Möglichkeit zur Politik- und Verwaltungsberatung sollte jedoch ein „gesichertes Wissen“ herausgearbeitet werden. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, innerhalb der scientific community zu reflektieren, warum so viele Unsicherheiten und Widersprüche bestehen und woran es liegt, dass trotz aller Forschungen so wenig über ein Themenfeld bekannt ist, das von so hoher gesellschaftlicher Bedeutung ist und zudem am Beginn der Stadt- und Regionalsoziologie stand (vgl. Dangschat 2002; Dangschat und Alisch 2012; Dangschat 2014).

In diesem Beitrag wird zu Beginn herausgearbeitet, dass in der Stadtforschung unter dem Begriff „Segregation“ Unterschiedliches verstanden wird (s. Kap. 1). Im zweiten Kapitel wird verdeutlicht, dass die Segregationsforschung kaum auf die Erkenntnisse der sozialen und räumlichen Ungleichheitsforschung bezogen wird (s. Kap. 2). Danach wird dargestellt, dass mit den Kategorien „Nationalität“ und „Migrationshintergrund“ keine sinnvolle Stadtplanung betrieben werden kann („real aber irrelevant“). Auf der anderen Seite sind SoziologInnen bislang nicht in der Lage gewesen, erklärungskräftige Typologien an deren Stelle zu setzen (s. Kap. 3). Hinter der These der Wirksamkeit der hohen Konzentration der Wohnstandorte in bestimmten städtischen Quartieren steht die Annahme, dass es Nachbarschafts-/Orts-/Kontexteffekte gäbe. Das Bemühen, diese Effekte theoretisch und empirisch zu ermitteln, steht im Mittelpunkt des vierten Kapitels, das mit einer Synopse über die Effekte und die Integrationsindikatoren endet. Diese Erkenntnis über das unsichere Wissen hat erhebliche Folgen für eine vergleichende Forschung, denn in der Regel werden die Makro-Zusammenhänge bei den Vergleichen der empirischen Regelhaftigkeiten sträflich vernachlässigt (s. Kap. 5). Das Fazit ist daher kaum positiv, wird aber mit dem Hinweis auf notwendige Neu-Orientierungen innerhalb und außerhalb der Sozialwissenschaften abgeschlossen (s. Kap. 6).

1 Residentielle Segregation – eine Kategorie voller Widersprüche und Missverständnisse

Ausgangspunkt des akademischen Interesses an der Stadtsoziologie war die Frage, wie Zugewanderte sich innerhalb ihrer ethnic villages organisieren. Robert E. Park hat zum einen (zusammen mit Burgess) kleinräumige Statistiken von Chicago analysiert, war aber zum anderen eigentlich stärker daran interessiert, wie die jeweilige moral order der einzelnen räumlich hoch konzentrierten Ethnien beschaffen ist, denn es gehe vor allem darum, „[...] to elevate the moral tone of the segregated populations of great cities“ (Park 1925, S. 9). Wichtig seien – und da grenzt er sich von seinem Kollegen Burgess ab, der Strukturdaten sozialer Gruppen als Grundlage seiner Überlegungen nimmt – „[…] personal tastes and convenience, vocational and economic interests, infallibly tend to segregate and thus to classify the populations of great cities“ (Park 1925, S. 5).

Roderick D. McKenzie (1974 [1926]) hat sich grundsätzlich und definitorisch mit den fünf (human)ökologischen Hauptprozessen und einer Reihe abgeleiteter Prozesse befasst – unter anderem mit der Segregation. Demnach versteht McKenzie unter „Segregation“ die „Konzentration von Bevölkerungsgruppen innerhalb eines Gemeindegebietes“ (1974, S. 110). Je nach „Selektionskraft“ komme es zudem zu einer „spezifischen Segregation“, wobei er die „ökonomische Segregation“ als die „primärste und allgemeinste Form“ ansieht; weitere Distinktions-Faktoren seien Sprache, Rasse und Kultur, die jedoch innerhalb „entsprechender ökonomischer Systeme wirksam“ seien (McKenzie 1974, S. 110).

Darüber hinaus stellt er fest, dass die BewohnerInnen dieser Quartiere hinsichtlich der ökonomischen Leistungsfähigkeit sehr homogen sind: In der Gemeinsamkeit knapper ökonomischer Ressourcen haben sie keine andere Wahl, als in Gebiete mit der geringsten Wahlmöglichkeit zu ziehen, die letztlich durch Zwang entstehen. Hingegen bilden sie in „allen anderen Belangen […] eine höchst heterogene Aggregation“ (McKenzie 1974, S. 110). Daraus wird deutlich, dass auch in den von Armut geprägten Quartieren sehr heterogene Interessenslagen bestehen, aus denen sich nicht nur schwerlich ein solidarisches Vorgehen entwickeln lässt, sondern vielmehr mit entsprechenden Binnen-Konflikten zu rechnen ist. Dies gilt umso mehr, wenn Stadtverwaltungen dort „soziale Mischungen“ anstreben, d. h. unterschiedliche Menschen vor Ort zusammenbringen, ohne auf das mögliche Konfliktpotenzial im Zusammenleben zu achten.

Seit den 1950er-Jahren hat sich demgegenüber in der Stadtforschung ein ganz anderes Verständnis von Segregation durchgesetzt. Mit der Möglichkeit, umfangreiche Datensätze mit Unterstützung von Computern zu verarbeiten, wurde der Frage nach der ungleichen Verteilung der Wohnstandorte unterschiedlicher Gruppen (nach Schichtung und Klasse, Nationalität und Ethnie, Alter und Haushaltstyp) nachgegangen, indem die Abweichungen innerhalb einzelner städtischer Teilgebiete aufaddiert wurden und man so ein Verteilungsmaß über eine Stadt(region) erhielt. In diesem Zusammenhang wurden in wechselseitiger Kritik verschiedene Indices entwickelt (zu einer Übersicht vgl. Blasius 1988). Kritisch wird vor allem der Einfluss auf die mathematische Formel betrachtet (Abhängigkeit von der Zahl und der Größe der Teilgebiete, von der Größe der ethnischen Minderheit und die Wirkung des edge effects auf die Werte einzelner sozialer Gruppen etc.), nicht jedoch die umfassende Veränderung des Konzeptes (vgl. Lichtenberger 1998, S. 242).

Die Blickrichtung der 1950er-Jahre ist bis heute in den Lehrbüchern dominant (vgl. Friedrichs 1993, 1995; Lichtenberger 1998) und wird auch in einschlägigen Handbuch-Artikeln einseitig dargestellt (vgl. Farwick 2012). Damit verschob sich nicht nur die Aussageebene vom Quartier zur Gesamtstadt, sondern es wurden auch die (überwiegend) qualitativen methodischen Zugänge durch quantitative Methoden ersetzt. Damit sind mit diesen Ansätzen die sozialen Beziehungen und die Formen der Vergemeinschaftung – die moral order – aus der Aufmerksamkeit weitgehend verschwunden. Stattdessen wurden Strukturdaten, die jeweils Ausschnitte eines Menschen/einer sozialen Gruppe beschreiben (wie beispielsweise „Nationalität“), in einen mathematisch-statistischen Zusammenhang gestellt.Footnote 1 Schließlich gibt es zwei unterschiedliche Einschätzungen hinsichtlich dessen, was der Ort/Raum ist: ein formaler Behälter, der – losgelöst vom Ort – hinsichtlich seiner Inhalte untersucht wird (beim Index-Ansatz), oder ein relationaler Raum, in dem sich soziale Gruppen einander gegenüber verhalten und in dem die Interpretationen der physischen Materialität berücksichtigt werden (beim Konzept der moral order) (vgl. Dangschat 2007b).

Es haben sich also unter dem Begriff „Segregation“ sowohl der Gegenstandsbereich als auch die Fragestellung, die Analysemethoden, das Menschenbild und die Aussageebene verschoben (s. Tab. 1). Das kann für manche Fragen notwendig sein, aber dies sollte dann aber auch hinsichtlich der Auswirkungen der Aussagen reflektiert werden.

Tab. 1 Gegenüberstellung der Segregationskonzepte der Chicagoer Schule und der Messung über Indices

Man sollte daher unterschiedliche Begriffe verwenden und auch die Unterschiede in der Zugangsweise benennen. Stattdessen tauchen in Lehrbüchern entweder falsch zitierte Definitionen auf (der residenziellen Segregation von McKenzie – vgl. Friedrichs 1993, S. 216–281, 1995, S. 79–98) oder beide Verständnisse werden in einen Argumentationsgang vermischt und damit fehlinterpretiert (vgl. Häußermann und Siebel 2004, S. 140Footnote 2). Zudem sagen Segregationsindikatoren – wie behauptet – weder etwas über den Grad einer (des-)integrierten Gesellschaft aus, noch geben die Maßzahlen Hinweise darauf, wie viele Personen umziehen müssten, um eine Gleichverteilung (sic!) zu erzeugen. Die Größe sozialer Gruppen ist für das Ausmaß der Segregation nicht relevant (alles das wird bei Friedrichs 1993 und 1995 behauptet) – allenfalls in Extremfällen –, sondern eher der sozio-ökonomische und der sozio-kulturelle Abstand zwischen den lokal anwesenden sozialen Gruppen, der zu einem Abgrenzungs-Bedürfnis führt (vgl. Hamm 1982, S. 74).

Vor allem dürfen diese Indexwerte keinesfalls innerhalb international vergleichender Forschung interpretiert werden, wohingegen Friedrichs (1995, S. 79) die Vergleichbarkeit als einen großen Vorteil der Segregationsmessung ansieht.Footnote 3 Lichtenberger (1998, S. 242) weist aufgrund unterschiedlicher Größe und Anzahl städtischer Teilgebiete darauf hin, dass die Indexwerte eben nicht von Stadt zu Stadt vergleichbar seien (vgl. auch Borsdorf und Bender 2010, S. 179). Lichtenberger verbleibt mit ihrem Vorbehalt jedoch innerhalb der mathematischen Logik und argumentiert nicht theoretisch, nämlich dass hinter den sozialräumlichen Sortierungsprozessen einzelner Stadtregionen sehr unterschiedliche Ursachen stehen können und dass die Auswirkungen der räumlichen Konzentration für die Allochthonen und Autochthonen hinsichtlich der materiellen Lebensbedingungen und der symbolischen Einordnung von Stadt zu Stadt sehr unterschiedlich sind. Die externe Kritik aus Sicht der Ansätze der Chicagoer Schule ist viel komplexer, weil man bei einem rein mathematischen Vergleich der Index-Werte noch nicht einmal sicher sein kann, dass man wenigstens Birnen mit Äpfeln vergleicht (s. Kap. 4) (zu einer ausführlicheren Kritik vgl. Dangschat 2004; Dangschat und Alisch 2012; Dangschat 2013a, 2014).

Vor dem Hintergrund der Diskussion in der politischen und planerischen Praxis geht es aber nicht um eine Ungleichverteilung in einer Stadt, sondern um sozialräumliche Konzentrationen, von denen befürchtet wird, dass „soziale Brennpunkte“ entstehen und eine „Ghettoisierung“ drohe. Es wäre also dringlich geboten, den Irrweg der Indexmessung aufzugeben, weil hinter der mathematischen Verkürzung die Ursachen und Folgen von Konzentrationen nicht erkennbar sind, die Maßstäblichkeit nicht stimmt, es methodische Probleme gibt und letztlich eine Analyse komplexer sozialer Bezüge auf nur ein Strukturmerkmal (in der Regel „Nationalität“) zurückgeführt wird, was absolut nicht dem Stand sozialwissenschaftlicher Ungleichheitsforschung entspricht. Beide Konzepte stehen jedoch in einem mathematischen Zusammenhang, weil die Konzentration der Wohnstandorte an einer Stelle auch das Maß der Segregation beeinflusst. Deshalb haben beide Ansätze hinsichtlich der Ursachen auch gleiche Annahmen (vgl. Dangschat 2014):

  1. 1.

    Soziale Ungleichheiten innerhalb der Wohnbevölkerung, aus denen sich unterschiedliche Freiheitsgrade der Wahl der Wohnstandorte und der Wohnungsstandards ebenso ableiten lassen wie Präferenzen für bestimmte Wohnstandorte, Adressen und Wohnungen: Innerhalb der Sozialwissenschaften werden unterschiedliche Kategorien diskutiert: soziale Ungleichheit (Klasse, Schicht – vor allem Einkommen, soziale Lage) resp. Haushaltsform (Alter, Geschlecht, Haushaltstyp) und Ethnie/Nationalität. Dadurch werden unterschiedliche Kaufkraft-Niveaus und Mietzahlungsbereitschaften gebildet, die sich am Markt unterschiedlich gut durchsetzen. Das würde bedeuten, dass die sozioökonomisch schwächsten Gruppen der ÖsterreicherInnen sich mit den Zugewanderten, welche das geringste Ansehen haben und daher auch am ehesten Verunsicherungen auslösen, die Stiegenhäuser, öffentlichen Räume, Schulen und Dienstleistungen teilen. „Kapital [...] ermöglicht (es) […], sich die unerwünschten Personen und Dinge vom Leib zu halten, wie sich den begehrten Personen und Dingen zu nähern und damit die zu ihrer Aneignung notwendigen Aufwendungen [...] so gering wie möglich zu halten“, während „[...] die Personen ohne Kapital physisch oder symbolisch von den sozial als selten eingestuften Gütern ferngehalten und dazu gezwungen, mit den unerwünschtesten Personen und am wenigsten seltenen Gütern zu verkehren“ (Bourdieu 1991, S. 30).

  2. 2.

    Eine weitere Voraussetzung ist die Ungleichheit der städtischen Teilgebiete nach Ausstattungsmerkmalen (privatwirtschaftliche [Nahversorgung, Dienstleistungen] und öffentliche Infrastruktur [Schulen, Kitas, kommunale Dienstleistungen]), Wohnraum-Angebot, Qualität des öffentlichen Raumes, der Lage und Erreichbarkeiten, der Sozialstruktur sowie der unterschiedlichen Images der Quartiere.

  3. 3.

    Erst durch die sozial selektiven Zuweisungsprozesse sozialer Gruppen zu Wohnungsmarktsegmenten (durch Marktprozesse, administrative Wohnraum-Zuweisungen, soziale Schließungen, Ausgrenzungen und Diskriminierungen in den Verhältnissen MaklerIn-KäuferIn, EigentümerIn-MieterIn und unter NachbarInnen) entstehen sozialräumliche Konzentrationen, insbesondere an beiden Enden der sozialen Hierarchien (von denen jedoch nur diejenigen am unteren Ende seitens der Wissenschaft, der Verwaltung und der Politik eine besondere Beachtung finden). Wenn nach Bourdieu (1997, S. 27) „[…] der angeeignete Raum […] einer der Orte (ist), an denen Macht sich bestätigt und vollzieht, und zwar in ihrer sicher subtilsten Form: der symbolischen Gewalt als nicht wahrgenommener Gewalt“, dann sind die Zuweisungen durch die öffentliche HandFootnote 4 resp. über Marktprozesse eine Form der Reproduktion und Verfestigung bestehender sozialer Ungleichheit.

  4. 4.

    Soziale Milieus (Gruppen gleicher Vorstellungen hinsichtlich der Akzeptanz und Ablehnung von Werten in wichtigen Lebensbereichen) und Lebensstile (relativ stabile Handlungsmuster, welche zunehmend dazu genutzt werden, die eigene Identität herauszustellen) gelten innerhalb spezifischer Ansätze der Ungleichheitsforschung als Dimensionen neuer sozialer Schließungen (Vergemeinschaftung) im Rahmen der Individualisierung. Sie bringen zum Ausdruck, dass eine Form der Gegenreaktion auf verunsichernde und ausdifferenzierende Prozesse der gesellschaftlichen Vielfalt, der Globalisierung, der Beschleunigung, der zunehmenden Umweltprobleme und letztlich auch auf Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhaltes darin besteht, sich im unmittelbaren Wohnumfeld „zusammenzutun“. Daraus erwächst ein gestiegenes Interesse am Zusammenleben „Gleicher“, was von der Wohnungswirtschaft mit den Konzepten des Themen-Wohnens und der Wohngruppen aufgegriffen und verstärkt wird. Während den meisten Zuwanderungs-Communities die Rückbindung auf die „eigenen Kulturen“ ohnehin unterstellt wird (ethnic villages)Footnote 5 und es für die Wohlhabenden ein traditionelles Standort-Muster ist, wird dieses Muster durch die Wohnungswirtschaft zunehmend auch auf die Mittelschichten ausgeweitet (gated community).

Trotz dieser Gemeinsamkeit ist es überraschend, dass der Diskurs über Segregation kaum mit dem der sozialen Ungleichheit verbunden ist, also Segregation als Widerspiegelung, Folge oder auch Verstärkung bestehender Ungleichheitsverhältnisse einer (Stadt-)Gesellschaft angesehen wird, wie umgekehrt die Wahrnehmung der Ungleichverteilung resp. Konzentration im Raum innerhalb der Ungleichheitsforschung allenfalls schwach ausgeprägt ist (vgl. Dangschat 2013b).

2 Soziale Ungleichheit und Segregation

Unabhängig von der Sichtweise auf das Konzept der Segregation gehen alle WissenschaftlerInnen bei der Segregationsanalyse von einer Verräumlichung sozialer Ungleichheit aus – entweder als eine einfache Übertragung in den Raum (wie die Chicagoer Schule, Bourdieu 1991, S. 25; Friedrichs 1993, 1995) oder aber als eine zusätzliche Verstärkung bestehender sozialer Ungleichheit (vgl. Alisch und Dangschat 1998; Dangschat 2000a, 2007a). Daher stellt sich die Frage, welches Konzept sozialer Ungleichheit einer Segregationsanalyse zugrunde gelegt wird.

Die Analyse der Segregation mittels Segregations-Indices ist auf flächendeckende Daten angewiesen, die ausschließlich von der Amtlichen Statistik bereitgestellt werden. Diese stellt jedoch nur sozio-demographische Informationen und die Höhe des Bildungsstandes zur Verfügung. Damit unterliegt die Segregationsanalyse dem Dilemma, dass die Amtliche Statistik seit Jahrzehnten (zumindest seit der Überwindung des Schichtungsansatzes, der ebenfalls nicht angemessen abgebildet werden kann) keine adäquaten Informationen über die die soziale Ungleichheit oder gar die gesellschaftliche Vielfalt (soziale Milieus, Lebensführung und Lebensstile) gibt. Das zweite Problem besteht darin, dass es mittels Amtlicher Statistiken nicht möglich ist, personenbezogene Merkmale zu kombinieren, um daraus Indices (beispielsweise der sozialen Lage) zu bilden. Drittens beziehen sich die statistischen Angaben auf administrativ definierte Territorien, deren Grenzen jedoch für ökonomische und soziale Zusammenhänge in der Regel irrelevant sind (François Perroux 1968 nennt das „banale Raumvorstellung“).

Mit der Messung der Segregation mittels der Indices ist man allenfalls in der Lage, einzelne Aspekte sozialer Ungleichheit abzubilden und bleibt damit deutlich hinter den Mindestanforderungen der Ungleichheitsforschung zurück. So bleibt nicht nur verborgen, welche inter-ethnischen sozialen Prozesse in den einzelnen Quartieren ablaufen, sondern auch in welcher Weise weitere ungleichheitsrelevante Aspekte neben der Nationalität wie beispielsweise soziale Schicht, soziale Lage, soziales Milieu wirksam sind. Wenn man zum einen davon ausgeht, dass Segregation ein Ausdruck gesellschaftlicher Ungleichheiten ist, kann man also konsequenterweise eine Messung der Segregation über Indices nicht akzeptieren.

Aus dieser Erkenntnis sind jedoch weitreichende Schlussfolgerungen zu ziehen: Mit den Indikatoren, deren Ausprägungen aufgrund des Statistikgesetzes erhoben werden, ist es nicht möglich, die bestehende gesellschaftliche Vielfalt abzubilden. Daher ist eine Öffentliche Verwaltung kaum in der Lage, gesellschaftliche Entwicklungen angemessen zu steuern, denn sie verfügt über kein Sensorium, um das Ausmaß sozio-ökonomischer Ungleichheit oder sozio-kultureller Ausdifferenzierung nachvollziehen zu können. Alle Bemühungen um „sozial-räumlichen“ Ausgleich oder „social cohesion“ müssen daher im Programmatischen verbleiben, weil sie mangels vorhandener Daten nicht überprüft oder gar gesteuert werden können.

Die nicht ausreichend differenzierten Informationen sind sicherlich auch ein wesentlicher Grund für ihre theoretische Schwäche und geringe gesellschaftliche Bedeutung (sic!) der Sozialwissenschaften. Auf der Basis der Daten der Amtlichen Statistik ist es nicht möglich, angemessene Theorien zu entwickeln und empirisch zu testen. Damit bleiben soziologische Theorien „schwach“ im Gegensatz zu den Naturwissenschaften, die auf eine deutlich bessere Datenlage zurückgreifen können.Footnote 6 Daher sei die Frage erlaubt, warum wir als Gesellschaft insgesamt mehr und Differenzierteres über das Klima als über die Gesellschaft erfahren wollen.

Betreibt man eine Segregationsanalyse mittels thematischer Kartographie besteht durch die Überlagerung einzelner Informationen auf einem aggregierten territorialen Niveau das Risiko des ökologischen Fehlschlusses, insbesondere dann, wenn der Anteil der beobachteten Gruppen unter einem Drittel der Gesamtbevölkerung liegt.

Aber auch Fallstudien sind hinsichtlich der Bindung an Theorien der sozialen Ungleichheit wenig überzeugend. Neben dem generellen Problem des mangelnden Konsenses darüber, wie soziale Ungleichheiten „jenseits von Klasse und Schicht“ erfasst werden sollten (vgl. Dangschat 2007a), fehlt bei Fallstudien die Rückkoppelung zur Gesamtstadt und damit die Analyse der relativen Bedeutung der festgestellten sozialräumlichen Phänomene. Eine vergleichende Forschung ist mit diesem Ansatz ebenfalls nicht möglich.

3 Statistischer Blindflug mit sozialwissenschaftlich nahezu sinnlosen Kategorien

Für eine sozialräumliche Analyse greifen Stadtverwaltungen, die Kommunalpolitik ebenso wie Stadtforschende jedoch auf die Amtliche Statistik zurück. Hier findet man Angaben zur Nationalität, aufgeschlüsselt nach „ÖsterreicherInnen“ und „Nicht-ÖsterreicherInnen“ (und diese aufgeschlüsselt nach nationalstaatlicher Zugehörigkeit zumindest für die Haupt-Zuwanderungsländer). Vor dem Hintergrund der Bedeutung, die einer Konzentration bestimmter AusländerInnen-Gruppen hinsichtlich ihrer Einstellungen und Verhaltensweisen zugewiesen wird, geht man davon aus, dass sowohl die ÖsterreicherInnen als auch die jeweils anderen Nationengruppen nahezu einheitliche Einstellungen und Verhaltensweisen besitzen – also beispielsweise Präferenzen für die Wohnstandortsuche, das Vor-Ort-Verhalten oder die Haltung zur eigenen Integrationsbereitschaft und die der Anderen. „Nationalität“ steht damit als Dummy für eine Reihe von Dingen, von denen unklar ist, wie sie (des-)integratives Verhalten beeinflussen: für ethnische Unterschiede, unterschiedliche Lebenserfahrungen und Sozialisationsprozesse und daher andere Lebensstile und Lebensweisen, oder soziale Lagen – zumindest wenn man sich die „Gastarbeiter“-Situation vor Augen führt.

Der mittlerweile zusätzlich in die Statistik eingeführte Begriff des „Zuwanderungshintergrundes“ löst dieses Dilemma aus sozialwissenschaftlicher Sicht ebenfalls nicht. Nicht etwa die Einsicht über die zunehmende Binnen-Heterogenität der Autochthonen hinsichtlich integrationsrelevanter Einstellungen und Verhaltensweisen hat zu dieser neuen Information geführt, sondern die steigende Zahl eingebürgerter Zugewanderter, die ja – so die Annahme – ihre Wertvorstellungen und Handlungsweisen nicht mit Erhalt des neuen Passes schlagartig ändern. Auch wenn man wie im Wiener Integrationsmonitor den Grenzübertritt nach dem Zeitpunkt im Lebenslauf differenziert (wegen des heimischen und fremden Einflusses auf die Sozialisation), kann man mit einer Typologie nach Zeitpunkt des Grenzübertrittes kaum besser erklären, dass Menschen unterschiedlich denken und handeln, weil man weder weitere Strukturmerkmale wie Ethnie, Nationalität, Bildungsniveau oder Einkommen berücksichtigt noch unterschiedliche Werthaltungen oder Lebensstile erhebt. Also: Weder die Nationalität-Kategorie noch die Migrationshintergrund-Kategorie können Stadtverwaltungen oder WissenschaftlerInnen weiter helfen, die mit Zuwanderung, Integration und räumlicher Konzentration zusammenhängenden Integrationsprozesse zu erkennen, weil die Statistik Menschen ganz unterschiedlicher sozialer Lage, mit unterschiedlichen Wertemustern und Handlungsspielräumen „in eine Schublade“ steckt und die mögliche Binnen-Variation der Einstellungen und Verhaltensweisen völlig negiert.

Für alle, die ernsthaft an dieser Fragestellung der Ortsrelevanz von Integration interessiert sind, müsste dieser Befund ein Anlass dafür sein, die bestehenden Verhältnisse lautstark zu skandalisieren. Demgegenüber ist das Schweigen seitens Verwaltung und Wissenschaft unüberhörbar; man „doktert“ stattdessen mit den unzureichenden Kategorien weiter und trifft dennoch weitreichende Schlussfolgerungen (vgl. beispielsweise Stadt Wien 2012). Natürlich ist es naheliegend, zum Verstehen dieses kollektiven Versagens sozialwissenschaftliche Analysen zu bemühen – allein, mir sind keine bekannt, und ich habe auch selbst keine durchgeführt.

Aber: Die Geschichte des Wissens über das Nicht-Wissen ist hiermit nicht zu Ende – es gibt noch weitere eher unrühmliche Kapitel innerhalb der wissenschaftlichen Auseinandersetzung: die (vergebliche) Suche nach Nachbarschaftseffekten und der Unsinn des interkulturellen Vergleichs der Segregations-Messungen.

4 Die Suche nach den Nachbarschaftseffekten

Der kritische Blick auf die Segregation wird vor allem mit den (vermuteten) negativen Auswirkungen der hohen Konzentration von bestimmten, meist kulturell eher ferneren Einwanderungsgruppen (Selbst-Isolation, Rückzug in Parallelgesellschaften) resp. von Haushalten mit geringem Einkommen (Armuts- und Problemquartiere mit negativer Wirkung auf die Jugendlichen) verbunden. Besonders dann, wenn sich die sozioökonomischen und die ethnischen Aspekte am unteren Ende der gesellschaftlichen Hierarchie räumlich überlagern und sich sozial aufeinander auszuwirken drohen, ist rasch in den Medien, aber auch im politisch-planerischen sowie im wissenschaftlichen Diskurs von „Problemquartieren“, „sozialen Brennpunkten“ resp. von „Ghettoisierung“ die Rede.

Die Ergebnisse der zahlreichen empirischen Tests sind jedoch höchst widersprüchlich und die Zusammenhänge sind – wenn sie überhaupt signifikant sind – allenfalls schwach. In ihrem Resümee einer Reihe von europäischen und US-amerikanischen Studien kommen Blasius und Friedrichs (2009, S. 147) zur Erkenntnis, dass lediglich bis zu acht Prozent der erklärten Varianz auf Nachbarschaftseffekte zurückzuführen sei und Individualmerkmale deutlich stärker wirksam seien – die allerdings Farwick (2009) im Sinne eines Aggregateffektes als Merkmal der Nachbarschaft interpretiert.

In einigen Arbeiten wurde versucht, einen Überblick über die Nachbarschaftseffekte zu erzielen (vgl. Farwick 2009; Münch 2010; Dangschat und Alisch 2014 – für einen synoptischen Überblick s. Tab. 2). Münch (2010, S. 43–47) unterscheidet vier Dimensionen:

  • die soziale Dimension (kontra-produktive Handlungsanreize durch die Menschen in der Nachbarschaft und deren „geschlossene“ Netzwerke: nicht-assimilative Handlungsanreize, eigen-ethnische Schließungen, Kultur der Armut, falsche Vorbilder für die Jugendlichen seitens beschäftigungsloser Eltern; auf der anderen Seite haben die Schließungsprozesse aber auch positive Wirkungen für den Einstieg in den Arbeitsmarkt, für die Orientierung im Aufnahmeland und für die Stärkung des Selbstwertgefühls);

  • die symbolische Dimension wirkt sich vor allem über die Sichtbarkeit der sozialräumlichen Konzentration aus; wenn die Konkurrenz seitens der autochthonen Bevölkerung als besonders groß empfunden wird und wenn „die Fremden“ als besonders bedrohlich empfunden werden, werden die Vorurteile gegenüber ihnen auf diese Weise verfestigt („Wir und die anderen!“);

  • die materielle Dimension bezieht sich zum einen auf die Ausstattung der jeweiligen Quartiere (Wohnraum, Gelegenheiten) und zum anderen auf die Erreichbarkeit anderer Orte innerhalb der Stadtregion (insbesondere der Arbeitsplätze); eine besondere Bedeutung kommt dabei den Schulen zu, die gerade für Eltern der autochthonen Mittelschicht, aber auch viele der aufstiegsorientierten Allochthonen ein wichtiger Grund dafür ist, das Quartier zu verlassen, was wiederum durch den sozial selektiven Zuzug dazu beiträgt, die Konzentration der Zugewanderten zu verstärken;

  • die politische Dimension bezieht sich auf die Tatsache, dass Quartiere mit einem hohen Anteil an Nicht-Wahlberechtigten rasch die Aufmerksamkeit der Kommunalpolitik und/oder der Stadtplanung verliert.

Tab. 2 Dimensionen und Indikatoren von Nachbarschaftseffekten sowie Integrationsdimension

Farwick (2009) untersucht Nachbarschaftseffekte über inter-ethnische Freundschaftsnetzwerke und das Integrationspotenzial über intra-ethnisches soziales Kapital. Bei ihm steht die Auswirkung der System- und Sozialintegration auf die Individualintegration im Mittelpunkt. Hierbei beruft er sich fast ausschließlich auf US-amerikanische Studien, um die Auswirkung der Segregation von meist Afro-Amerikanern auf Aspekte der Assimilation zu diskutieren.Footnote 7 Dabei wirken sich ein begrenzter Zugang zum Schulsystem und zum Arbeitsmarkt, die Einschränkung inter-ethnischer Kontakte sowie die räumliche Distanz zu anderen negativ auf die Bereitschaft zur Einbürgerung, die Sprachfähigkeit und das inter-ethnische Heiratsverhalten aus.

Bei allem Bemühen, die Aspekte zu ordnen, die als Nachbarschaftseffekte untersucht wurden, bleibt die Frage, inwieweit neben der Nachbarschaft weitere Aspekte auf die Sozialisation, die sozialen Netzwerke, die Wertvorstellungen und schließlich das Handeln Einfluss nehmen. Schon im Jahr 1925 – also vor der Verbreitung des Automobils, eines modernen innerstädtischen Systems des Nahverkehrs, lange vor der Erfindung von Satelliten-Fernsehen, Smartphones, Internet und Facebook – wandte sich Park gegen den impliziten Determinismus, wodurch ein Quartier als (ausschließlicher) Lern- und Integrationsort festgeschrieben wird: „The easy means of communication and of transportation, which enable individuals to distribute their attention and to live at the same time in several different worlds, tend to destroy the permanency and intimacy of neighbourhood“ (Park 1925, S. 9). Heutzutage gibt es noch viel umfangreichere Möglichkeiten, soziale Netzwerke vom physischen Raum abzulösen und dennoch hält man an der nahezu ausschließlichen Sozialisationsinstanz der Nachbarschaft fest.

Welche soziale Gruppe sich freiwillig oder gezwungenermaßen auf das jeweilige Wohnumfeld bezieht, ist empirisch weitgehend ungeklärt – auch wenn man von einer gewissen Abhängigkeit bei Kindern, Behinderten und armen Menschen ausgehen kann. Ältere Menschen hingegen sind im Gegensatz zu bestehenden Vorurteilen so lange nicht auf ihr Grätzel angewiesen, so lange sie nicht körperlich, geistig, finanziell oder durch ethnisch-kulturelle Regularien eingeschränkt sind. Hinsichtlich der Immobilien wirken sich die meist schlecht ausgestatteten Quartiere jedoch nicht nur benachteiligend aus, sondern sie – wie Park bereits vor knapp 90 Jahren in Chicago bemerkte – behindern die Integration: „On the other hand, the isolation of the immigrant and racial colonies of the so-called ghettos and areas of population segregation tend to preserve and, where there is a racial prejudice, to intensify the intimacies and solidarity of the local and neighbourhood groups“ (Park 1925, S. 9–10).

In der aktuellen Rhetorik zum diversity management wird davon ausgegangen, dass inter-ethnische Kontakte für alle Beteiligte positiv seien und die Assimilation und Integration unterstützen. Pettigrew (1986, S. 281) hatte jedoch bereits darauf hingewiesen, dass die positive Wirksamkeit sozialer Kontakte von einer Reihe von Bedingungen abhängig ist: gleicher Status, Gelegenheit des besseren Kennenlernens, gemeinsame Ziele und institutionelle Unterstützung. In den meist beachteten Quartieren sind sicherlich die ersten beiden Bedingungen gegeben, an Orten mit einem entsprechenden Quartiersmanagement ist auch die vierte Bedingung erfüllt. Dennoch erweisen sich eine Reihe dieser Gebiete als Orte zugespitzter Fremdenfeindlichkeit, der offenen Auseinandersetzung im öffentlichen Raum und zeigen bestenfalls parallele Strukturen, die sich weitgehend ignorieren.

Wie bereits McKenzie (1974, S. 110) verdeutlichte, bedeutet die Gemeinsamkeit eines geringen ökonomischen Kapitals keineswegs ähnliche Interessen, weil in den Quartieren Lebenslagen, Wertvorstellungen und Lebensweisen oftmals sehr heterogen sind. Es ist gerade für abstiegsbedrohte oder abstiegserfahrene soziale Gruppen schwierig zu akzeptieren, dass sie von Zugewanderten „überholt“ werden („fraternalistische relative Deprivation“, vgl. Dangschat 2000b). Zudem ist die soziokulturelle Distanz der zentralen sozialen Gruppen im Grätzel entscheidend dafür, ob das „Brücken-Bauen“ über inter-ethnische Kontakte sinnvoll resp. erfolgsversprechend ist – es wird hier sehr viel pauschal gefordert, inter-ethnisches soziales Kapital aufzubauen, aber zum „sozialen Brückenbauen“ fehlen nahezu alle Voraussetzungen an Wissen und Mitteln (vgl. Dangschat 2013b, S. 183).

Selbst wenn man dennoch davon überzeugt ist, dass es aufgrund der physischen Nähe positive Nachbarschaftseffekte gäbe, ist noch nicht geklärt, was eine „richtige“ soziale Mischung ist und auf welcher Maßstabsebene (Stiegenhaus, Wohnblock, Grätzel, Quartier) sie angestrebt werden sollte. Es ist relativ trivial, dass die unmittelbare Nähe die Wahrscheinlichkeit des Treffens erhöht, aber gerade das „Aufeinander-Kleben“ wird sich dann, wenn die soziale Vielfalt als überfordernd wahrgenommen wird, eher integrationsfeindlich auswirken („überforderte Nachbarschaften“).

Der grundsätzliche Fehler in der Interpretation der ethnischen Segregation besteht vor allem darin, dass aus der Tatsache, dass in einem administrativ definierten Territorium unterschiedliche soziale Gruppen leben, Rückschlüsse auf das Verhalten der Gruppenmitglieder untereinander gezogen werden, ohne dass es belastbare Hypothesen über die Kombination von Strukturdaten auf ein integrationsförderndes Verhalten gibt oder dieses selbst Gegenstand der Analyse ist.

Die Nachbarschaftseffekte sind hinsichtlich der empirischen Überprüfung also umstritten, sie werden bisweilen auch als „vermeintlich“ eingeschätzt (vgl. Münch 2010, S. 40; Dangschat und Alisch 2014). Atkinson and Kintrea (2004, S. 440–444) kommen nach einer Analyse einer Reihe von EU-geförderten Projekten und englischsprachigen Publikationen zu dem für das Fach verhängnisvollen Schlussfolgerung, dass die Frage, ob Nachbarschaftseffekte und Integrationserfolge ermittelt werden können, vor allem von der angewandten Methode und der Operationalisierung des Nachbarschaftseffektes, der Nachbarschaft und der Integration abhängt. Zugespitzt: Ob Segregation als ein Problem wahrgenommen wird, hängt vermutlich weniger von der sozialen Situation selbst ab, sondern vom Zugang durch die WissenschaftlerInnen resp. der Interpretation der Stakeholder im politisch-administrativen System.

5 Warum Vergleiche statistischer Segregationsmessungen sinnlos sind

Innerhalb des nach wie vor einflussreichen quantitativen Ansatzes der Berechnung der Verteilung der Wohnstandorte sozialer Gruppen ist es üblich, Ausprägungen der Messwerte von Segregations-Indices zwischen Orten und über die Zeit zu vergleichen. Friedrichs (1995, S. 75) sieht beispielsweise hierin einen besonderen Wert, letztlich weil „objektive“ mathematische Berechnungen von kleinräumig vorliegenden Amtlichen Statistiken vorgenommen werden.

Was aber wird in diesen Berechnungen tatsächlich verglichen? Letztlich – folgt man den vier oben genannten Ursachenbündeln – geht man bei vergleichenden Analysen implizit davon aus,

  • dass die soziale Lage der sozialen Gruppen in den jeweils betrachteten Quartieren letztlich hinsichtlich ihrer Ressourcen aber auch der Diskriminierungen seitens der Mehrheit ähnlich ist,

  • dass die jeweiligen Wohnungsmärkte nach ähnlichen Prinzipien organisiert sind,

  • dass – insbesondere für untere soziale Schichten, die bei der Betrachtung von Segregations-Werten von Zuwanderungsgruppen im Mittelpunkt stehen – einkommensschwache Gruppen in ähnlicher Weise von der öffentlichen Hand mit Wohnraum versorgt werden und

  • dass es bei allen Gruppen ein ähnliches Bedürfnis gibt, sich in eigen-ethnische Netzwerke zurückzuziehen, was sich durch eine territoriale Nähe ausdrückt.

Diese Aufzählung macht deutlich, dass über diese Voraussetzungen bei einem internationalen Vergleich offensichtlich wenig reflektiert wird. Würde man diese Voraussetzungen ernst nehmen (und nicht nur im Theorieteil formulieren, um dies dann bei der empirischen Arbeit wieder zu übergehen), dürften empirische Ergebnisse aus den USA wohl kaum als Referenz für Kontinentaleuropa genommen werden, weil die Unterschiede in den ersten drei Kategorien sehr hoch sind. Dennoch beziehen sich Friedrichs (1993, 1995) und Farwick (2009) in ihren Referenzergebnissen überwiegend auf US-amerikanische Studien zur Segregation von Afro-Amerikanern.

Besonders problematisch ist, wenn die jeweiligen Unterschiede der nationalstaatlichen, regionalen und lokalen Regulation übergangen werden. In den USA, Frankreich und Großbritannien sind die diskriminierten Gruppen oft Staatsbürger des Landes und überwiegend der Sprache des Ortes mächtig. Dennoch sind die Segmentierungen und Segregierungen dort intensiver als beispielsweise in Österreich, wo – wie in vielen anderen Ländern Kontinentaleuropas – die Sprache und Nationalität des Einbürgerungslandes als zentrales Merkmal der (Des-)Integration angesehen wird. Von zentraler Bedeutung für das Entstehen räumlicher Konzentrationen von Einkommensschwachen und Zugewanderten am unteren Ende gesellschaftlicher Hierarchien sind die unterschiedliche Bedeutung des öffentlich geförderten Wohnungsbaus hinsichtlich der Mengen, der Qualität, der Standort-Qualitäten, der sozialen Mischung und der Diskriminierung sowie die Zuweisungsmechanismen einkommensschwacher Haushalte zu diesem Wohnungsmarktsegment.

Zudem werden bei diesen statistischen Vergleichen die Gelegenheitsstruktur und die Erreichbarkeit der Orte der Konzentrationen völlig ausgeblendet. Dazu gehören neben der Qualität der Versorgung mit Wohnraum vor allem die Qualität der Kindergärten und Schulen, der Zugang zum öffentlichen Raum und der eigen-ethnischen und inter-ethnischen Infrastruktur, was wiederum ein entscheidendes Kriterium dafür ist, sich mit den Lebensbedingungen vor Ort identifizieren zu können, was wiederum eine der Voraussetzungen dafür ist, sich gegenüber „den Anderen“ zu öffnen.

Aber auch innerhalb vergleichbarer Regulationen des Wohnungsmarktes, ähnlichen Aufenthaltsbedingungen und ähnlichen Aufenthaltsrechten (die über den Zugang zum Arbeitsmarkt, dem Bildungs- und Gesundheitssystem – also die Systemintegration entscheiden) können unterschiedliche nationale und ethnische Gruppen kaum miteinander verglichen werden. Die Konzentration in bestimmten Wohnungsteilmärkten hängt eher von der „kulturellen Ferne“ ab (Ausgrenzung aufgrund von Vorurteilen und zurückziehende intra-ethnische Vergemeinschaftung) – diese Aussage muss jedoch hinsichtlich der sozialen Lage kontrolliert werden, denn je ähnlicher die soziale Lage zwischen zwei sozialen Gruppen sind, desto eher sind die inter-ethnischen Kontakte positiv, häufiger und intensiver.

Vor diesem Hintergrund bezweifele ich auch, ob es sinnvoll ist, die Werte der Segregations-Indices von Großstädten eines Landes vergleichend zu interpretieren (wie es beispielsweise Farwick 2012 vornimmt). Auch wenn eine Reihe von Regulationen gleich sind, bleiben immer noch – neben den formalen mathematischen Kriterien – unterschiedliche Diskriminierungen, unterschiedliche Qualitäten der Vor-Ort-Versorgung und unterschiedlich tolerante lokal gebundene Kulturen.

6 Wohin sollte die Reise gehen?

Um die theoretischen Annahmen und empirischen Überprüfungen zu verbessern, schlage ich fünf Schritte der Weiterentwicklung vor.

  1. 1.

    Es besteht unter SozialwissenschaftlerInnen zwar ein breit getragener Konsens darüber, dass es für die Bestimmung sozialer Ungleichheiten in modernen Gesellschaften neuer theoretischer und methodischer Zugänge bedarf; es ist aber bislang zu keinem Konsens über eine angemessene Typologie gekommen. International bieten die theoretischen Ansätze von Bourdieu Anknüpfungspunkte, indem er Elemente der Struktur, des Habitus und der gesellschaftlichen Praxis in Zusammenhang bringt. Zudem geht er davon aus, dass gesellschaftliche Machtstrukturen immer wieder dazu führen, dass bestehende soziale Ungleichheiten verfestigt werden. Neben der Konstruktion einer multivariaten Typologie sollten daher ökonomisches, soziales, kulturelles und symbolisches Kapital ebenso berücksichtigt werden wie die Faktoren, die dazu führen, dass der Kapitalerwerb und die Fähigkeit, eine Kapitalart gegen eine andere einzutauschen, ungleich verteilt sind: Klasse, Ethnie, Hautfarbe, Geschlecht und soziales Milieu. Es macht zudem wenig Sinn, Modelle sozialer Ungleichheit ausschließlich in einer historischen Abfolge zu begreifen; vielmehr sollte die Überlagerung der unterschiedlichen Strukturierungen (vom Ständemodell bis hin zur These der Entstrukturierung) in den relevanten gesellschaftlichen Feldern (beispielsweise auch die Wohnraumversorgung) analysiert werden.

  2. 2.

    Der Raumbezug entspricht in den Segregationsstudien in der Regel dem eines Container-Raumes, d. h. einem Territorium, das mit Inhalten unterschiedlicher Art angefüllt ist, ohne dass Inhalte und Rahmen eine sozialwissenschaftlich relevante Beziehung eingingen. Analysiert man jedoch die Orte der Konzentration von bestimmten, meist unterprivilegierten Gruppen von Zugewanderten und von eher abstiegsbedrohten Autochthonen hinsichtlich der benachteiligenden Nachbarschaftseffekte, dann reicht es nicht aus, den Ort zu beschreiben resp. über die dort lebenden Menschen Aggregierungen vorzunehmen, sondern es sollte reflektiert werden, wie diese Orte produziert (Makro-Ebene – „place making“) und von ihren BewohnerInnen sowie dem sozialen Umfeld reproduziert werden (Mikro-Ebene – „placing“) (vgl. Dangschat 2007b). Hinzu kommt, dass die Orte nicht nur aus sozialen Bezügen der BewohnerInnen untereinander bestehen, sondern auch auf die Infrastruktur, die Wohnbaustruktur und die damit verbundenen Symbolisierungen reagiert wird.

Hinsichtlich der Quartiere mit hohem AusländerInnen-Anteil auf einem eher niedrigen sozialen Niveau wird in der Regel in der heutigen Segregationsforschung und in der Evaluation der Interventionen durch ein Grätzel-Management übersehen, dass diese die Funktion haben, den neuen, niedrig qualifizierten ZuwanderInnen eine erste Heimat zu bieten und als Brückenkopf zur Aufnahmegesellschaft zu dienen. Der Erfolg dieser Quartiere besteht eben in einer hohen Fluktuationsrate und kaum in Aufwertungstendenzen der Wohnbevölkerung – beides wird in der Regel als negativ, integrationsfeindlich resp. als Versagen der Interventionen des Grätzel-Managements angesehen. Vor dem Hintergrund einer „Arbeitsteilung“ von Wohnquartieren werden diese Wohnungsteilmärkte produziert und reproduziert und haben daher auch eine systemerhaltende Funktion, selbst wenn sie vor Ort häufige Konflikte „erzeugen“.

  1. 3.

    Mit dem methodischen Ansatz der Sozialraumanalyse wird der Anspruch erhoben, die relevanten sozialräumlichen Beziehungen in ihrem Zusammenwirken zu analysieren. Dazu wird vor allem darauf verzichtet, die methodologischen Zugänge der quantitativen und qualitativen Forschung kontroversiell zu betrachten. Stattdessen werden mittels Triangulation die jeweiligen Schwächen des einen Zugangs durch die spezifischen Stärken des anderen kompensiert. Hier wird die Analyse der statistisch-mathematischen Zusammenhänge von Strukturdaten und deren (schwindenden) Erklärungskraft für integrationsfördernde Einstellungen und Verhaltensweisen mit verstehenden Verfahren ergänzt, bei denen Einstellungen und Verhaltensweisen einzelner Personen nachvollziehbar gemacht werden.

Eine hohe Konzentration von Menschen mit fremden Pass resp. mit Migrationshintergrund kann daher im ersten Schritt allenfalls als Hinweis dafür gelten, genauer zu analysieren, ob dort ein kommunaler Interventionsbedarf besteht, weil sich negative Nachbarschaftseffekte nachweisen lassen. Mittels verschiedener qualitativer Ansätze kann der ursprünglichen Frage nach der jeweiligen moral order nachgegangen werden, inwieweit sie integrative Tendenzen unterläuft oder durchkreuzt resp. ob eine culture of poverty vorhanden ist, welche das Leistungsbewusstsein der Bewohnerin schmälert und sie dazu bringt, sich in der „sozialen Hängematte“ auszuruhen.

  1. 4.

    Aus der Diskussion des Umganges mit der Segregierung im Zuge der Stadterneuerung (statt deren Tabuisierung und Bekämpfung) wird die Bedeutung der inter-ethnischen Kontakte (weak ties), des Brücken-Bauens zwischen den unterschiedlichen sozialen Gruppen (bridging) und schließlich die Stärkung des inter-ethnischen Kapitals hervorgehoben. Hierbei wird die Rolle von intermediären Institutionen resp. der lokalen Kultur betont. Anhut und Heitmeyer (2000, S. 60–62) kommen bei einer Betrachtung des deutsch-türkischen Beziehungs-Verhältnisses in drei Großstädten in Nordrhein-Westfalen zu dem Schluss, dass nicht der AusländerInnen-Anteil, sondern die politische Steuerung (unterstützt die individuell-funktionale Systemintegration), die politische Kultur und die sozialen Netze (beide unterstützen die kommunikativ-interaktive Sozialintegration) über gelingende Integration entscheiden; Inter-Gruppen-Beziehungen unterstützen die kommunikativ-interaktive sowie die kulturell-expressive Sozialintegration, während das soziale Klima auf allen drei genannten Ebenen wirksam ist.

  2. 5.

    In der dominanten Debatte in Wissenschaft und kommunaler Praxis werden MigrantInnen als Menschen angesehen, die kommen und (auf Dauer) bleiben. Für eine zunehmende Zahl von MigrantInnen ist aber völlig offen, ob sie an diesen ersten Orten des Ankommens bleiben wollen oder dürfen. Zudem werden Zugewanderte überwiegend (oder meist ausschließlich) als am Ende der sozialen Hierarchie positioniert angesehen (in der Logik von „GastarbeiterInnen“). Deshalb steht das „Sich-Kümmern-Müssen“ (heute als „fördern und fordern“ proklamiert) mit dem Ziel im Vordergrund, dass die Zugewanderten sich vollständig in die Aufnahmegesellschaft integrieren sollten. Die Zugewanderten werden aber hinsichtlich der Bildung, der sozialen Lage, der Wertvorstellungen, der Erwartung an die eigene Zukunft und ihrem Wunsch zu bleiben zunehmend heterogener. Zudem wird in den aktuellen Integrations-Diskursen immer häufiger der „Vielfalt“-Begriff bemüht, wobei zum einen die Mehrdimensionalität gesellschaftlicher Herausforderungen betont wird, zum anderen aber auch die bisweilen hoch-konflikthafte internationale Migration „weg-kulturalisiert“ wird. Jedoch: Wie soll unter der Zielsetzung von Vielfalt eine Verbindlichkeit der normativen Zielorientierung erreicht werden? Nach welchem Maßstab einer gelungenen Integration können diese Prozesse evaluiert werden?

Die zunehmende Bedeutung der zweiten und dritten Einwanderungsgeneration, der soziale Aufstieg auch von einem Teil der Zugewanderten sowie die Zuwanderung HochqualifizierterFootnote 8 verändert die soziale Lage eines Teiles der Ausländer resp. der Menschen mit Migrationshintergrund (der jedoch nicht wirklich statistisch bestimmt werden kann). In diesem Kreis ist der souveräne Umgang mit einer Doppel- oder Multi-Identifikation, mit der Anwesenheit an mehreren sozialen und geografischen Orten resp. mit der temporären Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Milieus vermutlich zunehmend verbreitet. Genau diese Tendenz entspricht den Annahmen, die Park seinem „race-relations-cycle“ unterstellte, und sie entspricht der Möglichkeit zu einer partiellen Identifikation, wie es in einer Großstadt möglich und notwendig ist. Für diese Gruppen macht es wenig Sinn, der moralischen Aufforderung zur vollständigen Integration in die Aufnahmegesellschaft zu folgen – um eine konstruktive Vielfalt zu erreichen, sollte auch ein Recht auf partielle Nicht-Integration eingeräumt werden.