Zusammenfassung
Die Universität Wien war im Zuge der NS-Machtergreifung in Österreich mit der Zielsetzung konfrontiert, nationalsozialistische Wissenschaft zu betreiben. Dies ging mit einer personellen Neuausrichtung ihres Lehrkörpers einher. Wie sich diese bei ihren für die „Soziologie“ relevanten Lehrstühlen gestaltete, welche Akteure und Netzwerke bei den Neuberufungen involviert waren und welche Vorstellungen einer „deutschen Soziologie“ zum Tragen kamen, sind die Fragestellungen dieses Artikels. Auf Archivalien gestützt setzt sich der Beitrag die Rekonstruktion der Berufungen auf die drei behandelten Lehrstühle zum Ziel und geht der NS-Involvierung ihrer Inhaber auf den Grund. Abschließend wird auf die Entnazifizierung und die Nachkriegslaufbahnen der behandelten Professoren eingegangen.
Abstract
During the Nazi era in Austria, the University of Vienna aimed at conducting its science in a way that corresponded to the ideology of National Socialism. This endeavour went hand in hand with a realignment of its faculty. This article studies how this process was carried out regarding “Sociology” professorships, which actors and networks were involved in the replacements and what kinds of perceptions of “deutsche Soziologie” were brought to fruition. Based on archival documents, it aims to reconstruct the three discussed appointments and focuses on the Nazi involvement of these professors. The article ends with a depiction of the processes of denazification as well as the post-war careers of the three professors in question.
Notes
Eine detaillierte Aufarbeitung dieser Gruppe findet sich bei Huber 2012.
Eine ausführliche Darstellung und Analyse dazu liefern Borggräfe und Schnitzler 2014, S. 445–479.
Neben Ipsen und Gehlen z. B. Hans F. K. Günther, Erich Rothacker, Ernst Krieck, Helmut Schelsky und Hans Freyer.
Gemeinsam mit Harmjanz fungierte Ipsen in den Jahren 1938 und 1939 als Herausgeber der „Zeitschrift für Volkskunde“ (vgl. Heiß 1993, S. 137).
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Pfefferle, R. Steckengebliebene „Wirklichkeitswissenschaft“. Österreich Z Soziol 40, 147–165 (2015). https://doi.org/10.1007/s11614-015-0162-x
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