Zusammenfassung
Spitzensportler mit „Migrationshintergrund“ werden manchmal sowohl zu Rollenmodellen für Immigranten wie auch zu Repräsentanten eines neuen nationalen Wir-Bildes erklärt, das nicht mehr auf dem Ideal einer die Nation konstituierenden „Ethnie“ beruht. Es besteht jedoch Unklarheit darüber, ob das multiethnische Wir-Ideal des Spitzensports auch auf andere Bereiche des Immigrationsdiskurses übertragbar ist. Hier wird argumentiert, dass im Spitzensport Zuwanderer vor allem deshalb als „willkommene“ gelten, weil sie als nützlich für die Erhöhung des Nationalprestiges des eigenen Landes erachtet werden. Das Konzept des „Topos des Nutzens“ soll daher helfen, den Vorgang des Abbaus ethnischer Grenzziehung besser zu verstehen. Diese Studie fußt auf einem inhaltsanalytischen Vergleich zwischen Beiträgen in Internetforen über Spitzensportler mit Migrationshintergrund und über Einwanderer außerhalb des Sportbereichs.
Abstract
Sport-stars of foreign descent are sometimes role-models for integration of immigrants in a wider sense. Those kind of sport-stars are perceived as representatives of a new kind of national we-image that no longer stresses the ideal of a constitutive ethnic group. However, it is not clear, yet, that sport-stars are role-models in this sense, at all. The paper argues that parts of the main population just perceive those athletes as one of them because they are helpful in increasing national pride and prestige. Thus, this paper will discuss the concept of the ‘topos of benefits’ that is related to the process of dismantling ethnic boundaries. The paper is based on an analysis of discourses about immigrants in sport and outside of sport in internet-fora.
Notes
Man könnte damit einen Wandel vom Konzept der „Kulturnation“ im Sinne Friedrich Meineckes zu dem der „Willensnation“ im Sinne Renans verstehen. Diese Begriffe sind allerdings nicht nur normativ stark aufgeladen, sie entsprechen auch nicht den empirischen Realitäten und sind somit analytisch relativ wertlos (vgl. Jansen und Borggräfe 2007, S. 13 f.).
Wir werden weiter unten sehen, dass im Fall der Kronen Zeitung ein derartiger Konsens nur im beschränktem Ausmaß Gültigkeit besitzt. Aber auch ein paar andere Boulevardzeitungen in Westeuropa überschreiten gelegentlich – und sicherlich kalkuliert – die Trennlinie in Richtung rassistischer oder chauvinistischer Berichterstattung. Dennoch muss gesehen werden, dass selbst derartige Zeitungen keinen rassistischen Grundtenor besitzen, wie etwa die hetzerische NS-Wochenzeitung „Der Stürmer“ (1923–1945).
Siehe dazu folgenden Fernsehspot des DFB: Quelle: http://www.youtube.com/watch?v=T3m4c8j780E (zuletzt abgerufen: 21.5.2013).
Im Jahr 2013 forderte der Front National den Ausschluss des Stürmes Karim Benzema, weil dieser die Nationalhymne nicht mitsang; siehe: „Front National: Benzema soll aus Nationalteam raus“ (heute.at, 19.3.2013), http://www.heute.at/sport/fussball/art23663,860618 (zuletzt angerufen: 5. April 2013).
Im Übrigen steht bei Inhaltsanalysen von Zeitungsberichten auch nicht das Sozialprofil der Journalisten im Mittelpunkt, weil richtigerweise hierbei nicht als entscheidend erachtet wird, wer der Sprecher ist (obwohl das interessant sein könnte), sondern was dieser sagt. Anhand dieses Aspekts unterscheidet sich der Zeitungsjournalismus nicht prinzipiell von Internetforen und Internetblogs. Der Unterschied liegt vielmehr in Medium und Genre begründet.
Man muss sich vor Augen halten, dass in der Regel die Anzahl der Postings in Sportforen, vor allem zu Fußballländerspielen, die nicht-sportbezogener Themen übersteigt. Hier wurde allerdings eine sehr hohe Anzahl an Beiträgen zu einem nicht-sportbezogenen Thema festgehalten.
Einzelheiten zum Fall von Arigona Zogaj sind in Wikipedia nachzulesen; siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Arigona_Zogaj.
Alle Forumsbeiträge werden in dieser Arbeit in der Originalfassung wiedergegeben. Die Wortmeldungen werden weder nach orthographischen oder grammatikalischen Fehlern verbessert dargestellt, noch wird die dialektale Alltagssprache durch Schriftdeutsch ersetzt.
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Reicher, D. Abbau ethnischer Grenzen durch Nationensport. Eine Analyse von Internetforen über willkommene und unwillkommene Zuwanderer. Österreich Z Soziol 38, 295–314 (2013). https://doi.org/10.1007/s11614-013-0093-3
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