Zusammenfassung
Online Dating hat sich in den letzten Jahren zu einem der wenigen wirklich lukrativen Sektoren der Internetökonomie entwickelt. Hier wurde ein spezielles Geschäftsmodell entwickelt: Das primäre ,Produkt‘ von Dating-Seiten sind emotionale soziale Beziehungen. Letztlich sind es jedoch die NutzerInnen selbst, die diese emotionalen Beziehungen praktisch herstellen und dabei Emotionsarbeit auf der und für die Plattform leisten. Konsumenten- und Produzentenrolle vermischen sich, die Mitglieder werden zu „Prosumern der Gefühle“, die ökonomischen Mehrwert produzieren und gleichzeitig nicht unbeträchtliche Mitgliedsbeiträge zahlen. Basierend auf empirischer Forschung untersucht der Artikel sowohl grundsätzlich das spannungsreiche Verhältnis zwischen Liebe und Emotionsarbeit als auch das spezifische emotionale Produktionsregime von Dating-Plattformen, die Gefühle nicht nur zu wecken, sondern auch in produktive emotional labor zu transformieren suchen. Online Dating ist damit ein aktuelles und besonders prägnantes Beispiel für die generelle Tendenz des gegenwärtigen Kapitalismus, Gefühle verstärkt zu einer Quelle ökonomischer Wertschöpfung zu machen.
Abstract
In recent years, “online dating” has become one of the few profitable sectors of the digital economy. The business model is quite distinct: The main “product” of dating platforms are emotional relationships. In practice however, those relationships are produced by the actual users and their emotion work on the platform. As a result, the roles of producers and consumers merge. Users of dating platforms are becoming “prosumers of emotions”. With their emotion work they produce surplus value for the platform while they pay considerable monthly fees as consumers.
Based on our own empirical research, we analyze the tensions between love and emotion work in general as well as the specific emotional production regime of dating platforms, which not only tend to spur emotions but also tend to transform them into productive emotional labor. Regarded this way, online dating appears as a current and outstanding example for a general trend in today’s capitalism to intensify the use of emotions as a source of economic value creation.
Notes
Wir danken Kai-Olaf Maiwald, Arlie Hochschild und den weiteren TeilnehmerInnen des Workshops „Bringing the family back in. Towards new concepts for the sociological analysis of family and intimate life“ im November 2011 an der Universität Osnabrück für inspirierende Diskussionen. Den TeilnehmerInnen des Seminars „Médias, communication et culture II: théories critiques“ (Herbstsemester 2009) an der Universität Lausanne danken wir für ihren empirischen Beitrag. Nicht zuletzt danken wir Cornelia Schendzielorz für ihre wertvolle Unterstützung bei der Erstellung und Redaktion dieses Textes.
Zwischen 2003 und 2010 hat sich der Umsatz der Branche in Deutschland mehr als verachtfacht und wird inzwischen auf rund 190 Mio. € jährlich geschätzt (vgl. SBV 2010).
Sie reichen von ca. 30–40 € im Monat bei einem einfachen Kontaktanzeigenportal (bspw. Friendscout24.de, neu.de) bis hin zu rund 60 € Monatsbeitrag bei den sogenannten Online-Partnervermittlungen (Parship.de, Elitepartner.de).
Das Projekt wurde vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert (SNF-Fördernummer 10015-122617/1) und in einer Kooperation zwischen der Universität Lausanne und dem Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main durchgeführt. Die empirische Forschung basiert auf rund 25 narrativen Interviews (Schütze 1983) mit NutzerInnen im Alter von 20 bis 53 Jahren sowie zwei Interviews mit Betreibern von Dating-Plattformen, die im Zeitraum von 2009 bis 2012 in der Schweiz geführt wurden, sowie auf einer ethnografischen Analyse von Struktur und Aufbau dieser Internetseiten (Hine 2000). Mehr Informationen zum Projekt in unserem Forschungsblog unter www.romanticentrepreneur.net.
Hier ergibt sich ein gewisses terminologisches Problem: Für Hochschild (2006) existieren eigentlich keine nicht arbeitsförmigen Emotionen, weil jede Gefühlsregung gesellschaftlichen „feeling rules“ unterworfen ist und man sich zu diesen auf die eine oder andere Weise verhalten muss. Mit einem so allumfassenden Begriff von Emotionsarbeit lassen sich jedoch die hier interessierenden Spannungen zwischen Liebe und Arbeit im Bereich der Gefühle terminologisch schwer fassen. Wir werden im dritten Teil dieses Artikels die ebenfalls von Hochschild getroffene Unterscheidung zwischen „emotion work“ und „emotional labor“ aufgreifen, um in der Analyse genauer zeigen zu können, wo Emotionen in einem engeren ökonomischen Sinne arbeitsförmig werden („emotional labor“). Aber auch diese Unterscheidung ist mit dem Problem belastet, dass der Begriff der Arbeit auf beiden Seiten vorkommt (zudem in der schwer ins Deutsche zu übertragenden Gegenüberstellung „work“ vs. „labor“). Hier wäre eigentlich eine grundbegriffliche Klärung vonnöten, die jedoch den Rahmen dieses Artikels bei Weitem sprengen würde. Daher können wir auf dieses Problem nur hinweisen.
Unsere eigenen Stichproben auf einer großen Schweizerischen Dating-Plattform lassen vermuten, dass die offiziell genannten Mitgliederzahlen sehr hoch angesetzt sind und tatsächlich viele,Karteileichen‘ enthalten, die schon lange nicht mehr auf der Seite aktiv sind. Die Anbieter haben jedoch ganz offensichtlich nur ein geringes Interesse daran, ihre Statistiken zu bereinigen, denn eine hohe Mitgliederzahl hat einen großen symbolischen und monetären Wert für das Marketing.
Ins Deutsche wäre dies wohl am ehesten als „emotionales Handeln“ im privaten Kontext zu übersetzten, denn die Anwendung des Arbeitsbegriffs ist hier, wie oben ausgeführt, schwierig.
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Kai Dröge, M. A., wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bergischen Universität Wuppertal (2000–2002), an der Universität Lausanne (2009–2012) sowie am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main (seit 2002); seit 2008 Dozent an der Hochschule Luzern Wirtschaft. Forschungsschwerpunkte: Soziologie des Ökonomischen, Kultur-, Medien- und Paarsoziologie, soziale Ungleichheit.
Olivier Voirol, Dr., wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Lausanne (1997–2003) und am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main (seit 2006); 2007 Vertretungsprofessur an der EPFL Lausanne; Lecturer (2006–2010) bzw. Senior Lecturer (seit 2010) an der Universität Lausanne. Forschungsschwerpunkte: Soziologie der Kultur und Kommunikation, Kritische Theorie, Internetsoziologie.
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Dröge, K., Voirol, O. Prosumer der Gefühle. Österreich Z Soziol 38, 185–202 (2013). https://doi.org/10.1007/s11614-013-0083-5
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