Digitalisierung hat sich in Organisationen zum Dauerthema entwickelt. Schon mehrfach hat diese Zeitschrift sich mit den Auswirkungen beschäftigt. Das OSC-Heft 4/2022 hat die Auswirkungen der Digitalisierung auf virtuelles Arbeiten und Führung auf Distanz beleuchtet. „Digitalisierung in der Beratung“ lautete der Titel des OSC-Hefts 1/2023. Das aktuelle Themenheft „Digitale Transformation in Organisationen“ nimmt eine breitere organisationale Perspektive ein: Wie transformiert Digitalisierung Organisationen? Wie gestalten Organisationen die damit verbundenen Change-Prozesse? Welche neuen Formen der Kooperation bilden sich dadurch heraus? Wie kann digitale Arbeit gut gestaltet werden?

Digitalisierung ist ein Querschnittsthema, das alle Funktionsbereiche und Prozesse in Organisationen grundsätzlich transformiert – von der Produktion bis zum Controlling, von den Kern- bis zu den Unterstützungsprozessen. Auch das neuerdings People- statt HR- genannte Management und die Beratung sind davon nicht ausgenommen (Strohmeier 2022): Von der Personalauswahl über die Arbeitsgestaltung, die Zusammenarbeit in Organisationen, Führung, Personalentwicklung und -beurteilung bis hin zur Organisationsentwicklung – alle Bereiche sind von der Digitalisierung betroffen.

Organisationen müssen sich mit den technologischen Entwicklungen auseinandersetzen und sich positionieren. Sie sehen sich derzeit vielen Ideen und Initiativen gegenüber, von denen nicht immer absehbar ist, ob sie sich als nützlich herausstellen und einen Mehrwert generieren können. Neuen Möglichkeiten stehen auch Skepsis und Vorbehalte gegenüber. Nicht alles, was (technisch) machbar erscheint, ist auf den zweiten Blick betrachtet sinnvoll – und findet auch nicht immer Akzeptanz. Nicht zuletzt stehen Fragen des Datenschutzes und der Ethik auf der Agenda, die nicht immer angemessen beantwortet werden. Organisationen gehen diese Transformation mehr oder weniger strategisch an: Sie entwickeln Digitalisierungsstrategien, setzen zentrale Stabsstellen oder cross-funktionale Teams ein, die diese umsetzen sollen, und schreiben Stellen wie „Digital Transformation Manager“ oder „Digital Transformation Specialist“ aus, für die ein unternehmerisches Verständnis der Zusammenhänge zwischen Business, IT und Digitalisierung sowie Erfahrung in der Umsetzung von Transformationsprojekten gefordert wird.

Aus wissenschaftlicher Perspektive betrachtet geraten etliche altbekannte, aber auch neue Fragestellungen in den Blick. So ist das Thema einer soziotechnischen Systemgestaltung ein arbeitspsychologischer Klassiker (Latniak et al. 2023). Neue Brisanz erhält diese Perspektive unter dem Stichwort eines Digitalen Taylorismus. Damit wird eine Entwicklung bezeichnet, die mithilfe digitaler Kontrollmechanismen zurück zum Taylorismus will, was auch als Taylorismus 2.0 oder Dataveillance bezeichnet wird (Kirchner et al. 2020; Stampfl 2021). Wie soll die Arbeitswelt der Zukunft aussehen? Wie kann digitale Arbeit so gestaltet werden, dass Gesundheit und Wohlbefinden aufrechterhalten werden (Gajendran und Harrison 2007; Nastjuk et al. 2024)? Wie verändert sich Kooperation, wenn in Teams nicht mehr nur Menschen miteinander, sondern auch mit Robotern und mit KI-basierten Agenten zusammenarbeiten (Kerstan et al. 2023; O’Neill et al. 2022)? Wie kann KI bei Entscheidungsprozessen (von der Reaktorsicherheit bis zur Personalauswahl) sinnvoll eingesetzt werden (Alon-Barkat und Busuioc 2023; Duan et al. 2019; König und Langer 2022; Trunk et al. 2020)?

Spätestens seit der Veröffentlichung von ChatGPT im November 2022 ist die Künstliche Intelligenz aus Unternehmen nicht mehr wegzudenken. Die KI-Ausgaben von Unternehmen haben sich zwischen 2013 und 2022 mehr als verzehnfacht (Maslej et al. 2023). Mit künstlicher Intelligenz betriebene Personalauswahlverfahren, angetreten mit dem Versprechen, den sogenannten Nasenfaktor von Personalverantwortlichen zu kompensieren, d. h. Biases zu reduzieren und eine höhere Objektivität zu erzielen, entpuppen sich jedoch mitunter selbst als diskriminierend (König und Langer 2022). Das People-Management in Unternehmen wird nicht umhinkommen, sich selbst auf Augenhöhe weiterzubilden (Syska 2021). Das Motto „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ wäre sicher kein guter Ratgeber. Dies gilt auch für die Personalentwicklung. Wenn digitale Lernmanagementsysteme in Form der altbekannten „Nürnberger Trichter“ umgesetzt werden, wird das in einer zunehmend komplexer werdenden Welt vermutlich wenig Nutzen stiften. Und welche Rolle soll Künstliche Intelligenz beim Lernen spielen? Muss dann nicht zunächst geklärt werden, was wir unter Intelligenz verstehen wollen? Wir müssen über Klugheit, gar Weisheit und über Kompetenz als Referenzrahmen sprechen (Tillmann et al. 2023).

Medienpsychologische Erkenntnisse über die Gestaltung von Online-Kommunikationsarrangements wurden zu Beginn der Coronapandemie wenig rezipiert. Inzwischen hat sich dies etwas geändert (Kunert 2022). Dennoch hat sich das Wissen um eine förderliche Gestaltung von Online-Kooperation – leider – noch nicht überall in der Praxis genügend herumgesprochen, und die Wahl unterschiedlicher Medien ist oft stärker an persönlichen Präferenzen orientiert als an Anforderungen der jeweiligen Aufgabe und dem sozialen Kontext (Dennis et al. 2008; Handke et al. 2019; Hertel et al. 2008). Nicht zuletzt stellt sich die Frage, inwieweit etablierte Konzepte aus der Change-Literatur, z. B. resistance to change (Oreg et al. 2011) oder Modelle von Change-Phasen, für die digitale Transformation genutzt werden können oder inwiefern z. B. Konzepte aus der Technologieübernahme und -verbreitung (Hanelt et al. 2021) nötig sind, um den Spezifika der digitalen Transformation gerecht zu werden (z. B. automation-augmentation-paradox, Raisch und Krakowski 2021).

Die Palette ist also breit. Wie kann man da den Überblick behalten? Und wo liegt der gute Mittelweg zwischen übertriebener Skepsis und naiver Experimentierfreude? Dieses OSC-Schwerpunktheft versucht in einer Tour d’Horizon zum Thema „Digitale Transformation in Organisationen“ einige Erkenntnisse zum aktuellen Stand und den zukünftigen Herausforderungen zu „heben“. Wir Herausgeber:innen sind sicher, hier einige wichtige Anregungen geben zu können.

Im Beitrag von Ulrich Lenz wird herausgearbeitet, inwiefern generative Künstliche Intelligenz (KI) die Formen der Interaktion in sozialen Systemen verändert. Dazu wird auf die Spezifika des DeepLearning als einer Form des maschinellen Lernens eingegangen. So wird schnell klar: Organisationsberatung muss sich weitgehend neu aufstellen, um eine KI-Einführung wirkungsvoll begleiten zu können. Sie sollte bereits bei der Entwicklung einer Digitalstrategie involviert sein. Und sie muss zudem offen für eine organisationsübergreifende Vernetzung sein. Der Autor entwickelt ein Handlungskonzept für die Organisationsberatung auf der theoretischen Grundlage der Managementkybernetik.

Während die einen die Implementierung künstlicher Intelligenz in die organisationale Wertschöpfung explorieren, fragen sich andere, welche psychosozialen Faktoren bei der Einführung neuer Technologien relevant sind. KI hat das Potenzial, zum sozialen Akteur im organisationalen System zu werden. Daniel Thiemann erkundet, wie Technologieakzeptanz in Change-Prozessen erhöht und Technostress vermieden werden kann, und bietet dafür einen Technostress-Kurzfragebogen zum Selbstcheck an. Sein Rat: Unternehmen sollten frühzeitig Erfahrungsräume schaffen und Mitarbeitende aktiv einbinden. Denn Change-Management bedeutet Kulturveränderung.

Wie solches praktisch umgesetzt werden kann, illustriert der Praxisbericht von Lenka Ďuranová, Frank Schrödel und Marlene Rösner. Er nimmt die Leser:innen mit auf die Reise in die Zukunft der Altenpflege. Können Roboter die Lücke zwischen Fachkräftemangel und Selbstbestimmungswunsch der Bewohner:innen schließen, indem sie die „Oldies“ beim Spaziergang begleiten? Und wie sollte ein solches Konzept designt werden, damit alle Beteiligten zufrieden sind?

Ein weiterer Praxisbeitrag von Thomas Lauer widmet sich dem Thema Führungskräfte-Coaching im Rahmen digitaler Transformationsprozesse. Der Beitrag arbeitet heraus, worin Widerstände seitens der Mitarbeitenden, bisweilen auch des mittleren Managements, begründet sind, und wie personenzentriertes Coaching Führungskräfte dabei unterstützen kann, sich besser auf Digitalisierung einzustellen und die Widerstände bei der eigenen Belegschaft konstruktiv zu überwinden.

Letztlich bleibt anzuerkennen, dass das Zukunftsbild der Digitalisierung von widersprüchlichen Tendenzen geprägt sein dürfte: einer bunten Mischung von Utopie und Dystopie. Klaus Stulle legt mit seinem Diskursbeitrag zur Digitalisierung im Bereich Human Resources die wunden Punkte offen. Sein Fazit: Es droht an verschiedenen Stellen eine gewisse Ernüchterung, dass sich die vorgesehenen Errungenschaften auf absehbare Zeit doch nicht in gewünschtem Ausmaß realisieren lassen.

Außerhalb des Schwerpunkts finden sich weitere lesenswerte Beiträge: Thomas Bachmann und Jochen Berz warten mit einer quantitativen Untersuchung der Persönlichkeit von Coaches nach dem Big-Five-Persönlichkeitsmodell auf. Ihr Fazit: Die untersuchten Coaches sind signifikant extravertierter, verträglicher, gewissenhafter, offener und weniger emotional labil als die Allgemeinbevölkerung.

Louis van Kessel und Sonja Vlaar betrachten die weltweite Entwicklung des Themas Supervision für Coaches. Der Trend ist eindeutig: Von professionellen Coaches wird marktseitig erwartet, dass sie Supervision in Anspruch nehmen. Dies richtet den Blick auf die Politik der Berufsverbände. Welche Kompetenzprofile sollen Coach-Supervisor:innen aufweisen? Wie gestaltet man deren Ausbildung und Zertifizierung? Es wird deutlich, es geht um die Qualitätssicherung des personenbezogenen Dienstleistungsformats Coaching.

In einem weiteren Praxisbericht stellt Stefanie Nüßlein ihr (Selbst‑)Coachingprogramm für Long Covid-Betroffene vor. Es richtet sich speziell an Personen, die unter den anhaltenden Symptomen von Long Covid leiden. Das 8‑Schritte-Programm begleitet Betroffene durch verschiedene Phasen ihrer Erkrankung mit dem übergeordneten Ziel der Förderung des Selbstmanagements.

Schließlich enthält dieses Heft wieder eine Filmanalyse von Beate West-Leuer, die anhand von Chazelles Filmbiographie „Aufbruch zum Mond“ über Neil Armstrong (2018) Merkmale von „Leader in Extremis“ untersucht; angesichts nationaler und internationaler Eskalationen von gewaltsamen und kriegerischen Konflikten reflektiert sie für das Coaching entsprechende interventionstechnische Anpassungen für ein Coaching von Führungskräften in Extremsituationen.

Wir Herausgeber:innen haben selbst mit großer Neugierde die verschiedenen Aspekte unserer Themenrecherche verfolgt. Wir wünschen unseren Leser:innen gleichfalls eine anregende Lektüre!