1 Vorbemerkung

Der vorliegende Text ist der Versuch, meine „Position“ als Supervisor (Coach) hinsichtlich der uns momentan umgreifenden und umtreibenden gesellschaftlichen Diskurse – über Krisen, Konflikte, Identitätspolitiken, Diskriminierung – weiter zu klären. Die „Verschiebung des Sagbaren“ ist zur Chiffre einer gesellschaftlichen Verständigungskrise bzw. eines „kommunikativen Klimawandels“ (Pörksen 2021) geworden. Ich führe hier Überlegungen fort, die ich in einem früheren Text begonnen habe (Busse 2022), und versuche, aus dem Modus des Beschreibens mehr in den eines theoretischen Verstehens zu gelangen. Da es in diesem Text sehr um Positionierungen gehen wird, möchte ich voranstellen, dass ich hier nur eine mögliche Position formuliere.

2 Kommunikative Vernunft als Triangulierungsleistung supervisorischen Handelns

Supervision ist, wie andere Beratungsformate auch, eine Hüterin kommunikativer Vernunft. Eingeschränkte und blockierte Kommunikation sollen wieder in Gang kommen, oder beschädigte Diskurse sollen wieder den Regeln kommunikativer Vernunft folgen. Das bedeutet immer wieder, sich sprachimmanenten Geltungsansprüchen zu „unterwerfen“ und eine Passung zwischen dem Wahrheitsanspruch auf das Gesagte, der Authentizität und Wahrhaftigkeit von Äußerungen und der sozialen Angemessenheit (Richtigkeit) des Sprechens und Ansprechens zu finden (Habermas 1981, S. 34f. und 149). Das ist in den lebens- und arbeitsweltlichen Kontexten eine tägliche Herausforderung. Supervision (auch Coaching) muss sich ihrerseits, wenn sie dem (Wieder‑) Miteinander und auch dem Mit-sich-Reden beratend assistiert, diese kommunikativen Maximen beherzigen. Auch das ist eine Herausforderung, die sich spätestens dann Geltung verschafft, wenn die Berater:in sich fragt: Wie kann ich was wem gegenüber wann sagen oder ansprechen? Jeder beraterische Sprechakt ist auch ein Jonglieren zwischen Wahrheit, Wahrhaftigkeit und Angemessenheit – die Abwägung zwischen dem, was notwendig zu sagen und zugleich zu sagen möglich ist.

Dies bedeutet, die Grenzen des Sagbaren zu verschieben und sie zugleich zu wahren. Dies geschieht aber nicht einfach nur so, sondern immer aus der Position einer hinzukommenden dritten Position (Busse und Tietel 2018; Pühl 2022). Die dritte Position in der Beratung (Supervision) einzunehmen, ist eine Herausforderung an die trianguläre Kompetenz: Allparteilichkeit als ethischer Kodex, die systemtheoretische Maxime (Unterstellung), Beobachter zweiter Ordnung zu sein, und das Selbstverständnis, dass Supervision ein exzentrischer Ort ist, machen den supervisorischen Stuhl für alle Beteiligten erst zu einem sicheren Fluchtpunkt: für die Supervisand:innen, weil sie von dieser distanziert neutralen Position profitieren, für die Supervisor:innen, weil sie von dort aus ohne Handlungsdruck erst freie Sicht und freie Hand haben. Gleichwohl wissen wir, dass die Position der oder des Dritten mitunter kein kommoder Ort, manchmal ein heißer Stuhl unter Beobachtung ist. In zugespitzten Konfliktsituationen, vor allem bei Verletzungen professioneller Standards oder eben kommunikativer Regeln, ist es mitunter schwer, als Dritte/r zwischen zwei Positionen den „Winkel zu halten“ (Bauriedl 1998).

Als Supervisor:innen sind wir kaum in einer komfortablen Beobachterposition, sie ist eigentlich immer in der Spannung von Verwickeltsein, sich verwickeln, sich distanzieren und positionieren. Das ist in der Regel einigermaßen beherrschbar, wenn man auf trianguläre Kompetenzen zurückgreifen kann (vgl. Busse und Tietel 2018, S. 90; vgl. Siller 2022, S. 79). Kommunikative Vernunft (wieder) herzustellen, ist eine Triangulierungsleistung supervisorischen Handelns und damit der Normalfall von Supervision. Was geschieht aber, und das ist die zentrale Frage dieses Textes, wenn Supervision zunehmend in einem gesellschaftlichen Kontext diverser Krisen- und Konfliktdiskurse und hochdifferenzierter Identitäts- und Antidiskriminierungsdiskurse eingebettet ist, in denen zunehmend auch Standards kommunikativer Vernunft unterschritten werden (Brinkmann 2022; Busse 2022)? Wie werden hier, in der professionellen Beratung, Interaktion und Kontext miteinander vermittelt (Busse und Lohse 2024), welchen Einfluss haben sie auf den supervisorischen Binnenraum, wie werden sie dort verhandelt? Diesen Fragen soll im Weiteren vor allem unter einer triadentheoretischen Perspektive nachgegangen werden. Dazu macht es Sinn, die fraglichen politischen Diskurse in ihrer triadischen Struktur ansatzweise zu rekonstruieren.

3 Die triadische Ordnung der Diskurse

Blickt man auf die politischen Diskurse selbst (Busse 2022), dann fällt auf, dass sich in ihnen nicht nur eine Erosion der kommunikativen Vernunft ausbreitet, weil kommunikative Standards von Verständigung verletzt oder offen in Frage gestellt werden. Sie sind zudem durch eine eigenartige Dynamik um Positionierungen zwischen den Beteiligten gekennzeichnet. Vor allem in den Krisen- und Konfliktdiskursen – in den Diskursen über diese Krisen (Corona, Energie, Klima etc.) und Konflikte (Ukraine und Nahost) – hat sich eine kommunikative Struktur entwickelt, die durch Polarisierung bestimmt ist, in dem die Beteiligten über- und nicht miteinander reden, sondern mit ihrer jeweiligen Konstruktion des anderen als kommunikativem Gegenüber (manchmal als Popanz). Die Kontrahent:innen verbindet nicht das Ringen um die Sache, was immer auch das Ringen um eine Beziehung ist, sondern die reziproke Abwertung und Denunziation.

Das ist mehrfach als Reden in Filterblasen, Katakomben und Echokammern beschrieben worden: „Die Grenzen des Sagbaren verschieben sich, das ist die Folge, in Richtung einer Normalisierung des Extrems, einfach weil man im eigenen Selbstbestätigungsmilieu so viel Zuspruch und Sympathie erfährt und dann zu dem Irrglauben gelangt: Es ist schon in Ordnung, was da so gepostet und publiziert wird“ (Pörksen 2021, S. 20). Hier zerfällt ein konstitutives Moment kommunikativer Ordnung und Vernunft, dass Miteinander-Reden eigentlich immer eine Dialektik vom „Dritten in der Gemeinschaft“ und der „Gemeinschaft im Dritten“ in einem triangulären Raum darstellt (Benjamin 2006, S. 85).Footnote 1 D. h., Resonanz und Empathie kreisen immer um ein Drittes, um eine klärungsbedürftige Sache. Im schwierigen Ringen des Miteinander-Verstehen-Wollens müssen Selbst‑, Fremd- und Sachbezug immer wieder trianguliert (ausbalanciert) werden.

Mit Blick auf die identitätspolitischen und Antidiskriminierungsdiskurse ist nicht nur der Bezug von zwei Positionen auf ein Drittes zu beobachten, sondern eine triadische Dynamik zwischen drei Positionen: die Position der Verursacher:in einer tatsächlichen oder vermeintlichen Diskriminierung (durch eine sexistische, rassistische oder antisemitische etc. Äußerung), die Position der Adressat:innen oder Betroffenen einer Verletzung und schließlich der Position der Beobachter:in oder Zeug:in einer diskriminierenden Äußerung. Sowohl in den öffentlichen Diskursen als auch in den alltäglichen Kommunikationssituationen können wir prinzipiell in alle drei Positionen geraten, sie auch bewusst einnehmen oder durch andere zugewiesen bekommen.

Diese grundlegend triadische kommunikative Ordnung ist etwas vereinfacht, aber umso plastischer, anhand des Erzählens eines „schlechten“ bzw. diskriminierenden Witzes beschreibbar. Witze zu erzählen und erzählt zu bekommen, ist eine eigene kommunikative Gattung, die darauf angelegt ist, Gemeinschaft, Entlastung und auch Distanzierung Dritten gegenüber herzustellen. Diskriminierende Witze gehen eindeutig zu Lasten Dritter (in der Regel Minderheiten), über die sich erhoben wird (Sikorska-Bujnowicz 2014). Das Erzählen eines frauen-, juden-, queer-, migranten- oder behindertenfeindlichen Witzes markiert einen Unterschied (einfache Diskriminierung), der einen herabsetzenden Unterschied (abwertende Diskriminierung) zwischen Erzähler:in und einer Referenzgruppe (den Frauen, den Juden, den Schwulen, den Migranten, Menschen mit Behinderung etc. gegenüber) macht. Deswegen ist er ein schlechter Witz und nicht, weil er schlecht erzählt wird.

Die Diskriminierung betrifft in der Regel eine oder einen nicht anwesende/n Dritte/n. In der Pointe kulminiert deren Verletzung. Unmittelbar herausfordernd ist jedoch die Position der Adressat:innen des Witzes, denen ja schließlich eine Narration der Abwertung mit der Intention offeriert wird, eine inszenierte Spannung lustvoll (schadenfroh) in einem gemeinsamen „solidarischen“ Lachen oder Gelächter aufzulösen. Auf dieser Position liegt die Erwartung (der Zwang) des Lachens. Es ist aber zugleich die Position der Beobachtung und Bezeugung einer Diskriminierung bzw. Verletzung, die als dritte Position zwischen die Verursacher:in und die Betroffenen gerät. Es entsteht ein triadisches Dilemma, eine triadische Spannung, und es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, darauf zu reagieren: Man lacht (mit) und folgt der Intention der Erzähler:in, koaliert also mit ihr und teilt deren Weltsicht. (Nicht zu lachen oder ein Lachen nur vorzutäuschen, würde bedeuten, dass man die Diskriminierung, also den Witz, eigentlich nicht verstanden hat.) Oder: Man begibt sich in einen faulen Kompromiss zwischen Halbzustimmung und Halbdistanzierung, indem man den Witz statt mit einem herzhaften „Ha-ha-ha“ mit einem verstohlenem „Ho-Ho-Ho“ goutiert. Man scheut sowohl die Offenlegung der eigenen Distanzierung und Ambivalenz als auch die Bloßstellung der Erzähler:in, weil man nicht in den Konflikt gehen will. Schließlich kann man das Mit-Lachen auch ganz verweigern und die Situation übergehen, weil einem der Witz „zu blöd“ ist. Man kann aber auch den mehr oder weniger großen Eklat wagen und die eigenen Gründe für die Weigerung offenbaren. Vielleicht entsteht ein klärendes Gespräch.

Die Situation ist freilich noch um einiges komplexer, da die Erzählsituation in einem von machtvollen Differenzverhältnissen durchzogenen Raum präsentiert wird. Je nachdem, ob die Adressat:in der Erzählung ein weißer Cis-Man, eine schwarze Frau, ein queerer Jude etc. ist, wird ihr/sein Lachen oder Nicht-Lachen einen anderen Hall erzeugen. Eine gänzlich andere Situation entsteht, wenn die Position der Sprecher:in (der Erzähler:in) und die Betroffenenperspektive zusammenfallen. Das wäre der Unterschied zwischen einem jüdischen und judenfeindlichen Witz. Dann erfährt der Raum eine Brechung, und die Erzählung ist etwa als selbstironische Distanzierung oder als Aneignungsstrategie von Betroffenen erkennbar, die Machtimbalance von Alltagsdiskriminierung in Form des Witzes zu neutralisieren oder ein stückweit zu verschieben. Hier bestünde immer noch die Frage, ob man (mit)lacht, aber die Auflösung der triadischen Spannung liegt dann in der Autonomie der Erzähler:in.

Das Erzählen eines minderheitenfeindlichen (diskriminierenden) Witzes ist nicht nur Teil des Alltagsrassismus, sondern auch Gegenstand der übergreifenden Antidiskriminierungsdiskurse geworden – weil die Frage breiter diskutiert wird, wer worüber von welcher Sprecherposition aus welche Witze machen darf, wo die Grenzen des Sagbaren im Rahmen der öffentlichen und medial vermittelten Satire und des Humors verlaufen und wo die Grenzen etwa der Kunstfreiheit liegen. Die Aussage, Satire dürfe alles, bezieht sich gern auf ein Zitat von Kurt Tucholsky, markiert aber vor allem die Grenze zwischen Meinungs- bzw. Kunstfreiheit auf der einen und der Unantastbarkeit der Würde des Menschen (Paragraf 1 und 2 des Grundgesetzes) auf der anderen Seite.

4 Positionieren und Positionierungserwartungen

Die eben skizzierte triadische Struktur und Spannung liegt aber auch jenseits des Humors (Witzes) den Krisen‑, Konflikt- und Antidiskriminierungsdiskursen zugrunde und wird dort reproduziert. Hier lassen sich zirkulär verstärkende Dynamiken beobachten, die an das transaktionsanalytische Dramadreieck zwischen „Verfolger“, „Retter“ und „Opfer“ erinnern (Schlegel 2022, S. 46). Freilich geht es hier nicht primär um die Zuschreibung von Rollen und schon gar nicht um deren manipulative Einnahme. Gerade in den globalen Konflikten (Ukraine und Nahost), auch in den Diskriminierungsdiskursen (Rassismus) geht es um reale Täter:innen, Opfer, Kontrahent:innen und auch Unterstützer:innen.Footnote 2 Dennoch kann man beobachten, dass und wie sich in der kommunikativen Verhandlung dieser Krisen und Konflikte zwischen den „echten“ Beteiligten solche Dynamiken einstellen und die Verständigung darüber einschränken und verunmöglichen.

Hier steht vor allem die Position der oder des Dritten, der Beobachter:in oder Zeug:in unter Beobachtung bzw. unter einer Positionierungserwartung: Wie wird er oder sie sich positionieren? Als aktive und passive Teilnehmer:innen in den öffentlichen und nichtöffentlichen Diskursen dürften wir vor allem in dieser Position sein, da wir in der Regel weder direkt Betroffene (Opfer) noch Täter- oder Verursacher:innen sind. Sicherlich darf, kann und muss man davon ausgehen, dass die Einnahme einer Position zunächst einmal auf eine Haltung, auf eine innere Position fällt, sodass eine Positionierung sichtbar und autonom vollzogen wird und werden kann. Sie ist eine innere Notwendigkeit und führt zu aufrichtiger Empörung, zu bewusster Parteinahme oder auch Distanzierung. Sie ist immer mit einem doppelten Risiko verbunden – zum einen mit dem Risiko des Irrtums, da man sie gegebenenfalls auch korrigieren muss, weil sie sich im Nachhinein als falsch oder unhaltbar herausstellt, und zum anderen mit dem Risiko einer sekundären Verletzung. Die eigene Positionierung wird unter öffentlicher Beobachtung (lacht er oder sie mit?) vollzogen und kann eine Positionierungserwartung enttäuschen. Sich wiederum zu dieser Positionierungserwartung zu verhalten (zu positionieren), bedeutet, sich in einem Raum zwischen Positionierungsreflex, Positionierungsverweigerung und Ambivalenzerstarrung zu bewegen.

So wird man sich gewiss vorbehaltlos auf die Seite der „Opfer“ bzw. „Betroffenen“ stellen, wenn die Sache klar ist. Aber häufig ist sie das nicht. Das zeigt sich am Fall des Musikers Gil Opharim, der von Leipzig aus eine mediale und auch lokale Solidarisierungs- und Entrüstungswelle wegen einer, wie sich dann herausstellte, vermeintlich antisemitischen Diskriminierung seiner Person als Jude ausgelöst hatte.Footnote 3 Die vielen Mitbürger:innen, Aktivist:innen, lokalen und bundesweiten Repräsentanten aus Politik und Kultur, die sich hier (bewusst und spontan) positioniert haben, konnten sich gewiss gar nicht vorstellen, dass der Vertreter einer Opfergruppe antisemitischer Ressentiments (jüdische Menschen) diese aus narzisstischen Gründen instrumentalisiert. Andere, die dieser spontanen Positionierung nicht folgten, weil sie zunächst dem potenziellen Täter gegenüber die Unschuldsvermutung zur Geltung bringen wollten, sahen sich mit der Unterstellung des Gemeinmachens mit dem Täter und eigener antisemitischer Ressentiments konfrontiert. Der rettende Dritte war in diesem Fall der Rechtsstaat, der für Auf-Klärung und auch etwas Befriedung gesorgt hat.

Bei aller Nachvollziehbarkeit einer spontanen und reflexhaften Positionierung gehorcht diese oft einer Logik der Risikovermeidung – nämlich das Risiko der zu späten, der Nicht- oder nur halbherzigen Positionierung zu vermeiden. Das geschieht aber nicht allein mit Bezug auf das Opfer, sondern mit Blick auf die Sanktionsmacht einer beobachtenden Öffentlichkeit. So hat man manchmal den Eindruck eines Überbietungswettbewerbs der schnellen Positionseinnahme. Ein Zeichen zu setzen, ist wichtig, aber ein Zeichen zu setzen, um ein Zeichen zu setzen, unterminiert diese Geste. Sie kann jedoch auch Quelle eines Eifers sein, der die Gelegenheit zur Positionierung nutzt, um den Schatten einer empfundenen Scham oder Schuld (z. B. als Deutscher) zu tilgen, was die Opfer aber instrumentalisiert.

Schließlich kann man eine Positionierung verweigern, um nicht anfechtbar zu sein, was gegebenenfalls denjenigen die notwendige Solidarisierung vorenthält, die sie benötigen, oder was als Gemeinmachen mit der Täter- oder Versursacher:innenseite „miss“-verstanden werden kann.

Die dritte Position des Beobachtens ist nicht zuletzt auch eine des Innehaltens, des Abwägens oder der Ambivalenzverarbeitung. Mit Bezug auf den aktuellen Nahostkonflikt bekommt man dies plastisch vor Augen geführt. Zunächst gab es in großen Teilen der westlichen Welt eine spontane Solidarisierung mit Israel (mit den Menschen und auch mit dem Staat), die sichtbar und eindeutig den Opfern des Massakers der Hamas gegolten hat. Dem, der blutet, muss zuerst geholfen werden! Schnell entstand daraus eine Situation des Entweder-Oder, als könne man eine einmal eingenommene Position nicht differenzieren und gegebenenfalls räumen, sondern müsse in ihr verharren. Die vorbehaltlose Solidarität mit Israel kann blind für das Leid der Palästinenser:innen machen, und die einmal eingenommene Pro-Palästina-Haltung kann empathielos den jüdischen Vernichtungsängsten gegenüber machen. Isolde Charim kommentiert das mit den Worten: „Jene, die bisher die Komplexität der Situation im Blick hatten. Die dem Existenzrecht Israels genauso gerecht werden wollten wie der Situation der Palästinenser. Jene sehen sich mit dem konfrontiert, was eine terroristische Logik ist: eine Logik der Einseitigkeit, der Nichtambivalenz, der parteiischen Eindeutigkeit. Ein Entweder-oder. Ohne Bedenken, ohne Mehrdeutigkeiten. Entweder-oder. Dafür oder dagegen. Eine Logik, die heute die Diskussionen beherrscht. Weltweit. Bis in die kleinsten Fugen der sozialen Netzwerke“ (Charim 2023). Hier liegt die Erwartung auf einer ambivalenztilgenden wie -leugnenden (Selbst‑)Vereindeutigung und deren öffentlicher Kundgabe („Sag mir, wo du stehst“Footnote 4), die gerade nicht das Ergebnis rationaler wie emotionaler Klärung ist, sondern die eines Bekenntnisregimes. Doch auch das Verharren in der Ambivalenz als eine Art Ambivalenzerstarrung folgt dieser Logik. Ja keinen Irrtum begehen, sich nicht aus der Deckung wagen, sich nicht zur Unzeit positionieren, keine Verletzung erzeugen, kann verletzend sein, wie der jüdische Pianist Igor Levit seinen Zustand der Einsamkeit durch die nicht erfahrene Solidarisierung von Teilen der deutschen Kulturelite beschrieb.Footnote 5

So oder so ist die Position des Dritten eben nicht nur die einer Beobachtung, sondern mehr die einer teilnehmenden und sogar teilhabenden Beobachtung, die sich der triadischen Dynamik ausgesetzt sieht. Gerade als Zuschauer:innen oder als Publikum ist die dritte Position ein konstitutives Moment von Diskursen und ihrer medialen Inszenierung. Ohne diese Position würden manche Diskurse in sich zusammenfallen. Sie ist aber auch wichtig für die Chancen, die durch diese dritte Position gegeben sind, weil sie das, was den Kontrahent:innen in ihrer destruktiven Polarität (gerade) nicht zur Verfügung steht, beherbergen und verfügen kann, sie birgt Triangulierungschancen. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist meines Erachtens die Autonomie einer Positionseinnahme als die zentralste Bedingung demokratisch gerahmter Diskurse. So gesehen – man kann dies auch anders sehen – ist es eine gute Entscheidung, dass der jetzige Berliner Kultursenator Joe Chialo aus rechtlichen Gründen die anvisierte Antidiskriminierungsklausel zurückgezogen hat, die Kulturschaffenden ein Bekenntnis gegen Antisemitismus und weitere Formen der Diskriminierung abfordern sollte, wenn sie Förderanträge beim Berliner Senat stellen. Diese Verschiebung des Sagbaren wäre hier eher ein Deal als eine Positionierung gewesen, die ethisch begründet und autonom vollzogen wird. „Ethik setzt Freiheit voraus, muss sie voraussetzen. Wie könnte man sonst, ohne Alternative und ohne Wahlmöglichkeit, anders, vielleicht freundlicher, gelassener oder großzügiger reden oder handeln?“ (Pörksen 2021, S. 11).

Etwas anderes ist es, wenn Kulturschaffende sich öffentlich gegen Antisemitismus bekennen. Mit der Zurücknahme der Klausel hat man das Problem nicht gelöst, dass jemand, um in unserem Bild von oben zu bleiben, einen antisemitischen Witz erzählt. Darüber muss man nicht lachen, man kann dagegen aber Position beziehen.

5 Die wechselnden Positionen in der Supervision

Wie eingangs skizziert, folgt Beratung (Supervision) einer triadischen Ordnung, in der die Berater:in eine dritte Position einnimmt. Nachdem die triadische Ordnung der aktuellen Diskurse skizziert wurde, kann die oben gestellte Frage, ob und wie sich die Verschiebung des Sagbaren in Beratungssettings der Supervision spiegelt, noch einmal anders gestellt werden: Was bedeutet die triadische Logik und Dynamik der Diskurse für die trianguläre Herausforderung in der Supervision, insbesondere für die Einnahme, das Halten oder auch das Verlassen der dritten Position? Wenn Triangulierung bedeutet, in eine Spannung von Verwickeltsein, sich verwickeln, sich distanzieren und positionieren zu gehen, dann ist die Frage, ob und wie die triadische Ordnung der Diskurse jene in der Supervision tangiert. Kurz: Was bedeutet eine mögliche Positionierung der Supervisor:in im diskursiven Raum für ihre triangulierende Aufgabe?

Es gibt meines Wissens keine systematischen Untersuchungen darüber, in welcher Intensität die Diskurse in der Supervision, im Fallmaterial oder in der Kommunikation der Beteiligten überhaupt auftauchen. Fragt man Supervisionskolleg:innen (wie unlängst in einer Gruppe von Lehrsupervisor:innen unsystematisch geschehen), dann stößt man auf verhaltene Nachdenklichkeit und die bekundete Wahrnehmung, dass die Diskurse eher selten zum Thema in den Supervisionen würden. Wenn sie jedoch zum Thema werden, sozusagen auftauchen, dann löst das Irritation, Verunsicherung aus und wird als eine besondere Herausforderung für das supervisorische Handeln erlebt. Was kann und soll man ansprechen?

Im Weiteren werde ich versuchen, Szenarien auf unterschiedlichen Ebenen zu skizzieren, in denen die Verschiebung des Sagbaren die triadische Struktur und Dynamik in der Supervision tangiert und verändert. Dabei beschränke ich mich auf die Verschiebung des Sagbaren, soweit sie im Rahmen der Antidiskriminierungsdiskurse thematisiert worden ist. Dabei lassen sich fünf unterschiedliche Ebenen unterscheiden, auf denen die dritte Position der Supervisor:in in unterschiedlicher Weise involviert und gefordert wird. Das erweitert die Unterscheidung von zwei Diskriminierungsebenen, wie sie Loreen Hennemann (2024) bereits für ein diskriminierungssensibles Coaching vorgenommen hat.

5.1 Diskriminierungen im präsentierten Fall

In einer Fallsupervision wird durch eine Sozialarbeiterin (Familienhelferin) eine Fallgeschichte präsentiertFootnote 6. Die Versorgungs- und Erziehungssituation in einer Familie sei für die beiden Kinder (vierjähriger Junge und ein siebenjähriges Mädchen) prekär. Die deutsche Mutter und der syrische Vater, der Fluchtmigrant ist, hätten eine angespannte Beziehung, die immer auch mal von verbaler und tätlicher Gewalt des Partners seiner Partnerin gegenüber bestimmt sei. Zudem hätten beide sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber, was für die Kinder gut sei, der Vater würde eindeutig den Sohn vorziehen, die Tochter spiele eine untergeordnete Rolle. Sich mit dem Vater zu verständigen, sei für die Sozialarbeiterin schwierig, da dieser immer noch schlecht deutsch spreche. Die Sozialarbeiterin bringt den Fall ein, weil sie das Gefühl habe, gleich zwischen mehreren als nur zwei Stühlen zu sitzen, und nicht genau wisse, wo sie ansetzen solle und was sie wie ansprechen kann.

In der Supervision wird dann dieses „Gleichzeitig-zwischen-den-verschiedenen-Stühlen-Sitzen“ zum Ausgangspunkt der Reflexion. Es ist eine Herausforderung für die Sozialarbeiterin, die Position der Dritten einzunehmen, da dieser Fall, wie sie sagt, anders sei als „in normalen“ Fällen der Erziehungs- und Familienhilfe. Um ihre Irritation aufzunehmen, was hier „normal“ und was „abweichend“ ist, werden die unterschiedlichen Positionen, die die Klient:innen einnehmen – die Klientin als Mutter, Partnerin, Frau und Deutsche und der Klient als Vater, Partner, Mann und Fluchtmigrant – in Beziehung zur Position der Sozialarbeiterin gesetzt. Ihre Position den Klient:innen gegenüber verschiebt sich in Abhängigkeit davon, in welcher Position sie diese jeweils sieht und anspricht – aus der spezifischen Rolle der professionellen Familienhelferin, aus der allgemeinen Rolle der Professionellen gegenüber männlich ausgeübter Gewalt, aus der Position als Frau und auch als Vertreterin der deutschen Mehrheitsgesellschaft. In Abhängigkeit von diesen Positionierungen wechselt nicht nur die Wahrnehmung der lebensweltlichen Probleme der Klient:innen. Es schwinden auch die wahrgenommenen (gespürten) eigenen Empathiemöglichkeiten, die hier je nach Perspektive auch in Widerstreit geraten. Ihr eigener Affekt der männlichen Präsenz und patriarchalen Selbstinszenierung des Klienten gegenüber und ein empfundenes Tabu, dies alles nicht ansprechen zu dürfen, stehen dem Sagbaren im Wege.

Erst die reflexive Thematisierung der potenziell traumatischen Flucht- und schamhaften Entmächtigungserfahrungen, einer Sprache nicht mächtig zu sein und die eigene irgendwie verloren zu haben (Gröning 2020), aber auch das Wissen als Professionelle, eine mächtige institutionelle Akteurin der Mehrheitsgesellschaft zu sein, machte es der Supervisandin möglich, die eigene Positionierung der Empörung und spontanen Solidarisierung (ihren Positionierungsreflex) nicht zu leugnen, sondern kontrolliert im Blick zu haben. Das hieß nicht, nunmehr ein vermeintliches Tabu aufzuheben, sondern in eine empathischere Beziehung zum Klienten zu gehen. Erst dadurch war es auch möglich, aus der Rolle der Professionellen heraus eine klarere Ansprache der Erziehungs- und Versorgungsproblematik und der offenen oder latenten Diskriminierungsproblematik der Eltern- und Paarbeziehung zu finden. In der Hilfebeziehung als triadischem Raum ging es für die Supervisandin (Familienhelferin) darum, als teilnehmende Beobachterin die dritte Position einzunehmen, aus der heraus sie nicht nur die Beziehung zwischen den Klient:innen (Kinder, Mutter, Vater, Frau und Mann), sondern auch ihre eigene Beziehung zu diesen triangulieren konnte.

Die Supervisorin ist hier zunächst einmal die Adressatin einer Geschichte und damit die Beobachterin eines geschilderten Geschehens aus zweiter Hand gewesen. Real musste sie jedoch den Raum für die Positionierung der Supervisorin im Fall öffnen und gestalten, d. h. auch stellvertretend (mental wie emotional) die Positionen in der kommunikativen Triade im Helfersystem einnehmen. Das bedeutete auch für die Supervisorin, die Position einer bloßen Beobachtung zugunsten einer teilnehmenden Beobachtung zu verschieben.

5.2 Diskriminierung im Arbeitsbündnis zwischen Professionellen und Klient:innen

Wir müssten zur Illustration dieser Ebene eigentlich kein weiteres Beispiel anführen, sondern könnten uns gut vorstellen, dass die Sozialarbeiter:in in eine weitere schwierige Kommunikationssituation gerät, wenn der Klient in seiner Rolle als Mann der jungen Sozialarbeiterin (als junger deutscher Frau) ganz offen Ablehnung und Zurückweisung entgegenbringt und sie deswegen in ihrer professionellen Rolle nicht ernst nimmt. Damit käme die Sozialarbeiter:in selbst in die Position einer potenziell von Diskriminierung Betroffenen.

Explizit ist das in einem anderen Fall geschehen (vgl. Busse 2022). Eine angehende Sozialarbeiterin (Studierende) betreut „unbegleitete minderjährige Ausländer:innen“ (sog. umA) bzw. „minderjährige Flüchtlinge“ (sog. umF) in einer Wohngruppe. Sie bringt in die Gruppensupervision ein, dass sich zwischen verschiedenen Jugendlichen, die unterschiedlichen ethnischen Gruppen angehören, rassistisch motivierte Auseinandersetzungen zutrügen. Besonders A. stünde hier isoliert im Mittelpunkt gewalttätiger Handlungen und würde gemobbt. Gewalt ginge aber auch massiv von ihm aus, vor allem gegen die Betreuerinnen. Deswegen sei das für ihn schon die dritte Einrichtung. A. selbst war in seinem Heimatland als Selbstmordattentäter vorbereitet worden, das war sein primärer Fluchtgrund. Jetzt ist ein Asylantrag gestellt.

Die Sozialarbeiterin versuchte, zu vermitteln und empathisch auf die unterschiedlich traumatisierten Jugendlichen einzugehen. Das sei schwierig, weil die ausnahmslos männlichen Jugendlichen die weiblichen Mitarbeiter:innen, je nach Situation, machohaft auflaufen lassen und „anmachen“ und sich gegen die Sozialarbeiterinnen sogar solidarisieren, dann diese wieder als schützenden Anker aufsuchen. Der Dolmetscher, der einzige Mann im Team, müsse dann vermitteln. Ihre Befürchtung ist, wenn sie sich gegen die sexistische Anmache wehre, würde sie vielleicht rassistisch agieren. Und auch das Ansprechen der rassistisch motivierten Dynamik zwischen den jungen Männern unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeit könnte rassistisch wahrgenommen werden. Das erlebt sie als einen starken inneren Konflikt, weil sie sich gerade dieses sozialarbeiterische Handlungsfeld von Flucht und Migration aus innerer Überzeugung und Haltung gewählt habe. Sie weiß theoretisch um die Komplexität der sozialpädagogischen Arbeit mit der Zielgruppe der Fluchtmigrant:innen (Kolbe und Baatz-Kolbe 2021). Die Anwesenden versuchen zunächst, die Zweifel der Falleinbringerin zu zerstreuen. Es regt sich auch Wut über die Undankbarkeit der Jugendlichen bei den Anwesenden und führt in der Supervisionsgruppe zu sehr unterschiedlichen Positionierungen.

Für die Supervisorin und auch für die Gruppe der Supervisand:innen ist es eine Herausforderung gewesen, nach und nach den Komplex aus traumatischen Gewalterfahrungen und aktueller Gewalt, von Sexismus und Rassismus zu sortieren und verstehbar zu machen, wie alle Beteiligten auch in einem „weißen Raum“ agieren, der zudem von Koordinaten zwischen den Geschlechtern durchzogen ist und in dem institutionelle Macht und Abhängigkeit positioniert sind. Die spontanen und empörten Reaktionen aus der Gruppe, der Falleinbringerin beizustehen (Positionierungsreflex), und eine gewisse Ambivalenzerstarrung, in die die Falleinbringerin zwischenzeitlich geraten war, konnten ein stückweit relativiert und aufgelöst werden. Dadurch wurde einiges klarer und benennbarer (sagbarer), wenn auch zunächst keinem in der Runde eine alles klärende Handlungsalternative eingefallen war.

Auch auf dieser Ebene ist die Supervisorin zunächst nur die Adressatin einer Geschichte, die die Erzählerin (Falleinbringerin) aus der Position einer Betroffenen präsentiert. Supervisorisch geht es darum, dies zu würdigen und sie dabei zu unterstützen, die hilfreiche Position einer teilnehmenden Beobachterin wieder einzunehmen. Für die Supervisandin war es offenbar vor allem hilfreich, dass sie durch die Supervisorin (die Supervision) darin unterstützt wurde, sich wieder in die Position der Dritten, von einer nur teilnehmenden Beobachtung in eine beobachtende Teilnahme zu begeben. Aus der Perspektive der Supervisorin war die Arbeit deswegen herausfordernd, weil das, was zunächst wie reine Gruppendynamik aussah, sich als ein Raum entpuppte, in dem sich unterschiedliche Diskriminierungsformen und -fronten überschnitten und spiegelten. Die Kenntnis der Diskurse und ihrer Logik hat sie ihre triangulierende Position gut einnehmen und halten lassen.

5.3 Diskriminierung in den Arbeitsbeziehungen

Was in der eben skizzierten Fallbearbeitung bereits aufscheint, ist die Frage, wie in einem Team von Professionellen Momente der übergreifenden Krisen‑, Konflikt- oder Antidiskrimmierungsdiskurse selbst zum Thema der Teaminteraktion und -kommunikation werden können. Das kann direkt aus der Fallarbeit in das Team hineingespielt oder in den Teambeziehungen als unterschiedliche Positionierungen verhandelt werden. So entsteht die Frage: Wie können und müssen hier Positionierungen sichtbar gemacht und durch die Supervision aufgegriffen werden?

Einen solchen Fall beschreibt Doris Gruber in einer Unterbringungseinrichtung mit geflüchteten Menschen (Gruber 2024, in diesem Heft). Hier ist Rassismus bzw. der Bedarf, sich darüber zu verständigen, ein Teil der Arbeitsgrundlage in diesem Feld Sozialer Arbeit. Im Zuge dessen taucht aber auch im Team die selbstthematisierende Frage auf: „Haben wir selbst ein Rassismusproblem?“ In dem von Gruber beschriebenen Fall verbleibt die Kommunikation (auch aus nachvollziehbaren supervisorischen Gründen) im Rahmen „maskierter Dialoge“, die das zu Sagende (zunächst) ausschließen und weder Positionierungen dazu ermöglichen noch erzwingen. Die Reflexion darüber, wer hier mögliche/r Adressat:in (Betroffene/r) oder Verursacher:in rassistischer Diskriminierung ist, scheint der Supervisorin wie dem Team in der Situation (noch) nicht möglich zu sein. Das Thema verbleibt in der Latenz. Dies ist die Verschiebung einer Verschiebung des Sagbaren. Es steht eine Positionierungserwartung im Raum, der man sich kollektiv (noch) entzieht. Die Supervisorin ist hier nicht Adressatin einer Geschichte, sondern selbst teilnehmende (und vermittelnde) Beobachterin einer möglichen Aushandlung zwischen den Positionen der Verursacher:innen und Betroffenen einer potenziellen Diskriminierung im Team. Sie könnte dieses darin unterstützen, dies selbst aus der Position einer teilnehmenden (Selbst‑) Beobachtung zu tun. Da eine rassismuskritische Haltung für das Team ein zentrales Moment ihrer professionellen DNA ist, macht das die Verschiebung des Sagbaren einerseits ansprechbarer, aber auch heikler, weil es beschämender und konfliktinduzierender ist. Die Supervisorin müsste dazu einen triadischen Raum erzeugen, in welchem sich die Teammitglieder als potenzielle Verursacher:innen und Betroffene geschützt begegnen können. Die Beteiligten scheinen aber in einem Zustand zwischen Positionierungsverweigerung und Ambivalenzerstarrung befangen zu sein. Um diesen aufzulösen, bräuchte es auch auf Seiten der Supervisorin das Zutrauen, die eigene dritte Position in ihrem inneren triadischen Raum wie auch sichtbar zwischen den Supervisand:innen einnehmen und halten zu können.

5.4 Diskriminierung in der Supervision

Die Supervisor:in wird Zeug:in einer offen vollzogenen Diskriminierung. Ein Supervisions‑/Coachingauftrag mit einer Führungskraft wird damit begründet, dass es im Team Beschwerden über die sexistische Sprechweise der Führungskraft gegeben habeFootnote 7. Die Organisation bezieht hier also eindeutig Position, weil dies ein Verstoß gegen ihr Leitbild ist. Diese Positionierung wird per Auftrag an den Coach übertragen, ohne dass er selbst Beobachter oder Zeuge einer Diskriminierung ist, der Verursacher (Täter) ist offenbar der Coachee, die Betroffenen (Opfer) sind die anonymen Teammitglieder (Mitarbeitenden).

So hat der Coach zunächst keine Anhalte bzw. Beispiele dafür, die er mit dem Coachee besprechen könnte (es gibt kein Fallmaterial), und die Mitarbeitenden sind sozusagen die nicht anwesenden Betroffenen. Der Coach versucht immer wieder, sie virtuell in den Raum zu holen. Wer ihn kenne, wisse, so der Coachee, dass er manchmal etwas grob in seinen Formulierungen sei. Es wäre aber niemals böse und schon gar nicht sexistisch gemeint. Inzwischen sei alles geklärt. Dass gut gemeint nicht unbedingt gut gemacht sei, leuchtet dem Coachee in seiner Allgemeinheit ein, hinter der er sich auch gut verstecken kann. Das Coaching dreht sich im Kreis, bis der Coachee, der sich gerne lobend über sein Team äußert, freimütig den „jüdischen Eifer“ seiner „Mädels“ hervorhebt. Endlich! Denkt der Coach. Hier fallen gleich eine patriarchalisch-sexistische Herabsetzung mit einem antisemitischen Ressentiment zusammen und das auf offener Bühne. Jetzt weiß der Coach, warum der Coachee da ist. Es ist ein Stück beraterische Arbeit, dies mit ihm zu bearbeiten, immer wieder gegen seine freundlichen Verharmlosungen anzugehen und seine männerbündnerischen Offerten zurückzuweisen und wie über einen schlechten Witz mitzulachen. Einerseits ist das für den Coach leicht, weil die Positionierungserwartung sein Auftrag durch die Organisation ist und weil dies ohnehin seiner eigenen inneren Position entspricht. Da ist der Coach mit sich im Reinen. Aber eine triangulierende Position zu finden, ist dennoch nicht einfach – kann es hier überhaupt eine dritte Position geben? Ja, es muss sie geben, denn es ging nicht um das Belehren und Vorführen, sondern um das Öffnen des Coachees für eine andere diskriminierungssensible Sprache und Sichtweise.

5.5 Diskriminierung im Arbeitsbündnis zwischen Supervisor:in und Supervisand:innen

Schließlich können Supervisor:innen in die Position einer Verursacher:in oder Betroffenen und damit in das Fadenkreuz der Diskurse geraten. Als professionelle Hüter:innen kommunikativer Vernunft sind (sollten) sie zwar sensibel und hellhörig mit Sprache umgehen. Sie sind, das kann man allgemein unterstellen, aufmerksame Beobachter.innen und Rezipient:innen der übergreifenden Krisen‑, Konflikt und Antidiskriminierungsdiskurse. Sie sind aber auch als Subjekte lebensweltlich positioniert – als Cis-Mann oder -Frau, als Queerperson, mit und ohne Migrationserfahrung, als Jude oder Nichtjude, als Mensch mit oder ohne Behinderung etc. Das schließt auch ein, dass Supervisor:innen nicht ressentimentfrei, in ihrer Wahrnehmung, in ihrem Wissen nicht immer auf der Höhe der Diskurse sind, situativ auch unachtsam und nicht sensibel genug sein können, vielleicht auch naiv oder widerständig, was bestimmte Positionierungserwartungen betrifft. So kann es vorkommen, dass auch sie verletzen, diskriminieren oder mit ihrer Positionierung „schief“ liegen in dem, was sie sagen und tun. Auch wenn dies vielleicht nicht sein sollte, so ist es doch mitunter so.

Ich habe an anderer Stelle einen Fall skizziert, in dem das zu einer Aufkündigung einer vereinbarten Supervision geführt hat, weil die Supervisorin in den feministischen Diskursen nicht sattelfest und instinktsicher war (Busse 2022). Maria Schönfeld schildert eine Situation, in der dem Supervisor entgegen seiner diskriminierungskritischen Selbstwahrnehmung wegen einer Unachtsamkeit seiner gendergerechten Ansprache „Transphobie“ vorgeworfen wird (Schönfeld 2024, in diesem Heft). Hier hat der Supervisor selbst aus der Position eines Verursachers (Täters) agiert bzw. ist als solcher wahrgenommen worden. In Handlungsfeldern, in denen eine rassismuskritische oder gendersensible Haltung Teil der Primäraufgabe eines Teams (einer Organisation) ist, auf eine erhöhte Wokeness zu stoßen, ist erwart- und nachvollziehbar. Dennoch spiegelt sich hier auch die Rigorosität und Ausschließlichkeit, oder besser: das Ausschließende der übergreifenden Diskurse. In supervisorischen Feldern, in denen hingegen noch wenig von der Bewusstheit und Sensibilität bezüglich des Diskriminierungspotenzials des „normalen“ Redens über die anderen besteht, trifft man eher auf eine gegenteilige Sprachpraxis. Hier können Supervisor:innen auch in die Position der Betroffenen (der Opfer) geraten.

Schönfeld schildert hier ebenfalls plastisch, wie eine Supervisorin nicht nur unmittelbar Zeugin, sondern auch Betroffene einer diskriminierenden Einlassung gegen gleichgeschlechtliche Paare als Eltern geworden ist. Die Person der Supervisorin ist hier zwar nicht unmittelbar gemeint gewesen, aber in ihrer eigenen lebensweltlichen Positionierung de facto adressiert worden. Zugleich in der Rolle der teilnehmenden Beobachterin und Betroffenen zu sein, war eine Zumutung und Überforderung und führte zunächst in eine lähmende Ambivalenzerstarrung: ansprechen (sich positionieren, sich gar outen) oder schweigen (die eigene Position leugnen und kaschieren), in der Rolle bleiben und zugleich konfrontieren und beschämen? Dies für sich zu klären, bedeutete ein stückweit „innere Arbeit“, um damit wieder nach außen gehen zu können (Obermeyer und Pühl 2016), ehe daraus überhaupt ein Reflexionsangebot an das supervidierte Team werden konnte.

In solchen triadischen Konstellationen, in denen die Supervisor:in in die Position der Verursacher:in oder Betroffenen der Verschiebung des Sagbaren gerät, ist es auf jeden Fall herausfordernd, manchmal kaum möglich, wieder in die Position eines triangulierenden Dritten zu gelangen. Dabei bergen solche Situationen auch ein beträchtliches Potenzial, weil sie für alle Beteiligten die Möglichkeit enthalten, trotz und wegen des eigenen Verwickeltseins in eine Diskriminierungspraxis sich über diese reflexiv zu verständigen. Für die Supervisor:in bedeutet das, weniger die Position einer teilnehmenden Beobachtung als einer beobachtenden Teilnahme einzunehmen.

6 Fazit und Nachgedanken

Fassen wir abschließend einige Einsichten der vorangegangenen Argumentation zusammen und spitzen sie thesenhaft zu.

  1. 1.

    Die übergreifenden politischen Krisen‑, Konflikt- und Antidiskriminierungsdiskurse weisen eine triadische Struktur auf, in der sich eine Dynamik zwischen drei Positionen – Verursacher:in (Täter) und Betroffenen (Opfer) und den Beobachter:innen (Zeug:innen) – entfaltet. Vor allem die Position des bzw. der Dritten ist mit Positionierungserwartungen konfrontiert, sodass es herausfordernd ist, autonom eine Position zwischen Positionierungsreflex, Positionierungsverweigerung und Ambivalenzerstarrung zu beziehen. Gerade die dritte Position birgt aber ein Triangulierungspotenzial, „vielleicht freundlicher, gelassener oder großzügiger (zu) reden oder (zu) handeln“ (Pörksen 2021, ebd.).

  2. 2.

    Wir haben danach gefragt, wie die übergreifenden Diskurse den supervisorischen Raum tangieren. Das geschieht sozusagen von zwei Seiten: Die Klient- und Kund:innen der Supervision sind nicht nur als arbeitsweltliche Subjekte Ratsuchende, so wie wir das gewohnt sind. Sie sind in viel stärkerem Maße auch als lebensweltliche Subjekte präsent, weil sie mit den übergreifenden Krisen‑, Konflikt- und Antidiskriminierungsdiskursen konfrontiert bzw. teilnehmende Akteur:innen in diesen sind. Das gilt für die Seite der Supervisor:innen gleichermaßen. In der Supervision begegnet man sich sozusagen auch als Teilnehmer:innen dieser Diskurse, in denen man sich positioniert und unter Positionierungserwartung steht. Die Beteiligten müssen damit rechnen, dass sie gegenseitig so wahrgenommen werden. Auch wenn dies im supervisorischen Material und den supervisorischen Interaktionen dem Eindruck nach „seltener“ zum Thema oder offenbar werden sollte – es hat unübersehbar eine nicht zu übersehende Relevanz bekommen.

  3. 3.

    Über unterschiedliche Ebenen hinweg erreichen die Diskurse das supervisorische Handeln – aus der Lebenswelt der Klient:innen, über das Arbeitsbündnis der Professionellen, über die Arbeitsbeziehungen in den Teams, die Kommunikation der Supervisand:innen bis in das Arbeitsbündnis zwischen der Supervisor:in und den Supervisand:innen. Damit verschieben sich jeweils die eingenommenen Positionen der Beteiligten.

  4. 4.

    Die Position des oder der triangulierenden Dritten einzunehmen, ist für Supervisor:innen herausfordernder geworden, als dies ohnehin im Normalfall von Supervision schon der Fall war. Die Verschiebung des Sagbaren ist eine eigene trianguläre Herausforderung in der Supervision. Die Supervisor:innen sind genau wie ihre Klient:innen in die Dynamik zwischen Verursacher:in (Täter:in), Betroffene (Opfer) oder teilnehmende wie teilhabende Beobachter:in der politischen und lebensweltlichen Diskurse eingebunden. Es ist herausfordernd, als Professionelle und zugleich als Person – als Cis-Mann oder -Frau, als Queerperson, mit und ohne Migrationserfahrung etc. – eine tragbare triangulierende Position zu finden. Das ist die Voraussetzung dafür, zwischen dem, was notwendig zu sagen und zugleich zu sagen möglich ist, abwägen zu können, um die Grenzen des Sagbaren zu verschieben und sie zugleich zu wahren.