1 Digitalisierung, Corona-Pandemie und Online-Supervision

Der Begriff „Digitalisierung“ bezeichnet sowohl die Überführung analoger Informationen in eine digitale Speicherung als auch den durch die Einführung digitaler Technologien einhergehenden Veränderungsprozess (Bengler und Schmauder 2016, S. 75). Der digitale Fortschritt führt zu tiefgehenden Änderungen der Lebensrealität und nimmt Einfluss auf das alltägliche, soziale, gesellschaftliche, kulturelle und berufliche Leben. Auswirkungen zeigen sich ebenso für die Beratungspraxis, somit auch für die arbeitsweltlichen Beratungsformate Supervision und Coaching. Bereits seit mehr als 20 Jahren werden zur Gestaltung von Beratungsprozessen digitale Medien eingesetzt und die Kommunikation findet über das Internet statt (Engelhardt 2019; Rietmann et al. 2019; Kutscher et al. 2015).

Innerhalb der Beratercommunity wird die Online-Arbeit kontrovers diskutiert: Auf der einen Seite verknüpfen Kolleg:innen neue Chancen und Möglichkeiten mit der zunehmenden Digitalisierung von Beratungsleistungen und auf der anderen Seite werden Zurückhaltung und Zweifel geäußert. Eine skeptische Haltung ist angesichts der Tatsache, dass Beratungsformate bislang zumeist im direkten Kontakt und in einer unmittelbaren Begegnung stattfanden und Technik in der Beratungspraxis eher als kulturfremd wahrgenommen wird, nicht sonderlich verwunderlich (Engelhardt 2020, S. 123 f.; Rietmann et al. 2019). Da die jüngeren Kolleg:innen, die „Digital Natives“, in dieses Berufsfeld nachrücken, werden digitale Medien sehr wahrscheinlich schon bald unbefangener und versierter zum Einsatz kommen (Fietze und Möller 2018, S. 278).

Die Corona-Pandemie hat unser Leben auf den Kopf gestellt. In fast allen Arbeitsbereichen sahen sich Menschen, so auch die in der Supervision Tätigen, zur Ausübung ihrer beruflichen Rolle neuen Herausforderungen, Belastungen und Unsicherheiten gegenübergestellt. Corona hat mit den einhergehenden Kontaktbeschränkungen für einen Digitalisierungsschub gesorgt und ein erhöhter Bedarf an Online-Angeboten ist seither entstanden (BMWI 2021; Lohrke und Metz 2021; Fortmeier 2020). Damit hat die Pandemie gezeigt, wie schnell der Zugang zu neuen Welten bei einer erzwungenen Neuorientierung erlernbar und anwendbar ist (Jahn und Nolten 2020, S. 3). Zwar arbeiteten einige Kolleg:innen aus unterschiedlichen Beweggründen, wie etwa zum Klimaschutz oder zur Standortunabhängigkeit, schon vor Corona online oder kombinierten bereits face-to-face-Termine mit digitalen Treffen (sog. Blended-Supervision), dennoch führen viele erst seit der Pandemie Online-Sitzungen als Standardangebot durch. Mittels des Videoübertragungssystems Zoom (Zoom Video Communications 2021) bot ich ab Frühjahr 2020 meine ersten videobasierten Online-Supervisionen an. Zu Beginn dieser Tätigkeit setzte ich für die Themenwahl vorwiegend das digitale Whiteboard ein und nutzte für die Entwicklung verschiedener Perspektiven und Lösungsmöglichkeiten die digital adaptierte Form des Reflecting Teams (Sawatzki et al. 2021). Mein Methodenrepertoire jedoch war begrenzt und ich wünschte mir, facettenreicher auf die verschiedenen Themen und Anlässe der Supervisand:innen reagieren zu können. Um proaktiv einer Zoom-Fatigue vorzubeugen, begab ich mich auf die Suche nach Neuem.

2 Fragestellung und Ziel

In Präsenzbegegnungen befinden sich beteiligte Personen in einem gemeinsam genutzten und erfahrbaren Raum. Sie können sich ein umfassendes Bild voneinander machen, ihre Leiblichkeit wahrnehmen und unmittelbar miteinander interagieren. Während die Beteiligten in Online-Sitzungen in unterschiedlichen Zimmern sitzen, müssen sie für eine Kontaktaufnahme einen virtuellen Raum betreten. Erst durch die Videotechnik kann dieser triadische Raum eröffnet und somit eine Zusammenkunft und Beziehungsgestaltung ermöglicht werden (Tietel 2002, zit. n. Lohrke und Metz 2021, S. 2). In Videogesprächen ist die Kommunikation erschwert und bestimmte Informationen können nur reduziert oder gar nicht übertragen werden. Die Kanalreduktion führt dazu, dass die Gesamtsituation des Gegenübers nicht vollständig erfasst werden kann (Hartmann-Strauss 2020, S. 6). Virtuelle Hintergrundbilder oder Teilausschnitte eines Bildes werden sichtbar und laden zum Verstecken ein. Gleichwohl werden mitunter Einblicke in private Räumlichkeiten gewährt, die in Präsenztreffen verborgen geblieben wären. Das Gestalten der eigenen Umgebung bzw. des ausgewählten Bildausschnitts bietet somit die Chance, sich gezielt in Szene zu setzen. Die eingeschränkte Wahrnehmung kann viel Spielraum für Projektionen und innere Bilder schaffen. Die Reflexion der Eigenwahrnehmung sowie eigener Anteile nimmt Einfluss auf die Beziehungsgestaltung. Damit diese im virtuellen Raum gelingen und der Kontakt über das Niveau des Smalltalks hinausgehen kann, braucht es Vertrauen, Mut und Offenheit auf beiden Seiten des Bildschirms (Lohrke und Metz 2021, S. 2 f.).

Die erwähnte Kanalreduktion sollte auch nicht einseitig negativ verstanden werden. Entscheidend für effektive Kommunikations- und Kooperationsprozesse ist der Grad der Mediensynchronizität, die ein gleichzeitiges Arbeiten von Personen mit gemeinsamem Fokus erlaubt. Eine hohe Synchronizität wird durch Medien begünstigt, die unmittelbares Feedback und geringe Parallelität (wenig gleichzeitige Kommunikationskanäle) ermöglichen (vgl. „Media Synchronicity Theory“ von Dennis und Valacich 1999, zit. n. Schwabe 2001).

Generell ist es mein professionelles Ziel, neben sprachlich orientierten Verfahren auch kreative, handlungsorientierte und erlebnisaktivierende Methoden zur Vergegenwärtigung und Klärung von individuellen und interaktiven Phänomenen sowie von organisationalen Zusammenhängen anzubieten. Ich verweise auf v. Ameln und Kramer (2007), die in ihrem Werk „Organisationen in Bewegung bringen“ die Wirkfaktoren kreativer Verfahren erläutern. Um komplexe arbeitsweltliche Themen nachzuvollziehen, werden diese in einfachen Bildern, szenisch oder im Rahmen von Aufstellungen veranschaulicht. Supervisand:innen gestalten den Prozess aktiv mit. Sie machen mehrdimensionale Erfahrungen (gleichzeitiges Denken, Fühlen und Handeln), was sie dabei unterstützt, relevante Aspekte oder mögliche Lösungsvorhaben besser zu behalten. Neben der falleinbringenden Person werden die Gruppenmitglieder aktiv einbezogen. Auch sie profitieren von handlungsbezogenen Lernerfahrungen. Gleichzeitig unterstützen sie den Prozess durch ihre zur Verfügung gestellten Beobachtungen und Außenperspektiven. Der Körper dient dabei als Instrument und seine Resonanzfähigkeit wird ebenso wie die Kraft der Symbolik genutzt. Während zur Erwärmung und in der Aktionsphase Emotionen und körperliches Erleben besondere Beachtung erhalten, findet im Sinne der Ganzheitlichkeit in der Reflexionsphase die kognitive Rückschau statt und es erfolgt die Übersetzungsarbeit für den Arbeitsalltag.

Angeregt wurde ich ebenso durch Ryba und Roth (2020, S. 22 ff.), die im Rahmen ihres integrativen Neurocoachings zwischen den drei Interventionsebenen Erleben, Verhalten und Körper unterscheiden. Nachhaltige Beratung erfolgt durch gezielte Verfahren auf allen drei Ebenen. Auf diese Weise werden verschiedene Gedächtnissysteme angesprochen und alle Bereiche des limbischen Systems erreicht.

Seit Corona hat sich mein Lerninteresse erweitert: Hinzugekommen ist die Neugierde an kreativer Supervision im virtuellen Raum. Im Sinne des Sowohl-als-auch möchte ich auch online Methoden anbieten, die über das Gespräch mit einem deklarativen und primär kognitiven Zugang hinausgehen und durch ihren handlungs- und körperorientierten Ansatz ein tiefergehendes und ganzheitliches Verstehen ermöglichen. Um das Expert:innenwissen zusammenzutragen und auch Berufskolleg:innen zugänglich zu machen, habe ich acht Interviews zu folgender Fragestellung geführt: Wie gestalten online tätige Kolleg:innen den videobasierten Supervisionsprozess mittels kreativer, handlungsorientierter und erlebnisaktivierender Methoden? Was sind Gelingensbedingungen supervisorischer Prozesse in diesem methodischen Segment? Im Sinne des integrativen Ansatzes habe ich Kolleg:innenFootnote 1 zur Anwendung verschiedener Beratungsmethoden befragt. Konkret richtete sich mein Fokus auf online eingesetzte Verfahren aus dem Psychodrama, der Soziometrie und dem Gestaltansatz. Erfahren wollte ich zudem, wie Formen des Playbacktheaters und die systemische Aufstellungsarbeit zum Einsatz kommen (Wendt 2022).

3 Methodisches Vorgehen

Ziel der Interviewdurchführung war es, Einblicke in das Erfahrungswissen und methodische Vorgehen von kreativ und zugleich online tätigen Supervisor:innen zu gewinnen. Bei meiner Auswahl der Expert:innen habe ich auf die Erfüllung der drei folgenden Kriterien geachtet:

  1. 1.

    Die Interviewpartner:innen sind supervisorisch tätig und haben zur Einhaltung fachlicher Qualitätsstandards eine zertifizierte Supervisionsausbildung abgeschlossen.

  2. 2.

    Die Kolleg:innen haben eine kreative Beratungsmethode erlernt und wurden in der Anwendung psychodramatischer, soziometrischer, theaterischer oder gestaltberaterischer Verfahren oder für die systemische Aufstellungsarbeit ausgebildet.

  3. 3.

    Die Supervisor:innen arbeiten online. Es spielte für mich keine Rolle, ob sie das schon vor der Pandemie getan haben oder diese Option erst seitdem anbieten. Ich wollte sowohl jüngere Kolleg:innen, die Digital Natives, als auch ältere Supervisor:innen mit mehrjähriger Beratungserfahrung befragen, die ihr berufliches Handeln und ihr Methodenrepertoire aufgrund von Corona ins Digitale übersetzt haben.

Zur Beantwortung der oben aufgeführten Frage habe ich im Sommer 2021 einstündige Expert:inneninterviews über Zoom geführt. Für einen semistrukturierten Interviewverlauf habe ich einen bewusst grob gehaltenen Leitfaden entwickelt. Mein primäres Ziel war ein freies Gespräch unter Kolleg:innen. Der Leitfaden diente mir als Orientierungshilfe, den ich flexibel zum Gesprächsverlauf einsetzte. Die Auswertung der Interviews erfolgte in Anlehnung an Mayring (2015) und mittels deduktiver Kategorienbildung (s. Abb. 1). Um inhaltliche Überschneidungen zu vermeiden, wurden Interviewelemente nur einer Kategorie entsprechend des maßgebenden Gegenstands zugeordnet (Wendt 2022).

Abb. 1
figure 1

Kategoriensystem für die Datenauswertung

4 Ergebnisse: kreative Beratungsmethoden online angewandt

Hier eine Auswahl der Ergebnisse, wobei ich nicht zwischen Einzel‑, Team- oder Gruppensetting unterscheide.

4.1 Einladung zur Begegnung – Lebendiges Miteinander

In dieser Kategorie habe ich Aussagen der Expert:innen zur Eröffnung einer Online-Sitzung zusammengefasst. Meine Leitfragen hierzu waren: Was bieten Sie für einen guten Einstieg an? Wie ermöglichen Sie eine gemeinsame Erwärmung? Was unterstützt den interaktionalen Austausch von Supervisand:innen?

Durch das Einrichten von separaten Räumen (sog. Breakout-Sessions) können Kleingruppen gebildet und eine Begegnung ohne Supervisor:in ermöglicht werden. Der Austausch untereinander wird intensiviert, da sich weniger Personen in einem Raum befinden. Neben dem „informellen Plausch“ können auf diese Weise zum supervisorischen Anliegen passende Impulsfragen bearbeitet werden.

Eingeteilt in Zweiergruppen beschreiben sich Teilnehmende gegenseitig, wie sie das jeweils andere Zimmer wahrnehmen und welche Fantasien sie damit verknüpfen, z. B.: „Ich sehe, du hast viele Bücher, bestimmt liest du ganz viel“ usw. Die supervidierende Person sollte im Vorfeld erklären, dass es sich bei den Aussagen der Betrachter:innen lediglich um Hypothesen handelt, die auch einen gewissen Selbstoffenbarungsanteil besitzen. Die beschriebene Person braucht Unpassendes nicht anzunehmen oder sich zu rechtfertigen. Für diese Übung ist es Voraussetzung, dass die Hintergründe der Videokacheln nicht verschwommen sind. Eine Besonderheit digitaler Supervision ist ja, dass durch das Online-Format Einblicke in Räume gewährt werden, die in Präsenztreffen nicht möglich gewesen wären.

Zur Förderung der Eigen- und Fremdwahrnehmung sowie der gegenseitigen Resonanz bietet sich folgende Übung an: Eine Person beginnt und berichtet von ihrem aktuellen Befinden und von dem, was sie beruflich gerade beschäftigt. In einer anderen Videokachel spiegelt ein Gruppenmitglied hinterher nonverbal das Gehörte und Wahrgenommene mittels Mimik, Gestik und Körperbewegungen. Die Übung endet, wenn alle Beteiligten nacheinander gehört und gespiegelt wurden.

Hat eine fallgebende Person von einer Arbeitssituation berichtet, können die anderen Mitglieder ihre Gedanken, Assoziationen und Gefühle zu dem Gehörten, Gesehenen und Wahrgenommenen a) mittels eines Satzes, einer Schlagzeile oder einer Metapher, b) anhand eines nonverbalen Körperbildes oder c) über einen schriftlichen Kommentar im gemeinsamen Zoom-Chat auf den Punkt bringen. Werden die Rückmeldungen zuhörender Personen parallel zur Erzählphase verschriftlicht und zu einem gemeinsamen Zeitpunkt freigegeben, kommt es zum sog. Chat Waterfall. Das gleichzeitige Veröffentlichen von Kommentaren hat den Vorteil, dass erst dann mit ihnen gearbeitet wird, wenn der Boden für die Resonanz bereitet ist. Je nach Situation liest die fallgebende Person selbst, ein Gruppenmitglied oder die/der Supervisor:in die Beiträge vor.

4.2 Soziometrische Verfahren

Soziometrische Verfahren werden online zur Erwärmung, Standortbestimmung, Beschreibung von Beziehungskonstellationen oder Themenfindung eingesetzt.

Der Einsatz von Post-it-Zettel ist ein einfaches und sehr effektives Mittel, um aktionssoziometrisch zu arbeiten. Die supervidierende Person stellt Impulsfragen (z. B. „Wie viele von Ihnen arbeiten seit zehn Jahren oder länger in dieser Einrichtung?“) und die Supervisand:innen, die sich nicht angesprochen fühlen, decken ihre Kamera mit einem Post-it ab. Es bleiben nur noch die Mitarbeitenden zu sehen, welche mindestens seit der vorgegebenen Zeit bei dem Arbeitgeber tätig sind. Auf diese Weise wird die Gruppe in der Gruppe sichtbar. Bei mehreren Fragen werden in einem dynamischen Miteinander immer wieder neue Kacheln auf- oder abgedeckt.

Das Positionieren entsprechend der soziometrischen Landkarte wird online über den geteilten Bildschirm ermöglicht. Auf einer über Zoom zur Verfügung gestellten Karte verorten die Teilnehmenden sich mit Hilfe der Stempelfunktion. Auf diese Weise können visuell Relationen zueinander und Gruppierungen untereinander verdeutlicht werden. Eingesetzt werden ebenso selbst gemalte Bilder oder andere zu einer Gruppe passende Bildangebote wie Wimmelbilder mit vielen verschiedenen Szenen. Auf der Oberfläche nehmen die Supervisand:innen entsprechend ihrem aktuellen Zustand oder zur Beantwortung einer Leitfrage ihren Standpunkt ein. Ziel ist es, zu erfahren, wie es den Einzelpersonen und der Gruppe insgesamt geht und welche arbeitsweltlichen Bezüge sich herstellen lassen. Auch die Landkarten der Befindlichkeiten von Coachingcard (o.J.) werden genutzt, um Stimmungsbilder von Gruppen einzufangen. Auf der Internetplattform Coachingspace werden die Befindlichkeitskarten für eine interaktive Nutzung zur Verfügung gestellt. Aufgrund dessen besteht die Möglichkeit, dass alle Beteiligten ausgewählte Figuren als eigene Stellvertreter:innen im virtuellen, dreidimensional animierten Raum über eine Karte bewegen und zueinander in Beziehung setzen (vgl. Coachingspace GmbH 2022).

Soziogramme werden entweder von Fallgebenden z. B. mit einfachen Kreisen und Quadraten gezeichnet und in die Kamera gehalten oder über den geteilten Bildschirm gezeigt. Auch das digitale Whiteboard wird für das Darstellen von Systemen, zwischenmenschlichen Dynamiken und Beziehungskonstellationen eingesetzt. Linien können erstellt, Stempel gesetzt sowie Namen und Kommentare verfasst werden. Auf dem digitalen Board werden auch polare Abfragen und Skalierungen ermöglicht. Für das Aufbrechen der Zweidimensionalität werden Supervisand:innen dazu motiviert, eine Skala im eigenen Raum zu legen und in der beraterischen Begleitung räumlich und körperlich zu erleben.

4.3 Kreative Medien im Einsatz

Die Aussagen der Befragten zum Einsatz verschiedener kreativer Medien lassen sich dem Psychodrama wie auch dem Gestaltansatz zuordnen. Die Konzepte ähneln einander und ihre Vertreter nutzen für die Verstehens‑, Reflexions- und Übersetzungsarbeit sowohl Gegenstände, Symbole, Imaginationen, Veranschaulichungen, Skulpturen als auch Verkörperungen. Einen wesentlichen Unterschied markiert Boeckh (2014, S. 262): Während die Gestaltarbeit den Blick eher auf das Individuum und seine Bedürfnisse richtet, konzentriert sich das Psychodrama stärker auf die sozialen Bezüge.

Symbolische Arbeit mit Gegenständen

Ein Vorteil der Online-Supervision ist, dass alles, was sich in den Umgebungen der Teilnehmenden befindet, für supervisorische Zwecke zum Einsatz kommen kann: z. B. Haushaltsgeräte, Musikinstrumente oder Haushaltswaren. Die Nutzung von Gegenständen ermöglicht Bezüge zum persönlichen Befinden, zur eigenen Arbeitsrolle und zu relevanten beruflichen Themen. Beispielhafte Leitfragen lauten: „Finde einen Gegenstand, der für dich repräsentiert, was in der vergangenen Woche passiert ist.“ oder „Finde einen Gegenstand, der etwas mit deinem Thema oder Fall zu tun hat.“ Das Einbinden von Objekten kann ebenso zur kreativen Abschlussgestaltung am Ende eines Treffens oder eines Prozesses erfolgen: „Suche einen Gegenstand, der symbolisiert, was du aus der heutigen Sitzung bzw. aus dem gemeinsamen Prozess mitnimmst.“ oder „… der dich daran erinnert, was du dir für die kommende Woche vorgenommen hast.“

Die Mehrperspektivität der Gruppe findet Berücksichtigung, wenn diese ihre Assoziationen zu einem präsentierten Objekt mitteilt oder im Chat verschriftlicht, bevor die zeigende Person, die letztlich die Deutungshoheit besitzt, selbst ihre symbolische Zuschreibung offenbart.

Innere und äußere Bilder

Parallel zu der Erzählphase einer fallgebenden Person malen oder zeichnen ausgewählte Gruppenmitglieder intuitive Bilder. Hierfür werden ihre Kameras ausgeschaltet, damit sie sich auf ihren eigenen Prozess konzentrieren können und die/der Sprechende nicht abgelenkt wird. Zudem können beim Malen die Augen geschlossen und ohne visuelle Kontrolle gezeichnet werden. Im Anschluss werden die Bilder für die gemeinsame Reflexionsphase zur Verfügung gestellt.

Die physische Umgebung der Supervisand:innen wird wie folgt integriert und als zusätzliche Quelle für supervisorische Zwecke genutzt: Die Beteiligten begeben sich in ihren Räumen auf die Suche nach Szenen, welche zu einem herausgearbeiteten Thema passen, und machen Fotos. Diese Bilder werden im Anschluss in der Gruppe gezeigt und besprochen.

Skulpturieren und Einsatz des Körpers

Das Online-Format selbst sowie zur Verfügung gestellte Bildimpulse sprechen vor allem die visuelle und auditive Wahrnehmung an. Zur Förderung eines ganzheitlichen Lern- und Reflexionsprozesses werden Supervisand:innen dazu eingeladen, die für sie relevanten Themen auch physisch zu erleben. Hierfür werden sie gezielt zur Bewegung auf ihrer Bildschirmseite eingeladen. Die in der Erwärmungsphase häufig gestellte Frage „Wie sind Sie heute hier?“ können die zu supervidierenden Personen auch körperlich beantworten und sich dementsprechend in ihrer eigenen Videokachel ausrichten. Eine Person, die z. B. nur halb anwesend ist, könnte sich folglich nur zur Hälfte im Bildausschnitt zeigen.

Eine themeneinbringende Person kann ein für sie stimmiges Standbild einnehmen bzw. mit ihrem Körper eine Skulptur gestalten. Erlebnis- und wahrnehmungsbezogene Erkenntnisse können aus der eingenommenen Haltung mitgeteilt werden. Ein Bildschirmfoto hält die Verkörperung fest und im anschließenden Diskurs erfolgt eine Rückübersetzung zum ursprünglichen Thema.

Passend zum Videoformat und Bildausschnitt kommen Handskulpturen in sitzender Position zur Verdeutlichung von Beziehungskonstellationen zum Einsatz. Eine Hand verkörpert die/den Erzähler:in selbst und die andere symbolisiert stellvertretend ein anderes Systemelement. Das Positionieren der Hände erfolgt entsprechend inneren Deutungsimpulsen. Die Hände können beispielsweise einander zugewandt werden, sich (fast) berühren oder weit auseinander sein. Die Finger können u. a. gestreckt, angelegt oder zur Faust geballt werden. Auf diese Weise werden Beziehungsdynamiken körperlich erlebbar, was wiederum sprachlich reflektiert werden kann: „Wie fühlt sich das an?“, „Wo ist welche Energie?“, „Was ist anstrengend?“ usw.

4.4 Psychodramatische Techniken

Im Rahmen des digitalen Rollenwechsels und Rollentauschs ist es grundsätzlich wichtig, dass für das Einrichten der digitalen Guckkastenbühne und das Einnehmen von Rollen die Kacheln der Hilfs-Ichs umbenannt und die Kameras der nicht spielenden Beteiligten ausgeschaltet werden. So kann im Prozess nachvollzogen werden, wer wann wer ist. Zur Markierung des Perspektivenwechsels werden Teilnehmende gebeten, einen zweiten, leeren Stuhl neben sich zu stellen und bewusst eine andere Position vor dem Monitor einzunehmen. Supervisor:innen unterstützen die Rollen- und Positionswechsel durch eine konsequente gezielte Ansprache. Folglich werden Hilfs-Ichs während ihrer Befragung nur mit ihrem Rollennamen angesprochen.

Nachdem ein/e Protagonist:in relevante Rollen eingeführt hat, können mit den Mitspieler:innen Rollen getauscht werden. Wie beschrieben werden die Beteiligten gebeten, sich neben sich auf den leeren Stuhl zu setzen. Das Geschehen können die supervidierende Person und andere Mitglieder über ihre Bildschirme verfolgen.

Auch im virtuellen Raum kann die Doppeltechnik mit dem Rollentausch/-wechsel kombiniert werden. Hierfür spricht die/der Mitspielende bei ausgeschalteter Kamera die wahrgenommenen, bisher unausgesprochenen Inhalte aus. Auch zur Identifizierung einer Schlüsselfrage und thematischen Eingrenzung findet das Doppeln Anwendung. Während der Erzählphase erspürt die Gruppe mögliche relevante und noch verdeckte Aspekte. Diese stehen als Stimmen aus dem Off zur Verfügung. Die im Mittelpunkt stehende Person muss sich visuell nicht zwischen mehreren Kacheln orientieren und das kraftvolle Instrument Stimme wirkt für sich allein. Auch die/der Supervisor:in kann sich auf die falleinbringende Person konzentrieren und gezielt beobachten, was ihrer Kachel entnommen werden kann: der Gesichtsausdruck, die Haltung des Oberkörpers, Bewegungen, die Stimme und ggf. die Atmung. Neben der verbalen Form kann auch bei eingeschalteter Kamera non-verbal mit Hilfe eines Bildes oder einer Verkörperung gedoppelt werden.

Im Einzelsetting können auch ohne weitere Hilfs-Ichs zusätzliche Personen und Perspektiven hinzugeholt werden. Hierfür stellt sich die zu supervidierende Person hinter ihren leeren Stuhl, blickt herab und berichtet aus anderer Perspektive über das eigene Befinden.

Zur Ausgestaltung der Rollen können verschiedene Alltagsgegenstände wie Hüte, Masken, Tücher etc. eingesetzt werden. Ebenso können verschiedene Filter (z. B. eine Sonnenbrille, ein Haarreifen oder Lippenstift), die direkt bei Zoom angeboten werden, auf das eigene Video gelegt werden.

Die befragten Kolleg:innen haben die Erfahrung gemacht, dass im Online-Setting mehr Wiederholungen erforderlich sind. Begründet wird dies damit, dass Rollen im Vergleich zu Präsenzsitzungen weniger körperlich erfahren werden, insgesamt weniger Dynamik und Lebendigkeit besteht und daher eine Einfühlung länger braucht. Einzelne Sätze sowie dazu passende Gesten und Haltungen werden daher im mehrmaligen Rollentausch erarbeitet.

Auch auf ein bewusstes Entrollen auf der anderen Monitorseite sollte gezielt geachtet werden, damit sich evtl. affizierte oder identifizierte Mitspielende wieder „freischütteln“ können. Die Kacheln werden wieder zurückbenannt. Zusätzlich bedankt sich die/der Protagonist:in bei den Hilfs-Ichs und entlässt diese aus ihren Rollen.

Die Selbstansicht der eigenen Kachel bietet online eine zusätzliche Quelle, z. B. im Rahmen der Einfriertechnik: „Welches Gefühl haben Sie gerade? Frieren Sie mal ein und schauen Sie sich an. Was sehen Sie? Was macht das mit Ihnen?“

4.5 Aufstellungsarbeit

Berufliche Situationen und arbeitsweltliche Themen werden anhand von Aufstellungen veranschaulicht und auf diese Weise besprechbar und reflektierbar gemacht. Je nach Art der Durchführung können Interventionen der psychodramatischen, gestaltberaterischen oder systemischen Supervision zugeordnet werden. Im Rahmen der psychodramatischen Aufstellungsarbeit erhalten relevante Systemelemente oder Hilfs-Ichs neben ihrer Verkörperung zusätzlich gezielte Rolleninformationen für das aktive, szenische Spiel, was zu einer tiefergehenden Auseinandersetzung führt (v. Ameln und Kramer 2015). Zur Orientierung habe ich die Aussagen der Befragten nicht entsprechend der konzeptuellen Ausrichtung, sondern anhand der gewählten Visualisierungsform unterschieden.

Elemente im Raum (dreidimensional)

Mittels einer zweiten Kamera kann die Bühne eröffnet werden. Hierfür meldet sich die supervidierende Person mit einem zweiten Endgerät in der Videokonferenz an. Bewährt hat sich, ein Handy oder ein Tablet auf einem Stativ zu befestigen und die integrierte Kamera auf eine Tischfläche, die die Bühne darstellt, zu richten. Zur Vermeidung einer auditiven Rückkopplung sollte der Ton des zusätzlichen Geräts ausgestellt werden. Zum Einsatz kommen diverse Objekte. Die/der Supervisor:in bewegt die von der falleinbringenden Person ausgewählten Gegenstände und richtet diese entsprechend ihrer verbalen Anleitung zueinander aus. Auf diese Weise können räumliche Beziehungen der Systemelemente untereinander verdeutlicht werden. Die Gruppe stellt als Stimmen aus dem Off (Kamera aus) ihre Wahrnehmungen, Gedanken und Assoziationen zum Bühnenbild zur Verfügung und beantworten folgende Beispielfragen: „Was sehen Sie?“, „Wie könnte es einzelnen Figuren oder Elementen gehen?“, „Welchen Veränderungsimpuls verspüren Sie?“ Die intuitiven Aussagen dienen dazu, den Fall zu erhellen und für weitere Erkenntnisse zu sorgen. Es kann und darf möglich sein, dass Einzelbeiträge danebenliegen. Ein abschließendes Bildschirmfoto von der Szene dient der Ergebnissicherung.

Alternativ kann eine fallgebende Person eine Bühne vor sich auf einem kleinen Podest im eigenen Bildausschnitt einrichten und zur Verkörperung von Systemelementen Objekte aus ihrem Umfeld nutzen. Hilfreich kann es sein, wenn die/der Supervisor:in parallel mit äquivalenten Gegenständen die Szene nachbaut, um mehr Gefühl bzw. Bezug zur Situation und zu den Aussagen zu bekommen.

Im Coachingspace (vgl. Coachingspace GmbH 2022) werden Online-Aufstellungen mittels des Systembretts von Ludewig und Wilken (2000) ermöglicht. Die Supervisand:innen werden parallel zur Zoom-Sitzung in den virtuellen Raum eingeladen, oder die Beteiligten treffen sich direkt dort. Alle Personen können das Systembrett selbst gestalten sowie zwischen verschiedenen Figuren wählen, diese bewegen, drehen und deren Größe maximieren oder reduzieren. Das Besondere im Vergleich zum Präsenzsetting ist, dass ein dreidimensional animiertes System aus der Perspektive einzelner Figuren betrachtet werden kann.

Elemente visualisiert (zweidimensional)

Im virtuellen Raum lassen sich körperliche Ausrichtungen sowie Abstände zwischen den Spielenden nicht abbilden. Hier kann die psychodramatische Bühne mittels der Videokacheln gestaltet werden. Alle nicht mitspielenden Personen schalten ihre Kameras aus, damit sie die Bühne ganz verlassen, sollte die Zoom-Funktion „Teilnehmer ohne Video ausblenden“ aktiviert sein. Nach der Umbenennung erscheinen die Spieler:innen in ihren jeweiligen Rollen im Bühnenbild. Alternativ besteht die Möglichkeit, die Rollennamen auf Post-its zu schreiben und die Videokacheln mit ihnen zu versehen. Auf diese Weise würden ausschließlich beschriftete Felder zu sehen und Stimmen aus dem Off zu hören sein.

4.6 Formen des Playbacktheaters

Folgende Spielformen des Playbacktheaters kommen online zum Einsatz: die Fluid Sculpture (vgl. Tobler-Schkölziger 2015; Heppekausen 2004) und die Methode Voicemail bzw. Anrufbeantworter (vgl. Witte 2021).

Für die Fluid Sculpture schalten alle nicht Mitspielenden ihre Kameras aus. Zu sehen sind die fallgebende und die supervidierende Person sowie die Kacheln ausgesuchter Mitspieler:innen, die sich vorerst außerhalb des Sichtfeldes ihrer Kamera positioniert haben. Nach einer kurzen Erzählphase und des einleitenden Interviews begeben sich Fallgeber:in und Supervisor:in ebenso auf die Hinterbühne, auch sie schalten ihre Kameras aus. Die Szene wird mit den rituellen Worten „Let’s watch!“ oder „Schauen wir uns das einmal an!“ eröffnet. Nacheinander treten die Spieler:innen wieder in ihren Bildausschnitt und verkörpern das Gehörte und Wahrgenommene. Das Ende einer Darbietung wird durch eine eingefrorene Haltung und den Blick in die Kamera (fallgebende Person fühlt sich angesehen) markiert. Nachdem alle Akteure einzeln improvisiert haben, erfolgt die gemeinsame fließende Bewegung durch das gleichzeitige „Zurückspielen“. Abschließend frieren die Spielenden zusammen ein und schauen abermals in die Kamera.

Um die Assoziationen und Gedanken der Gruppe zu Wort kommen zu lassen, ist für das Videosetting die Methode Voicemail entwickelt worden. Nur Erzähler:in und Supervisor:in sind während der fallorientierten Befragung zu sehen. Danach schalten auch sie ihre Kameras aus und folgende beispielhafte Formulierung eines Anrufbeantworters eröffnet das Spiel: „Hallo, hier ist der Anrufbeantworter von Peter. Ich bin momentan leider nicht zu erreichen. Bitte hinterlasse deine Nachricht nach dem Piep.“ Nacheinander sprechen die Mitspielenden ihre Nachrichten, die sie jeweils mit einem Piep und einer Begrüßung beginnen und mit einer Verabschiedung beenden. Sie können Nachrichten aus der Perspektive einer Person, eines Gegenstands oder eines Gefühls formulieren. Die Spielenden können mehrmals und in unterschiedlichen Rollen an die Reihe kommen. Nachdem mehrere Stimmen gehört wurden und eine Sättigung eingetreten ist, ergänzt die/der Supervisor:in: „Der Anrufbeantworter ist jetzt voll. Vielen Dank.“ Für die anschließende, verbal orientierte Reflexion schalten alle ihre Kameras wieder an.

5 Schlussfolgerungen

Das Online-Format bietet die Möglichkeit, trotz der pandemischen Lage mit Supervisand:innen in Kontakt zu kommen und in Verbindung zu bleiben. Auf diese Weise können Begegnungs- und Reflexionsräume unter Berücksichtigung der physischen Abstandsregelung weiterhin zur Verfügung stehen. Gerade für Menschen in helfenden und sozialen Berufen kann das in diesen herausfordernden Zeiten eine wichtige Stütze zur Entlastung und Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit sein. Auch uns Supervisor:innen treffen die Auswirkungen der Pandemie und durch Online-Angebote sichern wir unsere berufliche Existenz. Damit wir neutral durch den Prozess führen können, ohne uns selbst bzw. den eigenen Umstand implizit oder explizit zum Thema zu machen, sollte die eigene Betroffenheit im Rahmen der Intervision oder Kontrollsupervision thematisiert werden.

Im virtuellen Raum sind die Kontaktmöglichkeiten begrenzt und die Unmittelbarkeit fehlt. Sitzende Menschen werden wegen der verringerten Sichtbarkeit zu Wesen ohne Unterkörper. Die Personen sind in ihren Kacheln gefangen, sie sitzen aufgereiht in dem Videoraum und das zwischenmenschliche Miteinander in einem physischen Raum ist unmöglich. Zudem ist kein direkter Blickkontakt möglich: Menschen fühlen sich paradoxerweise direkt angesehen, wenn der Blick von ihnen weg hin zur Kamera wandert (Engelhardt und Gerner 2017). Aufgrund der reduzierten Wahrnehmungsvielfalt stehen den Beteiligten weniger Verbindungsfäden zur Verfügung. Die visuelle Wahrnehmung erhält ebenso wie die Sprache ein besonderes Gewicht (Gröning 2022). Um verringerte Wahrnehmungsmöglichkeiten auszugleichen, stelle ich den Teilnehmenden häufiger Fragen. Ich erkundige mich nach ihren Eindrücken und Gedanken und danach, was sie innerlich bewegt. Aufgrund der Tatsache, dass Menschen sich nicht in einem Raum befinden, besteht die Gefahr, dass sie ein unvollständiges Gesamtbild durch eigene Fantasien vervollständigen. Das vermehrte Nachfragen soll dazu beitragen, tatsächliches Befinden eines Fallgebenden von den Projektionen anderer Teilnehmer:innen oder meinen eigenen abzugrenzen. Kurzum: Das, was gut geht, mache ich mir zunutze, und das, was fehlt oder zu kurz kommt, versuche ich zu kompensieren, um die Gelegenheit für mehrdimensionales Erleben, Lernen und Reflektieren zu bieten.

In der digitalen Welt des „Entweder-oder“ betreten und verlassen Menschen mit einem Fingerklick virtuelle Räume. Das Dazwischen, die Übergänge und das „Sowohl-als-auch“ fehlen oder sind deutlich reduziert. Dennoch ist eine emotionale Öffnung möglich und ich selbst bin erstaunt darüber, wie intensiv es werden kann. Dass Menschen sich leicht mitteilen und kritisieren, hängt wahrscheinlich mit dem Online-Enthemmungseffekt (Suler 2004) zusammen. Sie befinden sich allein auf ihrer Seite des Bildschirms und niemand kann ihnen gefährlich werden. Dieser physische Schutzraum führt gleichzeitig zu einer Verschmelzung von Berufs- und Privatleben. Vorteilhaft daran ist, dass zusätzliche Umgebungen für supervisorische Zwecke einbezogen werden können. Jedoch sollten gewährte Einblicke in die Privatsphäre für eine subjektiv gut balancierte Trennung reflektiert werden.

Für die Zukunft kann ich mir den Beratungsmix und die Blended-Supervision weiterhin im Sinne des „Sowohl-als-auch“ vorstellen. Ich favorisiere weder das Präsenz- noch das Online-Format, sondern versuche, Auftraggebenden, Supervisand:innen und mir selbst Unterschiede zu vergegenwärtigen, damit wir gemeinsam eine bewusste Entscheidung über das geeignete Setting treffen können. Hingegen habe ich das hybride Arbeiten aufgrund eingeschränkter technischer Vorrausetzungen und der permanenten Aufmerksamkeitslenkung zwischen physischem und virtuellem Geschehen als herausfordernd erlebt. Hier bin ich auf zukünftige Entwicklungen gespannt.

Ferner möchte ich den Einsatz einer Online-Plattform wie Coachingspace (vgl. Coachingspace GmbH 2022) oder CAI-World (vgl. CAI GmbH o.J.) erproben. Neben der Sicherstellung von Begegnungen in datengeschützten, virtuellen Räumen, werden gegenüber Zoom vielfältige, digitale Methoden zur Verfügung gestellt. Mich interessiert, ob und wie Einschränkungen, die mit Zoom offenbar werden, kompensiert werden können.

Mein Ziel war es, Einblicke in das Erfahrungswissen und methodische Vorgehen von kreativ und zugleich online tätigen Kolleg:innen zu gewinnen. Meinen Interviewpartner:innen bin ich dankbar für die anregenden Gespräche und die zur Verfügung gestellten Ideen. Neben dem Ausbau meiner Methodenkompetenz wurde ich auch in meiner supervisorischen Haltung bestärkt. Zu Beginn hatte ich die Sorge, dass Supervisand:innen irritiert sein würden, wenn ich sie im Online-Setting z. B. zu Bewegungen oder zum Malen mit geschlossenen Augen einlade. Meine vielversprechende Erkenntnis jedoch war, dass ich lediglich etwas Mut brauchte. Je selbstverständlicher ich meine Angebote aussprach, desto mehr gewann ich den Eindruck, die Beteiligten sind offen für und mitunter sogar dankbar über kreative und über das Gespräch hinausgehende Verfahren. In diesem Sinne hoffe ich, dass dieser Artikel nun wiederum interessierten Kolleg:innen als Anregung dient und wünsche viel Erfolg beim Ausprobieren.