1 Einleitung

Coaching war lange ein „praxisgetriebenes“ Feld. Noch im Jahr 2008 vertraten in einer Umfrage unter Arbeits- und Organisationspsychologen 70 % der Befragten die Ansicht, dass die Coaching-Praxis der Coaching-Forschung voraus sei. Damit lag Coaching unter den „Top 5“ von 26 arbeits- und organisationspsychologischen Arbeitsbereichen, bei denen die Forschung hinter der Praxis zurückbleibt, und rangiert damit weit hinter dem Niveau inhaltlich verwandter Felder wie Training, Führungskräfte- oder Organisationsentwicklung (Silzer et al. 2008). Seitdem hat sich die Zahl der coachingrelevanten Publikationen in wissenschaftlichen Zeitschriften mit Peer Review deutlich erhöht, und zwar auch in hochrangingen wissenschaftlichen Zeitschriften. Neben dem Zuwachs an theoretischen und empirischen Primärstudien findet sich auch ein deutlicher Anstieg an Überblicksarbeiten in der Coaching-Literatur, und zwar sowohl in Form qualitativ beschreibender Literaturreviews als auch mittels quantitativer Metaanalysen (z. B. Athanasopoulou und Dopson 2018; Bozer und Jones 2018; Erdös et al. 2020; Pandolfi 2020; De Haan 2019; Wang et al. 2022).

Dennoch wird die Coaching-Forschung nach wie vor vielfach für ihre mangelnde theoretische Fundierung und methodische Mängel kritisiert (Boyatzis et al. 2022; Bozer und Jones 2018; Burt und Talati 2017; Jones et al. 2016; Kotte 2021). Die wichtigsten methodischen Kritikpunkten sind u. a.:

  • die mangelnde Verallgemeinerbarkeit (Stichprobengröße und -gestaltung),

  • die starke Abhängigkeit von Selbsteinschätzungen,

  • das schwache Studiendesign (retrospektive Querschnittsstudien),

  • das Fehlen von Kontrollgruppen.

Bei dem ersten Punkt ist die geringe Größe der Stichproben sowie insbesondere der Rückgriff auf Studierende als Versuchspersonen anstelle von Stichproben von erfahrenen Coaches problematisch (Jones et al. 2016; Sonesh et al. 2015). Die im zweiten Punkt erwähnte Fokussierung auf Selbstberichte von Coachees (und Coaches) führt aufgrund der bekannten Inkonsistenzen zwischen Selbst- und Fremdberichten zu Problemen (De Meuse et al. 2009). Wie im dritten Punkt angeführt, überwiegen in der Coaching-Forschung retrospektive, querschnittliche Studien. Längsschnittstudien, d. h. Prä-Post-Studien oder Studien, die die Wirksamkeit von Coaching zu mehreren Zeitpunkten messen, sind seltener, werden aber dringend benötigt, um kausale Schlüsse zwischen verschiedenen Variablen zu ziehen (Boyatzis et al. 2022; Bozer und Jones 2018; Burt und Talati 2017). Der im vierten Punkt angesprochene Mangel an Kontrollgruppendesigns (experimentell oder quasi-experimentell) schmälert die interne Validität der durchgeführten Studien (Burt und Talati 2017; Jones et al. 2016; Kotte 2021).

Im Folgenden setzen wir uns insbesondere mit dem ersten Kritikpunkt näher auseinander. Einer der Gründe, warum die Stichproben so klein sind, besteht darin, dass erfahrene Coaching-Praktiker:innen und ihre Coachees nur schwer für die Teilnahme an Coaching-Forschung zu gewinnen sind. Um die Coaching-Forschung voranzubringen und valide Forschungsergebnisse zu generieren, die wiederum für Coaching-Praktiker:innen nützlich sind, ist es daher entscheidend, die Skepsis der Praktiker:innen gegenüber der Coaching-Forschung zu verstehen und Gründe zu finden, die eine Teilnahme für sie attraktiv machen.

Die Einstellung von Coaching-Praktiker:innen gegenüber der Coaching-Forschung wurde bisher kaum empirisch untersucht. Wir wissen wenig über die Barrieren, die Praktiker:innen davon abhalten, sich an Coaching-Forschung zu beteiligen, oder darüber, was es für Praktiker:innen attraktiv macht, sich an Coaching-Forschung zu beteiligen. Aus diesem Grund sind wir in einer umfassenden StudieFootnote 1 (Hinn und Kotte 2021) den Fragen nachgegangen: Welche Einstellungen haben Coaching-Praktiker:innen gegenüber der Coaching-Forschung? Welche Faktoren beeinflussen diese Einstellungen? Und wie beeinflussen diese Einstellungen wiederum die Bereitschaft, sich an Coaching-Forschung zu beteiligen? Da wir im Rahmen des 11. Kongresses für psychodynamisches Coaching festgestellt haben, dass die Frage nach der Motivation von Coaching-Praktiker:innen für Forschungsbeteiligungen auf der Forschungsseite und die Frage nach interessanter und inspirierender Forschung auf Praktiker:innen-Seite immer noch aktuell ist, möchten wir in diesem Beitrag eine Kurzzusammenfassung unserer Studie liefern. Wir hoffen, mit der Veröffentlichung unserer Ergebnisse in diesem Beitrag diese einer noch breiteren Leserschaft zur Verfügung zu stellen und dadurch die Reflexionsfähigkeit auf beiden Seiten (Wissenschaft und Praxis) anzuregen: Was können Wissenschaftler:innen tun, um mehr Coaching-Praktiker:innen für Coachingforschung zu gewinnen, und wie können Praktiker:innen sich öffnen und Vertrauen schenken, um an Coachingforschung teilzunehmen?

2 Theoretischer Hintergrund

Angesichts der Vielfalt an Coaching-Definitionen wird Coaching in diesem Beitrag verstanden als eine berufsbezogene, auf den Einzelnen zugeschnittene Lern- und Entwicklungsintervention, die auf der Grundlage einer kooperativen, reflexions- und zielorientierten Beziehung zwischen einem professionellen Coach und einem Klienten darauf abzielt, berufsbezogene Veränderungen zu erreichen, die dem Klienten wichtig sind (Smither 2011, zit. N. Bozer und Jones 2018).

Geringe Stichprobengröße: Im Vergleich zu anderen verwandten, aber etablierteren Forschungsbereichen wie der Trainings- oder Psychotherapieforschung sind die Stichproben in vielen Coaching-Studien klein. In neueren Meta-Analysen zur Wirksamkeit von Coaching, die Informationen zur Stichprobengröße der einbezogenen Primärstudien liefern (Burt und Talati 2017; Wang et al. 2022), liegt die mittlere Stichprobengröße zwischen n = 48 (Wang et al. 2022) und n = 55 (Burt und Talati 2017). Kleine Stichprobengrößen sind problematisch, da die statistische Aussagekraft von der Stichprobengröße abhängt und komplexere Analysen größere Stichproben erfordern, um alle theoretisch relevanten Prädiktoren einbeziehen zu können. Daher sind größere Stichproben erforderlich, um theoretische Annahmen zu testen und die Coaching-Theorie weiterzuentwickeln.

Studentische Stichproben vs. „echte“ Berufstätige als Coaches und als Coachees: Sonesh et al. (2015) vergleichen in ihrer Meta-Analyse verschiedene Klient:innen-Stichproben und fanden signifikante Unterschiede in der globalen Wirksamkeit des Coachings zwischen Studenten- und Berufstätigen-Stichproben: Die globale Wirksamkeit war bei Studien, die Studierenden-Coachings untersuchten, signifikant höher als bei Studien, die Coachings mit „echten“ Berufstätigen untersuchten (sowohl mit als auch ohne Führungsverantwortung). Die Autoren vermuten, dass es in Feldstudien mit Berufstätigen schwieriger sein könnte, unmittelbare Wirkungen zu messen, da Feldstichproben häufig in dynamischeren Umgebungen arbeiten, die mit potenziellen Störfaktoren gespickt sind. Dadurch werden die Ergebnisse für Berufstätige-Coachee-Stichproben wahrscheinlich geschwächt sein (Sonesh et al. 2015). Studentische Stichproben ignorieren den organisatorischen Kontext, in den Coaching am Arbeitsplatz eingebettet ist (Athanasopoulou und Dopson 2018). Die signifikanten Unterschiede machen in jedem Fall deutlich, dass die Übertragbarkeit von Ergebnissen von Studierenden-Coachings auf berufsbezogenes Coaching eingeschränkt ist. Coaching-Forschung, die sich auf Studierende statt auf Berufstätige als Coaching-Klient:innen stützt, hat eine begrenzte ökologische Validität (Übertragbarkeit), kann also nur sehr eingeschränkt herangezogen werden, um die Wirksamkeit und Wirkmechanismen von berufsbezogenem Coaching zu ermitteln (Kotte 2021). Um diese Einschränkungen problematischer Stichprobencharakteristika zu überwinden, sind Forscher:innen auf die aktive Teilnahme von (erfahrenen) Coaching-Praktiker:innen an der Coaching-Forschung angewiesen: Qualitativ hochwertige Coaching-Forschung hängt wesentlich von der Bereitschaft der Coaches zur Teilnahme an Forschung ab, da ökologisch valide Studien auf ausreichend großen Stichproben erfahrener Coaches und Coachees basieren müssen, die „echte“ Profis sind.

Einstellung und Bereitschaft von Praktiker:innen zur Teilnahme an der Forschung: Da wir bisher nur sehr wenig über die Einstellung von Coaching-Praktiker:innen zur Coaching-Forschung wissen, können verwandte, aber weiter fortgeschrittene Forschungsbereiche dazu beitragen, Forschungsfragen im Zusammenhang mit dem Engagement von Coaches in der Forschung zu beleuchten und zu klären. Psychotherapie ist, obwohl sie sich in vielerlei Hinsicht vom Coaching unterscheidet, ebenfalls eine individualisierte, maßgeschneiderte Intervention, die im Wesentlichen auf dem jeweiligen Arbeitsbündnis zwischen professionellen Therapeut:innen und Klient:innen basiert. Die Coaching-Forschung kann daher von der Psychotherapieforschung profitieren (z. B. De Haan et al. 2013). Taubner et al. (2014) haben die bisher differenzierteste Untersuchung der Einstellungen zur Teilnahme an Psychotherapieforschung durchgeführt. Neben Mehrwert, Schaden und Aufwand, die mit der Forschungsteilnahme verbunden sind, identifizieren sie drei zusätzliche Einstellungsfaktoren: Legitimation durch die Forschungsteilnahme, Selbstzweifel der Psychotherapeut:innen bezüglich der Forschungsteilnahme und Zweifel an der Wirksamkeit der Psychotherapie als Behandlungsform, die durch die Forschungsteilnahme ausgelöst werden. Sie fanden zudem heraus, dass Geschlecht und Alter zu den Faktoren gehören, die die Einstellung zur Psychotherapieforschung vorhersagen.

Basierend auf den empirischen Befunden zu Einstellungen und Bereitschaft zur Forschungsteilnahme aus den Bereichen der klinischen Psychologie und der Psychotherapie (Taubner et al. 2014) und dem konzeptionellen Rahmen von der Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen 1991) leiten wir daher fünf ForschungsfragenFootnote 2 ab, die wir hier zu beantworten versuchen.

  1. 1.

    Welche Einstellung haben Coaching-Praktiker:innen gegenüber der Coaching-Forschung?

  2. 2.

    Welche Faktoren (in Bezug auf den Hintergrund von Coaching-Praktiker:innen) beeinflussen die Einstellung von Coaching-Praktiker:innen zur Coaching-Forschung?

  3. 3.

    Wie groß ist die Bereitschaft von Coaching-Praktiker:innen, an Coaching-Forschung teilzunehmen?

Während Audioaufzeichnungen von Coaching-Sitzungen von hoher Relevanz sind, um in der Coaching-Forschung über reine Selbstberichte hinauszugehen (Athanasopoulou und Dopson 2018), zeigen empirische Befunde aus dem Bereich der Psychotherapie eindeutig eine höhere Akzeptanz von Fragebögen als von Audioaufzeichnungen unter Psychotherapeut:innen (Taubner et al. 2014). Wir erwarten, dass wir den gleichen Effekt auch für Coaches finden:

Hypothese 1: Coaches sind eher bereit, an Forschungsstudien teilzunehmen, die das Ausfüllen von Fragebögen erfordern, als an solchen, die Audioaufnahmen von Coachingsitzungen verlangen.

Für den Coaching-Bereich fehlen empirische Belege dafür, warum sich Coaches (verstärkt) an Forschungsprojekten beteiligen oder nicht. Die erhebliche zeitliche Belastung, die mit der Teilnahme an Forschungsprojekten verbunden ist, wurde als Hauptgrund für die Nichtteilnahme von Coaching-Praktiker:innen genannt (Linley 2006), aber dies wurde nicht empirisch untersucht. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Wissen darüber, warum sich Coaches an der Coaching-Forschung beteiligen – oder auch nicht –, sehr begrenzt ist. Wir versuchen daher mit unserer vierten Forschungsfrage, dies zu untersuchen:

  1. 4.

    Welche Faktoren beeinflussen die Bereitschaft zur Teilnahme an Coaching-Forschung?

Zusätzlich zu den Einstellungen als Faktoren zur Vorhersage von Verhalten (Absichten) umfassen Erweiterungen der Theorie des geplanten Verhaltens die vergangene Ausführung eines bestimmten Verhaltens als Prädiktor für die Bereitschaft, sich in Zukunft an diesem Verhalten zu beteiligen (Sommer 2011). Haunberger (2011) fand z. B. heraus, dass die frühere Teilnahme an Online-Panel-Umfragen die Bereitschaft zur zukünftigen Teilnahme an solchen Umfragen vorhersagt. Wir stellen daher die Hypothese auf:

Hypothese 2: Coaches, die bereits an Coaching-Forschung teilgenommen haben, sind eher bereit, sich in Zukunft an Coaching-Forschung zu beteiligen, als Coaches, die bisher nicht daran teilgenommen haben.

Aufbauend auf dieser Hypothese möchten wir zudem explorativ potenzielle Studienteilnehmer:innen genauer unter die Lupe nehmen. Dies ist relevant, um herauszufinden, wie man am besten eine zielgruppenspezifische Rekrutierung von Teilnehmern für zukünftige empirische Coaching-Studien durchführen kann. Daher lautet unsere fünfte Forschungsfrage:

  1. 5.

    Lassen sich verschiedene Typen von Coaching-Praktiker:innen in Bezug auf ihre Einstellung zur Forschung identifizieren und was charakterisiert sie jeweils?

Ein Überblick über die Forschungsfragen und Hypothesen in unserer Studie findet sich in Abb. 1.

Abb. 1
figure 1

Forschungsfragen und Hypothesen

3 Methode

Wir haben den „Attitudes to Psychotherapy-Research Questionnaire“ (APRQ) von Taubner et al. (2014) an Coaching angepasst. Der Fragebogen besteht aus 34 Items, zugeordnet zu sechs Einstellungsfaktoren: Mehrwert, Schaden, Selbstzweifel, Legitimität, Wirksamkeitszweifel und externe Gründe (ebd.). Die internen Konsistenzen der sechs Faktoren waren überwiegend gut (Cronbachs Alpha ≥ 0,70). Die Autoren schlagen vor, für jede Skala die drei bzw. vier Items zu verwenden, die das höchste Cronbachs Alpha ergeben, um ein ökonomischeres Instrument zu schaffen. Wir sind diesem Vorschlag gefolgt und haben den APRQ in der 23-Item-Kurzversion verwendet. Die Begriffe Therapeut/Patient/Therapie wurden durch Coach/Klient/Coaching ersetzt. Außerdem wurden zwei Items umformuliert und ein neues Item erstellt, sodass für jede Skala vier Items zur Verfügung standen. Die 24 ItemsFootnote 3 wurden auf einer fünfstufigen Likert-Skala bewertet, die von 1 (überhaupt nicht) bis 5 (sehr stark) reichte. Wir fragten die Teilnehmenden zudem nach ihrer Bereitschaft, an künftigen Forschungsstudien teilzunehmen, sowie nach ihrer Bereitschaft, in Zukunft Fragebögen zur Datenerhebung einsetzen und Coaching-Sitzungen aufzeichnen zu wollen (alle dichotomen Skalen: ja vs. nicht ja), und ob sie bereits früher an Forschungsstudien teilgenommen haben. Zu den soziodemografischen Angaben gehörten Geschlecht, Alter, Coaching-Ausbildung, Mitgliedschaft in einem Coaching-Verband und ihre bisherige Coaching-Erfahrung. In Anlehnung an die häufige Operationalisierung von Coaching-Erfahrung in verschiedenen Coaching-Markt-Analysen (z. B. Diller et al. 2020) haben wir die professionelle Coaching-Erfahrung dichotomisiert in entweder Noviz:innen (definiert als Coaches mit drei Jahren oder weniger Coaching-Erfahrung) oder Expert:innen (mit mehr als drei Jahren Coaching-Erfahrung). Der Fragebogen wurde sowohl als Online-Umfrage als auch als Papier-Bleistift-Version ausgegeben.

Die Stichprobe setzte sich aus 252 deutschsprachigen Coaches zusammen. 89,2 % derjenigen, die ihre Nationalität angaben, kamen aus Deutschland, 6,0 % aus der Schweiz und 4,8 % aus Österreich. Ihr Alter reichte von 25 bis 71 Jahren mit einem Mittelwert von 49,28 Jahren (SD = 10,19), 122 von ihnen waren weiblich. Im Durchschnitt verfügte die Stichprobe über 10,19 Jahre (SD = 8,25) an Coaching-Erfahrung. Die Coaching-Erfahrung reichte von einem Jahr bis zu 43 Jahren. Die Mehrheit der Teilnehmer hatte eine Coaching-Ausbildung absolviert (75,8 % der 223 Teilnehmer:innen, die diese Frage beantworteten). Im Gegensatz dazu gab nur eine Minderheit der Teilnehmer:innen an, Mitglied in einem Coachingverband zu sein (37,1 % der 170 Teilnehmer:innen, die auf diese Frage antworteten).

4 Ergebnisse

Nähere statistische Details zu der durchgeführten Datenauswertung ebd.

4.1 Forschungsfrage 1: Welche Einstellung haben Coaching-Praktiker:innen zur Coaching-Forschung?

4.1.1 Faktorenanalyse

Für die 24 Items wurde eine Hauptkomponentenanalyse (PCA) mit Varimax-Rotation durchgeführt. Die Anzahl der Faktoren wurde empirisch mittels Parallelanalyse (O’Connor 2000) abgeleitet und ergab vier Faktoren, die zusammen 51,72 % der Varianz erklärten. Um die Homogenität und Zuverlässigkeit der Faktoren zu erhöhen, wurden zwei Items ausgeschlossen. Eine wiederholte PCA mit Varimax-Rotation der verbleibenden 22 Items bestätigte eine Vier-Faktoren-Lösung (Eigenwerte: 4,6, 2,8, 2,3, 1,9), die 53,41 % der Varianz erklärt.

Faktor 1, den wir als Mehrwert der Coaching-Forschung (kurz: Mehrwert) bezeichneten, umfasste sechs Items, die eine globale positive Einstellung zur Coaching-Forschung erfassten. Die Items beschreiben sowohl den persönlichen Mehrwert im Sinne von Wissenszuwachs und verbesserter individueller Praxis als auch den Nutzen für Coaching als Intervention, einschließlich der Legitimität von Coaching durch Forschung. Zwei Beispiel-Items sind: „Die Ergebnisse von Coaching-Studien können mir helfen, meine eigene Praxis zu korrigieren“ oder „Coaching-Forschung ist wichtig, um dem Coaching einen wissenschaftlichen Status zu verschaffen.“ Faktor 1 erklärt 21,11 % der Varianz.

Faktor 2 umfasste sechs Items mit globalen negativen Einstellungen zur Coaching-Forschung. Negative Einstellungen wurden durch Items beschrieben, die eine starke Befürchtung ausdrückten, dass Coaching-Forschung dem Coaching-Prozess oder dem Coaching als Beratungsformat schaden könnte. Daher haben wir den zweiten Faktor als Schaden durch Coaching-Forschung (kurz: Schaden) bezeichnet. Er umfasst auch die Befürchtung des Coachs, durch die Teilnahme an der Forschung persönlich beschämt oder negativ bewertet zu werden. Zwei Beispiel-Items sind: „Coaching-Forschung beeinträchtigt meine Beratungsarbeit in störender Weise“ und „Ich habe Angst, mich durch die Teilnahme an Coaching-Forschung vor Kollegen zu blamieren.“ Faktor 2 erklärt 10,67 % der Varianz.

Faktor 3 wurde als Angst vor der Aufdeckung der Ineffektivität von Coaching (kurz: Effektivitätszweifel) bezeichnet und umfasste sechs Items. Dieser Faktor bezieht sich auf die generellen Zweifel des Coachs an der Wirksamkeit von Coaching als Intervention und die Befürchtung, dass diese angenommene Unwirksamkeit durch die Forschung aufgedeckt werden könnte. Zwei Items dieses Faktors sind: „Ich bezweifle, dass Coaching wirksamer ist als andere Ansätze“ und „Ich bin von der Wirksamkeit von Coaching überzeugt, ohne dass objektive Beweise vorliegen“ (Reverse Coding). Faktor 3 erklärt 12,88 % der Varianz.

Ein vierter Faktor schließlich setzt sich aus vier Items zusammen, die sich auf Bedingungen wie Zeitaufwand und finanzielle Entschädigung im Zusammenhang mit der Teilnahme an der Coachingforschung beziehen. Dieser Faktor wurde als Aufwand im Zusammenhang mit der Teilnahme an der Coaching-Forschung (kurz: Aufwand) bezeichnet und umfasst unter anderem die beiden Items: „Die Teilnahme an der Coaching-Forschung ist für mich aus Zeitgründen nicht möglich“ und „Coaching-Forschung bedeutet für mich unbezahlte Arbeit“. Faktor 4 erklärt 8,76 % der Varianz. Die internen Konsistenzen der vier Faktoren waren überwiegend gut: Mehrwert (α = 0,88), Schaden (α = 0,77), Effektivitätszweifel (α = 0,70) sowie Aufwand (α = 0,68).

4.1.2 Deskriptive Daten und Korrelationen für die vier Einstellungsfaktoren

Der Faktor Schaden war signifikant negativ mit dem Alter verbunden (r = −0,19, p = 0,004), d. h. ältere Coaches hatten niedrigere Werte und fürchteten daher weniger Schaden als jüngere Coaches. Der Faktor Effektivitätszweifel war negativ mit dem Geschlecht der Teilnehmer korreliert (r = −0,20, p = 0,003), d. h. männliche Coaches hatten etwas höhere Werte für den Faktor Effektivitätszweifel als weibliche Teilnehmerinnen (t(224) = 3,05, p = 0,003; d = 0,38). Die Mittelwerte der Einstellungsfaktoren waren signifikant voneinander verschieden (unter Berücksichtigung der Bonferroni-Korrektur). Der Mehrwert, den die Coaches mit der Coaching-Forschung assoziierten, war signifikant höher als alle anderen Faktoren, nämlich als der mit der Coaching-Forschung verbundene Aufwand (t = 15,10, p < 0,001, n = 249; d = 1,48), als der wahrgenommene Schaden (t = 24,35, p < 0,001, n = 249; d = 2,43) und als die Effektivitätszweifel (t = 27,85, p < 0,001, n = 249; d = 2,67). Der wahrgenommene Aufwand wiederum war signifikant höher als der wahrgenommene Schaden (t = 9,19, p < 0,001, n = 252; d = 0,72) und die Effektivitätszweifel (t = 8,72, p < 0,001, n = 252; d = 0,68).

4.2 Forschungsfrage 2: Welche Faktoren (in Bezug auf den Coaching-Hintergrund der Praktiker:innen) beeinflussen die Einstellung von Coaching-Praktiker:innen zur Coaching-Forschung?

Wir untersuchten, ob die Einstellungen zur Coaching-Forschung, d. h. die Faktorwerte, von den Eigenschaften der Coaches beeinflusst wurden. Wir fanden signifikante Unterschiede in den Faktorenniveaus in Bezug auf Merkmale, die mit der Coaching-Erfahrung zusammenhängen (abgeschlossene Coaching-Ausbildung oder nicht; Noviz:innen vs. Expert:innen) und in Bezug auf eine Mitgliedschaft in Coaching-Verbänden. Die Ergebnisse zeigen, dass Teilnehmer:innen ohne Coaching-Ausbildung mehr Schaden und mehr Ineffektivität befürchteten als Coaches mit abgeschlossener Coaching-Ausbildung. Diese Unterschiede waren signifikant mit einem mittleren Effekt (d = 0,55 für Schaden und d = 0,46 für Ineffektivität). Darüber hinaus befürchteten Noviz:innen (in unserer Studie definiert als Coaches mit drei Jahren oder weniger Coaching-Erfahrung) mehr Schaden als Expert:innen mit mehr als drei Jahren Coaching-Erfahrung. Dieser Unterschied war ebenfalls signifikant mit einem mittleren Effekt (d = 0,50). Darüber hinaus sahen Coaches, die angaben, Mitglied in einem Coachingverband zu sein, mehr Vorteile als Coaches, die nicht Mitglied in einem Coachingverband waren. Dieser Unterschied war mit einem kleinen Effekt (d = 0,32) signifikant.

4.3 Forschungsfrage 3: Wie groß ist die Bereitschaft von Coaching-Praktiker:innen, an der Coaching-Forschung teilzunehmen?

Mehr als die Hälfte der Coaches in der Stichprobe (58,1 %) beantworteten die Frage, ob sie an einer Coaching-Forschung teilnehmen würden, mit Ja, während 41,9 % unsicher waren oder nicht teilnehmen würden. Wir befragten die teilnahmewilligen Coaches auch zu bestimmten Methoden der Datenerhebung. Die Mehrheit der Teilnehmer:innen war bereit, Fragebögen zu verwenden: 91,3 % (derjenigen, die diese Frage beantworteten, d. h. 126 Coaches), aber nur 69,5 % wären bereit, die Sitzungen auf Tonband aufzunehmen. Die Coaches sind signifikant zurückhaltender bei der Aufzeichnung von Sitzungen als bei der Verwendung von Fragebögen (χ2 = 19,14, df = 1, p < 0,001, h = 0,45). Daher wurde Hypothese 1 bestätigt.

4.4 Forschungsfrage 4: Welche Faktoren beeinflussen die Bereitschaft zur Teilnahme an Coaching-Forschung?

Zur Vorhersage der Bereitschaft von Coaches, an der Coaching-Forschung teilzunehmen, führten wir eine logistische Regression durch, in die wir zunächst die Vorerfahrungen der Coaches, d. h. ihre frühere Teilnahme an Coaching-Forschung, eingaben. Die erklärte Varianz war signifikant (Nagelkerke’s R2 = 0,040, p = 0,023). Die Vorerfahrung der Coaches sagte signifikant die Bereitschaft zur Teilnahme an Coaching-Forschung voraus (B = 0,77, p = . 026). Das bedeutet, Coaches, die in der Vergangenheit an Forschungsprojekten teilgenommen haben, sind eher bereit, sich an Forschungsprojekten zu beteiligen, als Coaches ohne Vorerfahrung. Daher wurde Hypothese 2 bestätigt.

Als nächstes wurden die vier Einstellungsfaktoren (Mehrwert, Schaden, Effektivitätszweifel, Aufwand) in das Modell aufgenommen. Die erklärte Varianz war signifikant (Nagelkerke’s R2 = 0,32, p < 0,001). Alle Einstellungsfaktoren sagten signifikant die Bereitschaft zur Teilnahme an der Coaching-Forschung voraus (Mehrwert: B = 0,64, p = 0,012; Schaden: B = −0,72, p = 0,019; Effektivitätszweifel: B = −0,70, p = . 035; Aufwand: B = −0,71, p = 0,002). Dies bedeutet konkret: Je mehr Coaches die Teilnahme an der Forschung als ein Mittel zur Verbesserung ihrer Arbeit oder zur Optimierung des Coachings im Allgemeinen wahrnehmen, desto eher sind sie bereit, an Coaching-Forschung teilzunehmen. Andererseits ist die Bereitschaft zur Teilnahme an Coaching-Forschung umso geringer, je mehr Coaches (1) befürchten, dass Coaching-Forschung dem Coaching-Prozess oder dem Coaching im Allgemeinen schadet, (2) an der Effektivität von Coaching zweifeln und befürchten, dass Forschung vermeintliche Ineffizienzen aufdeckt, und (3) die Teilnahme an Forschung als Verlust ihrer Freizeit oder als unbezahlte Arbeit wahrnehmen.

4.5 Forschungsfrage 5: Typen von Coaching-Praktiker:innen bezogen auf ihre Bereitschaft zur Forschungsteilnahme

Nachdem die Facetten, die die Einstellung von Praktiker:innen zur Coaching-Forschung beschreiben, identifiziert wurden und bekannt ist, dass diese die Bereitschaft zur Teilnahme vorhersagen, können potenzielle Studienteilnehmende genauer unter die Lupe genommen werden. Dies ist relevant, um herauszufinden, wie man am besten eine zielgruppenspezifische Rekrutierung von Teilnehmenden für zukünftige empirische Coaching-Studien durchführen kann. Zunächst wurden vier Gruppen von Coaching-Praktiker:innen gebildet, basierend auf den beiden Variablen Teilnahmebereitschaft (Würden Sie prinzipiell an einer Studie teilnehmen) und Vorerfahrung mit Coaching-Forschung (Haben Sie schon einmal an einer Studie teilgenommen?). Abb. 2 unterscheidet Typ (1) die Verweigerer, Typ (2) die Vergraulten, Typ (3) die Überredungsswilligen, Typ (4) die Überzeugten. Die „Verweigerer“ haben bisher noch nicht an einer Forschungsstudie teilgenommen und beabsichtigen auch nicht, dies in Zukunft zu tun. Die „Vergraulten“ haben bereits in der Vergangenheit an Forschung teilgenommen und wollen dies in Zukunft allerdings nicht mehr tun. Die „Überredungswilligen“ haben bisher noch nicht an einer Forschungsstudie teilgenommen, sind aber offen für eine künftige Teilnahme. Und die „Überzeugten“ haben bereits in der Vergangenheit an Forschung teilgenommen und beabsichtigen, dies auch in Zukunft zu tun.

Abb. 2
figure 2

Vier Typen bezogen auf ihre Bereitschaft zur Teilnahme an Forschung

Zur Beantwortung der fünften Forschungsfrage: „Lassen sich verschiedene Typen von Coaching-Praktiker:innen in Bezug auf ihre Einstellung zur Forschung identifizieren und was charakterisiert sie jeweils?“ wurde eine MANOVA durchgeführt. Es konnte ein signifikanter Effekt der vier Typen auf die Einstellung zur Coachingforschung gefunden werden, V = 0,25, F(12, 504) = 3,75, p < 0,001. Das bedeutet, dass es signifikante Unterschiede zwischen den vier Typen bezogen auf die Einstellungsfaktoren gibt. Separate univariate ANOVAs zu den Einstellungsfaktoren als Ergebnisvariablen ergaben signifikante Effekte auf Mehrwert, F(3, 169) = 6,56, p 0,001 (𝜂p2 = 0,104), Schaden, F(3, 169) = 5,52, p < 0,001 (𝜂p2 = 0,089), Aufwand, F(3, 169) = 7,50, p 0,001 (𝜂p2 = 0,117), und keine signifikanten Auswirkungen auf den Faktor Effektivitätszweifel, F(3, 169) = 2,19, p = 0,091. Abb. 3 zeigen die jeweiligen Niveaus der Einstellungen zur Coaching-Forschung für die vier verschiedenen Typen.

Abb. 3
figure 3

Ausprägung der Einstellungsfaktoren für die vier Typen

Bonferroni-Post-hoc-Tests zeigten folgende Unterschiede zwischen den Typen: Typ 1 (die Verweigerer) erwartet weniger Mehrwert (d=0,63, p=0,009), mehr Schaden (d=0,58, p=0,014) und mehr Aufwand (d=0,85, p < 0,001) als Typ 3 (die Überredungswilligen). Typ 2 (die Vergraulten) erwartet weniger Mehrwert (d= 1,0, p=0,002), mehr Schaden (d=0,92, p=0,009) und mehr Aufwand (d=0,83, p=0,024) als Typ 3 (die Überredungswilligen). Dies könnte darauf hindeuten, dass die vergraulten Teilnehmer zuvor schlechte Erfahrungen mit der Teilnahme an Coaching-Forschung gemacht haben. Sowohl Typ 4 (die Überzeugten) als auch Typ 3 (die Überredungswilligen) erwarten mehr Mehrwert als Typ 2 (die Vergraulten) (d=0,79, p = 0,021) und (d= 1,0, p = 0,002).

5 Diskussion

Ob Coaches an Coaching-Forschung teilnehmen oder nicht, kann als ein Annäherung-Vermeidungs-Konflikt (Lewin 1935) verstanden werden, den Coaches wahrscheinlich mit Hilfe einer Kosten-Nutzen-Analyse lösen werden. Auf der Seite der Annäherungsfaktoren ist der von den Coaches wahrgenommene Mehrwert der Forschung hoch und signifikant höher als das Ausmaß der negativen Folgen, die Coaches mit der Teilnahme an der Forschung verbinden, nämlich Schaden und die Befürchtung, dass die Forschung die Unwirksamkeit des Coachings aufdecken könnte. Allerdings empfinden die Coaches die notwendigen Investitionen als kostspielig. Der wahrgenommene Aufwand, der mit einer Forschungsteilnahme verbunden ist, stellt daher einen wichtigen Vermeidungsfaktor dar. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund relevant, dass ein großer Teil der Coaches selbstständig ist (91,6 %, z. B. nach Stephan und Rötz 2018). Selbstständige leiden stärker unter Zeitarmut als andere Arbeitnehmer (Merz und Rathjen 2011). Sie erleben auch ein höheres Stressniveau (Cardon und Patel 2015) und müssen längere Arbeitszeiten und hohen Zeitdruck in Kauf nehmen (Stephan 2018).

Die Rolle von Vorerfahrungen bei der Forschungsbeteiligung: Wir fanden heraus, dass eine frühere Teilnahme die Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Teilnahme an der Coaching-Forschung erhöhte. Unsere Ergebnisse scheinen also mit dem „mere exposure effect“ (Zajonc 1968) übereinzustimmen: Menschen neigen dazu, eine Vorliebe für Dinge zu entwickeln, denen sie zuvor ausgesetzt waren. Dennoch ist es wichtig, gute erste Erfahrungen mit der Teilnahme an Forschungsprojekten zu machen. In unserer Studie gaben 9,25 % der Coaches, die zuvor an Coaching-Forschungsprojekten teilgenommen hatten, an, dass sie nicht wieder teilnehmen würden. Die Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen 1991) geht davon aus, dass vergangene Verhaltensweisen künftige Verhaltensweisen vorhersagen, weil vergangene Verhaltensweisen einen Informationswert haben (Verplanken et al. 1997). Der Informationswert früherer Forschungsteilnahmen kann negativ sein (im Sinne negativer Erfahrungen oder fehlender Vorteile, die mit der Forschungsteilnahme verbunden sind) oder positiv (im Sinne persönlicher Vorteile, die sich aus der Forschungsteilnahme ergeben). Forscher können daher die Bereitschaft der Coaches zur Teilnahme aktiv erhöhen, indem sie positive Erfahrungen mit der Forschungsteilnahme schaffen.

Vier verschiedene Typen bezogen auf ihre Bereitschaft zur Teilnahme: Um die Stichprobengröße in zukünftigen Studien zu erhöhen, sind vor allem die „Vergraulten“ und die „Überredungswilligen“ interessant. Die „Überredungsswilligen“ haben noch nicht an einer Forschungsstudie teilgenommen, können sich aber eine Teilnahme in Zukunft vorstellen. Diese Gruppe könnte durch gute Argumente überzeugt werden. Die „Vergraulten“ haben bereits in der Vergangenheit an einer Studie teilgenommen und wollen in Zukunft nicht mehr teilnehmen. Insbesondere der Vergleich dieser beiden Gruppen (Vergraulte und Überredungswillige) zeigt Unterschiede in der Einstellung zur Coachingforschung. Die „Vergraulten“ erwartet weniger Mehrwert, mehr Schaden und mehr Aufwand im Vergleich zu den „Überredungswilligen“. Dies könnte darauf hinweisen, dass diese Teilnehmer in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit der Teilnahme an Coaching-Forschung gemacht haben. Kurz gesagt, die „vergraulten“ Teilnehmer:innen haben die Erwartung, dass die Teilnahme an Coaching-Forschung keinen Mehrwert bringt, dass sie dem Coaching schadet und einen hohen Aufwand bedeutet. Diese Teilnehmenden müssen erst einmal vom Gegenteil überzeugt werden, um ihnen den Mehrwert von Coachingforschung zu vermitteln, ihnen die Angst vor Schaden zu nehmen und den Aufwand zu rechtfertigen. Sie müssen daher besonders überzeugt werden, es erneut zu versuchen und den Forschern ihr (verspieltes) Vertrauen erneut zu schenken.

Das Spannungsfeld zwischen dem Schutz der Coaching-Privatsphäre und der Förderung der Coaching-(Prozess‑)Forschung: Obwohl der potenzielle Schaden der Coaching-Forschung geringer eingeschätzt wird als der potenzielle Mehrwert und der Aufwand, haben Coaches Bedenken, dass die Coaching-Forschung den Coaching-Prozess stört. Vertraulichkeit ist eine wesentliche Voraussetzung für den Aufbau einer tragfähigen Arbeitsbeziehung, die wiederum für den Erfolg von Coaching unerlässlich ist (Graßmann et al. 2020; Louis und Fatien Diochon 2018). Klient:innen schätzen den intimen und geschützten Raum, in dem sie in Ruhe und ohne die Anwesenheit anderer über ihre Probleme sprechen können (Looss 2006). Es ist daher nicht verwunderlich, dass Coaches Tonbandaufnahmen weitaus zurückhaltender gegenüberstehen als Fragebögen. Angesichts der nachgewiesenen Unstimmigkeiten im Coaching zwischen Selbst- und Fremdberichten (z. B. De Meuse et al. 2009) und zwischen Fragebogen- und Beobachtungsdaten (Gessnitzer und Kauffeld 2015) ist die Audioaufnahme (oder sogar die Videoaufnahme) das Medium der Wahl, um möglichst störungsfrei Zugang zu dem zu erhalten, was tatsächlich in der Blackbox des Coachings stattfindet (Gessnitzer und Kauffeld 2015; Ianiro und Kauffeld 2011). Dies ist für die Coaching-Forschung, insbesondere die Coaching-Prozessforschung, unabdingbar, um diese voranzubringen.

Die Rolle der Coachingausbildung und der Mitgliedschaft in Berufsverbänden für die Einstellung von Coaches zur Forschung: Unsere Studie deutet darauf hin, dass die Ausbildung von Coaches und die Mitgliedschaft in Coaching-Verbänden für das Engagement von Coaching-Praktiker:innen in der Coaching-Forschung wichtig sind. Die Ausbildung von Coaches puffert den wahrgenommenen Schaden ab, und die Mitgliedschaft in einem Berufsverband fördert den wahrgenommenen Mehrwert der Coaching-Forschung. Diese Ergebnisse sind insofern vielversprechend, als sie auf die positive Rolle hinweisen, die die Coaching-Ausbildung und Berufsverbände bei der Verringerung der Kluft zwischen Forschung und Praxis spielen können.

Implikationen für die Gestaltung der Beziehungen zwischen Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen: Unsere Studie zeigt mehrere Hebel auf, um die Beteiligung von Praktiker:innen an der Forschung zu erhöhen und dadurch die Kluft zwischen Forschung und Praxis zu verringern. Forscher:innen können dazu beitragen, sowohl die Annäherungsfaktoren, d. h. den wahrgenommenen oder tatsächlichen Mehrwert der Coaching-Forschung, zu erhöhen als auch die Vermeidungsfaktoren, insbesondere den Aufwand, zu verringern. Wie Kotte et al. (2015) hervorgehoben haben, müssen Forscher:innen, wenn sie Coaching-Praktiker:innen anziehen wollen, sich als Dienstleister:innen verstehen und sich verpflichten, die Bedürfnisse der Praktiker:innen zu erkennen und darauf einzugehen. Abb. 4 gibt einen Überblick über spezifische Maßnahmen, die Forscher:innen ergreifen könnten, um die Forschungsbeteiligung von Coaching-Praktiker:innen zu fördern.

Abb. 4
figure 4

Was können Forscher tun, um die Beteiligung von Coaches an der Coaching-Forschung zu fördern und zu erhöhen?

Limitationen und weiterführende Ideen für zukünftige Forschung finden sich im Originalbeitrag und wurden aus Platzgründen hier ausgespart.