1 Einleitung: Weshalb ist das Spannungsfeld von Dominanz und Unterordnung für Coaches bedeutsam?

Das Verhältnis zwischen Dominanz und Unterordnung, häufig auch als Macht und Ohnmacht bezeichnet, stellt eine bedeutende sozio-emotionale Dimension im Arbeitskontext dar (Scholl 2013, S. 4). Ein in Coaching-Prozessen häufig anzutreffendes Thema ist die Machtlosigkeit, die Coachees in ihrem jeweiligen beruflichen Kontext erleben. Es geht demnach oft um Ohnmachtserleben, das von der Erfahrung begleitet wird, unter der Machtausübung oder der Gegenmacht Anderer zu leiden (v. Ameln 2017; Löwer-Hirsch 2017; Michalik 2017; Scholl und Looss 2017). Wer hingegen dominant agiert und nach Macht strebt, kann Ohnmachtserleben möglicherweise unter Kontrolle halten. Einerseits ließe sich hier im Sinne von „viel hilft viel“ überlegen, ob durch die Maximierung von Dominanzstreben und die Ausweitung von Macht die Wahrscheinlichkeit steigt, dass Erfahrungen von Ohnmacht oder geringer Wirksamkeit vermieden werden. Andererseits handelt es sich bei Dominanz und Unterordnung um eine relationale Dimension, die im zwischenmenschlichen Miteinander stattfindet (Burgoon et al. 1998; Burgoon und Dunbar 2000). Machtausübung bringt sozialrelevante Konsequenzen mit sich (v. Ameln und Heintel 2016). Wo jemand dominiert und Macht ausübt, gibt es zugleich eine Person, die damit konfrontiert wird und entscheidet, wie sie damit umgeht.

Denkbar ist, dass die Person sich unterordnet und dem Aufforderungsinhalt der Dominanz folgt. Denkbar ist auch, dass die Person sich aktiv widersetzt und ebenso dominant reagiert. Nicht zuletzt ist es möglich, dass die Person sich scheinbar unterordnet und nicht aktiv widerspricht, sondern durch passive Verhaltensweisen Widerstand in einer subtilen Weise zum Ausdruck bringt. Auch letztere Möglichkeit kann auf diese Weise Machtverhältnisse beherrschen. Man denke an ungeliebte Arbeitsaufträge, die Führungskräfte ihren Mitarbeitern erteilen und die von diesen widerwillig, zeitverzögert oder auch unter Angabe vielfältiger Ausreden gar nicht durchgeführt werden. Wer darüber hinaus in einer Art dominant agiert, die den Arbeitskolleg/innen oder auch allgemein den Mitmenschen nicht verträglich erscheint, muss zudem damit rechnen, dass das Miteinander in Mitleidenschaft gezogen wird.

Wie sich andeutet, gestalten sich die Erscheinungsformen der Dimension von Dominanz und Unterordnung komplex, und die Abbildung in konkreten Situationen im Arbeitskontext kann sich sowohl problembehaftet und dysfunktional als auch sinnvoll und funktional darstellen. Dieser Beitrag legt den Fokus auf problembehaftete, dysfunktionale Erscheinungen, die Menschen in beruflichen Kontexten in ein Coaching führen bzw. die im Laufe von Coachingprozessen zum Thema werden. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass es je nach situativer Anforderung allgemein ein sinnvolles Ziel ist, für sich einen flexiblen Umgang mit dem Verhältnis von Dominanz und Unterordnung zu verinnerlichen, welcher es einem ermöglicht, situativ in adäquater Weise dominant oder unterordnend zu agieren.

Coaching könnte aus Sicht von Berufstätigen in ihrem jeweiligen Arbeitskontext Mittel der Wahl sein, wenn sich die Ausbalancierung von Dominanz und Unterordnung problematisch darstellt, sodass sie gar arbeitsalltags- und lebensbestimmende Spannungen mit sich bringt. Die Fragestellung, wie eine adäquate Steuerung des skizzierten Spannungsfeldes gelingt, kann im Coaching bearbeitet werden, wobei anzunehmen ist, dass der Coachee diese Fragestellung zunächst nicht explizit als Anliegen formuliert. Aus Sicht der Coaches stellt sich die Situation so dar, dass Coachees mit unterschiedlichen Denk- und Verhaltensweisen ins Coaching kommen und mit diesen die Zusammenarbeit prägen. So wird ein Coachee im Kontakt mit dem Coach möglicherweise eben auch jene Erlebens- und Verhaltenstendenzen im Zusammenhang mit Dominanz und Unterordnung zeigen, die ihm in seinem alltäglichen Berufsleben Probleme bereiten.

Somit erhält das Spannungsfeld von Dominanz und Unterordnung auch Einzug in die Interaktion zwischen Coach und Coachee. Hinzu kommt, dass eine Person, die sich ohnmächtig erlebt, in einer bestimmten Art und Weise denkt und handelt, die sich von einer nach Dominanz strebenden Person, die sich machtvoll erlebt, unterscheidet (Guinote 2017; Keltner et al. 2003; Galinsky et al. 2003, 2006). Coaches machen sich in der Regel ein Bild davon, wie Coachees denken und handeln, und ordnen dies diagnostisch ein. Auf Basis einer Diagnose, dass die Ausbalancierung des Spannungsfeldes für den Coachee ein besonderes Thema darstellt, ergibt sich die Frage, wie interventionell hiermit umgegangen werden kann. Insofern liegt diesem Beitrag folgende Fragestellung zugrunde: Welche Wirkfaktoren und Interventionen sind hilfreich, um den Coachee in seiner Selbstregulation von Dominanz und Unterordnung zu unterstützen?

2 Das Spannungsfeld von Dominanz und Unterordnung

Einordnungen der Begriffe Dominanz und Unterordnung unterscheiden sich in Abhängigkeit von der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin, wobei innerhalb dieser wiederum unterschiedliche Foki gesetzt werden. Für die vorliegende Betrachtung sei angemerkt, dass es beim Spannungsfeld von Dominanz und Unterordnung in erster Linie um Motivationen bzw. Motive geht, mit denen Menschen auf jeweils unterschiedliche Weise an Macht orientiert sind bzw. auf der Erlebens- sowie Verhaltensebene different mit diesem Phänomen umgehen. Insofern steht Macht im Zentrum des Spannungsfeldes von Dominanz und Unterordnung. Wie oben bereits angedeutet, werden die Begriffe Dominanz und Macht sowie Unterordnung und Ohnmacht in der Fachliteratur häufig synonym verwendet bzw. weisen untereinander eine enge Konstruktverwandtschaft auf (Hall et al. 2005). Deshalb wird in diesem Beitrag und der diesem zugrundeliegenden Forschungsarbeit keine trennscharfe Abgrenzung der Begrifflichkeiten vorgenommen.

Die Dynamik zwischen Dominanz und Unterordnung bildet sich psychologisch und soziostrukturell ab (Tost 2015). Psychologisch gesehen bedeutet dies, dass ein Mensch zu dominanten und/oder unterordnenden Erlebens- und Verhaltenstendenzen motiviert ist und dies durch entsprechende Verhaltensweisen zeigt (Anderson und Berdahl 2002). Neben der motivationalen Komponente umfasst die psychologische Perspektive auf Dominanz und Unterordnung zudem eine kognitive Komponente auf jeweils einer bewussten sowie einer unbewussten Ebene (Tost 2015; Smith und Bargh 2008). Die Struktur der psychologischen Auffassung von Dominanz und Unterordnung ist in Tab. 1 zusammengefasst.

Tab. 1 Psychologische Abbildung des Spannungsfeldes von Dominanz und Unterordnung

Aus soziostruktureller Sicht steht die objektive Ressourcenkontrolle im Mittelpunkt der Konzeption von Dominanz und Unterordnung (Tost 2015, S. 30). Ressourcen können allgemein Aspekte beinhalten, die das Wohlbefinden einer Person ausmachen sowie instrumentell in Gestalt von legitimierter Autorität, Expertise oder auch Informationsvorsprüngen erscheinen (Raven 1993, S. 233). Strukturelle Macht wird bestimmt durch formale wie informale Strukturen von Systemen, die einen Rahmen bilden und regeln, in welchen Relationen Menschen zueinanderstehen (Gruenfeld 2020; Fiske und Berdahl 2007, S. 678 ff.). Die Determinanten des Spannungsfeldes stellen sich insgesamt vielfältig und komplex dar. Die wesentlichen Einflussfaktoren sind in Abb. 1 zusammengefasst (vgl. Anderson et al. 2012; Smith und Galinsky 2010; Tost 2015). Die Anordnung der Elemente ist exemplarisch gewählt und kann unterschiedlich gestaltet sein. Die Motivation ist mittig platziert, um zu verdeutlichen, dass die Relation zwischen Dominanz und Unterordnung ein Konfliktpotenzial birgt, das intra- wie interpersonal erscheinen kann.

Abb. 1
figure 1

Determinanten des Spannungsfeldes von Dominanz und Unterordnung

3 Coaching für eine Selbstregulation – eine Orientierung durch die OPD

Psychodynamische, kognitiv-behaviorale oder auch systemisch-orientierte Coachingkonzepte setzen mit jeweils unterschiedlichem Schwerpunkt an den grundlegenden Mechanismen und Einflussfaktoren von Dominanz und Unterordnung an, die in den beiden Abbildungen dargestellt sind. Eine Anleitung zur unbewusst-motivationalen Komponente (vgl. Tab. 1) bzw. zum Baustein Motivation (vgl. Abb. 1) stellt die Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD) bereit, auf die im Folgenden in Bezug zur Forschungsfrage näher eingegangen wird.

Wie angedeutet können tendenziell gegenläufige unbewusste Motivationen zu einem intrapersonalen Konflikt führen. In diesem Fall liegt die Herausforderung darin, eine Abwägung vorzunehmen, mit der es bestenfalls gelingt, dass die an dem Konflikt beteiligten Motivationen insgesamt eine für das Wohlbefinden hinreichende Befriedigung erfahren. Im Spannungsfeld von Dominanz und Unterordnung erfährt eine Person den Konflikt zwischen dem Motiv, eine Beziehungsdynamik oder ein Geschehen dominieren zu wollen, und dem Motiv, sich diesen unterzuordnen. Gelingt von Situation zu Situation eine adäquate Ausbalancierung zwischen den Motiven, hat die Person ein perpetuiertes Konfliktlösungsprogramm verinnerlicht, das auf integrierte Weise ein stabiles Gleichgewicht zuverlässig sicherstellt. Eine anders geartete Verarbeitungsform des Konflikts kann darin bestehen, dass sich beim Aufeinandertreffen der beiden Motive dauerhaft ein Motiv durchsetzt, während das andere chronisch frustriert und abgewehrt wird. Auf diese Weise wird ein permanentes Ungleichgewicht erreicht, in dem sich eine Person fortlaufend getrieben fühlt, sich unterzuordnen oder stets dominieren zu wollen.

Konzeptualisiert als Konfliktachse liegt die zuvor beschriebene Betrachtungsweise sinngemäß dem Manual der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD) zugrunde (Arbeitskreis zur OPD 2014). Bei der OPD handelt es sich um ein klinisches Diagnostik- und Therapieplanungsinstrument, das auf psychodynamischen Konstrukten basiert, die beobachtungsnah erfasst werden. Es besteht im Kern neben der Konfliktachse aus einer Beziehungsachse und einer Strukturachse. An dieser Stelle wird aufgrund der besonderen Relevanz für das Thema Dominanz und Unterordnung ausschließlich auf die Konfliktebene Bezug genommen.

Im Manual der OPD wird beispielhaft beschrieben, wie sich im beruflichen Kontext bemerkbar machen kann, ob eine Person eine unausgewogene Konfliktverarbeitung bezüglich Dominanz und Unterordnung lebt. So kann sich eine chronifizierte Unterordnung darin zeigen, dass eine Person trotz möglicher Aufstiegschancen untergeordnete Positionen beibehält. Aus Angst vor Machtausübung werden Selbstständigkeit und Entscheidungen vermieden, und es kommt nicht selten vor, dass organisationale Anforderungen passiv unterlaufen werden. Die verfestigte Dominanz kann sich darin zeigen, dass leitende Positionen mit großer Selbstständigkeit angestrebt werden und sich die betreffende Person selbst als das Maß aller Dinge sieht. Auf jedwede Kritik wird aversiv und konfrontativ reagiert. Durch die äußerst dominanten Verhaltensweisen erscheint die Person für Andere ausgesprochen konfliktträchtig. Ohnmachtserleben muss bei dieser Form der Konfliktverarbeitung um jeden Preis vermieden werden (vgl. Arbeitskreis zur OPD 2014).

Es ist zu berücksichtigen, dass die OPD für die Psychotherapie konzipiert wurde und es beim Coaching nicht um die Diagnostik und Therapie psychischer Störungen geht. Gleichwohl ist es aus Sicht des Coachs sinnvoll, sich ein Bild davon zu machen, welche Motivationen vordergründig das Denken und Handeln des Coachees prägen und leiten. Entsprechend legen Benecke und Möller (2019, S. 191) sowie Kotte et al. (2019, S. 73) dar, dass die Grundlagen der OPD auch für diagnostische und interventionsplanerische Zwecke im Coaching bzw. Arbeitskontext geeignet sind. Wenngleich es sich insgesamt um ein recht aufwendiges Verfahren handelt, das eine Ausbildung für den adäquaten Umgang mit dem Instrument verlangt, bietet es z. B. die Möglichkeit, Coachingsprozesse in Orientierung an der möglichen Konfliktkonstellation von Dominanz und Unterordnung in Ansätzen zu planen sowie zu gestalten (Benecke und Möller 2019, S. 197; Giernalczyk et al. 2018). Für den Forscher resultierte hieraus das Interesse an einer Erhebung, mit welchen Interventionen und Wirkprinzipien erfahrene Coaches ihre Coachees bei der Selbstregulation von Dominanz und Unterordnung unterstützen. So wurde im Hinblick auf die eingangs genannte Forschungsfrage die im Folgenden beschriebene Methode entworfen.

4 Methode: Eine qualitative Studie auf Basis von acht Expert/inneninterviews

Im Zeitraum von Februar bis Juli 2020 wurden acht Interviews mit ausgewählten Expert/innen durchgeführt. Expert/innen im Sinne der Forschungsarbeit waren Personen, die als Coach und/oder Psychologe beratend tätig sind und hierzu eine entsprechende Ausbildung durchlaufen haben sowie einem professionellen Berufsverband angehören. Über die Homepages der DGSv, des DBVC und über die Coach-Datenbank sowie die universitäre Liste der Lehrsupervisoren wurden die potenziellen Interviewpartner/innen ausgewählt. Das Hauptkriterium bei der konkreten Auswahl stellte die Haltung bzw. Arbeitsweise des Coachs dar, die über den individuellen Webauftritt oder die genannten Datenbanken erkennbar waren. Das Ziel bestand darin, Coaches zu befragen, die ihre Arbeit grundsätzlich schulenübergreifend ausrichten, wobei die Interventionen schwerpunktmäßig auf psychodynamischen, kognitiv-behavioralen und/oder systemischen Coachingansätzen basieren. Die Auswahl der Expert/innen hat sich zudem an deren Berufserfahrung orientiert. Die interviewten Coaches sind zum Zeitpunkt des jeweiligen Interviews im Durchschnitt seit fünfzehneinhalb Jahren professionell tätig.

Die Expert/inneninterviews wurden anhand eines Leitfadens durchgeführt. Im Kern wurden die Expert/innen gebeten, konkrete Coachingepisoden bzw. -prozesse zu erinnern, bei denen sie den Eindruck hatten, dass Dominanz und Unterordnung ein zentrales Thema war und sich dies ggf. als explizites Anliegen herausstellte. Ohne die OPD explizit zu nennen, erhielten die Expert/innen zu Beginn der Interviews eine einleitende, an den oben erwähnten Ausführungen der OPD orientierte Beschreibung, wie sich der intrapersonale Konflikt von Dominanz und Unterordnung bei einem Coachee zeigen kann. Zu den Interviews erfolgte jeweils eine Audioaufzeichnung, die anschließend transkribiert wurde. Ergänzend wurden Memos angefertigt, um die Kerninhalte der Interviews zusammenzufassen und Hypothesen und Ideen festzuhalten.

Um aus den erhobenen Daten Rückschlüsse auf die Forschungsfrage ziehen zu können, wurden die transkribierten Interviews anhand eines textanalytischen Ansatzes ausgewertet. Hierzu wurde das Verfahren der inhaltlich-strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse gewählt (Kuckartz 2018, S. 97; Schreier 2014). Das Ziel dieser Inhaltsanalyse bestand darin, unter der bestimmten forschungsleitenden Perspektive dieser Arbeit die Komplexität des Datenmaterials zu reduzieren und die Inhalte so zu kategorisieren, dass sie in konkretem Bezug zur Forschungsfrage stehen. Die Analyse erfolgte unter Anwendung der Software MAXQDA. Schließlich wurde ein Kategoriensystem erstellt, welches das Ergebnis eines sowohl deduktiv als auch induktiv orientierten Ordnungsprozesses darstellt. Der deduktive Rahmen wurde in Anlehnung an Schreyögg (2011, S. 47 ff.) gesetzt, wobei die Interviewinhalte in eine kategorial geordnete Wissensstruktur gebracht wurden. Aus dem Material heraus wurde die Struktur auf induktive Weise verfeinert. Die Gesamtstruktur des Kategoriensystems ist so angelegt, dass sie vor dem Hintergrund der Forschungsfrage von allgemein zu spezifisch führt. Nach den unten dargestellten Oberkategorien wurden die Interviewinhalte schließlich geordnet. Auf eine Aufführung der Unterkategorien wird hier aus Kapazitätsgründen verzichtet.

  1. 1.

    Grundlegendes Selbst- und Beratungsverständnis der Coaches

  2. 2.

    Wie Coaches Dominanz/Unterordnung begrifflich und konzeptuell einordnen

  3. 3.

    Wie Coaches die Relevanz von Dominanz/Unterordnung einschätzen

  4. 4.

    Worauf Coaches Dominanz/Unterordnung zurückführen

  5. 5.

    Allgemeine Wirkfaktoren, die Coaches ihrer Arbeit mit Dominanz/Unterordnung zugrunde legen

  6. 6.

    Grundlegende Coachingkonzepte, auf die sich Coaches im Zusammenhang mit Dominanz/Unterordnung beziehen

  7. 7.

    Wie Coaches die Inszenierung von Dominanz/Unterordnung im Coaching nutzen

  8. 8.

    Themenspezifische Methoden mit maßgeschneidertem Bezug zu Dominanz/Unterordnung

5 Ergebnisse: Das sagen die Expert/innen

Als sämtliche inhaltsrelevanten Textstellen aus den Interviews anhand des Kategoriensystems codiert waren, konnten zunächst grundlegende Zusammenhänge zur Verteilungsstruktur der Kodierungen beobachtet werden. Beispielsweise zeigte sich, dass sich die Expert/innen insgesamt bedeutend häufiger auf grundlegende Prinzipien ihrer Coachingpraxis bezogen, während weniger das Spezifische an den Interventionen zum Thema Dominanz und Unterordnung herausgestellt wurde. Die für den Forscher explizit erkennbare Einordnung von Dominanz und Unterordnung in wissenschaftliche Theorien bzw. Konzepte erfolgte deutlich seltener als alltagstheoretische, erfahrungsbasierte Assoziationen. Je häufiger psychodynamische Arbeitsprinzipien in den Äußerungen ersichtlich wurden, desto eher wurde auf die Dynamik von Dominanz und Unterordnung in der Beziehung zwischen Coach und Coachee Bezug genommen. Zur Veranschaulichung werden im Folgenden jeweils beispielhafte Zitate zu jeder Oberkategorie angeführt und erläutert, welche Definition der jeweiligen Kategorie zugrunde lag.

5.1 Grundlegendes Selbst- und Beratungsverständnis

Mit Selbstverständnis ist neben der Idee von der eigenen Rolle als Coach auch die allgemeine Vorstellung zum menschlichen Selbst gemeint. Aussagen der Coaches zum Beratungsverständnis drücken aus, wie sie ihre Dienstleistung, die Durchführung von Beratung, in Bezug zu Dominanz und Unterordnung qualitativ auffassen.

Im ganzen Beratungsmarkt gibt es ja viele Leute, die praktisch irgendwie Angst und Schrecken verbreiten und dann sagen: „Aber ich erlöse dich.“ Und wenn dann alle stramm stehen vor solchen Beraterinnen und Beratern, wenn die genügend Angst gehabt haben, dann kommen die wieder und sagen: „Ach, aber wir haben eine Lösung. Kein Problem, wir lösen das für Sie.“ […] Dann machen die halt ihre Strategien, aber ob das sinnvoll ist für den Betrieb, […] das ist noch eine ganz andere Frage. Das ist Dominanz und Unterordnung.

5.2 Wie Coaches Dominanz/Unterordnung begrifflich und konzeptuell einordnen

In dieser Kategorie wurde erfasst, womit die interviewten Coaches die Begriffe Dominanz, Unterordnung und Macht assoziieren. Dies wurde u. a. erkennbar anhand der Merkmale, mit denen sie ihre Coachees beschrieben. Zudem wurden einzelne von den Coaches assoziierte Begriffe sowie verwandte Konstrukte oder Themen eingeordnet, die sie im Laufe des Interviews nannten.

Das war allerdings durchaus vom Coachee auch irgendwie erwünscht, also er ist sehr mitgeschwommen, und von daher passt dieses Thema und die Bezeichnung Unterordnung ganz gut. Ich hatte den Eindruck, dass er sich sehr in meine Ideen, sag ich mal, eingebracht hat, ohne selber neue sozusagen zu kreieren.

Es hat den ein bisschen gewissermaßen auch in die Leitungsposition, ja wie soll ich sagen, gespült. Aber in der Leitungsposition hat er gewissermaßen anderen Macht überlassen, also die hierarchisch unter ihm angesiedelt waren. Und ich hatte eben im Hintergrund schon ein bisschen die Information, dass es darum gehen könnte, den Menschen ein bisschen zu stärken in seiner Rolle. Also, dass der sich mehr durchsetzen kann.

Hinsichtlich verwandter Konstrukte werden Selbstwirksamkeit, Selbstentwertung und Narzissmus assoziiert. Es deutet sich an, dass diese Konstrukte als Korrelate im Zusammenhang mit Dominanz, Unterordnung und Macht regelmäßig in Erscheinung treten oder auch synonym verwendet werden.

5.3 Wie Coaches die Relevanz von Dominanz/Unterordnung einschätzen

In dieser Kategorie werden Darlegungen der Experten erfasst, die verdeutlichen, wie sie allgemein die Relevanz der Thematik für Coaching einschätzen und wo innerhalb des Themas die Schwerpunkte liegen bzw. wie sie diese formulieren.

Ja, also das Thema, ich sage mal, „wie schaffe ich es, bestimmte Dinge durchzusetzen?“ Man könnte auch sagen, „wie schaffe ich es, in einem bestimmten Punkt dominant zu sein?“, ist durchgängig da, in welcher Wortwahl auch immer.

… also ich kenne mehr Leute, die ins Coaching kommen, die das Gefühl haben, sie fühlen sich ohnmächtig und kriegen sich nicht aktualisiert, auch in den Machtkonflikten in der Organisation.

Es gibt durchaus Führungskräfte, die sagen: „Mir sagen meine Mitarbeiter, ich sei zu autoritär. Ich möchte meinen Führungsstil ändern.“ So etwas gibt es durchaus auch.

5.4 Worauf Coaches Dominanz/Unterordnung zurückführen

In dieser Kategorie wird erhoben, worauf Coaches bei ihrer Arbeit mit den Coachees Bezug nehmen. Hieraus wird geschlossen, dass sie auf der Erklärungsebene dort jeweils die Ursache verorten sowie auf der Interventionsebene Ansatzpunkte für Gestaltungsmöglichkeiten sehen.

Wir kommen ja aus dem Psychodynamischen her, und da wird das sowieso darauf zurückgeführt, dass alles in Anführungszeichen aus der Biografie erklärbar ist.

Es sind aber, finde ich, glaube ich, auch mehr soziologische Dilemmata als psychologische. Und von daher habe ich selber schon so die Neigung, mit den Leuten auch einfach viel organisationsanalytisch zu arbeiten.

5.5 Allgemeine Wirkfaktoren, die Coaches ihrer Arbeit mit Dominanz/Unterordnung zugrunde legen

In dieser Kategorie werden Wirkfaktoren erfasst, die von den Coaches in Bezug auf Dominanz, Unterordnung und Macht angewendet wurden. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sie wie z. B. die Ressourcenorientierung universell auf einer basalen Ebene dem Coaching zugrunde liegen.

Was ich halt viel erlebe, ist, dass die Leute das sehr stark als persönlichen Makel erleben und sozusagen dann in einer großen Strenge und Defizitorientierung auf sich draufgucken, und von daher habe ich selber schon so die Neigung mit den Leuten auch einfach viel organisationsanalytisch zu arbeiten, also wenn man sozusagen andere als psychologische Draufsichten auf die Situation sucht, […]. Und ich finde, das ist auch in der Regel entlastend für die Leute, so einen Blick mal zu suchen, weil sie ja sehr stark auch immer subjektiv auf sich selber gucken und auch subjektiv in Haftung genommen werden.

Die Sache beginnt ja, meiner Erfahrung nach, oft damit, ob die Personen, an die wir denken, für dieses Konfliktfeld selber ein Gespür haben oder selber eine Idee haben, dass sie es sich teilweise schwer machen damit, oder ob das nicht so ist. Das heißt, es braucht zurzeit auch irgendeine Form von Konfrontation mit dieser Hypothese, dass es da möglicherweise eine schlecht ausbalancierte Auslenkung von Dominanz und Unterordnung gibt und dass es etwas zu tun haben könnte mit den Problemen, die die Menschen vortragen und mit denen sie es zu tun haben.

Also ich möchte nochmal eine Komplikation vorwegsagen. Es gibt auch Leute, die sich falsch einschätzen. Die denken, sie sind ohnmächtig. Sie sind es aber gar nicht. Also, das ist oft ein bestimmtes Werteselbstbild, was sie von sich selber haben. Also ich zeige dann mit dem Coachee zusammen, dass er an ein paar entscheidenden Hebeln sitzt. Das verbauen die meistens ganz selbstverständlich.

Eine andere Richtung, die jetzt in Richtung Ermächtigung geht, ist schon, dass ich Ausschau halte nach Dingen, die diese Person sehr gut gemacht hat, und zwar vielleicht in ihrer leisen Art.

5.6 Grundlegende Coachingkonzepte, auf die sich Coaches im Zusammenhang mit Dominanz/Unterordnung beziehen

In dieser Kategorie werden Äußerungen der Experten erfasst, die erkennen lassen, auf welchen grundlegenden Coachingkonzepten ihre Arbeit basiert. Es handelt sich um fundierte Theorien zur Psychodynamik oder auch zum Psychodrama.

Wir greifen zum Beispiel auf die Konzepte der Übertragung und Gegenübertragung zurück, und das ist vor allem bei solchen Klienten, ich gehe jetzt erstmal auf die dominante Gruppe ein, sehr hilfreich, weil man das natürlich sehr schnell merkt im Kontakt

Also ich versuche dann, ehrlich gesagt, relativ viel mit so kleinpsychodramatischen Szenen oder so Dingen zu arbeiten und Sachen auszuprobieren.

Entsprechend der Struktur der Stichprobe, die vorwiegend Coaches mit verstärkt psychodynamischer Orientierung enthält, zeigt sich, dass sich fünf von acht Experten größtenteils auf psychodynamische Arbeitsprinzipien beziehen. Hier ist im Wesentlichen die Arbeit mit Übertragung und Gegenübertragung, die Nutzung des szenischen Verstehens sowie die allgemeine Haltung zur Wirksamkeit von unbewussten Vorgängen zu nennen. Auch die Neigung der Coaches, verstehen und erklären zu wollen und hierzu die Entwicklungsvorgänge der biografischen Vergangenheit heranzuziehen, zeigt die Orientierung einer psychodynamisch geprägten Arbeitsweise.

5.7 Wie Coaches die Inszenierung von Dominanz/Unterordnung im Coaching nutzen

Dieser Kategorie sind Aussagen zugeordnet, die die interviewten Experten zu ihrem Erleben im Kontakt mit dominant oder unterordnend erscheinenden Coachees treffen, sowie Beschreibungen zur Abbildung bzw. Inszenierung von Dominanz und Unterordnung in der Coachingsituation und zu Hemmnissen, die bei der Arbeit mit den Coachees empfunden werden.

Und die Idee für mich bei einem Spannungsfeld ist eben halt, eine Gegenposition aufzubauen, um dadurch einen Perspektivwechsel herbeizuführen, sprich, wenn eine Person sich unterordnet, durchaus gerade am Anfang, um vielleicht auch Vertrauen aufzubauen, erst einmal dem nachzukommen, sprich, eine dominante Rolle einzunehmen.

Und das fand ich eigentlich die größte Hürde dabei. Dieses Spannungsfeld zwischen einerseits, ja ich will schon mich verändern, aber, ja, sei du bitte verständnisvoll und rücksichtsvoll mir gegenüber.

Ich kann ja davon ausgehen, dass der Coachee das, was er da macht, und wie ich dann reagiere, dass er das kann, dass er das gewohnt ist. Also deshalb kann ich das Verhalten aus dem Hier und Jetzt ja durchaus thematisieren. Also: „Kann es sein, dass Sie das gegenüber anderen Menschen auch so machen, die dann so und so und so reagieren?“

5.8 Themenspezifische Methoden mit maßgeschneidertem Bezug zu Dominanz/Unterordnung

In dieser Kategorie werden spezifische Methoden erfasst, zu denen die Expert/innen in ihren Äußerungen einen konkreten Bezug zu Dominanz, Unterordnung und Macht herstellen.

Und vor allen Dingen analysieren wir auch immer, was ist überhaupt die Macht, die diese Person hat, also eine Macht-Analyse zu machen: „Was sind meine Machtmittel? Über wen oder was habe ich Macht?“ Also das soziale und berufliche Netzwerk in dem Sinne zu installieren, dass ich das dann durchaus auch aufstelle und gemeinsam gucke, wie ist die Machtbeziehung zu jeder einzelnen Person und zu den Untergruppen.

Ich habe so ein Modell, was ich sehr oft einsetze: Es ist eine Verbildlichung von Dominanz und Unterordnung, eine Linie mit zwei Polen. Pol eins ist „zu laut“ und Pol zwei ist „zu leise“. Und es geht ja nie darum, dass man jetzt genau in die Mitte kommt, sondern als erstes geht es mal darum, wo bewegt sich jemand in der Regel. Und das ist dann so wie eine Grundlage, und dann mache ich so einen ovalen Kreis, der ein bisschen weiter links oder rechts ist. Und dann sage ich: „So, und jetzt ginge es eventuell darum, dass Sie nach rechts oder links rüber ihr Handlungsspektrum erweitern.“

Ich mache da relativ viel, indem wir Dominanz und Unterordnung als Ich-Anteile repräsentieren. Also wenn Sie so einen Ich-Anteil haben, wie den Berserker oder das Aschenputtel, dann können Sie es im Coaching psychodramatisch repräsentieren als ich-Anteil. Ich glaube, sowas ist manchmal gut.

Also ich versuche zu ergründen, was Macht in diesem Fall für diese Person bedeutet, woran sie sich zeigt, in welchen Situationen sie sich zeigt und inwieweit das als hilfreich oder eben nicht hilfreich empfunden wird.

6 Diskussion: Limitationen und Kernaspekte der inhaltlichen Reflexion

Auf einzelne methodische Limitationen der Studie sowie auf Aspekte der inhaltlichen Reflexion wird an dieser Stelle selektiv eingegangen. Für eine ausführlichere Betrachtung wird auf die Forschungsarbeit verwiesen. Zur Ausgestaltung der Untersuchungsstichprobe ist anzumerken, dass es sich mit acht durchgeführten Interviews um ein verhältnismäßig kleines Sampling handelt, was die Möglichkeit der Formulierung von Schlussfolgerungen beeinträchtigt. Dem Forscher ist zudem bewusst, dass die Methode ausschließlich die Perspektive der Expert/innen und somit der Coaches berücksichtigt. Um darüber hinaus beurteilen zu können, welche Interventionen sich als hilfreich erweisen, bedarf es mindestens einer ergänzenden Erhebung der Sichtweise und Wahrnehmung der Coachees.

Zur Interviewdurchführung sei auf eine Besonderheit der Rahmenbedingungen hingewiesen, die zur inhaltlichen Reflexion überleitet. Bei dem Forschungsgegenstand handelt es sich um ein Thema, das einen gewissen Grad an Unbehagen, gar Tabuisierung, mit sich bringt und sowohl beim Interviewenden als auch bei den Interviewten den Wunsch nach Distanznahme hervorrufen kann. Der Forschungsgegenstand gibt das Thema des Interviews vor; das Thema Dominanz und Unterordnung legt in diesem Fall den am Interview Beteiligten die Reflexion des Selbst- und Beratungsverständnisses im Kontext von Dominanz und Unterordnung und möglicherweise auch die Selbstreflexion bzw. Selbstverortung innerhalb dieser Dimension nahe. Zu Erstgenanntem sei hier die direkte Verbindung zum obigen erstangeführten Zitat hergestellt, mit dem kritisiert wird, dass der Coachingmarkt zum Teil in einer inadäquaten Weise durch das Prinzip von Dominanz und Unterordnung geprägt ist. Es stellt sich die Frage, ob sich mit den beiden Polen Dominanz und Unterordnung zwei tendenziell konkurrierende Beratungsphilosophien gegenüberstehen, wobei die Dominanz Rat gibt und Lösungen verspricht, während die Unterordnung begleitet und sich auf assistierende Weise in den Dienst des Coachees stellt. Dies könnte ein gewisses Konfliktpotenzial bergen. Wer bei sich eine ausgeprägte Motivation nach Dominanz wahrnimmt oder unbewusst von dem Motiv nach Dominanz geleitet wird und gute Beratung ganz bewusst grundsätzlich als „Hilfe zur Selbsthilfe“ oder „Beratung ohne Ratschlag“ versteht, ist herausgefordert, diese tendenziell widersprüchlichen Bestrebungen zu integrieren. Andersherum kann es verlockend erscheinen, Dominanzmotive zu befriedigen, indem z. B. direktive Lösungshinweise aus einer autoritären Position der Expertise vermittelt werden.

Es deutet sich ferner an, dass Coaches das Thema Dominanz und Unterordnung in ihrer Praxis verstärkt in Erwägung ziehen, wenn ihnen hierzu ein durch wissenschaftliche Theorien geprägtes konkretes Konzept zur Verfügung steht. Möglicherweise führt ein fachkonzeptuelles Verständnis gegenüber einem alltagstheoretischen Zugang zu einer weiterreichenden Berücksichtigung des Themas in der Coachingpraxis. So wurde die Thematik im Rahmen eines der acht Interviews in direkter Bezugnahme auf die OPD eingeordnet. In den übrigen Interviews erfolgte zumindest keine explizite Bezugnahme auf einschlägige wissenschaftliche Konzepte. Unterordnung wurde eng mit einem niedrigen Selbstwert assoziiert, während Dominanz mit einem hohen Selbstwert, gar mit Narzissmus, in Verbindung gebracht wurde. Da es sich bei den Begriffen Dominanz und Unterordnung nicht um erklärungsbedürftige Fachtermini handelt, liegt es nahe, diese auf Basis eines alltagstheoretischen, erfahrungsbasierten Verständnisses zu verwenden, insbesondere wenn kein fachkonzeptuelles Schema verfügbar ist. Im Manual der OPD wird das Konstrukt Selbstwert explizit von der Dimension Dominanz und Unterordnung abgegrenzt, indem herausgestellt wird, dass sich die Konstrukte u. a. durch unterschiedliche Leitmotive voneinander unterscheiden. Es stellt sich die Frage, wie eine in der Theorie vorgenommene feine Differenzierung der Begrifflichkeiten und Konstrukte und der damit einhergehenden Diagnosen für die alltägliche Beratungspraxis interventionell nützlich und handlungsanleitend sein kann. Zudem ist zu diskutieren, wie es gelingt, der Dynamik zwischen Dominanz und Unterordnung einerseits eine hinreichende, würdige Beachtung in der Beratungspraxis zu widmen und andererseits zu berücksichtigen, dass es sich um eine psychodynamisch hergeleitete Perspektive handelt, die eben eine von vielen insgesamt möglichen Perspektiven darstellt. Dies bedeutet, dass die Vertiefung eines Konzepts oder die gesteigerte Überzeugtheit von einer Coachingmethode zu einer ungünstigen Akzentuierung auf Seiten des Coachs führen kann, während aus der Unkenntnis zur Relevanz eines Themas ein Versäumnis resultieren kann.

Schließlich sei auf die im Ergebnisteil angeführte Kategorie zur Relevanz von Dominanz und Unterordnung im Coaching Bezug genommen. Im Einklang mit der in der Einleitung angeführten Literatur ergibt sich aus den Interviews, dass in erster Linie jene Personen zum Coaching kommen, die auf die Coaches in der Weise unterordnend wirken, dass sie unter Durchsetzungsschwäche und dem Gefühl von Ohnmacht oder Minderwertigkeit leiden. So kommt es häufiger vor, dass Coaches im Auftrag von höheren Führungsebenen die Führungsstärke von Mitarbeitern auf niedrigerer Führungsebene schulen sollen, damit Entscheidungen gegenüber der Belegschaft besser durchgesetzt werden. Bedeutend seltener geht es im Coaching darum, dass sich zu dominante Führungskräfte einen verträglicheren Führungsstil aneignen wollen bzw. sollen, nachdem es zu Beschwerden von unmittelbar Betroffenen gekommen ist. Die Gründe für diese ungleiche Häufigkeitsverteilung mögen vielfältig sein. Im Sinne der OPD ist eine Aufarbeitung des Konflikts sowohl für die zu dominante als auch für die zu unterordnende Konfliktverarbeitung angezeigt. Dies bedeutet z. B., dass ein gesunder Führungsstil dadurch gekennzeichnet ist, dass eine Führungskraft situativ flexibel dominant oder unterordnend agieren kann und sich dieser flexible Umgang positiv auf die psychische Gesundheit der Führungskraft auswirkt sowie sich in einem angemessenen, verträglichen Sozialverhalten zeigt. Im Hinblick auf die skizzierte ungleiche Verteilung der Anliegen im Coaching stellt sich die Frage, ob diesbezüglich Nachholbedarf besteht. Führungskräfte, Organisationen und nicht zuletzt Coaches sind in der Verantwortung, mitunter zur Gesundheit von Arbeit und den darin berufstätigen Menschen beizutragen.

7 Zusammenfassung und Implikationen für die Beratungspraxis

Ziel dieses Beitrags war es, auf Basis der zugrundeliegenden qualitativen Studie in einer komprimierten Weise die Frage zu beantworten, wie berufsbezogenes Einzelcoaching dazu beiträgt, dass Coachees eine situationsadäquate Selbstregulation von Dominanz und Unterordnung gelingt. Unter Berücksichtigung von methodischen Limitationen und inhaltlichen Diskussionspunkten stellt die obige Ergebnisdarstellung Anregungen für die Beratungspraxis bereit. Im Folgenden werden fünf Reflexionsfragen formuliert, die für die Coachingpraxis eine Hilfestellung geben können. Die Ergebnisse dieser Studie, die aus den Aussagen von erfahrenen Expert/innen zusammengefasst wurden, bieten mögliche Antworten auf diese Fragen. Mögen die Reflexionsfragen dazu anregen, den Dialog zu dieser Thematik fortzuführen und das breite Erfahrungswissen der Coaches zu der hier angeführten Fragestellung weiter zusammenzuführen.

  1. 1.

    Welche Rolle spielt das Spannungsfeld von Dominanz und Unterordnung für mein Selbst- und Beratungsverständnis?

  2. 2.

    Welche positiven oder negativen Erfahrungen, Bilder, Szenen kommen mir in den Sinn, wenn ich an die Begriffe Dominanz und Unterordnung denke?

  3. 3.

    Was halte ich für wirkungsvoll, wenn ich den Eindruck habe, dass das Spannungsfeld von Dominanz und Unterordnung für den Coachee ein besonderes Thema darstellt, dessen Bearbeitung sinnvoll erscheint?

  4. 4.

    Was beobachte ich vor dem Hintergrund der Dynamik zwischen Dominanz und Unterordnung im Kontakt mit dem Coachee und wie kann ich die Interaktionsdynamik in hilfreicher Weise gestalten?

  5. 5.

    Welche konkreten Methoden wende ich an, um den Coachee in seiner Selbstregulation von Dominanz und Unterordnung zu unterstützen?