Spezifität und Symmetrie
Mehrebenen-basierte Projektarchitekturen erfordern symmetrische, d. h. größenangepasste Elemente. Zugleich benötigen verschiedene Ebenen bzw. Zielgruppen spezifische Formate, um ihren jeweiligen Bedürfnissen gerecht zu werden. Konkret bedeutet dies, dass die Verfahren zur Diagnostik bzw. Evaluation, die Interventionen sowie die Projektsteuerung jeweils die Komplexität des Gesamtvorhabens abbilden müssen.
Wenn z. B. die Initiierung einer nachhaltigen Innovationskultur sowohl auf der Personen- als auch auf der Team- und der Organisationsebene ansetzen soll, braucht es zur Ist-Analyse ein Erhebungsverfahren, das diese drei Ebenen ebenfalls adressiert. Es kann sich diesbezüglich noch immer um einen klassischen Fragebogen oder einen Interviewleitfaden handeln, nur sollte der gewonnene Datensatz die erforderliche Komplexität aufweisen, um auf allen Ebenen eine differenzierte Aussage treffen zu können. Hier gilt es, geeignete Erhebungsverfahren (z. B. Kunert 2016) bzw. Handlungsleitfäden (z. B. Kunert 2014) zu nutzen.
Gleiches gilt für die Interventionen. Selbstredend müssen Entwicklungsvorhaben bei Einzelpersonen methodisch anders angegangen werden als auf der Team- bzw. der Organisationsebene. Die Versuchung liegt jedoch nahe, in Mehrebenen-Architekturen mit einer one-size-fits-all-Lösung alles mit demselben Verfahren bzw. mit denselben Beratern zu lösen, um an dieser Stelle Komplexität aus dem Projekt herauszunehmen. Wenn zur Veränderung der Innovationskultur ein Ideenmanagement-Tool eingeführt wird, dessen Kennzahlen sowohl die einzelne Mitarbeiterin als auch ihre Abteilung sowie das gesamte Unternehmen dazu animieren soll, Neuerungen gegenüber offener zu sein, ist die Gefahr groß, dass der erhoffte Effekt ausbleibt (Bedenk und Popp 2017). Dies kann daher rühren, dass auf den verschiedenen Ebenen völlig unterschiedliche Gründe dafür verantwortlich sind, wieso keine Innovationen angestoßen werden.
Zu guter Letzt muss auch das begleitende Projektmanagement auf die Komplexität des Vorhabens bezogen sein. Dies gilt für die Administration, die Projektsteuerung bis hin zur Projektkommunikation. Mit zunehmender Anzahl und Spezialisierung der Beteiligten steigt vor allem der Koordinierungsbedarf. Es müssen angemessene Formate gefunden werden, um den Informationsfluss wie auch die Entscheidungsgüte auf hohem Niveau zu halten. So gewinnt die Klaviatur der klassischen Projektgremien – von der Projektsteuerungsgruppe über Lenkungskreis und Resonanzgruppe bis hin zu Staff-Meetings – an enormer Bedeutung (Piber 2020).
Oszillation
In komplexen Organisationsentwicklungsvorhaben ist es enorm wichtig, dass sich die Institution und das Projekt bzw. die Betroffenengruppen untereinander von Zeit zu Zeit gegenseitig darüber unterrichten, welchen Veränderungsprozess sie jeweils gerade durchleben und worauf sie zusteuern. Im besten Fall wirkt dies befruchtend füreinander, im schlimmsten Fall drohen sich die separierten Dynamiken aus den jeweiligen Interventionen zu stören oder gar gegenläufig zu sein. In der Projektarchitektur sollten sich daher divergente Formate der Themenöffnung, Tiefung und Erarbeitung mit konvergenten Methoden, die der Vergemeinschaftung, der Rückmeldung und dem Schließen dienen, abwechseln, wodurch es zu einer Oszillation kommt.
Dieser pulsierende Charakter verlangt auf der Methodenseite einen Wechsel von der Arbeit in Kleingruppen und in der Großgruppe, von abteilungsspezifischen und abteilungsübergreifenden Teilnehmenden-Kreisen, von hierarchiefreien und hierarchie-integrierenden Konstellationen. Darüber hinaus lassen sich auf diese Weise auch ein deduktives Vorgehen im Top-down-Ansatz und ein induktives Prozedere im Graswurzel-Stil (Glasl 2020) miteinander verknüpfen.
Integration
Die größte Gefahr von komplexen Projektarchitekturen lauert in der Separierung einzelner Stränge. Wenn z. B. in einem Projekt zur Führungskultur die Arbeit mit den Vorständen nicht mit der Intervention im mittleren und im unteren Management gekoppelt ist, droht sie sich abzuspalten und unterminiert die potenzierte Wirkung. Die Verzahnung sollte in allen Teilsystemen einer Organisationsentwicklung erfolgen.
Im Klientensystem lässt sie sich durch personelle Überschneidungen erreichen. So können Gremien bzw. Formate mit denselben Personen mehrfach besetzt werden, wodurch die Verknüpfung von Interventionssträngen intraindividuell erfolgt. Analog dazu lässt sich eine thematische Überschneidung durch die Bearbeitung derselben Themen in verschiedenen Formaten bzw. Personenkonstellationen erreichen.
Diese Art der Überlappung kann zudem auf die Unterstützungssysteme übertragen werden. Im Projektteam sind Tandems aus Organisationsentwicklern bzw. aus Führungskräften und Berater/innen, die in unterschiedlichen Konstellationen und wechselnden Verantwortlichkeiten miteinander kooperieren, eine gute Option. Hinzukommen vergemeinschaftende Formate wie Projektsteuerungsmeetings, Klausurtage und Supervision. Unterstützt wird die Integration zudem durch ein angemessen komplexes Ablage- und Dokumentationssystem.
Choreographie
Organisationsentwicklungsprozesse durchlaufen unterschiedliche Phasen. Jede ist gekennzeichnet durch besondere Bedürfnisse und Notwendigkeiten, die durch die Qualität und Intensität der Beratungsformate berücksichtigt werden sollten.
Zu Beginn eines Organisationsentwicklungsprozesses dominieren sehr grundsätzliche Fragen. Thema, Weg und Ziel der Organisationsentwicklung müssen gefunden, verifiziert und kommuniziert werden. Dieser Prozess des Sich-Einspielens in Thema (Was wird bearbeitet?), Ton (Wie wird gearbeitet?), Takt (In welcher Geschwindigkeit wird gelernt und verändert?) und Gestalt (Welches Format hilft dabei?) wird in der Architektur durch eine anfänglich hohe Intensität entsprechend berücksichtigt, um genügend akzelerierende Kräfte freizusetzen (Lewin 1947). Das verlangt ein hohes zeitliches Commitment, was häufig auch ein wertvoller Lackmustest für die Konsequenz ist, mit der ein Veränderungsvorhaben angegangen werden soll (Berenbold und Vögel 2021).
Begleitet eine Consultingfirma diesen Prozess, stellt sich zudem die Frage, welche Rolle die Beratung in diesem Prozess einnimmt, welche Verantwortung, Rechte, Pflichten sie hat und wie sie mit den Mitarbeiter/innen der Institution in Beziehung steht. Organisation und Berater/innen bilden ein neues gemeinsames Beratungssystem, das sich innerhalb kurzer Zeit einspielen muss (Königswieser und Exner 2019). Dessen Konstituierung ist eine Herausforderung: Einerseits müssen sich die Protagonisten lernend aufeinander einspielen, d. h. auch wechselseitiges Nicht-Wissen, Verhandlungen der Rollen, sogar das Scheitern von Interventionen gemeinsam erleben. Andererseits sind Beratungssysteme auf Anfangserfolge angewiesen, um die Motivation zu Beginn eines Veränderungsprozesses für sich zu nutzen.
Die Intensität der beraterischen Begleitung und somit die Frequenz an Formaten können dann im Laufe des Organisationsentwicklungsprozesses sukzessive abnehmen, und gegen Ende des Veränderungsprojekts kann die beraterische Unterstützung zunehmend auslaufen. Mehr und mehr wird die Prozessgestaltung wieder den organisationalen Akteuren übergeben. Die Beratungsfirma verabschiedet sich allmählich wieder aus der Organisation. Hier spiegelt sich auf Architekturebene ein Prinzip, das auch aus der Choreographie singulärer Beratungsdienstleistungen bekannt ist: So gibt es im Laufe eines Coachingprozesses oft auch zu Beginn der Zusammenarbeit eine höhere Dichte an Sitzungen, die mit der Dauer sukzessive abnehmen. Ein wichtiges Merkmal professioneller Beratungsarbeit ist hier wie da: Der Klient soll in seinem Lern- und Entwicklungsprozess beraterisch begleitet, keinesfalls jedoch von dieser Unterstützungsfunktion abhängig gemacht werden (Lackner 2016).
Phasen
Erfolgreiche Veränderungen haben eine lange Anlaufphase und eine oft noch längere Habituierungsphase. Darauf wies schon Lewin (1947) in seinem berühmten Modell der Veränderung hin. Was wir gemeinhin als Change bezeichnen, nämlich die mehr oder weniger sichtbare Veränderung eines Verhaltens, findet nicht schlagartig statt. Sie ist eingebettet in eine Vorbereitungsphase, die die Bereitschaft und Fähigkeit zur Veränderung erst ermöglicht (Unfreeze), und in eine Phase der Nachhaltigkeitssicherung (Refreeze). Einen solchen Dreischritt aus Vorbereitung, Veränderung und Nachbereitung benötigen Personen wie Organisationen, wenngleich er keineswegs sequentiell und einmalig ablaufen muss, sondern vielmehr Ausdruck rivalisierender sozialer Kräfte ist (vgl. Cummings et al. 2016). Entsprechend bilden nachhaltige Beratungsarchitekturen diesen Dreischritt ab.
Bevor es an „des Pudels Kern“ der Veränderung geht, müssen in einem Beratungsprozess die Motivatoren und Kompetenzen zur Veränderung erst erhoben werden. So geht einem organisationalen Veränderungswunsch (z. B. nach einer neuen Innovationskultur) notwendigerweise eine Phase der intrinsischen Tiefung dieses Wunsches voraus: Warum soll ein altes (organisationales) Muster aufgegeben werden? Wie kam es zu diesem Muster, welchen Nutzen und welche Kosten hatte es? Was sind Nutzen und Kosten des neuen (gewünschten) Musters? Was ist jeder Einzelne bereit, für einen neuen Umgang mit Ideen aufzugeben? Letztlich geht es in der Unfreeze-Phase um eine ehrliche Einschätzung, wie ernst der Veränderungswunsch allen Beteiligten ist (vgl. Bedenk 2014). Gute Projektarchitekturen ermöglichen Räume, in denen die Protagonisten sich diesen Fragen ehrlich stellen und sie beantworten können. Im Idealfall passiert dies multimodal, etwa durch Einzelgespräche (Coaching, Interviews), Gruppenformate (Workshops, moderierte Teambesprechungen) oder anonyme Erhebungen (Fragebogen-Formate).
In gleicher Weise berücksichtigen Projektpläne die Notwendigkeit zur Einübung, Gewöhnung und Verstetigung eines veränderten Verhaltens. Der Rückfall in alte Verhaltensmuster ist ein Phänomen, das Organisationen oft erleben (Kunert und Staar 2018). Ein neues Verhalten wurde zwar kennengelernt (Change), aber nicht ausreichend verinnerlicht, oder dessen Akzeptanz ist in den alten Konstellationen nur schwer erreichbar. Entwicklungsarchitekturen widmen sich daher der Frage, wie sich ein gewünschter Habitus gut in den Arbeitsalltag transferieren lässt. Dies beginnt mit der Einübung über einen längeren Zeitraum hinweg, sodass sich ein neues Verhalten auch als neues Muster durchsetzen kann. Beratung kann den Prozess der Einübung dabei durch Feedback oder Feedback-Formate unterstützen. Schließlich geht es um Verstetigung: Das neue Verhalten wird zunehmend zum Gewohnten „eingefroren“ und somit zu einer neuen Kompetenz, die unter der Bewusstseinsschwelle wirksam wird.
Kaskadierung
Eine häufige Einstiegsfrage bei komplexen Wandelprozessen lautet: Wo fängt man an? Glasl (2020) gibt darauf eine strategische Antwort und unterscheidet Top-down- und Bottom-up-Ansätze sowie die Mischformen bi-polar, Keil und Ölfleck. Der Reiz bei komplexen Projektarchitekturen liegt darin, Mischstrategien verfolgen zu können. So lassen sich unter der Überschrift einer neuen Innovationskultur ein Leitbildprozess vom Management her, die Entwicklung eines Ideenmanagements aus der Führungsebene sowie ein Organisationsklima-Prozess aus der Belegschaft heraus simultan initiieren. Wichtig ist nur, dass die jeweilige Strategie ihre Entsprechung in der Architektur findet, indem sowohl die notwendigen Formate angelegt als auch die Integration gesichert werden.
Agilität und Adaptivität
Jede Architektur ist eine Antizipation des Weges, den eine Organisation im Laufe ihrer Entwicklung gehen wird. Sie ist die Landkarte für ein Gebiet, das Organisation und Berater/innen noch nicht kennen und erst durch das „Tun“ kennenlernen. Insofern gilt für Architekturen, was für alle Modelle gilt: Sie sind notwendigerweise nur eine Hypothese und können bestenfalls richtungsweisend sein (Königswieser und Exner 2019). Sie liefern Vorschläge, wie die nächsten Schritte in die unbekannte Landschaft tastend vorgenommen werden können. In diesem Sinne sind sie nicht in Stein gemeißelt, sondern agil. Sie verändern sich mit jeder neuen Erfahrung, die Klienten- und Beratersystem gemeinsam machen (Schiersmann 2009).
Vor allem aber sind Architekturen adaptiv. Der Begriff „Adaptivität“ weist auf die evolutionäre Natur von Entwicklungsprozessen hin. Am Anfang eines Organisationsentwicklungsprozesses stehen Momente der Variation (Kühl und Muster 2016). Die Organisation probiert für sich neue Verhaltensweisen aus, die Berater/innen testen neue Interventionen, und im co-kreativen Zusammenspiel variieren beide ihre Interaktionen. Dieser öffnende und überproduktive Prozess ist notwendig, da er erst den Optionsraum für eine Selektion ermöglicht: Welcher dieser Versuche ist adaptiv für die Organisation und bringt sie aktuell einen Schritt weiter? Adaptives Vorgehen ist somit ein schrittweises und relatives Agieren.
Für Organisationsentwickler bedeutet adaptive Arbeit zunächst, dass jede Architektur ein mentales Modell darstellt, das für den Moment Handlungsfähigkeit herstellt. Da sich die Momentaufnahmen permanent aktualisieren, muss analog auch die Planung aktualisiert werden. Für Berater/innen heißt dies, die Architektur regelmäßig neu zu studieren, sie zu hinterfragen und anzupassen.
Die Adaptivität von Architekturen ist auch ein elementarer Bestandteil der Klientenprofessionalisierung, denn viele Klienten haben den verständlichen Wunsch nach einem Projektplan, nach einer Entwicklungsagenda oder einer Roadmap. Berater/innen können diesen Wunsch nach Orientierung mit einer Architektur (teilweise) erfüllen; jede Architektur zeichnet sich in ihrer Professionalität jedoch paradoxerweise gerade dadurch aus, dass sie kritisch hinterfragt bleibt und im Laufe des Prozesses ihr Aussehen ändern wird.
Anschlussfähigkeit und Irritation
Jede systemische Beratungsarbeit findet in einem sensiblen Spannungsfeld zwischen Anschlussfähigkeit und Irritation statt. Anschlussfähigkeit beschreibt die Fähigkeit des Beratersystems, die Gepflogenheiten, Gewohnheiten, Verhaltens- und Redeweisen, sprich die Kommunikationen und Kommunikationsmuster eines Systems hinreichend zu verstehen, um sie auch selbst adressieren zu können. Beratung kann erst dann funktionieren, wenn sie in einer Organisation gehört wird und nicht im Rauschen landet.
Versteht man Organisationsentwicklung als Weg hin zu etwas Neuem, darf Beratung verständlicherweise nicht nur die Berücksichtigung von Bekanntem im Blick haben. Sie liefert ebenso Impulse für Veränderung und irritiert, etwa durch den Einsatz vorher unbekannter Formate. Im Beratungsprozess lernen Mitarbeiter/innen einer Organisation sich (z. B. im Coaching), ihr Team (z. B. in Teamworkshops) oder ihre Organisation (z. B. in der Großgruppe) neu kennen. Ein wichtiges Element guter Architekturarbeit ist dabei die abgestimmte Balancierung von Anschlussfähigkeit und Irritation über den Prozess hinweg. So sollte es einzelne Projektelemente geben, die tendenziell eher das Gewohnte bedienen, um Sicherheit und Vertrauen zu stärken, sowie andere Formate, die der Irritation in all ihren produktiven Formen dienen, ohne jedoch die Organisation zu überfordern.