1 Einführung

In Beratungssituationen begegnen sich Menschen mit ihren ganz persönlichen Sichtweisen auf die Welt. Jeder Mensch hat sein „Modell der Welt“ und konstruiert daraus seine eigene Wirklichkeit – dies gilt auch für Coaches oder Supervisor/innen. Hierdurch entsteht eine hohe Komplexität, in der es herausfordernd ist, in die jeweilige Wirklichkeit des Gegenübers einzutauchen. Zusätzlich sind beide Seiten mit den Entwicklungen der aktuellen Arbeitswelt konfrontiert, die häufig mit dem Begriff VUKA (Akronym für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität) beschrieben werden (Bennett und Lemoine 2014). Hieraus ergeben sich für Supervision und Coaching neue Herausforderungen und Spannungsfelder (Hausinger und Volk 2013).

Wie macht man sich in einer komplexen Beratungssituation ein Bild vom Gegenüber? Es kann dauern, bis man das zugrundeliegende Problem verstanden hat. Einerseits erhält man zahlreiche Einzelinformationen, die sich langsam zu einem größeren, jedoch lückenhaft bleibenden Bild zusammenfügen. Andererseits erhält man relativ schnell einen ersten Gesamteindruck von seinem Gegenüber, der sich im Verlauf weiter ausdifferenziert. Wann ist dabei die für gute Beratung erforderliche Tiefe an Reflexion erreicht? Und welche Rolle spielt dabei die Intuition?

Um diese Fragen zu beantworten, ist es zunächst notwendig, die Beratungssituation an sich zu definieren. Wenn Personen mit unsicheren und komplexen Situationen konfrontiert sind und Entscheidungen fällen sollen, dann fällt ihnen dies häufig schwer. Komplexe Problemlösesituationen sind laut Dörner et al. (1983) gekennzeichnet durch eine große und teils unbestimmte Anzahl relevanter Faktoren, die sich wechselseitig beeinflussen und über die Zeit selbstständig verändern, die jedoch gleichzeitig intransparent und nur teilweise bzw. indirekt oder verzögert beobachtbar sind. Zudem gilt es, Ziele verschiedener Akteure zu berücksichtigen, die sich teilweise auch widersprechen und verändern können und die außerdem häufig nur vage formuliert sind. Solche komplexen Situationen versetzen Menschen in Stress. Viele reagieren dann mit sogenannten „Notfallreaktionen“ in Form einer Abnahme von Selbstreflexion, Verschieben von Absichten, Stereotypisierung, vermindertem Kontrollerleben, erhöhter Risikobereitschaft, Fluchttendenzen und unspezifischer Hypothesen- und Zielbildung (ebd.) oder auch verminderter Treffsicherheit bei spontan-intuitiven Einschätzungen (Baumann und Kuhl 2002; Radtke et al. 2020).

Eine hohe Komplexität der Problemlösesituation kann also zu Stresserleben und einer damit verbundenen inadäquaten Reaktion bei Berater/in und Klient/in führen. Nicht selten findet sich jedoch der Hinweis, dass Personen in komplexen Entscheidungssituationen ihre Intuition bemühen sollten (Reinhardt und Goetz 2019). Intuition wird interessanterweise oftmals als ganzheitliche, assoziative Informationsverarbeitung beschrieben, die gerade in hochkomplexen Situationen greift, wenn ein analytischer Entscheidungsprozess aufgrund der hohen Komplexität nicht mehr möglich ist (Gigerenzer 2013). Gleichzeitig wird „intuitiv“ häufig synonym mit „gefühlsmäßig“, „instinktiv“, „unbewusst“, „unwillkürlich“ und „aus dem Bauch heraus“ verwendet (laut Google Suche).

Ist es wirklich so, dass es immer dann, wenn die Komplexität sehr hoch wird, helfen kann, sich auf sein Bauchgefühl zu verlassen? Oder ist dies nur in Zuständen der Entspanntheit, aber nicht unter Stress und negativen Emotionen der Fall? Existieren vielleicht unterschiedliche Arten von Intuition, und wie lassen sich diese unterscheiden? Diese Fragen sind hoch relevant für Supervision und Coaching. Den Berater/innen kommt die wichtige Aufgabe zu, zunächst für sich selbst eine angemessene Balance zwischen notwendigem Aushalten, Erhöhen und Reduzieren von Komplexität zu finden, um dann ihre Klient/innen dabei zu unterstützen, in einer Problemsituation einerseits nicht vorschnell zu agieren, andererseits aber handlungsfähig zu bleiben. Dieser Artikel leistet einen Beitrag dazu, die Komplexität von Beratungssituationen zu begreifen und sie im Spannungsfeld von Intuition und Reflexion zu betrachten. Die Leser/innen sollen Handlungsempfehlungen erhalten, wie Komplexität ausbalanciert werden kann, wann Intuition sinnvoll und wie intuitives Handeln mit dem Reflexionsanspruch von Supervision und Coaching vereinbar ist. Dazu wird zunächst beschrieben, welche Bedeutung Komplexität, Reflexion und Intuition im Beratungssetting haben. Zum tieferen Verständnis werden Zwei-Prozess-Modelle der Informationsverarbeitung herangezogen und diese um eine Unterscheidung zwischen niederer und höherer Intuition mit Hilfe der PSI-Theorie erweitert, woraus sich konkrete Empfehlungen für Supervision und Coaching ergeben.

2 Die Bedeutung von Komplexität, Reflexion und Intuition in Supervision und Coaching

In der Supervisionsliteratur wird immer wieder das Thema der Komplexität betont. Supervisor/innen arbeiten nicht nur in „komplexen Systemen mit komplexen Aufgaben“ (Gotthardt-Lorenz und Lorenz 2016, S. 146), sondern auch die Arbeit von Supervisor/innen selbst wird als komplex beschrieben: „Die Arbeit der Supervisorin zeichnet sich dadurch aus, dass sie eine hohe Komplexität erfährt, die im günstigsten Fall in ein fachlich solides Vorgehen zu kleiden ist, aber genauso gut das Risiko in sich trägt, von der Komplexität ‚erschlagen‘ zu werden“ (ebd., S. 145). Buer (2012, S. 53) beschreibt Supervision zudem als „ein Format, das keine Schnellschüsse versucht, sondern davon ausgeht, dass merkliche Veränderungen nur in einem anstrengenden langwierigen Prozess zu erzielen sind“. Dementsprechend sollten Supervisor/innen diesen Prozess bewusst gestalten, nicht übereilt vorgehen und Komplexität nicht unzulässig reduzieren und vereinfachen (wohl aber komplizierte Prozesse). Komplexität in Supervision und Coaching könnte ein Denken in Zusammenhängen bedeuten (DGSv 2019), wobei diese Zusammenhänge in der aktuellen VUKA-Arbeitswelt häufig durch Unklarheiten, Unsicherheiten, Mehrdeutigkeiten und Veränderungen gekennzeichnet sind.

Beratungsprozesse (inkl. Coaching und Supervision) lassen sich auch als Forschungsprozesse auffassen, in denen nach Wissen gesucht wird. Kruglanski (1989, 2004) beschreibt in seiner Theorie der Laienepistemologie die Suche nach Wissen als einen Prozess der Hypothesengenerierung und -prüfung. Berater sollten nach neuem Wissen suchen. Sie sollten sich neuen Informationen gegenüber nicht verschließen, sondern auf diese aufgeschlossen reagieren („gleichschwebende Aufmerksamkeit“). Wie lange suchen Personen aber nach Wissen, wie offen sind sie für Informationen und wie viele Hypothesen generieren und testen sie, bis sie, zumindest vorläufig, zu einer „subjektiv“ richtigen Antwort kommen? Wenn Personen sich von ihrer Intuition in ihrem Urteil „eingebungsartig“ leiten lassen, kommen sie dann möglicherweise zu früh zu einem „subjektiv richtigen“ Urteil? Reduzieren sie dann Komplexität zu früh und vereinfachen in unzulässiger Weise, weil sie sich zu früh auf eine Hypothese und eine damit einhergehende Überzeugung festlegen?

Reflexion wird häufig als Herzstück und zentrales Merkmal vieler Definitionen von Supervision und Coaching verstanden, so z. B. bei Neumann-Wirsig (2017, S. 20), die Reflexion als das wichtigste Instrument der Supervision benennt, und zwar „die Reflexion von Arbeitssituationen im Kontext der Person, der Profession und der Organisation“. Auch laut Europäischem Kompetenzprofil ist die professionelle Haltung von Supervisor/innen und Coaches durch Reflexionsvermögen gekennzeichnet (Judy und Knopf 2016, S. 141, 189). Durch ein Innehalten im Arbeitsprozess soll eine Distanzposition erreicht werden (Gotthardt-Lorenz 2000, S. 65). Die Reflexion wird dabei als angeleitet, mehrperspektivisch und prozessorientiert ausgerichtet beschrieben und soll dabei helfen, insbesondere in schwierigen beruflichen Situationen „eine angemessene Distanz … herbeiführen zu können, emotionale Entlastung zu erfahren und auf diesem Hintergrund gemeinsam weiterführende Handlungsstrategien entwickeln zu können“ (Gotthardt-Lorenz und Lorenz 2016, S. 148). Die Frage, wie Intuition mit dem Anspruch von Reflexion in Supervisions- und Coachingprozessen verbunden werden kann, ist insbesondere vor dem Hintergrund der Bedeutung von Komplexität in Supervision und Coaching relevant. Die DGSv fordert, dass Berater/innen Mut zur Komplexität brauchen und diesen zeigen, indem sie die arbeitsweltliche Komplexität aushalten und in der erforderlichen Tiefe reflektieren.

Oft wird die bewusste Reflexion aber im Widerspruch zur Intuition gesehen. Ein Ursprung dieses Widerspruchs ist sicherlich in einer genuinen, neurobiologisch begründeten wechselseitigen Hemmung von Prozessen des analytischen Verstands und intuitiver Informationsverarbeitung zu sehen, die jedoch überwunden werden kann. Demnach bedeutet „Reflexion“ nicht notwendigerweise die ausschließlich logische (im Sinne einer analytisch-sequentiellen) Auseinandersetzung mit Informationen: Auch Anteile einer assoziativ, ganzheitlich-parallelen Verarbeitungsform können damit gleichzeitig oder in raschem Wechsel mit analytischen Prozessen ablaufen, um zu bestmöglichen Einsichten und Entscheidungen zu gelangen. Dieses vermeintliche Paradox führt dann nicht selten (auch in der Wissenschaft) zu vereinfachendem Denken in Entweder-Oder-Dichotomien. Hinzu kommt eine gelegentlich erkennbare undifferenzierte Sichtweise auf den Begriff „Intuition“, der zunächst offenlässt, wie viele Aspekte einer komplexen Situation bei Entscheidungen berücksichtigt werden („Grad der Kontextsensibilität“, s. oben). Weiteren Vorschub zu solchen Vereinfachungen haben sicherlich die in den letzten Jahrzehnten beliebten Zwei-Prozess-Modelle geleistet. Um diesen theoretischen Hintergrund aufzuarbeiten, wenden wir uns nun zunächst diesen Zwei-Prozess-Modellen zu, bevor wir dann einen Vorschlag zur erweiterten Unterscheidung zweier grundlegender Intuitionsarten liefern.

3 Zwei-Prozess-Modelle der Informationsverarbeitung

In den Zwei-Prozess-Modellen der Informationsverarbeitung (Chaiken und Trope 1999; Smith und DeCoster 2000) wird beschrieben, dass Menschen Informationen in unterschiedlicher Tiefe bzw. Intensität verarbeiten. Dabei gehen sie unterschiedlich systematisch vor und investieren mehr oder weniger kognitiven Aufwand. Der Name „Zwei-Prozess-Modelle“ leitet sich davon ab, dass jeweils zwei Arten der Informationsverarbeitung kontrastiert werden. Eine klassische Unterscheidung ist diejenige zwischen automatischer und kontrollierter Informationsverarbeitung (Gawronski und Creighton 2013). Eine kontrollierte Informationsverarbeitung steht für eine bewusst gesteuerte, systematische, kognitiv aufwändige, langsame und ausführliche Informationsverarbeitung.

Stellen Sie sich einen Beratungskontext mit Klient X vor. Dieser kommt zu Ihnen, weil er vor einer schweren beruflichen Entscheidung steht, welche er ohne externe Hilfe nicht treffen möchte. Klient X schildert Ihnen seine aktuelle Situation. Diese ergibt sich aus zahlreichen Faktoren und Beteiligten und ist dadurch äußerst komplex. Versuchen Sie als Berater/in nun, diese Faktoren in ihrer Komplexität zu analysieren und tiefergehend in die Beratungssituation einzutauchen, investieren Sie Zeit und mentale Kapazität und bedienen sich somit der kontrollierten systematischen Informationsverarbeitung.

Diese wird von einer kognitiv oberflächlichen Informationsverarbeitung abgegrenzt, bei der Informationen eher automatisch, assoziativ und heuristisch verarbeitet werden. Für diese werden weniger kognitive Ressourcen benötigt. Die Prozesse laufen häufig unbewusst ab und führen zu schnellen, in der Regel aber auch zu verzerrten Urteilen, wenn z. B. kognitive Schemata die Urteilsfindung beeinflussen oder man davon ausgeht, dass die eigene Weltsicht der Realität entspricht („naiver Realismus“).

Zurück in der Beratungssituation, berichtet Ihr Klient weiter von seiner Schwierigkeit, seine Wünsche und Bedürfnisse gegenüber seinem Chef zu äußern. Dies führe so weit, dass er sich im Job nicht mehr wohl fühle, und er überlege, das Unternehmen zu verlassen. Für Sie ist sofort klar: Ihr Klient scheint eine persönliche Schwäche darin zu haben, seine Wünsche und Bedürfnisse anderen mitzuteilen. Für diese Einschätzung benötigen Sie keine tiefergehende Verarbeitung. Sie scheint sich direkt aus der erhaltenen Information zu ergeben. Ihr Gefühl sagt Ihnen, dass es hier einen Zusammenhang zum Selbstbewusstsein des Klienten geben könnte. Was Sie aus dieser kurzen Information allerdings nicht erfahren, ist, dass Ihr Klient weniger ein Problem damit hat, sich mitzuteilen, als vielmehr dass sein Chef aufgrund von starker terminlicher Belastung schier keine Zeit für ein längeres Gespräch finden kann. Ihr schnelles Urteil verleitete Sie, aus einer Kurzinformation automatisch auf Ihren Klienten zu schließen, statt die Situation genauer zu analysieren: ein Phänomen, das als „Fundamentaler Attributionsfehler“ bekannt ist (Ross 1977).

Automatisches Urteilen – wie das vorschnelle Urteilen im gerade genannten Beispiel – wird in der Regel mit intuitivem Urteilen in Verbindung gebracht. Interessanterweise herrscht jedoch Uneinigkeit über den Stellenwert der fehleranfälligen (Kahneman 2012) vs. hilfreichen Anteile des intuitiven Urteilens (Gigerenzer 2008). Kahneman (2012) sieht Intuition als ein schnelles Denksystem, das dem langsameren kognitiven System durch seinen automatischen und unkontrollierbaren Ablauf untergeordnet werden sollte. Demgegenüber sprechen andere Forscher/innen sogar vom klugen Unbewussten (wie Dijksterhuis 2010; Kuhl 2000; Kuhl et al. 2015) oder einer unbewussten Intelligenz, die auf aus Erfahrung basierten intelligenten Faustregeln beruht (Gigerenzer 2008).

Zander et al. (2016) schreiben, dass bei der intuitiven Informationsverarbeitung die Information nicht aktiv, sondern passiv und unbewusst verarbeitet wird („non-conscious processing“) sowie automatisch abläuft und sich jeglicher Kontrollierbarkeit entzieht („automaticity“/„uncontrollability“). Ihr Ergebnis sind Einfälle, Ahnungen, Gefühlsregungen. Intuitive Reaktionen entstehen schnell und können willentlich weder hervorgerufen noch unterdrückt werden. Sie laufen ohne Aufmerksamkeit und ohne Anstrengung ab, haben jedoch eine starke Signalwirkung. Spüren wir intuitiv, was wir machen wollen, ist dieses Signal häufig mit einem starken Verhaltensimpuls verbunden. Die Grundlage der intuitiven Informationsverarbeitung bildet unser stilles Wissen („experientiality“), welches auf unseren gesammelten Lebenserfahrungen beruht und unbewusst, assoziativ und holistisch die Informationsverarbeitung beeinflusst. Diese Erfahrungen, die nach Hamann (2012) auch als „geronnene“ Erfahrungen bezeichnet werden und einen Gegenpol zur bloßen Eingebung darstellen, könnten somit der kognitiv oberflächlichen Informationsverarbeitung in den Zwei-Prozess-Modellen zugeordnet und aufgrund der fehlenden Verarbeitungstiefe im Beratungskontext zu Fehlern wie dem „Fundamentalen Attributionsfehler“ führen. Allerdings scheint Intuition ja gerade in komplexen Situationen hilfreich zu sein, und ihr holistischer Charakter spricht gleichzeitig auch für eine tiefere Verarbeitung. Wie ist das zu erklären?

Im Folgenden führen wir eine Unterscheidung zwischen zwei Formen von Intuition ein, indem wir Grundzüge der sogenannten Theorie der Persönlichkeits-System-Interaktionen (PSI-Theorie) vorstellen (z. B. Kuhl 2000; Kuhl et al. 2020; Quirin und Kuhl 2009). Diese Unterscheidung kann u. E. Licht ins Dunkle hinsichtlich der Diskussion über „Intuition in Supervision und Coaching“ bringen.

4 Niedere und höhere Form von Intuition in der Theorie der Persönlichkeits-System-Interaktionen (PSI)

Die PSI-Theorie untersucht die „Dynamik der Persönlichkeit“, die Erleben und Verhalten zugrunde liegt und das ausmacht, was man unter der Persönlichkeit eines Individuums verstehen kann (Quirin et al. 2020). Neben affektiv-motivationalen und volitionalen Systemen unterscheidet die PSI-Theorie im Wesentlichen vier kognitive Makrosysteme, deren Zusammenspiel untereinander und mit den anderen Systemen auf eine bestimmte Weise Erleben und Verhalten generiert (z. B. Kuhl 2010; Kuhl et al. 2020; s. Abb. 1). Die Aktivierung jedes dieser vier kognitiven Systeme ist dabei von einer bestimmten emotionalen Stimmung begleitet.

Abb. 1
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Die vier Informationsverarbeitungssysteme der PSI-Theorie

„Intuition“ wird laut PSI-Theorie insbesondere von zwei der vier kognitiven Systeme unterstützt, die der (durchaus auch im onto- und phylogenetischen Sinne) niederen versus höheren mentalen Informationsverarbeitungsebene zugeschrieben werden können. Es resultieren somit zwei Formen der Intuition, was herkömmliche Zwei-Prozess-Theorien erweitert: Intuition als Produkt der Intuitiven Verhaltenssteuerung (basal) und Intuition als Produkt des Extensionsgedächtnisses (d. h. eine auf integriertem Erfahrungswissen basierende, holistisch-assoziative, höhere Form kognitiver Informationsverarbeitung; Kuhl 2000).

4.1 Intuition als Produkt der Intuitiven Verhaltenssteuerung

Manchmal richten wir unser Handeln nach der „erstbesten“ Möglichkeit aus, die uns in den Sinn kommt. Dieser „erste Eindruck“ kann, muss aber nicht „richtig“ sein, und zwar in verschiedenster Weise. Während wir in gewissen Gefahrensituationen blitzschnelle Reaktionen ablaufen lassen können, die unser Überleben sichern können – noch bevor wir darüber nachgedacht haben (LeDoux 1998) –, so können solche impulsiven und gerne undifferenziert „intuitiv“ genannten Reaktionen in komplexen Situationen sowohl hinsichtlich objektiver Kriterien („habe ich für meine Beratung einen geeigneten/angemessenen Preis verlangt“?) als auch subjektiven Wohlbefindens („bin ich mit meiner Beratungsleistung zufrieden“?) nur zweitbeste Optionen darstellen, Glückstreffer nicht ausgeschlossen.

Ähnlich wie in den Zwei-Prozess-Modellen liegt hier die Betonung auf automatischen, unbewussten und unkontrollierbaren Prozessen. Dieses Gedächtnissystem, das von positivem Affekt begleitet wird, ist maßgeblich dafür, dass wir tatsächlich handeln und unsere Pläne und Absichten umsetzen. Da Personen dementsprechend direkt auf die Informationen reagieren und diese nicht bewusst verarbeiten, kann es zu impulsivem, unüberlegtem Handeln kommen.

Reagieren Sie auf das beschriebene Problem Ihres Klienten, seine Wünsche und Bedürfnisse, sich gegenüber seinem Chef äußern zu können, beispielsweise ohne groß nachzudenken, mit einer Selbstreflexionsübung, die sein Selbstbewusstsein stärken soll, könnte dies einer Aktivierung der Intuitiven Verhaltenssteuerung geschuldet sein.

Das Intentionsgedächtnis wird bei Schwierigkeiten aktiviert (d. h. wenn immer eine Handlung nicht unmittelbar ausgeführt werden kann) und behält Absichten solange aufrecht, bis der Kontext angemessen erscheint, diese umzusetzen. Aus diesem Grund geht die Aktivierung dieses Gedächtnissystems mit einer unmittelbaren Hemmung der Intuitiven Verhaltenssteuerung und reduziertem positiven Affekt einher (sachlich-neutrale Stimmung). Das Intentionsgedächtnis (bzw. das damit assoziierte Denksystem) ist verantwortlich für analytisches Problemlösen und die sorgfältige Ausarbeitung von Handlungsskripten, aber benötigt für die Absichtsumsetzung die Kooperation mit der Intuitiven Verhaltenssteuerung. Zur Ausarbeitung solcher Handlungsskripte werden die Intuitive Verhaltenssteuerung und entsprechende nichtzweckmäßige Verhaltensimpulse gehemmt.

Im Beratungskontext würde eine Aktivierung des Intentionsgedächtnisses bedeuten, dass Sie nicht sofort impulsiv auf die Aussage Ihres Klienten reagieren, sondern sich Zeit nehmen, darüber nachzudenken, welche Übung gerade die richtige ist. Sie überlegen sich konkrete Schritte und planen Ihr weiteres Vorgehen sorgfältig. Nach reifer Überlegung und Analyse sollte die im Planungsvorgang vorherrschende Verhaltenshemmung aufgelöst und die Aktivierung der Intuitiven Verhaltenssteuerung angestrebt werden (Kuhl und Strehlau 2014). Das würde bedeuten, dass Sie nach der intensiven Planungsphase die nächsten Beratungsschritte mit Ihrem Klienten besprechen und in die Tat umsetzen. Manche Personen haben Schwierigkeiten, in die Umsetzung zu kommen, weil sie eine Tendenz haben, im Intentionsgedächtnis verhaftet zu bleiben: Prokrastination ist dann häufig die Folge.

Für die Praxis hat sich zur Förderung des Austausches beider Systeme und somit der Absichtsumsetzung die sogenannte „Pendeltechnik“ (siehe Kuhl 2010, S. 468) als hilfreich erwiesen, bei der Klient/innen zwischen positiven, zielerreichungsbezogenen Imaginationen bzw. „Visionen“ (Intuitive Verhaltenssteuerung und Extensionsgedächtnis) und Gedanken an die schwierigen Schritte dorthin (Intentionsgedächtnis) in ihrer Vorstellung mehrmals hin und herwechseln. Das erforderliche Zusammenspiel zwischen Intuitiver Verhaltenssteuerung und Intentionsgedächtnis zeigt bereits, dass die bloße Aktivierung der Intuitiven Verhaltenssteuerung in vielen Situationen nicht zielführend und sogar höchst fehleranfällig ist. Wie im Folgenden beschrieben wird, gibt es eine zweite Form der Intuition, die man als höheren kognitiven Verarbeitungsprozess bezeichnen könnte und die im Kontext von Entscheidungen für Handlungsalternativen eine große Rolle spielt.

4.2 Intuition als Funktion des Extensionsgedächtnisses

Das Extensionsgedächtnis – ein hochinferentes Gedächtnissystem – integriert über die Lebensspanne gewonnenes Erfahrungswissen (Zander et al. 2016), Wertvorstellungen, Präferenzen und Motive. Daher wird es, insbesondere wenn diese persönlichen Aspekte angesprochen sind, gerne als das „integrierte Selbst“ bezeichnet. „Seine parallele und ganzheitliche Verarbeitungsform arbeitet auf der höchsten erreichbaren, also der ‚intelligentesten‘ Integrationsebene und ermöglicht deshalb die gleichzeitige Berücksichtigung und Integration vieler Einzelaspekte, die für komplexe Entscheidungen und für das gegenseitige Verstehen von Menschen relevant sein können“ (Kuhl 2005, S. 6).

Da einer Person nur wenige Aspekte zugleich bewusst sein können, erfordert die Berücksichtigung vieler kontextueller Aspekte und Lebenserfahrungen eine Informationsverarbeitung, die nicht gänzlich bewusst ist, weshalb das Extensionsgedächtnis unser Verhalten „aus dem Hintergrund“ lenkt. Eine solche umsichtige Steuerung ließe sich vielleicht als „sechsten Sinn“ bezeichnen, da sie aus einer Komplexität des menschlichen Geistes entsteht, die sowohl für das Individuum als auch für einen eventuellen Beobachter nur schwer nachvollziehbar ist. Der sechste Sinn wäre somit kein „irrationaler Spuk“, sondern das Produkt einer hochinferenten, rationalen (jedoch unbewussten) „Berechnung“, die auf reellen Erfahrungen basiert.

Die Aktivierung des Extensionsgedächtnisses geht üblicherweise mit Gelassenheit und Entspanntheit einher. Aus diesem Grunde kann nur bei Aktivierung dieses Systems und entsprechender Stimmung eine erfolgreiche Selbstreflexion stattfinden (also eine solche, die zu Selbsteinsicht und Selbstentwicklung führt).

Ist in unserem Beratungsbeispiel das Extensionsgedächtnis aktiv, ist es Ihnen möglich, gelassen zu bleiben. Sie selbst als Berater/in sind sich Ihrer eigenen Weltanschauung, Ihrer eigenen Wertvorstellungen und Motive sowie Ihrer Erfahrungen in verschiedenen Beratungskontexten bewusst. Je reflektierter Sie selbst in der Beratungssituation sind, desto leichter wird es Ihnen auch fallen, Ihren Klienten in seiner individuellen Problemsituation zu unterstützen.

Höhere Intuition und (Selbst‑)Reflexion werden also gleichzeitig durch das Extensionsgedächtnis unterstützt, wobei Intuition als subjektiv ungreifbarer „sechster Sinn“ und als Produkt unzähliger Lebenserfahrungen gesehen werden kann („geronnene Erfahrung“), für Reflexion dagegen die Aktivierung des Extensionsgedächtnisses alleine nicht ausreicht: Erfolgreiche Selbstreflexion benötigt das Wechselspiel zwischen Extensionsgedächtnis und einem vierten kognitiven System, dem Objekterkennungssystem (Stölzel und Wagner 2018). Dieses Wechselspiel illustriert die Dialektik zwischen Hinschauen (Objekterkennungssystem) und Verstehen (Extensionsgedächtnis), also die Verknüpfung/Integration neuer mit bisherigen Erfahrungen.

Das sich auf einer elementaren Funktionsebene befindliche Objekterkennungssystem beinhaltet eine bewusste Fehlersuche („error detection“; Quirin et al. 2020) und fokussiert somit Einzelheiten und Unstimmigkeiten. Singuläre Elemente („Objekte“) werden dadurch aus dem Gesamtkontext gelöst und isoliert betrachtet, was oft bei Überaktivierung für Klient/innen oder Patient/innen zu einem Problem werden kann. Das Objekterkennungssystem ist sensibel für Auffälligkeiten und Abweichungen von Regelmäßigkeiten. Damit schlägt es auch vor allem in Gefahrensituationen Alarm, weshalb Angst und Sorge dominierende Begleitstimmungen darstellen.

Nichtsdestoweniger kann gerade für eine erfolgreiche Selbstreflexion dieses detailreiche Herausfiltern von Diskrepanzen im eigenen Erleben entscheidende Anstöße geben und Selbstentwicklung fördern, wenn diese angemessen ins Extensionsgedächtnis (bzw. Selbst) integriert werden (Kuhl und Strehlau 2014; Stölzel und Wagner 2018).

Konzentrieren Sie sich in der Beratung auf einzelne Aspekte, die Ihr Klient beschrieben hat, dann ist vermutlich das Objekterkennungssystem aktiv. Auch ein Aufdecken von Diskrepanzen in den Äußerungen Ihres Klienten kann dafür ein Zeichen sein. Zusätzlich kann ein erfolgreiches Zusammenspiel Ihres Extensionsgedächtnisses und Objekterkennungssystems die eigene Selbstreflexion während der Beratung ermöglichen. Daher ist es hilfreich, bewusst auf Widersprüchlichkeiten und Einzelheiten beim Klienten X zu achten und diese zunächst scheinbar unstimmige Informationen zu integrieren. Ein routiniertes, automatisches Handeln ist besonders dann zu vermeiden, wenn Sie durch die hohe Komplexität gestresst sind. Gerade dann ist es wichtig, sich Zeit für eine sorgfältige Planung und Reflexion zu nehmen. So können Sie möglicherweise unzutreffende erste Eindrücke oder erlernte Verhaltensmuster revidieren. Halten Sie inne und reflektieren Sie regelmäßig Ihr eigenes Handeln, um impulsive Interventionen zu vermeiden. Seien Sie achtsam mit sich selbst und nehmen Sie Ihre Emotionen bewusst wahr. Gelingt dies, kann eine Intuition auf höherer Ebene im Sinne eines ganzheitlichen „sechsten“ Sinnes hilfreich sein.

5 Zusammenfassung und Ausblick auf die Beratungspraxis

Der Umgang mit Komplexität stellt für Berater/innen – und deren Klient/innen – eine Herausforderung dar. Um zur Erhöhung der Problemlösekompetenz von Personen, Gruppen und Organisationen beitragen zu können (Hausinger und Volk 2013; Busse 2009), sollte im Beratungsprozess eine Balance zwischen dem Aushalten, Erhöhen und Reduzieren von Komplexität angestrebt werden. Kann Intuition dabei helfen, Komplexität so zu handhaben, dass sie zumutbar und bewältigbar bleibt – jedoch einer unzulässigen Vereinfachung entgegensteht? Und wie ist Intuition mit Reflexion vereinbar?

In diesem Artikel schlagen wir vor, zwischen zwei Arten von Intuition zu unterscheiden: Die niedere bzw. elementare Intuition („erster Eindruck“) stellt eine impulsive, automatische Eingebung dar, die Sinneseindrücke aus der Umgebung oder dem Inneren (z. B. eine konditionierte Emotion) aufnimmt und sich nicht auf integrierte (sondern höchstens isolierte) Erlebnisse oder breites Erfahrungswissen stützt. Gerade bei Personen, die Schwierigkeiten in der Emotionsregulation haben und auf komplexe Problemlösesituationen mit starken Emotionen und Stress reagieren, ist die Aufmerksamkeit stark verengt, wodurch eine tiefere Verarbeitung nicht möglich ist (Kuhl et al. 2015). An der elementaren Intuition ist in hohem Maße die Intuitive Verhaltenssteuerung beteiligt. Hierfür wird von der jeweiligen Person nicht selten der sechste Sinn als Erklärung „missbraucht“, weil die eigene Reaktion für die Person selbst nicht rational erklärbar ist. Dennoch sind diese Reaktionen nicht selten fehleranfällig im Sinne einer subjektiven Verzerrung oder Sensibilisierung.

Die höhere Intuition hingegen basiert auf einer ganzheitlich-assoziativen Berücksichtigung einer Vielzahl integrierter, rationaler (im Sinne tatsächlich erlebter und anschließend „geronnener“) Erfahrungen, die im Extensionsgedächtnis gespeichert sind. Diese würden wir als „sechsten Sinn“ im engeren Sinne sehen, weil sich gestalthaft viele Aspekte zu einem Ganzen fügen (bzw. zu einer Antwort oder Entscheidung) – in einer Weise, die dem logischen Verstand nicht nachvollziehbar sein muss. Beide Formen der Intuition unterliegen demnach unbewussten Prozessen (statt bewussten sequentiell-logischen Schlüssen).

Unabhängig davon, aus welchem System die Intuition kommt, ist es unseres Erachtens wichtig, diese nur als Hypothese zu sehen, die im Verlauf der Beratung auch falsifizierbar ist. Berater/innen sollten sich nicht zu früh auf ihre Intuition festlegen („einfrieren“, Kruglanski 2004), sondern für die Aufnahme neuer Informationen offen bleiben. Wenn eine zu frühe Festlegung als angeblicher „sechster Sinn“ bezeichnet wird, kann dies dazu führen, dass eigene Muster auf die Beratungssituation angewendet („übertragen“) werden. Durch eine zu frühe Festlegung kann Komplexität vorschnell und unzulässig reduziert werden. Sicherlich ist es nicht einfach, aus subjektiver Perspektive zu beurteilen, in welchem Ausmaß bei bestimmten Entscheidungen niedere und höhere Intuitionen beteiligt sind und wie diese unterschieden werden können, insbesondere dann, wenn die Verwendung niederer Intuition der Abwehr unangenehmer Erfahrungen dient. Hier hilft nur Lernen aus Erfahrung und der umsichtige, nichtselektive Abgleich mit der Realität und entsprechendem mehrperspektivischem Feedback.

Wenn man höhere intuitive Verarbeitungsprozesse über den gesamten Beratungsprozess betrachtet, würde sich die Frage, welches Ausmaß an Komplexität für Supervisions- und Coachingprozesse notwendig ist, vermutlich auflösen: Dem analytischen Verstand (Intentionsgedächtnis) werden Komplexitäten schnell „zu viel“. Die Funktionsweise des im Hintergrund (Vorbewusstsein) arbeitenden Extensionsgedächtnisses ist geradezu dafür prädestiniert, diese Komplexitäten zu erfassen und einzuordnen. Im Prozess betrachtet ist davon auszugehen, dass sich aus der Aktivierung bestimmter Aspekte, die Klient/innen erwähnen, auf Seitens der Supervisor/innen und Coaches Assoziationen einstellen, die im Verlauf des Beratungsprozesses verstärkt oder abgeschwächt werden, sodass die wirklich wichtigen Aspekte oder Zusammenhänge aktiv bleiben. Die hohe Komplexität als Input führt demnach ganz „von selbst“ zu einer Vereinfachung der Sichtweise als Output. Wenn dieser Output mit den Inhalten des integrierten und reflektierten Selbst (Lebenserfahrung inkl. in der Ausbildung Gelerntem) verknüpft werden, gelingt es Berater/innen dann, zwischen (z. B. für eine Lösungsfindung) wichtigen und unwichtigen Narrativen zu unterscheiden, etwa wenn Klient/innen ihre eigenen „blinden Flecken“ nicht erkennen.

So könnte es bei Klient X sein, dass er vielleicht doch ein Problem damit hat, die notwendige Zeit bei seinem Chef einzufordern. Dieser „Output“ sollte sich gemäß der PSI-Theorie dann ergeben, wenn ein größeres Maß an relevanten (einschließlich ausbildungsbezogenen) Lebenserfahrungen gesammelt wurde und wenn die Supervisor/innen oder Coaches diese in einer entspannten Affektlage mit „gleichschwebender Aufmerksamkeit“ ohne vorzeitige Fokussierung mit den Narrativen der Klient/innen verknüpfen können. Dies schließt nicht aus, dass ein zwischenzeitlicher Austausch mit den anderen Systemen der PSI-Theorie durchaus förderlich sein kann, z. B. zur Strukturierung und Bewusstmachung von Zwischenerkenntnissen, die man in einer späteren Sitzung dadurch wieder leichter abrufen kann.

Während Zander et al. (2016) davon ausgehen, dass sich intuitive Reaktionen jeglicher Kontrolle entziehen, postulieren wir, dass sie als Ausgangspunkt für einen Prozess der Reflexion genommen werden können. Diese Reflexion sollte in jedem Fall auch starke Anteile einer assoziativen, ganzheitlich-parallelen Verarbeitungsform in sich tragen, um erfolgversprechend zu sein, und nicht auf eine ausschließlich systematische, rational analytische Auseinandersetzung mit Informationen im Sinne der ausführlichen Informationsverarbeitung der Zwei-Prozess-Theorien oder des Intentionsgedächtnisses der PSI-Theorie beschränkt sein.

Von Niederhäusern (2016) schlägt vor, Intuition als eine Kompetenz zu sehen, die durch Reflexion ausgebaut werden kann. „So gesehen stehen Intuition, Emotion und Kognition in starker interaktiver Verbindung. Emotionen können als Wegweiser zu unserer Intuition fungieren, wenn mit ihnen konstruktiv-kritisch umgegangen werden kann, indem wir unsere Selbstwahrnehmung und Reflexionsfähigkeit fördern und unsere emotionale Kompetenz stärken“ (v. Niederhäusern 2016, S. 185). Selbstwahrnehmung und Reflexion scheinen die zu stärkenden Faktoren zu sein, um kompetente intuitive Entscheidungen treffen zu können. Dazu gehört die Interpretation eigener Gefühle und das Bewusst-Machen unserer Denkprozesse und Informationsverarbeitung inklusive der Einordnung unserer Emotionen im Sinne von Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomenen. Selbststeuerung und Erfahrung können die Intuition unterstützen, wenn sie durch kritische Reflexion ausgebaut werden (siehe auch die Intuitionsdefinition von Covey 2006, S. 69, nach der Intuition „Wissen über uns selbst, unsere Selbstwahrnehmung, soziale Empfindsamkeit und Fähigkeit zur erfolgreichen Kommunikation mit anderen“ ist).

In der PSI-Theorie spielen entsprechende Selbststeuerungskompetenzen (insbesondere der Selbstzugang) eine wesentliche Rolle, um zwischen den vier Verarbeitungssystemen besser wechseln zu können. Diese sollten deshalb aktiv ausgebaut werden. Intuition kann durch Reflexion verständlicher und dem Bewusstsein zugänglicher werden. Gerade dann, wenn in komplexen Situationen eine analytische Verarbeitung nicht möglich ist, können sich Coaching und Supervision dieser Komplexität annehmen, indem sie ihre Klient/innen in der Reflexion unterstützen und durch Herausbilden ihrer Intuitionskompetenz helfen, dass sie ihre intuitive Entscheidungen verbessern. Die Reflexion von Emotionen und Gedanken kann jedoch ein sehr verwirrender, langwieriger Prozess des gemeinsamen Vorantastens sein. Mut zur Komplexität könnte bedeuten, dabei trotz etwaiger Schwierigkeiten, Unsicherheiten und Verunsicherungen zur Reflexion und zur Auseinandersetzung mit Spannungsfeldern zu ermutigen – wohl wissend, dass es häufig keine klaren Antworten gibt, dass gewisse Unsicherheiten bleiben und sich manche Widersprüche nicht auflösen lassen. Die Ermutigung zur Reflexion kann zu einem gewissen Grad dazu beitragen, Komplexität hilfreich zu handhaben; allerdings ist es u. E. noch wichtiger, dass Personen durch die gemeinsame Reflexion im Supervisions- bzw. im Coachingprozess darin unterstützt werden, die im Leben unvermeidbare Komplexität zu einem gewissen Grad zu akzeptieren, und dass sie lernen, damit umzugehen – ganz nach dem Motto „life becomes simple when we accept its complexities“ (Kuhl 2001, S. 1).