1 Einleitung

557.000 Personen gingen im Jahr 2017 erstmals einer selbstständigen Tätigkeit nach – so wenige wie noch nie. Dabei werden Gründungsvorhaben überwiegend aus persönlichen Gründen abgebrochen (Metzger 2018). Eine Möglichkeit, diesen entgegenzuwirken, bietet Coaching als Unterstützungsformat für GründerFootnote 1. Es fördert in einem individuellen, bedürfnisorientierten Lernumfeld die Entwicklung der Unternehmerpersönlichkeit (Kutzhanova und Lyons 2008) und befähigt Gründer, sich selbst aktiv Wissen zu erschließen (Bodenmüller 2012). Kritische Entwicklungsbereiche werden durch Selbstreflexion identifiziert, Gründer profitieren von Feedback und erfahren emotionale Unterstützung (Kutzhanova et al. 2009). Der kfw-Gründungsmonitor zeigt, dass Gründer ihre Beratungsangebote nur als „befriedigend“, also nicht besonders gut bewerten. Langfristig kann dies dazu führen, dass sie sich als Nachfrager zurückziehen und Coaching als wichtige Unterstützung nicht mehr wahrnehmen (Metzger 2018; Anderseck 2011). Das derzeitige Beratungsangebot für Gründer erscheint inhaltlich heterogen und intransparent, da die Begriffe Coaching und Beratung nicht selten synonym verwendet werden. Es wird daher auf die Notwendigkeit verwiesen, zwischen beiden Formaten zu unterscheiden, auch um Gründern Orientierung zu bieten (Müller und Diensberg 2011).

Auch aus theoretischer Sicht ist das Format Gründercoaching noch nicht klar umrissen. Die Forschung konzentriert sich bislang auf die Kompetenzentwicklung von Gründern sowie auf Einflussfaktoren, die Gründercoaching wirksam machen (Audet und Couteret 2012; Brinkley und Le Roux 2018; Crompton und Smyrnios 2011; Dobrea und Maiorescu 2015; Kutzhanova und Lyons 2008; Kutzhanova et al. 2009; Popescul 2017; Saadaoui und Affess 2015). Unerforscht bleibt die Art und Weise, wie Gründer im Coaching beraten werden. Als charakteristisch für Coaching gilt die Prozessberatung (Loebbert 2018; Migge 2014; Rauen 2005; Schreyögg 2010). Die Heterogenität des Coachingmarktes und infolgedessen eine Forderung nach spezialisierten Beratungsangeboten bringen jedoch die Etablierung von Sequenzen der Informationsweitergabe innerhalb von Coachingprozessen mit sich (Schreyögg 2012; Schreyögg und Schmidt-Lellek 2015). Der aktuelle Stand der Forschung liefert Hinweise auf eine Kombination von Prozess- und Expertenberatungselementen im Gründercoaching. Diese sind bislang jedoch weitestgehend unbeachtet geblieben (Brinkley und Le Roux 2018; Caliendo et al. 2014; Crompton und Smyrnios 2011; Crompton 2012; Dobrea und Maiorescu 2015; Seewald 2013). Erkenntnisse darüber, wie Gründer im Coaching beraten werden, können zur Entwicklung von bedürfnisspezifischen Beratungskonzepten und der weiteren Professionalisierung von Coaching beitragen. Die vorliegende Studie geht der Frage nach, was im Gründercoaching passiert, d. h. auf welche Art und Weise Gründer beraten werden.

2 Theoretischer Hintergrund

Expertenberatung

Expertenberatung geht von der Annahme aus, dass ein Berater über notwendiges Fachwissen und Erfahrung verfügt, um Empfehlungen und Lösungsvorschläge zu generieren, die die Probleme eines Klienten lösen können (Welpe et al. 2010; Miethe 2000). Der Berater übernimmt daher im Beratungsprozess die Funktion des Experten gegenüber dem Klienten (Guggenberg 2011; Schein 2010; Welpe et al. 2010).

Prozessberatung

Bei der Prozessberatung steht eine gut funktionierende Arbeitsbeziehung zwischen dem Berater und seinem Klienten im Vordergrund. Ziel ist es, den Klienten selbst in die Lage zu versetzen, seine Probleme zu bewältigen sowie seine Wahrnehmung so zu schärfen, dass er seine aktuelle Situation aus eigener Kraft verbessern kann (Schein 2010). Der Klient fungiert demnach selbst als Experte seines Problems (Migge 2014). Prozessberatung basiert daher auf der Annahme, dass der Berater in keinem Fall über genug Wissen und Erfahrung verfügen kann, um bestimmte Maßnahmen zur Problemlösung gezielt empfehlen zu können (Schein 2010).

Coaching

Gemäß der Forschungsliteratur wird Coaching dem Prinzip der Prozessberatung zugeordnet (Greif 2005; Loebbert 2018; Migge 2014; Rauen 2005; Schein 1990; Schreyögg 2010). Die Heterogenität des Coachingmarktes verlangt jedoch nach spezialisierten Beratungsangeboten für zunehmend komplexe Anliegen der Klienten, was zur Folge hat, dass Coachingprozesse durch Informationsweitergabe ergänzt werden (Schreyögg und Schmidt-Lellek 2015) im Sinne der Expertenberatung. Es herrscht diesbezüglich Konsens darüber, dass Prozessberatung weiterhin den Großteil des Coachingprozesses einnehmen sollte (Loebbert 2018; Schreyögg 2010). Coaching im organisationalen Kontext ist als Executive-Coaching und Business-Coaching bekannt (Joseph 2016). Das Bestreben, Coachingformate durch ein Label zu spezifizieren, ergibt sich aus einer steigenden Coachingnachfrage, die den Markt veranlasst, eine Vielzahl von Angeboten mit unterschiedlichen Bezeichnungen und zugehörigen Definitionen hervorzubringen (Backhausen und Thommen 2017; Schreyögg und Schmidt-Lellek 2015). Trotz dieses heterogenen Begriffsverständnisses (Greif et al. 2018) ist sich die aktuelle Forschung inzwischen weitestgehend einig, Coaching als reflexions- und zielorientiertes Lern- und Entwicklungsformat zu bezeichnen, das an die individuellen Bedürfnisse des Coachees angepasst werden kann und auf einer tragfähigen Arbeitsbeziehung zwischen einem professionellen Coach und dem Coachee basiert (Bozer und Jones 2018; Jones et al. 2016; Smither 2011).

Gründercoaching

Nach bestem Wissen der Autorinnen existiert keine allgemein gültige Definition von Gründercoaching. Die englischsprachige Literatur ordnet das Coaching von Gründern dem Format des Executive- und Business-Coaching zu. Im Coaching entwickeln Gründer Kompetenzen in verschiedenen Managementbereichen (Audet und Couteret 2012). Dabei wird weniger Wissensvermittlung fokussiert als vielmehr die Befähigung des Gründers selbst sowie die Förderung seiner Reflexionsfähigkeit und seiner Selbsterkenntnis (Reisswig 2011). Coachingthemen können sowohl dem beruflichen als auch dem privaten Handlungsfeld der Gründer entstammen (Schulte und Kraus 2009).

3 Stand der Forschung zu Beratungsmodellen im Gründercoaching

Bislang nur unzureichend erforscht ist die Art und Weise, wie Gründer im Coaching beraten werden. Gründer bezeichnen Coaching – im Sinne der Prozessberatung nach Schein (2010) – als einen Prozess des Selbstlernens, der die Entwicklung eigener Lösungen ermöglicht (Brinkley und Le Roux 2018). Gründer erhalten jedoch im Prozess auch Ratschläge und Informationen durch den Coach (Caliendo et al. 2014) – im Sinne der Expertenberatung nach Schein (2010). Dass Gründer angeben, einen Rollenwechsel in der Art der Beratung ihres Coachs wahrzunehmen (Dobrea und Maiorescu 2015; Crompton 2012; Crompton und Smyrnios 2011), lässt darauf schließen, dass sowohl Prozess- als auch Expertenberatung in Coachingprozessen komplementär auftreten können. Eine Fallstudie (Seewald 2013) fokussiert das Einzelcoaching eines Gründers anhand der Prozess- und Expertenberatung. Der überwiegende Prozessberatungsanteil umfasst die Reflexion seiner Persönlichkeit, Biografie, Verhaltens- und Interaktionsmuster sowie daraus resultierend seines Erwartungsmanagements und Führungsverhaltens. Außerdem werden die Fähigkeit zum Perspektivwechsel, Empathiefähigkeit, Arbeitsorganisation und Zeitmanagement thematisiert. Der Expertenberatungsanteil beinhaltet Wissensvermittlung zu arbeits- und organisationswissenschaftlichen Grundsätzen sowie Elemente des Change-Managements (ebd.).

Die angeführten Ergebnisfragmente lassen auf eine Koexistenz von Prozess- und Expertenberatung im Gründercoaching schließen, jedoch ist diese Annahme bisher nicht empirisch belegt. Um einerseits die Theorieentwicklung im Gründercoaching und andererseits die Professionalisierung des aufkommenden Berufsfeldes Gründercoaching voranzutreiben, erscheint es notwendig, das reale Beratungsgeschehen zu untersuchen. Die vorliegende Studie geht daher der übergeordneten Frage nach, auf welche Art und Weise im Gründercoaching beraten wird. Sie widmet sich zu deren Beantwortung folgenden konkreten Fragestellungen:

  • Forschungsfrage 1: Wie verhält sich die Verteilung von Anteilen der Prozess- und der Expertenberatung im Gründercoaching?

  • Forschungsfrage 2: Welche Inhalte werden mit Elementen der Prozess- bzw. der Expertenberatung im Gründercoaching thematisiert?

  • Forschungsfrage 3: Wie erfolgt die Auswahl der Prozess- und der Expertenberatungselemente durch den Coach?

4 Methodisches Vorgehen

Stichprobe und Datenerhebung

Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurden deutschlandweit Telefoninterviews mit Coaches geführt. Diese praktizierten selbstständig, angestellt in Gründerzentren, in Beratungsstellen von Hochschulen oder im Rahmen von spezifischen Gründerförderungsprojekten. Die Akquise der Stichprobe erfolgte über verschiedene soziale Netzwerke, über die Kfw-Beraterbörse, über Inkubatoren, Gründerzentren, Beratungsagenturen und Gründermessen.

Die Stichprobe besteht aus 22 männlichen und 22 weiblichen Coaches (N = 44), die zum Zeitpunkt der Interviews zwischen 29 und 72 Jahren alt (M ≈ 47,70) waren. 27 Coaches hatten eine Coachingausbildung absolviert. Lediglich acht Coaches gehören einem Coachingverband an. Durchschnittlich sind die Studienteilnehmer seit zehn Jahren als Coach tätig und arbeiten davon seit neun Jahren mit Gründern.

Forschungsdesign und Datenauswertung

Im Rahmen von teilstrukturierten Leitfadeninterviews wurden die Coaches gebeten, sich einen typischen Gründercoachingprozess möglichst genau ins Gedächtnis zu rufen und von ihren Erinnerungen an die Themen im Coaching und ihr eigenes methodisches Vorgehen zu berichten. Dementsprechend wurde der Ansatz des episodischen Interviews verfolgt (Flick 1997). Die Interviews wurden aufgezeichnet, transkribiert und in einem vierköpfigen Forscherteam mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet (Schreier 2013). Das Kategoriensystem wurde nach einem gemischt deduktiven und induktiven Ansatz erstellt, und für das finale Kodieren konnte eine Intercoder-Reliabilität von κ = 0,72 (Cohens Kappa) errechnet werden, was eine angemessene Übereinstimmung darstellt (Landis und Koch 1977).

5 Ergebnisse

Die Studienergebnisse werden im Folgenden zunächst mit der Stichprobe verknüpft, indem auf das Berufsverständnis von Gründercoaches eingegangen wird. Anschließend erfolgt die separate Betrachtung der Prozess- und Expertenberatung.

5.1 Berufsverständnis von Gründercoaches

Einige Coaches deklarieren sich eindeutig als solche und beschreiben ihr Vorgehen als reines Coaching, während andere sich als Gründerberater sehen, die Prozessberatung integrieren.

Ich hatte ja eben gesagt, die Grenzen zwischen Beratung und Coaching sind für mich fließend. Da gibt es keine eindeutigen Abgrenzungen und einheitlichen Abgrenzungen. I: Das bedeutet, Sie würden sich als Gründungsberater beschreiben, der aber Coachingelemente mitverwendet in der Beratung? B: Genau.

Außerdem veranlasst die Kombination von Prozess- und Expertenberatung einige Coaches dazu, sich von Coaches oder Beratern abzugrenzen, die sich auf ein Beratungsmodell fokussieren.

5.2 Prozessberatung

Anteile im Coachingprozess und thematische Inhalte

Prozessberatungselemente spielen eine unterschiedliche Rolle für die Coaches. Während fünf Coaches angeben, Prozess- und Expertenberatungselemente in einem ausgewogenen Verhältnis zu nutzen, überwiegt bei dreien die Prozessberatung, und zwar mit etwa 70 bis 80 %. Insgesamt lassen sich 17 Themenbereiche identifizieren, zu deren Bearbeitung im Coaching Prozessberatungselemente genutzt werden. Der Kontext des Gründers stellt den umfangreichsten Bereich dar, wobei in diesem Rahmen Ressourcen und Möglichkeiten, Einstellungen und Werte sowie Stärken und Schwächen der Gründer relevant sind. Ein Coach erzählte:

Und die zweite Geschichte ist dann […] der Einstieg in die SWOT-Analyse: Was sind meine Stärken, was sind meine Schwächen? Wo sehe ich meine Chancen, wo sehe ich meine Risiken?

Auch die Einstellung der Gründer zu finanziellen Themen sowie Kompetenzen werden thematisiert. Dabei sind insbesondere Kommunikationsfähigkeiten von Bedeutung, aber auch Planungs- und Organisationsfähigkeiten. Weiterhin wird an der Kompetenz gearbeitet, sich fokussieren zu können. Ein Coach sagte:

Das hilft ja, diesen Fokus dann auch zu schärfen. Dass man mitkriegt, was ist denn jetzt hier wichtig und was ist denn nebensächlich? Was sind die Kerne, auf die ich mich konzentrieren muss? Was kann ich ausblenden, was kann ich an andere übertragen.

Coaches berichten außerdem davon, Ziele für die Selbstständigkeit im Coaching zu thematisieren und die Zielformulierung sowie -evaluation zu fokussieren. Ein Coach erzählte:

Also erst einmal die Festigung von Zielen generell. Sowohl monetäre Ziele, aber auch Zufriedenheitsziele, Kompetenzziele. Dass ich die Gründer eben frage, ‚Was wünschst du dir für deine Selbstständigkeit? Wo siehst du dich in drei Jahren? Wo siehst du dich in fünf Jahren?’

Darüber hinaus spielen auch Konflikte, und dabei insbesondere Konflikte im Gründerteam, eine Rolle im Coaching. Dies schließt mit ein, mit Gründern an deren Umgang mit Konflikten sowie Lösungsmöglichkeiten zu arbeiten.

Auswahl von Prozessberatungselementen

Coaches setzen Prozessberatungselemente bewusst ein, um Gründer Lösungen selbst generieren zu lassen oder Reflexionsprozesse anzuregen. Außerdem sind wahrgenommene Emotionen, Äußerungen oder Reaktionen der Gründer sowie auch äußere Rahmenbedingungen oder die Erwartungen der Gründer an die Beratungsleistung auslösende Elemente. Ein Coach sagte:

Coaching ist für mich, wenn ich mich als Tippgeber zurücknehme. Und versuche sozusagen, die Lösung aus den Personen heraus selber generieren zu lassen.

Auch wenn innere Blockaden oder Unsicherheiten der Gründer deutlich werden, greifen Coaches auf Prozessberatungselemente zurück. Ein Coach erzählte:

Also im Grunde genommen coache ich erst dann, wenn es mit der Firma oder wenn es mit der Gründung […] nicht weitergeht, durch innere Blockaden.

Außerdem wird die Auswahl insofern durch äußere Rahmenbedingungen bestimmt, als dass Prozessberatung in längeren Beratungsprozessen stattfindet. Ein Coach berichtete:

Und die Gründer, die sich langfristig betreuen lassen wollen, die wollen dann eben nicht nur diese Wissensvermittlung, sondern eben auch diesen Coachingansatz.

5.3 Expertenberatung

Anteile im Coachingprozess und thematische Inhalte

Fünf Coaches geben an, dass Expertenberatung den dominierenden Teil ihrer Coachingprozesse ausmache, nämlich etwa 60 bis 75 %. In diesem Zusammenhang spielen vier Themenbereiche eine Rolle, wobei insbesondere der Businessplan genannt wird. Ein Coach erzählte:

Ja, ich kenne die Inhalte eines Businessplans, die nachher auftauchen müssen, damit man mit seinem Konzept einen Kredit akquirieren kann oder Geldgeber. Das sind ja Standards, Businessplan-Standards, […] und an diesen Sachthemen hangle ich mich in der Beratung entlang.

Zu den betriebswirtschaftlichen Kompetenzen, welche innerhalb des Expertenberatungsanteils thematisiert werden, zählen Marketing- und Vertriebskompetenzen sowie die Positionierung am Markt, aber auch Kompetenzen im Bereich Finanzen und Controlling. Ein Coach berichtete:

Da bin ich dann auch beratend tätig geworden. Mit meinem Wissen als Steuerberater, also wie sie sich da beispielsweise auch die Buchhaltung organisiert, wie sie die Belege sortiert.

Auswahl von Expertenberatungselementen

Expertenberatungselemente werden hauptsächlich genutzt, um Gründern explizit Fachwissen zu vermitteln. Darüber hinaus veranlassen auch die (fehlende) Offenheit der Gründer gegenüber der Prozessberatung und ein begrenzter Beratungszeitraum den Coach dazu, Expertenberatungselemente einzusetzen. Ein Coach erzählte:

Die Beratung fängt ja immer da an, wo ich mein Fachwissen weitergebe. Entweder eine Branchenkenntnis oder eine Fachkenntnis […] Wenn jemand da nicht ohne weiteres weiß, nach was er guckt oder wie er guckt, dann nehme ich den Leuten das manchmal auch ab, wenn ich weiß, dass ich da schneller vom Fleck komme. Aber es ist ganz klar dann eben Beratung.

Auch fachliche Fragen der Gründer sowie die Ansicht der Coaches, einen Wissensvorsprung gegenüber Gründern zu haben, werden als Anlass für die Expertenberatung genannt. Bei dieser Wissensvermittlung kann es sich z. B. um Gründungsformalitäten handeln, aber auch um konkrete Umsetzungshinweise. Ein Coach erzählte:

Um einen ordentlichen Businessplan zu schreiben, muss man nicht coachen. Da sage ich einfach, „So gehört es richtig“ […] Und beim Thema Businessplan verlassen sich die Menschen normalerweise auf mich. Ich gebe da ganz klare Handlungsempfehlungen oder auch Handlungsanweisungen und die werden normalerweise befolgt. Das verstehe ich dann eben nicht als Coaching in dem Sinne, logischerweise.

Wie auch bei der Auswahl der Prozessberatung bestimmen die Rahmenbedingungen des Coachings die Auswahl der Expertenberatung, denn diese findet vor allem in kürzeren Beratungszeiträumen statt. Ein Coach sagte:

Aber jetzt gerade von der Dauer her, wenn man jetzt nur eine ganz kurze Beratung macht, hier in der Regel reine Wissensvermittlung.

5.4 Verknüpfung von Prozess- und Expertenberatung

Anteile im Coachingprozess und thematische Inhalte

Fünf der interviewten Coaches berichteten, beide Beratungsmodelle zu ausgewogenen Anteilen im Coaching zu nutzen. Im Rahmen von Prozess- und Expertenberatung behandelte Themen wurden bereits separat dargestellt, jedoch sind einige davon im Coachingprozess miteinander verknüpft. Beispielsweise werden betriebswirtschaftliche Kompetenzen im Expertenberatungsanteil in Zusammenhang mit der Kompetenz des Planens und Organisierens innerhalb der Prozessberatung thematisiert. Das Thema Businessplan wird ebenfalls im Expertenberatungsanteil thematisiert. Bemerkt der Coach dabei Unsicherheiten des Gründers, nutzt er Prozessberatungselemente, um diese thematisch zu vertiefen.

Ich bin eher der klassische Gründungsberater zu solchen harten Themen wie Fördermittel und Businessplan und so weiter. Aber natürlich sind Coachingelemente mit dabei. Gerade wenn ich merke, dass jemand unsicher ist, dann hake ich natürlich auch bei bestimmten Punkten nach und dann geht es natürlich stark ins Coaching.

Auswahl der Beratungselemente

Einige Coaches legen offen, dass die Entscheidung für ein Beratungsmodell auch individuell je nach Anliegen der Gründer erfolgt. Ein Coach berichtete:

Ja, das ist ein fließender Übergang. Es gibt Menschen, die brauchen gar kein Coaching, weil die so klar in sich sind. Da war das eine reine Fachberatung […]. Es gibt Menschen, die brauchen viel mehr Coaching. Das sind die, sage ich mal, die aus der Not gegründet haben, die unsicher sind, die Selbstzweifel haben.

Um abschätzen zu können, ob Prozess- oder Expertenberatungselemente sinnvoll genutzt werden können, evaluieren die Coaches zunächst die Notwendigkeit der Informationsvermittlung und auch die Dringlichkeit des Anliegens. Ein Coach erzählte:

Wenn jetzt ein Gründer zu mir kommt und sagt, „Ja ich habe jetzt gestern das Gewerbe angemeldet.“, dann […] muss das alles ja auch irgendwie ein bisschen schneller gehen. Und dann ist es meistens, würde ich sagen, eher so, dass dann diese wissensvermittelnden Themen relevant sind.

Auch wenn fachliche Fragen des Gründers Expertenberatung implizieren, nutzen Coaches bewusst Prozessberatungselemente, wenn sie ein „verstecktes Anliegen“ der Gründer entdecken und dementsprechend ein umfassenderes, individuell angepasstes Coaching für angemessen halten. Ein Coach sagte:

Da kommt jemand und meint, er hat eine fachliche Frage. Und dann merkt man im Gespräch, das ist überhaupt nicht sein Problem. […] Und dann kann es sein, dass die mit rechtlichen, mit inhaltlichen Themen kommen und man dann aber auf einmal merkt, wir unterhalten uns jetzt hier gerade erstmal über Familiengeschichten. […] Deswegen ist man dann auch in so einer Art Coaching.

6 Diskussion

Wie verhält sich die Verteilung der Anteile von Prozess- und Expertenberatung im Gründercoaching?

Arbeitsplatzbezogenes Coaching wird größtenteils als Prozessberatung charakterisiert, das mit Sequenzen der Expertenberatung zusätzlich angereichert werden kann (Schreyögg 2010; Loebbert 2018). Im Gegensatz dazu spielt die Expertenberatung im Gründercoaching eine weitaus bedeutendere Rolle. Während nur drei Coaches berichteten, Prozessberatungselemente in mehr als der Hälfte der Zeit ihrer Coachingprozesse zu nutzen, beschrieben fünf Coaches die Expertenberatung als dominierendes Beratungsmodell, und weitere fünf Coaches gaben an, Prozess- und Expertenberatungselemente typischerweise in ausgewogenen Anteilen zu verwenden. Dementsprechend weichen die Art und Weise der Beratung vom Coaching anderer Zielgruppen ab.

Welche Inhalte werden mit Prozess- und Expertenberatungselementen im Gründercoaching thematisiert?

Während Expertenberatungselemente zur Bearbeitung von vier verschiedenen Themenbereichen eingesetzt werden, sind im Zusammenhang mit Prozessberatungselementen im Gründercoaching 17 verschiedene Themen relevant, welche sich insbesondere auf die Persönlichkeit der Gründer, Kompetenzen, Ziele und Konflikte beziehen. Bezüglich des Expertenberatungsanteils lassen die Ergebnisse den Schluss zu, dass Coaches gezielt Expertise zu bestimmten Themenbereichen vermitteln. Sie liefern Gründern fachliche Informationen darüber, wie sie einen Businessplan erstellen und bearbeiten, wie sie die Buchhaltung handhaben, Marketing und Vertrieb gestalten, sich am Markt positionieren und Preise kalkulieren können. Neben dieser Wissensvermittlung geben die Coaches auch konkrete Ratschläge und Umsetzungshinweise.

Außerdem nutzen Coaches Prozess- sowie Expertenberatungselemente komplementär und beschreiben Expertenberatung als der Prozessberatung vorgelagert. Konkret bedeutet dies, dass Coaches Prozessberatungselemente nutzen, wenn im Rahmen der Expertenberatung Unsicherheiten oder Überforderung der Gründer deutlich werden. Ein solcher Wechsel zwischen Beratungsmodellen ist in der bisherigen Forschung bereits als Rollenwechsel in der Art der Beratung erfasst (Crompton 2012; Crompton und Smyrnios 2011; Dobrea und Maiorescu 2015). Dass Coaches bei negativen Emotionen der Gründer im Coachingprozess auf Prozessberatung zurückgreifen, hebt den Stellenwert emotionaler Unterstützung als wichtigen Bestandteil von Gründercoaching hervor (Kutzhanova et al. 2009).

Wie erfolgt die Auswahl der Anteile von Prozess- und Expertenberatung durch den Coach im Prozess?

Coaches wählen Prozess- und Expertenberatungselemente im Gründercoachingprozess bewusst aus. Das grundlegende Verständnis der Beratungsmodelle spiegelt sich in den von den Coaches genannten Anlässen für deren Auswahl wider. Fehlende Offenheit der Gründer, sich auf einen tiefergreifenden Coachingprozess einzulassen, kann eine Erklärung für ausgeprägte Expertenberatungsanteile liefern. Des Weiteren ergibt sich als wichtige Kompetenz von Coaches die Beurteilung, ob Gründer sich Lösungen zu bestimmten Themen und Problemen selbst erschließen können oder Expertise und Hilfestellung benötigen.

Die Auswahl des Beratungsmodells wird außerdem durch das Anliegen der Gründer beeinflusst. Wenn dieses zeitlich drängend ist, aus einer fachlichen Frage besteht oder zunächst nach Informationsvermittlung verlangt, werden Expertenberatungselemente eingesetzt. Allerdings werden Prozessberatungselemente daran angeschlossen, wenn Coaches ein verstecktes Thema des Gründers hinter dessen konkret vorgebrachten Anliegen explorieren. Dies bestätigt die Argumentation zur Notwendigkeit beider Beratungsmodelle bei der Beratung von Gründern (Maier-Gutheil 2009). Daraus ergibt sich die Herausforderung für Coaches, sowohl Prozess- als auch Expertenberatungselemente situativ wendig einsetzen zu können, um individuell auf Gründer und deren spezifische Anliegen einzugehen.

7 Fazit

Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl Prozess- als auch Expertenberatung in Gründercoachingprozessen eine Rolle spielen. Während „klassisches“ arbeitsplatzbezogenes Coaching größtenteils auf Prozessberatung basiert, ist Gründercoaching in der Praxis zu variierenden Anteilen von Expertenberatung geprägt, je nach individuellem Anliegen der Gründer. Im Rahmen von Prozessberatung geht es im Coachingprozess vor allem um die Person des Gründers, seinen aktuellen Kontext sowie Kompetenzen, Ziele und Konflikte. Mit Expertenberatungselementen werden der Businessplan sowie die betriebswirtschaftlichen Kompetenzen des Gründers thematisiert. Ein Wechsel zwischen Prozess- und Expertenberatung wird vom Coach initiiert, wenn dieser Unsicherheit oder Überforderung des Gründers wahrnimmt. Coaches setzen das jeweilige Beratungsmodell bewusst im Prozess ein und reagieren damit auf bestimmte Anlässe, wahrgenommene Emotionen oder Reaktionen des Gründers. Grundsätzlich orientieren sich die Coaches bei der Auswahl von Prozess- und Expertenberatungselementen am zugrundeliegenden Verständnis des jeweiligen Beratungsmodells. Auch äußere Einflüsse wie der Beratungszeitraum und vorgebrachte Anliegen der Gründer spielen eine Rolle.

Die Studienergebnisse geben einen Einblick in das tatsächliche Beratungsgeschehen im Gründercoaching und lassen Implikationen zu, die übergreifend zu einer notwendigen Professionalisierung des Gründercoachings beitragen können. Die abgeleiteten Anforderungen an die Beratungsleistung der Coaches und die Rahmenbedingungen, in denen das Coaching stattfindet, sind in Tab. 1 dargestellt.

Tab. 1 Implikationen für die Praxis des Gründercoachings

Aus den Ergebnissen ergeben sich auch Implikationen für die wissenschaftliche Betrachtung des Gründercoachings. Für den Begriff Coaching und das dahinterliegende Konzept gibt es eine Vielzahl von Definitionen. Es erscheint daher notwendig, im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen eine Definition des Beratungsformats Gründercoaching zu entwickeln und dieses von verwandten Formaten wie klassischem arbeitsplatzbezogenem Coaching und Mentoring abzugrenzen (Diermann et al., in Vorbereitung).

Die vorliegende Studie liefert erste wichtige Erkenntnisse zu Gründercoachingprozessen in Deutschland. Dennoch basieren die hier dargestellten qualitativen Ergebnisse auf Selbstauskünften der Coaches, und es ist möglich, dass das tatsächliche Geschehen von diesen abweicht. Folglich sind zukünftig quantitative Studien anhand von repräsentativen Stichproben und Prozessforschung notwendig, um zu einer Absicherung der erzielten Ergebnisse zu gelangen (Mayring 2001). Wünschenswert sind außerdem weitere Forschungsstudien zu Ursachen von geringer Offenheit der Gründer gegenüber Prozessberatung, um praktische Maßnahmen ableiten zu können. Darüber hinaus erscheint es sinnvoll, zu evaluieren, ob und welche besonderen Merkmale Gründer als Zielgruppe für Coaching aufweisen, um eine mögliche Abgrenzung zu anderen Coachingformaten zu schaffen und der Forderung nach einer eigenständigen Definition für das Format Gründercoaching nachzukommen (Diermann et al. in Vorbereitung).