Vor nunmehr zwölf Jahren haben wir uns in dieser Zeitschrift schon einmal mit dem Thema Interkulturalität befasst (OSC 3/97). Damals war der Fokus primär auf interkulturelle Themen hierzulande gerichtet, also auf kulturell gemischte Arbeitsgruppen oder auf ethnisch bedingte Konflikte in unseren Städten und auf die Möglichkeiten, mit der hier vorfindlichen Fremdheit in Supervision und Coaching umzugehen. Demgegenüber wird in diesem Heft die Arbeit in internationalen Kontexten thematisiert, also die Begegnung mit Fremdheit in der Ferne. Durch die zunehmende Internationalisierung von Wirtschaftsunternehmen werden immer häufiger Mitarbeiter in Tochterunternehmen entsandt, insbesondere Personen mit Führungsaufgaben. Für viele Führungskräfte ist dies heute fast schon zur Selbstverständlichkeit geworden; für manche von ihnen wird dies eher als Bereicherung und Horizonterweiterung, für andere eher als Belastung oder Einschränkung eines effektiven Handelns erlebt.

In jedem Fall hält diese Situation eine ganze Reihe potentieller Fallstricke und Komplikationen bereit. Denn die betreffenden Personen sehen sich nun mit der Herausforderung konfrontiert, Arbeitsgruppen in anderen Kulturen zu führen, sich in den jeweiligen kulturellen, sozialen und politischen Gegebenheiten zu orientieren und im Umgang mit fremden Mentalitäten, Lebensgewohnheiten und Kommunikationsmustern zurechtzukommen. Wenn es etwa einer deutschen Führungskraft nicht gelingt, sich auf die andere Kultur einzustellen, wird sie möglicherweise auf Unverständnis, Ablehnung, mangelnde Kooperationsbereitschaft usw. stoßen. Dementsprechend wird heute in zunehmendem Maße den global agierenden Unternehmen eine hinreichende „interkulturelle Kompetenz“ abverlangt. Denn „Fachkenntnisse und technisches Spezialistentum reichen (…) nicht mehr aus, um im globalen Business erfolgreich zu sein“, so Alexander Thomas im „Handbuch Interkulturelle Kommunikation und Kooperation“ (2003, S. 12). Man kann zwar auch feststellen, dass die Kulturen durch die zunehmende Internationalisierung der wirtschaftlichen Abläufe und der daraus folgenden Konsumgewohnheiten sich immer ähnlicher werden („McDonaldisierung“); aber solche „Konvergenztendenzen“ sind nicht gleichmäßig verteilt, sondern möglicherweise auch ein Resultat von Anpassungsdiktaten, die von mächtigeren gegenüber weniger mächtigen Nationen oder sozialen Gruppierungen ausgeübt werden. Eine unreflektierte Arroganz, mit der eine europäische oder eine amerikanische Führungskraft etwa in fernöstlichen oder in arabischen Ländern auftritt, wird die Bereitschaft zur Anpassung und Kooperation nicht unterstützen. So zeigen sich mit steigendem Konvergenzdruck „ebenso massive Tendenzen zur kulturellen Divergenz, das heißt der (Wieder-) Entdeckung und Betonung kultureller Andersartigkeit und Eigenständigkeit“ (Thomas 2003, S. 13).

Daraus folgt notgedrungen die Forderung einer interkulturellen Kompetenz. Diese besteht nun nicht allein in einem Wissen um Gepflogenheiten, Umgangsformen usw. einer fremden Kultur, wie man sie in entsprechenden Trainings lernen kann, sondern darüber hinaus in einer „kulturreflexiven“ Haltung, nämlich sich die Relativität der eigenen kulturellen Prägungen bewusst zu machen und sich zu öffnen für das, was einem in der fremden Kultur begegnet. Sie lässt sich auch als „Cultural Awareness“ oder als „dialogische Haltung gegenüber dem Fremden“ beschreiben (Heimannsberg u. Schmidt-Lellek 2000, S. 25 ff., S. 75 f.). Eine solche Haltung muss nun aber jeder Einzelne wiederum mit seiner individuellen Lebensgeschichte und beruflichen Karriere in Verbindung bringen können, er muss die zuweilen nicht leicht zu bewältigenden Veränderungen oder sogar Brüche, die häufig zunächst als „Kulturschock“ erlebt werden, in die eigene Biographie integrieren können, insbesondere wenn auch mitreisende Familienangehörige einbezogen sind. Für diese vielfältigen Herausforderungen kann ein darauf spezialisiertes Coaching zur Vorbereitung ebenso wie zur kontinuierlichen Begleitung wertvolle Dienste leisten.

In diesem Heft sind Beiträge zusammengestellt, die die angesprochenen Fragen aus unterschiedlichen theoretischen Perspektiven und anhand verschiedener Praxiserfahrungen behandeln. Gemeinsames Anliegen der beteiligten Autor/innen ist die Konzeptentwicklung eines „Interkulturellen Coachings“, also einer Beratungsform, die nicht nur entsprechendes Wissen zu vermitteln hat, sondern die individuelle Auseinandersetzung und die Verarbeitung persönlicher Erfahrungen unterstützen soll.

Zu den Beiträgen im Einzelnen: Zunächst werden von Kirsten Nazarkiewicz und Gesa Krämer entscheidende Eckpfeiler zum Thema gesetzt, wenn sie statt von interkulturellem Coaching lieber von „kulturreflexivem Coaching“ reden. In ähnliche Richtung weist Anna Herbolzheimer, die aufgrund ihrer Dissertation Konzepte für das Coaching von langjährig entsandten „Expatriates“ entwickelt. Matthias Schmelz nimmt nun speziell die ganze Lebenssituation bei Auslandsentsendungen mit in den Blick und empfiehlt neben dem berufsbezogenen Coaching auch ein Paarcoaching, um einer möglichen Ursache des Scheiterns frühzeitig vorbeugen zu können. Philipp und Daria Wascher fokussieren auf den Aspekt der interkulturellen Kommunikation und betonen, dass dazu nicht nur entsprechende Fremdsprachenkenntnisse erforderlich sind, sondern auch ein Wissen und Verstehen der geschichtlichen und sozialen Bedingungen, und exemplifizieren dies anhand ihres Engagements in Rumänien. Amin Karboul untersucht drei Fallbeispiele anhand von vier Dimensionen, nämlich der sachlichen, sozialen, räumlichen und zeitlichen Ebene, und nimmt dies als Ausgangspunkt für Überlegungen zu Konzepten eines interkulturellen Coachings und ensprechende Anforderungen an Coaches, die in internationalen Kontexten tätig sind. Nancy Grösch beschreibt ihre Erfahrungen in einem international agierenden Unternehmen, in dem sie anhand von Interviews die Wahrnehmungen und Bewertungen von Coaching und von Coachingmethoden in den verschiedenen Ländern analysiert. Anne Kimmle unterscheidet zwischen interkulturellem Training, interkulturellem Coaching – beides zur Vorbereitung auf den Umgang mit einer fremden Kultur – und „Coaching im interkulturellen Kontext“, also einer Verbindung von allgemeinen Coachingthemen mit den spezifischen Kontexten, in denen der Klient tätig ist. Im Diskurs beschreibt Christoph Bedenbecker seine langjährigen Erfahrungen als Deutscher im Nachbarland Österreich und speziell in Tirol und thematisiert die z.T. subtilen Unterschiede in der Mentalität, den Lebens- und Umgangsformen, sodass sich auch hier – trotz weitgehend derselben Sprache – die Fragen nach den Kompetenzen einer interkulturellen Kommunikation verdeutlichen lassen. Sein Resümee lässt sich auf alle anderen in diesem Heft angesprochenen Bereiche übertragen: Wer Respekt sät, wird auch Respekt ernten.