In einer sich rapide wandelnden Welt müssen sich Organisationen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr denn je verändern. Die Vorstellung, dass Veränderungsprozesse gemäß Kurt Lewins klassischem Modell „unfreeze – change – refreeze“ Einmalereignisse wären, die in statische Phasen münden, kann als überholt gelten (vgl. Kauffeld et al. 2019). Wo Veränderung dauerhaft, schnell und flexibel gestaltet werden muss, wird Veränderungsfähigkeit zur überlebensrelevanten organisationalen Kompetenz. Andererseits stellt sich in einer von Beschleunigung geprägten Zeit die Frage, wie Stabilität und Entschleunigung für notwendige Lern- und Entwicklungsprozesse erreicht werden können. Gemäß dem Profil der Zeitschrift zahlen die Beiträge einerseits auf die Differenz und das Zusammenspiel der Ebenen Gruppe – Interaktion – Organisation ein. Zum anderen versuchen die Beiträge im Sinne der Mission unserer Zeitschrift, eine Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis zu schlagen. Gerade bei einem genuin anwendungsorientierten Thema wie Change Management scheint eine solche enge Zusammenarbeit auf der Hand zu liegen – nichtsdestoweniger gehen Forschung und Praxis weitgehend unterschiedliche Wege (Burke 2018), „either doing research with little action, or action with little research“ (Foster 1972, S. 529). Wenn seit vielen Jahren das Professionalisierungsdefizit der Organisationsentwicklung angemahnt wird (z. B. Bohn und Kühl 2010), ist dies auch eine Folge des zu wenig ausgeprägten Theorie-Praxis-Transfers. Um so erfreulicher ist es, dass wir mit Ed Schein, Peter Senge, Otto Scharmer und Rudi Wimmer vier „Researcher-Practitioner“ gewinnen konnten, die genau an dieser Schnittstelle tätig sind.

Zu Beginn des Hefts stellt Hans-Joachim Gergs die Frage, wie die Organisationsentwicklung die digitale Transformation von Unternehmen unterstützen kann und wie sie sich dabei selbst verändern muss. Der Autor zeigt auf, dass die Organisationsentwicklung in ihrer Grundhaltung, ihrer Expertise zu gruppendynamischen Prozessen und organisationalen Veränderungen sowie ihrer Methodik nach wie vor eine gute Grundlage für ein zeitgemäßes Change Management darstellt, dass die Organisationsentwicklung aber andererseits auch von agilen Ansätzen lernen kann, um Change-Prozesse noch stärker an sich schnell wandelnde Anforderungen anpassen zu können.

Es folgt ein Interview mit dem renommierten Change-Management-Experten John Kotter. Kotter knüpft an die von Gergs aufgeworfene Frage nach einem agileren Change Management an. Er sieht die Perspektive für eine Professionalisierung von Change Management vor allem in der Entwicklung von Konzepten, die mit den Erfordernissen eines immer schnelleren Wandels Schritt halten können. Darüber hinaus empfiehlt er Change-Praktiker/innen, stärker aus der unternehmerischen Perspektive der Auftraggeber/innen zu denken.

Kotters Konzept der „zwei Betriebssysteme“ ist auch ein wichtiger Bezugspunkt für den Beitrag von Erich Pfarr und Simone Steinberg, die auf der Grundlage des Konzepts der organisationalen Ambidextrie aufzeigen, wie das Zusammenspiel von agiler Welt und klassischem Veränderungsmanagement aussehen kann. Ihr Praxisbeitrag illustriert die diesbezüglichen aktuellen Herausforderungen im internen Change Management am Beispiel der Commerzbank und der Deutschen Bahn. Pfarr und Steinberg zeigen sehr konkret auf, wie die interne Change-Beratung gefordert ist, sich selbst zu wandeln, um Veränderungsprozesse in der VUKA-Welt zu begleiten. Anhand der beiden Praxisbeispiele wird deutlich, dass die Zeiten von „Anfang bis Ende durchorchestrierten Change-Prozesses“ vorbei sind und neben den klassischen Change-Ansätzen neue agile Ansätze entstehen. Um solchen Anforderungen gewachsen zu sein, verändern sich auch die Kompetenzanforderungen an die Change-Beratung der Zukunft. Neben den systemischen Beratungsansatz und das klassische Change-Wissen treten dabei Kompetenzen in den Bereichen Digitalisierung, Agilität und Lean Management.

Peter Senges Buch „Die fünfte Disziplin“ gilt als ein Meilenstein in der Entwicklung des Change Managements. Im Interview mit der GIO sieht Senge den nächsten Schritt der Entwicklung hin zu einem für die VUKA-Welt tauglichen Change Management in der Bereitschaft, sich von den eigenen Kontrollillusionen zu lösen. Nach seiner Beobachtung beginnt dieser Wandel von einer kontrollorientierten Mentalität hin zu einer lernorientierten Mentalität, den er als Herzstück der „Fünften Disziplin“ betrachtet, langsam zu greifen. Das Interview ist ein engagiertes Plädoyer für ein konsequentes, an natürlichen Mechanismen orientiertes Systemdenken und eine stärkere Sinnorientierung in der Organisationswelt im Change Management.

Wie die Veränderungsbereitschaft von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen gefördert werden kann, fragen Amelie Güntner, Paul Endrejat und Simone Kauffeld. Sie geben einen Überblick über mögliche Haltungen gegenüber Veränderungen und zeigen auf, dass Mitarbeitenden Veränderungen häufig ambivalent gegenüberstehen. Das Motivational Interviewing (MI) wird als ein hilfreicher Kommunikationsansatz vorgestellt, um diesen Ambivalenzen zu begegnen. Es wird aufgezeigt, wie MI auf individueller, Gruppen- und Organisationsebene angewendet werden und für Veränderungsprozesse genutzt werden kann.

Gruppe, Interaktion und Organisation gemeinsam zu betrachten, macht unsere Zeitschrift aus. Wie wichtig die Verbindung zwischen diesen drei Ebenen ist, betont Ed Schein in einem Interview unter der Überschrift „Relationships as a key to change“. Schein, der vor allem durch seine grundlegenden Arbeiten zu Organisationskultur und zur beraterischen Grundhaltung bekannt geworden ist, vertritt die These, dass Beziehungen in Organisationen, in Change-Prozessen und in der Beratung nach wie vor unterbewertet werden. Schein sieht in der Trennung von Forschung und Praxis sowie in der mangelnden interdisziplinären Zusammenarbeit von Soziologie, Gruppenforschung und Organisationsentwicklung die Haupthemmnisse für eine Weiterentwicklung des Change Management. Stefan Reiss, Liza Prentice, Christoph Schulte-Cloos und Eva Jonas haben die Mitarbeitenden mit ihren impliziten negativen emotionalen und motivationalen Reaktionen auf organisationalen Wandel im Fokus. Experimentell zeigen sie, dass organisationaler Wandel als Bedrohung wahrgenommen werden kann. Um diese zu bewältigen und wieder in die Handlungsfähigkeit zu kommen können Mitarbeitende durch prozedurale Gerechtigkeit und die Formulierung von Maßnahmen im Annäherungskontext unterstützt werden.

Die emotionale und motivationale Dimension von Veränderungsprozessen ist auch das Hauptthema im Interview mit Klaus Doppler, der – gemeinsam mit Christoph Lauterburg – das Konzept „Change Management“ im deutschsprachigen Raum etablierte. In seinen sehr praxisnahen Ausführungen macht Doppler deutlich, dass Emotionen in Veränderungsprozessen Raum brauchen und dass die Bereitschaft, die Perspektive zu wechseln und sich auf die Wirklichkeit der Anderen einzulassen, zu den zentralen Erfolgsfaktoren im Change Management gehören.

Sabine Raeder zeigt anhand der Beispiele von fünf Unternehmen den Nutzen und die Effektivität von verschiedenen HRM-Praktiken auf, um organisationalen Wandel zu bewältigen. Anhand der Fallstudien konnte sie aufzeigen, dass Organisationen von der Implementierung von HRM Praktiken, die den organisationalen Wandel unterstützen, profitieren können und diese Mitarbeitende leiten können.

Die Arbeiten von Claus Otto Scharmer haben in den vergangenen Jahren einen großen Einfluss auf die Change-Community gehabt. Seine Mission könnte man als Versuch einer radikalen Neubestimmung organisationaler Arbeitswelten beschreiben, die sich auf zwei Perspektiven gründet: Eine reflexive Modernisierung des Kapitalismus auf der einen und ein achtsamkeitsbasiertes Denken von der Zukunft aus („Presencing“) auf der anderen Seite. Im GIO-Interview beschreibt Scharmer seine Vision eines Wirtschaftens auf einem höheren Bewusstheits-Level und den hohen Stellenwert von Lerngemeinschaften auf dem Weg zur Verwirklichung dieser Vision.

Arnulf Sebastian Schüffler, Christof Thim, Jennifer Haase, Norbert Gronau und Annette Kluge zeigen auf, wie willentliches Vergessen die Anpassung an notwendige Veränderungen für Individuen, Gruppen und Organisationen verbessert und wie willentliches Vergessen bewusst und gezielt gestaltet werden kann. Damit Verhalten in Folge einer notwendigen Veränderung angepasst wird, reicht es nicht aus, dass Menschen wissen was zu tun ist, willens und in der Lage sind ihr Verhalten zu verändern. Eine Veränderung gelingt nur dann, wenn nur noch das neue Verhalten zur Anwendung kommt und nicht mehr das Alte. Dafür muss das alte Verhalten vergessen werden. Der Beitrag stellt die förderliche Wirkung von Hinweisreizen auf willentliches Vergessen dar, die im Rahmen einer experimentellen Studie unter Beweis gestellt werden. Es werden praktische Implikationen abgeleitet, wie für Individuen, Gruppen und Organisationen willentliches Vergessen gestaltet werden kann.

In einem abschließenden Interview spricht sich Rudolf Wimmer für ein Organisationsverständnis aus, das den Komplexitätsverhältnissen sowohl im System-Umwelt-Verhältnis als auch in Organisationen selbst gerecht wird. Wimmer grenzt sich damit von Vereinfachungstendenzen ab, die sowohl in den aktuellen Managementdiskursen als auch in der Tradition der Organisationsentwicklung nach wie vor zu finden sind. Dabei wird der Zusammenhang zwischen sich wandelnden Umweltanforderungen, Organisationskonzepten, Führung und Praxis des Change Managements deutlich.

Der Beitrag in der Rubrik „Aktuelles“ beleuchtet die Frage nach zeitgemäßen organisationstheoretischen Konzepten aus einer anderen Perspektive. In dieser Rubrik stellen wir vieldiskutierte Themen der aktuellen Diskurse rund um Organisation, Change Management und Führung vor. In seinem Artikel diskutiert Christian Schmidt die Chancen der Netzwerktheorien für ein Organisationsverständnis, das dem Wandel organisationaler Strukturprinzipien in einer Welt fluider werdender Organisationsgrenzen gerecht wird.

Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern eine erkenntnisreiche Lektüre!

Prof. Dr. Simone Kauffeld

PD Dr. Falko von Ameln