1 Von der Gruppe zur Organisation: Anschlussfähige Interventionen

Die vier Beiträge im Thementeil dieses Hefts widmen sich der Frage wie Individuen und Gruppen gezielt Organisations-Wissen zu vermitteln im Stande sind und wie sie auf Organisations-Prozesse strukturierend Einfluss nehmen können. Unwillkürlich fühlt man sich bei diesem Thema an die These der 68’er Studenten-Bewegung vom ‚Langen Marsch durch die Institutionen‘ erinnert. Dieser Prozess hat mittlerweile stattgefunden und in Universität, Schule, Gesundheitswesen wie auch in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft weitreichende Wirkungen entfaltet. Er belegt die Gültigkeit einer These, die damals in manchen Gruppen geradezu als verpönt galt: dass nämlich nicht nur die Gesellschaft Persönlichkeit und Interaktion prägt, sondern dass auch die Person, die Arbeitsgruppe, das Team und die politische Zelle im Stande sind, in die Gesellschaft hineinzuwirken.

Gertrud Wolfs Beitrag (Zur Fundierung einer sozialen Lerntheorie. Aspekte der Sozialität in der Entwicklungspsychologie Alfred Lorenzers diskutiert an aktuellen Befunden der Neurobiologie) nimmt eine Grundlegung des Konzepts ‚Soziales Lernen‘ vor. Sie stellt in Ergänzung zu den klassischen Lerntheorien dar, dass Sozialität für Lernprozesse als konstituierend angesehen werden muss. Nur in dem Maß in dem wir die andere Person über Ähnlichkeits- und Differenzen-Abgleich, Identifikation und Bewusstmachung als Teil unseres eigenen Lernprozesses begreifen, können wir sie uns selektiv als Teil unserer eigenen sozialen Identität aneignen.

Helga Weule, Wolfgang J. Obereder, Andrea Handsteiner und Peter Eberl (Das „flexible Tandemsetting“ bei Gruppendynamik-Trainings) stellen eine Trainingsgruppen-Intervention vor, die diesen Gedanken aufgreift und in Seminaren konkretisiert. Für eine Seminarsituation, die eine Design- Improvisation notwendig macht, entwickeln die Autorinnen und Autoren das sog. „flexible Tandemsetting“. Um bei einer niedrigen Teilnehmerzahl doch, wie im Ausschreibungstext zugesagt, Organisationsprozesse sichtbar machen zu können, konstruieren und installieren sie innerhalb des Systems eine Sonderfunktion von Beobachtung und Feedback aus der Außenperspektive, die im Wechsel von je zwei Gruppenmitgliedern übernommen wird. Auf diese Weise entsteht ein Innen und ein Außen. Die Gruppe erlebt im Innenkreis ihren Gruppenprozess; die Organisation ist in den Personen der Beobachter und Feedback-Geber repräsentiert. Diese Differenzierung gelingt paradoxerweise, obwohl alle Beteiligten an allen Sitzungen im gemeinsamen Raum teilnehmen.

Paul Reinbacher (Zeit-Management ist keine Privatsache! Der Umgang mit Zeit ist (auch) eine Frage der Kultur in Organisationen) untersucht Funktion und Dysfunktion der Zeit-Management-Praxis. Gegen eine Qualifikation von Mitarbeitern auf diesem Gebiet scheint zunächst nichts zu sprechen. Fehlende Ordnung und Systematik bei der Arbeit, Ablenkungsfallen, Zeitfresser, fehlendes Wissens-Management, mangelhafte Arbeitsstruktur, Terminverzögerungen in der Netzplantechnik und Mängel in der Produktqualität sind im Arbeitsleben allgegenwärtige Erfahrungen. Alles, was in solchen Zeiten Abhilfe verspricht, gilt als begrüßenswert und förderungswürdig. Die Unterscheidung von dringend und wichtig bei der Setzung von Prioritäten hat schon manchen Arbeitsvorgang beschleunigt. Die sog. 80:20-Regel entfaltet oft eine segensreiche Wirkung. Wenn wir 80% unserer Konzentration auf die wirklich wichtigen Aufgaben richten, dann können wir die weiteren Erledigungen mit geringem Aufwand und in kurzer Zeit mit nachrangiger Priorität erledigen. – Reinbacher räumt alle diese Vorzüge des Zeit-Managements ein und nennt zugleich einige Bedenken. Termine und Fristen werden oft willkürlich festgesetzt. Eine zeitlich koordinierte Ablieferung von Teilaufgaben ist faktisch oft nicht leistbar. Diese Realisierbarkeit wird aber kaum geprüft sondern nur stillschweigend als Sollgröße postuliert. Individuelle Kompetenzen, persönliche Vorteile und Gewohnheiten können der Zügigkeit und Pünktlichkeit entgegenstehen. Mit Risiken und Nebenwirkungen ist – wie bei Medikamenten – zu rechnen. Reinbacher fordert dazu auf, Zeit und den Umgang mit Zeit als Teil der Organisationskultur zu begreifen, im Diskurs zu reflektieren und in Arbeitsprozessen realistisch zu gestalten.

Alex Willener (Externe Beratung in der Gemeinde-, Stadt- und Regionalentwicklung: Lernen aus der Organisationsentwicklung) berichtet von seiner Tätigkeit im Gemeinde-, Stadt- und Regionalentwicklung in der Schweiz. Es geht im konkreten Fall darum, die Entwicklung eines Stadtteils voranzutreiben, in dem eher ärmere Teile der Bevölkerung leben. Die Beratergruppe nimmt dabei eine vermittelnde Position und Funktion zwischen Stadtverwaltung und Bewohnern ein, die dem Projekt mit zum Teil durchaus sehr unterschiedlichen Gefühlen, Vorstellungen, Hoffnungen, Erwartungen und Plänen gegenüberstehen. Es zeigt sich, dass in diesem Fall eine doppelte Qualifikation des Beraterteams gefordert ist:

  1. (1)

    Prozessberatung während der Kommunikationsprozesse

  2. (2)

    Fachberatung, indem das Beraterteam sich selbst in die Themen einarbeitet und ein Expertentum entwickelt, das es befähigt zu zahlreichen Fragen eigenständig Stellung zu beziehen.

Gerade diese doppelte Qualifikation, die eine im Grundsatz neutrale Position zwischen den Parteien und Fronten nicht ausschließt, trägt wesentlich dazu bei, dass es gelingt, zu beiden Seiten ein vertrauensvolles Verhältnis zu entwickeln und zu bewahren.

Jörg Fengler

Köln, Deutschland

E-Mail: joerg.fengler@uni-koeln.de