1 Einleitung: Blinde Flecken der Plattformforschung

Der Plattformbegriff hat sich seit Mitte der 2010er-Jahre auch in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zu einer jener Metakategorien entwickelt, die in ihrer Unbestimmtheit zur Beschreibung und Analyse unterschiedlichster gesellschaftlicher, sozialer, kultureller, ökonomischer oder (inter-)organisationaler Prozesse herangezogen werden (können).

Diagnostiziert werden etwa ein Trend zu einer Plattformisierung verschiedener sozialer Handlungsfelder (z. B. Casilli und Posada 2019; Nieborg und Poell 2018), eine aufkommende Plattformgesellschaft, die vor allem durch das Internet (Helmond 2015) und die digitalen Plattformen der führenden Tech-Konzerne geprägt sei (van Dijck et al. 2018; Nieborg et al. 2022), oder ein Plattform-Kapitalismus (Srnicek 2017; Staab 2019) bzw. eine Plattformökonomie (Kenney et al. 2019; Parker et al. 2016), die in großem Stil Wertschöpfungsprozesse, Wirtschaftsstrukturen und Innovationsaktivitäten transformiere. Digitale Plattformen selbst werden je nach Beobachtungsfokus wahlweise als softwarebasierte Infrastrukturen (De Reuver et al. 2018), als mehrseitige ökonomische Märkte (Evans und Schmalensee 2016), als weitläufige Ökosysteme mit zahllosen aufeinander bezogenen Akteuren und eigenen Governance-Strukturen (Hein et al. 2020; Kretschmer et al. 2020) oder als durch die plattformbetreibenden Unternehmen aufgespannte und kuratierte soziale Handlungsräume (Dolata 2019b, 2022; Dolata und Schrape 2023) begriffen. Plattformunternehmen schließlich – und bei so gut wie allen relevanten digitalen Plattformen handelt es sich um privatwirtschaftlich betriebene kommerzielle Angebote – sind von prominenter Seite in den Rang eines neuen, das digitale Zeitalter prägenden Unternehmenstyps gehoben und wahlweise als „dominant organizational form of the digital age“ (Gawer 2022; auch bereits Davis 2016) oder als „21st century ideal type of the firm“ (Rahman und Thelen 2019, S. 198) bezeichnet worden.

Derartige Charakterisierungen und die zum Teil weitreichenden Schlussfolgerungen, die daraus gezogen werden, speisen sich im Wesentlichen aus Untersuchungen zum konsum- und kommunikationsorientierten Internet, das heute in der Tat von zahllosen kommerziell betriebenen Plattformen sehr unterschiedlicher Art geprägt wird: von Such‑, Networking‑, Messaging‑, Medien‑, Handels‑, Vermittlungs‑, Crowdsourcing- oder Crowdfunding-Plattformen, deren kleinster gemeinsamer Nenner ist, dass sie sich als digitale, datenbasierte und algorithmisch strukturierende soziotechnische Infrastrukturen und Handlungsflächen charakterisieren lassen, über die in großem Stil Informationen ausgetauscht, Kommunikation strukturiert, Arbeit und Märkte organisiert, ein breites Spektrum an Dienstleistungen angeboten sowie digitale und nichtdigitale Produkte vertrieben werden (Dolata 2019a). Die typischen soziotechnischen Architekturen, Koordinationsformen, Regulierungs- und Governancemuster, die diese Plattformen kennzeichnen, sind soziologisch mittlerweile sehr gut untersucht – sowohl empirisch als auch theoretisch-konzeptionell (stellvertretend dazu die Aufsätze in Dolata und Schrape 2022).

Demgegenüber sind die Rolle und Bedeutung, die industrielle Plattformen, präziser: plattformartige Organisations- und Koordinationsformen im verarbeitenden Gewerbe spielen (könnten), sozialwissenschaftlich bislang kaum erforscht – mit der Ausnahme einer überschaubaren Zahl felderkundender Arbeiten, an die angeknüpft werden kann (z. B. Pauli et al. 2021; Jovanovic et al. 2022; Butollo 2023; Butollo und Schneidemesser 2021a, 2022; Obermaier und Mosch 2019; Lerch et al. 2019; Ziegler 2020a; Hoffmann et al. 2021). Dieser eklatante Bias ist zu einem signifikanten Problem der Plattformdiskussionen des vergangenen Jahrzehnts geworden. So legitim und wichtig es ist, die im Alltagsleben allgegenwärtigen und auch ökonomisch relevanten Plattformen des konsum- und kommunikationsbasierten Internets in den Fokus der Forschung zu nehmen, so problematisch wird es, wenn daraus verallgemeinernde Schlüsse gezogen werden, die weit über diesen Beobachtungsfokus hinausreichen.

Wenn Plattformen tatsächlich der prägende Unternehmenstyp unserer Zeit oder die namensgebende Signatur der heutigen Ökonomie sein sollen – was die oben angeführten Zitate nahelegen –, dann muss zwangsläufig die Frage nach den typischen Eigenheiten und der empirischen Relevanz plattformbasierter Organisationsmuster in der Wirtschaft insgesamt – also nicht nur in der Internetökonomie, sondern auch in gesamtwirtschaftlich bedeutenden Industriesektoren – aufgeworfen und untersucht werden. Das ist, von den erwähnten Ausnahmen abgesehen, bislang kaum geschehen.

Und wenn „die Plattform“ die dominante oder auch nur eine wesentliche neue Organisationsform des digitalen Zeitalters darstellen und – das ist ja nicht unwichtig – auch als trennscharfe soziologische Kategorie Sinn ergeben soll, dann muss ebenso zwangsläufig die Frage diskutiert werden, ob bzw. inwiefern es sich bei Plattformen um eine Organisationsform sui generis handelt, also um eine spezifische Ausprägung ökonomischer Aktivitäten und sozialen Austauschs, die sich zwischen den bekannten Koordinationsformen Hierarchie, Markt und Netzwerk nachvollziehbar einordnen lässt. Dazu müssten Plattformen auf einem distinkten Koordinationsmodus beruhen, der sie insbesondere von kooperativ ausgelegten und organisierten Netzwerken, die es in der Industrie seit langem gibt, unterscheidet. An dieser Wegstrecke finden sich ein paar interessante Fundstücke, mit denen gearbeitet werden kann (etwa bei Kretschmer et al. 2020), aber noch kaum systematisch aufbereitetes Material.

Die folgenden, eher erkundenden und Fährten auslegenden als forschungsschließenden Überlegungen möchten zur Verkleinerung dieser beiden blinden Flecken der Plattformforschung beitragen, indem sie auf der Basis der vorliegenden Literatur und eigener empirischer Recherchen, erstens, eine Kartierung und Einordnung dieses noch wenig erschlossenen Feldes vornehmen, typische Strukturmuster und Varianten von Industrieplattformen herausarbeiten (Abschnitt 3) und deren Eigenheiten mit denjenigen des konsum- und kommunikationsbasierten Internets vergleichen (Abschnitt 4); sowie, zweitens, die theoretisch-konzeptionelle Frage diskutieren, ob bzw. inwiefern sich mit Industrieplattformen eine eigenständige Organisations- und Koordinationsform von Markt‑, Produktions- und Innovationsprozessen andeutet, die sich von industriellen Netzwerken substanziell abhebt (Abschnitt 5). Ich beginne mit einer kurzen Übersicht zum Stand der Forschung auf diesem Gebiet (Abschnitt 2).

2 Industrieplattformen: Forschung in einem vernachlässigten Forschungsgebiet

Im Fokus der sozialwissenschaftlichen Plattformforschung standen bislang sehr eindeutig die großen und kleineren digitalen Plattformen des konsum- und kommunikationsorientierten Internets mitsamt ihren kommerziellen Betreibern. Das sind vor allem die führenden US-amerikanischen Technologiekonzerne Alphabet (Google), Amazon, Apple und Meta (Facebook) mit ihren weitläufig angelegten Ökosystemen sowie die zahllosen spezialisierteren Plattformunternehmen wie Uber, Airbnb, Netflix, Spotify, X (Twitter) und all die volatilen Liefer- und Servicedienste (vgl. aus der Fülle der Literatur die Übersichten bei Ametowobla und Kirchner 2023; Dolata und Schrape 2022; VanDijck 2013; VanDijck et al. 2018). Demgegenüber steckt die Forschung, die sich explizit mit Industrieplattformen beschäftigt, noch in den Anfängen.

Die wenigen empirischen Untersuchungen zu Industrieplattformen, die bislang vorliegen, zeigen, dass bei aller Entwicklungsdynamik „das verarbeitende Gewerbe noch weit entfernt von einer Plattformökonomie“ ist und selbst die seit längerem bestehenden und mittlerweile konsolidierten Business-to-Business(B2B)-Handelsplattformen im Unternehmensbereich „(noch) nicht die gleichen ökonomischen Effekte entfalten, wie sie von der Plattformökonomie aus dem Konsumentenbereich bekannt sind“ (Lerch et al. 2019, S. 5, 25; ähnlich: Hoffmann et al. 2021; Fritsch und Lichtblau 2021; EFI 2022, S. 80 ff.).

Die Forschung, die sich explizit mit den Eigenheiten, Varianten, Akteurkonstellationen sowie der Regulierung von Plattformen in der Industrie befasst, ist bislang stark wirtschaftswissenschaftlich geprägt und zeichnet sich durch ein entsprechend zugeschnittenes Themenspektrum aus. Neben soliden empirischen Arbeiten wie den soeben erwähnten, die einen ersten Eindruck über die Reichweiten und Perspektiven plattformbasierter Organisationsformen in der verarbeitenden Industrie geben, gibt es verschiedene Typisierungs- und Klassifikationsversuche (z. B. Obermaier und Mosch 2019; Gerrikagoitia et al. 2019; Haucap et al. 2020; Hoffmann et al. 2021; Butollo 2023; Butollo und Schneidemesser 8,9,a, b; Sydow und Auschra 2022). Darüber hinaus finden sich Überlegungen zur spezifischen Struktur und Governance von Plattformen bzw. Ökosystemen, die allerdings in der Regel nicht spezifisch auf Industrieplattformen zugeschnitten sind (z. B. Kretschmer et al. 2020; Jovanovic et al. 2022), zum Verhältnis von Industrieunternehmen als etablierten Akteuren des jeweiligen Feldes, Start-ups als Newcomern und Plattformunternehmen als von außen kommenden Herausforderern (z. B. Pauli et al. 2021) sowie zu den im spezifischen Kontext industrieller Plattformen wichtigen Fragen nach Vertrauen und (Daten‑)Sicherheit, nach dem Zusammenspiel von Kooperation und Konkurrenz oder nach dem Verhältnis von Offenheit und Kontrolle in der Plattformorganisation und -regulierung (z. B. Hein et al. 2020; Parker et al. 2017). Viele dieser Fragen sind übrigens bereits in den Diskussionen der 1980er- und 1990er-Jahre um die Organisierung und Koordination industrieller Kooperationsnetzwerke aufgeworfen worden (dazu z. B. der Überblick bei Sydow 2001; auch Ortmann und Sydow 2003; Dolata 2001), ohne dass sie in den neueren Arbeiten zu Plattformen systematisch aufgegriffen werden.

Für die organisations- und innovationssoziologisch orientierte Plattformforschung sind vor allem Arbeiten aus dem Bereich der strategischen Managementforschung anregend. Sie argumentieren akteurzentriert und institutionalistisch und präsentieren zum Teil differenzierte Überlegungen zu den komplexen sozioökonomischen Architekturen, zu Akteurkonstellationen und Machtrelationen sowie zu Koordinations‑, Kontroll- und Governancemustern von „platform ecosystems“. Sie haben bei alldem einen fokussierten Blick auf die verwertungsorientierten Grundlagen und Mechanismen der ja in der Regel privatwirtschaftlich betriebenen Plattformen, der der soziologischen Plattformforschung oft fehlt.

Plattformen werden dort längst nicht mehr bloß als zwei- oder mehrseitige Märkte begriffen (Evans und Schmalensee 2016), sondern als Meta-Organisationen oder Ökosysteme konzeptualisiert, die mit dem Plattformeigentümer als organisierender und regelsetzender Instanz über einen stabilen Kern verfügen. Um diesen herum gruppiert sich ein ausgreifendes Geflecht aus zahllosen Wirtschaftsakteuren, die entlang der im Rahmen des Ökosystems aufgespannten Plattformregeln vergleichsweise unabhängig ökonomisch handeln und sich aufeinander beziehen können (vgl. aus der Fülle der mittlerweile existierenden Literatur die Übersichtsartikel von Gawer und Cusumano 2013; Kretschmer et al. 2020; Hein et al. 2020; McIntyre et al. 2021; Kapoor et al. 2021). Das ist anschlussfähig an soziologische Arbeiten zur soziotechnischen Architektur, Feldstruktur und Regulierung von Plattformen (etwa bei Ametowobla und Kirchner 2023; Dolata und Schrape 2023; Seibt 2024).

Gleichwohl weisen diese wirtschaftswissenschaftlichen Arbeiten zu Plattformen und Ökosystemen einige keineswegs irrelevante Leerstellen und Unschärfen auf. Erstens gibt es in der wirtschaftswissenschaftlichen Plattform- und Ökosystemforschung zwar eine Reihe von Typisierungsangeboten. Allerdings finden sich so gut wie keine systematischen Unterscheidungen zwischen kommerziellen Plattformen im konsum- und kommunikationsorientierten Internet und Plattformen in der (verarbeitenden) Industrie (exemplarisch für dieses Manko: Cusumano 2022; Gawer 2021, Fig. 2; McIntyre und Srinivisian 2017, S. 141), obgleich beide Bereiche sich schon auf den ersten Blick substanziell voneinander unterscheiden. Industrieplattformen haben, wie ich im Folgenden ausführen werde, eine rein kommerzielle Ausrichtung, werden vornehmlich von organisierten Wirtschaftsakteuren genutzt, zeichnen sich durch starke branchenspezifische Besonderheiten und einen insgesamt (noch) geringen Konzentrationsgrad aus und befinden sich in einem frühen Entwicklungsstadium. Demgegenüber sind Plattformen mittlerweile die dominierende Organisationsform des konsum- und kommunikationsorientierten Internets, spannen dort zum Teil ausgreifende soziale Handlungsflächen auf, in denen sich neben Organisationen zahllose individuelle Nutzer oder Kollektive mit vornehmlich nicht-ökonomischen Interessen und Aktivitätsprofilen bewegen, und sind geprägt von starken Netzwerkeffekten, Konzentrationsprozessen und Monopolstellungen. Wenn Industrieplattformen sozialwissenschaftlich untersucht werden sollen, dann müssen diese Differenzen systematisch in Rechnung gestellt werden.

Zweitens werden die spezifischen Koordinationsformen von Plattform-Ökosystemen dort, wo sie überhaupt thematisiert werden, in der Regel zwischen Markt und Hierarchie angesiedelt (z. B. bei Kretschmer et al. 2020, S. 407) – so, als wenn es kooperationsbasierte Netzwerke, die auf Koordination durch Aushandlung und Abstimmung zwischen mehr oder weniger heterogenen Akteuren basieren, als dritte idealtypische Grundform sozialer Handlungskoordination gar nicht geben würde. Das ist bemerkenswert, da es eine langjährige und intensive Forschung zu den Ausprägungen und Varianten organisierter Kooperationsbeziehungen in der Industrie gibt, an die gewinnbringend angeknüpft werden kann (aus dem klassischen Portfolio z. B. Freeman 1991; Sydow 1992; Axelsson und Easton 1992; Nohria und Eccles 1992; Grabher 1993).

Und drittens mangelt es in der gesamten Forschung zu Industrieplattformen an rekonstruierenden Fallstudien oder Fallvergleichen, die mit einiger Substanz und Haltbarkeit ausgestattet wären – wie sie aus organisationssoziologischer Perspektive etwa Ziegler (2020a, S. 192 ff.) zur digitalen und plattformorientierten Restrukturierung eines Industriekonzerns vorgelegt hat. Über die Entstehung, Institutionalisierung und Funktionsweise, aber auch über die Problemzonen und das Scheitern sowohl konkreter industrieller Plattformen bzw. Plattformprojekte als auch plattformbezogener Reorganisationsstrategien bzw. -prozesse in und zwischen Unternehmen wissen wir, anders als über die Plattformen und Plattformunternehmen des Internets – man denke nur etwa an die zahllosen Studien, die es allein zu Uber gibt –, bislang sehr wenig.

3 Felderkundung: Strukturmuster und Varianten von Industrieplattformen

Während sich Plattformen im konsum- und kommunikationsbasierten Internet seit den 2010er-Jahren zu dem zentralen Organisations- und Koordinationsmodus ökonomischen Austauschs und sozialen Handelns entwickelt haben, lässt sich Vergleichbares für die Kernbereiche der verarbeitenden Industrie bislang nicht sagen. Viele Entwicklungen befinden sich hier noch in einem frühen Stadium.

Das ist die zum Teil noch sehr ungefestigte Ausgangslage, von der aus ich im Folgenden wesentliche Strukturmuster und Varianten digitaler Plattformen in der Industrie in einem typisierenden Überblick vorstelle und Fährten für die weitere Forschung zu diesem Thema auslege (Abbildung 1). Dabei interessieren mich insbesondere die spezifischen soziotechnischen Strukturmerkmale und institutionellen Einfassungen sowie die Akteurkonstellationen, Interaktionsbeziehungen und Machtstrukturen, die sich in den verschiedenen Andeutungen industrieller Produktions‑, Distributions- oder Innovationsplattformen herausschälen. Im Hintergrund läuft mit: zum einen der vergleichende Blick auf Internetplattformen und zum anderen die Frage, worin sich Industrieplattformen von industriellen Kooperationsnetzwerken als einer eingeführten Form der Zusammenarbeit ökonomischer Akteure unterscheiden.

Abb. 1
figure 1

Typen industrieller Plattformen (Quelle: Eigene Darstellung)

3.1 Distribution: Transaktionsplattformen

Seit längerem etabliert sind webbasierte digitale Transaktionsplattformen für den Handel zwischen Unternehmen. Sie waren bereits Anfang der 2000er-Jahre ein wichtiges Thema der damals aufkommenden Forschung zum elektronischen Handel (E‑Commerce; Zerdick et al. 2001, S. 217 ff.) und wurden seinerzeit als B2B-Marktplätze etwa für den Maschinenbau, die Chemie- und die Autoindustrie empirisch untersucht (Stobbe und Zampieri 2001; Perlitz 2002; Auer und Heymann 2003). Heute sind Transaktionsplattformen der am weitesten verbreitete und am stärksten konsolidierte Plattformtyp in der Industrie.

Die Strukturen und Regulierungsmuster industrieller Transaktionsplattformen sind vergleichsweise übersichtlich. Im Kern handelt es sich um typische und seit langem bekannte mehrseitige Märkte, auf denen die Plattformbetreiber als kuratierende „Matchmaker“ fungieren, die dort die Regeln setzen und Händler mit Kunden zusammenbringen (Evans und Schmalensee 2005). Gehandelt werden verschiedenste industrielle Güter und Dienstleistungen. Das geschieht in seiner Grundform entweder über Onlineshops, in denen die Plattformbetreiber kommissionierte Ware von Anbietern direkt aus ihren Lagern an ihre Kunden verkaufen, und/oder über offene Marktplätze, auf denen die Anbieter ihre Waren direkt an nachfragende Kunden verkaufen und der Plattformbetreiber vornehmlich als (technische) Infrastrukturen bereitstellender und (soziale) Regeln des Austauschs setzender Intermediär in Erscheinung tritt. Das vorherrschende Verwertungsmodell der plattformbetreibenden Unternehmen ist das der Provision, die sie für getätigte Transaktionen erheben (Falck und Koenen 2020).

B2B-Transaktionsplattformen ähneln damit im Grundprinzip ihren wesentlich bekannteren, allerdings später gestarteten Pendants aus dem konsumbasierten Internet (z. B. Amazon, Otto oder Zalando) und konstituieren handlungsermöglichende Marktflächen: kuratierte, regelbasierte soziotechnische Rahmen, innerhalb derer die Teilnehmenden ihren Geschäften nachgehen können. Die Marktregeln und deren Einhaltung werden vergleichsweise hierarchisch gesetzt und kontrolliert, die Drittanbieter in der Regel nach eingehender Prüfung kooptiert.

Gleichwohl gibt es eine Reihe erwähnenswerter Unterschiede zu den konsumbasierten Einzelhandelsplattformen im Internet. Dazu zählt nicht nur, dass im Industriebereich individuelle Konsumenten keine Rolle spielen und Transaktionen ausschließlich zwischen korporativen Akteuren (Organisationen) abgewickelt werden. Hinzu kommt, dass das Feld industrieller Transaktionsplattformen erheblich kleinteiliger und fragmentierter strukturiert ist. Derart gravierende Monopolstellungen, wie sie für das konsumbasierte Internet charakteristisch sind, finden sich hier nicht. Zwar gibt es auch in der Industrie einige bereichsübergreifende Handelsplattformen mit einem breit diversifizierten Angebot an vornehmlich standardisierten Produkten und Dienstleistungen (wie Mercateo oder Amazon Business). Typischer sind allerdings branchen- oder bereichsspezifische Plattformen (wie XOM Materials, Metals Hub oder Circulania), die teils von Industriekonzernen oder ihren Tochterfirmen betrieben werden, teils aber auch durch Start-ups gegründet worden sind. Der Konzentrationsgrad ist im Vergleich zum konsumbasierten Internet oft niedriger, die Konkurrenz größer und die (regelsetzende) Macht einzelner Plattformen weniger ausgeprägt – auch, weil den Plattformbetreibern hier organisierte Wirtschaftsakteure als Kunden gegenüberstehen, die mit einiger Einkaufs- und Verhandlungsmacht ausgestattet sind. Bis auf Amazon (mit Amazon Business) spielen Internetkonzerne im B2B-Handel bislang keine nennenswerte Rolle (Falck und Koenen 2020, S. 22 ff.; BDI 2021; Lerch et al. 2019, S. 18 ff.).

3.2 IT-Infrastruktur: Cloud-Computing-Plattformen

Das ist bei Infrastrukturplattformen völlig anders. Dazu zählen vor allem die Cloud-Angebote führender Technologiekonzerne, die ihren Großkunden aus der Wirtschaft neben anmietbarer Speicherkapazität und Rechenleistung mittlerweile auch zahlreiche individuell zugeschnittene digitale Services sowie Analyse- und Entwicklungstools offerieren, mit denen diese arbeiten können. Einrichtung, Betrieb und Ausbau allein der materialen IT-Infrastrukturen derartiger Plattformen sind ausgesprochen investitions- und kapitalintensiv. Entsprechend überschaubar ist hier die Zahl der großen Plattformbetreiber: Amazon Web Services (AWS), Microsoft Azure und Google Cloud sind in der westlichen Welt die zentralen Spieler auf diesem bereits etablierten und international hochkonzentrierten Markt. Huawei und Alibaba sind die wesentlichen Akteure in China (Gartner 2023).

Zunächst waren Cloud-Plattformen für die sie nutzenden Unternehmen vor allem eine Möglichkeit des Outsourcings interner IT-Infrastrukturen und Daten. Sie konnten damit, statt eigene Speicher- und Datenverwaltungskapazitäten aufwändig auf- und auszubauen, ihre digitalen Ressourcen in großem Stil in externe Serverparks auslagern (Infrastructure-as-a-Service: IaaS). Mittlerweile bieten die Plattformbetreiber um diese basale Dienstleistung herum allerdings auch ein breites Spektrum spezialisierter Services an – z. B. Datenbank‑, Management‑, Analyse- oder Entwicklungstools –, die ihre zahlenden Kunden mieten und mit denen sie auf den Cloud-Plattformen eigenständig weiterarbeiten sowie auf das eigene Unternehmen zugeschnittene Anwendungen entwickeln oder entwickeln lassen können. Das reicht bis hin zu größeren technischen Integrationsvorhaben wie der digitalen Vernetzung von Produktionsprozessen, Maschinen und Anlagen (Software-as-a-Service: SaaS). Die großen Cloud-Provider haben sich damit zu Komplettanbietern grundlegender Infrastrukturdienstleistungen und – darauf aufbauend – spezialisierterer IT-Services entwickelt (Platform-as-a-Service: PaaS) (Obermaier und Mosch 2019, S. 405 ff.), die längst nicht mehr vornehmlich von Internetunternehmen wie Netflix, Spotify, Uber oder Airbnb genutzt werden, sondern ebenso von zahlreichen großen Industrieunternehmen wie Volkswagen oder Siemens (Ziegler 2020b, S. 71 ff.).

3.3 Produktion: Industrial-Internet-of-Things-Plattformen

Die Unternehmen, die Plattformen im Bereich des Industrial Internet of Things (IIoT) aufbauen, versuchen im Grunde das anzubieten, was auch die großen Cloud-Plattformen mittlerweile im Angebot haben: Sie wollen mit ihren IT-, Software- und Beratungsangeboten Strategien der webbasierten digitalen Vernetzung, Steuerung, Kontrolle und Wartung von industriellen Produktionsprozessen, Maschinen und Anlagen unterstützen, wie sie seit längerem aus den Transformationsdebatten rund um das Industrie‑4.0‑Narrativ bekannt sind (Pfeiffer 2017; Butollo und Schneidemesser 2021b, S. 541 ff.). Ähnlich wie auf den Cloud-Plattformen sollen die Aggregation, Aufbereitung und Integration von Maschinendaten bzw. das Monitoring, die Vernetzung und die Steuerung von Produktionsprozessen perspektivisch über derartige Plattformen erfolgen, die im Grunde als Betriebssysteme für die dort angebotene und eingesetzte Software ausgelegt sind (Krause et al. 2017, S. 12 ff.).

Zu den plattformbetreibenden Unternehmen gehören hier zum einen etablierte IT-Konzerne wie Oracle sowie Industrieunternehmen wie Siemens (mit Xcelerator), Bosch (mit IoT Suite) oder Schaeffler, die unternehmensspezifische, branchenweite oder branchenübergreifende IIoT-Angebote entwickeln (BDI 2021, S. 10 ff.). Zum anderen sind die bereits vorgestellten großen Cloud-Anbieter AWS und Microsoft Azure dazuzuzählen, die mittlerweile ein ähnliches Portfolio an IIoT-Softwarelösungen, IT-Support und Beratung vorhalten und ebenfalls mit einer Reihe von Industrieunternehmen wie z. B. VW bei der digitalen Vernetzung der Fertigung oder der Logistik direkt zusammenarbeiten (Abbildung 2).

Abb. 2
figure 2

Infrastruktur- und produktionsorientierte Plattformen in der Industrie (Quelle: Eigene Darstellung)

IIoT-Plattformen (und auch Infrastrukturplattformen) sind einesteils technikzentrierte Plattformen, die auf digitale Vernetzung von Prozessen und Produkten in größerem Stil zielen – sowohl innerhalb als auch zwischen Unternehmen. In sie sind andernteils aber natürlich auch technisch vermittelte Sozialstrukturen und -beziehungen eingefasst. Auf den ersten Blick werden derartige Plattformen durch bilaterale Anbieter-Kunden-Beziehungen geprägt: Die Plattformbetreiber bieten ein breites Spektrum an IT-Dienstleistungen, Speicherplatz und Rechenleistung an, die von industriellen Kunden angemietet werden. Das ist in dieser basalen Form zunächst ein marktvermittelter Austausch zwischen zwei Klassen von organisierten Wirtschaftsakteuren.

Diese grundlegende Akteurkonstellation muss allerdings in zumindest zweierlei Hinsicht erweitert und aufgefächert werden. Zum einen in die Richtung vertraglich abgesicherter Beziehungen zwischen Plattformbetreibern, Kunden und weiteren Akteuren, die auf der Plattform in größeren Projekten miteinander kooperieren. Ein Beispiel dafür ist die intensive Zusammenarbeit des Volkswagen-Konzerns mit AWS seit 2019. Die Industrial Cloud von VW, die perspektivisch nicht nur die Daten aller Maschinen, Anlagen und Systeme in Fertigung und Logistik zusammenführen, sondern als offene Plattform zudem über die Konzerngrenzen hinausgehen soll, läuft auf AWS und nutzt auch viele Services, die dort angeboten werden (Boes und Ziegler 2021, S. 67 ff.). Das Interessante ist nicht nur in diesem Fall, dass VW nicht einfach das mietet, was die Plattform an Services hergibt, sondern zusammen mit AWS und weiteren Kooperationspartnern wie Siemens an der Entwicklung spezifisch zugeschnittener Software arbeitet.Footnote 1 Siemens kooperiert über seine Sparte Siemens Digital Industries Software in ähnlicher Weise mit AWS bei der Entwicklung seiner Xcelerator-Plattform.Footnote 2 Das sind organisierte Produktions- und Innovationszusammenhänge zwischen mehreren (korporativen) Akteuren, die sich im Rahmen von IIoT-Plattformen herausbilden (können).

Darüber hinaus finden sich zum anderen auch vergleichsweise offene und betreiberseitig kuratierte Marktplätze im Ökosystem einiger Plattformen, die von Drittanbietern bespielt werden. Bei AWS ist das der AWS Marketplace, der ähnlich wie der Amazon Marketplace aufgebaut ist und die Software-Angebote, die AWS selbst im Portfolio hat, um die Angebote Dritter ergänzt.Footnote 3 In das Ökosystem dieser Cloudplattform eingelagert ist damit eine Transaktionsplattform, die nach dem typischen Muster mehrseitiger Märkte funktioniert und deren Regeln vom Plattformbetreiber als Intermediär gesetzt und kontrolliert werden – in diesem Fall inklusive einer eingehenden Qualitätskontrolle der dort nicht nur vertriebenen, sondern oft auch entwickelten Drittangebote. Auch die Plattform Xcelerator von Siemens möchte perspektivisch nicht nur Software aus dem eigenen Haus anbieten, sondern ist als digitaler Marktplatz angedacht, der für externe Entwickler geöffnet werden soll.Footnote 4 Wenn entsprechende Visionen realitätswirksam werden sollten – dies ist noch längst nicht ausgemacht –, dann wären das in die Plattformen eingelagerte Marktflächen, über die sich bestenfalls die Angebote und Entwicklerleistungen einer größeren Zahl von Drittanbietern integrieren ließen.

Insgesamt befinden sich IIoT-Plattformen und die sich um sie herum bildenden Märkte allerdings erst in einem frühen Entwicklungsstadium, das von Suchprozessen, Fehlschlägen und Konsolidierungsbemühungen geprägt ist. Auch größere Unternehmen tun sich bislang schwer, in diesem technisch anspruchs- und sozial voraussetzungsvollen Bereich Fuß zu fassen. So ist Siemens mit seiner IIoT-Plattform Mindsphere im ersten Anlauf gescheitert und versucht es mit Xcelerator erneut. Google hat seine IoT-Cloud mit all den dort angebotenen Software-Lösungen und Services Mitte 2023 vollständig abgeschaltet und seinen Kunden die Migration zu anderen Anbietern empfohlen.Footnote 5 Auch IBM hat seinen Dienst Watson IoT Ende 2023 eingestellt, SAP sein SAP Internet of Things bereits Mitte 2022 beendet.Footnote 6

Dennoch arbeiten sich führende US-amerikanische Technologiekonzerne auf diesem volatilen Spielfeld sukzessive in eine zentrale Position hinein (Abbildung 2). Mit ihren gut eingeführten und sehr profitablen Cloud-Plattformen wachsen sie erkennbar über ihre angestammte Domäne, das konsum- und kommunikationsbasierte Internet, hinaus und bedienen zunehmend auch die Nachfrage nach Plattformlösungen aus Kernbereichen der Industrie. Hinzu kommt, dass auch große industrielle IIoT-Plattformbetreiber wie Siemens zur Durchführung ihres Geschäfts auf den Aufbau und Betrieb eigener Infrastrukturlösungen verzichten und stattdessen systematisch auf Speicherplatz und Rechenkapazität der Cloud-Plattformen zurückgreifen. Sowohl über ihre Infrastrukturplattformen als auch über ihre dort eingefassten Software-Services haben die führenden Cloud-Anbieter mittlerweile einen nicht unerheblichen Einfluss auf industrielle Plattformstrategien erlangt.

3.4 Forschung und Entwicklung: Innovationsplattformen

Im Vergleich zu den bisher dargestellten Varianten sind innovationsorientierte Plattformen noch einmal deutlich weniger erforscht und werden dort, wo sie überhaupt zum Thema werden, recht unscharf gefasst. So sollen auf Innovationsplattformen „Unternehmen kollaborativ in einem offenen Innovationsprozess Produkte und Dienste entwickeln können“ (EFI 2022, S. 84) und die Plattformen selbst „als Basis für Dritte für die Entwicklung von komplementären Technologien, Produkten und Dienstleistungen“ fungieren (Obermaier und Mosch 2019, S. 383).

Wie lässt sich das präzisieren? Zur Schärfung des Beobachtungsfokus ist es sinnvoll, Innovationsplattformen zunächst analytisch von Innovationsnetzwerken abzugrenzen, die als eine spezifische Form unternehmensübergreifend organisierter kollaborativer Forschung und Entwicklung (FuE) bereits seit einigen Jahrzehnten in vielen Wirtschaftssektoren etabliert sind. Plattformbasierte Arbeits- und Organisationszusammenhänge müssten sich, wenn unter diesem Etikett nicht alter Wein in neuen Schläuchen verkauft werden soll, davon substanziell unterscheiden und sich als eine spezifische Ausprägung verteilter Innovation mit distinkten Eigenheiten in den jahrzehntelangen Prozess der sukzessiven Öffnung und Ausdifferenzierung der industriellen FuE einordnen lassen (Abbildung 3).

Abb. 3
figure 3

Zuschnitt und Kontextualisierungen von Innovationsplattformen (Quelle: Eigene Darstellung)

Zu diesen Öffnungen gehören seit langem der Einkauf von externen FuE-Leistungen in Form von Auftragsforschung sowie der Erwerb von externen FuE-Ressourcen, Kompetenzen und Know-how über die Akquisition anderer Unternehmen, insbesondere von forschungsintensiven Technologiefirmen. Vor allem aber gehören dazu systematisch betriebene und vertragsbasierte FuE-Kooperationen beispielsweise zwischen mehreren Großunternehmen, zwischen Großunternehmen und Start-ups oder zwischen Unternehmen und öffentlichen Forschungseinrichtungen. Diese empirisch sehr gut dokumentierte Kooperationsorientierung in der Wirtschaft ist keineswegs ein auf Hochtechnologiesektoren beschränktes Phänomen, sondern hat sich als eine zuvor nicht gekannte Form kollaborativer, die Unternehmensgrenzen überschreitender Innovationstätigkeit in den vergangenen Jahrzehnten auch in den Kernbereichen der industriellen Produktion (wie z. B. der Automobil- oder der chemisch-pharmazeutischen Industrie) auf breiter Front etabliert (Hagedoorn 1996, 2002; Rothaermel 2001). Sie ist bereits in den 1990er-Jahren unter dem Stichwort „networks of innovators“ konzeptionell verdichtet worden (Freeman 1991; Powell und Grodal 2005; Pittaway et al. 2004) und wird seit Anfang der 2000er-Jahre auch unter dem Etikett „open innovation“ geführt (Chesbrough 2003; Chesbrough und Bogers 2014; Bogers et al. 2017; Frankort und Hagedoorn 2024).

Aus institutionalistischer Sicht lassen sich innovationsorientierte Netzwerke als interessegeleitete, zielorientierte und inhaltlich fokussierte Kooperationsbeziehungen zwischen einer klar eingrenzbaren Zahl gegenseitig bekannter korporativer Akteure fassen, in deren Rahmen auch proprietär ausgerichtete FuE-Vorhaben von einiger strategischer Relevanz für die Beteiligten durchgeführt werden. Entsprechend bedeutsam sind Vertraulichkeit und eine rechtssichere vertragliche Grundlage, die die Kollaboration in Innovationsnetzwerken auszeichnet. Aushandlung und wechselseitige Abstimmung zwischen den teilnehmenden Akteuren bilden den wesentlichen Koordinationsmodus, ergänzt um die Herausbildung von Netzwerkregeln und -managementstrukturen. In forschungsorientierten Kooperationen sind die Beziehungen der Beteiligten auf der Arbeitsebene zwar auch durch Formen informellen und vertrauensbasierten Austauschs geprägt. Gleichzeitig zeichnen sie sich in den meisten Fällen durch mehr oder minder stark ausgeprägte Machtasymmetrien zwischen den Akteuren und entsprechend unterschiedliche Einflussmöglichkeiten aus (Sydow 2001; Dolata 2001; Hirsch-Kreinsen 2002).

Innovationsorientierte Plattformen, präziser: plattformbasierte Arbeits- und Organisationsformen in industriellen Innovationszusammenhängen müssten sich davon deutlich unterscheiden, wenn die kategoriale Differenzierung Sinn ergeben soll. Als wesentliches Charakteristikum, das Innovationsplattformen von Innovationsnetzwerken abhebt, lässt sich aus meiner Sicht identifizieren, dass sie anders als Netzwerke im hier beschriebenen Sinn keine nach außen geschlossenen Kooperationsräume darstellen, sondern deutlich durchlässiger strukturierte und weitläufiger angelegte Handlungsflächen der Innovation konstituieren. Stilisiert formuliert: Die Kollaborationen sind inklusiver ausgelegt, die (vorhandenen bzw. gemeinsam erarbeiteten) Wissensbestände oft nicht-proprietärer Art und entsprechend zugänglicher, die involvierten Akteure heterogener und deren Beziehungsgeflechte offener. Auch plattformbasierte Innovationsaktivitäten finden zwar auf der Basis geteilter Regeln statt, sind aber nicht mit starken formal-rechtlichen und justiziablen Verträgen zwischen den Beteiligten unterlegt, in denen z. B. Kooperationsziele, intellektuelle Eigentums(an)rechte, Verwertungsmuster, Geheimhaltungs- sowie Vertraulichkeitsregeln detailliert festgelegt werden.

Nach plattformartigen Arbeits- und Organisationsformen mit den skizzierten Eigenheiten suchen ließe sich z. B.

  • in Prozessen der Neuordnung, Entzentralisierung und Öffnung unternehmenseigener FuE-Strukturen (für Bosch z. B. Ziegler 2020a, S. 192 ff.);

  • auf IIoT-Plattformen, sofern diese von den Plattformbetreibern für verteilte Formen der Innovationstätigkeit und Produktentwicklung durch Dritte geöffnet werden (Parker et al. 2017; Butollo und Schneidemesser 2022);

  • im Kontext von Open-Source-Plattformen, in deren Arbeits- und Projektzusammenhänge sich auch Industrieunternehmen seit geraumer Zeit aktiv einbringen (Germonprez et al. 2013; Schrape 2018).

In den Blick genommen und empirisch untersucht worden ist das alles bislang noch kaum. Was sich allerdings vor dem Hintergrund der von mir vorgenommenen Unterscheidungen zwischen Netzwerken und Plattformen sagen lässt: Die Herausforderungen etwa an Regulierung und Grenzziehung, die mit der Etablierung von offenen Innovationsprozessen auf Plattformen einhergehen, sind im Vergleich zu stärker nach außen geschlossenen Netzwerken beträchtlich. Zwei tentative Bemerkungen dazu, mit denen Fährten für die weitere Forschung ausgelegt werden sollen.

Zum einen werden, anders als in Innovationsnetzwerken, wo sich alle Beteiligten kennen und vertraglich miteinander verbandelt sind, Innovationsplattformen immer auch durch größere Zonen der Indifferenz mitgeprägt. Die dort teilnehmenden Akteure sind nicht nur sehr heterogen; sie beziehen sich auch erheblich loser gekoppelt, im Grundsatz marktförmig aufeinander und kennen sich oft nicht. Mit Blick auf die Regulierung von innovationsorientierten Plattformen heißt das: „Firms must now manage value creation that occurs externally just as carefully as they manage the value they create internally. And, this is not just outsourcing. Firms are relinquishing product specifications to third parties that they do not even know.“ (Parker et al. 2017, S. 256)

Zum anderen stellen sich überall dort, wo plattformartige Arbeits- und Organisationsformen erprobt bzw. eingeführt werden, nicht nur für die Plattformbetreiber, sondern für alle Beteiligten Fragen der Grenzziehung und Schließung neu, die es nicht nur in geschlossenen, sondern immer auch in offeneren und verteilten Innovationszusammenhängen gibt (Dahlander und Gann 2010). Das betrifft nicht nur Entscheidungen über die In- bzw. Exklusion von Akteuren. Technologie- oder Industrieunternehmen, die etwa auf Plattformen der Open-Source-Communities mitarbeiten, haben zudem ständig neu zu klären, was und wieviel sie dort an unternehmenseigenen Wissensbeständen offenlegen und auf die im Vergleich zu vertrags- und vertrauensbasierten Netzwerken erheblich ungeschütztere Spielfläche plattformbasierter Kollaboration werfen. Die Grenzziehung verläuft hier zwischen kompetitiv und strategisch relevanten FuE-Projekten und Wissensbeständen der Unternehmen, die in der Konkurrenz den Unterschied machen (können) („differentiating parts“) und als geschützte Vorhaben eher „inhouse“ oder im Rahmen vertraglich abgesicherter Kooperationsnetzwerke durchgeführt werden, und durchaus wichtigen, allerdings kompetitiv weniger bedeutsamen Innovationsbereichen („non-differentiating parts“), die sich z. B. in Open-Source-Projekten so kreativ wie kostengünstig gemeinschaftlich bearbeiten lassen (Germonprez et al. 2013).Footnote 7

Letzteres ist ein Hinweis darauf, Tendenzen einer sukzessiven Öffnung industrieller Innovationsprozesse nicht zu überschätzen – Inhouse-Forschung und (halb-)geschlossene Innovationsprozesse im Rahmen organisierter Netzwerke sind keineswegs Auslaufmodelle der industriellen Organisation von Forschung und Entwicklung (Dolata 2016). Dementsprechend sollten Öffnungstendenzen auch nicht als sukzessive Ablösung der einen Form durch eine neue, sondern als Bestandteil eines graduellen Prozesses der Ausdifferenzierung in verschiedene Formen industrieller Innovationstätigkeit begriffen werden, die koexistieren und von den Unternehmen nicht alternativ, sondern parallel verfolgt werden. Das jeweils spezifische Zusammenspiel verschiedener Organisationsformen von (industrieller) Innovation – und hierin: das spezifische Gewicht plattformbasierter Innovationsformen im gesamten Ensemble industrieller Innovationsmuster – ist dann ein Fall für die weitere empirische Forschung.

4 Eigenheiten: Industrie- und Internetplattformen im Vergleich

Lassen sich aus den hier vorgenommenen Felderkundungen typische Eigenheiten oder übergreifende Charakteristika industrieller Plattformen herausarbeiten? Und: Was unterscheidet sie von den bekannten Plattformen, die das konsum- und kommunikationsorientierte Internet prägen?

Zunächst ist festzuhalten, dass sich plattformartige Organisations- und Koordinationsformen in der Industrie noch nicht großflächig durchgesetzt haben. Während sich digitale Plattformen im konsum- und kommunikationsbasierten Internet im vergangenen Jahrzehnt auf breiter Front etabliert und als zentrales Struktur- und Organisationsprinzip des Webs verfestigt haben, befinden sich entsprechende Prozesse einer Plattformisierung im industriellen Bereich in einem frühen, von tastenden und zuweilen erratischen Suchvorgängen und auch Rückschlägen geprägten Entwicklungsstadium. Noch ist nicht ausgemacht, ob, wo, wann und in welcher Form plattformbasierte Organisationsformen dort tatsächlich in größerem Umfang Fuß fassen können. Von einem Plattformkapitalismus oder einer Plattformökonomie kann mit Blick auf die Industrie bislang jedenfalls nicht die Rede sein. Statt disruptiver Brüche dominieren graduelle Transformationsprozesse die Entwicklung des Feldes.

Allerdings muss hier differenziert werden. Während IIoT- und FuE-orientierte Plattformen noch am Beginn ihrer (möglichen, keineswegs sicheren) Karriere stehen, haben sich digitale Transaktionsplattformen als mehrseitige Märkte im Handel zwischen Unternehmen (B2B) längst etabliert und sind mittlerweile in ökonomisch relevante Größenordnungen hineingewachsen. Der reine B2B-Internethandel von Herstellern und Großhändlern mit ihren Kunden, der über Onlineshops, zunehmend aber auch über digitale Marktplätze abgewickelt wird, erzielte in Deutschland in 2021 einen Umsatz von 352 Mrd. € – mit deutlich anziehender Tendenz. Zum Vergleich: Der konsumorientierte Internethandel (B2C) realisierte im selben Jahr in Deutschland mit 87 Mrd. € lediglich ein Viertel des B2B-Umsatzes (ECC 2022, S. 9). B2C ist im Vergleich zu B2B also ein eher bescheidenes ökonomisches Segment.

Hinzu kommt, dass industrielle Plattformen und deren Angebote im Vergleich zu jenen des konsumbasierten Internets erheblich voraussetzungsvoller sind und eine deutlich höhere organisatorische Komplexität aufweisen, wie etwa Pauli et al. (2021, S. 184) betonen:

Marketing and sales to business customers, such as industrial organizations, is significantly different from the processes in the B2C domain. As it interacts with the customer’s buying process, selling products and services is usually more complex and may involve detailed technical proposals, extensive negotiation, and long-term relationship building. The purchase of a predictive maintenance solution, for example, […] will require cross-functional decision making involving, among others, purchasing, finance, administration and engineering functions. This indicates that purchasing industrial plattform-based solutions will be not as straight forward as downloading an app from an app store, for example.

Darüber hinaus ist das Feld recht heterogen strukturiert und zum Teil stark fragmentiert. Es gibt kein „One-size-fits-all-Modell“ industrieller Plattformen, sondern unterschiedliche Varianten, die sich signifikant voneinander unterscheiden. Es gibt bislang auch keine industrieweit ausgelegten Plattformen von monopolartiger Bedeutung, wie sie für das konsum- und kommunikationsorientierte Internet typisch sind. Stattdessen dominieren branchenspezifische und zum Teil hochspezialisierte Plattformen mit ihren Angeboten das Bild.

Nicht nur hinsichtlich ihres Entwicklungsstadiums, ihrer Komplexität und ihrer Fragmentierung unterscheiden sich plattformbasierte Arbeits- und Organisationsformen in der Industrie signifikant von den bekannten Internetplattformen. Industrieplattformen haben zudem eine rein ökonomische Ausrichtung. Das mag banal klingen, heißt aber: Sie spannen nicht derart ausgreifende soziale Handlungsflächen auf wie die großen Social-Media‑, Networking- und Messaging-Plattformen des Internets, sondern dienen, deutlich enger gefasst, der Koordination organisierter Wirtschaftsakteure und -prozesse. Die Bereitstellung von Spielflächen und Angeboten für zahllose individuelle Nutzer oder Kollektive mit vornehmlich nicht-ökonomischen Interessen und Aktivitätsprofilen, die für die einschlägigen Plattformen des konsum- und kommunikationsbasierten Internets konstitutiv sind, spielen im Industriebereich keine Rolle. Werbeeinnahmen als tragendes Geschäftsmodell übrigens auch nicht.

Entsprechend anders zugeschnitten ist das Akteurspektrum, mit dem wir es hier zu tun haben. Es umfasst vornehmlich korporative Akteure aus der Wirtschaft, die sich plattformübergreifend grob in vier Gruppen unterteilen lassen (Hoffmann et al. 2021, S. 17 f.; Obermaier und Mosch 2019, S. 403).

Die erste Gruppe bilden etablierte Industrieunternehmen wie aus deutscher Sicht z. B. Siemens, Bosch, die Automobilhersteller VW, BMW und Mercedes oder auch Klöckner und Schaeffler, die über eingespielte Kontakte, Geschäfts- und Kooperationsbeziehungen in maßgeblichen Industriesektoren verfügen, digitale Restrukturierungsaktivitäten etwa in der Fertigung oder Logistik seit längerem aktiv mitgestalten und ihr Domänenwissen entsprechend ausspielen können. Sie prägen den Aufbau und Betrieb von digitalen Marktplätzen (Transaktionsplattformen) und spielen auch bei der erheblich voraussetzungsvolleren Etablierung von produktions- und innovationsorientierten Plattformen eine wichtige Rolle. Das fordert von den plattformbetreibenden Unternehmen allerdings eine weitere Öffnung ihrer Unternehmensgrenzen, die deutlich über den vergleichsweise übersichtlichen Kooperations- und Regulierungsrahmen von Produktions- oder Innovationsnetzwerken hinausreicht, sowie eine enge Zusammenarbeit mit Technologiekonzernen, die sich vor allem im Bereich des Industrial Internet of Things (IIoT) zugleich als ernstzunehmende Konkurrenten positionieren.

Diese führenden US-amerikanischen Technologiekonzerne bilden die zweite relevante Akteurgruppe. Eine derartige Zentralstellung wie im konsum- und kommunikationsbasierten Internet, das sie mit ihren Plattformen nahezu monopolartig ausgestalten und kontrollieren, haben sie im industriellen Bereich bislang nicht erreicht. Im stark fragmentierten, branchenspezifisch ausgerichteten und oft hochspezialisierten Segment der B2B-Transaktionsplattformen spielt nur Amazon (mit Amazon Business) mit, allerdings nicht als alles dominierender Akteur wie im konsumorientierten Internethandel, sondern als ein Wettbewerber neben zahlreichen anderen. Anders sieht es im IIoT-Bereich aus. Dort könnten vor allem Amazon (mit AWS) und Microsoft (mit Azure) auf der Grundlage ihrer bereits vorhandenen infrastrukturellen Dominanz als Cloud-Betreiber in den kommenden Jahren deutlich an Einfluss gewinnen – vor allem, weil sie für ihre industriellen Kunden längst nicht mehr nur Speicherplatz und Rechenkapazität bereitstellen, sondern auch integrierte IIoT-Services. Das dürfte ihnen als Komplettanbietern auf diesem neu entstehenden Markt gegenüber reinen IIoT-Plattformbetreibern einen substanziellen Wettbewerbsvorteil verschaffen.

Daneben gibt es zwei weitere relevante Gruppen von Akteuren, die in diesem Feld eine eigenständige Rolle spielen. Das sind zum einen Start-ups, die als Neugründungen eigene Plattformen entwickelt haben und in spezialisierten Bereichen auch selbst betreiben (z. B. Schüttfix oder Metals Hub), als Ausgründungen großer Industrieunternehmen Plattformen organisieren (wie XOM Materials oder CheMondis) oder mittlerweile von Großunternehmen übernommen worden sind (wie GitHub durch Microsoft). Und das sind zum anderen Gemeinschaften als ein spezifischer Typ kollektiver Akteure: Entwicklergemeinschaften und Open-Source-Communities, die als dezentrale Kreativressource vor allem softwarebasierter Innovationsprozesse sowohl für Technologie- als auch für Industrieunternehmen unverzichtbar geworden sind.

5 Theoretisch-konzeptionelle Rahmungen: Plattformen als Organisationsform sui generis

Schält sich mit Plattformen eine eigenständige, distinkte Organisations- und Koordinationsform industrieller Markt‑, Produktions- und Innovationsprozesse heraus, die sich insbesondere von Netzwerken substanziell absetzen lässt?

Die basale soziotechnische Strukturation von Industrieplattformen lässt sich ähnlich wie die der Plattformen des konsum- und kommunikationsorientierten Internets als regelbasierte Zwei-Ebenen-Architektur konzipieren (Dolata und Schrape 2023). Alle Plattformen bestehen auch hier aus einem koordinierenden Kern mit einem fokalen Akteur (oder auch einer Akteurgruppe) und basieren auf einem mehr oder minder weitläufig ausgelegten Ökosystem aus vornehmlich organisierten Akteuren (sogenannten Komplementoren), die durch möglichst weitreichend ins Technische übersetzte soziale Regeln, Anreize und Regulierungsstrukturen zusammengehalten, handlungs- und interaktionsfähig werden.

Auch das Konzept von Plattformen als regelbasierten Handlungsflächen lässt sich auf Industrieplattformen anwenden. Einige Unterschiede sind allerdings auch hier zu beachten und einzuarbeiten. Das betrifft zunächst die soziale Reichweite. Die großen Social-Media- und Kommunikationsplattformen des Internets konstituieren mit ihren eigenen Regelwerken, Strukturierungs‑, Selektions‑, Überwachungs- und Sanktionierungsleistungen nicht weniger als die institutionellen Grundlagen einer privatwirtschaftlich verfassten Gesellschaftlichkeit im Internet, die sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten weitgehend entkoppelt von demokratischen Institutionen und staatlicher Einflussnahme herausgebildet haben (Dolata 2022; Van Dijck et al. 2018).

Das lässt sich für Industrieplattformen welcher Art auch immer nicht sagen. Sie spannen zwar auch Handlungsflächen auf – das ist eine wesentliche Signatur dieser Organisationsform über alle Varianten hinweg –, aber in Gestalt fokussierter und dezidiert ökonomisch ausgerichteter Markt‑, Produktions- oder Innovationsflächen, deren soziale bzw. gesellschaftspolitische Tragweite im Vergleich doch recht überschaubar bleibt.

Ebenfalls anders als im konsum- und kommunikationsbasierten Internet, wo niedrigschwellige Zugangsmöglichkeiten, starke Netzwerkeffekte und hohe Nutzerzahlen geradezu konstitutiv für den Erfolg von Plattformen sind, sind Plattformen in der Industrie in der Regel exklusiver angelegt und werden mit substanziellen Eintrittshürden seitens der Betreiber ausgestattet. Öffnungen erfolgen sukzessive, kontrolliert und nach eingehender Prüfung neuer Teilnehmer, die dann vornehmlich im Modus der Kooptation aufgenommen werden (Jovanovic et al. 2022). Das ist nicht überraschend: Datensicherheit, Sicherung von Eigentumsrechten, Qualität und Verlässlichkeit der Komplementoren, aber auch Gefahren unkontrollierter Wissensabflüsse oder kompetitiver Konflikte spielen im Zusammenhang von Industrieplattformen eine wesentlich prominentere Rolle als etwa auf den durch individuelle Nutzer geprägten Social-Media-Plattformen des Internets (Pauli et al. 2021, S. 185 ff.) und verlangen nach regelmäßigen Justierungen des äußerst sensiblen Verhältnisses von Offenheit und Grenzziehung sowie von kollaborativer Interaktion und kompetitiver Dynamik (Kretschmer et al. 2020, S. 411 ff.).

Handelt es sich bei Plattformen also um eine Organisationsform sui generis, die sich durch ein besonderes Arrangement soziotechnischer Handlungskoordination auszeichnet, welches sie von den klassischen Varianten Hierarchie (Anweisung), Netzwerk (Aushandlung) und Markt (Wettbewerb) substanziell unterscheidet? Wenn man sich einer Beantwortung dieser Frage in soziologischer Perspektive annähern möchte, dann ist es, wie ich argumentieren möchte, weniger hilfreich, Plattformen als hybride Strukturen zwischen Organisation und Markt zu fassen, wie das etwa in der strategischen Managementforschung geschieht (ebd., S. 407). Stattdessen sollten sie im Zwischenfeld von organisierten Netzwerken und Märkten verortet und ihr Status als eigenständige Organisationsform insbesondere im Vergleich zu Netzwerken herausgearbeitet werden.

In institutionalistischer Perspektive lassen sich Netzwerke als eine substanziell neue und eigenständige Form interorganisationaler Handlungskoordination begreifen, die idealtypisch statt auf hierarchischer Anweisung oder marktförmigem Austausch in erster Linie auf Aushandlung und Kooperation zwischen verschiedenen, oft heterogenen und in der Regel organisierten sozialen Akteuren beruht (Nohria und Eccles 1992; Kenis und Schneider 1996). Industrielle Netzwerke im so verstandenen Sinne bezeichnen Formen verhandlungs- und vertragsbasierter Zusammenarbeit zwischen einer begrenzten Anzahl eigenständiger und in der Regel korporativer Akteure. Der dominierende Koordinationsmodus ist die Aushandlung der konkreten Bedingungen der interorganisationalen Zusammenarbeit und – darauf basierend – die zielorientierte Kooperation der Netzwerkakteure. Eingelagert in diese idealtypische Koordinationsform sind natürlich immer Machtasymmetrien, die Herausbildung fokaler Akteure sowie, damit verbunden, Formen hierarchischer Koordination und Kontrolle (etwa im Rahmen des Netzwerkmanagements), aber auch Spielräume für informelle Abstimmung (in besonderem Maße in Forschungsnetzwerken) und marktförmige Interaktionen (vor allem als Wettbewerb zwischen Netzwerkteilnehmern). Im Grundsatz sind die Beziehungen in Netzwerken allerdings verhandlungsorientiert und kooperativ, dabei loser als im Rahmen von Organisationen und enger als auf Märkten gekoppelt (Hirsch-Kreinsen 2002; Dolata 2001). Industrielle Netzwerke konstituieren mit alldem vertragsbasierte Kooperationsräume, die nach außen alles andere als offen sind. Kommen neue Mitglieder dazu, dann werden diese in aller Regel kontrolliert kooptiert.

Auf Industrieplattformen passt diese Stilisierung nicht (und auf Plattformen des konsum- und kommunikationsbasierten Internets erst recht nicht). Sie bieten ein breiteres Spektrum an Handlungs- und Interaktionsmöglichkeiten für eine deutlich unbestimmtere Zahl heterogenerer Akteure, die sich im Plattformzusammenhang in verschiedener Weise aufeinander beziehen oder auch gar nichts miteinander zu tun haben können. Das Handlungsspektrum reicht von kompetitiv ausgerichteten Beziehungen auf Marktplätzen für Drittanbieter über offener ausgelegte, nicht an formale Kooperationsvereinbarungen geknüpfte kollaborative Produktentwicklungs- und Innovationsaktivitäten bis hin zu Möglichkeiten, im Handlungsrahmen der Plattform organisiertere Kooperationsbeziehungen oder Netzwerke mit ausgewählten Teilnehmern eigenständig und dezentral aufzubauen. Auch Verhältnisse der Indifferenz, also des gleichgültigen, bezugs- und interesselosen Nebeneinanderagierens von Teilnehmenden, die sich nicht einmal kennen müssen, sind hier möglich – und alles andere als ungewöhnlich.

In einer stilisierten Abgrenzung zu Netzwerken lassen sich Plattformen als regelbasierte Handlungsflächen begreifen, die deutlich weiter gespannt und beweglicher ausgelegt sind als Kooperationsräume und den teilnehmenden Akteuren zum Teil erhebliche dezentrale Möglichkeiten für eigenständige Aktivitäten verschiedener Art bieten. Der allgemeine Handlungsrahmen wird hier nicht durch detaillierte und individuell zugeschnittene Verträge zwischen allen beteiligten Akteuren abgesteckt, sondern durch ein Set basaler Handlungsregeln, für die die Plattformbetreiber in letzter Instanz verantwortlich zeichnen. Den dominierenden Koordinationsmodus, auf dem alles Handeln dort letztlich basiert, bezeichne ich als regelbasierte Kuratierung. Damit ist gemeint: Die jederzeit justierbare und unter ständiger Spannung stehende Entwicklung, Setzung und Durchsetzung Ordnung stiftender Regeln, die die Plattform als Sozialstruktur zusammenhalten und das weitläufig verteilte dezentrale Handeln dort (ganz im Giddens’schen Sinne gesprochen) nicht einfach restringieren, sondern überhaupt ermöglichen.

Auch Kuratierung ist natürlich als eine idealtypische Koordinationsform zu verstehen, in die, mit jeweils spezifischem Gewicht versehen, sowohl starke hierarchische als auch substanziell aushandlungsorientierte Mechanismen eingelagert sein können. Für die großen Plattformen des konsum- und kommunikationsorientierten Internets habe ich formuliert, dass die betreibenden Konzerne dort über ein hohes Maß an strukturgebender, regelsetzender und auch kontrollierender Macht verfügen, in die Elemente eines eher punktuellen und dezentralen Mitwirkens der Nutzerinnen und Nutzer (z. B. über Ratingsysteme) eingefasst werden. Regelsetzung und Regulierung zeichnen sich dort durch einen starken Bias zugunsten der Plattformbetreiber aus. Das ist Kuratierung als im Kern hierarchisch ausgelegter sozialer Vorgang, in den Spuren betreiberseitig kontrollierter Partizipation eingelagert sind (Dolata 2019b, 2022).

Für das sehr heterogen strukturierte und erheblich fragmentiertere Feld der Industrieplattformen lässt sich das nicht so ohne weiteres bestätigen. Die Plattformbetreiber in der Industriedomäne haben es im Vergleich zu der von individuellen Nutzern bevölkerten Welt der Internetplattformen mit einem grundsätzlich anderen Teilnehmerfeld zu tun. Dazu gehören ressourcen- und durchsetzungsstarke Wirtschaftsakteure, die als Plattformnutzer ihren eigenen Interessen mit einer erheblich stärkeren Verhandlungsmacht Geltung verschaffen können – zumal Industrieplattformen (mit der gewichtigen Ausnahme der Cloud-Angebote) sich noch nicht durch gefestigte Monopolstellungen auszeichnen (Butollo und Schneidemesser 2021a). Plattformbetreiber können Regeln welcher Art auch immer in diesem Umfeld nicht ohne weiteres top-down setzen und durchsetzen, sondern oft nur im engen Austausch mit ihren (industriellen) Kunden. Das ist Kuratierung als substanziell aushandlungsbasierter Vorgang. Sie wird auch hier zwar von den Plattformbetreibern letztendlich verantwortet, würde allerdings ohne eine belastbare Institutionalisierung verhandlungs- und abstimmungsorientierter Regulierungsstrukturen, in die relevante Plattformnutzer systematisch eingebunden werden, nicht funktionieren.

6 Ausblick: Offene Fragen und Forschungsperspektiven

Wie weiter? Zwei sich ergänzende Ansatzpunkte für die künftige Forschung in diesem noch wenig erschlossenen Bereich drängen sich auf: Fallstudien auf der Mikroebene der Plattform oder des Unternehmens sowie exaktere Feldvermessungen und -kartierungen der industriellen Plattformökonomie auf der Mesoebene des Wirtschaftssektors und der Makroebene der Gesamtwirtschaft.

Dringend notwendig sind zum einen detaillierte Rekonstruktionen der Entstehung, Institutionalisierung und Funktionsweise, aber auch der Problemzonen und des Scheiterns sowohl konkreter industrieller Plattformen bzw. Plattformprojekte als auch plattformbezogener Reorganisationsstrategien bzw. -prozesse in und zwischen Unternehmen. Darüber wissen wir anders als über die Plattformen und Plattformunternehmen des Internets bislang ausgesprochen wenig.

In einer strukturorientierten Perspektive heißt das, konkrete soziotechnische Architekturen, Regelsetzungs‑, Koordinations- und Regulierungsmechanismen am Einzelfall bzw. vergleichend herauszuarbeiten. In einer prozessorientierten Perspektive ist zu untersuchen, wie sich Regeln, Kuratierungsansätze und Regulierungsstrukturen sukzessive herausschälen und festigen, wer mit welchen Ressourcen und Einflussmöglichkeiten daran beteiligt ist, über welche Machtpotenziale und Aushandlungsspielräume die teilnehmenden Akteure gegenüber den organisierenden Kernakteuren der Plattform verfügen, welche Formen und Schwerpunkte eines Plattformmanagements sich herausbilden, wie sich das Verhältnis von dezentralen Bewegungs- und Entscheidungsmöglichkeiten zu zentralen Koordinations- und Kontrollfunktionen entwickelt sowie insgesamt, wie sich all dies als schrittweise Institutionalisierung (oder eben auch als De-Institutionalisierung, Abbruch und Scheitern) einer Plattform über die Zeit darstellen und kausal verdichten lässt. Es fehlt bislang, von wenigen Ausnahmen abgesehen, sowohl an detaillierten Einzelfallstudien als auch an komparativ angelegten Falluntersuchungen, die genau das tun.

Zum anderen bleibt es eine wichtige Aufgabe, das sehr heterogen strukturierte und an vielen Stellen überhaupt noch nicht gefestigte Feld als Ganzes genauer zu vermessen und zu sortieren, als das bislang geschehen ist, es also mit all seinen Entwicklungsdynamiken, Sackgassen und Irrwegen über die Zeit zu beobachten und auf dieser Basis seine organisationale, sektorale und gesamtwirtschaftliche Prägekraft über die Zeit empirisch nachvollziehbar abzubilden.

Das heißt nicht nur, die Entwicklung und Diffusion der verschiedenen plattformbasierten Märkte, Arbeits- und Organisationszusammenhänge sowie deren sektorale bzw. gesamtwirtschaftliche Bedeutung im Gesamtzusammenhang zu betrachten und als Prozess präziser empirisch auszuleuchten. Ebenso wichtig ist es, neue plattformbasierte Organisationsformen branchen- bzw. bereichsspezifisch systematisch zu erfassen, um auf dieser Basis charakteristische Eigenheiten und Unterschiede, Institutionalisierungsdynamiken und auch Entwicklungsgrenzen industrieller Plattformprojekte vergleichend herausarbeiten zu können. Das gilt in ähnlicher Weise auch für die diese Prozesse jeweils tragenden Akteurfigurationen sowie die sich herausbildenden Kollaborations- und Konkurrenzstellungen – einschließlich ökonomischer Konzentrationsprozesse und der Herausbildung stabiler Machtstrukturen, die im Zuge der Verfestigung von Marktpositionen auch im Feld der Industrieplattformen perspektivisch an Fahrt aufnehmen könnten.

Erst auf dieser Grundlage wird sich belastbar einschätzen lassen, wie sich plattformbasierte Reorganisationsstrategien und -prozesse zu etablierten Organisations- und Netzwerkstrukturen verhalten. Und erst dann wird sich erschließen, welchen Stellenwert diese Entwicklungen im Gesamtzusammenhang (inter‑)organisationaler Transformationsdynamiken, die ja weit facettenreicher sind, einnehmen – und also, wie relevant plattformartige Organisationsmuster und Märkte in der Industrie tatsächlich werden können im Vergleich zu anderen Organisationsformen industrieller Produktions‑, Innovations- und Distributionsprozesse, die damit ja nicht obsolet werden und aus der Welt fallen.