Die Herausgeber:innen dieser Zeitschrift haben die ebenso energische wie ambitionierte „Agenda“ von Loïc Wacquant für einen sozialwissenschaftlich angemessenen Umgang mit der Rassenkategorie aus dem New Left Review im Berliner Journal für Soziologie (Heft 1–2/2023) zur Diskussion gestellt. Martina Löw und María do Mar Castro Varela haben sie kritisch kommentiert, Wacquant auf beide repliziert. Wir wollen in dieser Debatte eine theoretische und epistemologische Position beziehen, die zum Teil zwischen den Diskutant:innen vermittelt, zum Teil über Wacquants Agenda hinausgeht.

Besonders zwei Aspekte von Wacquants Lead Article verdienen in unseren Augen unbedingte Zustimmung. Der erste ist seine Forderung nach einer methodologisch-theoretischen Distanzierung von jeder Substanzialisierung von „Races“: Seine fünf Maximen – historisieren, geografisch dezentrieren, nicht „richten“, vom Alltagswissen distanzieren und disaggregieren – sind erfrischend klar und systematisch überzeugend. Eine solche Beobachtungshaltung sollte für alle Formen von Humandifferenzierung als disziplinäres Erfordernis gelten: In einer Feudalgesellschaft, die sich aus Edlen und Gemeinen zusammengesetzt, hätten Soziolog:innen Unterscheidungen nach Nobilität als naturalisierte Klassenunterschiede zu untersuchen; in einer Gesellschaft, die zwei (oder mehr) Geschlechter unterscheidet, sind es geschlechtliche Unterscheidungen, die entweder biologisch oder psychologisch essenzialisiert werden. Ebenso können „Rassen“ für die Sozialwissenschaften nur als ethnosoziologische Kategorien untersucht werden, und diese sind nur scharf zu erkennen, wenn ihre wissenschaftliche Beobachtung auf Substantivierung – inklusive der entsprechenden Betitelung von Subdisziplinen oder „studies“ – verzichtet. Unsere Gegenstände sind rassifizierende, geschlechtliche, ethnische, religiöse usw. Unterscheidungen, Kategorisierungen, Segregationen, Stratifikationen etc.

Bestechend finden wir Wacquants Aufsatz zweitens dort, wo er empirisch ausgreifende historische und kulturelle Vergleiche aufbietet. Natürlich kann man Rassenunterscheidungen einerseits wissensgeschichtlich auf die spezifisch europäische Ausformung eines biologischen Rassenbegriffs zurückziehen, andererseits sind – wenn man einen analytisch gehaltvollen Begriff von Rassifizierung verfolgen will – selbstverständlich auch historisch frühe und außereuropäische (etwa innerafrikanische) Varianten in Betracht zu ziehen. Dafür spricht schon der von Wacquant überaus klar beleuchtete Umstand, dass die international gehandelten Begriffe von Race massiv vom hochspezifischen US-Diskurs geprägt sind: Sie basieren implizit auf einem ethnozentrischen Begriff von Race, der – wir stimmen Martina Löw zu – weit präziser als mit dem postkolonial bequem gebrauchten „eurozentrisch“ als „US-centric“ (Bacchetta et al. 2017) bezeichnet ist. Die differentia specifica dieses US-Konzeptes, so Wacquant, ist die Hypodeszendenz, der „blood fence“ (also ein vererbter Makel), und nicht die parolentaugliche „color line“.

Vor diesem Hintergrund scheint uns auch Wacquants Replik auf María do Mar Castro Varela (2023) in ihrer Klarheit und Schärfe angemessen. Ein akademisches Reden und Schreiben, das gar nicht mehr im wissenschaftlichen Argument, sondern nurmehr in der politischen Attitüde zu überzeugen versucht, verabschiedet sich von einem stets jeder scharfen Kritik würdigen, aber eben auch hoch professionalisierten wissenschaftlichen Diskurs. So klar sich Wacquant hier distanziert, so inkonsequent erscheinen uns freilich zwei en passant ausgeflaggte Kennzeichnungen seiner Agenda. Warum sollte es angesichts der Politisierung bestimmter Kategorien in der Gesellschaft nur ein „vorläufiges“ Verbot moralischer Urteile (Wacquant 2023a, S. 15) geben, warum die „Bekämpfung“ von Ungleichheit (Wacquant 2023b, S. 58) immer noch als Daseinszweck einer sozialwissenschaftlichen Analyse herhalten – oder warum sollte man jede Argumentation mit der Geschlechterdifferenz zugleich als „feministisch“ (Löw 2023, S. 33) deklarieren? Dürfen Sozialwissenschaftler:innen wirklich immer noch nicht ohne solche wohlfeilen Gesten über ihre Gegenstände sprechen? Bleiben sie also, auch wenn sie „epistemologischen Populismus“ (Wacquant 2023b, S. 64) zurückweisen, dem politischen Populismus ihres akademischen Milieus verpflichtet?

Dass Wacquant diese kleine Inkonsistenz unterläuft, scheint uns auch mit einer Leerstelle seiner Argumentation ad Race in den USA verbunden. Unausgesprochen bleibt bei ihm der Umstand, dass Race – wie Geschlecht (Brubaker 2023) – eben nicht nur von den Dominanten, sondern mindestens ebenso von den Dominierten substanzialisiert und essenzialisiert wird. Es gibt hier gerade in den USA eine Reifikationsallianz sozialer Bewegungen und kritischer Sozialwissenschaftler:innen, die schon vor gut 20 Jahren von Paul Gilroy kritisiert wurde. In seinem Buch Against Race vertrat dieser Wacquants Anliegen, „to renounce ‚race‘ for analytical purposes“ (Gilroy 2000, S. 51 f.), und distanzierte sich von einem antirassistischen Aktivismus, der die Rassen „von unten“ reifizierte. Sagen wir es pointiert: Wacquants Argumentationsgegner ist am besten als konzeptueller Rassismus bezeichnet: der kulturellen Annahme, dass jeder Mensch einer Rasse oder ihren Mischungen angehört, der gegenüber jede universalistische Forderung nach Colorblindness nur als „unrealistische“ Träumerei erscheinen kann, obwohl eben diese die rechtliche Verfasstheit der modernen Gesellschaft bestimmt. Zu sehen ist dabei nicht nur, welche gravierenden epistemischen Nachteile Dominierte und Entrechtete in der Rekonstruktion ihrer Misere haben (so Wacquant in Replik auf Castro Varela), sondern auch, welche spezifische Verzerrung des Bildes von Gesellschaft gerade das nicht-herrschende Bewusstsein stigmatisierter Menschen hervorbringt, indem diese die in ihrem Leben permanent zu ihrem Nachteil veranschlagten Unterscheidungen in ihrer gesamtgesellschaftlichen Relevanz überschätzen (Hirschauer 2023a).

Die sozialen Bewegungen, die diesen Minoritäten-Bias aufgreifen und in der gesellschaftlichen Ökonomie der Aufmerksamkeit zur Geltung bringen, haben durch ihren Einfluss auf die Herausbildung spezifischer „studies“ (of gender, race, ethnicity, religion, age, disability usw.) zwei Optiken der „vision et division“ (Bourdieu) der sozialen Welt entwickelt. Zum einen haben sie mit ihren Analysen durch Machtverhältnisse verzerrte Realitätsbeschreibungen aufgedeckt: Zentrismen erster Ordnung wie Eurozentrismus, Androzentrismus, Rassismus, Nationalismus, Heteronormativität, Klassismus, Adultismus, Ableismus, religiösem Fundamentalismus, Orientalismus oder Okzidentalismus. Zum anderen haben die „studies“ aber auch zu Zentrismen zweiter Ordnung beigetragen: „ethnic lenses“ (Glick Schiller et al. 2006), „race-centrism“ (Wimmer 2015), konzeptuellem „genderism“ (Hirschauer 2016, S. 125). Gemeinsam ist den „studies“ eine Engführung der multiplen Zugehörigkeiten von Menschen auf je eine, von ihnen selbst dominant gesetzte kulturelle Differenz. Dieser Bias zweiter Ordnung liegt nicht in den sozialen Privilegien eines Bevölkerungssegments begründet, sondern in der epistemischen Privilegierung einer Unterscheidungsdimension, mit der solche Segmente erst hergestellt werden. Solche Differenz-Zentrismen können zu den bereits bekannten „Metazentrismen“ wissenschaftlicher Arbeit gezählt werden wie dem methodologischen Nationalismus (Beck 2002), dem Logozentrismus (Derrida 1976), dem Intellektualismus (Bourdieu 1999), dem Anthropozentrismus (Barad 2012) oder historischen Anachronismen (Koselleck 2015).

Unser zentraler Einwand gegen Wacquants Agenda ist aber ein theoretischer. Seine so brillant argumentierte Distanzierung von der Ethnosoziologie der „Rassen“ impliziert logisch überhaupt nicht die von ihm zugleich vertretene Subsumtion von Race unter Ethnizität. Hier teilen wir Löws Vorbehalte und haben ein paar weitere. Zunächst können wir nicht erkennen, inwiefern Race ein „paradoxer“ Subtyp von Ethnizität sein soll, bloß weil sie verleugnet, eine ethnische Kategorie zu sein (Wacquant 2023a, S. 18). Die „Paradoxie“ besteht doch nur im angemessenen soziologischen Einspruch gegen die ethnosoziologische Naturalisierung. Ferner ist die Verleugnung oder Verkennung des Konstruktionscharakters kultureller Phänomene doch ein ganz allgemeines Phänomen, das sich im Hinblick auf die Kategorisierungen von Menschen auch bei Gender (so Löw), aber auch bei Disability, Ethnizität, Alter, Leistung, selbst manchen Konfessionen findet.

Vor allem aber scheint uns der generalisierende Gestus der Subsumtion unangemessen, wo es beim derzeitigen Stand der Forschung vor allem an spezifizierenden Vergleichen und an der Bestimmung von Vergleichsparametern fehlt.Footnote 1 Natürlich kann man versuchen, die multiplen Differenzierungen zwischen Menschen ihrerseits analytisch zu gruppieren, aber wir halten es nicht für hilfreich, in sich spezifische Formen der Humandifferenzierung alle mit einer Vorsilbe für die Ethnizitätsforschung zu vereinnahmen: „ethnoreligiöse, ethnolinguistische, ethnoregionale, ethnonationale und ethnorassische“ (Wacquant 2023a, S. 27). Wacquant meint, Brubaker (2009, 2015) gehe in dieser Vereinheitlichung nicht weit genug. Wir meinen, dass es klüger ist, Phänomene wie Konfession, Sprache, Staatsbürgerschaft und Race erstens klar analytisch zu separieren, bevor man zweitens darangeht, im Vergleich mit weiteren kategorialen Unterscheidungen (z. B. Geschlecht, Klasse, Alter, Disability) ihre Familienähnlichkeiten zu bestimmen, und drittens ihre empirischen Interferenzen mit anderen Unterscheidungen untersucht.

Die Subsumtionsgeste hat hohe Kosten, von denen Martina Löw bereits einige benannt hat: etwa die implizite Substanzialisierung von Geschlecht (die Wacquant in seiner Replik zurücknimmt). Umgekehrt stimmen wir Wacquant zu, dass Löws intersektionale Engführung auf die empirischen Interferenzen von Race und Gender zu kurz greift. Aber so wie „aus dieser Ähnlichkeit von Geschlecht und ‚Race‘ als biologisierte Grundlagen von Klassifikation und Stratifikation nicht folgt, dass das eine immer das andere einschließe“ (Wacquant 2023b, S. 62), folgt aus den bloßen Ähnlichkeiten von Race, Religion, Nation und Sprache auch nicht, dass sie alle ohne erhebliche Differenzierungsverluste unter „Ethnizität“ subsumierbar sind. Zu trennen sind eben a) der systematisch differenzierende Vergleich von Unterscheidungsdimensionen (wie Geschlecht, Race, Religion, Nation, Geschlecht, Alter, Attraktivität, Disability) sowie b) die fallweise Bestimmung empirischer Verquickungen dieser Dimensionen.

Zu den Kosten der Subsumtion gehört ferner – auch hier folgen wir Löw – eine Verharmlosung ethnischer Differenzierung. Zum einen können wir nicht erkennen, dass eine „dünne“ Alltagsethnizität (religiös, national oder regional) stets „offen ethnisch“ auftritt, als käme sie ohne alle Verkennung und Reifikation aus. Auch wenn in der Ethnologie konstruktivistische Positionen ältere essenzialistische und primordialistische Ansätze seit Jahrzehnten abgelöst haben (Lentz 1995), bedeutet dies natürlich nicht, dass die Leute selbst in ihren ethnischen Zugehörigkeitskonstruktionen nicht mehr auf Abstammung und andere Essenzialismen rekurrieren. Eine Biologisierung von Ethnizität findet also durchaus auch jenseits von Rassifizierung statt. Zum anderen gibt es neben massenhaft friedlicher ethnischer Differenzierung, in der nur Stereotype, nicht aber Stratifikation und Gewalt vorherrschen, eben auch Verbrechen wie den Völkermord an den Armeniern (1915–1916) oder das Massaker von Srebrenica (1995), die gar keine Rassifizierung benötigten. Es reichten ethnische, nationalistische und religiöse Apelle, die genozidale Handlungen im Kontext von Kämpfen um Ressourcen motivierten. Aktuelle Beispiele sind die Vertreibung der Rohingya aus Myanmar, die auf Religion (anti-muslimische Ressentiments) rekurriert, oder die Situation im Nahen Osten, wo auf palästinensischer wie israelischer Seite ethnische, religiöse und nationalistische Brennstoffe den tödlichen Konflikt befeuern, ohne dass es dafür einer Rassifizierung bedarf.

Schließlich gerät bei einer Subsumtion von „Rassen“ unter Phänomene, die bis hinunter zum Folklorismus reziproker ethnischer Stereotypisierung reichen, sogar die spezifische symbolische Brutalität der Rassifizierung aus dem Blick. Wacquant fasst sie als ehrabschneidende rigide Ethnisierung. Die Stratifizierung von „Rassen“ ist u. E. aber deshalb um Einiges herabsetzender als die von sozialen Klassen, Geschlechtern, Ethnien oder Untergebenen in Organisationen, weil Rassifizierung in vielen Fällen Menschen an den Rand des Menschseins rückt, sie dehumanisiert – wie es im Geschlechterverhältnis (mit seinen ebenso benachteiligten wie idealisierten Frauen) oder in Produktionsverhältnissen (mit ihren ebenso ausgebeuteten wie entlohnten Arbeitskräften) nicht stattfindet. Das gilt sowohl sprachlich und konzeptuell (Ha 2010) als auch praktisch – etwa bei den menschlichen „Arbeitstieren“ der Plantagenökonomie. Race als Subtyp von Ethnizität zu führen, verharmlost, dass die Unterscheidung von Rassen eine Binnendifferenzierung von Menschen ist, die diese oft zugleich an den animalischen Außenrand des Menschseins platziert.

Auch in anderen Hinsichten kann Wacquants Ziel einer Spezifikation der Rassifizierung als Differenzierungsform unter seinen theoretischen Prämissen u. E. nicht gelingen. Er schreibt, zu rassifizieren bedeute zu naturalisieren und zu homogenisieren, d. h. alle Mitglieder der rassifizierten Kategorie als im Wesentlichen gleich wahrzunehmen (Wacquant 2023a, S. 20). Die Homogenisierung ist aber schon ein Charakteristikum jedes klassifikatorischen Aktes (Zerubavel 1996 spricht von „lumping“) und jeder Stereotypisierung. Und eine Naturalisierung gibt es, wie gesagt, auch bei Formen von Ethnizität, die nicht rassifizieren, bei Gender (Löw), aber auch bei Disability, Leistungsdifferenzierung („Begabung“) usw. Hier fragen wir uns allerdings, was „Naturalisierung“ bei Wacquant bezeichnen soll. In seinem Lead Article postuliert er – im Grunde im Anschluss an Brubaker et al. „Ethnicity as cognition“ (2004), dass Ethnizität „letztlich auf Wahrnehmung und Unterscheidungsvermögen beruht“ (Wacquant 2023a, S. 7), im Unterschied zu anderen sozialen Teilungen, „die alle eine eigenständige, von der Kognition unabhängige materielle Grundlage haben: Klasse (die Produktionsweise), Geschlecht (die Reproduktionsweise), Alter (die Entfaltung des biologischen Lebens), Bürgerschaftsstatus und nationale Identität (die Zugehörigkeit zu einem Staat)“ (ebd., S. 8). Löws berechtigter wissenssoziologischer Einwand, dass Klassen nur dann auch bei Abwesenheit des Klassenbewusstseins existieren, wenn man ihre Herstellung durch sozialwissenschaftliche Klassifikation ignoriere, wird von Wacquant nicht repliziert – vermutlich weil er ihn schlecht in seinen mit Bourdieu klassentheoretisch gerahmten Ansatz aufnehmen kann. Er konzediert aber, dass über die materiellen Grundlagen (einerseits Dinge wie Ausbeutung, Migrations- oder Kriegswirren, andererseits Abstammung und Phänotyp) nachzudenken sei.

Aber was heißt hier „materielle Grundlage“? Abgesehen davon, dass natürlich alle Teilungen von Menschen auf Wahrnehmungsprozessen, sprachlichen Distinktionen und stereotypen „beliefs“ aufruhen, wird man ihre materielle Seite differenzierter aufschlüsseln müssen. Zu unterscheiden sind mindestens fünf Aspekte: a) in welchen Fällen Humandifferenzierung auch an materielle Nachteile gebunden, also etwa mit sozioökonomischen Klassenlagen verknüpft ist; b) in welchen Fällen sie in die materielle Infrastruktur der Gesellschaft eingeht (wie in die vestimentäre Differenzierung und die WC-Segregationen bei Geschlechtern oder die zahlreichen räumlichen Segregationen in Apartheid-Systemen); c) in wie vielen Fällen sie auch an habituelle Performanz gebunden ist, also an die in Routinen tief eingefleischte pantomimisch-stimmliche Darstellung sozialer Zugehörigkeiten (auch gegen den Willen der Körperbewohner:innen); d) in welchen Fällen Humandifferenzierung unmittelbar an körperliche Ansatzpunkte anschließt – bei Konfessionen, Professionen, Leistungen nicht, bei Gender, Race, Alter, Disability etc. explizit –, sodass sie dort auch von den spezifischen Affordanzen physischer Marker zehren kann, die, ist eine Unterscheidung erst einmal in der Welt, sich als Aufforderung zur Differenzierung anbieten; und e) in welchen Fällen diese körperlichen Ansatzpunkte auch zu biologischen „Grundlagen“ erklärt (und nicht kulturell bagatellisiert) werden. Eben diesen Fall sollte man wohl als Naturalisierung bezeichnen.Footnote 2

Wacquant hält Brubaker und Wimmer vor, sie unterließen den Schritt, die Kategorien Ethnizität, Race und Nationalismus im Rahmen einer allgemeinen Theorie „der Herstellung von Gruppen aufzurollen – die Klasse, Geschlecht, Alter, Sexualität, Religion, Staatsbürgerschaft, Lokalität usw. umfasst“ (Wacquant 2023a, S. 18); einer Theorie, die zugleich vermeiden müsse, in die Fallen des „Gruppismus“ und des „Race-Zentrismus“ zu tappen (ebd., S. 19). Er will „bestimmen, was allgemein und was spezifisch ist an Race“. Eben dies scheint uns in seiner Agenda bislang misslungen. Seine Subsumtion von Race unter Ethnizität, die für sein Anliegen einer Entreifizierung von Race ganz unnötig ist, mündet in theoretische wie empirische Unschärfen, die bei einer Theoretisierung der vielen Varianten, Menschen zu unterscheiden, eher hinderlich sind, weil sie den Ethnizitätsbegriff ethno–zentrisch überdehnen. Sicherlich haben Rassen, Ethnien, Nationen, Regionen, Religionen und Sprachen bei allem, was sie im Einzelfall trennt, auch vieles gemeinsam. Aber dass sie gemeinschaftsbildend sind, ist nicht spezifisch für sie, da dies etwa auch für Professionen und Generationen gilt, und ihre Differenzierung allein auf der Dimension von dünn/dick (transparent/ungleich) reicht ebenfalls nicht zur Spezifizierung.

Theoretisch wie forschungsstrategisch klüger scheint es uns, vor einer solchen Clusterung zunächst einmal in verschiedenen Hinsichten Verwandtschaftsverhältnisse festzustellen. Erste Versuche dazu finden sich nach Simmels klassischem Vorstoß (1908) etwa bei Linton (1942) und Baumann (2005) und in jüngerer Zeit in Brubakers Studie Trans (2016), die Race und Gender unter dem Aspekt kategorialer Mobilität vergleicht, bei Brubaker und Fernandez (2019), die die Fälle Sprache und Religion ergänzen, sowie bei Krings und Banerjee (2021) mit Blick auf die Frage kategorialer Transgression innerhalb der Rassen- und Altersdifferenzierung.

Unser Plädoyer für Vergleich statt Subsumtion richtet sich aber auch auf die Spielräume empirisch-kulturwissenschaftlicher Forschung gegenüber der soziologischen Theoriebildung. So wie man mit dem Interesse, Unterscheidungen nach Geschlecht, Konfession, Sexualität, Klasse, Race, Nation usw. in ein theoretisches Framework einzuschließen, über den Horizont der Ethnizitätsforschung hinausschauen muss (Hirschauer 2023b), sollte man, gerade wenn man wie Wacquant zur Überwindung des US-Zentrismus überzeugend auch für eine geografische Erweiterung der Perspektive plädiert, sich ebenso für die kulturelle Spezifik von Fällen öffnen, die die eigenen Grundbegriffe herausfordern. Wenn die in der religiösen und beruflichen Ordnung Indiens verankerten Kasten (Dumont 1970) als Fälle von Rassen oder Klassen subsumiert werden, könnte man genauso gut die mindestens zwei Jahrtausende alten indischen Hijra unseren zeitgenössischen „Trans“ subsumieren. Beides wäre ethnologisch wie historisch unsinnig.

Wacquant (2023b, S. 65) führt den Fall der ost- und zentralafrikanischen Twa („Pygmäen“) an, die von ihren Nachbarethnien „herabgesetzt, ausgegrenzt und regelmäßig misshandelt“ werden. Während ältere Studien die Twa noch als Kaste bezeichneten (Müller 1964), macht Wacquant hier einen Beleg für Prozesse der Rassifizierung außerhalb der euroamerikanischen Sphäre aus. Zwar gelten Twa in Ruanda immer noch als Menschen, aber doch nur als solche, mit denen man Kontakt weitestgehend vermeiden sollte, da sie als „faul, gefräßig, diebisch, sexuell schamlos, übelriechend und dumm, von Geburt aus unrein“ gelten, „kurz, als eine tieferstehende ‚Rasse‘“ (Wacquant 2023b, S. 65). Auch andernorts in Afrika lassen sich solche Fälle rassifizierender Unterscheidung finden, etwa gegenüber den San im südlichen Afrika (CERD 2006) oder den Haratin in Mauretanien (IRIN 2007). Setzt man Rassifizierung nicht allein mit Herabsetzung und Ehrabschneidung, sondern mit einer Tendenz zur Dehumanisierung gleich, wie wir eben vorgeschlagen haben, kann auch die Stigmatisierung und Verfolgung von Menschen mit Albinismus, die in einigen afrikanischen Ländern vorkommt, als Rassifizierung diskutiert werden. So wurden allein in Tansania von 2006 bis 2015 154 Fälle dokumentiert, in denen Menschen ermordet oder bei lebendigem Leib verstümmelt wurden, um ihrer Körperteile habhaft zu werden, die sich auf dem Schwarzmarkt für hohe Summen als materia magica verkaufen lassen (Denny 2021).

Mit Blick auf solche Fälle bietet es sich für die Suche nach spezifischen Verwandtschaftsverhältnissen von Race aber auch an, neu über Kolorismus nachzudenken. Das bedeutet nicht, Race auf „‚Farbe‘ im Sinne von Hauttönung“ zu reduzieren (Wacquant 2023a, S. 14), sondern Vergleiche auf der Suche nach Familienähnlichkeiten für verwandte Unterscheidungen zu öffnen. Dafür ist der Kolorismus-Begriff, der bisher auf die Privilegierung von „hellhäutigen Schwarzen“ enggeführt wird (Hunter 2007; Monk 2014), weiter zu fassen. Eine umfassender gedachte koloristische Humandifferenzierung lässt u. a. sehen, dass die Bewertung von Hautfarben keineswegs global und kontextunabhängig immer zugunsten von Hellhäutigkeit ausfällt, wie das Studien über Rassismus mitunter nahelegen (Benthien 2001, S. 212). Vielmehr ist das, was koloristisch als normal oder deviant, als abstoßend oder begehrenswert wahrgenommen wird, von kontextspezifischen Hautfarbenormen abhängig – und diese umfassen neben der „Leukonormativität“ Europas (Zerubavel 2018, S. 34) auch die „Melanonormativität“ Afrikas (Wisdom Tettey, in Ero 2019, S. 10).Footnote 3 Mit dieser empirischen Öffnung lassen sich unter koloristischer Humandifferenzierung auch Ästhetisierungen von Hautfarben, etwa im Modeling, in der Werbung, in darstellenden und bildenden Künsten fassen, die einen ganz anderen Gebrauch von Hautfarbtönen machen. Dieser künstlerische Gebrauch verschiebt das, was in anderen Kontexten noch „Rassen“ sind, in Richtung Diversität und Attraktivität und holt es damit aus der Tiefe des Körpers, wo es von der „racial science“ verortet wurde, an dessen Oberfläche zurück – und trägt dadurch nicht zu einer identitären ethnischen, sondern zu einer ästhetischen Kulturalisierung der „Rassen“ bei.

Wir drängen auf diese Differenzierungen, weil wir, wie gesagt, gerade Wacquants empirischen Öffnungsimpuls, „das Universum der Fälle zu erweitern“ (2023b, S. 65), zu den Stärken seiner Agenda rechnen. Ebenso stimmen wir ihm (mit Martina Löw) zu, dass die Zeiten eines theorielosen ethnografischen Naturalismus vorbei sein sollten: „‚Go native‘, but ‚go native armed‘, that is, equipped with your theoretical and methodological tools“ (Wacquant 2011, S. 87). Aber sollen wir uns diese Tools ernsthaft als „Bewaffnung“ vorstellen? Karin Knorr Cetina (1984, S. 17) zitiert zur Eröffnung ihrer Fabrikation von Erkenntnis Dorothy Sayers: „Mein Herr, Fakten sind wie Kühe. Wenn man sie nur scharf genug ansieht, laufen sie im Allgemeinen weg.“ Wenn dazu schon ein fester Blick in die Augen reicht, ist davon auszugehen, dass eine Bewaffnung es von vornherein ausschließt, sie überhaupt zu Gesicht zu bekommen. Sie werden sich vielmehr angesichts der soziologischen Theorieübermacht erst gar nicht blicken lassen. Damit sich Theoriebildung und empirische Forschung wechselseitig befördern und herausfordern können, müssen sie in ein symmetrisches Verhältnis gebracht werden. Theorien sind dann weniger dazu da, der sozialen Welt die Welt zu erklären (so wie man das vom Olymp des Collège de France noch machte) – es sind eher anspruchsvolle alternativreiche Werkzeuge, die einerseits gegenstandsangemessen variabel eingesetzt (also in die Daten investiert) werden sollten, andererseits lern- und wandlungsfähig bleiben müssen, wollen sie nicht im Selbstgespräch der eigenen begrifflichen Setzungen erstarren.