2020 war nicht nur ein Jahr der Corona-Pandemie: Am 14. Juni jährte sich auch der 100. Todestag von Max Weber. Webers letzte Lebensjahre standen ebenfalls im Zeichen einer globalen Pandemie, der Spanischen Grippe, was bis heute die Vermutung schürt, er sei selbst an ihr oder ihren Folgen gestorben. Der damaligen Medizin war es aber noch sehr viel weniger als heute möglich, die genaue Todesursache bei multiplen Infektionserkrankungen zu bestimmen, und wirksame Antibiotika gegen eine Lungenentzündung gab es noch nicht. Die Entwicklungen und Ereignisse rund um Webers 100. Todestag kommentierten dessen Werk gewissermaßen selbst, wenn auch auf widersprüchliche Weise. Die Corona-Krise machte es einem angesichts überforderter Verwaltungen, leichtsinniger Verhaltensweisen und hartnäckiger Verschwörungsmythen zuweilen nicht leicht, Webers Kernthese eines unaufhörlich voranschreitenden Rationalisierungsprozesses vorbehaltlos beizupflichten. Gleichwohl erwies sich der globale Kapitalismus – wenn auch dank massiver staatlicher Interventionen – in dieser Krise als erstaunlich resilient.

Angesichts der pandemischen Konstellation ist die Zahl von Konferenzen, Tagungen und Ringvorlesungen, die 2020 der Aktualität und Aktualisierbarkeit, der Vergänglichkeit und Zukunft des Weber’schen Œuvres nachging, durchaus ansehnlich. Erstmals spielten die Wissenschafts- und Rezensionsforen der digitalen sozialen Medien eine tragende Rolle in der Diskussion um die Frage: „Wie weiter mit Max Weber?“ (so schon Bielefeld 2008 in einer Vortragsreihe des Hamburger Instituts für Sozialforschung). Neue Einführungen zu seinem Werk (Lichtblau 2020; Müller 2020), aber auch verblüffend unkonventionelle Annäherungen an Weber (z. B. Marty 2019) sowie nicht zuletzt das Oxford Handbook of Max Weber (Hanke et al. 2020) und die aktualisierte Auflage des Max Weber-Handbuchs (Müller und Sigmund 2020) bieten rechtzeitig zum Jubiläumsjahr eine kompakte Grundlage, um sich über den Forschungsstand und aktuelle Forschungsfragen zu informieren. Das gilt auch für die schon 2014 anlässlich des 150. Geburtstages florierende Weber-Biographik, die jüngst um eine Studie über Webers Zeit in München komplettiert wurde (Graf und Hanke 2020). Ein herausragender Gegenstand der historischen Intellektuellenforschung ist Weber ohnehin (Hübinger 2019).

Wie aber steht es um die soziologische Aktualität Max Webers hundert Jahre nach seinem Tod? Die nachmittägliche Bilanzveranstaltung zu dieser Frage auf dem weitgehend digital abgehaltenen 40. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie eröffnete alles in allem wenig Zukunftsperspektiven auf das Erbe Webers. Wer der dortigen Diskussion ausgewiesener Weberianer*innen beiwohnte, fühlte sich hin und wieder an Rainer M. Lepsius’ Bonmot erinnert, Weber sei „gewissermaßen zum Goethe der Sozialwissenschaften für Maximen und Reflexionen“ geworden (Lepsius 2016, S. 3). Thomas Schwinns Argumente für eine unverkennbare „Klassikerdämmerung“ (Schwinn 2020, S. 374) sind nicht leicht von der Hand zu weisen: Das Ende der „großen Erzählungen“ auch in den Sozialwissenschaften befördert den Bedeutungsverlust der soziologischen Theorie und ihrer Klassiker, während sich zugleich die Dominanz der empirischen Sozialforschung gravierend verstärkt hat. Ein Fokus auf die Klassiker und ihre Themen verträgt sich schlecht mit den Karriere- und Reputationsmechanismen des heutigen sozialwissenschaftlichen Betriebs.

Schwinns Befund stützt sich jedoch auch auf die wachsende Kritik an Kernannahmen und -aussagen in Webers Schriften selbst (ebd., S. 372). Hier ist zunächst daran zu erinnern, dass Webers unikale internationale Erfolgsgeschichte im 20. Jahrhundert stets auch eine Geschichte der innerdisziplinären Kritik durch und mit Weber war: Sein Klassikerstatus beruhte nicht unwesentlich darauf, dass er in zahlreichen Fällen Anknüpfungspunkte für die Kritik an hegemonialen Modellen und Praxen von Sozialwissenschaft bot (und möglicherweise immer noch bietet), wie David Zaret (1994) für die Entwicklung der theoretischen Soziologie in den USA zeigen konnte. Aber zweifellos ändern sich mit der „Provinzialisierung Europas“ (Chakrabarty 2010) und der zunehmenden Transnationalisierung des soziologischen Horizontes die Koordinaten der Kritik an den historisch zeitbedingten Zügen und Grenzen des Weber’schen Werkes und seinen impliziten eurozentrischen Prämissen auch auf epistemologischer und sozialontologischer Ebene.

Schließlich sieht Schwinn das nachlassende Interesse am Klassiker Weber auch in der seit den 1970er-Jahren „institutionell gesicherten und sich verselbständigenden Weberrezeption“ (Schwinn 2020, S. 362) selbst begründet, die die großen Theoriedebatten in Deutschland lange Zeit mitprägte. Der Forschungsstand zu Entstehungskontext, Werksystematik, Biographie und Rezeptionsgeschichte, der dabei erreicht wurde, sei beeindruckend und einschüchternd zugleich. Der Preis bestehe jedoch in einer partiellen Abkopplung und Abschottung gegenüber den Herausforderungen der Soziologie als Gegenwartsanalyse und gegenüber den jüngeren Theoriedebatten des Faches. Hinzu komme, dass die Weber-Renaissance der 1970er- und 1980er-Jahre das Projekt einer Generation war, die inzwischen weitgehend aus dem Wissenschaftsbetrieb ausgeschieden sei.

So überzeugend diese Befunde sind, lädt Schwinns Argumentation dennoch zu Widerspruch ein. Die starke Konzentration auf die deutsche Weber-Forschung verschattet etwas die von ihm durchaus registrierte Tatsache, dass der „Klassiker Weber“ bereits seit längerem Globalisierungstendenzen unterliegt. Auch wenn es durchaus richtig ist, dass die „deutsch-amerikanische Forschung […] die Drehscheibe der internationalen Weber-Diskussion“ ist (ebd., S. 362 f.), handelt es sich bei der weltweiten Weber-Rezeption nicht einfach um eine „nachholende Entwicklung“, sondern um eine kreative Aneignung im Lichte veränderterer lokaler und globaler Kulturprobleme. Einmal abgesehen von den sprachlichen Übersetzungsschwierigkeiten wird der chinesische oder iranische „Klassiker Weber“ ein anderer sein als der amerikanische oder deutsche. Aus der Geschichte der westeuropäischen und amerikanischen Weber-Rezeption kann man die Langwierigkeit und Hybridität solcher kulturellen Übersetzungs- und Kanonbildungsprozesse ablesen.

Schwinn bettet seine These von der Klassikerdämmerung Webers in ein institutionalistisches Narrativ der Geschichte der deutschen Soziologie ein. Die Institutionalisierung und Konsolidierung der Disziplin in der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft waren zugleich auch die Konstitutionsgeschichte des soziologischen Klassikers Weber. Formativ für das Fach und seinen herausragenden Klassiker war der Zeitraum vom Heidelberger Soziologentag 1964 („Max Weber und die deutsche Soziologie“) bis zum 17. Deutschen Soziologentag 1974 in Kassel („Zwischenbilanz der Soziologie“). In M. Rainer Lepsius’ (2017 [1974]) Eröffnungsansprache als DGS-Vorsitzender in Kassel scheinen all die Entwicklungen, Konflikte und Kontroversen auf, die letztlich in eine Konsolidierung des Faches „im Schatten“ Max Webers mündeten. Aber Weber taugt eben nicht nur zum Klassiker der Disziplin Soziologie – das könnte eine der konstruktiven Folgerungen aus der ebenso „antisoziologischen“ wie einflussreichen Weber-Interpretation von Wilhelm Hennis (1987, 1996) sein. Die ambivalente, jedoch stetig wachsende Bedeutung Webers in der politikwissenschaftlichen Theoriebildung nach 1945, die man von Wolfgang J. Mommsens Studie Max Weber und die deutsche Politik (2004 [1959]) über Hennis’ Arbeiten bis hin zu Philip Manows (2020) jüngster, recht kritisch ausfallender demokratietheoretischer (Re‑)Lektüre Webers nachzeichnen könnte, lässt sich wohl kaum unter die griffige Formel der „Klassikerdämmerung“ subsumieren. Ähnliches ließe sich für viele weitere disziplinäre Diskurse zeigen. Wenn die Zeichen nicht völlig täuschen, behauptet Weber seinen Status als ein klassischer Autor auch im wichtigsten Trend der gegenwärtigen Wissenschaftsentwicklung: der Inter- und Transdisziplinarisierung der kultur- und sozialwissenschaftlichen Wissensproduktion.

Das Berliner Journal für Soziologie hat von jeher in der kritischen Befragung klassischer Autor*innen auf ihren Stellenwert in der Disziplingeschichte und auf ihren Beitrag zu aktuellen Diskussionen eine seiner zentralen Aufgaben gesehen. Die Beiträge des vorliegenden Heftes gehen nicht nur auf den Anlass des 100. Todestages von Max Weber zurück, sondern auch auf den erfolgreichen Abschluss des editorischen Großprojektes der Max Weber-Gesamtausgabe (MWG) pünktlich zum Jubiläumsjahr. In einem Review-Essay stellt Wolfgang Schluchter, der Nestor der deutschen Weber-Forschung, die Etappen der Editionsgeschichte des Weber’schen Werkes in konziser Form dar, von den Anfängen der Hermeneutik der nachgelassenen Manuskripte in den 1920er-Jahren über die Veröffentlichung der verschiedenen Versionen von Wirtschaft und Gesellschaft bis hin zu den zentralen Erkenntnissen der fast 50-jährigen Arbeit an der MWG. Dass die Edition der Gesamtausgabe Jahrzehnte in Anspruch nehmen würde, habe in den 1970er-Jahren, als der Herausgeberkreis mit seiner Arbeit begann, niemand vorhergesehen. Über seine Arbeit im Herausgeberkreis und seine eigenen Forschungen zu Weber spricht Schluchter anschließend ausführlich in einem Interview, das Hans-Peter Müller und Steffen Sigmund Anfang 2020 aus Anlass des Jubiläums und des unmittelbar bevorstehenden Erscheinens des letzten noch fehlenden Bandes der MWG geführt haben. Nach Reinhard Bendix ist Schluchter der Weberianer, der in seinem Werk die Idee eines Weber’schen Forschungsprogramms wohl am konsequentesten verfolgt hat. Dies lässt sich von Die Entwicklung des okzidentalen Rationalismus (Schluchter 1979) über Religion und Lebensführung (Schluchter 1988) bis hin zu seinem jüngsten Buch Mit Max Weber (Schluchter 2020) mit großer Klarheit nachvollziehen. Schluchter ist heute der herausragendste Vertreter einer Konzeption der Rezeption klassischer Autor*innen, die er selbst als „Theoriegeschichte in systematischer Absicht“ wiederholt ausführlich dargestellt hat (Schluchter 1988, 2006). Sehr aufschlussreich ist deshalb Schluchters Antwort auf die Frage der Interviewenden, was der Abschluss des editorischen Großprojektes MWG, das Teil seiner eigenen bleibenden wissenschaftlichen Leistung ist, für die weitere internationale Weber-Forschung und jene Forscher*innen bedeutet, die sich in Webers Denktradition verorten.

Die historisch-soziologische Debatte um „multiple modernities“ und die vergleichende Zivilisationsanalyse gehören heute sicherlich zu den vitalen sozialwissenschaftlichen Forschungsfeldern, die sich dem Weber-Paradigma zuordnen lassen. Johann P. Arnason, selbst ein profilierter Vertreter dieser Forschungsrichtung (2003, 2019, 2020), umreißt in seinem Beitrag die Problemstellungen und Grundannahmen einer interdisziplinären Zivilisationsanalyse, soweit sie sich auf die inzwischen selbst klassischen Vorarbeiten von Shmuel N. Eisenstadt zurückführen lässt. In Eisenstadts vergleichender Analyse von Zivilisationen sieht Arnason „das einzige Projekt im 20. Jahrhundert, das einen Vergleich mit dem Weber’schen Projekt standhält und eine grundlegende Verwandtschaft zu diesem aufweist“. Im Zuge seiner selbstkritischen Abkehr von der Modernisierungstheorie der 1950er- und 1960-Jahre revidierte Eisenstadt auch seine daran angelehnte Lektüre der Weber’schen Soziologie und Religionssoziologie als eine Typologie und Soziologie des Rationalismus und der Rationalisierung. Für eine weberianische Makrosoziologie kann es angesichts der komplexen Globalisierungsprozesse nicht mehr das übergreifende Erkenntnisziel sein, die Entstehung des okzidentalen Rationalismus als eine herausgehobene Sonderentwicklung in universalgeschichtlicher Perspektive zu erklären, die in eine singulär gedachte und zum Vorbild erhobene „moderne Gesellschaft“ bzw. „Moderne“ einmündete. Arnason systematisiert den komplexen Entwicklungsweg der Eisenstadt’schen Perspektive, die für ihn in einigen entscheidenden Punkten über Weber hinausweist, aber auch dessen bleibende Verdienste und Stärken offenbart.

Wie eine konzeptionell und methodologisch an Max Weber orientierte politische Soziologie ihr zeitdiagnostisches Potenzial entfalten kann, zeigt der Beitrag von Maurizio Bach. „Wie viel NSDAP steckt in der AfD?“, fragte vor einigen Jahren der Wahlforscher Jürgen W. Falter (2017) im Rahmen einer FAZ-Artikelserie zum Thema „Weimarer Verhältnisse?“ angesichts der rechtspopulistischen und neonationalistischen Tendenzen, von denen sich die bundesrepublikanische Demokratie seit einiger Zeit herausgefordert sah. Bach geht diesen Tendenzen und ihren Deutungen auf den Grund, indem er den von ihm mitentwickelten analytischen Idealtypus eines „faschistischen Minimums“ (vgl. Bach und Breuer 2010) zum synchronen und diachronen herrschaftssoziologischen Vergleich der politischen und sozialen Verhältnisse damals und heute nutzt. In seiner Zeitdiagnose der bundesrepublikanischen Gesellschaft kommt Bach zu dem Schluss, dass gemessen an diesem Idealtypus „von einer faschistischen oder faschistoiden Tendenz im heutigen Deutschland objektiv schwerlich die Rede sein kann“. Es sei vor allem das Wachstum der urbanen und kosmopolitischen Mittelschichtsegmente, die die These vom historischen Faschismus als „Extremismus der Mitte“ (S. M. Lipset) für die heutigen Verhältnisse eher obsolet werden lassen. Beunruhigt zeigt sich Bach jedoch über den gewachsenen „Staatsautoritarismus“, der durch die Corona-Politik induziert wurde und der Mentalität und dem Politikstil der rechtskonservativen Kräfte in Deutschland entgegenkomme.

Auf den ersten Blick gesehen scheinen Revolutionen und Revolutionäre nicht gerade ganz oben auf der Agenda der Themen Webers zu stehen, obwohl man in seiner Behandlung von Charisma und Prophetie durchaus Elemente einer transhistorischen Revolutionstheorie in nuce erkennen kann. Allerdings war Weber nicht nur an der russischen Revolution von 1905 brennend interessiert, sondern auch ein engagierter Zeitzeuge der revolutionären Ereignisse in Deutschland 1918/19, die er wiederholt pejorativ als „Karneval“ bezeichnete. Die Tatsache, dass sich die Politik und insbesondere eine politische Revolution immer auch des Mittels der Gewaltsamkeit bedienen, wirft mit besonderer Dringlichkeit die Frage nach der schwierigen Beziehung zwischen Ethik und Politik auf: „Haben sie, wie man gelegentlich gesagt hat, gar nichts miteinander zu tun? Oder ist es umgekehrt richtig, daß ‚dieselbe‘ Ethik für das politische Handeln wie für jedes andere gelte?“ – fragt Weber in Politik als Beruf (1992, S. 233). Vor dem Hintergrund der Urkatastrophe des Ersten Weltkrieges und der durch sie ausgelösten Welle an Revolutionen mit unterschiedlichen sozialistischen Einfärbungen forderten zwei Formen politisch-ethischen Handelns Webers Widerspruch heraus: zum einen radikal pazifistische und zum anderen radikal revolutionäre Positionen. Camilla Emmenegger geht in ihrem Beitrag, u.a. anhand der in der MWG edierten Briefe, Webers Sicht auf die politisch-revolutionäre Haltung von vier Personen nach, die teilweise Weber persönlich sehr nahestanden (Robert Michels), vorübergehend sein Interesse auf sich zogen (Ernst Frick, Ernst Toller) oder aber in öffentlichen Äußerungen mit der ganzen Wucht seiner politischen Ablehnung bedacht wurden (Karl Liebknecht). In ihren jeweiligen Haltungen und Handlungen spiegeln sich die Aporien und Dilemmata, aber auch die jeweils anders gelagerte Art von Realitätsverleugnung eines konsequent gesinnungsethischen oder eines konsequent erfolgsethischen Politikverständnisses wider, denen Weber erst in Politik als Beruf sein eigenes, politik- und wirklichkeitsadäquates Konzept der Verantwortungsethik entgegenstellte.

In seinem Besprechungsessay der beiden von Rita Aldenhoff-Hübinger und Edith Hanke herausgegebenen Bände „Reisebriefe 1877–1914“ und „Gelehrtenbriefe 1878–1920“ – einer Auswahl aus den elf Bänden der Abteilung II der MWG – macht Hans-Peter Müller anschaulich, dass man bei Webers Briefen tatsächlich von einem „Werk neben dem Werk“ sprechen kann, das Webers Person in ihrer Vielschichtigkeit als Privatmensch, Gelehrter und Politiker in großer historischer Authentizität aufscheinen lässt. Seine Reisebeobachtungen sind geradezu von Tocquevilleʼscher Anschaulichkeit und Präzision; in sie fließen häufig Konzepte und Erklärungen aus seinen wissenschaftlichen Schriften ein. Von Webers dreimonatiger Amerikareise 1904 war ja bereits seit längerem bekannt, welchen weitreichenden Einfluss sie auf sein politisches Denken und sein wissenschaftliches Werk hatte. Aber auch die Briefe von seinen zahlreichen Europareisen zeugen von seinem Erfahrungshunger und seinem Hang zur analytischen Durchdringung der sozialen und ökonomischen Verhältnisse. Die Gelehrtenbriefe wiederum lassen die inneren und äußeren Herausforderungen und Qualen einer bildungsbürgerlichen Gelehrtenexistenz transparent werden und dokumentieren Webers hohes, wertebasiertes persönliches Engagement in Politik und Wissenschaft. Insofern stellen die beiden Bände auch eine gut lesbare Einführungslektüre in die MWG dar.

Abschließend gibt es noch etwas in eigener Sache zu vermelden: Mit Abschluss des Jahrganges 2020 ist Hans-Peter Müller auf eigenen Wunsch aus dem Herausgeber*innenkreis des Berliner Journals für Soziologie ausgeschieden. Hans-Peter Müller war von 1993 bis 2018 Geschäftsführender Herausgeber des Journals. Er hat die Zeitschrift nach Antritt seiner Professur am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin sofort als integralen Bestandteil seiner Rolle beim Neuaufbau der Sozialwissenschaften in Berlin und Ostdeutschland angesehen und in den 25 Jahren seiner umsichtigen und engagierten Leitung des Journals keinen Aufwand gescheut, seine knappen Lehrstuhlressourcen für das redaktionelle Tagesgeschäft der Zeitschrift einzusetzen. Hans-Peter Müller hat zur konzeptionellen und inhaltlichen Profilierung des BJS einen unschätzbaren Beitrag geleistet: Ohne ihn wäre das BJS nicht zu dem international anerkannten soziologischen Fachjournal geworden, das es heute ist. Mit dem für ihn charakteristischen Einsatz und Tempo versorgte er das Journal mit interessanten Themen, Schwerpunkten und Autor*innen und in Manuskriptnotzeiten zuweilen auch mit einem zusätzlichen eigenen Beitrag – immer in der hohen Qualität und Originalität, die ihn als soziologischen Autor von internationalem Rang bekannt gemacht haben. Dafür möchte ich Dir, lieber Hans-Peter, im Namen aller Herausgeber*innen und der Redaktion noch einmal unseren herzlichsten Dank aussprechen! Glücklicherweise bleibst Du uns und der Zeitschrift in anderer Funktion weiterhin erhalten: Als neuer Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des BJS bist Du gerade dabei, dieses wichtige Gremium einer Fachzeitschrift zu reorganisieren und in ein mitarbeitendes Forum internationaler Soziolog*innen zu verwandeln. Wir freuen uns auf diese weitere Zusammenarbeit mit Dir.