1 Einleitung

In der Diskussion über die Veränderung von Belastungskonstellationen in der Arbeitswelt lässt sich seit einigen Jahren eine Aufmerksamkeitsverschiebung beobachten: Während lange Zeit, besonders unter den Stichworten der Prekarisierung und Flexibilisierung, der Wandel von Beschäftigungsbedingungen diskutiert wurde (Castel und Dörre 2009), werden gegenwärtig vermehrt Fragen der Qualität von Arbeit sowie der Arbeitsinhalte angesprochen (Fuchs 2012; Nies 2015; Sauer 2011). Damit erfährt auch die Frage nach dem Sinn in der Arbeit eine Renaissance (Hardering et al. 2015; Badura et al. 2018). In jüngeren Beiträgen über den Zustand der Arbeitswelt wird argumentiert, dass sich bei Beschäftigten Erfahrungen des Sinnverlustes und der Entfremdung häufen, deren Ursachen u. a. in veränderten Belastungskonstellationen liegen (Rosa 2013; Kämpf 2015). Diese Entfremdungserfahrungen werden vielfach als Vorboten des Burnouts oder der Depression thematisiert und herangezogen, um das vermehrte Auftreten psychischer Erkrankungen zu erklären (Rosa 2016; Henning 2015; Jerich 2008). Zudem wird davon ausgegangen, dass sich derlei Erfahrungen gleichermaßen in sämtlichen Bereichen der Arbeitswelt finden: Galten früher primär geringqualifizierte Tätigkeiten als potenzielles Sinnverlustrisiko, wird nun konstatiert, dass derartige Gefühle auch unter Hochqualifizierten aufkommen, wenn sie ihre die Arbeit nicht mehr hinreichend qualitätsvoll erledigen zu können glauben (Kämpf 2015; Voß et al. 2013; Voß und Handrich 2013). Verdichtet finden sich diese Tendenzen im Bild von professionell Beschäftigten, die durch den steigenden Arbeitsdruck und die Zunahme managerialer Aufgabenanteile kaum mehr zu ihrer „eigentlichen“ Aufgabe kommen – und daraufhin über die Sinnentleerung ihrer Profession und Arbeit klagen. So treffend dieses Bild in vielerlei Hinsicht ist, bleibt problematisch, dass Unterschiede im Arbeitserleben vielfach kaum berücksichtigt werden. So entsteht der Eindruck, dass sich aufseiten der Beschäftigten eine einheitliche Tendenz zum subjektiven Sinnverlust beobachten lässt und die Aneignung der Arbeit allgemein zunehmend erschwert wird.

In diesem Beitrag verfolgen wir das Ziel, die These vom Sinnverlust aufzubrechen und zu ihrer konzeptionellen Differenzierung beizutragen. Gegenstand des Beitrages ist somit die subjektive Gestaltungsdimension von Arbeit. Ausgehend von dem wiederkehrenden Befund in der Arbeitsforschung, dass Beschäftigte ihre Ansprüche an Arbeit auch unter schwierigen Bedingungen verteidigen (Bailey und Madden 2015; Isaksen 2000; Leithäuser 1986), fragen wir, inwieweit sich unterschiedliche Aneignungsweisen von Arbeit differenzieren lassen und mit welchem Selbstverständnis der Sinn in der Arbeit von den Beschäftigten gesucht und neu definiert wird. Unter Aneignungsweisen bzw. Modi der Aneignung verstehen wir die Wahrnehmung und Umsetzung eigener Möglichkeiten, die Arbeit gemäß eigener Vorstellungen und Ansprüche zu gestalten. Das Konzept der Aneignungsweisen schließt an ein Subjektverständnis an, das das individuelle Vermögen der Deutung und Neudeutung von Wirklichkeit sowie die subjektiven Gestaltungschancen bei der Aneignung von Arbeit ins Zentrum stellt (Frey 2010). Damit wird an ältere Traditionslinien der deutschsprachigen Arbeitsforschung (Leithäuser 1986; Senghaas-Knobloch et al. 1997) sowie die internationale „Meaningful Work“-Diskussion (Isaksen 2000; Rosso et al. 2010) angeschlossen, die beide die Aushandlungen von Sinn in der Arbeit untersuchen. Wir nutzen diesen Zugang, da er im Gegensatz zu anderen Herangehensweisen nicht ausschließlich auf die neuen Begrenzungen und Einschränkungen handelnder Akteure fokussiert. Uns geht es darum, über die idealtypische Unterscheidung von Aneignungsweisen zu einem differenzierteren Verständnis der sinnhaften Aneignung von Arbeit unter Bedingungen hoher Belastung zu gelangen. Gleichzeitig werden mit jeder Aneignungsweise auch deren Schattenseiten und Ambivalenzen beschrieben und die Rekonstruktion der unterschiedlichen Typen so um die Darstellung charakteristischer Problemlagen ergänzt, womit sich eine kritische Perspektive auf die unterschiedlichen Aneignungsweisen eröffnet.

Die Untersuchung richtet sich auf Hochqualifizierte und ist im Feld professioneller Dienstleistungsarbeit angesiedelt. Für diese Gruppen wird angenommen, dass aufgrund der Veränderungen der Arbeitsbedingungen die Aneignung der Arbeit zunehmend erschwert ist und sich Erfahrungen von Sinnverlust zeigen. Es wird davon ausgegangen, dass noch stärker als in anderen Beschäftigungssegmenten die veränderten Arbeitsbedingungen in diesem Bereich mit einem Wandel der professionellen Identität verbunden sind, durch den zentrale und für die jeweilige Profession charakteristische Orientierungen zunehmend unter Druck geraten (Maio 2014; Voß 2012). Auf Basis der Analyse von 40 Interviews mit ÄrztInnen und SozialarbeiterInnen in Führungspositionen (nähere Informationen zum Sample siehe Tabelle 1) wird eine Typologie erarbeitet, die idealtypisch verdichtete Formen der Aneignungsweisen von Arbeit differenziert.

Der Beitrag schließt an die aktuelle und kontrovers geführte Debatte über das Sinnerleben in der Arbeitswelt an, in der gegenläufige Befunde relativ unvermittelt nebeneinanderstehen und aus der sich bisher kein konsistentes Bild ergibt. Mit unserem Beitrag schärfen wir das Verständnis für die individuellen Sinnzuschreibungsprozesse: Erstens argumentieren wir, dass das Sinnerleben in hohem Maße identitätsrelevant ist. Im Prozess der Sinnzuschreibung offenbart sich der Wunsch, sich Arbeit zu eigen zu machen und eine positive Arbeitsidentität zu entwickeln. Die rekonstruierten Aneignungsweisen richten sich auf die subjektive Beziehung zur Arbeit; ein einfacher Rückschluss vom Sinnerleben auf die Arbeitsbedingungen ist somit nicht möglich. Zweitens beziehen sich die individuellen Sinnzuschreibungen auf je andere kulturell eingelagerte Werte, Normen und Rollenvorstellungen und gehen mit divergierenden Erwartungen an Arbeit einher. D. h. es zeigen sich unterschiedliche Bezugnahmen auf divergierende Arbeitsvorstellungen. Drittens gehen Aneignungsprozesse mit Ambivalenzen einher; ihre problematischen Folgen können sowohl durch die Akteure selbst als auch aus einer externen Perspektive kritisiert werden.

Zunächst gehen wir auf den Forschungskontext der Untersuchung ein und verorten die Analyse von Aneignungsweisen in der arbeitssoziologischen Forschung zu Arbeitsbewusstsein und Arbeitsorientierungen sowie insbesondere zum Sinn in der Arbeit. In einem nächsten Schritt beschreiben wir das von uns genutzte Konzept der Aneignungsweisen als zentrale Form der sinnhaften wie auch praktischen Anverwandlung von Arbeit. Schließlich stellen wir unsere Typologie dreier unterschiedlicher Aneignungsweisen vor, denen wir zugleich typische Ambivalenzen zuordnen. In der abschließenden Diskussion gehen wir ausführlich auf die Implikationen unserer Befunde für die Arbeitsforschung ein. Dabei setzen wir unsere Ergebnisse ins Verhältnis zu aktuellen Untersuchungen über professionelle Arbeit; zudem diskutieren wir theoretische und methodische Schlussfolgerungen für eine kritische Erforschung des Sinnerlebens von Beschäftigten.

2 Arbeitsorientierungen und Sinn in der Arbeit

Die Frage, inwieweit Beschäftigte ihre Arbeit als sinnvoll erleben und wie sie sich ihre Arbeit aneignen, lässt sich der arbeitssoziologischen Forschung über die Subjektivität von Arbeitenden zuordnen (Böhle und Senghaas-Knobloch 2019; Kleemann und Voß 2010). Im Zentrum stehen hier das Verständnis des Zusammenspiels von Arbeit und Subjektivität, wozu Prozesse der Subjektivierung von Arbeit, Arbeitsorientierungen oder das Arbeitsbewusstsein von Beschäftigten zählen. Solche Fragen gewinnen seit geraumer Zeit wieder an Gewicht, und diverse Arbeiten thematisieren die Ansprüche von Beschäftigten, ihre Sichtweisen auf Arbeit sowie ihre Vorstellungen von guter und sinnvoller Arbeit (Baethge 1991; Hürtgen und Voswinkel 2014; Heiden und Jürgens 2013; Jürgens 2014; Kratzer et al. 2015; Hardering 2017). Für die in diesem Beitrag adressierte Frage nach den Aneignungsweisen sind es vor allem zwei Forschungsfelder, an die wir konzeptionell anknüpfen: erstens die Forschung zu grundlegenden Orientierungen in Bezug auf Arbeit und zweitens die Forschung zu subjektivem Sinn in der Arbeit.

2.1 Arbeitsorientierungen von Beschäftigten

Die frühe Diskussion über Arbeitsorientierungen war maßgeblich durch das Instrumentalismustheorem von Goldthorpe et al. (1968) beeinflusst. In der Studie über den „affluent worker“ wurde bei jungen Industriearbeitern eine instrumentelle Sicht auf Arbeit identifiziert, nach der Arbeit nur ein Mittel zum Zweck, d. h. zur Erfüllung außerarbeitsweltlicher Ansprüche ist. Dagegen argumentierten Schumann et al. (1982), dass sich ein doppelter Bezug auf Arbeit findet: Beschäftigte seien sowohl an materiellen Aspekten (Arbeitskraftperspektive) als auch an Arbeitsinhalten (Subjektperspektive) interessiert. In eine andere Richtung geht die Untersuchung von Bellah et al. (1985), in der gezeigt wurde, dass Beschäftigte ihre Arbeit entweder primär als „job“, „career“ oder „calling“ interpretieren: Deuten sie ihre Arbeit als „job“, ist ihre Arbeit für sie, analog zur These einer instrumentellen Orientierung, primär Mittel zum Zweck. „Career“ steht für die Fokussierung auf das berufliche Weiterkommen, und mit „calling“ ist die Betrachtung der Arbeit als Berufung angesprochen. Unterschiedliche Sichtweisen auf Arbeit sind auch Gegenstand der Studie über Lebensorientierungen von Hürtgen und Voswinkel (2014). Ihr Konzept der „Lebensorientierungen“ löst sich vom engen Bezug auf Arbeit und stellt fünf Orientierungen mit diversen Subformen vor. Darunter finden sich Orientierungen am beruflichen Aufstieg, an der Balance im Leben wie auch an der Herstellung von Sicherheit.

Die beschriebenen Studien eint, dass sie verschiedene primäre Bedeutungszuschreibungen an Arbeit differenzieren. Unsere Untersuchung von Aneignungsweisen von Arbeit schließt an diese Forschungen an und zielt darauf, unterschiedliche Muster in den Sichtweisen auf Arbeit zu identifizieren. Eine im Kontext von Arbeitsorientierungen häufig diskutierte Frage ist, inwieweit das Arbeitsbewusstsein und die Arbeitsorientierungen durch die konkreten Arbeitsbedingungen bestimmt werden oder ob vielmehr gesellschaftliche, klassenbezogene oder biografische Einflussgrößen entscheidend sind. Dahinter steht die grundsätzlichere Frage nach dem Stellenwert solcher Orientierungen, d. h. die Frage, inwieweit diese als Ausdruck von tätigkeitsspezifischen Aneignungsmöglichkeiten oder als diesen vorgängig zu verstehen sind.Footnote 1 Uns geht es dabei nicht um eine einseitige Auflösung dieser Herkunftsfrage; vielmehr sehen wir Arbeitsorientierungen als Produkt vorgängiger biografischer Orientierungen und aktueller Realisierungspotenziale in der Arbeit.

2.2 Subjektiver Sinn in der Arbeit

Die Auseinandersetzung mit dem Sinn in der Arbeit lässt sich der Forschung über arbeitsinhaltliche Orientierungen zuordnen. Dabei finden sich verschiedene Positionen, die die Erfahrung von Sinn nicht als passives Erleben begreifen, sondern die subjektive Zuschreibung von Sinn in den Blick nehmen (Hardering 2015). In der wissenschaftlichen Debatte werden für die Zuschreibung von Sinn unterschiedliche Gründe genannt. So wird zum einen auf die Bewältigung von Arbeitsbelastungen und die Herstellung von Handlungsfähigkeit verwiesen (Isaksen 2000; Leithäuser 1986; Park und Folkman 1997), zum anderen auf das Bedürfnis von Menschen, eine positive Arbeitsidentität herzustellen (Dutton et al. 2010). Gemein ist beiden Perspektiven, dass sie von einer permanenten Auseinandersetzung mit den konkreten Arbeitsbedingungen sowie mit den die Arbeit rahmenden kulturellen Deutungsgehalten ausgehen. Sinn ist damit immer das Ergebnis subjektiver Deutungs‑, Zuschreibungs- und Gestaltungsleistungen. Danach verteidigen Subjekte ihre Ansprüche an Arbeit und suchen immer wieder nach neuen Möglichkeiten, diese Ansprüche aufrecht zu erhalten, selbst wenn vormaligen Bedeutungszuschreibungen durch betriebliche Veränderungsprozesse der Boden entzogen wird.

Beispielhaft zeigt sich die Verteidigung von Sinnansprüchen in den Untersuchungen zur „betrieblichen Lebenswelt“ (Senghaas-Knobloch et al. 1997; Volmerg et al. 1986), in denen verschiedene Deutungsmechanismen herausgearbeitet wurden, mittels derer ArbeiterInnen negative Aspekte der Arbeit abfedern und positive Aufgabenanteile aufwerten. Solche Prozesse wurden verschiedentlich als „arbeitsbedingte Bewältigungsformen“ oder „Strategie[n] der Selbstfürsorge“ (Leithäuser 1986, S. 248) bezeichnet. Die ForscherInnen konnten zeigen, wie mittels solcher Praktiken die subjektive Aufmerksamkeit auf eine abstraktere Ebene verschoben wird, die sich nicht länger auf die konkrete Arbeitssituation, sondern auf die positiv konnotierten Aspekte von Arbeit insgesamt richtet. Becker-Schmidt et al. (1982) berichten in analoger Weise über Akkordarbeiterinnen, die bei ihrer Arbeit den Nutzen ihrer Tätigkeit für die Konsumenten reflektieren. Gedanklich begeben sie sich in die Rolle potenzieller KundInnen und leiten aus deren Ansprüchen an ein gutes Produkt Handlungsorientierungen für ein sorgfältiges und gewissenhaftes Arbeiten ab. Damit fügen sie ihrer Arbeit einen neuen Bedeutungsrahmen hinzu. Die Bedeutsamkeit der Tätigkeit wird neu justiert und über das Erleben der konkreten Arbeitssituation gelegt. Es ist so weniger die Arbeit selbst, die Identifikation ermöglicht, sondern eher das Vermögen der ArbeiterInnen, sie unter Bezug auf vorhandene Deutungsressourcen aufzuwerten. Eine ähnliche Sicht findet sich bei Isaksen (2000), der die Sinnfindung in repetitiven Tätigkeiten untersucht und verschiedene Arten der Sinnfindung identifizieren kann. Er streicht das Potenzial von Sinnzuschreibungen heraus, in belastenden Situationen als Mechanismus der Stressabwehr zu dienen. Einen etwas anderen Akzent setzt die „Dirty Work“-Forschung, in der es um stigmatisierte oder mit einem physischen, sozialen oder moralischen Makel behaftete Arbeit geht – insofern als für sie nicht Arbeitsbelastungen, sondern Identitätsbedrohungen durch Stigmatisierung im Zentrum stehen. Hier konnten ebenfalls verschiedene Strategien der Aufwertung und Umdeutung identifiziert werden, mittels derer das Stigma negativ assoziierter Berufe abgefedert wird (Ashforth und Kreiner 1999).

Die genannten Ansätze eint, dass als Ursache jeweils negative Bedrohungs- oder Belastungszustände genannt werden, denen dann mittels Praktiken der Sinnfindung begegnet wird. Die jüngere Forschung zu „job crafting“ zeigt in Ergänzung der obigen Ansätze, dass auch Gestaltungs- und Entwicklungsbedürfnisse subjektive Sinnzuschreibungsprozesse motivieren können (Berg et al. 2013; Wrzesniewski und Dutton 2001). Hier wird weniger von der Überwindung eines negativen Erlebenszustandes als von dem subjektiven Wunsch nach einem positiven Identitätsbild aus gedacht, der die Sinnzuschreibung motiviert (Dutton et al. 2010). Dennoch findet auch hier eine permanente Inbezugsetzung von Arbeitsbedingungen und Deutungsressourcen statt. Anders als bei der Frage nach Arbeitsorientierungen wird in der Forschung zur Aufrechterhaltung des Sinns in der Arbeit also weniger nach übergreifenden Orientierungen, sondern vielmehr nach dem konkreten Umgang der Subjekte mit kulturellen Deutungsangeboten gefragt. Für unsere Auseinandersetzung mit Aneignungsweisen von Arbeit bilden diese Studien einen wichtigen Bezugspunkt, da sie die konkrete Praxis der Anverwandlung von Arbeit auf einer feingranularen Ebene in den Blick nehmen.

3 Forschungsperspektive: Aneignungsweisen von Arbeit und subjektiver Sinn in der Arbeit

In der Arbeitsforschung wird in ganz unterschiedlicher Form auf das individuelle Bedürfnis von Beschäftigten verwiesen, sich die Arbeit anzueignen, einen positiven Bezug zu ihr herzustellen und den Lebensbereich Arbeit mit anderen Lebensbereichen zu verbinden. In der Vergangenheit wurde der Aneignungsbegriff vereinzelt aufgegriffen, ohne dass er selbst zum Gegenstand systematischer Betrachtung wurde (vgl. Frey 2010). Allerdings finden sich in jüngerer Zeit u. a. im Anschluss an Jaeggi (2005) Arbeiten, die Aneignung als Konzept heranziehen (Flick 2013; Frey 2009, 2010; Hardering 2015; Voswinkel 2015, 2019). Jaeggi hat Aneignung als „Art und Weise, sich zu sich und zur Welt in Beziehung zu setzen“ (Jaeggi 2005, S. 54), definiert. Aneignung steht somit dafür, sich die Welt „zu eigen“ zu machen (ebd., S. 56). Bei Becker-Schmidt et al. (1983) findet sich darüber hinaus ein Aneignungsverständnis mit konkretem Bezug zur Arbeit, welches Aneignung als „Nach-Innen-Nehmen von Erfahrungen“ definiert und als Dynamik zwischen „Selbsterweiterung“ und „Bemächtigung“ beschreibt (ebd., S. 415). Solche Aneignungspraktiken reichen über bloßes Wissen hinaus; es geht vielmehr um eine wechselseitige Durchdringung und Identifikation. Insofern kann Aneignung nie ohne das aktive Dazutun des Subjektes gelingen (Jaeggi 2005). Sobald sich Aneignungsprozesse vollziehen, wirken sie zudem sowohl zurück auf den anzueignenden Gegenstand als auch auf das Subjekt. Die genannten Autoren greifen dieses Moment explizit auf, insofern Aneignung ein transformativer Charakter zugesprochen wird (Frey 2010; Jaeggi 2005; Leu 1989). Frey (2009) hat, bezugnehmend auf Leu (1989), außerdem hervorgehoben, dass Aneignung alle Dimensionen menschlicher Welterschließung – Denken, Erleben und Handeln – umfasst.

Das Aneignungskonzept ist weit gefasst und dementsprechend offen für sämtliche Arten der Anverwandlung von Arbeit. Insofern der Akzent des Konzeptes immer auf der Wechselbeziehung zwischen einem anzueignenden Außen und dem Subjekt liegt, welches deutend und handelnd Strukturen transformiert, kann Aneignung bezogen auf die Arbeitswelt als Prozess des Bedeutsam-Machens von Arbeit gefasst werden (Hardering 2018). Arbeit wird nach diesem Verständnis von Beschäftigten bedeutsam gemacht, ihr wird Sinn zugeschrieben, und sie wird so gestaltet, dass sie als subjektiv sinnvoll erlebbar wird. Primär geht es dabei um die aktive Suche nach und Herstellung von Beziehungen zwischen der Arbeit und der eigenen Identität, d. h. es werden Übereinstimmungen zwischen Arbeitsanforderungen und identitären Bedürfnissen hergestellt und so Resonanzflächen in der Arbeit aufgespürt.

Unser Konzept der Aneignungsweisen schließt an dieses Verständnis von Aneignung an: Unter Aneignungsweisen von Arbeit werden unterschiedliche Möglichkeiten verstanden, die eigene Tätigkeit zu gestalten und subjektive Ansprüche an Arbeit umzusetzen. Ein zentraler Aspekt der Aneignungsweise ist die Sicht auf Arbeit im Allgemeinen sowie auf die Gestaltungsmöglichkeiten, die man in Bezug auf die eigene Beschäftigung wahrnimmt. So kann die eigene Arbeit als Ort der Gestaltung begriffen werden oder als Ort, der von Restriktionen und nahezu unveränderbaren Strukturen geprägt ist. Neben der Interpretation der vorherrschenden Strukturen und ihrer Gestaltbarkeit macht es zudem einen Unterschied, mit welcher Verve man die eigenen Ansprüche an Arbeit aufrechterhält und für sie kämpft. Weiterhin unterscheiden sich Aneignungsweisen darin, welche Wichtigkeit sie bestimmten grundlegenden Aspekten von Arbeit zumessen, wie der Umsetzung bestimmter Arbeitsinhalte, der Zufriedenheit bei der Arbeitsausführung oder der Möglichkeit, Beruf und Privates zu vereinbaren. Auch wenn jeder Beschäftigte zu all diesen Aspekten eine eigene Position hat, kommt ihnen doch subjektiv jeweils eine unterschiedliche Wichtigkeit zu. Die unterschiedlichen Aneignungsweisen stehen so für das individuelle Bemühen, eine plausible Sicht auf sich selbst und die Arbeit zu entwerfen, die gleichzeitig Handlungsfähigkeit ermöglicht.

Neben der Unterscheidung einzelner Typen von Aneignungsweisen geht es uns auch um die Ambivalenzen, die mit ihnen verbunden sind: In den Interviews offenbaren sich charakteristische Herausforderungen, die mit den Aneignungsweisen von Arbeit korrespondieren. So zeigen sich beispielsweise spezifische Folgen für das Privatleben, oder es finden sich Hinweise auf physische und psychische Beeinträchtigungen. Im Sinne einer kritischen Analyse der Aneignungsweisen von Beschäftigten und ihrer Konsequenzen gehen wir auf diese Ambivalenzen, die sich in den Fällen dokumentieren und z. T. auch von den Akteuren selbst thematisiert werden, ein und ordnen sie, ebenfalls idealtypisch zugespitzt, den verschiedenen Aneignungsweisen zu. Wir nehmen dazu eine Kritikperspektive ein, die an den konkreten Erfahrungen und Bewertungen der Beschäftigten ansetzt, gleichzeitig aber im Sinne einer kritischen Soziologie darüber hinausweist, indem sie den Subjekten teilweise verborgene problematische Konstellationen aufzeigt. Verortet man diese Perspektive im Spektrum kritischer Sozialforschung, so lässt sie sich als Verbindung zwischen der Perspektive der kritischen Soziologie Bourdieus und der Soziologie der Kritik (Boltanski 2010) beschreiben.

4 Hochqualifizierte Dienstleistungsarbeit unter Druck

Hochqualifizierte Beschäftigte galten lange Zeit als privilegierte Gruppe innerhalb des GesamtarbeitsmarktesFootnote 2. Durch das Fehlen von körperlichen und psychischen Belastungen, die vielfach mit geringqualifizierten Tätigkeiten einhergehen, konnte der Eindruck entstehen, die Arbeit von Hochqualifizierten, besonders im Dienstleistungsbereich, sei beispielhaft für die Realisierung guter Arbeit (Boes et al. 2011; Kratzer und Dunkel 2013). Studien, die in den 1970er- und 1980er-Jahren im Bereich der Angestellten- und Berufssoziologie entstanden, sprachen dieser Gruppe zu, weniger von den Kontrollstrategien des Managements und Rationalisierungsprozessen betroffen zu sein. Zudem galten die Beschäftigungsverhältnisse als sicher und stabil (z. B. Baethge und Overbeck 1986; Berger und Offe 1981). Höherqualifizierung und Akademisierung galten als Garanten für gute Arbeit, sodass die Hochqualifizierten als die Gewinner zukünftiger Entwicklungen gesehen wurden (exempl. Bell 1975; Reich 1991).

Seit einigen Jahren wird die privilegierte Position von Hochqualifizierten in der Arbeitswelt allerdings infrage gestellt (Boes und Kämpf 2010). Als besonders folgenreich für die Arbeit von Hochqualifizierten mit hoher Autonomie gilt dabei die Implementation eines „marktzentrierten Kontrollmodus“ (Marrs 2008), der mit neuen Steuerungsformen einhergeht (Glißmann und Peters 2001). Dies führt dazu, dass Hochqualifizierte sich vermehrt mit Kennzahlen und Erfolgsindikatoren ihrer jeweiligen Abteilungen auseinandersetzen müssen und gefordert sind, eine aktive Rolle im Umgang mit den neuen Marktanforderungen einzunehmen (Kratzer und Nies 2009). Die von ihnen erwartete Fähigkeit zur Selbststeuerung impliziert, dass die Hochqualifizierten die ihnen überantworteten Ziele wie Kostensenkungen oder Effizienzsteigerungen umsetzen müssen, ohne dass Fragen der konkreten Machbarkeit bzw. Umsetzbarkeit zuvor hinreichend geklärt wurden (Kratzer und Dunkel 2013). Konkret heißt Selbststeuerung vielfach, dass für die Organisation unerreichbare Ziele formuliert werden, die eine dauerhafte Überlastung und damit Stress und Überforderung nach sich ziehen (ebd.). Mit dieser Anforderung zur Selbststeuerung gerät auch das berufliche und professionelle Selbstverständnis unter Druck: Die Beschäftigten müssen im Rahmen der Selbststeuerung unterschiedliche Interessen von Marktanforderungen über professionelle Erfordernisse bis hin zu Selbstsorgebedürfnissen austarieren.Footnote 3 Unter diesen Bedingungen werden gesundheitliche Belastungen bei hochqualifizierter Arbeit zunehmend virulent (exempl. Boes et al. 2011; Kämpf 2015; Voß et al. 2013; Voß und Handrich 2013; Gerlmaier und Latniak 2013).

Um einen Beitrag zur Analyse dieser Entwicklungen insbesondere mit Blick auf das Sinnerleben von hochqualifizierten Beschäftigten zu leisten, wurden zwei Felder professioneller Dienstleistungsarbeit ausgewählt, die gesellschaftlich wie monetär unterschiedliche Anerkennung erfahren: die medizinische Versorgung und die Soziale Arbeit. Gemeinsam ist beiden Feldern die hohe Interaktionsdichte mit anderen Menschen (KollegInnen, PatientInnen, KlientInnen), wodurch eine direkte Rückkopplung hinsichtlich der Arbeitsergebnisse möglich ist, die grundsätzlich als gute Voraussetzung für das Sinnerleben gilt (Böhle und Glaser 2006; Hardering 2017). In die gleiche Richtung wirken die hohe Autonomie in der Arbeit sowie die gesellschaftliche Relevanz des jeweiligen Berufsfeldes. Gleichzeitig sind die ÄrztInnen und SozialarbeiterInnen unserer Untersuchung aufgrund der organisationalen Veränderungen beider Felder (zu denen auch die Reform der Finanzierung gehört) einer fundamentalen Wandlung ihrer Arbeitsanforderungen wie auch ihres beruflichen Selbstverständnisses unterworfen (Löser-Priester 2003; Manzei et al. 2014) – die Rahmenbedingungen, innerhalb derer das Erleben sinnvoller Arbeit möglich ist, verändern sich (Will-Zocholl und Hardering 2018). Im Folgenden wird diese Entwicklung für beide Berufsfelder skizziert.

Im Bereich der medizinischen Versorgung in Krankenhäusern markiert die Einführung des Systems von Diagnosis Related Groups (DRGs) im Zuge der Gesundheitsreform ab 2003 ein wichtiges Ereignis, das kritisch als Abkehr von der Gemeinwohlorientierung des Gesundheitswesens diskutiert wird. Dies ist Teil einer breiter angelegten Unterwerfung dieses Sektors unter marktwirtschaftliche Prinzipien (Becker et al. 2016; Manzei et al. 2014; Schultheis und Gemperle 2014). Die Vergütung von Leistungen nach Fallpauschalen bedeutet eine Ablösung der Bezahlung nach Liegezeiten der PatientInnen; die Diagnose gibt demnach vor, welcher Satz mit den gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden kann. Für die leitenden ÄrztInnen bedeutet die Einführung der DRGs eine unmittelbare Konfrontation mit Fragen der Wirtschaftlichkeit ihrer Abteilung. Da eine adäquate Patientenversorgung jedoch oft nicht durch die Pauschalen gedeckt ist, entstehen Finanzierungslücken, und vorgegebene finanzielle Ziele können nicht erreicht werden. Dies bedeutet ein erhebliches Maß an Stress für die ÄrztInnen, da sie ökonomische und medizinische Argumente gegeneinander abwiegen müssen. Teilweise geht dieser Stress mit Beeinträchtigungen ihrer psychischen Gesundheit einher (Vogd 2014; Braun et al. 2008; Zwack 2013).

Aktuelle Veränderungen im Feld der Sozialen Arbeit sind ebenfalls geprägt von dessen zunehmend marktwirtschaftlicher Organisation. Sie haben ihren Ursprung in einem Paradigmenwechsel der Sozialpolitik hin zu einer dem New Public Management entliehenen Logik der Organisation sozialer und öffentlicher Dienste. Die Konsequenz ist eine Ökonomisierung der Sozialen Arbeit, die einerseits mit organisatorischen Veränderungen und andererseits mit der Redefinition professioneller Sozialer Arbeit einhergeht (Otto und Ziegler 2011; Manzei et al. 2014). So geraten bisher stabile Finanzierungs- und Zuständigkeitsmodelle in Bewegung, wenn z. B. Daueraufgaben permanent als neue Projekte be- und ausgeschrieben, Finanzierungen in kompetitiven Verfahren neu gesichert oder mit gedeckelten Finanzierungszuschüssen steigende Personalkosten bestritten werden müssen (Lutz 2008; Manzei et al. 2014). Zudem kommt es infolge verschärfter Vorgaben des Qualitätsmanagements und damit verbundener Dokumentationspflichten zu einer „Re-Bürokratisierung“ (Beckmann 2009) der Sozialen Arbeit. Zwar ergeben sich auch Chancen für eine Professionalisierung der Methoden und Arbeitsweisen in der Sozialen Arbeit (Dewe 2013), doch unter dem Strich lässt sich der Effekt der Vervielfältigung von Anforderungen hier ebenfalls an der Zunahme von Stress und psychischen Erkrankungen ablesen (Seithe 2012).

Sowohl ÄrztInnen als auch SozialarbeiterInnen sind dementsprechend mit hohen Belastungen durch Ökonomisierungsprozesse und strukturelle Veränderungen konfrontiert (Hardering 2017). Beide Gruppen verfügen aber gleichzeitig über ausgeprägte Ressourcen, wie Autonomie in der Arbeit und professionelle Bewältigungsstrategien sowie in je unterschiedlichem Maße über soziale Anerkennung, die dem Sinnerleben zuträglich sind. Im Angesicht neuer Belastungskonstellationen zeigt sich somit bei beiden Professionen eine Veränderung des beruflichen Selbstverständnisses (Vogd 2014; Albert 2006; Maio 2014).

5 Anlage der Untersuchung, Sample und Auswertung

Die Grundlage der entwickelten Typologie bilden 40 leitfadengestützte erwerbsbiografisch-narrationsorientierte Interviews mit ÄrztInnen und SozialarbeiterInnen in Führungspositionen, die im Rahmen eines ForschungsprojektesFootnote 4 in den Jahren 2014 und 2015 durchgeführt wurden. Ziel der Untersuchung war, ein tieferes Verständnis subjektiver Konzepte sinnvoller Arbeit sowie verschiedener Praktiken der Sinnzuschreibung an Arbeit zu gewinnen. Die Untersuchung beschränkte sich auf Führungskräfte unterschiedlicher Hierarchiestufen, um eine hohe Handlungsautonomie auch in der praktischen Arbeitsausführung zu gewährleisten.Footnote 5 Es wurden insgesamt 20 Interviews mit ÄrztInnen und 20 Interviews mit SozialarbeiterInnen geführt, davon je neun mit Frauen und 11 mit Männern. Das Durchschnittsalter der InterviewpartnerInnen betrug zum Interviewzeitpunkt 52 Jahre. In beiden Untersuchungsfeldern wurden Interviews in unterschiedlichen Bereichen geführt, um verschiedene Belastungsprofile in der Arbeit abzubilden. So arbeiteten die ÄrztInnen in Fachkliniken der Neurologie, Gynäkologie, Neurochirurgie, Palliativmedizin und Herz- und Gefäßchirurgie. Die SozialarbeiterInnen arbeiteten bei Einrichtungen öffentlicher, kirchlicher und privater Träger im Sozialdienst, der Jugendhilfe, der Familienberatung, der Suchthilfe und Bewährungshilfe. Die Interviewfragen zielten auf die Erwerbsbiografie, das aktuelle Arbeitserleben, die Belastungen und Ressourcen sowie die wahrgenommenen Veränderungen des jeweiligen Berufsfeldes im Kontext der Ökonomisierung. Zudem haben wir Verständnisse und Erfahrungsquellen sinnvoller Arbeit wie auch konkrete Strategien der Umdeutung von Arbeit und Praktiken subjektiver Arbeitsgestaltung erfragt. Die Durchführung der Interviews erfolgte in der Regel am Arbeitsplatz, die Dauer betrug zwischen 45 und 90 Minuten. Alle Interviews wurden vollständig transkribiert, anonymisiert und mithilfe von MAXQDA10 codiert.

Um verschiedene Aneignungsweisen von Arbeit zu verstehen und zu unterscheiden, richtete sich die Auswertung darauf, verdichtete und analytisch trennscharfe Idealtypen von Aneignungsweisen herauszuarbeiten. Der Prozess der Typenbildung folgte in seinen Grundzügen den Ausführungen in Kelle und Kluge (2010) und Przyborski und Wohlrab-Sahr (2013). Die Bildung von Idealtypen ermöglicht, verschiedene Typen und ihre Merkmale zugespitzt zu formulieren und darüber zu generalisierenden Annahmen zu kommen, die weiterer Forschung als Ausgangspunkt dienen können. Dazu wurden auf Basis der Interviews zunächst Fallanalysen erstellt, innerhalb derer der erwerbsbiografische Werdegang sowie die zentralen Themen und Konfliktfelder des Falles rekonstruiert wurden. Auf Basis der Fallanalysen wurden implizite Orientierungsmuster herausgearbeitet, die Aufschluss über basale Sichtweisen und Handlungsmuster geben. Als wesentliche Dimensionen für die Analyse der Aneignungsweisen erwiesen sich die Art und Weise, wie Sinn gesucht und hergestellt wurde, sowie die Wahrnehmung von Handlungsmöglichkeiten. Mit der Art der Sinnzuschreibung sind sowohl die Intensität individueller Job-Crafting-Aktivitäten wie auch die Orientierung an bestimmten Wertemustern angesprochen. Die Wahrnehmung der Handlungsmöglichkeiten bezieht sich darauf, inwieweit Gestaltungsspielräume gesehen und tatsächliche Veränderungsversuche als vielversprechend eingestuft werden. Für die idealtypische Verdichtung der Aneignungsweisen war die subjektive Sicht auf Gestaltungsmöglichkeiten und die Verortung als handelnde AkteurIn zentral. Die systematische Verdichtung verleiht den Idealtypen eine empirische „Erdung“; dennoch sind Letztere aufgrund des Abstraktionsprozesses als „constructed types“ (Kluge 2000; McKinney 1966) zu begreifen. Aus dem gleichen Grund ist auch eine Zuordnung einzelner Fälle zu den Idealtypen nicht möglich. Bezüglich der jeweiligen Ambivalenzen der Aneignungsweisen sind wir analog vorgegangen; auch hier haben wir den Idealtypen typische Konstellationen zugeordnet. Grundlage der Analyse waren dabei sowohl die Kritik, die die Akteure selbst geäußert haben, als auch bestimmte Problemlagen, die sich in den Fällen dokumentieren.

Die verschiedenen Idealtypen werden im Folgenden zunächst in allgemeiner Form beschrieben und anschließend mit empirischem Material aus unterschiedlichen Fällen unterfüttert.

6 Aneignungsweisen von Arbeit

Auf Basis der Fallanalysen wurden insgesamt drei Idealtypen herausgearbeitet, die je einen anderen Modus der Aneignung von Arbeit beschreiben: der Typus der „progressiven Sinngestaltung“ (A), der der „widerständigen Sinnbewahrung“ (B) sowie der der „pragmatischen Sinnbewahrung“ (C). Jeder Typ steht für eine spezifische Sichtweise auf die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten von Arbeit und für eine je eigene Form der primären Sinnzuschreibung in der Arbeit. Zudem zeigt die kritische Analyse, dass mit jedem Aneignungsmodus ambivalente Effekte einhergehen, die sich entweder bereits manifestieren oder sich als Möglichkeit abzeichnen. Tabelle 2 gibt eine Übersicht über die Idealtypen, deren Merkmale, Konsequenzen und Ambivalenzen im Folgenden ausführlich dargestellt werden.

Tab. 1 Übersicht Interview-Sample
Tab. 2 Modi der Aneignung von Arbeit

6.1 Progressive Sinngestaltung: beständige Suche nach Resonanzfeldern (A)

Die progressive Sinngestaltung ist dadurch gekennzeichnet, dass aktiv nach neuen Handlungsfeldern und damit nach alternativen Sinnquellen innerhalb der eigenen Arbeit gesucht wird. Die progressive SinngestalterIn nutzt vorhandene Gestaltungsmöglichkeiten, um ihre Arbeit entsprechend eigener Wert- und Zielansprüche zu gestalten. Ist die Aneignung blockiert, werden neue Möglichkeiten identifiziert, die eigenen Fähigkeiten einzubringen und Interessen zu verfolgen. Dabei kann, im Bestreben, den Gestaltungsanspruch zu realisieren, durchaus von etablierten Wertvorstellungen abgewichen werden, und es können neue Wertprioritäten gesetzt werden. So wird nicht nur die Arbeit auf neue Möglichkeiten der Identifikation hin überprüft, sondern auch die eigenen Wünsche, Erwartungen und Ansprüche werden auf den Prüfstand gestellt, um dadurch vielfältige Verbindungsmöglichkeiten zwischen der Arbeit und dem Selbst zuzulassen.

Dem Verständnis von Arbeit liegt die Vorstellung zugrunde, dass die eigene, innere Beziehung zur Arbeit das Resultat eigener Gestaltung ist. Dies zeigt sich auch in der Wahrnehmung struktureller Entwicklungen: Zwar werden negative Veränderungen der Arbeitsorganisation deutlich beklagt, allerdings werden diese eher als Herausforderungen gesehen, mit denen ein Umgang gefunden werden muss und denen gegebenenfalls durchaus positive Aspekte abgerungen werden können, wie das Beispiel einer Neurochirurgin zeigt:

Also, es ist natürlich im Gesundheitssystem auch für die Klinikleitungen sehr viel schwieriger geworden, also durch die Einführung des DRG-Systems, dadurch, dass eben einfach weniger Geld im Gesundheitssystem drin ist. Ich seh’ das nicht unbedingt negativ, weil früher war es ja so, dass im Grunde – und ich habe das als Assistenzärztin noch erlebt –, dass ein ärztlicher Direktor sich in keinster Weise irgendwie mit den wirtschaftlichen Aspekten seiner Klinik auseinandergesetzt hat. Die haben ein Budget bekommen, sie haben einfach irgendwie gehaushaltet, sie haben das Geld ausgegeben, wie es ihnen gepasst hat. (IW08)Footnote 6

Hier werden organisationale Veränderungen im Krankenhaus relativiert, indem sie mit negativen Aspekten der Vergangenheit kontrastiert werden. Wie sich im weiteren Interviewverlauf zeigt, ist die Neurochirurgin als leitende Oberärztin selbst im Management ihrer Fachklinik aktiv. Durch die intensive Durchdringung des DRG-Systems erscheint ihr dieses nicht etwa als abstrakt und menschenunwürdig, sondern sie sieht die Chancen für ihre Fachklinik.

Neben einer solchen produktiven Aneignung veränderter Rahmenbedingungen finden sich bei den progressiven SinngestalterInnen noch andere Formen der Erschließung neuer Resonanzflächen: So werden etwa Arbeitsschwerpunkte verändert, um mehr Erfolgserlebnisse und Anerkennung zu erfahren. So berichtet ein Oberarzt, wie er stets überlegt, in welchen Arbeitszusammenhängen er sich mit welcher seiner Stärken einbringen kann, und wie es ihm auf diese Weise gelingt, Konflikte im jeweiligen Team zu umgehenFootnote 7: Je nach Kontext konzentriert er sich dann auf die unproblematischen Arbeitsanteile. Dieses Erschließen neuer Resonanzfelder durch die Konzentration auf ausgewählte Arbeitsaufgaben zeigt sich auch bei der oben bereits zitierten Neurochirurgin:

Also zum Beispiel bezogen auf den Studentenunterricht, den ich letzte Woche gemacht hatte: Die ganze studentische Lehre wird ja mittlerweile sehr streng evaluiert, und ich frag’ eben meine Studenten dann auch, und wenn man dann freitags nachmittags ein Feedback bekommt, das ist der beste Studentenkurs, den sie je gehabt haben, dann ist [das] schon etwas, worauf man stolz sein kann. Und das gleiche gilt auch [für die Mitarbeitenden]: Ich hab jetzt in den letzten Wochen relativ viele Mitarbeitergespräche geführt, und wenn man da eben einfach mit den Mitarbeitern Ziele erarbeiten kann und auch ein Feedback bekommt, dass die Leute gerne hier arbeiten, weil die Arbeitsbedingungen gut sind und das Team gut ist, dann ist das eben auch ein Feedback, über das man sich freut. (IW08)

Da infolge der Ökonomisierung der Patientenkontakt und auch die Resonanzmöglichkeiten in dieser Richtung eingeschränkt sind, erfolgt die Konzentration auf andere, zwar der Arbeit zugehörige, aber nicht im Kern der Arbeit liegende Aufgaben. Dabei tritt das professionelle Selbstverständnis als Ärztin in den Hintergrund, während andere Vorstellungen – wie jene, eine gute, ambitionierte Lehrende oder gute Chefin zu sein – in den Fokus rücken. Das Erschließen neuer Resonanzflächen, die jenseits eines engen Professionsverständnisses liegen und dafür in Richtung Karriere, Führungskraft oder alternativer Betätigungsfelder weisen, kann als charakteristisch für diesen Typus gesehen werden. Dies kann allerdings bedeuten, dass durch diese Aufmerksamkeitsverschiebung die professionelle Ethik teilweise aus dem Blick gerät. Zudem kann es notwendig werden, sich neue Qualifikationen anzueignen und mehr Arbeitszeit zu investieren, was längerfristig auch mit einer höheren Arbeitsbelastung einhergeht.

Letzteres deutet die ambivalenten Effekte der progressiven Sinngestaltung an: Durch das beständige Suchen nach einer idealen inneren Arbeitsbeziehung kann eine hohe Belastungssituation entstehen, die sich in körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen offenbart. Der enorme Einsatz, den die progressive Sinngestaltung einfordert, führt zu überlangen Arbeitstagen, Schlafproblemen sowie negativen Folgen für die Work-Life-Balance. Über der Suche nach neuen Resonanzfeldern und den vielfältigen Crafting-Aktivitäten kann die Selbstsorge streckenweise aus dem Blick geraten, und die Gefahr einer Überverausgabung steigt. Da der Blick auf Ressourcengewinne in der Arbeit gerichtet ist, werden Beeinträchtigungen der Work-Life-Balance teilweise umgedeutet, wie es aus dem Zitat einer Sozialarbeiterin in der Familienhilfe hervorgeht:

Also ich hab’ viel zu viel Aufgaben, […] ich habe schon 50 Prozent mehr Aufgaben als die Zeit, die ich dafür habe. Eigentlich ist das nicht zu schaffen im Grunde. Aber ich schaff’s irgendwie und ich schaff’s auch gut. […] Für mich ist es so, dass ich mich damit arrangiert habe, weil es auch nicht für immer so sein wird, das ist einfach eine Durststrecke und wichtig einfach für den Aufbau dieses Bereiches. Und ähm. Ich muss einfach oder will da einfach auch jetzt mal diese Zeit so überbrücken. (IW36)

Die Belastung wird hier von der Sozialarbeiterin relativiert, indem sie auf deren zeitliche Begrenztheit („Durststrecke“) sowie auf die Wichtigkeit ihres Einsatzes verweist. Zugleich ist der Einsatz getragen von der Hoffnung auf einen Ressourcengewinn, sobald der Prozess abgeschlossen ist und sich Ergebnisse zeigen. Doch so viele Ressourcen auch durch die Gestaltung der Arbeit in Form von Anerkennung und Selbstwirksamkeit zurückfließen, besteht doch die Gefahr, dass die Balance von Ressourcen und Belastungen langfristig aus dem Gleichgewicht gerät. Hinzu kommt die sich hier abzeichnende Tendenz, dass strukturelle Fehlentwicklungen individualisiert bearbeitet werden, was die Gefahr der Selbstausbeutung erhöht. Die zentrale Herausforderung dieser Aneignungsweise lässt sich somit darin erkennen, die Zentralität der Arbeit mit Ansprüchen an ein gutes Leben jenseits der Arbeit auszubalancieren.

6.2 Widerständige Sinnbewahrung: die Verteidigung der professionellen Ethik (B)

Die Aneignungsweise der widerständigen Sinnbewahrung rekurriert primär auf das professionelle Selbstverständnis. Ein grundlegender Anspruch dieses Typs ist, die Arbeit gemäß professioneller Standards „gut“ zu machen. Traditionelle Resonanzflächen dienen dabei als Bezugspunkte, d. h. dieser Typus ist in der Aneignung einem Wertekanon verpflichtet, der durch die professionellen Maßstäbe des jeweiligen Berufsfeldes charakterisiert ist. In beiden Untersuchungsfeldern geht es dabei vor allem um die Gesundheits- und Lebensqualitätsförderung der PatientInnen und KlientInnen. Die Ansprüche, eigene Werte einzubringen, sind grundsätzlich hoch. Deshalb wird die Arbeit weniger auf neue Möglichkeiten der Identifikation hin überprüft, sondern es wird an bestehenden Wünschen, Erwartungen und Ansprüchen festgehalten. Die von uns Befragten erklären, es gehe ihnen darum, Menschen zu helfen, der Gesellschaft einen Dienst zu erweisen oder auch, abstrakter, „die Welt zu retten“. Der wichtigste Bezug sind die jeweiligen Dienstleistungsnehmenden, also die PatientInnen oder KlientInnen und ihre Gesundheit bzw. Lebensqualität. Dieser Bezug wird innerhalb der widerständigen Sinnbewahrung hartnäckig gegen andere Ansprüche an die Profession verteidigt:

Also, ich glaube, dass man, also ich persönlich da auch auf einer Patientenzentriertheit beharre. Und ich persönlich nicht der Meinung bin, dass ein Gesundheitssystem schwarze Zahlen schreiben muss. [Ich glaube,] dass das eine soziale Leistung ist, die eben Geld kostet, deswegen bin ich auch skeptisch oder wäre skeptisch, in einem privat geführten Unternehmen zu arbeiten, weil man da Gewinn erwirtschaftet, der nicht für reinvestiert wird, sondern einem Aktionär zugutekommt, das halte ich im Gesundheitssystem für falsch. (IW05)

In dieser Passage geht die befragte Ärztin auf die Bedrohungen der Patientenorientierung durch Ökonomisierungsprozesse ein. Das Primat der Patientenversorgung erscheint ihr durch die Ausrichtung an ökonomischen Prinzipien bedroht. Sie verweist in dieser Passage zudem darauf, dass es sich um ihre persönliche Meinung handelt, eine Meinung also, die offenkundig ihrer Ansicht nach in ihrem beruflichen Umfeld nicht mehr flächendeckend geteilt wird. Besonders bei den ÄrztInnen werden die Einschränkungen für die PatientInnenversorgung deutlich, da durch das DRG-System bestimmte Behandlungen unmittelbar honoriert werden, wohingegegen andere, dem PatientInnenwohl als dienlich wahrgenommene nicht abrechenbar sind.

In der Aneignungsweise der widerständigen Sinnbewahrung ist der Konflikt zwischen guter Versorgung und den neuen ökonomisch getriebenen Anforderungen allgegenwärtig. Das eigene professionelle Handeln wird vielfach als eine Art Kampf beschrieben, innerhalb dessen fundamentale ethische Werte gegen ein rein ökonomisch ausgerichtetes System verteidigt werden müssen. Da dieser Typ sich wesentlich über das professionelle Selbstverständnis definiert, lässt sich ein stetes Bemühen beobachten, dieses Selbstverständnis auch unter widrigen Rahmenbedingungen aufrecht zu erhalten. Beispielhaft steht dafür eine Palliativmedizinerin, die sich den geringen Zeitbudgets für die Kommunikation mit PatientInnen widersetzt und sich bemüht, diesen Arbeitsanteilen, so schwer sie zu verteidigen sind, Raum zu geben.

Die widerständige Sinnbewahrung korrespondiert so mit einem Selbstbild der autonomen und an guter Arbeit orientierten Professionellen, die in ihrer Arbeit eigene Gestaltungsspielräume nutzen kann und zugleich erlebt, wie diese immer weiter eingeschränkt werden. Dabei üben sich VertreterInnen dieses Typus im Kritisieren der aktuellen Verhältnisse und streckenweise auch im Glorifizieren der Vergangenheit. Dies zeigt sich exemplarisch bei einem leitenden Oberarzt:

Damals musste ich als geschäftsführender Oberarzt viele, viele Gespräche mit [2 Beratungsunternehmen] […] und anderen Beratungs- und Konsultationsfirmen führen, die diesen Weg ebnen sollten, durch kaufmännisches Geschick aus dem Defizit zu kommen. Das Gegenteil ist eigentlich bewirkt worden. Wir entfernen uns von der Fürsorge für die Gesundheit von Patienten und orientieren uns an DRGs, Fallzahlen, Verweildauern und Kostendämpfung. (IM04)

Der Modus der Sinnzuschreibung ist hier gekennzeichnet durch das Festhalten an vergangenen Zeiten, in denen vieles besser erschien und die Fürsorge noch im Zentrum der Tätigkeit stand. Vor dem Hintergrund einer positiven Sicht auf die Verhältnisse in der Vergangenheit werden die aktuellen Verhältnisse teilweise abgewertet. Die Aneignungsweise der widerständigen Sinnbewahrung fußt so auf einem etablierten, dramaturgisch gefärbten Narrativ.

Die ambivalenten Effekte der Aneignungsweise zeigen sich an ganz unterschiedlichen Stellen: So ist durch die Fixierung auf die Konflikte sowie auf die Handlungseinschränkungen eine deutliche Belastungswahrnehmung auszumachen. Zwar dient die Dramatisierung der Bedingungen gleichsam als Kulisse, um einen „heroischen Kampf“ zu inszenieren; dennoch werden die strukturellen Einschränkungen als substanzieller Verlust von Handlungsautonomie erfahren. Somit zeigt dieser Typus immer wieder Anzeichen von Desillusion und Zynismus. Auch hier besteht die Gefahr einer Individualisierung struktureller Problemlagen des jeweiligen Feldes, kollektiver Widerstand kommt kaum zustande. Dies kann wiederum zu extremen Belastungen führen, und so werden Handlungseinschränkungen subjektiv mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Burnouts in Verbindung gebracht. Wenn die Abgrenzung zur Arbeit nicht gelingt und die Umsetzung professionell geformter Ansprüche an die Arbeit nicht mehr innerhalb der Arbeitszeit realisiert werden kann, bleibt schließlich auch die Work-Life-Balance nicht unberührt von den Verteidigungskämpfen.

6.3 Pragmatische Sinnbewahrung: Fokussierung auf den Arbeitsprozess (C)

Innerhalb der Aneignungsweise der pragmatischen Sinnbewahrung wird der Sinn in der Arbeit primär im Arbeitsprozess gesucht. Die Aufmerksamkeit richtet sich insbesondere auf eine gute Arbeitsausführung im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten. Gesucht wird dementsprechend nicht aktiv nach neuen Handlungsfeldern, vielmehr wird nach dem Guten im Bestehenden Ausschau gehalten. Zentral für diesen Typ ist die Akzeptanz der Situation: Eine Gestaltung der Arbeit entlang eigener Ansprüche, die sich aus professionellen und weltanschaulichen Werten und individuellen beruflichen Zielen ergeben, ist im Vergleich zu den anderen Aneignungsweisen weniger wichtig, da der Anspruch, sich mit seiner Arbeit identifizieren zu können, weniger ausgeprägt ist. Vor allem geht es darum, die jeweiligen Anforderungen zu erfüllen, die an den Beruf gestellt werden, wie aus der Aussage eines Jugendamtsmitarbeiters deutlich wird:

Wenn ich etwas erledige, wenn ich zum Beispiel so eine schriftliche Stellungnahme für die Jugendhilfe in Strafverfahren fertig habe und gucke mir das dann an, so einen vierseitigen Bericht, dann bin ich immer zufrieden, dass das gemacht ist, und bin auch […] meistens mit dem Ergebnis zufrieden. Und ich freu’ mich, dass ich, dass ich wieder mal, dass ich wieder mal irgendwas erledigt habe. (IM22)

Die Aussage zeigt, dass die Erledigung von Aufgaben gemäß bestehender Vorgaben für die pragmatische SinnbewahrerIn auch dann ein wichtiger Ankerpunkt ist, wenn der konkrete Arbeitsinhalt weniger relevant ist. Der Typus definiert sich über Pflichterfüllung in der Arbeit; eigene Wünsche, Erwartungen und Interessen spielen dagegen eine geringere Rolle für die berufliche Aneignung. Im Vordergrund steht, ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. Das Objekt, auf das dabei Bezug genommen wird, kann ganz unterschiedlicher Natur sein, wie am Beispiel des Sozialarbeiters in der Suchtberatung deutlich wird:

Und das hat so das Gefühl [bezogen auf positive Entwicklungsprozesse der KlientInnen] ja, war nicht umsonst, sondern es war eher gut, wie wir das so gemacht haben. […] Und das ist einfach nett zu sehen, dass so die Art und Weise, wie man auch so Beratungsprozesse gestaltet, dann doch auch zu guten Ergebnissen führen kann. (IM23)

Hier stehen – im Gegensatz zur vorangegangenen Passage – nicht die formalen Anforderungen, sondern die Klienten im Mittelpunkt. Die Bewertung der Arbeit als „gut“ wird retrospektiv mit Blick auf die Entwicklung des Klienten vorgenommen. Den pragmatischen SinnbewahrerInnen geht es weniger um die Gestaltung der Arbeitsbedingungen und das Einbringen eigener Werte, dementsprechend werden eigene Sinnansprüche seltener verteidigt. In der Konsequenz werden strukturelle Einschränkungen, die subjektive Anpassungsleistungen erfordern, aber nicht als umsetzbar angesehen werden, zwar beklagt; sind die Arbeitsanforderungen zu hoch, erfolgt aber keine Kompensation über Mehrarbeit, wie es der Leiter einer Suchtberatung illustriert:

[...] und mehr als arbeiten können wir nicht, und wenn’s dann halt mal dann irgendwann mal was zu kurz kommen sollte, dann ist das einfach in der Natur der Sache begründet, damit muss ich einfach umgehen können. (IM21)

Diese Passage zeigt eine Sichtweise auf Arbeit, die die eigenen Limitationen und auch die Fähigkeiten zur Abgrenzung in den Vordergrund rückt. Ein Zuviel an Arbeit wird nicht eigenen Versäumnissen zugeschrieben, sondern auf Fehlorganisation und Fehlsteuerung zurückgeführt. Wichtig ist vor allem der eigene Umgang mit solchen Fehlsteuerungen: Während die Übernahme von Verantwortung weitgehend abgelehnt wird, wird die eigene Fähigkeit, Dinge unerledigt lassen zu können, als wichtige Dimension der Selbstfürsorge hervorgehoben. Handlungsmöglichkeiten sind also u. U. durchaus vorhanden, werden aber in geringerem Maße genutzt. Dementsprechend bemüht sich dieser Typ nicht aktiv, eine unbefriedigende Situation grundlegend zu verändern oder gegen diese anzukämpfen, sondern verrichtet seine Arbeit unter Hinnahme struktureller Probleme und mit ausgeprägtem Blick auf eine hinreichende Selbstsorge, wie es der Fall des Jugendamtmitarbeiters veranschaulicht:

Also, ich hab’, ich hab’ die Stufe vor meiner Unfähigkeitsstufe erreichtFootnote 8 und hab’ keine Lust, mehr Verantwortung zu tragen, und ich hab keine Lust, mich in noch einem anderen Gebiet beweisen zu müssen oder beweisen zu wollen. Mir reicht das, was ich mache, was ich kann, ich weiß, da bin ich gut. (IM22)

Aus dieser Passage wird deutlich, dass die Entscheidung gegen die Übernahme von mehr Verantwortung bewusst getroffen wird, um eine Überbeanspruchung zu vermeiden. Dies führt dazu, dass Ambitionen auf zukünftige Verbesserungen zurückgeschraubt werden und die Konzentration sich stattdessen auf die Gegenwart richtet, auch weil die Chancen auf eine bessere Zukunft als gering eingeschätzt werden. Wo sich professionelle Ansprüche nicht verwirklich lassen, werden strukturelle Bedingungen akzeptiert und Belastungen eher selten thematisiert. Die geringere Zentralität von Arbeit führt dazu, dass andere Bereiche des Lebens mehr Raum einnehmen, insbesondere die Familie und die Freizeit. Diese sind sehr wichtig für diesen Typus. Gerade den Bedürfnissen von Familienmitgliedern wird ein hoher Stellenwert eingeräumt, wie sich an den Aussagen des Leiters einer Suchtklinik nachvollziehen lässt:

Es darf auch mal was ausfallen, wenn jetzt irgendwas ist. Und da kann ich dann hin, wenn [meine Ehefrau; Name ersetzt] das nicht abfangen kann oder so. Und das funktioniert ziemlich gut. Und das macht das Arbeiten viel, viel leichter. Und das ist mir auch monetär gesehen einiges wert, also da verzichte ich lieber auf ein bisschen Geld, für diese Freiheit. Das entspannt. (IM20)

Die Arbeit wird hier nicht als vorrangig gesehen. Der Leiter der Suchtklinik schätzt die Flexibilität und betont, dass er dafür finanzielle Einbußen in Kauf nimmt. Seine Aufmerksamkeit als pragmatischer Sinnbewahrer liegt auf der Gegenwart, und weder eine bessere Vergangenheit noch die Hoffnung auf eine rosigere Zukunft spielen eine Rolle in der Selbstbeschreibung. Die Orientierung ist insgesamt auf Flexibilität und Selbstsorge ausgerichtet. Wichtiger als Selbstverwirklichung oder das Einbringen eigener Talente in der Arbeit sind Zufriedenheit, Sicherheit sowie die Vermeidung von übermäßiger Belastung.

Als ambivalenten Aspekt dieser Aneignungsweise lässt sich anführen, dass sich mit den geringen Gestaltungs- und Verwirklichungsinteressen der Fokus stark auf formale Aspekte der Arbeit und die pflichtmäßige Erfüllung von Aufgaben verschiebt. Die Sicht auf Arbeit ist gekennzeichnet durch einen Pragmatismus, der sich nicht nur auf die Arbeitsdurchführung richtet, sondern das gesamte Verhältnis zur Arbeit umfasst. Stärker als die „Subjektperspektive“ auf Arbeit steht für diesen Typ mit seinen hohen Ansprüchen an Selbstsorgepotenziale die „Arbeitskraftperspektive“ im Fokus. Schattenseite dieser Prioritätensetzung ist, dass Resonanzflächen abhandenkommen und die Ansprüche an das Arbeitserleben wie auch an die Arbeitsausführung sinken. Diesen Typus kennzeichnet dementsprechend ein eher abgeklärtes Verhältnis zu seiner Arbeit, das in Formen der Selbstunterforderung seinen Ausdruck finden kann – bis hin zum „Bore-out“, einer psychischen Symptomatik, die aus zu geringen Anforderungen in der Arbeit entstehen kann (Prammer 2013). Die Selbstsorge, die hier v. a. auf die Erholung von und jenseits der Arbeit gerichtet ist, steht in Spannung zu den begrenzten Bemühungen, durch die Suche nach interessanten Arbeitsinhalten Selbstfürsorge in der Arbeit zu betreiben. Insgesamt steht die Aneignungsweise für ein Einrichten in der gegebenen Situation, verbunden mit dem Bestreben, auch andere Lebensbereiche mit den Anforderungen in der Arbeit in Einklang zu bringen.

7 Fazit: Ambivalente Aneignungsweisen von Arbeit zwischen Sinnerleben und Überbeanspruchung

Der Beitrag differenzierte verschiedene Typen der Aneignung von Arbeit bei Hochqualifizierten. Die Aneignungsweise der „progressiven Sinngestaltung“ (A) ist durch die permanente Suche nach neuen Möglichkeiten der Resonanzerzeugung charakterisiert, die sich auf immer weitere Arbeitsbereiche erstreckt. Die Aneignungsweise der „widerständigen Sinnbewahrung“ (B) steht dagegen für die Verteidigung der professionellen Ethik und für einen permanenten Kampf um deren Erhalt. Der Typus der „pragmatischen Sinnbewahrung“ (C) orientiert sich schließlich an eher kleinteiligen Aufgaben und reibt sich weniger an Wertekonflikten auf.

Obwohl sich eine positive Bezugnahme auf Arbeit vielfältigen Hürden gegenübersieht, bleiben die Professionellen um eine produktive Aneignung ihrer Tätigkeit bemüht. Der Wunsch nach einer sinnvollen Arbeit, die man auch sozial als solche ausweisen kann, wird somit verteidigt. Zwar wird die Neubewertung und Umdeutung mit je unterschiedlicher Intensität betrieben; nichtsdestotrotz zeigt sich das Bemühen, die Arbeit mit der eigenen Identität zu verbinden. Auch anhand unseres Samples bestätigt sich so der vielfach in der Literatur belegte Mechanismus der Verteidigung des Arbeitssinns. Diese Perspektive steht solchen Ansätzen entgegen, die strukturelle Veränderungen der Arbeit und die Zunahme von Belastungen mit einem zwangsläufigen Sinnverlust in Verbindung bringen. Die Perspektive auf subjektive Gestaltungsleistungen zeigt, dass das Verhältnis von Arbeitsbedingungen und Sinnerleben deutlich komplexer ist.

Gleichzeitig lassen sich den unterschiedlichen Aneignungsmodi auch jeweils bestimmte Ambivalenzen zuordnen. So wurden für jeden der Idealtypen spezifische Problemkonstellationen ermittelt, die sich als Konsequenz der jeweiligen Aneignungsweise begreifen lassen: Die Gefahr einer misslingenden Integration von Arbeit und Leben zeigte sich besonders dort, wo entweder permanent nach neuen inhaltlichen Anschlussstellen gesucht oder gegen strukturelle Zwänge auf professionellen Ethiken beharrt wird. Die jeweiligen Selbstverständnisse ermöglichen zwar ein positives Arbeitserleben, können aber bei problematischen Rahmenbedingungen so kräftezehrend sein, dass sie die Beschäftigten langfristig an ihre psychischen und physischen Grenzen bringen. Auch wenn es den Führungskräften also gelingt, eine positive Beziehung zu ihrer Arbeit herzustellen, bedeutet dies noch lange keinen nachhaltigen Umgang mit ihrer eigenen Arbeitskraft.

Für die Forschung zum Sinnerleben von Hochqualifizierten ergibt sich somit ein differenzierteres Bild: Statt eines wahrgenommenen Sinnverlustes finden sich heterogene Aneignungs- und damit auch Herstellungsweisen subjektiv sinnvoller Arbeit. Die Aneignungsweisen lassen sich als Reaktionen auf drohenden Sinnverlust werten, sie markieren aber auch das Potenzial subjektiver Ressourcen. Auf diese Weise liefert der Beitrag Argumente dafür, den Unterschieden in den Aneignungsweisen höhere Beachtung zu schenken: Denn während die Einschätzung, dass der Sinn in der Arbeit als subjektive Zuschreibungsleistung zu verstehen ist, breit geteilt wird, fehlten bislang Ansätze, die unterschiedliche Arten der Herstellung von Sinn differenzieren. So verstehen wir unseren Beitrag als Ergänzung bestehender Studien über die Arbeit von Hochqualifizierten bzw. Professionellen, die den Verlust von Autonomie und professioneller Identität untersucht haben.

Mit Blick auf die Reichweite unserer Befunde ist anzumerken, dass diese auf das begrenzte Feld hochqualifizierter Arbeit mit hoher Autonomie und einem sozial attribuierten Nutzen begrenzt ist. Trotzdem konnten wir in Form der Idealtypen und mit der Orientierung an Gestaltungsaktivitäten und subjektiv empfundenen Handlungsmöglichkeiten grundlegende Muster von Aneignung identifizieren, deren Tragfähigkeit auch in anderen Feldern überprüft werden kann. Zu vermuten ist überdies, dass sich in gesellschaftlich weniger anerkannten Berufsfeldern und Tätigkeiten mit geringerem Interaktionscharakter möglicherweise noch andere Formen von Aneignung auffinden lassen.

Mit Blick auf die Relevanz unserer Studie für die kritische Arbeitsforschung gilt für unsere Untersuchung ebenso wie für andere qualitative Studien über das Sinn- und Arbeitserleben (exempl. Senghaas-Knobloch et al. 1997; Volmerg et al. 1986; Hardering 2017), dass sie Auskunft über subjektive Bewältigungsbemühungen, weniger aber über objektive Arbeitsbedingungen geben. Dies bedeutet gleichwohl nicht, dass wir es hier mit gesunden und nachhaltigen Aneignungsweisen zu tun haben: An ganz unterschiedlichen Stellen offenbaren sich die Herausforderungen der Grenzziehung zwischen Arbeit und Leben sowie der Überbeanspruchung bzw. Unterforderung. Die Ambivalenzen, die wir den idealtypischen Aneignungsweisen zuordnen konnten, zeigen, dass die unterschiedlichen Versuche, den Sinn in der Arbeit zu verteidigen, allesamt nicht folgenlos für die Beziehung zur Familie oder die Gesundheit sind, sondern immer ihren Preis fordern – wie die Forschung zum Sinn in der Arbeit auch an anderer Stelle zeigt (Dempsey und Sanders 2010). Das Verständnis dieser Aneignungsprozesse setzt daher Zugänge voraus, die sich gegen vereinfachende Trendaussagen sperren und sensibel sind für das Nebeneinander von produktiver Aneignung und deren ambivalenten Effekten. Erst solche Zugänge eröffnen die Chance auf ein vertieftes Verständnis der Zusammenhänge und differenziertere Analysen in der Arbeitsforschung.