Zusammenfassung
In der Beschäftigungsstrategie der EU kommt die Methode der offenen Koordinierung (MOK) zur Anwendung, die in der wissenschaftlichen Literatur zu einem bedeutenden Kristallisationspunkt für dezentrales Netzwerk-Regieren erhoben wird. Mit Michel Foucaults Gouvernementalitätsanalyse erscheint die MOK allerdings weniger ein innovatives Governance-Tool als eine gouvernementale Machtökonomie zu repräsentieren. Die MOK installiert ein Wahrheitsregime, das beschäftigungspolitische Ansätze privilegiert, die auf „aktivierende Arbeitsmarktpolitik“ setzen. Die Gouvernementalitätsanalyse beleuchtet die europäische Beschäftigungsstrategie unter explizit machtanalytischen Gesichtspunkten.
Abstract
The open method of coordination (OMC) which is applied in the European employment strategy by the EU is stylized in the academic literature as a focal point for decentralized modes of governance. Drawing on Michel Foucault’s analysis of governmentality the OMC doesn’t seem to represent an innovative governance tool but a governmental “economy of power”. The OMC installs a regime of truth which privileges only labour market regulations that rely on activation policies. The analysis of governmentality elucidates the European employment strategy from the standpoint of Foucauldian power analytics.
Notes
Siehe zum Beispiel die beschäftigungspolitischen Leitlinien 2008 bis 2010 (Europäischer Rat 2008).
Siehe dazu Detel (2006, S. 60 ff.).
Technologien sind hier als Mechanismen zu verstehen, die „das Verhalten, Denken, Entscheiden, Streben anderer (…) formen“ (Miller u. Rose 1994, S. 66).
Schon in den ersten beschäftigungspolitischen Leitlinien für das Jahr 1998 werden eine Erhöhung der „Beschäftigungsfähigkeit“ (vornehmlich durch Um- oder Weiterqualifizierung), eine Stärkung von „klaren Anreizen“ zur Aufnahme von Arbeit, ein „beschäftigungsfreundlicheres Steuersystem“ mit einer sinkenden Steuerlast auf dem Faktor Arbeit und „Maßnahmen zur Chancengleichheit“ von Männern und Frauen am Arbeitsmarkt vorgeschlagen (Europäischer Rat 1997).
Siehe zum europäischen Verwaltungsstaat in der Gouvernementalitätsanalyse auch Valverde (2007, S. 163 ff.).
Ein früher prominenter Sammelband dieser Forschungsperspektive: Burchell et al. (1991).
Foucault führt den Begriff der Anatomie unter anderem in Überwachen und Strafen ein, um die Disziplinargewalt zu charakterisieren (Foucault 1976, S. 284). In Zusammenhang mit der Kategorie der „Gouvernementalität“ wird der Begriff auch von Barry/Osborne/Rose aufgegriffen („new ways of anatomizing political reason“, Barry et al. 1996, S. 1).
Zur Reichweite des Regierungsbegriffs: „Es gibt im Grunde drei Regierungstypen, deren jede von einer besonderen Form von Wissenschaft und Reflexion abhängig ist: die Leitung seiner selbst, die von der Moral abhängt; die Kunst, eine Familie vorbildlich zu führen, die von der Ökonomie abhängt; und schließlich die ‚Wissenschaft von der guten Regierung‘ des Staates, die von der Politik abhängt“ (STB, S. 142).
Siehe schon Foucault (1973, S. 146 ff.) zur „Materialität der Zeichen“.
Siehe zur Transformation von Staatlichkeit aus gouvernementalitätstheoretischer Perspektive Lemke 2007.
Zur „Logik der Komplizität“ bei Foucault siehe auch Saar (2007b, S. 330).
Hier bleibt natürlich das Problem staatliche von nicht-staatlichen Machtausübungen abzugrenzen. Zumindest muss Foucault einen bestimmten Grad der öffentlichen Institutionalisierung und apparatsmäßigen Unterfütterung der staatlichen Machtausübungen unterstellen, um sie der Kategorie der Staatlichkeit zuzuordnen und sie von anderen Kategorien, wie der Regierung oder der Gouvernementalität, zu unterscheiden.
Es lagen schon seit Mitte der neunziger Jahre unterschiedliche Bestrebungen für eine gemeinsame Beschäftigungspolitik vor (siehe zur Genese z. B. Pochet 2005). Die ersten offiziellen „beschäftigungspolitischen Leitlinien“ passierten den europäischen Rat am 15.12.1997 für das darauf folgende Jahr (Europäischer Rat 1997), so dass es nahe liegt den Beginn der europäischen Beschäftigungsstrategie auf das Jahr 1998 zu datieren.
Zu den Politikfeldern gehören unter anderem Jugend-, Renten-, Einwanderungs-, Steuer- und Sozialpolitik, siehe zum Überblick die Aufarbeitung des Forschungsprojekts „New Modes of Governance“ (New Modes of governance 2005).
Das Forschungsprojekt „New Modes of governance“ (2005) schlägt drei Kriterien für den Institutionalisierungsgrad der unterschiedlichen MOKs vor: Dauerhaftigkeit, Vertragsgrundlagen und Interaktion der jeweiligen MOK mit anderen politischen Koordinierungsprozessen jenseits der EU (bspw. in der OECD). In einer vierstufigen Skala von „sehr stark“ bis zu „schwacher“ Institutionalisierung befindet sich die europäische Beschäftigungsstrategie in der Gruppe der „sehr stark“ institutionalisierten MOKs.
Auch wären die Motivationen, die zur Ablehnung des Lissabonner Reformvertrages in Irland führten, aufzuarbeiten.
Inwieweit die MOK tatsächlich politisches Lernen in einem starken Sinne befördert und nicht einfach nur einen neuen politischen Aushandlungsmodus repräsentiert, ist umstritten (siehe Hartlapp 2006).
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Zur „welfare-to-work“ Politik der Regierung Blair in England siehe Walker u. Wisemann (2003).
So unter expliziter Bezugnahme auf Foucault auch Kjaer (2008, S. 170).
Ein Angebot dazu macht Pochet (2005, S. 46 ff.).
Siehe zum „unternehmerischen Selbst“ auch Bröckling (2007).
Zum Zusammenhang der Reformen in der Arbeitsvermittlung und aktivierender Arbeitsmarktpolitik siehe auch Borghi u. Van Berkel (2007).
„Above all the strategy focuses on improving the supply side of the economy and not on changing the behaviour of the employers, where many obstacles to gender equality can be encountered“ (Rubery 2002, S. 502).
Nach dem Vorbild der Arbeitsmarktpolitik in Dänemark und den Niederlanden, die einen Flexicurity-Ansatz praktizieren, sollen eine Deregulierung des Arbeitsrechts mit einem vergleichsweise höheren sozialen Sicherungsniveau und einem aktivierenden Sozialstaat kombiniert werden. Fraglich ist allerdings, inwieweit Flexicurity auf andere EU-Mitgliedstaaten übertragen werden kann bzw., ob es sich nicht um ein spezifisch dänisch-niederländisches Phänomen handelt (siehe dazu auch Braun 2001; Gorter 2000; van Oorschot 2001).
So im Hinblick auf das Verhältnis von Staat und Zivilgesellschaft auch Neumann u. Sending (2006).
So Jacobsson: „The commission has central role in managing knowledge and may function as an ‚editor‘ of knowledge into standards“ (Jacobsson 2004, S. 362).
Für Foucault spielen u. a. die Arbeiten der Fürstenberater und deren Reflexion über gutes Regieren sowie die modernen Wissensformen eine zentrale Rolle in der Herausbildung des Territorialstaates (STB, S. 135).
Siehe generell zur EU aus gouvernementalitätstheoretischer Perspektive: Walters u. Haahr (2005).
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Anregungen aus Diskussionen mit Martin Saar, Gunther Teubner, Andreas Fischer-Lescano, Christian Joerges, Dominik Düber, Moritz Renner sowie Hinweise der anonymen Reviewer des Leviathan sind in den vorliegenden Beitrag eingegangen. Allen gilt mein Dank.
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Möller, K. Gouvernementales Wahrheitsregime oder dezentrales Netzwerk-Regieren?. Leviathan 37, 575–601 (2009). https://doi.org/10.1007/s11578-009-0056-z
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- Europäische Beschäftigungspolitik
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- Michel Foucault
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