1 Einleitung

Schiefe Blicke und Kommentare – welche Körperpraktiken in Schwimmbädern legitim sind, hängt nicht allein von den offiziellen Regeln ab, sondern in einer Organisation, die derart von ihren Nutzern lebt wie das Schwimmbad, auch von den Nutzern selbst. Seitdem der von der australischen Modedesignerin Aheda Zanetti entworfene Burkini und damit auch Körperpraktiken progressiv-konservativer Musliminnen Einzug in deutsche Schwimmbäder halten, hat sich die ansonsten durchaus auch freizügige Badekultur im wiedervereinigten Deutschland um bedeckendere Aspekte erweitert. Damit sieht man in deutschen Schwimmbädern neben sich oben-ohne und im Tanga sonnenden Frauen auch Frauen in locker um den Körper fallenden Burkinis. Viele Nutzer begreifen das Schwimmbad und die dortigen Körperpraktiken jedoch als vollkommen abgelöst von Religion. Ein Verständnis für religiös geprägte Körperpraktiken ist, das zeigt das hier analysierte empirische Material, von den meisten Badegästen nicht zu erwarten. Emblematisch ist die Forderung eines Badegastes, konservativ-muslimische Badegäste mögen doch bitte wenigstens im Schwimmbad die Hüllen fallen lassen:

„Ja, das [Burkini] finde ich jetzt auch nicht gerade so prickelnd. Ich meine, die laufen ja schon draußen auf der Straße so rum, da muss das ja eigentlich nicht auch noch im Schwimmbad sein. Ich meine, wir entkleiden uns ja alle irgendwie, haben auch nur unsere Badesachen an und das sieht immer sehr angezogen aus … oder vielleicht noch nur den mit Sehschlitz?“ (76:12)

Angesichts der Tatsache, dass etwa drei Viertel der deutschen Bäder den Burkini erlauben (Michalowski und Behrendt 2020, 2019), spielen Aushandlungsprozesse zwischen Nutzern, die offensichtlich unterschiedliche Präferenzen hinsichtlich der im Schwimmbad zentralen Körperpraktiken haben, eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der Organisationsregeln. Erstens geht es um den Burkini, zweitens um die Praktiken in den Duschen, wo in Deutschland – anders als in allen europäischen Nachbarländern – die Badebekleidung gerne komplett abgelegt wird. Dies ist aber besonders für konservative muslimische Badegäste ein Problem, die nicht nur die eigene Nacktheit in der Öffentlichkeit, sondern auch den Blick auf den fremden nackten Körper vermeiden wollen (Herzog 2015). Damit stellt sich die Frage, welche dieser widerstreitenden Praktiken sich mit welchen Argumenten durchsetzen? Oder anders gefragt: Inwiefern führt das Aufkommen konservativ-muslimischer Körperpraktiken in deutschen Schwimmbädern zu einer Neuaushandlung von Säkularität, d. h. der Rolle von Religion in diesem öffentlichen Raum?

Damit knüpft der Beitrag an theoretische Debatten über die kontinuierliche Neuaushandlung von Säkularität an, die in Westeuropa teils durch Muslime vorangetrieben wird (Gorski and Altınordu 2008). Säkularität wird hier verstanden als „the sometimes latent, sometimes explicit forms of distinction between religious and non-religious spheres and practices in society“ (Burchardt and Wohlrab-Sahr 2013, S. 606). Diese Definition deckt sowohl die Organisation des öffentlichen Raums (beispielsweise die Idee von Schwimmbädern als vollständig säkularen Räumen) als auch die Abgrenzung säkularer von religiösen Körperpraktiken ab. Indem diese Studie Badegäste nach ihrer Legitimation der eigenen und ihren Einstellungen zu fremden Körperpraktiken befragt und besonders auf religiös geprägte Körperpraktiken eingeht, wird genau solch eine Aushandlung darüber, ob und in welchem Ausmaß das Schwimmbad als öffentliche Organisation auf religiöse Praktiken Rücksicht nehmen sollte, untersucht. Theorien der staatlich-öffentlichen Bearbeitung von Forderungen nach Anpassungen für zugewanderte muslimische Minderheiten unterscheiden danach, ob pro-muslimische Forderungen lediglich die Toleranz der nichtmuslimischen Mehrheit für Minderheitenpraktiken erfordern oder ob sie anspruchsvoller ausfallen und eine Veränderung der Mehrheitspraktiken (Carol and Koopmans 2013) oder eine Rekonfiguration zentraler staatlicher Organisationsabläufe (Koenig 2005) erforderlich machen. Übertragen auf den hier untersuchten Fall der Inklusion von Körperpraktiken konservativ-muslimischer Minderheiten in deutschen Freibädern ließen sich hypothetisch mindestens drei unterschiedliche Aushandlungsszenarien erwarten: a) die säkularen Körperpraktiken der Mehrheit werden verändert und denen der religiösen Minderheit stärker angepasst, b) der öffentlich-säkulare Raum wird in seiner Konfiguration verändert, um dezidiert religiöse Körperpraktiken zu ermöglichen, oder c) bisherige Konfigurationen von Säkularität unterbinden konservative muslimische Körperpraktiken, der Status quo wird beibehalten. Die Schlussdiskussion greift diese drei möglichen Aushandlungsszenarien noch einmal auf. Zunächst wird jedoch der theoretische Rahmen der Studie ausführlicher vorgestellt, dann werden die Methoden der Datenerhebung und -analyse sowie die empirischen Daten präsentiert. Ein analytisch-vergleichend orientierter Abschnitt schließt den empirischen Teil, die Schlussdiskussion folgt.

2 Theoretischer Rahmen

Wie wir unseren Körper be- und entkleiden, wer welche Körperpartien berühren oder sie unbekleidet sehen darf, sind Fragen der Freizügigkeit, die vielfältigen Normierungsprozessen unterworfen sind. Einige gegenwärtige Emanzipationsbewegungen zielen darauf ab, von gesellschaftlichen Normen abweichende Körper von den Zwängen gesellschaftlicher Normierung und Bewertung und der daraus resultierenden Körperscham zu befreien. Hierzu gehört beispielweise die Maßgabe, dass ein Körper schlank, gesund und sportlich gehalten (Gugutzer 2012) und entlang bestimmter Geschlechterstereotype bekleidet werden soll. Beispielhaft für die Emanzipationsbewegungen ist der verstärkte Einsatz von Plus-size-Modellen auch für Dessous- und Bademodenreklame sowie die Diskussion, ob oben-ohne im Schwimmbad Männern vorbehalten sein sollte. Damit wird ein Trend kritisiert, den die Körpersoziologie schon seit den 1980er-Jahren beobachtet: In einem Prozess der wachsenden Individualisierung im Umgang mit dem Körper strebt das Individuum über „Eigenleistung erzielbare spür- und sichtbare soziale Erfolge, die wiederum soziale Anerkennung und Selbstgewissheit vermitteln“ an (Gugutzer 2012, S. 286–289). Gugutzer geht so weit, dass er den zeitgenössischen Kult um den Körper als „Diesseitsreligion“ bezeichnet.

Gugutzers Beobachtung impliziert auch, dass die Diskussion körperbezogener Normen im heutigen Deutschland weitgehend losgelöst von religiösen Vorgaben geführt wird. Und dies, obwohl Religionsgemeinschaften einen durchaus beachtlichen Einfluss auf menschliche Körperpraktiken hatten und haben. Mellor und Shilling (2010) zufolge besitzen Religionen ihnen eigene Körperpädagogiken, durch die sie sich voneinander und von nichtreligiösen Teilen der Gesellschaft abgrenzen. Religionsgemeinschaften vertreten zumeist eine konservative, auf Reproduktion der Gemeinschaft ausgerichtete Sexualmoral (Inglehart 2021, S. 1–16), die beispielsweise beinhaltet, dass Sex nur in der Ehe praktiziert werden darf, Ehen nur zwischen heterosexuellen Partnern geschlossen und Kinder nur in der Ehe geboren werden sollen. Allerdings gibt es zwischen den Religionen, hier Christentum und IslamFootnote 1, auch bedeutende Unterschiede. Mellor und Shilling (2010) betonen in diesem Zusammenhang, dass der Islam vor allem im Vergleich zum protestantischen Christentum durch einen starken Einbezug des Körpers in religiöse Praktiken, wie das Gebet, das Fasten oder auch die Bedeckung des (weiblichen) Körpers, geprägt ist (vgl. Herzog 2015). Der Islam ist auch stärker durch eine kollektive Regulierung und Überwachung von Körperpraktiken geprägt als der Protestantismus (siehe hierzu auch Göle 2015; Kömeçoglu 2015).

Wichtig für die im Folgenden präsentierten empirischen Analysen ist, dass gerade in stark säkularisierten Regionen Europas christlich geprägte Maßgaben zu Körperpraktiken selten tradiert und daher kaum noch praktiziert oder gewusst werden. Dennoch sind die in (ost‑)deutschen Schwimmbädern zu beobachtenden Körperpraktiken nicht einfach „losgelöst von Religion“ entstanden. Vielmehr sind gemischtgeschlechtliches Schwimmen, Bikinis und die in Deutschland praktizierte Freie Körperkultur (FKK) in durchaus konfliktreicher Auseinandersetzung mit christlichen Moralvorstellungen eingeführt worden (König 1999).Footnote 2 In seinem vielzitierten Aufsatz „Is there a secular body?“ weist Hirschkind (2011) allerdings darauf hin, dass es uns angesichts einer fortgeschrittenen Säkularisierung schwerfällt, säkulare Praktiken überhaupt als solche zu erkennen. Denn eine Praktik gilt, so Hirschkind unter Bezugnahme auf Asad (2003, S. 25, zitiert nach Hirschkind 2011, S. 639) nicht etwa deshalb als säkular, weil sie „nonreligious“ ist, sondern weil sie diskursiv als säkular identifiziert wurde, d. h. in einen Gegensatz zu einer religiösen Praktik gebracht werden kann. Praktiken werden also als säkular verstanden, wenn sie in die säkularistische Erzählung einer fortschreitenden Ersetzung des Religiösen durch das Säkulare eingeordnet werden können (Hirschkind 2011, S. 641). Körperpraktiken im Schwimmbad werden für gewöhnlich nicht in diesem Sinne als säkular definiert und einer religiösen Praktik gegenübergestellt, weil entsprechende christliche Normierungsversuche in Vergessenheit geraten sind.

Hirschkind argumentiert jedoch, dass die Grenze zwischen religiöser und säkularer Praktik kontinuierlich neu bestimmt wird: „Moreover, insomuch as the identity of a secular practice owes to a particular dynamic relation established between these two categories – that every secular practice is accompanied by a religious shadow, as it were – then the secular will always be subject to a certain indeterminacy or instability“ (Hirschkind 2011, S. 643). Gerade dieser sich potenziell stets neu eröffnende Verhandlungsspielraum stellt dabei Hirschkind zufolge eine der Grundbedingungen für die Macht des Säkularen dar (Hirschkind 2011, S. 643). Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen können auch die in dieser Studie betrachteten Praktiken und Einstellungen von Badegästen zu muslimischen Burkinis als Aushandlung von Säkularität verstanden werden, da der Burkini als eine religiösen Normen entsprechende Badebekleidung die übrige Badebekleidung als „säkular“ erscheinen lassen kann. Interessant auch für den weiteren Argumentationsverlauf ist, wie Scheer et al. (2020, S. 6) argumentieren, dass der säkulare Körper für gewöhnlich mit Rationalität in Verbindung gebracht wird, was eine Abgrenzung vom religiösen Körper als von Emotionen und Affekt gesteuert ermöglicht.

Angesichts der weit fortgeschrittenen Säkularisierung in Ostdeutschland, hier verstanden als der Niedergang christlicher Religiosität (Müller et al. 2013), dem verschiedentlich beobachteten entkörperlichten protestantischen Religionsverständnis (Amir-Moazami 2016, S. 164) und dem in der Studie besonders schwach vertretenen Katholizismus ist nicht zu erwarten, dass Badegäste muslimischen Körperpraktiken christliche Körperpraktiken entgegenstellen oder muslimische Körperpraktiken gar durch Annährung an christliche Körperpraktiken zu verstehen versuchen. Vielmehr ist anzunehmen, wie Hirschkind (2011) und auch Amir-Moazami in ihrer Studie zu gesellschaftlichen Debatten über muslimische Beschneidungen von Jungen unterstreichen, dass muslimische Körperpraktiken einer schwer greifbaren, säkularen Praktik gegenübergestellt werden: „If we agree that the secular is not a stage that can be detached from the religious, the secular body consists of largely unmarked, inconspicuous forms of embodiment“ (Amir-Moazami 2016, S. 164). Die Tatsache, dass „säkulare“ Körperpraktiken als vollkommen unaufdringlich, unverdächtig und normal wahrgenommen werden, lässt muslimische Körperpraktiken, wie das Tragen von Kopftuch und Niqab, das Einhalten bestimmter Speisever- und -gebote, Beschneidungen oder auch das Ablehnen der körperlichen Berührung zwischen nichtverwandten Männern und Frauen, zu einem zentralen Gegenstand der Aushandlung der Position des Islams im deutschen und europäischen Institutionengefüge werden (Karstein und Burchardt 2017).

In diese Liste der zentralen Aushandlungsgegenstände lässt sich der Burkini leicht einreihen. Zwar zielt der Burkini eigentlich darauf ab, Sport oder einen Familienbesuch im Schwimmbad zu ermöglichen und dazu, den weiblichen Körper oder die mit awraFootnote 3 belegten Körperpartien entsprechend einer religiös motivierten Scham fremden Blicken zu entziehen. Allerdings entsteht, ähnlich der Burka, eher eine paradoxe „Hypervisibilität“ (Karstein und Burchardt 2017): Frauen, die im Burkini zum gemischtgeschlechtlichen Schwimmen gehen, müssen sich den Blicken und dem damit verbundenen sozialen Druck im Schwimmbad stellen, der ihnen von Nichtmuslimen und liberaleren Muslimen entgegengebracht werde, die den Burkini eher in die Nähe fundamentalistischer Praktiken rücken. Ein Körper, der kollektiv orientierten, religiös geprägten Normen unterworfen und bedeckt gehalten wird, steht – zumindest vordergründig – im Widerspruch zu der von Gugutzer (2012) identifizierten immanent-säkularen und auf das Individuum fokussierten Diesseitsreligion des Körperkults. Dabei ist der Burkini selbst das Ergebnis einer Neuaushandlung muslimischer Körperpraktiken in einer säkularisierten Umwelt. Özkan Ezli (2014) erklärt, dass der Burkini zwar eine konservative muslimische Körperpraktik ist, weil die Bedeckung des Körpers bevorzugt wird. Es handelt sich aber auch um eine integrative Praktik, weil die betreffenden Frauen in einem geschlechtergemischten Bad schwimmen.Footnote 4 Streng konservative muslimische Rechtsgelehrte aus dem salafistischen Milieu lehnen das geschlechtergemischte Schwimmen grundsätzlich ab, Rechtsgelehrte aus dem Umfeld der Muslimbrüder stimmten laut einer Studie von Shavit und Winter (2011) dem Burkini als legitimer Alternative zu. In dieser Studie wird der Burkini deshalb als konservativ-innovative muslimische Körperpraktik definiert, die liberaleren (übrigens auch von Muslimen praktizierten) Körperpraktiken wie dem Bikini entgegensteht und damit eine Neuaushandlung dessen, was im öffentlichen Raum akzeptiert wird, herausfordert.

Es stellt sich allerdings die Frage, inwiefern hier überhaupt von einer Aushandlung die Rede sein kann, da Badegäste ja nicht, um einen großen Tisch versammelt, das Für und Wider des Nacktduschens aushandeln. Gerade über Körperpraktiken wird im öffentlichen Raum wenig gesprochen. Dennoch geht diese Studie davon aus, dass es hier durchaus zu solch einem Aushandlungsprozess kommt.

Dieser Aushandlungsprozess um Körperpraktiken wird im Schwimmbad wie auch in Schulen, Hochschulen, Kindergärten, Krankenhäusern oder Gefängnissen zunächst einmal durch die Organisation mitbestimmt (Cadge et al. 2017). Die Organisationen regulieren in einem gewissen Maß, welche Kleidung getragen werden darf, ob es in Duschen Einzelkabinen gibt, wie abgetrennt Toiletten sind und wer wen wie anfassen darf. Organisationsregeln haben verschiedene Prägungen: Erstens reflektieren sie rechtliche und politische Normen, die z. B. in Bezug auf die Inklusion des Islam liberaler ausfallen können als die durchschnittlichen Einstellungen der Bevölkerung (Joppke 2014). So erlauben die meisten Bäder in Deutschland den Burkini, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland dem Burkini gegenüber ablehnend eingestellt ist. Zweitens reflektieren die Organisationsregeln kulturell-historische Pfadabhängigkeiten und damit mehrheitsfähige Normvorstellungen von der Regulierung des menschlichen Körpers. Solche Pfadabhängigkeiten (z. B. geschlechtergetrennte Dusche ohne Einzelkabinen) kommen oft den historisch etablierten Mehrheiten zugute, da sie die Bedürfnisse und Normvorstellungen der Nutzerschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt reflektieren. Es ist zu erwarten, dass sich die Mehrheit diesen Regeln problemlos unterwirft, da es die eigenen Regeln sind. Drittens reflektieren die Organisationsregeln organisationsspezifische Besonderheiten. Im Schwimmbad sind dies Prämissen von Hygiene und Sicherheit vor Ertrinken; so hat der Dachverband der Schwimmbadbetreiber 2016 den Bädern in Deutschland die Zulassung des Burkinis empfohlen, weil der Burkini hygienisch und sicher ist (keine Taschen, kein saugendes Material). Wichtig ist zudem, dass die Konkretisierung der Organisationsregeln zumindest teilweise in die Interaktionen im Schwimmbad verlegt werden, etwa indem die Haus- und Badeordnung vieler Bäder lediglich das Tragen „üblicher Badebekleidung“ erlaubt.

Aufbauend unter anderem auf den Erkenntnissen der Carnegie School of Organization Theory (Simon 1945, S. 72–86; March 1994; March and Simon 1958; Olson 1965) sowie spieltheoretischen Überlegungen (Schelling 1960), haben Arbeiten aus dem französischen Centre de Sociologie des Organisations (Crozier 1964; Crozier und Friedberg 1977; Friedberg 1997) Aushandlungsprozesse in Organisationen in den Blick genommen, die entlang der Durchsetzung von Regeln entstehen. Grundidee ist, dass eine Regel nicht einfach existiert, sondern dass Regeln in Vergessenheit geraten, eingefordert und in der Anwendung verändert werden können. Um die Regel entsteht damit ein Spiel mit wechselnden und oftmals den formalen Hierarchien widersprechenden Machtverhältnissen (Friedberg 1997). Das Handeln von Akteuren wird folglich nicht durch eine „von oben“ kommende Organisationsregel eingeschränkt, sondern dadurch, dass andere Akteure in der Lage sind, die Anwendung oder Nichtanwendung dieser Regel einzufordern. Nicht alle Aushandlungen solcher Regeln erfolgen verbal; so kann zum Beispiel die stillschweigende Duldung einer Regelabweichung zentrales Element eines Aushandlungsprozesses sein (siehe z. B. Anteby 2008).

Einer Maximierungslogik des individuellen Akteurs (Esser 1996, S. 94–96) folgend, wäre zu erwarten, dass Individuen in Schwimmbädern darauf bedacht sind, Regeln durchzusetzen, die ihre eigenen Körperpraktiken unterstützen. In einem ansonsten unregulierten Raum sollte dies der Mehrheit besser gelingen als der Minderheit. Interessant an dem hier untersuchten organisationalen Kontext ist nun aber, dass die meisten und auch die hier untersuchten Schwimmbäder in Deutschland den Burkini als Körperpraktik einer Minderheit qua Haus- und Badeordnung bereits unterstützen. Formal muss somit – zumindest hinsichtlich der Badebekleidung – wohl nichts ausgehandelt werden. Hier kommen nun aber die Nutzer mit ins Spiel. Denn sie entscheiden in einem Schwimmbad mit, ob Dinge allein auf dem Papier erlaubt sind oder auch tatsächlich als Praktiken Einzug in die Bäder halten. Die Tatsache, dass Badegäste auch von der Mehrheitsnorm abweichende Praktiken wiederholt im Schwimmbad ausüben, obwohl sie wissen, dass ihnen alle dabei zuschauen und viele nicht wohlwollend eingestellt sind, stellt also einen wesentlichen Teil des Aushandlungsprozess dar. Sanktioniert werden Abweichler im Schwimmbad aufgrund der weitgehend entkleideten Körper und der damit drohenden Sexualisierung vor allem durch Blicke (Kaufmann 1996). Jenseits bestehender Organisationsregeln kommt es zu einer subtilen, nicht immer verbal vermittelten sozialen Normierung von Körperpraktiken in Schwimmbädern (Goffman 2009). Der Aushandlungsprozess besteht also vor allem darin, dass Personen abweichende (d. h. freizügigere oder bedeckendere) Praktiken wiederholt praktizieren und die damit verbundenen Blicke und Kommentare ertragen – vielleicht in der Hoffnung, dass ein Gewöhnungseffekt bei den Mitbadenden einsetzt. Diejenigen, deren Körperpraktiken in der Norm liegen, nehmen an der Aushandlung teil, indem sie den Abweichlern schiefe Blicke und Kommentare erteilen oder eben, indem sie durch den Verzicht darauf eine Öffnung der Mehrheitsnorm ermöglichen.

3 Methoden der Datenerhebung, Daten und Datenanalyse

Die hier vorgestellten Daten wurden im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierten BODYRULES-Projekts erhoben. In einer ersten Studie hat das BODYRULES-Teilprojekt Schwimmbäder eine Umfrage unter den Schwimmbädern in Deutschland über Anpassungen für konservative Muslime in Form von Burkinierlaubnis und getrennten Schwimmzeiten für Frauen durchgeführt. In dieser Umfrage zeigte sich, dass die Wahrscheinlichkeit für Beschwerden über den Burkini in Regionen mit höherem AfD-Wähleranteil und mit höherem Migrantenanteil steigt. Die Häufigkeit von Beschwerden über den Burkini korreliert aber nicht mit der angegebenen Häufigkeit von Burkiniträgerinnen im Bad und auch nicht (im Sinne der Gewöhnung an eine neue Regel) mit der Länge des Bestandes der Burkinierlaubnis. Auch berichten selbst Bäder mit Burkiniverboten von Konflikten um den Burkini. Insgesamt hat die Umfrage unter den Bädern gezeigt, dass sich durch den Burkini viele Konflikte mit der Nutzerschaft ergeben, die nicht allein durch Organisationsregeln gelöst werden können (Michalowski and Behrendt 2020).

Die hier vorliegende zweite Studie (Befragung der Badegäste) untersucht nun, worauf sich die Nutzerschaft beruft, um Körperpraktiken zu legitimieren oder zu kritisieren. Die Studie basiert auf 101 leitfadengestützten Interviews mit Badegästen, die im Sommer 2019 in vier deutschen Freibädern in schwach religiösen Gegenden im Osten Deutschland durchgeführt wurden. Zusätzlich wurden 23 Teilnehmerinnen eines Frauenschwimmens in einem westdeutschen Hallenbad befragt, von denen 19 Kopftuch trugen. Die Interviews wurden auf Deutsch, Türkisch oder Englisch von Interviewern des jeweils selben Geschlechts durchgeführt. Die Stichprobe ist nicht repräsentativ: Die Zahl der ausgewählten Bäder ist zu gering, die Bäder wurden nicht zufällig ausgewählt und die Nutzer wurden nicht systematisch über verschiedene Zeiten und Witterungsverhältnisse befragt. Da zudem je zwei der drei Interviewer türkisch sprachen oder weiblich waren, wurden Frauen und türkisch sprechende Personen übersampled. So sind zwei Drittel der 101 Befragten Frauen, ca. ein Drittel hat einen Migrationshintergrund (d. h. mindestens einen im Ausland geborenen Elternteil). Etwas mehr als die Hälfte der Befragten hat einen tertiären, 40 Personen einen sekundären und 10 Personen einen primären Bildungsabschluss. Unter den befragten Personen sind 66 konfessionslos, 18 Muslime, 14 Christen und drei haben eine andere Religionszugehörigkeit. Das Durchschnittsalter der interviewten Badegäste beträgt 43 Jahre. Mit Blick auf die deutsche Gesamtbevölkerung ist die Stichprobe zu hoch gebildet, zu weiblich, zu muslimisch und zu konfessionslos, was zu einer Überschätzung liberaler Einstellungen führen dürfte.

Dennoch gestattet sie Einblicke in Legitimations- und Kritikrepertoires zu Körperpraktiken in einer säkularisierten Einwanderungsgesellschaft wie Deutschland. Da körperbezogene Fragen gestellt wurden, wurden aus ethischen Gründen keine Jugendlichen, keine Personen mit körperlichen Auffälligkeiten und fast nur Einzelpersonen befragt. Zudem wurden auch keine Personen mit schwarzer oder dunkelbrauner Haut befragt, da davon auszugehen ist, dass sie vielfältige Diskriminierungserfahrungen im Schwimmbad machen und das eigene Wohl- oder Unwohlsein deshalb stärker durch körperliche Normen der Hautfarbe als durch Normen der Körperpraktiken getrieben wird.

Die Badegäste wurden mithilfe eines kurzen Fragebogens mit offenen Fragen (siehe Michalowski und Ünsal 2023) zu den Themen (Un‑)Wohlsein im Schwimmbad, eigene und fremde Badebekleidung sowie Nacktheit in den Duschen befragt.Footnote 5 Zudem wurden einige stärker geschlossene Fragen nach Alter, Migrationshintergrund, Bildungsstand und Religionszugehörigkeit gestellt. Die Interviewdauer war an die besondere Situation im Schwimmbad angepasst, die meist nur kurze Befragungen von etwa 10 Minuten zugelassen hat. Erst durch die etwas höhere Zahl an Interviews konnte eine gewisse empirische Sättigung hinsichtlich möglicher Legitimationsmuster für Körperpraktiken von Badegästen erreicht werden (Strübing et al. 2018, S. 89). Dennoch war die Interviewsituation im Schwimmbad gewinnbringend, weil die Badegäste zu Praktiken befragt wurden, über die normalerweise kaum gesprochen wird; durch den engen räumlichen und zeitlichen Bezug (die allermeisten Badegäste trugen ihre Badebekleidung oder kamen aus der Dusche) wurde jedoch eine beachtliche Nähe zur eigenen Praktik hergestellt. Damit wurden nicht nur subjektive Meinungen, sondern aus der Praktik heraus Rechtfertigungen für das eigene Handeln erfragt. Auch haben die Interviewten trotz der Kürze durchaus intime Fragen zu den eigenen Praktiken locker beantwortet.

Die transkribierten Interviews wurden, Mayring (2008) folgend, zunächst grob entlang der Oberthemen des Fragebogens codiert. Die Codierung erfolgte mithilfe des Programms Atlas.ti (vgl. die Referenzen nach den Zitaten), das die Erstellung von Zitationsberichten entlang der durch die Codierung produzierten Variablen ermöglicht. Durch das Auswerfen aller Berichte für die verschiedenen Codes/Variablen ist ein zunächst 849 Seiten starkes, hierarchisch entlang der Logik eines Baumdiagramms sortiertes Word-Dokument entstanden (siehe Michalowski und Ünsal 2023). Auf der höchsten Ebene bildet das Dokument die verschiedenen Themen des Fragebogens ab. Eines dieser Themen lautet beispielsweise „fremde Badebekleidung“ (1). Auf der zweiten Ebene wird dann auf unterschiedliche Kategorien von Badebekleidung eingegangen, z. B. auf bedeckende versus freizügige Badebekleidung (2). Auf der dritten Ebene werden – z. B. für den Bereich „bedeckende Badebekleidung“ – die Einstellungen zu der jeweiligen Körperpraktik grob codiert, indem zwischen einer ablehnenden und einer offenen Einstellung unterschieden wird (3). Auf der vierten Sortierungsebene erfolgt erstmals eine induktive Codierung des Inhalts, indem innerhalb der Kategorie „ablehnende Einstellung“ etwa die Subkategorien „kulturelles Unverständnis“ und „kulturelle Ablehnung“ unterschieden werden (4). Auf der untersten Ebene (5) werden die einzelnen Zitate abgelegt und durch kurze Überschriften zusammengefasst, z. B. findet sich innerhalb der Kategorie „kulturelles Unverständnis“ ein Zitat mit der Überschrift „der Körper ist etwas Natürliches und muss nicht versteckt werden“.

Der Ergebnisteil folgt zunächst dieser Baumstruktur, um die qualitative Analyse möglichst transparent zu gestalten. Die thematischen Zusammenfassungen werden dann noch einmal in einem Querschnittsvergleich über die unterschiedlichen Themen und Körperpraktiken hinweg analysiert. Im Mittelpunkt der Querschnittsanalyse steht die Frage, ob sich themenübergreifend entlang der verschiedenen Typen von Einstellungen (ablehnend, befürwortend, unentschlossen) Muster in der Wahl von Legitimationen erkennen lassen.

4 Die Befragung der Badegäste: Legitimationen eigener und fremder Körperpraktiken

Ziel der nun folgenden empirischen Analysen ist es, gängige Argumentationsmuster zur Befürwortung oder Ablehnung eigener und fremder Körperpraktiken zu identifizieren. Zunächst werden jeweils Legitimationen für die eigene, dann für die Ablehnung oder Akzeptanz einer fremden Körperpraktik untersucht. Wichtig ist, dass hier unter „fremden Körperpraktiken“ die nichteigenen Praktiken verstanden werden und dass diese fremden Praktiken demnach der eigenen Praktik entsprechen oder sich von ihr unterscheiden können.

4.1 Badebekleidung

Wie bereits in der Einleitung erwähnt, wurde mit dem Aufkommen des Burkinis die ansonsten durchaus freizügige Badekultur in Deutschland um eine bedeckendere Form der Badebekleidung für Frauen ergänzt. Bei den Männern variiert die Freizügigkeitsskala von einer etwa knielangen weiten Shorts über enganliegende längere Badehosen hin zum Badeslip – d. h. der (in Ost- und Westdeutschland) „klassischen“ Badehose, die heute – das haben die Interviews gezeigt – oft als zu freizügige und schwule Praxis empfunden wird. Zudem gelten Praktiken wie Männer-Tanga und FKK als besonders freizügig. Ein Großteil der von uns befragten Badegäste trug innerhalb der gesellschaftlichen Mehrheitsnorm liegende Badebekleidung: nur acht Frauen trugen Burkini, eine Frau eine Bikinihose ohne Oberteil und vier (jüngere) Männer Badeslips. Konservative muslimische Männer fallen mit einer das Knie bedeckenden Shorts selten aus der Mehrheitsnorm, da diese in Deutschland seit den 1990er-Jahren durch die US-amerikanische in etwa knielange Surf-Shorts geprägt ist.

Im Folgenden schauen wir sowohl auf die Legitimation der eigenen Badebekleidung – warum fühlt man sich in der eigenen Badebekleidung wohl, warum hat man sich schon mal unwohl gefühlt – als auch auf Gründe für die Akzeptanz oder Ablehnung fremder Badebekleidung.

4.1.1 Die Legitimation der eigenen Badebekleidung

Wohlfühlen und Normerfüllung

Die befragten Nutzer fühlen sich vor allem dann in ihrer eigenen Badebekleidung wohl, wenn diese etablierten sozialen Normen und Mehrheitspraktiken entsprechen. Badebekleidung, die konform mit der Mode ist, ruft seltener negative Reaktionen anderer Badegäste hervor. Ein sehr deutliches Beispiel ist das einer aus Belgien nach Deutschland remigrierten Frau, die sich für das deutsche Freibad extra einen Bikini gekauft hat, weil sie sich im „vollen Badeanzug“ ein bisschen „überbekleidet“ (96:5, 96:6) vorkam. Ein Badegast antwortete auf die Frage, ob er sich schon einmal aufgrund der eigenen Badebekleidung unwohl gefühlt habe: „Nein. Ich trage immer so durchschnittliche Badebekleidung, dass das niemandem auffallen dürfte.“ (87:3) Ein anderer Badegast (89:9) spricht von „Jungsbadebekleidung“ und „Standardbadebekleidung“, die er trage und zu der „nie irgendjemand was hier [sagt]“. Eine Frau ohne Migrationshintergrund legitimiert einen Bikini damit, dass er „nicht irgendwie krass gepusht hat“ und nicht so war „dass man so gelaufen ist und jeder hingeguckt hat, weil es auch nicht so bling-bling war“ (1:5). So denkt sie schon beim Kauf der Badebekleidung über deren Wirkung nach: „Es gab mal so einen Bikini, den fand ich voll toll. … Den habe ich mir extra nicht gekauft, weil ich dachte, dass er zu sexy ist.“ (1:3). Damit macht diese Frau deutlich, dass von der Mehrheitsnorm abweichende Badebekleidung im Schwimmbad die Gefahr einer Sexualisierung des Körpers birgt. Auch ein männlicher muslimischer Badegast fühlte sich unwohl, weil er eine zu kurze Badehose trug: „Einmal ist es passiert, ich hatte ’ne kurze Badehose oder so, zu kurz. Ja, einmal, aber sonst nicht. Einmal schon war was zu kurz“ (81:7). In den hier zitierten Fällen wird die Norm aber nur indirekt durch die Beobachtung der Anderen und ihre erwarteten Reaktionen erfasst (vgl. Mead 1973 (1934), S. 194–206).

Bei weiteren Befragten kam es zu einer direkten Interaktion mit anderen Badegästen, wodurch die eigene Normorientierung infrage gestellt und an eine mögliche Sexualisierung des Körpers erinnert wurde. Ein Badegast (73:3) fühlte sich unwohl, weil seine Freundin mehrfach von Badegästen „islamischer Kultur“ gebeten worden war, sich obenrum etwas anzuziehen, obwohl das „in diesem Land erlaubt (ist) oder immer erlaubt (war)“ und eine Frau ohne Migrationshintergrund (25:5) fühlte sich unwohl, als der Freund nicht damit einverstanden war, dass sie sich oben ohne sonnte (vgl. Kaufmann 1996). Ein Gefühl des Zu-spärlich-bekleidet- und damit Unwohl-Seins hat sich auch bei Frauen eingestellt, die sich unerwartet in der Gesellschaft komplett bedeckter Frauen befanden. So erklärte diese Frau:

„Ja, na, wenn man also nur von Leuten umgeben ist, die halt mit Straßenkleidung im Bad sind, dann fühlt man sich vielleicht doch schon ein bisschen komisch, also sag ich … So ging es mir schon mal. Aber ich hab mir dann gesagt: Wenn sie das nicht sehen wollen, sollen sie woanders hingucken.“ (52:3)

Bemerkenswert ist, dass diese Person ihr eigenes Unwohlsein oder ihre Scham dadurch überwindet, dass sie sich indirekt die ihr Recht gebende Bekleidungsnorm im Schwimmbad in Erinnerung ruft: Nicht sie muss mehr Badebekleidung tragen, sondern die anderen müssen wegschauen, wenn sie das, was im Schwimmbad normal ist, nicht sehen wollen. Solch eine Strategie der Zurückweisung fremder Wertvorstellungen gelingt zwei anderen Frauen jedoch nicht, da sie in einem freundlichen und persönlichen Verhältnis zu den stärker bedeckten Frauen standen. So war die folgende Frau, deren Eltern aus der Türkei stammen, mit einer der stärker bedeckten Frauen befreundet:

„AW: Einmal vor Jahren, das ist schon ziemlich lange her … Da war ich im Bikini und alle anderen waren … alle anderen Mädchen waren komplett verhüllt. Da hab ich mich unwohl gefühlt. Ja.“ (24:3)

Die dritte Frau berichtet von einem längeren freundlichen Gespräch mit ihrer muslimischen Nachbarin im Hinterhof des Hauses, bei dem sie selbst Bikini trug, aber die Nachbarin verhüllt war. Im Laufe des Gesprächs wurde sie sich ihrer eigenen Nacktheit immer bewusster und schämte sich wohl dafür. Sie schließt diese Erzählung mit dem Hinweis, dass ihr das im Schwimmbad „wirklich egal“ sei (17:4), was verdeutlicht, dass sie sich im Schwimmbad „im Recht“, d. h. normkonform sehen würde.

Wichtig und typisch für das Schwimmbad ist, dass – wie mehrere Badegäste betonten – sich die Normen der Badebekleidung im Schwimmbad je nach Uhrzeit und Wetter und der damit verbundenen Zusammensetzung der Nutzerschaft ändern. So entspricht der ansonsten als altmodische oder schwule Körperpraktik verrufene Männer-Badeslip an kühleren Tagen und unter Sportschwimmern der Norm. Ein Badegast bringt sogar verschiedene Arten von Badebekleidung mit ins Bad, um sich situationsbedingt umziehen zu können (89:9) und eine Frau zieht sich an ruhigeren Tagen gerne am Beckenrand um, vermeidet dies jedoch an Tagen, wenn „die Mehrheit anders gepolt“ zu sein scheint, weil sie das Gefühl hat, dass es dann „Aufsehen erregt, was mir unangenehm ist“ (102:4).

Die Daten suggerieren also, dass es den meisten Badegästen gelingt, eine übermäßige Sexualisierung des eigenen Körpers zu vermeiden, indem sie ihre Körperpraktiken der Mehrheitsnorm unterordnen. Personen, die die Mehrheitsnorm brechen, ziehen die Grenzen dessen, was sie als sexualisierend verstehen, aber an anderer Stelle.

Die Mehrheitsnorm brechen

Festzuhalten ist zunächst, dass auch Badegäste, deren Körperpraktiken freizügiger oder bedeckender als die Mehrheitsnorm ausfallen, eine Sexualisierung ihrer Körperpraktik vermeiden wollen. So lehnt eine sich am Beckenrand ohne Oberteil sonnende, (nichtreligiöse) junge Frau aus Schweden eine Sexualisierung des weiblichen Oberkörpers und seine ungleiche Behandlung gegenüber dem männlichen Oberkörper ab, indem sie der Frage mehrerer Jungen, warum sie kein Oberteil trage, mit der Antwort begegnet, dass sie doch selbst eins tragen sollen (7:4). Eine konservative muslimische Konvertitin, die am Beckenrand Straßenkleidung und Kopftuch trägt (weil sie auch den Burkini ablehnt und eigentlich geschlechtergetrenntes Schwimmen wünscht), will auch die Sexualisierung des eigenen Körpers vermeiden, zieht die Grenze aber an einer anderen Stelle und legitimiert ihre Körperpraktik mit der eigenen moralischen Überlegenheit:

„Ich kenne es ja von früher. Deswegen kann ich es verstehen, wenn man so [Bikini] rumläuft. Die machen sich keine Gedanken. Aber es passieren auch schlimme Sachen, wenn man so rumläuft. Vergewaltigung oder so, weil die Reize einfach mehr da sind als wenn man so [bedeckende Straßenkleidung] rumläuft.“ (46:7)

Setzen sich Individuen über die Mehrheitsnorm hinweg, nutzen sie vor allem zwei Arten von Legitimationen: Erstens wird eine abweichende Bekleidungspraktik dadurch legitimiert, dass sie Kriterien der Funktionalität erfüllt. So wird das Tragen knapper Badebekleidung, beispielsweise ein Badeslip bei Männern, als funktional gesehen, weil enganliegende Badebekleidung für das sportliche Bahnenschwimmen geeignet ist (103:4). Gleichzeitig kann der Badeslip auch die Funktion erfüllen „Tanlines“ (Bräunungsstreifen) zu vermeiden (65:8). Ein Mann erklärte, dass er beim Turmspringen im Freibad von normaler Badebekleidung blaue Flecken davongetragen habe, weswegen er nun eine „kleine, kurze Neoprenhose“ (89:9) trage. Eine Frau definiert den Burkini als funktional und sagt, dass sie sich im Schwimmbad wohlfühle, weil sie durch den Burkini in der Lage sei, ihre Kinder ins Schwimmbad zu begleiten. Sie unterstreicht die emanzipative Funktion des Burkinis, denn ihrer Mutter sei ein Schwimmbadbesuch früher nicht möglich gewesen (42:16). Beim Frauenschwimmen hingegen erklärten zwei Frauen (FS 1, FS 5) den Burkini als dysfunktional, da zu unbequem beim Schwimmen, und legitimieren damit ihre Teilnahme am geschlechtergetrennten Schwimmen, an dem sie dann im Badeanzug teilnehmen. Zweitens wird eine von der Norm abweichende Bekleidungspraktik dadurch gerechtfertigt, dass sie den eigenen Werten entspricht. So erklärte die sich oben-ohne am Beckenrand sonnende Frau, dass sie früher einen Bikini getragen habe, sich aber inzwischen sage: „No. I don’t want to wear, like a bra or something. I just hate it. I really hate it. So I’m just like: no-why?“ (7:5). Eine Frau im Burkini antwortet auf die Frage, ob sie sich schon einmal in der eigenen Badebekleidung unwohl gefühlt habe, dass es dazu nicht komme, weil sie ein bedeckendes Kleid trage (42:16).

Doch auch Badegäste mit von der Mehrheitsnorm abweichenden Körperpraktiken fühlen sich eigentlich nur wohl im Schwimmbad, wenn ihre Körperpraktik von anderen Badegästen kommentarlos toleriert wird. Die Abweichung von der Norm erfordert Mut, denn sowohl die „zu sehr“ als auch die „zu wenig“ Bekleideten mussten sich schon mit Worten für ihre eigene Badebekleidung gegenüber anderen Personen rechtfertigen (65:7 und 13, 7:4, 14:3, 25:5, 73:3, 18:3). Eine Burkiniträgerin berichte, dass sie sich wie eine Außerirdische (49:3; vgl. 51:3) angestarrt und ausgeschlossen fühle; dass sie von Fremden gefragt wurde, ob sie unter dem Burkini nicht schwitze und ob es ihr nicht peinlich sei einen Burkini zu tragen. Einer Frau wurde gesagt, sie solle, wenn sie jetzt schon bedeckt sei, doch zu Hause bleiben (51:5). Diese Frau merkt auch an, dass sie sich doch, nur weil sie jetzt Burkini trage, nicht zuhause einschließen müsse. Eine andere burkinitragende Frau (49:3) hingegen empfand die Reaktionen anderer Badegäste als so störend, dass sie sich nun zwei Mal überlege, „ob ich wieder ins Schwimmbad kommen soll oder nicht.“ Auch bei der Badegästebefragung während des Frauenschwimmens gaben mehrere Frauen an, das gemischtgeschlechtliche Schwimmen im Burkini aus Angst vor solchen Blicken zu meiden. Eine Frau hatte ein Schwimmbad im Burkini besucht und ist auf „drei ältere Damen, die da auch blöde Kommentare gemacht haben“ gestoßen, was sie als sehr unangenehm empfunden hat (FS 5). Eine Burkiniträgerin im Freibad (51:3) hoffte jedoch, sich mit der Zeit „ein dickes Fell“ wachsen zu lassen. Die sich oben-ohne sonnende Frau wurde von Jungs gefragt, warum sie kein Bikinioberteil trage (7:4), ein Badeslip tragender Mann wurde von „irgendeinem kleinen, achtjährigen ähm leider auch wieder einem arabischen Jungen“ darauf hingewiesen „äh, deine Schamhaare gucken raus. Warum hast du so eine kleine Hose an?“ (65:13). Die meisten Badegäste mussten sich jedoch noch nie explizit gegenüber anderen für ihre Badebekleidung rechtfertigen. Dennoch ist, wie dieser Abschnitt gezeigt hat, der normierende Blick der Anderen im Schwimmbad omnipräsent.

Zusammenfassend lassen sich drei Arten von Legitimationen für eigene Badebekleidung erkennen: 1) Die Badebekleidung ist gut, weil sie der Mehrheitsnorm entspricht. Das bedeutet meistens, dass der Körper nicht sexualisiert wird und dass die Badebekleidung (aber auch der in der Badebekleidung präsentierte Körper) den geltenden Mode- und Schönheitsnormen entspricht. 2) Die Badebekleidung ist gut und darf von der Mehrheitsnorm abweichen, weil sie funktional ist. 3) Die Badebekleidung ist gut, weil sie den eigenen Überzeugungen entspricht (Feminismus, religiös orientierte Moral).

4.1.2 Die Legitimation der Toleranz und Ablehnung fremder Badebekleidung

Im zweiten Schritt geht es um die Frage, wie Menschen fremde Badebekleidung bewerten und mit welchen Argumenten sie fremde Praktiken befürworten oder ablehnen, wenn diese sich deutlich von ihren eigenen Körperpraktiken unterscheiden. Der folgende Abschnitt geht zunächst auf die Positionierungen zu bedeckender Badebekleidung (ablehnend, befürwortend, indifferent) ein und fasst danach die Ergebnisse der Analyse zu besonders freizügiger Badebekleidung (ablehnend, befürwortend, indifferent) kurz zusammen.

Ablehnende Haltung zu bedeckender Badebekleidung

Ablehnend eingestellte Badegäste verweisen erstens auf kulturelle Normen, die sie entweder nicht nachvollziehen können oder auch mit einiger Vehemenz ablehnen. Kulturelles Unverständnis wird oft mit Blick auf die schon weiter oben erwähnten unterschiedlichen Grenzen dessen formuliert, was als potenzielle Sexualisierung des Körpers verstanden wird. So gilt für mehrere nichtmuslimische Frauen der menschliche (= säkulare) Körper als natürlich und aufgrund der Natürlichkeit als nichtsexualisiert. Dies wird im weiteren Verlauf der Analyse auch noch hinsichtlich der Nacktheit in den Duschen deutlich. Eine Frau (12:12) betrachtet den Burkini als „körperfeindlich hoch drei“, eine weitere Frau (33:3) ist der Ansicht, dass es nicht unbedingt ein Burkini sein müsse, denn „wir sind alle Menschen und dürfen das auch zeigen“ und eine dritte Frau merkt an:

„Ja. Also für mich ist es fremd halt, diese Badebekleidung [Burkini]. Wobei eben … wenn ich rational denke, dass man auch da tolerant sein sollte … aber mhm ich finde es seltsam eben, dass man sich so bekleiden muss. Also ich finde es schade, dass man nicht den Körper so zeigen kann wie er ist, dass das was scheinbar Schlechtes sein soll.“ (40:8)

Andere Zitate bringen offene Ablehnung anderer kulturell-religiöser Normen zum Ausdruck. Ein Mann (76:5) findet es „nicht schön“, wenn Frauen „total vermummt“ ins Wasser gehen, ein anderer Mann (62:2) sagt, dass man „seine Wäsche zuhause waschen sollte“ und bezeichnet den Burkini als „Ganzkörperkondom.“ Eine Frau (45:9, Übersetzung aus dem Türkischen) findet den Burkini hässlich und wirft den burkinitragenden Frauen vor, „in Deutschland mit Bettwäsche um den Körper im Freibad, im Heimatland in Tangas unterwegs“ zu sein. Ein weiterer Mann vergleicht den Burkini mit der Praktik, dass „manche von der Stirn bis zur Fußzehe voll tätowiert sind“, was eben auch „Geschmackssache“ sei. Dass er diesen Geschmack nicht teilt, steht vollkommen außer Frage (94:4). Wie aufgrund der öffentlichen Debatte über die Bekleidung muslimischer Frauen zu erwarten war, wurde der Burkini auch als Symbol der Unterdrückung von Frauen und einer mangelnden Gleichberechtigung im Islam verstanden und deshalb abgelehnt. Eine Frau (36:8) merkt an: „I think it’s not good for the women’s condition, but, ah … I always thought its like a trap.“ Weitere Badegäste sehen den Burkini als Teil eines politischen Programm Erdoğans (39:2) und bringen den Burkini mit Terrorismus in Verbindung (68:2). Der bereits in der Einleitung zitierte Badegast fragt sich, ob vielleicht bald der Burkini „nur mit Sehschlitz“ (76:12) komme und rückt den Burkini demnach in die Nähe einer fundamentalistischen Praktik, was Helbling und Traunmüller (2020) zufolge die Ablehnung gegenüber einer Praktik verstärkt.

Darüber hinaus gibt es auch Argumente, die sich auf eine fehlende Funktionalität des Burkinis und selbst zusammengestellter bedeckender Badebekleidung (oft als Straßenkleidung bezeichnet) beziehen und die betonen, dass der Burkini den Körper hindere. Insbesondere vermuten befragte Badegäste, dass man im Burkini zu sehr schwitze (z. B. 25:8, 8:2, 57:8, 79:3):

„Auch übertrieben. Du meinst doch diese arabischen Burkas, oder so? … Deren Freiheit, sollen sie machen, was sie wollen, aber bei der Hitze ich bitte dich. Yani jedes Jahr, ich geh doch nach Türkei und da siehst du doch die Frauen schwarz bekleidet wie Ninjasminjas … yani ich brenne schon ohne T‑Shirt. Ich weiß nicht yani müssen die wissen. Hab nichts dagegen, aber natürlich halt manchmal, weil ich Araber hasse, denkt man gleich Arabmarab.“ (81:6)

Eine weitere Frau (39:11) laviert in ihren Abwägungen zum Burkini und liefert zunächst ein funktionales Argument gegen den Burkini (nicht bequem genug zum Schwimmen), schließt aber mit einem funktional-medizinischen Argument dafür (er schützt die Haut vor Sonne).

Insgesamt lässt sich festhalten, dass Argumente, die eine ablehnende Haltung gegenüber bedeckender Badebekleidung legitimieren, den Argumenten zur Bewertung der eigenen Badebekleidung ähneln: verwiesen wird vor allem auf mangelnde Normkonformität und darüber hinaus auf mangelnde Funktionalität. Wie der folgende Abschnitt zeigen wird, ist dies durchaus anders bei Argumenten, die eine befürwortende Haltung gegenüber bedeckender Badebekleidung vermitteln.

Befürwortende Haltung

Ein weiteres grobes Drittel der Befragten in der Stichprobe befürwortet bedeckende Badebekleidung. So verweist etwa diese Frau auf ein Recht auf Selbstbestimmung:

„I’ve seen both: women fully covered and women fully uncovered. I think that’s really good … I think it’s really good that everyone can come however they want.“ (27:1)

Ein Mann fügte dem Gedanken, dass jeder das machen solle, was er für richtig halte, noch die Idee hinzu, dass er es nicht nachvollziehen könne, warum „jemand sagt, dass er sich beeinträchtigt fühlt in seiner Freiheit, wenn andere Leute eine Burka tragen“ (63:2). Weitere Badegäste lehnen die mit einem Burkiniverbot einhergehende Kontrolle ab. Eine Frau bezeichnete Frankreichs Umgang mit dem Burkini als „unmöglich“ (29:10; ähnlich 71:10; 96:18). Darüber hinaus wurde ein Burkiniverbot als illegitimer Eingriff in die Privatsphäre gewertet (77:3, 29:10) und auch das Verbot von T‑Shirts oder Radlerhosen für Mädchen als ungerecht und unverhältnismäßig bezeichnet angesichts der Tatsache, dass Jungs mit Boxershorts und Straßenkleidung ins Wasser gingen (24:8, 70:2).

Weitere Argumente stützen sich auf die Idee, dass der Burkini muslimischen Frauen und ihren Familien, insbesondere den Kindern, soziale Teilhabe ermöglicht. Zwei auf Türkisch befragte Badegäste (19:8, 48:2) begrüßen es, dass der Burkini Frauen und insbesondere Müttern Teilhabemöglichkeiten bietet, die es in der Türkei nicht gebe (48:5). Auch ein Lehrer befürwortet das Tragen von Burkinis:

„Also ich habe viele Schüler bei mir in der Schule. Da kenne ich die Mütter, die die [Burkinis] auch tragen so und die tragen die aus religiösen Gründen …, weil sie sich halt nicht so freizügig zeigen wollen, Schrägstrich dürfen, weiß ich nicht genau wie. Aber ja, solange sie dann ins Schwimmbad gehen, ist das völlig gut, finde ich gut.“ (72:2)

Weitere Befragte zeigen ihr Bewusstsein für religiöse und kulturelle Vielfalt. Dabei unterstreichen die einen, dass Diversität und die Befürwortung kultureller Vielfalt für sie zum eigenen Wertekanon dazugehöre (98:3, 72:2), anderen ist Respekt für unterschiedliche Kulturen und Religionen wichtig (73:2, 77:3, 86:3). Nur eine Frau, die allerdings an anderer Stelle auch explizit Diversität als Wert betont, macht sich derart von Schönheits- und Bekleidungsnormen der Mehrheit frei, dass es ihr gelingt, den Burkini explizit unter modischen Aspekten als schön zu bewerten:

„Ähm ja, ich finde, die [Burkinis] sehen immer toll … also die sind elegant.“ (96:7).

Unter den 101 Befragten ist diese Frau die Einzige, die fremde bedeckende Badebekleidung durch modische Schönheit legitimiert. Vom Gros der Badegäste wird der Burkini gar nicht als etwaige Mode erkannt (vgl. Gerhards 2010, S. 147 f.). Zudem haben die Interviews gezeigt, dass der Burkini, anders als von seiner Designerin Zanetti anvisiert, in Deutschland nicht mit Sport in Verbindung gebracht wird, sondern mit Müttern, die ihre Kinder beaufsichtigen.

Damit lässt sich die Hypothese formulieren, dass die Akzeptanz fremder bedeckender Badebekleidung nicht unter Bezugnahme auf dieselben Argumentationsmuster verläuft, mit denen eigene Badebekleidung befürwortet wird. Der Burkini wird von Nichtmuslimen nicht etwa als der Norm entsprechend oder als funktional dargestellt, sondern die Befürwortung folgt unter Bezugnahme auf höhere Werte.

Indifferente oder unentschlossene Haltung

Circa das letzte Drittel der hier befragten Personen nimmt eine indifferente, zweideutige oder unentschlossene Haltung gegenüber fremder bedeckender Badebekleidung ein. „Jeder, wie er möchte“ (29:8, 38:2, 47:4, 83:2, 90:3, 101:3, 106:3) und „egal“ (13:7, 93:10, 102:1) ist die hier vertretene Philosophie, die einerseits Toleranz ausdrücken mag, andererseits aber auch nicht vorbehaltlos positiv ausfällt.

„INT: Hier ist eine Abbildung der in vielen deutschen Bädern zugelassenen Badebekleidung. Haben Sie hierzu eine Meinung oder einen Kommentar?

AW: Nee. Wieso? Was soll ich mir denn da überlegen? … ach! Das wär was mit einer Burka, ne?

INT: Ja, das wäre der Burkini.

AW: Von mir aus ziehen sie das an. Ist mir so egal, ne?“ (13:7)

Manchmal werden trotz des Fehlens einer explizit ablehnenden Haltung eben jene Legitimationen mangelnder Funktionalität und Konformität angeführt, die auch bei Personen mit ablehnender Haltung zu finden sind, zum Beispiel dass der Burkini unpraktisch oder eigenartig sei.

„INT: Haben Sie sich mal über die Badebekleidung anderer Badegäste gewundert?

AW: Mhmm […] Jaaaa. Natürlich ich wundere mich immer, wenn Leu- äh wenn Frauen mit Burkini da eingehüllt sind. Aber das stört mich nicht. Das – ich respektiere das und frage mich: Wie können sie das ertragen? … Ich nehme in Kauf als wohl äh zu viel als auch zu wenig. Ich bin einfach … Das stört mich nicht.“ (11:15)

Aus dieser Interviewpassage mit einer Frau wie auch aus der folgenden Interviewpassage mit einem Mann wird deutlich, dass diese Badegäste ihre Haltung vielleicht nicht ganz ausbuchstabieren möchten. Etwas stört sie am Burkini und löst ein Unwohlbefinden aus, gleichzeitig möchten sie sich selbst als tolerant oder liberal verstehen. Um diese kognitive Dissonanz gar nicht entstehen zu lassen, wollen sie sich zu diesem Thema am liebsten gar nicht positionieren:

„Burkini. Genau. Ja. Wäre mir z‑/Gut, ich bin ein Mann, … Männer tragen ja keine Burkinis, glaube ich, ne? (lacht) Ähm ja, aber müssen sie selber entscheiden. Also mir wäre es z‑ zu warm damit fürs Baden. Da will ich mich irgendwie eher frei fühlen, oder eher wenig tragen, wenn man es schon mal kann. … Aber ich würde jetzt nichts befürworten oder schlecht finden so von dem.“ (66:7)

Interessant ist zudem eine kleinere Gruppe von Badegästen, die dem Burkini nicht so positiv gegenübersteht wie Personen, die ihn aufgrund bestimmter, ihnen wichtiger Werte und Prinzipien befürworten. Diese Personengruppe findet den Burkini jedoch legitim, „solange der Bademeister sein Okay gibt“ (89:8; ähnlich 65:6) der „Stoff gut ist für den Pool“ (34:7) und es sich nicht um Baumwolle handelt (44:2):

„INT: Was halten Sie davon? Diese Badebekleidung ist in vielen deutschen Bädern zugelassen.

AW: Ja, perfekt. Ja.

INT: Genau. Was halten Sie davon?

AW: Was soll ich denn davon halten? So ist es halt.

INT: (lacht) Ja, finden Sie es gut? Schlecht? Äh gibt es irgendwelche Anmerkungen?

AW: Nee, es ist halt Badebekleidung, ne? Ist halt extra dafür hergestellte Badebekleidung, nicht aus Baumwolle, sondern aus irgendeinem Polyethylen-hast-du-nicht-gesehen-Zeug, in dem man schwimmen kann. So. Und jeder kann ja anziehen was er will, würde ich sagen, je nachdem, wie braun er werden will.“ (65:11)

Angesichts der Tatsache, dass dieser Badegast an einer anderen Stelle des Interviews erklärt hat, dass er knappe Badeslips trägt, weil es ihm wichtig ist, braun zu werden und er unbedingt „Tanlines“ (Bräunungsstreifen) vermeiden will, ist der kleine Nachklapp am Ende des vorherigen Ausschnitts wohl mehr als nur ein absurder Witz. Er bringt vielmehr auf eine lustige Art und Weise ein Unverständnis zum Ausdruck, das mit der eigentlich gewollt liberalen Einstellung kollidiert. Andere Personen halten sehr dezidiert fest, dass sie Straßenkleidung unhygienisch finden und deshalb dafür sind, dass „die Leute, die nicht mit Badeanzug oder Bikini reingehen dürfen … so einen Burkini tragen“ (52:2) oder, dass sie den Burkini okay finden, wenn er zugelassen ist (37:8). Diese Personen stehen dem Burkini nicht uneingeschränkt positiv gegen, sind jedoch gewillt, fremde Körperpraktiken zu tolerieren, wenn sie durch Organisationsregeln gedeckt werden.

Zusammenfassend zeigt sich, dass Personen mit indifferenter oder unentschlossener Haltung gegenüber bedeckender Badebekleidung teils ähnliche Argumente verwenden wie diejenigen, die ihn ablehnen. Andererseits werden auch hier funktionale Argumente gebracht, die dann aber den Burkini als funktionaler als Straßenkleidung darstellen.

Wichtig für die Überleitung zum nun folgenden Teil ist, dass die Badegäste zwar teils sehr freizügige Körperpraktiken verfolgen, Nacktheit im Wasser in diesen Bädern jedoch nicht erlaubt ist. Damit kann es zwar – wie mehrere Badegäste anmerkten (65:13; 63:7) – zu einem Clash unterschiedlicher Körperpraktiken kommen. Begegnungen zwischen komplett nackten und komplett bekleideten Menschen sind allerdings wahrscheinlicher in den Duschen, wo die Aushandlung zwischen säkularen und religiösen Körperpraktiken viel weniger durch die Organisation beeinflusst wird als im Becken- und Liegewiesenbereich. So erlauben die Organisationsregeln den Burkini, regulieren für die Duschen jedoch nicht, ob nun mit oder ohne Badekleidung geduscht werden soll. Architektonisch gesetzt ist in den Duschen meist, dass es keine Einzelkabinen gibt. Damit eröffnen sich innerhalb einer Organisation zwei verschiedene (Ver‑)Handlungsarenen mit auch tatsächlich unterschiedlichem Ergebnis hinsichtlich der Teilhabe von (konservativen) Muslimen.

4.2 Duschen

In den öffentlichen Duschen deutscher Bäder legen Menschen ihre Badebekleidung oft ab, obwohl andere sie dann nackt sehen. Dies ist ein Problem insbesondere für konservative Muslime. Manche Personen behalten lieber ihre Badebekleidung an und ein weiterer Teil vermeidet die Duschen komplett. Wie zuvor wird zunächst die Legitimierung der eigenen Duschpraktik behandelt, dann die Akzeptanz und Ablehnung fremder Duschpraktiken.

4.2.1 Die Legitimation der eigenen Duschpraktik

In der Befragung haben 44 Personen angegeben, nackt zu duschen; 41 meiden die Duschen und neun duschen bekleidet. Im Folgenden werden zunächst die Ergebnisse zu nackt duschenden Badegästen vorgestellt.

Duschen ohne Badebekleidung

Für eine Vielzahl der Befragten ist das Nacktduschen eine normale Körperpraktik, die als vollkommen selbstverständliche (d. h. säkulare) Mehrheitspraktik wahrgenommen wird. Eine Frau beschreibt, dass es zwar einige Personen gebe, „die sich so ein bisschen genieren, aber die beachte ich nicht“, denn „alle, die so schwimmen gehen und danach duschen, sind nackt und gehen dann duschen“ (1:6). Eine ältere Frau berichtet, dass sie „weder Ekel, noch Berührungsängste, noch Körperscham“ in den Duschen habe (9:6). Eine weitere Frau erzählt, dass sie eben erst noch darüber nachgedacht habe, „wie selbstverständlich das ist, dass man hier nackt duscht“ (13:6).

Einige Badegäste legitimieren ihre Körperpraktik mit dem funktionalen Argument der Hygiene; so diese Frau: „also ich möchte bitte jetzt nicht in der Dusche im Badeanzug stehen müssen. Das will ich nicht … Ich möchte in der Dusche nackt sein dürfen, weil das finde ich irgendwie widersinnig, wenn man seinen Körper waschen soll und dann hat man da einen Badeanzug drüber“ (21:7). Ein Mann findet es komisch, wenn andere die Badehose anlassen, weil man das Chlor abwaschen müsse, und dass man ja schon als kleines Kind mit diesem großen (gemeinsamen) Duschbereich aufwachse (84:7). Ein weiterer nackt duschender Mann findet „es auch wichtig, [sich] dann hinterher ordentlich zu waschen, ja?“ (15:5). Mehrere Personen verweisen auf ihre Sozialisation. So antwortet eine Frau auf die Frage, ob es sie störe, dass Leute zum Teil nackt duschen, nur: „Es ist eine Dusche! (lacht) Also ich kenne es auch gar nicht anders“ (97:6). Ähnlich argumentiert auch ein Mann, der sagt: „Ja, ich dusche eigentlich auch nackt. [Das hat] man so gelernt (lacht) Keine Ahnung“ (66:5).

Das Nacktduschen wird oftmals mit Verweis auf die Geschlechtertrennung normalisiert und desexualisiert. Auf die Frage, wie sie zu Nacktheit in den Duschen stehe, antwortet eine Frau: „Da hab ich kein Problem. Also ich bin [eine] Frau und solange das getrennt ist, fühle ich mich da in Ordnung“ (35:5). Eine andere Frau sagt, dass sie in Bereichen, in denen man „als Frau duschen kann“ nackt duscht (58:6; ähnlich ein Mann 92:4). Eine Frau beschreibt die desexualisierte Atmosphäre in der Dusche:

„Ich fühle mich nicht angegafft. Man steht da so verträumt unter der Dusche und dann guckt man auch mal dann: Ach, die ist aber braun oder die, die da ist gerade aus dem Urlaub gekommen – wenn man so den Badeanzug so sieht. Und dann träumt man da so rum. Also mir geht das so, ja? Wenn man mit dem warmen Wasser auf dem Rücken … Ist ja alles so schön. Und dann guckt man schon mal so. Mich stört es überhaupt nicht, im Gegenteil, ehrlich gesagt. Ich finde dieses immer mehr sich abschließen, vereinzeln, das finde ich nicht schön. Warum soll man nicht mal in der weiblichen – ich möchte jetzt nicht mit Männern zusammen duschen, ja? Das möchte ich nicht. Das würde ich aber auch machen, nur dann würde ich meinen Badeanzug anlassen – aber warum soll man nicht mal in so einer weiblichen Community nackt sein? Ich hab überhaupt nichts dagegen, obwohl ich jetzt nicht mehr so jung bin. Mich stört es überhaupt nicht.“ (21:7; ähnlich 34:5)

Auch Männer argumentieren, dass sich jeder in der Dusche verhalten könne, wie er wolle, denn „man muss ja nicht hingucken“ (78:8, ganz ähnlich 84:7). Allerdings gibt es Hinweise in den Interviews, dass die Desexualisierung in der Männerdusche weniger gut gelingt als in der Frauendusche. Männer weisen vereinzelt darauf hin, dass sie aus Angst vor sexuellem Interesse anderer Männer nicht gerne nackt duschen (86:6) oder dass sie vor Kindern nur ungerne nackt duschen, aus Angst, der Pädophilie bezichtigt zu werden:

„Also ich bin jetzt hier fünf Mal schon duschen gegangen. Meistens sind nur kleine Jungs drinnen, ziehen natürlich die Badehose nicht aus und da ist man als Älterer ein bisschen gehandicapt. Ich weiß immer nicht: Ziehst du dir die Hose aus? Dann denken die, du bist …“ (68:10)

Ein Vater mit Sohn erklärt, dass er aus diesem Grund gerne eine Einzelkabine mit Tür hätte:

„Da würde ich mich wohler fühlen, muss ich ganz ehrlich sagen, als dieses Gemeinschaftsding … also jedenfalls, dass man das irgendwie zumachen könnte … Weil man duscht ja dann auch komplett nackt, darf man ja auch nicht vergessen. Und ich muss mich auch nicht hier jedem zeigen, weil äh sind wir mal ganz ehrlich, als erwachsener Mann, und wenn da dann ein Kind reinkommt, a) ist die Schamgrenze ziemlich hoch und b) äh ein falsches Wort, was das Kind loslässt, und s‑ s‑ Polen ist offen.“ (18:5)

Mit seinem Wunsch nach Einzelkabinen ist dieser Badegast nicht allein. Der folgende Badegast bejaht eine entsprechende Nachfrage in Reaktion auf ein Konflikterlebnis in der Dusche, in dem die Regel der Desexualisierung und des Nichthinschauens ebenfalls versagt hat:

„AW: Sagen wir mal, da ist jetzt eine Gruppe von Jugendlichen arabischer Herkunft … sie ziehen halt ihre Un‑/Die gehen ja nicht nackt duschen. … Und wenn du dann nackt bist, dann merkt man schon, dass du mit … Ich hab einen kleinen Sohn und der ist dann auch nackt und dann gucken die einen halt irgendwie an, ne? Dann gucken die halt auf den Penis. … Ich denke mal, weil sie oft keine … Sie sehen nicht so oft Penisse, weil jeder halt hat …. eine Unterhose an, ne? … Und ich wurde auch einmal angesprochen irgendwie so, ob ich … ob ich Jude bin. Ich so: ‚Warum?‘ ‚Ja, weil du beschnitten bist.‘ ‚Nee, guck mal, kann ich vorziehen, siehst du?‘ ‚Lass, ey! ist klar.‘ Ff- (atmet aus) ‚Fragst du mich, Alter? Guckst mir auf den Penis, Alter und ja, bin ich nicht. Bin deutsch. Auch nicht jüdisch.‘ …

INT: Ähm würden Sie sich Einzelkabinen wünschen? […]

AW: Wäre mir egal. Klar, wäre nice, seine eigene Kabine und so, wäre schon okay, warum nicht. Ja.“ (65:10)

Ansonsten sind es insbesondere Personen, die die Duschen komplett vermeiden, die sich Einzelkabinen wünschen.

Vermeiden von Duschen

Der Umfrage zufolge gibt es eine beachtliche Zahl an Badegästen, die die Warmwasserduschen im Freibad vermeiden. Manche Badegäste verweisen dabei auf die schlechte Hygiene der Duschen und damit auf funktionale Argumente (4:7; 67:6). Die meisten Personen begründen ihre Entscheidung nicht oder erklären nur, dass sie lieber zuhause oder aber draußen duschen (29:6). Bei manchen Badegästen ist aber zu erahnen, dass sie lieber zu Hause duschen, weil sie Privatsphäre wünschen und sich in den Gemeinschaftsduschen schämen oder unwohl fühlen würden; so etwa diese Französin:

„INT: Do you use the communal showers?

AW: Ah, no. I go directly to my space.

INT: How do you feel about nudity in showers? Does it bother you if others shower, ah, nude?

AW: At the beginning it didn’t feel comfortable because it’s not in my culture. I know that in Germany people are usually fully naked, like here that was the case. But now I feel it’s okay.“ (36:6)

Ähnlich erklärt auch eine Frau, deren Eltern aus der Türkei kommen (49:6), dass sie die Duschen eher nicht nutzt, weil es keine Einzelkabinen gibt. Die Nacktheit anderer ist vor allem für Personen mit Migrationshintergrund ein Problem. Innerhalb der Stichprobe wünschen sich Personen mit Migrationshintergrund (auch aus den europäischen Nachbarländern) häufiger Einzelkabinen als Personen ohne Migrationshintergrund. Eine muslimische Frau aus dem Libanon erklärte, dass sie selbst nicht die Duschen nutzt und auch ihre Kinder nicht gerne dort duschen lässt, weil ihre Tochter zum Duschen die Badebekleidung ablegen möchte und zudem andere Frauen nackt sieht:

„AW: Selten habe ich für meine Kinder duschen oder ich hier. Aber ich nicht, aber für meine Kinder, weil immer … meine Tochter, sie will nicht alles anziehen. Sie will nicht mit die Bikini machen und dann Dusche zu Hause. Das für mich zu Hause besser.

INT: Mhm. Stört es Sie, dass Personen dort nackt duschen?

AW: … die meiste die Frauen nackt duschen aber auch, das ist okay. Das sind dann alle Frauen.

INT: Mhm. Und das stört Sie nicht.

AW: Nein, nein. Aber für die Kinder (das) nicht so gut, aber für mich ist egal. … Deswegen habe ich nicht so viel hier meine Kinder duschen oder so.“ (38:6)

Eine andere muslimische Frau (Konvertitin ohne Migrationshintergrund) erklärt, dass weder sie noch ihre Kinder die Duschen nutzen, und antwortet auf die Frage, ob es sie störe, dass Personen dort nackt duschen „Na, also ich würde weggucken dann, ja“ (46:5). Eine Frau mit niederländischem Migrationshintergrund (98:6; ähnlich eine russische Frau 8:5) berichtet, dass für sie die Nacktheit der Badegäste in Deutschland beim ersten Mal schockierend gewesen sei. Die niederländische Frau hat sich dann jedoch daran gewöhnt und festgestellt, dass „wenn alle nackt sind … dann ist das gar nichts mehr. … Dann ist man gesichtslos irgendwie. Ja. Und das mag ich auch“ (98:6). Vielen befragten Badegästen fällt es nicht so leicht wie dieser Frau, sich von der Sozialisation in der Kindheit freizumachen. Mehrere nackt duschende Personen (s. oben) betonen, dies in der Kindheit so gelernt zu haben, Befragte aus muslimischen Familien erklären, dass es Teil der Kindererziehung sei, Nacktheit als peinlich und als Affront gegenüber anderen Personen zu verstehen. Auch Personen aus muslimischen Familien, die sich selbst nicht als religiös bezeichnen und/oder Bikini tragen, vermeiden trotzdem das Nacktduschen (50:6; 44:6; 19:6). Allerdings sind muslimische Badegäste bei Weitem nicht die einzigen, die entweder die Duschen meiden oder aber bekleidet duschen.

Duschen in Badebekleidung

Bekleidet duschende Badegäste nehmen eine Zwischenposition ein, da sie die Duschen zwar nicht komplett vermeiden, aber eben auch nicht nackt duschen. Mehrere sind der Meinung, dass der nackte Körper eigentlich privat ist (z. B. 48:7) und Einzelkabinen fehlen, wobei eine Frau, die sich Einzelkabinen wünschen würde, auch denkt, dass dies nicht leicht umzusetzen und vielleicht egoistisch wäre, weil der Platz für Duschen ja begrenzt sei und dann nicht so viele Personen gleichzeitig duschen könnten (45:6, Übersetzung aus dem Türkischen). In der Umfrage haben von neun bekleidet duschenden Personen acht einen Migrationshintergrund (davon sind sieben muslimisch), die neunte Person ist ein Katholik aus einer anderen deutschen Region. Ein Paar aus Korea fand die Nacktheit der Deutschen zu Beginn befremdlich, da es in Asien nicht normal sei, nackt zu duschen. Doch da sie sich mittlerweile seit fünf Jahren in Deutschland aufhalten, toleriert das Paar die Nacktheit der anderen, duscht jedoch selbst bekleidet (88:6). Ein Palästinenser aus Syrien erklärt auf die Frage, was er von der Nacktheit mancher Badegäste in der Dusche halte: „Äh also ich finde das ein bisschen schlecht. Also bei mir bisschen schlecht. Also das ist egal in Deutschland, aber bei Heimatland nicht, verstehst du? Du musst bisschen was tragen, verstehst du? Oder Boxer oder so.“ (93:6).

Zusammenfassend für die Legitimation der eigenen Körperpraktiken des Duschens zeigt sich, dass nackt duschende Badegäste ihre eigene Körperpraktik sehr stark normativ begründen (man muss sich nicht schämen, es ist richtig) und auch funktionale Argumente anführen (es ist hygienischer). Funktionale Gegenargumente werden ebenfalls von Personen genutzt, die sich der Norm des Nacktduschens und überhaupt des Duschens im Schwimmbad entziehen, indem sie die öffentlichen Duschen im Schwimmbad vermeiden (richtig waschen kann man sich nur zu Hause oder in einer sauberen Dusche). Eine Reihe dieser die Duschen meidenden Personen weicht aber auch von rein funktionalen Argumenten ab und erklärt, dass die fehlenden Einzelkabinen sie von einer Nutzung der Duschen abhalten, weil sie sich schämen, ihre Badebekleidung vor anderen abzulegen. Mehrere muslimische Badegäste betonen zudem, dass sie die Nacktheit der anderen in der Dusche von der Nutzung der Duschen abhält. Weitere Analysen haben gezeigt, dass nackt duschende Badegäste in dieser Stichprobe fast nie einen Migrationshintergrund haben und dass unter den die Duschen vermeidenden Badegästen Personen mit Migrationshintergrund und insbesondere auch muslimische Badegäste stark vertreten sind. Sie stellen auch die Mehrzahl der bekleidet duschenden Badegäste.

Da in den Duschen die säkulare Körperpraktik der Mehrheit recht unangefochten dominiert, wird im Folgenden abschließend untersucht, inwiefern vom Nacktduschen abweichende Praktiken toleriert werden.

4.2.2 Die Legitimation der Toleranz und Ablehnung fremder Duschpraktiken

Bei den Einstellungen zu fremden Duschpraktiken finden sich sowohl Nacktheit befürwortende als auch ablehnende Einstellungen. In etwa zwei Drittel der Stichprobe stört sich nicht an Nacktduschenden. Dazu gehören erwartungsgemäß selbst nackt duschende Personen (z. B. 11:5). Darüber hinaus gibt es Personen, die die Praktik des Nacktduschens mit einer starken Norm (richtig/falsch) legitimieren, wie etwa diese Frau: „Nacktheit stört mich überhaupt nicht, besonders in der Dusche, da finde ich das richtig, dass man da nackt ist“ (21:7). Doch auch mehrere Personen, die selbst die Duschen meiden, äußern sich nicht negativ darüber, dass andere nackt duschen. Eine junge Frau ohne Religion und Migrationshintergrund etwa antwortet auf die Frage, ob es sie störe, dass andere Personen nackt duschen:

„AW: Nee, finde ich total in Ordnung. Also ich bin nun mal nicht so offen. Ich mache das nicht so gerne, aber wenn jemand das machen möchte, kann er es gerne machen.

INT: Also Sie würden nicht nackt in Gemeinschaft duschen …?

AW: Nee, ich bin ein bisschen verklemmt. Ich würde das nicht machen.“ (56:6)

Weiteren die Duschen meidenden Personen ist es egal, dass andere nackt duschen, da sie die Duschen selbst gar nicht nutzen (44:6). Eine andere Frau erklärt, dass sie die Duschen manchmal nutzt, aber nicht nackt duscht, denn „das machen eher die Deutschen“ (45:6, Übersetzung aus dem Türkischen). Gleichzeitig stört es sie aber nicht, dass andere nackt duschen (ähnlich 37:6, eine andere muslimische Frau). Auch eine burkinitragende Frau aus Syrien erklärt in Antwort auf die Frage, ob es sie störe, wenn andere nackt duschen:

„AW: (Gehört) mir nicht. (Es ist) Freiheit. Wenn jemand möchte, nackt oder Kopftuch mit die Kleid, das (gehört) mir nicht. … Das ist Freiheit.“ (18:5)

Ähnlich erklärten auch zugewanderte Männer und Frauen aus Russland, Frankreich, Südkorea und den Niederlanden, dass sie sich zunächst an die von ihrem Herkunftsland verschiedene Kultur in Deutschland gewöhnen mussten, es aber jetzt akzeptieren, dass in Deutschland nackt geduscht wird.

Badegäste hingegen, die sich von Nacktduschenden dezidiert gestört fühlen, tragen alle Bekleidung beim Duschen oder meiden sie ganz und sind fast ausschließlich muslimisch. Diese Badegäste begründen ihre Position meist mit Verweis auf die unangemessene Nacktheit vor Kindern.

Zu Duschenden in Badebekleidung gibt es ebenfalls unterschiedliche Positionen. Ein Teil der befragten Badegäste findet, dass jeder selbst entscheiden kann, ob er bekleidet duschen möchte. So antwortet etwa diese Frau auf die Frage, ob es sie störe, wenn andere nackt duschen:

„AW: Ach so. Nee, ich dusche auch nackt. Es gibt natürlich dort Leute, die nicht nackt duschen, aber das kann ja jeder ent- das stört mich nicht. Und wenn es mich stören würde, dann würde ich mich halt nicht ausziehen. Aber das stört mich nicht.“ (17:5)

Auch dieser Mann sagt, dass es ihm egal sei, wenn andere ihre Badebekleidung anbehalten:

„AW: Also wenn sich Leute unwohl in einer Gemeinschaftsdusche fühlen und die sind dann lieber mit Badehose, dann ist das für mich okay. … Ich dusche mich halt nackt. … Ich brauche keine Unterhose beim Duschen. Ich schäme mich auch für nichts so. Deswegen ähm ja, finde ich das okay, wenn man da irgendwie bekleidet, also halt bedeckt oder nicht bedeckt, hingeht. Das ist okay.“ (69:6)

Und ein weiterer Mann betont nochmal, dass gerade in der Dusche keine Vorschriften gemacht werden sollten (ähnlich 91:6):

„AW: Ja, auch da, wie gesagt, muss jeder nach seiner Fasson äh … kann ja dem, der so verschämt ist, nicht sagen, dass er nicht duschen gehen darf und den anderen, die halt sagen: ‚Okay, das gehört zur Körperhygiene zu‘, sagen: ‚Zieh dir mal eine Burka an‘ oder sowas. Muss jeder sehen.“ (85:7)

Ein vierter Mann vertritt ähnliche Positionen. Es sei ihm völlig egal, wenn der andere bekleidet duschen gehe, fügt allerdings hinzu: „Hauptsache, dass ich mich dann auch ausziehen kann“ (103:6). Damit positioniert sich dieser Mann etwas anders als die zuerst zitierte Frau, für die es anscheinend auch kein großes Problem wäre, bekleidet zu duschen, wenn ihr eine bestimmte Situation unangenehm wäre. Eine andere Frau (1:6) berichtet, dass es „immer welche [gebe], die sich ein bisschen genieren, aber die beachte ich nicht“. Einige andere Badegäste (72:5, 77:5) äußern auch Verständnis dafür, dass Menschen mit anderer Religion vielleicht andere Bedürfnisse in der Dusche haben.

Neben den Personen, die bekleidetes Duschen tolerieren oder nicht als störend empfinden und dabei meistens auf Selbstbestimmung verweisen, gibt es auch Badegäste, die Bekleidung in der Dusche vor allem mit Verweis auf mangelnde Hygiene ablehnen wie diese etwas ältere Frau:

„AW: … weil die Mädchen in Badeanzügen mit langen T‑Shirts, mit langen Hosen sich duschen, mit Kopftüchern, wo du denkst: Das ist doch völlig bescheuert. Und sie haben auch noch unter ihren langen Hosen auch noch BH und Schlüpfer an. Das ist nicht schön, es ist nicht hygienisch, es ist nicht gesund. Es macht denen auch bestimmt keinen Spaß, weil das schwer ist im Wasser und es ist aber, wie gesagt, das ist noch nicht lange, das mit dem Duschen, dass die so angezogen alle duschen, ist vielleicht sogar erst fünf oder sechs Jahre. Das ist noch nicht lange. Ich dusche nackt und wenn einer was sagt, dann sage ich: ‚Wir sind nackt auf die Welt gekommen und wir gehen nackt und alle sind gleich‘.“ (39:9)

Bemerkenswert ist, dass sie sich bereits eine Antwort auf eine potenzielle Beschwerde über ihre Nacktheit zurechtgelegt hat. Ein anderer Mann fand Badegäste, die ihre Badehose beim Duschen anbehalten, „zimperlich“ und „komisch“ (84:7).

Insgesamt waren absolute normative Positionierungen für Nacktheit, die keine andere Praktik als legitim gelten lassen, jedoch selten. Auch funktionale Argumente wurden nur selten verwendet. Viele Befragte zeigten sich indifferent und vermieden eine genaue Positionierung. Im Gegensatz zur Badebekleidung scheint es also, als würden sich beim Thema Duschen viele Badegäste etwas zurücknehmen: Badegäste, die sich bei Nacktheit unwohl fühlen, meiden die Duschen einfach. Gleichzeitig wird die Norm, dass in den Duschen deutscher Schwimmbäder nackt geduscht werden kann, nur von einer Minderheit der Badegäste (die in dieser Umfrage alle muslimisch sind) explizit abgelehnt. Andersherum ist auch den meisten nackt Duschenden bewusst, dass ihre Körperpraktik womöglich nicht auf ungeteilte Zustimmung trifft und dass es Personen gibt, die nicht nackt duschen mögen. Dabei wird nicht nur an Muslime, sondern auch an jüngere Personen gedacht, von denen es wiederholt heißt, sie seien prüder als frühere Generationen. Dass die Desexualisierung des nackten Körpers in der Dusche fragil ist, ist demnach vermutlich den meisten Beteiligten bewusst.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Einstellungen zu fremden anderen Körperpraktiken in der Dusche weniger polarisiert sind als bei der Badebekleidung. Einige wenige Personen fordern, dass man in der Dusche nackt sein sollte und verweisen vor allem auf das funktionale Argument der Hygiene, andere fordern, dass man in der Dusche nicht nackt sein sollte, und legitimieren diese Forderung vor allem mit dem Verweis auf Kinder sowie die eigene Sozialisation, die so viel Nacktheit verbietet. Am häufigsten jedoch wird eine Laissez-faire-Haltung eingenommen, der zufolge jeder selbst entscheiden solle, wie man sich in der Dusche verhalte. Insgesamt zeigt sich für Körperpraktiken in der Dusche ein gewisses Paradox: Einerseits gehen die Körperpraktiken der Badegäste in der Dusche potenziell weiter auseinander als bei der im Wasser oder auf der Liegewiese getragenen Badebekleidung. Denn während die einen nackt duschen, könnten die anderen die Dusche im Burkini betreten. Tatsächlich aber zeigt die Befragung, dass von den Badegästen mit bedeckenderen Körperpraktiken sehr viele die Duschen komplett meiden und nur eine Minderheit bekleidet duscht. Die Duschräume werden als Freiräume für Nacktheit wahrgenommen. Durch diese Selbstselektion sind die Körperpraktiken in den Duschen letztendlich homogener als im Wasser oder auf der Liegewiese.

Im folgenden Abschnitt werden nun die bisher gewonnenen empirischen Ergebnisse noch einmal stärker abstrahiert und miteinander verglichen.

4.3 Zusammenfassender Querschnittsvergleich

Hier sollen kurz die Legitimationsgrundlagen für die Positionierung der befragten Individuen gegenüber eigenen und fremden Körperpraktiken (Befürwortung, Ablehnung, Toleranz) im Querschnitt über die beiden Themenfelder (Badebekleidung und Duschen) noch einmal vergleichend zusammengefasst werden.

Wie bereits erwähnt, können für die Legitimierungen des Wohl- oder Unwohlbefindens in der eigenen Badebekleidung sowie für die Legitimierung der Akzeptanz oder Ablehnung fremder Badebekleidung vier Typen von Argumenten herausgearbeitet werden: (1) Argumente der Normenkonformität besagen, dass Körperpraktiken gut oder schlecht sind, je nachdem, ob sie von der Mehrheit als akzeptabel oder inakzeptabel angesehen werden. (2) Argumente der Funktionalität zeigen an, dass eine Praktik zwar nicht der Mehrheitsnorm entspricht, dies aber einen guten (rationalen) Grund hat. (3) Wertbasierte Argumente finden Verwendung, wenn eine Normüberschreitung legitimiert werden soll, die legitimierte Praktik jedoch nicht funktional (rational) erscheint. (4) Scham wird schließlich geäußert, wenn Individuen die Mehrheitsnorm nicht erfüllen, aber auch keine funktionalen oder wertebasierten Legitimationen zur Hand haben, warum dies der Fall ist (Tab. 1).

Tab. 1 Für die Legitimierung von Körperpraktiken der Bekleidung und des Duschens verwendete Typen von Argumenten

Interessant ist hier besonders, dass fremde Praktiken, die von der eigenen differieren, grundlegend anders legitimiert werden. Keiner der befragten Badegäste hat eine Veränderung der Mehrheitsnormen in dem Sinne vorgeschlagen, dass es gut sein könnte, wenn alle sich mehr bedecken. Auch konnte die Funktionalität des Burkinis nur begrenzt nachvollzogen werden, da das grundlegende Bedürfnis, den Körper zu bedecken, für die hier befragten Personen schwer nachzuvollziehen war. Das Ausweichen auf höhere Werte wie Diversität und Selbstbestimmung ist insofern ein gangbarer Ausweg, da der Burkini dann neben anderen von der Mehrheitsnorm abweichenden Praktiken einsortiert und gleichzeitig etwa mit der freizügigen Praktik des Sich-oben-ohne Sonnens toleriert werden kann.

5 Diskussion

In diesem letzten Abschnitt sollen nun die empirischen Befunde im Licht der in der Einleitung formulierten Hypothesen über mögliche Aushandlungsszenarien hinsichtlich der Position von Religion im öffentlichen Raum und ihre Veränderung durch das Aufkommen von Minderheitenpraktiken diskutiert werden. Dabei wird auch noch einmal auf die Literatur zum säkularen Körper sowie auf die organisationssoziologische Literatur eingegangen.

(1) Das erste mögliche Aushandlungsszenario lautet, dass säkulare Körperpraktiken durch die Präsenz von Minderheitenpraktiken verändert werden. Diesbezüglich lässt sich festhalten, dass solch eine Veränderung nur in Ausnahmen stattgefunden hat. Eine Frau zieht sich nicht am Beckenrand um, wenn die Mehrheit anders „gepolt“ zu sein scheint und einige Männer zögern in der Dusche ihre Badebekleidung abzulegen, was allerdings primär den aktuellen gesellschaftlichen Debatten über den sexuellen Missbrauch von Kindern sowie der Angst vor homosexuellem Begehren geschuldet ist. Dennoch dürfte diese Veränderung konservativeren muslimischen Nutzern indirekt entgegenkommen und vielleicht auch zu einer Veränderung der organisationalen Rahmenbedingungen führen, etwa durch den Einbau von Duschkabinen. Prinzipiell lässt sich aber gerade für die Duschen festhalten, dass die dort nackt duschenden Badegäste in fast exemplarischer Weise die von Amir-Moazami (2016) angesprochene Selbstverständlichkeit des säkularen Körpers zum Ausdruck bringen, indem sie erklären, dass der Körper und seine Nacktheit natürlich seien, dass man sich seines Körpers nicht schämen müsse, und zwar erst recht nicht in geschlechtergetrennten Duschen. Diese Erklärungen können als Legitimation einer säkularen Praktik verstanden werden, weil den Befragten durchaus klar ist, dass andere Badegäste (Muslime werden explizit genannt) sich der eigenen und auch fremder Nacktheit schämen. Damit wird auch rhetorisch eine rational-säkulare Praktik einem religiös-irrationalen Gefühl der Scham (Scheer et al. 2020, S. 6) gegenübergestellt. In der Tat entschuldigen sich die weniger freizügigen Badegäste eher, als dass sie eine Neuordnung der Praktiken in den Duschen einfordern. Die Praktiken der Mehrheit werden also weder hinsichtlich der Badebekleidung noch in den Duschen merklich an die Praktiken und Wünsche der Minderheiten angepasst. Die bestehenden Organisationsregeln stützen diese Situation. Eine Rücknahme säkularer Praktiken zugunsten religiöser Praktiken scheint unwahrscheinlich. Das im Göttinger Freibad seit der Sommersaison 2022 erstmals gestattete Schwimmen ohne Bikinioberteil weist vielmehr in die entgegengesetzte Richtung eines Ausbaus säkularer Praktiken.

(2) Das zweite mögliche Aushandlungsszenario lautet, dass es zu einer Rekonfiguration des säkularen Raums kommt, um Platz für religiöse Minderheiten zu schaffen. Dieses Ergebnis ist durchaus eingetreten. Drei Viertel der Schwimmbäder in Deutschland erlaubt inzwischen den Burkini, wodurch definitiv Platz für muslimische Minderheiten in deutschen Schwimmbädern geschaffen wird. Allerdings suggeriert die Nutzerbefragung, dass eher eine Minderheit diesen organisationalen Wandel mitträgt und bereit ist, den weitgehend säkularen Raum des Schwimmbads tatsächlich neu zu konfigurieren. Einem anderen Teil der Nutzerschaft wäre durchaus daran gelegen, diese religiöse Praktik aus dem Schwimmbad zu verbannen. Bei dieser Ablehnung spielt auch eine Rolle, dass der Burkini in seiner Intention kaum von anderen Nutzern verstanden wird, d. h. diese ein religiös begründetes Gefühl der Scham in „normaler“ Badebekleidung nicht nachempfinden können. Scham wird nur für aus der Norm fallende (z. B. übergewichtige) Körper nachvollzogen. Keiner der befragten nichtmuslimischen Badegäste hat die muslimisch motivierte Praktik, den (weiblichen) Körper stärker bedeckt zu halten, mit tradierten kulturell-religiös bedingten Praktiken aus dem eigenen Leben verknüpft. So hat unter den Befragten ohne Migrationshintergrund niemand in Antwort auf die Frage nach der Sozialisation daran erinnert, dass noch vor wenigen Jahrzehnten etwa in katholischen Schulen die Kürze der Röcke oder die Tiefe des Dekolletés kommentiert wurden. Körperpraktiken werden von den hier Befragten nur säkular verstanden. In der vorliegenden Studie mag dies daran liegen, dass die Badegäste in schwach religiösen Regionen im Osten Deutschlands befragt wurden und kaum Katholiken an der Studie teilgenommen haben. Gerade solch ein Aufeinandertreffen von einer sich weiter säkularisierenden ehemals christlichen Bevölkerung (Müller et al. 2013) mit einer sich nur zurückhaltend säkularisierenden muslimischen Bevölkerung (Diehl and Koenig 2013) dürfte jedoch in Zukunft in deutschen Bädern eher die Regel als die Ausnahme darstellen. Damit bleiben die Rekonfiguration des öffentlichen Raums und die Öffnung für religiöse Minderheiten unvollständig. Personen, die diese Öffnung unterstützen, tun dies unter Verweis auf höhere Werte wie Diversität und Selbstbestimmung. Das Schwimmbad als Organisation kann seine Besucher aber nur bedingt zu solchen Werten erziehen.

(3) Das dritte mögliche Aushandlungsergebnis, demzufolge sich bisherige Konfigurationen von Säkularität auf konservative muslimische Körperpraktiken ausdehnen und sie unterbinden, kommt organisationsseitig in Deutschland eher selten zum Tragen; die meisten Bäder erlauben ja den Burkini. Auf Seiten der Nutzer können Reaktionen jedoch so ablehnend sein, dass Burkiniträgerinnen sich in manchen Bädern nicht wohlfühlen und diese Bäder meiden. Verstärkt würde die Tendenz einer nutzergetriebenen Segregation, wenn es den aktuellen feministisch-genderinklusiven Bewegungen in Deutschland gelingen sollte, die unterschiedliche Bewertung von männlich und weiblich konnotierter Badebekleidung nachhaltig als Diskriminierung zu framen. Haus- und Badeordnungen, die sowohl den Burkini als auch Schwimmen ohne Bikinioberteil erlauben, erscheinen diversitätsfördernd, emanzipativ und inkludierend. De facto deuten aber die hier vorliegenden Ergebnisse insbesondere zu den Aushandlungsprozessen in den Duschen darauf hin, dass die Gleichzeitigkeit dieser Praktiken schwerfällt und entweder das Organisationspersonal verstärkt vermittelnd in Konflikte eingreifen muss oder aber Aushandlungsprozesse um die tolerierte Praktik an die Nutzerschaft abtritt. In diesem Fall wäre in einer großstädtischen Bäderlandschaft eine verstärkte Segregation nach Bädern zu erwarten. In kleineren Städten wäre zu erwarten, dass entweder freizügigere oder bedeckendere Praktiken ermöglicht werden oder dass konservativ-muslimische Badegäste trotz Burkinierlaubnis auf das Schwimmen verzichten.