1 Einleitung

Studien weisen darauf hin, dass die Rekonfiguration lokaler Personentransportmärkte durch digitale Plattformen konfliktreich verläuft und Akteure materielle und symbolische Ressourcen mobilisieren, um ihre Vorstellungen zur Governance des Marktgeschehens durchzusetzen (Adler 2021; Collier et al., 2018; Pelzer et al. 2019; Spicer et al. 2019; Tzur 2017). Unter Governance verstehen wir in Anlehnung an Richard Scott (2001, S. 140) alle institutionalisierten Arrangements einschließlich formaler und informeller, staatlicher und privater, regulativer und normativer Mechanismen, durch die Macht und Herrschaft ausgeübt werden. Digitale Plattformunternehmen gelten in diesen Auseinandersetzungen als materiell und symbolisch mächtige Kernakteure (Dolata 2015; Kenney et al. 2021), die jedoch in ihrem Einsatz neuer technologiebasierter Organisationsformen durch bestehende, national variierende Institutionengeflechte eingeschränkt werden (Davis und Sinha 2021; Kirchner und Schüßler 2020; Mair und Reischauer 2017; Pernicka und Johnston 2021; Thelen 2018). Wenn sich beispielsweise digitale PlattformenFootnote 1 erfolgreich als Auftraggeber oder, im Extremfall, als reine Technologienetzwerke inszenieren, die lediglich Angebot und Nachfrage nach einer Dienstleistung zusammenführen, entledigen sie sich sämtlicher gewerberechtlicher, steuer- und arbeitsrechtlicher Vorschriften, die für andere Marktteilnehmer (z. B. Taxiunternehmen oder Taxizentralen) weiterhin gelten. Die Frage, inwieweit und warum sie in unterschiedlichen Kontexten ihre Vorstellung zur Governance durchsetzen und durch den Einsatz neuer Technologien, aber auch neuer Geschäftsmodelle und -praktiken, zu einer Disruption bestehender Regelungen und Deutungsmuster beitragen können, bedarf somit weiterer Untersuchung.

Um diese Fragestellung konzeptionell zu adressieren, entwickeln wir einen durch Pierre Bourdieus Sozialtheorie inspirierten feldtheoretischen Zugriff auf die Governance von Märkten, der sich als anschlussfähig zu Literatursträngen der politischen Ökonomie (Streeck und Schmitter 1991), der Wirtschaftssoziologie (Fligstein 2001; Beckert 2009, Fligstein und McAdam 2011) sowie der Organisationstheorie (Zietsma et al. 2017) erweist und multiskalaren, komplexen und netzwerkartigen Dynamiken von Governance Rechnung trägt. Dieser Feldzugriff erlaubt es, Unterschiede in den Wahrnehmungen, Bewertungen und Reaktionen der Akteure in den involvierten Handlungsfeldern, d. h. dem ökonomischen Feld (in unserem Fall: Taxi‑, Mietwagen-, und Plattformunternehmen), dem assoziativen Feld (Unternehmensverbände, Gewerkschaften, Interessengruppen) und staatlichen Feldern (Exekutive, Legislative, Gerichte auf unterschiedlichen Ebenen) herauszuarbeiten und damit über die bestehenden, stark auf nationale Institutionengeflechte abstellende „Varieties of Uberization“-Analysen (Davis und Sinha 2021; auch Thelen 2018) hinauszugehen.

Um die Wirkung der Plattformen in etablierten Märkten empirisch und konzeptionell besser zu verstehen, fokussieren wir auf einen Vergleich der Entwicklungen des Personentransportsektors mit Pkw in Wien (Österreich) und Berlin (Deutschland). Auch wenn der Personentransportsektor lokal eingebettet ist und somit die relevanten Akteure möglicherweise andere sind als in standortunabhängigen Plattformmärkten, gilt er weithin als typischer Fall für aktuelle regulatorische Auseinandersetzungen über die Governance von Internetplattformen. In den beiden Untersuchungsländern ist der Personentransportsektor hoch reguliert. Die Logik des ökonomischen Wettbewerbs ist zugunsten von Prinzipien der öffentlichen Daseinsvorsorge, d. h. Betriebs- und Beförderungspflichten, Tarifordnungen und Konzessionsregeln, stark eingeschränkt und assoziative Akteure spielen eine wichtige Rolle. Aus diesem Grund macht es Sinn, neben dem Zustand des ökonomischen Feldes (Personentransportsektor) insbesondere die Interaktionen mit assoziativen Feldern und staatlichen Feldern stärker in den Blick zu nehmen.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Governance von Personentransportmärkten in Berlin und Wien innerhalb des Untersuchungszeitraums (2013–2021) durch einen fortdauernden Konflikt zwischen Marktöffnung und -liberalisierung einerseits und der Integration neuer Akteure unter die bestehenden und in der Folge adaptierten Ordnungsrahmen für Taxis- und Mietwagen andererseits bestimmt ist. Im Vergleich zur Situation in den meisten Teilen der USA legen die feldspezifischen Kräfterelationen in den beiden Städten nahe, dass sich digitale Plattformen zumindest teilweise den feldinternen Strukturen und Praktiken unterordnen müssen. Ausgehend von sehr ähnlichen Feldstrukturen des Personentransportgewerbes führten die Konflikte um dessen Rekonfiguration aber zu unterschiedlichen Ergebnissen. Während in Wien mit dem Gelegenheitsverkehrsgesetz (GelVerkG 2020) die Plattformen in die restriktiveren Bestimmungen des bestehenden Taxigewerbes eingegliedert wurden, schreibt das deutsche Personenbeförderungsgesetz (PBefG 2021) eine Grenze zwischen Taxi- und Mietwagengewerbe und daher auch den Konflikt zwischen Taxiunternehmen und Plattformen fort. Diesen Befund führen wir vor allem auf die Wechselwirkungen des ökonomischen Feldes mit dem Feld der Macht sowie den unterschiedlich stark fragmentierten assoziativen und politisch-administrativen Feldern zurück.

Unsere Ergebnisse leisten einen wichtigen Beitrag dazu, Plattformen als „institutionelle Chamäleons“ (Vallas und Schor 2020) besser einzuordnen: Plattformen haben nicht per se aufgrund ihrer technologischen oder organisationalen Infrastruktur einen disruptiven Effekt auf bestehende Märkte. Dieser Effekt hängt in großem Maße davon ab, welche institutionellen Schutzvorrichtungen es in konkreten transnationalen, nationalen oder lokalen Kontexten gibt oder welche geschaffen werden. Gleichwohl müssen Plattformen als machtvolle Akteure ernst genommen werden, weil sie über hohes ökonomisches und symbolisches Kapital verfügen und intensives Lobbying betreiben, um die Möglichkeiten neuer Technologien in ihrem Sinne zu nutzen. Unsere Ergebnisse präzisieren somit bestehende vergleichende Analysen der Plattformökonomie (Thelen 2018; Davis und Sinha 2021; Mair und Reischauer 2017; Uzunca et al. 2018), indem sie neben den nationalen Institutionengeflechten auch dynamische Feld- und Machtrelationen sowie die historisch bedingten Dispositionen und Weltbilder der beteiligten Akteure hervorheben. Durch einen feldtheoretisch informierten Governancebegriff leisten wir außerdem einen Beitrag zu aktuellen Debatten im Bereich der Plattform-Governance (z. B. Flyverbom et al. 2019; Frenken et al. 2019; Gegenhuber et al. 2020; Plantin et al. 2018), die bislang stark auf die Rolle von staatlichen Akteuren auf der einen und der Selbstregulierung von Internetkonzernen auf der anderen Seite abstellen und die Bedeutung der historisch unterschiedlich strukturierten ökonomischen oder lokalen Felder, die durch Plattformorganisationen angegriffen werden, außer Acht lassen.

2 Eine feldtheoretische Perspektive auf die Governance von Plattformmärkten

2.1 Wandel oder Kontinuität der Governance von ökonomischen Feldern

Ein zentrales Erkenntnisinteresse der frühen Governance-Forschung war die Erklärung der relativ stabilen Reproduktion gesellschaftlicher Ordnungen. Ein etwaiger Wandel dieser Ordnungen wurde als primär exogen, etwa durch technologische Disruptionen, wirtschaftliche Krisen oder politische Umbrüche induziert, gesehen (kritisch hierzu: Streeck und Thelen 2005). Akteurszentrierte Ansätze der Wirtschafts- und Organisationssoziologie entwickelten demgegenüber eine größere Sensibilität für Wandel und Innovation innerhalb von sozialen Feldern, in denen Etablierte und Außenseiter um die Vorherrschaft und Durchsetzung ihrer Vorstellung von Governance konkurrieren (vgl. insbesondere Crouch 2005; Fligstein und McAdam 2011; Mayntz und Scharpf 1995). Dieser Ansatz soll endogene Wandlungsmöglichkeiten kapitalistischer Gesellschaften aufzeigen und damit weg vom Bild der eher statischen „varieties of capitalism“ (Hall und Soskice 2001) führen, in denen Akteurskonstellationen, Machtstrukturen und Governance-Ordnungen als mehr oder weniger gegeben angesehen werden.

Eine theoretische Herausforderung, die aus unserer Sicht von den etablierten feldtheoretischen Governance-Ansätzen bisher noch nicht überzeugend beantwortet wurde, ist die Frage, ob, unter welchen Bedingungen und wie sich Governance-Ordnungen von Märkten in der Wechselwirkung endogener und exogener Kräfte transformieren. In Bezug auf Plattformen betonen bisherige Studien auf der einen Seite die strukturierende Marktmacht der Internetkonzerne (Dolata 2015; Kenney und Zysman 2016; Kenney et al. 2021). Auf der anderen Seite rücken existierende politisch-gesellschaftliche Arrangements ins Zentrum, in denen Koalitionen von Akteuren mehr oder weniger gestaltend auf die Regulierung und Governance von digitalen Marktakteuren einwirken können (Davis und Sinha 2021; Thelen 2018; Rahman und Thelen 2019). Thelen (2018) weist auf Basis einer vergleichenden Analyse des Markteintritts von Uber in Deutschland, Schweden und den USA darauf hin, dass die regulatorischen Auseinandersetzungen in den jeweiligen Ländern sehr unterschiedlich verlaufen, weil Uber kontextabhängige regulatorische Diskussionen evoziert, die von etablierten Akteuren und Uber selbst entsprechend unterschiedlich mobilisiert werden. In der Analyse bleibt aber unklar, wie sich die unterschiedlichen, an der Auseinandersetzung beteiligten Akteure (neu) strukturieren und über welche symbolischen und materiellen Machtressourcen sie verfügen. Stattdessen wird die Rolle bestimmter nationaler Regeln und Akteure, inklusive deren Machtressourcen, als mehr oder weniger durch nationale Kontexte gesetzt betrachtet. Ein feldtheoretischer Zugang erlaubt es, die dahinter liegenden Dynamiken einer graduellen soziotechnischen Transformation (Dolata 2011) genauer zu fassen und zu spezifizieren, unter welchen Bedingungen digitale Plattformen tatsächlich einen disruptiven Einfluss auf das ökonomische Feld des Personentransportmarktes und auf angrenzende Felder ausüben.

Während politökonomische Ansätze soziale Sphären oder Felder üblicherweise als voneinander abgrenzbar betrachten, wird zunehmend problematisiert, dass Felder dynamisch sind, offene Grenzen haben und sich Machtverhältnisse nicht zuletzt durch den Einfluss digitaler Technologien rekonfigurieren (Powell et al. 2017). Zwar fußen jüngere, relationale Feldkonzeptionen wie die der „issue fields“ (Hoffman 1999; Zietsma et al. 2017) oder der „strategic action fields“ (Fligstein und McAdam 2011) bereits stark auf dem Feldbegriff von Pierre Bourdieu, setzen diesen aber insbesondere im Hinblick auf die symbolischen und materiellen Macht- und Herrschaftsbeziehungen, die dynamischen Interaktionen zwischen Feldern und den Einfluss historisch erworbener und zum Teil unbewusster Handlungsorientierungen nur teilweise um. Gerade im Kontext von Plattformen sind Feldgrenzen besonders relevant, da Plattformen selbst als „disruptive fields“ (Wruk et al. 2020) daherkommen, welche mit etablierten Feldern interagieren und unterschiedliche ökonomische, zivilgesellschaftliche und regulatorische Akteure mobilisieren (z. B. Wood und Lehdonvirta 2021; Johnston 2018; Gegenhuber et al. 2021; Kirchner und Schüßler 2020).

Eine machtsensible Differenzierung sozioökonomischer Felder nach ihren technologischen Funktionen in jene, in denen Innovationen entwickelt, produziert und kommerzialisiert werden und in jene, die extern entwickelte Technologien anwenden und an die sektorspezifischen Erfordernisse anpassen, eröffnet zwar den Blick auf die Wechselwirkungen zwischen diesen Feldern (Dolata 2013, S. 9), lässt aber ebenfalls die Beziehung zwischen sozioökonomischen Feldern einerseits und politisch-administrativen, assoziativen, rechtlichen und weiteren sozialen Feldern andererseits theoretisch unterbelichtet. Mit einem engeren Bezug auf Bourdieus Sozialtheorie beabsichtigen wir, diese umkämpften Beziehungen zwischen Akteuren und Feldern besser zu fassen und jene (verborgenen) Mechanismen von Macht und Herrschaft aufzudecken, die der jeweils legitimen Weltsicht auf die Governance von Märkten und Technologien und ihren Verteilungsimplikationen zugrunde liegen.

2.2 Eigener Ansatz: Plattformmärkte als umkämpfte soziale Felder

Eine durch Bourdieu inspirierte feldtheoretische Perspektive teilt mit traditionellen politökonomischen Governance-Ansätzen die Annahme, dass moderne kapitalistische Gesellschaften aus relativ autonomen sozialen Sphären oder Ordnungen mit jeweils dominanten Handlungslogiken bestehen, die auf das Verhalten der Akteure einwirken. Während beispielsweise in der staatlichen Sphäre ebenso wie in Märkten und Unternehmen formale und explizite Regeln und Normen den dominanten Governance-Modus darstellen, wirken in Gemeinschaften und Clans eher informelle, implizite Modi (Crouch 2005). Mit seinem Begriff des symbolischen Kapitals, das allen politischen Konflikten, nicht nur jenen in der engeren Domäne der Politik, um die Konstitution und Legitimation der sozialen Welt zugrunde liegt, räumt Bourdieu informellen Governance-Modi einen zentralen Stellenwert ein.

Global operierende Plattformen treffen auf bestehende soziale Felder mit ihren spezifischen, historisch gewachsenen Regeln und Handlungslogiken (Swartz 2013) und können dort, je nach Zustand dieser Felder, eine Rekonfiguration oder eine Integration in bestehende Ordnungsmuster bewirken. Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien selbst ermöglichen eine bestimmte Form der webbasierten Unternehmung (Davis et al. 2015), die bisherige Organisationformen infrage stellt, weil sie die Arbeitskraft „on demand“ ohne formale Organisation im Hintergrund verfügbar macht. Allerdings wirkt die soziotechnische Plattformarchitektur (z. B. Lei 2021; Seemann 2021) keineswegs deterministisch, sondern lässt unterschiedliche soziale Beziehungen und Organisationsmodelle zu, was zu Macht- und Deutungskonflikten führt (Schüßler et al. 2021). Bourdieus Idee des „epistemologischen Bruchs“ mit dem Common Sense der gewöhnlichen Alltags- und Wissenschaftsvernunft legt jedenfalls nahe (Bourdieu und Wacquant 1996, S. 285), digitale Technologien nicht als gegebene, präkonstruierte Entitäten, sondern als soziale Artefakte und verfestigte soziale Handlungslogiken zu begreifen (Sterne 2003), die mit den Kräfterelationen und Konfliktdynamiken innerhalb und zwischen den Feldern variieren. Somit werden digitale Technologien und deren Nutzung durch Plattformunternehmen selbst zum Gegenstand von Klassifikations‑, Deutungs- und Bewertungskonflikten.

Um diese Konflikte rekonstruieren zu können, nehmen wir eine relationale Perspektive ein, welche die soziale Welt als einen mehrdimensionalen Raum fasst, in dem AkteureFootnote 2 je nach ihrer Position über mehr oder weniger materielle und symbolische Gestaltungsmacht verfügen (Bourdieu 1985, S. 9 f.). In diesem Raum positionieren sich nicht nur individuelle und kollektive Akteure, sondern auch historisch evolvierte, relativ autonome soziale Felder, deren Mitglieder um die Deutungshoheit im Ensemble der verschiedenen Felder kämpfen (Bourdieu und Wacquant 1996, S. 136, S. 323). Unter einem sozialen Feld verstehen wir einerseits ein relativ autonomes Handlungs- und Konfliktfeld mit einer eigenen Logik und spezifischen Sinnstrukturen sowie dynamischen Grenzen (Bourdieu und Wacquant 1996, S. 135). Andererseits ist ein soziales Feld eine Konfiguration von relationalen Positionen, die sich aus der Verteilungsstruktur der jeweils geltenden Kapitalien (Arten von Macht) bestimmen und „deren Besitz über den Zugang zu den jeweils in diesem Feld auf dem Spiel stehenden spezifischen Profiten entscheidet“ (Bourdieu und Wacquant 1996, S. 127). Jene Zone des sozialen Raumes, in dem um die relativen Kräfteverhältnisse und die Autonomie der unterschiedlichen Felder gerungen wird, verstehen wir als Feldgrenzen durchschneidendes „Feld der Macht“ (Schneickert et al. 2020). Dort dominieren mächtige Akteure aus allen Feldern, etwa Regierungsmitglieder, interessenpolitische Verbände oder Vertreter marktbeherrschender Unternehmen. Bourdieus feldtheoretisches Konzept erlaubt es daher, Akteure nicht ausschließlich fest bestimmten Feldern zuzurechnen, sondern diese in unterschiedlichen Feldern relational zueinander zu verorten.

Während etwa Fligstein (2001) ein an den symbolischen Interaktionismus angelehntes Konzept des Akteurs vorschlägt, der aufgrund seiner „sozialen Fähigkeiten“ (Social Skills) auf die Konstruktion und Veränderung lokaler Ordnungen einwirken kann, knüpft Bourdieu sein Akteurskonzept enger an die sozialstrukturellen Positionen und die historische Genese von sozialen Feldern. Die Geschichte des Feldes ist untrennbar mit dem feldspezifischen Habitus, dem praktischen Sinn der Akteure, verbunden (Bourdieu 1980). Habitus sind „Wahrnehmungs‑, Denk- und Handlungsschemata“ (Bourdieu 1980, S. 101) von Individuen und Gruppen, in denen frühere soziale Erfahrungen zum Ausdruck kommen, die wiederum Grundlage der Wahrnehmung und Beurteilung aller späteren Erfahrung werden, ohne diese zu determinieren (Bourdieu 1980). Darüber hinaus bilden sich im Habitus die Machtrelationen eines Feldes ab; entsprechend variieren die Dispositionen und Interessen zwischen und innerhalb von Gruppen. So zeigte sich beispielsweise in einer Analyse der Taxibranche in Los Angeles, dass große Taxiunternehmer, etwa Yellow Cab Kooperative, aufgrund ihrer überregionalen und bisher dominanten Position im Taxifeld eine andere Wahrnehmung und Bewertung digitaler Plattformunternehmen entwickelten als kleinere, lokal operierende Taxiunternehmer. Während letztere die Kooperation untereinander und mit den Unternehmensverbänden und Gewerkschaften suchten, um eine breite Gegenbewegung gegen die neuen Plattformen zu entwickeln, zog es die Yellow Cab Kooperative vor, durch überregionale Angebote in direkte Konkurrenz mit den Plattformen zu treten (Pernicka 2019, S. 18 f.).

Zusammenfassend lassen sich folgende feldinterne und feldexterne Kräfte identifizieren, die zur Reproduktion oder zum Wandel von Feldern und ihrer Governance beitragen (können) (vgl. auch Boyer 2014; Pernicka et al. 2021) (siehe auch Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Feldinterne und -externe Kräfte bei der (Re‑)Konfiguration von Plattformmärkten. (Quelle: eigene Darstellung, inspiriert durch Boyer (2014, S. 367))

(1) Dynamik feldinterner Konflikte. Die Governance-Ordnung eines Feldes ist Ausdruck der historischen und aktuellen Konflikte um dessen Regeln, Handlungslogiken und Wertmaßstäbe und zugleich ein institutionalisiertes Spielfeld, auf dem um die Verteilung der feldspezifischen Kapitalien gerungen wird. Neben staatlichen Akteuren, Unternehmen und Fahrern wirken je nach lokaler und länderspezifischer Ausprägung auch Gewerkschaften und Unternehmensverbände an der Governance in den Feldern des Personentransportsektors mit. In relativ intakten Feldern nehmen wir an, dass dominante Akteure ein Interesse an der Aufrechterhaltung des Feldes haben, um ihre eigene Position abzusichern. In stärker umkämpften Feldern gehen wir davon aus, dass sich die Akteure an der Gestaltung von neuen Strukturen und Praktiken beteiligen, um die, aus ihrer jeweiligen Sicht, Attraktivität des Feldes zu erhöhen.

(2) Relationen zu anderen sozialen Feldern. Als feldexogene Kraft wirken die Relationen zu anderen sozialen Feldern und eine mögliche Re-Definition der Feldgrenzen unter der Einwirkung der feldinternen Konflikte (Bourdieu 2000). Insbesondere das Taxifeld nimmt im Ensemble des Personentransportfeldes mit wenigen Ausnahmen (z. B. Black Cabs in London) eine relativ untergeordnete Position ein. Die Branche ist in Deutschland und Österreich als Teil des öffentlichen Personennahverkehrs organisiert. Die Grenzen zu dem von den dort geltenden Regeln ausgenommenen Mietwagenfeld sind seit dem Markteintritt der digitalen Plattformen hochumkämpft. Für die Governance des Taxifeldes entscheidend sind darüber hinaus die Logiken und Praktiken staatlicher und assoziativer Felder, deren Akteure (etwa die österreichische Wirtschaftskammer oder die deutsche Industrie- und Handelskammer) auch in die Berufsausbildung und in Genehmigungsverfahren einbezogen sind.

(3) Feldeintritt neuer Akteure. Der Eintritt neuer Akteure kann rekonfigurierend oder verstärkend auf feldspezifische Handlungslogiken und Praktiken wirken. Plattformen haben daher nicht per se aufgrund ihrer technologischen und organisationalen Infrastrukturen einen disruptiven Effekt auf bestehende Taxifelder. Abhängig von dem Zustand des Feldes (feldinterne Kräfterelationen, Regeln, Praktiken und Deutungsmuster) und der Position seiner Akteure im Feld der Macht können Plattformunternehmen und ihre Technologien die feldspezifischen Regeln und Machtstrukturen ändern oder sie müssen sich in die, gegebenenfalls adaptierten, Governance-Ordnungen einfügen (vgl. auch (4)).

(4) Relative Autonomie gegenüber dem Feld der Macht. Im Feld der Macht wird um die Hierarchie der Felder und ihrer Kapitalien sowie deren Einfluss und Geltungskraft in feldspezifischen Konflikten verhandelt. Der Grad der feldspezifischen Autonomie bemisst sich daran, in welchem Ausmaß feldfremde (heteronome) Logiken den internen Hierarchisierungsprinzipen untergeordnet werden (Schneickert et al. 2020, S. 28). Die Frage, ob sich Akteure in Taximärkten weiterhin an den Prinzipien des öffentlichen Personennahverkehrs orientieren und damit die relative Autonomie des Feldes aufrechterhalten oder eine Marktliberalisierung zugunsten von Prinzipien privater Wettbewerbsmärkte durchgesetzt wird, entscheidet sich demnach an den Machtrelationen und Konfliktdynamiken im Feld der Macht.

(5) Habitus (De‑)Synchronisation. Die Geschichte des Taxifeldes und seiner symbolischen Anerkennung (insbesondere als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge) ist untrennbar mit dem feldspezifischen Habitus, dem praktischen Sinn der Akteure verbunden (Bourdieu 1980). Wir gehen davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sich Akteure aktiv an der Erhaltung oder Reorganisation des Feldes beteiligen, wenn feldspezifischer Habitus und Feldstrukturen zu stark voneinander abweichen und diese Desynchronisation ins Bewusstsein dringt. Sowohl in Wien als auch in Berlin haben sich mit dem Feldeintritt digitaler Plattformen die Wettbewerbspositionen und die Kapitalverteilungen im Taxifeld radikal verändert. Sowohl dominante Mehrwagenbetriebe als auch kleinere Unternehmen und Beschäftigte sehen etablierte Wahrnehmungs- und Bewertungsmaßstäbe ihrer Tätigkeit gefährdet, weil Plattformen taxiähnliche Dienstleistungen anbieten, ohne die Regeln und Normen des Taxigewerbes, beispielsweise die Garantie eines diskriminierungsfreien Zugangs und das Zahlen von auskömmlichen Tarifen für die Lenker, zu befolgen. Durch organisierte Proteste und politische Aktionen, die auf eine Re-Regulierung des Sektors abzielen, versuchen Taxiunternehmer und Vertreter von Unternehmensverbänden ihre mit den feldspezifischen Dispositionen in Einklang stehenden strukturellen Positionen zu verteidigen.

3 Fallauswahl und Methoden

Die Plattformökonomie beinhaltet eine Vielzahl unterschiedlicher Organisationen, Sektoren und Technologien (Srnicek 2016). Angefangen mit großen E‑Commerce-Plattformen, wie Amazon, über Social-Media-Plattformen, wie Facebook, bis hin zu Tausch- und Arbeitsplattformen wird häufig noch unterschieden, ob die Arbeitsleistung für die Plattform eher lokal, ortsgebunden („Gig Work“) oder digital und global verteilt („Crowdwork“ oder „Cloudwork“) erbracht wird (Vallas und Schor 2020; Schmidt 2016). Personentransportplattformen zählen zur Gruppe der Plattformen, die ortsgebundene Dienstleistungen vermitteln (Kirchner und Matiaske 2020). Sie eignen sich besonders gut, um den potenziell disruptiven Einfluss neuer digitaler Technologien zu untersuchen, insbesondere wenn sie, wie im Fall von Taximärkten und dem öffentlichen Personennahverkehr, auf stärker regulierte Märkte treffen, durch die sie auf EU-, Bundes‑, Landes- und kommunaler Ebene intensive regulatorische, materielle und symbolische Aushandlungsprozesse anstoßen (Adler 2021; Collier et al. 2018). Vergleichbare Märkte wären die Wohnungsvermietung (z. B. Airbnb) oder auch hoch qualifizierte Cloudwork, beispielsweise in der Rechtsberatung. Daher gehen wir davon aus, dass die von uns identifizierten Mechanismen zunächst für die Gruppe der „Gig-Work-Plattformen“ relevant sein werden, aber in vielen Bereichen auch weiter generalisierbar sind.

Innerhalb dieses Sektors vergleichen wir die Bundeshauptstädte der Länder Deutschland und Österreich, Berlin und Wien, die zwar ähnliche ökonomische Feldstrukturen und -praktiken aufweisen und in die Europäische Union eingebettet sind, sich aber in dem Zustand der politisch-administrativen und der assoziativen Handlungsfelder (z. B. Fragmentierung des Feldes der Interessenverbände und -gruppen in Deutschland, Zentralisierung und hohes Maß an Koordinierung in Österreich) unterscheiden, weshalb wir Varianzen in den Reaktionen der interessenpolitischen Akteure und ihrer Einflusschancen auf die Governance von Plattformen im Personentransportsektor erwarten. Der Beobachtungszeitraum umfasst die Jahre 2013–2021.

Unsere empirischen Befunde stützen sich auf insgesamt 16 leitfadengestützte, teilstrukturierte Interviews und zwei Follow-up-Interviews mit Taxiunternehmern, Repräsentanten von Interessenverbänden und -gruppen der Taxi- und Mietwagenbranche, politischen Akteuren und Behördenvertretern (für eine genaue Auflistung der Interviews siehe Anhang) sowie eine Analyse der Zeitungen Taxi Times, Der Standard, Die Presse, FAZ, Süddeutsche Zeitung und Tagesspiegel und von Policy Briefs, Gesetzestexten, Gerichtsurteilen und Internetseiten der relevanten Akteure.

Die inhaltsanalytische Auswertung erfolgte in drei Schritten. Zunächst haben wir eine vergleichende Feldvermessung der Governance-Ordnungen, Strukturen und Deutungsmuster der Taxi- und Mietwagenbranche in Berlin und Wien vor dem Markteintritt von digitalen Plattformen vorgenommen. Dann wurden, basierend auf unserem Kräftemodell (siehe Abb. 1), die neu eintretenden und etablierten Akteure, Konfliktlinien, Positionskämpfe und Machtverschiebungen vergleichend analysiert. In einem dritten Schritt haben wir die Critical Junctures herausgearbeitet, die zu Stabilisierungen oder Veränderungen der beiden Governance-Ordnungen beigetragen haben.

4 Empirische Befunde zur Governance von Personentransportmärkten

4.1 Taxis vor dem Markteintritt von digitalen Vermittlungsdiensten und Plattformunternehmen

In beiden untersuchten Städten gibt es einen gut ausgebauten öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), in dem Taxis traditionell die „letzte Meile“ zwischen dem Linienverkehr und dem Zielort der reisenden Personen anbieten. Taxiunternehmen erfüllen damit als Teil des ÖPNV Aufgaben der Daseinsvorsoge. Um einen allgemeinen und diskriminierungsfreien Zugang zu ermöglichen, sind der freien Gewerbeausübung von Taxiunternehmen durch Betriebs- und Beförderungspflichten, Tarifordnungen und Konzessionsregeln in Wien und Berlin relativ enge Grenzen gesetzt. Taxifahrer müssen elementare Sprachkenntnisse, eine positiv absolvierte Ortskundeprüfung und einen Pkw-Führerschein vorweisen. Bis zur Novelle des Gelegenheitsverkehrsgesetzes 2020 konnte eine Taxikonzession in Österreich nur nach vorheriger mindestens dreijähriger Beschäftigung als Taxilenker erworben werden. Im Vergleich zu anderen Bereichen der Daseinsvorsorge, wie etwa Schulen oder das Gesundheitswesen, die überwiegend durch die öffentliche Hand finanziert werden, ist das Taxifeld auch ein ökonomisches Feld, in dem die Akkumulation und Verteilung von ökonomischem Kapital auf dem Spiel steht. In welche Richtung sich das Spannungsfeld zwischen den Prinzipien der Daseinsvorsorge und jenen der wirtschaftlichen Konkurrenz bewegt, hängt auch von der Fähigkeit und dem Willen staatlicher Akteure auf nationaler und kommunaler Ebene ab, einen entsprechenden gesetzlichen Rahmen vorzugeben und angemessene Tarife zu verordnen, nichtregelkonformes Verhalten zu sanktionieren und damit einen ruinösen Wettbewerb zwischen den Anbietern zu verhindern.

Da ein preislicher Wettbewerb aufgrund der fixen Tarife nicht möglich ist und in Wien und Berlin, im Gegensatz etwa zu München oder Frankfurt, keine quantitative Obergrenze von Taxi-Konzessionen existiert, waren viele Unternehmen und Fahrer aufgrund der hohen Wettbewerbsintensität bereits vor dem Markteintritt der digitalen Plattformen existenziell gefährdet oder von anderen Finanzierungsquellen (z. B. Sozialleistungen) abhängig (Interview 6, 12). Im Vergleich zu Hamburg (ca. 550 Einwohner pro Taxi) oder Bremen (ca. 850 Einwohner pro Taxi) müssen Taxifahrer in Berlin (ca. 450 Einwohner pro Taxi) und Wien (ca. 390 Einwohner pro Taxi) mit einer weit geringeren Anzahl potenzieller Kunden rechnen (Bundesverband Taxi und Mietwagen 2019; vgl. Tab. 1). In beiden Städten weist die Branche daher eine geringe Wertschöpfung, sehr niedrige Entlohnung, teilweise prekäre Arbeitsbedingungen und einen nicht zu unterschätzenden Anteil an Schattenwirtschaft auf (Linne und Krause 2016; Kluge et al. 2020). Die Betriebsgrößen variieren von Kleinstunternehmen mit nur einem Fahrzeug bis zu Großbetrieben von mehr als 15 Fahrzeugen (Linne und Krause 2016). In Wien sind etwa zwei Drittel aller Beschäftigten in der Taxibranche als unselbstständig Beschäftigte tätig (vgl. Tab. 1). Im Gegensatz zu Berlin existiert in Wien zwar ein allgemeinverbindlicher Kollektivvertrag für die Angestellten und Arbeiter der Taxi- und Mietwagenbranche und damit auch für die seit 2014 mit Plattformen kooperierenden Unternehmen; der kollektivvertragliche Mindestlohn ist allerdings sehr gering und beträgt bei einer Vollzeiterwerbstätigkeit (55 Std. in der Woche, inkl. Stehzeiten) nur 1500 € brutto (Bundeskollektivvertrag für das Personenbeförderungsgewerbe mit Pkw 2020).

Tab. 1 Feldvermessung der Taxi- und Mietwagenfelder (Stand 2014 und 2019, wo gekennzeichnet)

Neben den Taxiunternehmen spielen die Taxizentralen als traditionelle Vermittlungsinstanzen zwischen Fahrern und Kunden eine zentrale Rolle. Bis zum Markteintritt von digitalen Plattformen wies das Taxifeld in beiden Städten eine hohe Konzentration von wenigen dominanten Taxizentralen auf (vgl. Tab. 1), die keinen eigenen Fuhrpark besitzen und im Wettbewerb um Vermittlungsgebühren von selbstständigen Taxiunternehmen stehen. Während in Wien ein Konkurrenzverbot gilt, das Fahrzeuge (nicht Unternehmen) an eine Funkzentrale bindet, die sich prinzipiell auch auf Taxi-Apps erstreckt, sind in Berlin Mehrfachvermittlungen üblich (Kluge et al. 2020).

Die Feldgrenzen zwischen dem Taxifeld und dem Feld der Mietwagenunternehmen waren vor der Entwicklung digitaler Vermittlungsplattformen relativ klar und unumstritten. Für Taxis gibt es als Teil des ÖPNV eine Pflicht zur Beförderung von Fahrgästen, eine Betriebspflicht und vorgeschriebene Tarife, während Mietwägen von den genannten Pflichten nicht erfasst werden und ihre Preisgestaltung nach Angebot und Nachfrage richten können. Ein weiterer Unterschied zwischen Taxis und Mietwägen besteht darin, dass erstere ihre Fahrgäste an Taxistandplätzen oder während einer Leerfahrt spontan aufnehmen können, während Mietwägen nur Beförderungsaufträge eines geschlossenen Teilnehmerkreises annehmen dürfen, die am Betriebssitz des Unternehmens eingegangen sind. Darüber hinaus gilt die Rückkehrpflicht für Mietwägen nach einem ausgeführten Auftrag zum Betriebsstandort, es sei denn, es ist in der Zwischenzeit am Betriebsstandort ein neuer Auftrag eingelangt. Mietwägen dürfen im Gegensatz zu Taxis nicht außerhalb des Betriebssitzes auf Aufträge warten oder durch Winken und Ansprache herbeigerufen werden (Personenbeförderungsgesetz § 49 für Berlin und Gelegenheitsverkehrsgesetz § 3 Abs 2 sowie Wiener Taxi‑, Mietwagen- und Gästewagen-Betriebsordnung § 36 Abs. 3 für Wien; Stand November 2020).

Mietwagen- und Taxiunternehmen werden interessenpolitisch in beiden Städten von Unternehmensverbänden organisiert. Die assoziativen Felder in Wien und Berlin unterscheiden sich allerdings erheblich voneinander. Taxi- und Mietwagenunternehmen werden in der hoch konzentrierten und zentralisierten Wirtschaftskammer Wien und ihrem Bundesverband organisiert, während Berlin eine ausgesprochen pluralistische Interessenvertretungslandschaft aufweist, die teilweise noch aus der Teilung Berlins und verschiedenen, „ethnisch“ organisierten Subgruppen resultiert (Interviews 2, 5). Während in Wien der Ausgleich von teils widersprüchlichen Interessenlagen innerhalb der auf Pflichtmitgliedschaft beruhenden Wirtschaftskammer trotz der großen Heterogenität der Mitglieder gängige Praxis ist, erschweren die Konflikte zwischen den relativ divergenten Dispositionen und Positionierungen der interessenpolitischen Repräsentanten in Berlin eine Vereinheitlichung. Ein Großteil der ehrenamtlich tätigen Verbandsvorstände besitzt selbst ein Taxiunternehmen oder, wie im Fall des Bundesverbands Taxi und Mietwagen e. V. (BVTM), sogar eine der größten Taxizentralen in Berlin. Die in den politischen Verhandlungen dominanten Akteure der Wirtschaftskammer sind demgegenüber hauptamtlich beschäftigt und orientieren sich nach wie vor an der sozialpartnerschaftlichen Tradition, weisen einen kompromissorientierten Habitus auf und treten regelmäßig in (Tarif‑)Verhandlungen mit den Gewerkschaften. In beiden Städten erfahren die unselbständigen Taxi- und Mietwagenfahrer innerhalb der Gewerkschaften Vida, GPA (Österreich) und Verdi (Deutschland) eine geringe Priorisierung, die nicht zuletzt auf die schwierigen Organisationsbedingungen (hoher Dezentralisierungsgrad bei den Beschäftigten und Unternehmen) zurückzuführen ist (Interviews 4, 12).

4.2 Feldexterne Akteure, Machtverschiebungen und neue Konflikte um die Rekonfiguration des Taxifeldes

Feldfremde (heteronome) Einflüsse auf die Governance nehmen häufig die Gestalt ökonomisch oder symbolisch machtvoller Akteure an, die neu in das Feld eintreten. Gerade Großstädte wie Wien und Berlin sind hierbei „Kulminationspunkte“ für neue kommerzielle Anbieter und neue Mobilitätskonzepte (Interview 5; vgl. Tab. 2). Die über viele Jahrzehnte relativ unveränderten Feldgrenzen und -praktiken der Taxibranche wurden erstmals im Jahr 2009 durch die in Deutschland gegründete digitale Vermittlungsplattform MyTaxi (seit 2019 FreeNow) herausgefordert. Die seit 2011 auch in Wien verfügbare App bedeutete vor allem für die etablierten Taxizentralen feldinterne Konkurrenz. In Wien verteidigte der Betreiber einer der beiden dominanten Taxizentralen (40100) seine Vormachtstellung, in dem er auf das Konkurrenzverbot verwies und eigenen Mitgliedern mit Ausschluss drohte, sollten sie auch Vermittlungen über MyTaxi annehmen (Lill 2011). Da der neue Mitbewerber bis zum Jahr 2020 nur Taxis vermittelte, wurden vorerst nur die Feldpraktiken und eingesetzten Technologien, neben Funk und Telefon auch eine Vermittlungs-App, und nicht die Feldgrenzen zwischen dem Taxi- und dem Mietwagenfeld verändert.

Tab. 2 Neu eintretende Akteure in Taxi- und Mietwagenfeldern (Stand 2021)

Das digitale Plattformunternehmen Uber hingegen forderte mit seinen neuen Technologien, Geschäftsmodellen, Organisations- und Arbeitsformen die etablierten Feldgrenzen zwischen dem Taxifeld und dem Feld der Mietwagenunternehmen in beiden Städten heraus. Wie in den meisten europäischen Metropolen (z. B. London und Paris) musste Uber auch in Berlin und Wien auf das in den USA gängige Geschäftsmodell, in dem private Pkw-Besitzer als Fahrer operieren (UberPop), verzichten. Im Unterschied zu Österreich wurde UberPop in Deutschland im Jahr 2013 zwar für kurze Zeit aktiviert, im darauffolgenden Jahr aber durch ein gerichtliches Urteil bundesweit verboten. In dem Urteilsspruch wird festgehalten, dass Fahrer über eine Erlaubnis nach dem Personenbeförderungsgesetz (sogenannte Taxikonzession) verfügen müssen (Landesgericht Frankfurt a. M. 2014). Ungeachtet dieser Bestimmung kooperiert Uber sowohl in Berlin als auch in Wien seit dem Jahr 2014 mit Mietwagenunternehmen, die, wie oben ausgeführt, keinen Tarif‑, Beförderungs- und Betriebspflichten unterliegen, obwohl die Plattform taxiähnliche Dienste vermittelt.

Die meisten feldspezifischen Grenzkonflikte konzentrierten sich bis zur Novellierung des deutschen Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) im Jahr 2021 und des österreichischen Gelegenheitsverkehrsgesetzes (GelverkG) im Jahr 2020 daher auf die kritische Frage der Rückkehrpflicht von Mietwägen zur Betriebsstätte, die vor allem durch die Taxiverbände als zentrales Unterscheidungsmerkmal zwischen Taxi und Mietwägen hervorgehoben wurde (Interviews 1, 2, 10). Um die starke Zunahme von Mietwagenunternehmen, die mit Uber kooperieren (vgl. Tab. 1), einzudämmen, haben insbesondere die etablierten Taxizentralen und -unternehmen zahlreiche Gerichtsverfahren gegen die neuen Vermittlungsplattformen angestrengt. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich urteilten Gerichte zunächst für ein bundesweites Verbot von digitalen Vermittlungsplattformen, die mit Mietwägen kooperieren, weil diese, wie Taxis, spontan über die App Fahrten anbieten und damit die Rückkehrpflicht von Mietwägen umgehen würden (vgl. OGH 2018, BGH 2019 und Landesgericht Frankfurt a. M. 2019). Basierend auf dem EUGH Urteil aus dem Jahr 2017, wonach die Plattform Uber in einem vielbeachteten Rechtsstreit zwischen Asociación Profesional Elite Taxi gegen Uber Systems SpainSL als Verkehrsdienstleister und nicht als Informationsdienstleister im Sinne der EU-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr aus dem Jahr 2000 einzustufen sei, urteilte der deutsche Bundesgerichtshof (BGH), dass Uber Black aufgrund unlauteren Wettbewerbs gegen das Personenbeförderungsgesetz verstoße (BGH 2019).

Österreichische Gerichte folgen dieser Interpretation des EUGH ebenfalls, sehen aber die Standortwahl der Plattform restriktiver. Während deutsche Gerichte die Niederlassungsfreiheit der Plattform im Sinne der EU-Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt aus dem Jahr 2006 nicht berührt sehen, stuft der OGH (2019) in einem weiteren Urteil die Plattformen, ebenso wie traditionelle Taxizentralen, als Vermittler von Personenbeförderungen (hier: durch Mietwagen) mit Gewinnerzielungsabsicht ein, woraus sich die Verpflichtung ergibt, einen Betriebssitz im Inland einzurichten und ein Gewerbe anzumelden. Uber stellt daraufhin im Jahr 2019 seine Tätigkeit vorübergehend ein, beginnt aber noch im selben Jahr, als Uber Austria GmbH mit einer Gewerbeberechtigung als Reisebürounternehmen mit Sitz in Wien seine Geschäftstätigkeit wieder aufzunehmen. Demgegenüber betreibt Uber seine Geschäftstätigkeit in Berlin nach wie vor von seinem europäischen Stammsitz in Amsterdam aus. Dies erschwert die Durchsetzung von Gerichtsurteilen bei Verstößen gegen die Rückkehrpflicht und befreit Uber von der Errichtung von Gewerbesteuern in Deutschland.

Weitere neue Akteure, die bis zur Novelle des PBefG unter der sogenannten „Experimentierklausel“ (§ 2 Abs. 7 PBefG für neue digitale Geschäftsmodelle) operierten, forderten die etablierten Strukturen und Praktiken des Taxifeldes in Berlin heraus; in Wien gibt es, abgesehen von traditionellen Sammeltaxis, keine Anbieter in diesem Bereich. Diese Akteure betreiben Pooling-Dienste, in denen sich mehrere Fahrgäste ein Fahrzeug teilen. Diese sind ebenfalls von den Regeln des Taxifeldes ausgenommen. Auffallend ist, dass neben der Taxivermittlungs-App FreeNow auch diese Anbieter mittlerweile im (Mit‑)Eigentum großer deutscher Automobilkonzerne stehen, die auf die aus umweltpolitischen Gründen erwartete Eindämmung des Individualverkehrs mit veränderten Investitions- und Vermarktungsstrategien reagieren. Dazu zählen in Berlin beispielsweise ViaVan, das mit Daimler kooperiert und den BerlKönig initiierte, bei dem die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) beteiligt sind, sowie Clever-Shuttle, das zu 75 % im Eigentum der Deutschen Bahn steht und zu 100 % mit wasserstoffbetriebenen und E‑Autos operierte. Clever-Shuttle musste seine Dienste aus Wirtschaftlichkeitsgründen in mehreren deutschen Städten, darunter auch Berlin, im Jahr 2020 allerdings wieder aufgeben (Süddeutsche Zeitung 2020). Auffallend ist, dass jene Plattformen, die durch große Automobilbetreiber oder Investment-Fonds finanziert werden (vgl. Tab. 2), auch im Fall von nachhaltigen betrieblichen Verlusten über eine außerordentlich hohe (Kapital‑)Marktbewertung verfügen, die sich auf die Erwartung stützt, langfristig aus einer etwaigen Monopolstellung und höheren Preisen Renditen zu erzielen. Diese ungleichen Kapitalausstattungen können den Verdrängungswettbewerb zulasten öffentlich getragener Pooling-Dienste erklären.

Das Unternehmen Uber wirkt besonders aggressiv finanzkapitalgestützt auf eine Monopolstellung hin. Im politisch-administrativen Feld auf Bundesebene gibt es sowohl in Deutschland als auch in Österreich Hinweise auf direkte Begegnungen und Einflussversuche durch Ubers Geschäftsleitung. In Deutschland stellte sich beispielsweise bei einer Anfrage an das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) heraus, dass im Vorfeld der Entwicklung eines Eckpunktepapiers zur Novelle des PBefG deutlich mehr Gespräche mit Uber als mit ÖPNV-Anbietern oder Taxiunternehmen geführt wurden. Der österreichische Bundeskanzler traf während eines Besuches im kalifornischen Silicon Valley im Jahr 2019 auch Ubers CEO, woraufhin der sozialdemokratische Sprecher des Verkehrsausschusses im Nationalrat sowie die FPÖ vermuteten, dass es dort zu Einflussversuchen durch Uber im Vorfeld der Novellierung des 2020 verabschiedeten GelverkG gekommen sei (Interview 14, FPÖ 2020). Relativ unbestritten ist, dass Online-Plattformen sowohl im europäischen politisch-administrativen Feld (v. a. EU-Kommission) als auch in nationalen Feldern sehr effektives Lobbying betrieben haben, um ihre Selbstbeschreibung als Anbieter von „Diensten der Informationsgesellschaft“, die den gesetzlichen Bestimmungen des Herkunftslands (Sitz des Unternehmens) und nicht jenen des Ziellandes entsprechen, durchzusetzen (Tansey und Haar 2019).

Eine Re-Definition der Grenzen, Strukturen und Governance-Ordnungen des Taxifeldes entscheidet sich nicht ausschließlich an ökonomischen Verteilungsrelationen oder rechtlichen Bestimmungen und Gerichtsurteilen, sondern auch an der Praxis ihrer (fehlenden) Durchsetzung. Sowohl in Berlin als auch in Wien gibt es Hinweise darauf, dass die zuständigen Behörden, das LABO in Berlin und die Bezirksverwaltungsbehörden in Wien, die rechtlichen Bestimmungen kaum durchsetzen (können), weil es schwierig ist, nachzuweisen, wann und wo ein Auftrag eingegangen ist (Interviews 1, 2, 9, 10). Mietwagenkonzessionen haben im Vergleich zu Taxikonzessionen in den letzten Jahren so stark und rasch zugenommen (Linne und Krause 2016; Bundeswettbewerbsbehörde 2020; vgl. Tab. 1), dass die Prüfungen, vor allem in Berlin, wegen eines Mangels an Personalressourcen erst Monate nach der Anmeldung durchgeführt werden, wenn Unternehmen bereits wieder vom Markt verschwunden sind (Interview 2).

Zwischen dem ökonomischen und dem politisch-administrativen Feld nimmt das assoziative Feld eine Schlüsselfunktion in der kollektiven Interessenvermittlung ein. Während dominante Akteure der Plattformökonomie (Manager von Automobilunternehmen oder Investmentfonds, CEOs der Plattformen) in transnationalen Feldern der Finanzmarktökonomie sozialisiert wurden, sind die Wahrnehmungs‑, Deutungs- und Handlungsmuster der Taxilenker, Unternehmer und Verbandsvertreter untrennbar mit den seit Jahrzehnten relativ stabilen Strukturen und Praktiken im Taxifeld verbunden. Seit dem starken Anstieg an Taxikonzessionen und Fahrzeugen nach der Wiedervereinigung Ost- und Westberlins und der Aufhebung quantitativer Beschränkungen der Taxikonzessionen in Wien im Jahr 1989 haben sich die materiellen und symbolischen Feldstrukturen kaum verändert. Taxilenker und Verbandsvertreter orientieren und identifizieren sich stark mit den Normen und Werten des Taxis als Teil der Daseinsvorsorge (Interviews 1, 2, 9). Exemplarisch steht eine Aussage eines Vertreters der Taxiinnung in Berlin: „… [E]in Taxifahrer, ein richtiger Kutscher, der ist ein Mann für alles. Da gehe ich heute Früh zu meiner Kneipe, wo ich immer Leute abhole, da sitzen 80 Jahre Knast am Tresen, aber auch die Jungs wissen, ich fahre mit ihnen nach Hause. Uber wird das nicht machen. Eine Stunde später, die, die für 5 oder 7 oder 8 € zum Arzt müssen, weil es anders nicht geht“ (Interview 1).

Sowohl in Wien als auch in Berlin berichten Verbandsvertreter von einem zunehmend ruinösen Wettbewerb zwischen etablierten Taxiunternehmen und Mietwagenunternehmen, die mit digitalen Plattformen operieren, der eine Aufrechterhaltung der bisherigen betrieblichen Praktiken und Dispositionen im Taxifeld zunehmend infrage stellt (Interviews 1, 2). In beiden Städten reagierten die etablierten Akteure auf die als Bedrohung der eigenen Position und Positionierung im Feld wahrgenommenen Herausforderungen mit Protesten und Organisierungsinitiativen. Die Übersetzung von sozialem Kapital in eine Machtposition in politisch-administrativen Feldern ist wegen der unterschiedlichen Strukturierung des assoziativen und des politischen Feldes in Berlin und Wien jedoch uneinheitlich erfolgt. Die Abstimmung der Interessen in Berlin und Deutschland insgesamt war langwierig und ist im deutschen Bundesverband zumindest soweit gelungen, dass die Plattformen als gemeinsame Herausforderung wahrgenommen werden (Interview 2). In Österreich konnte man sich an der sozialpartnerschaftlichen Tradition orientieren und in politische Verhandlungen zwischen der Wirtschaftskammer, den Gewerkschaften und der, ebenfalls auf Pflichtmitgliedschaft beruhenden, Arbeiterkammer treten. Demgegenüber wird in der deutschen Verdi die Taxi- und Mietwagenbranche innerhalb des vergleichsweise gut organisierten ÖPNV kaum mit Ressourcen bedacht, es existiert auch keine sozialpartnerschaftliche Tradition und kein Tarifvertrag in diesem Feld (Interviews 4, 5, 6).

4.3 Critical Junctures in der Entwicklung der Governance Ordnungen

Das österreichische GelverkG (2020) und das deutsche PBefG (2021) können als (temporäre) Kristallisation der multiskalaren Machtrelationen und Deutungskonflikte rund um die Frage, was Plattformen eigentlich sind, interpretiert werden. Tabelle 3 fasst die wesentlichen Schritte und Konfliktlinien zusammen, die zu diesem Ergebnis geführt haben. Hierbei wird deutlich, dass die Konflikte um die Governance dieser Felder auf verschiedenen Ebenen ausgetragen werden, da die kommunalen Taxifelder in relativ komplexe europäische, nationale und kommunale Regelungen und Machtfelder eingebettet sind.

Tab. 3 Critical Junctures in der Transformation der Governance der Taxifelder 2014–2021

In beiden Fällen waren zunächst die nationalen Verbote von UberPop und schließlich das Urteil des EUGH (2017) richtungsweisend für die weiteren Entwicklungen. Die Definition von Uber als Verkehrsdienstleister stärkte jene nationalen Akteure, darunter auch die Verbände der Taxi- und Mietwagenunternehmen, die für eine striktere Regulierung der Plattformen eintreten. Grundsätzlich drängten die Interessenvertretungen der Taxibranche in beiden Städten und Ländern auf die Aufrechterhaltung der bestehenden Governance-Ordnung (Interviews 1, 2, 14), während politische Akteure divergierende Ziele verfolgten. Die Bundespolitiker der konservativ-liberalen Parteien in beiden Ländern strebten unter dem Lobby-Einfluss von Uber und dem Banner einer Digitalisierungs-Agenda eine Marktliberalisierung an; andere Parteien hingegen brachten weitere, mit dem Personennahverkehr verbundene Ziele, wie den Umweltschutz, die öffentliche Daseinsvorsorge, und soziale Aspekte, wie Barrierefreiheit und faire Beförderungsbedingungen für alle, mit in die Debatte. Eine ähnliche Konfliktlinie zieht sich selbst durch das deutsche BMVI, wo der Gesetzesreformprozess von zwei unterschiedlichen Referaten geleitet wird: die neue Abteilung „Digitale Agenda“ auf der einen und die traditionell für das Personenbeförderungsgesetz zuständige Abteilung „Land Verkehr“ auf der anderen Seite (Interview 8). Darüber hinaus kämpft die kommunale Ebene um Autonomie bei der Gestaltung des Personennahverkehrs, ist aber auch hier, vor allem in Berlin durch die Aufteilung in unterschiedliche Referate, zersplittert. Dies reduziert wiederum die relative Autonomie des lokalen Personentransportfeldes gegenüber dem Feld der Macht. Eine „Idealvorstellung“ der Berliner Politik wäre es, die verschiedenen Angebote zuzulassen und vor allem zu Randzeiten und in entlegenen Gebieten in den ÖPNV zu integrieren; eine Idee, die allerdings den Positionen von Uber und anderen Plattformen und ihren Partnerunternehmen und Fahrer zuwiderläuft, weil nur eine zentrale Position in den hoch frequentierten und umkämpften städtischen Kernzonen erlaubt, ein bestimmtes Volumen an Vermittlungsgebühren zu erwirtschaften.

5 Diskussion und Schlussfolgerungen

Unsere Untersuchung der Wirkung von digitalen Plattformen auf die Governance-Ordnungen in zwei lokalen Taxifeldern verdeutlicht ein komplexes Konfliktgeschehen zwischen bestehenden und neuen Akteuren, welches sich nicht allein durch unterschiedliche nationale Institutionengeflechte erklären lässt. Vielmehr spielt die Dynamik von materiellen und symbolischen Verteilungs- und Deutungskonflikten über das Wesen und die Macht digitaler Plattformen eine wichtige Rolle. In beiden Ländern und Städten werden die Plattformen in die bestehenden und adaptierten Governance-Ordnungen integriert; allerdings unterscheiden sich die neuen Regulierungsgefüge erheblich voneinander. Die Aufrechterhaltung der Feldgrenzen zwischen dem Taxi- und Mietwagenfeld in Deutschland zieht einen erheblichen administrativen Aufwand auf kommunaler Ebene nach sich. Die Konflikte zwischen den verschiedenen Anbietern von Personentransportleistungen, darunter auch die von den Taxibestimmungen ausgenommenen Pooling-Dienste, werden dadurch kaum beigelegt. Die Zusammenlegung der beiden Felder unter die restriktiveren Bestimmungen der Taxibranche in Wien hingegen schränkt die Handlungsspielräume der Plattformen ungeachtet des größeren Preisbandes vergleichsweise stärker ein und schafft damit eher ein „level playing field“ zwischen den unterschiedlichen Anbietern. Wie können diese Unterschiede erklärt werden?

Aus einer feldtheoretischen Perspektive sind für die Entwicklung von Governance-Ordnungen neben den Strukturen, Praktiken und Deutungsmustern des etablierten Feldes vor allem die machtvollen ökonomischen, politisch-administrativen, rechtlichen und assoziativen Akteure und die diese Akteure prägenden Herkunftsfelder relevant. Beiden Städten und Ländern ist gemein, dass ihre bestehenden Ordnungen durch transnational operierende Plattformen herausgefordert werden, deren CEOs vor allem in US-amerikanischen und globalen Finanzfeldern sozialisiert wurden. Darüber hinaus verfügen Plattformen sowohl über materielle (insbesondere Daten, digitale Infrastrukturen und Wagniskapital) als auch über symbolische Ressourcen (z. B. neue kognitive Kategorien und Diskurse wie „Sharing Economy“ oder „Frames“ wie digital, innovativ, konsumentenfreundlich), die sie mobilisieren und über die sie mehr oder weniger aggressiv in andere Felder hineinwirken können (s. Wruk et al. 2020). Diese Plattformen treffen nun auf europäische, nationale und lokale Felder der Governance mit ihren jeweils spezifischen Kapitalformen, Praktiken und Selbstverständnissen. Die Europäische Kommission und der EUGH sind im europäischen Machtfeld entscheidende Akteure, die mit nationalen politisch-administrativen, rechtlichen und assoziativen Akteuren in einem komplexen Interaktionsgefüge stehen. Während für Plattformen etwa im Bereich des Online-Handels (Amazon) oder der Beherbergung (Airbnb) an den Richtlinien für grenzüberschreitenden Wettbewerb im Binnenmarkt (Herkunftslandprinzip) festgehalten wird, folgt der EUGH im Kontext von Plattformen im Personentransportsektor einer restriktiveren Linie zum Schutz der kommunalen öffentlichen Daseinsvorsorge. Diese europäischen Konflikte wirken vermittelt über die Rechtsprechung der nationalen und lokalen Felder in die Auseinandersetzungen hinein. Abhängig von feldinternen Strukturen und Konfliktdynamiken im Taxifeld und den damit eng verwobenen assoziativen und politisch-administrativen Feldern formierten sich spezifische Abwehrfronten, die mehr oder weniger soziales und politisches Kapital zu mobilisieren imstande waren.

Auch wenn es in unserem Fall sowohl in Deutschland als auch in Österreich Bestrebungen einzelner Akteure im politischen Feld (Andreas Scheuer in der CSU, NEOS, ÖVP ab 2020) gab, die Märkte stärker zu liberalisieren, unterscheiden sich die historisch evolvierten assoziativen Felder erheblich voneinander. In Deutschland und Berlin ist das Feld der Interessenvertretungen stark zersplittert und pluralistisch; in Österreich und Wien hingegen dominieren korporatistische Strukturen und Praktiken der Interessenvermittlung und -durchsetzung. Ein weiterer zentraler Unterschied zwischen Deutschland und Österreich besteht in der Differenzierung verschiedener lokaler Taxifelder, die unter die vereinheitlichende Geltung der Bundesgesetze gebracht werden müssen. In Österreich ist allein Wien als Einzugsgebiet der großen Plattformen interessant und die Bundesgesetzgebung gibt nun einen einheitlichen Rechtsrahmen vor, der für Taxis und Mietwägen gilt; in Deutschland hingegen wird den Kommunen ein vergleichsweise größerer Gestaltungsspielraum einräumt. Ein Ergebnis, das aber, wie sich jetzt schon abzeichnet, auf lokaler Ebene zu einer Überlastung der Berliner Gesetzgeber und Behörden führt, die den nach wie vor bestehenden Konflikt zwischen Mietwagen‑, Taxi- und Plattformunternehmen administrieren müssen.

Während unsere Untersuchung insbesondere auf die Rolle von politisch-administrativen und assoziativen Akteuren auf verschiedenen Ebenen hinweist (vgl. auch Helberger et al. 2018; Thelen 2018; Robinson 2017), können in anderen Feldkontexten Gewerkschaften (Gegenhuber et al. 2021; Johnston und Pernicka 2020), Konsumenten (Healy et al. 2020), soziale Bewegungen (Scholz 2017) sowie Plattformarbeiter selbst (z. B.; Wood und Lehdonvirta 2021) eine zentralere Rolle einnehmen. Diese sind aber jeweils nicht als statische Einflusskräfte zu verstehen, sondern müssen sich in Anbetracht der neuen Plattformakteure neu organisieren und sich neue Koalitionen und alternative Formen der Ermächtigung und Kontrolle suchen (z. B. Rahman und Thelen 2019; Wood et al. 2019). Damit ergänzt und vervollständigt die von uns eingebrachte Feldperspektive bestehende Diskussionen zur Regulierung von Plattformen (z. B. Frenken et al. 2019). Statt auf funktional integrierte Konfigurationen von (liberalen oder koordinierten) Institutionen (Hall und Soskice 2001), institutionelle Logiken (Frenken et al. 2020) oder die Macht der Plattformen (Dolata 2015; Kenney et al. 2021) zu verweisen, schlägt unser Ansatz eine integrative Perspektive vor, die es erlaubt, die exogenen und endogenen Einflussfaktoren für Reproduktion oder Wandel von Governance-Ordnungen in einem multiskalaren Sozialraum zu analysieren.

Dieser Feldansatz ist überall da vielversprechend, wo Kämpfe um neue Regulierungen, Praktiken, Technologien oder Geschäftsmodelle ausgefochten werden. Beispielsweise ist aktuell noch offen, ob sich die mit der Digitalisierung verbundenen fiktionalen Erwartungen an die Zukunft (Beckert 2016) und das Narrativ der nachhaltigeren und umweltverträglicheren „Sharing-Ökonomie“ tatsächlich realisieren lassen (Schor 2020). Letztere widerspricht der Maximierungslogik kapitalistischer Ordnungen, die nur durch gesellschaftliche Gegenbewegungen gebremst werden kann (vgl. Polanyi 1995). Künftige Forschung könnte daher unseren, durch Bourdieu inspirierten Feldansatz zur vergleichenden Analyse von soziotechnischen Transformationsprozessen (Dolata 2011) insbesondere in solchen Feldern bemühen, in denen bestehende Ordnungen besonders unter Druck geraten. Dabei macht es Sinn, auch neue Akteure nicht als homogen, sondern potenziell fragmentiert anzusehen und darüber hinaus die Skalierung des Feldes der Macht von der lokalen bis hin zur transnationalen Ebene noch stärker, als wir es getan haben, zu berücksichtigen.