1 Einleitung

Die Mitte der 1990er-Jahre formulierten Visionen von radikaler Offenheit und Egalität (Dyson et al. 1994) eines dezentralen Internets werden 25 Jahre später kaum noch geteilt. Im Fokus stehen zunehmend zentrale, global dominante Plattformen und deren Beitrag zu gesellschaftlicher Polarisierung (Stark et al. 2019), neuen Formen von (algorithmischer) Diskriminierung (Noble 2018) sowie der Verstärkung ökonomischer und sozialer Ungleichheit (Schor und Attwood-Charles 2017).

Gleichzeitig hat das digitale Offenheitsversprechen des Netzes wenig an Strahlkraft eingebüßt, wenn es auch nicht mehr automatisch und allgemein auf das Internet, sondern auf spezifische Formen onlinebasierter Gemeinschaften bezogen wird. Maßgeblich inspiriert vom Beispiel des gemeinschafts- und allmendebasierten Entwicklungsmodells von Freier/Open Source Software (FOSS; Benkler 2002; von Hippel und von Krogh 2003) kam es ab Mitte der 2000er-Jahre zu einer Proliferation von Offenheitsansätzen in einer ganzen Reihe von weiteren Domänen. Die Bandbreite reicht von stärker betriebswirtschaftlich orientierten Offenheitsansätzen wie Open Innovation (Chesbrough 2006), Open Strategy (Hautz et al. 2017) und Open Data/Government (Janssen et al. 2012) bis hin zu mehr gemeinwohlorientierten Ansätzen wie Open Science (Fecher und Friesike 2014) und Open Education (Conole und Brown 2018).

All diesen Ansätzen ist gemein, dass sie zwar Potenziale neuer digitaler (Internet‑)Technologien für ein Mehr an Offenheit erkennen, deren Realisierung aber als von zusätzlichen, kontingenten Bedingungen abhängig ansehen. Besonders deutlich wird das am Beispiel von FOSS, deren Entstehung und Einsatz auf rechtlichen (Open-Source-Software-Lizenzen; Sen et al. 2011) oder technologischen (z. B. Github; Dabbish et al. 2012) Voraussetzungen für verteilte, d. h. auf einer räumlich und zeitlich distribuierten Gemeinschaft basierenden, Softwareentwicklung angewiesen sind. Erst die Kombination aus FOSS-Lizenzen, wie der General Public License (GPL),Footnote 1 und Versionsverwaltungssystemen, wie eben Git,Footnote 2 machen offene Software zu einer viablen Alternative zu proprietärer Software und schöpfen damit ein Offenheitspotenzial internetbasierter Softwareentwicklung aus.

Eine unmittelbare Folge dieses voraussetzungsvolle(re)n Offenheitsanspruchs ist die Entstehung und Adressierung jeweils spezifischer, onlinebasierter Gemeinschaften (Dolata und Schrape 2014). Diese Gemeinschaften konstituieren sich primär über Beitragspraktiken von Akteurinnen und Akteuren,Footnote 3 die mit dem jeweiligen Offenheitsansatz zumindest in der Tendenz übereinstimmen. Die damit verbundene Selbstselektion – die bis hin zur Selbstidentifikation der Beitragenden als Gemeinschaftsmitglieder führen kann – bedingt eine Abgrenzung dieser onlinebasierten Gemeinschaften von der übrigen (Internet‑)Umwelt (Dobusch und Quack 2011).

Genau diese für Entstehung und Bestand onlinebasierter Gemeinschaften konstitutive Abgrenzung ist nun aber eine Herausforderung für – oder gar Widerspruch zu – deren Offenheitsanspruch. Denn auch solche onlinebasierten Gemeinschaften wie FOSS oder die freie Online-Enzyklopädie Wikipedia, die einen dezidierten Offenheitsanspruch verfolgen, kämpfen mit persistenten oder sogar verstärkten Ausschlüssen in Form von Diskriminierungen und strukturellen Ungleichheiten (vgl. z. B. Reagle 2012; Wagner et al. 2016; GitHub 2017). Mehr noch, bis zu einem gewissen Grad dürften bestimmte Formen von Offenheit mitverantwortlich für bestimmte Ausschlüsse sein (Dobusch und Dobusch 2019). In diesem Beitrag widmen wir uns deshalb der Frage, wieso gerade auch dezidiert offene, onlinebasierte Gemeinschaften mit Schließungstendenzen zu kämpfen haben.

Auf die Unterscheidung der Offenheit von Plattformen im Gegensatz zu Online-Gemeinschaften mit dezidierter Offenheitsprogrammatik folgt eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den Konzepten von Offenheit und Geschlossenheit als sich gegenseitig bedingend. Daraus resultiert die Annahme, dass sich als offen markierte Online-Gemeinschaften nicht etwa durch die Abwesenheit von Geschlossenheit auszeichnen, sondern vielmehr durch das Vorhandensein jeweils spezifischer Offenheit-Geschlossenheit-Konfigurationen. Um diese Konfigurationen vor dem Hintergrund der Offenheitsversprechen eines dezentralen Internets rekonstruieren zu können, greifen wir auf die soziologische Leitunterscheidung Inklusion/Exklusion zurück, mit deren Hilfe wir Typen am Beispiel ausgewählter Online-Gemeinschaften – Open-Data-Bewegung, Wikipedia, Subreddit r/relationship – bilden. Dabei zeigt sich, dass es gerade relativ niederschwellige Inklusionsmodi – und damit gleichzeitig voraussetzungsvolle Exklusionsmodi – von Gemeinschaften sind, die deren vermeintliche Offenheit in persistente Ausschlüsse übersetzen.

2 Offenheit onlinebasierter Gemeinschaften: von Plattformoffenheit zu Offenheit als Programm

Als Folge von internetbasierten Technologien, wie Blogs oder sozialen Netzwerken, werden heute Akteurinnen und Akteure gehört und gesehen oder entstehen überhaupt erst, die zuvor nicht öffentlich präsent waren (Bruns 2018). Ausgestattet mit Computer oder Smartphone ist vermittelt über digitale Plattformen ein potenziell globales Publikum erreichbar und damit die prinzipielle Fähigkeit zu Informationsaustausch und Gemeinschaftsbildung. Aber es ist nicht nur die Durchlässigkeit für Veröffentlichungen aller Art; es sind auch die algorithmisch vermittelte Verbreitung und Verstärkung über Plattformen wie Facebook, Twitter oder YouTube, die diese Offenheit ermöglichen und gleichermaßen, auf neue Weise, kanalisieren und beschränken. Als kontinuierlich adaptierte algorithmische Praktiken (Dobusch 2013) kartografieren und gestalten Plattformen digitale Räume, wobei auch „im besten Fall nur ansatzweise nachvollziehbar“ ist, „welche Positionen in der Welt damit gestärkt beziehungsweise geschwächt werden“ (Stalder 2016, S. 202).

Bevor wir eine Betrachtung dezidiert offener, onlinebasierter Gemeinschaften vornehmen, lohnt es sich deshalb, in einem ersten Schritt ganz allgemein die Offenheit onlinebasierter Gemeinschaftsbildung in den Blick zu nehmen – und dabei auch jene (neuen) Schließungstendenzen zu fokussieren, die mit eben dieser neuen Form von Offenheit einhergehen.

2.1 Onlinebasierte Gemeinschaften auf „offenen“ Plattformen

Was Plattformen wie Facebook, Twitter oder YouTube verglichen mit traditionellen Medien offen macht, ist die zumindest partielle Umkehrung von Filterlogiken klassischer Medien, wie etwa Printzeitungen oder Fernsehsender (Herman und Chomsky 2002). In traditioneller Medienlogik stehen gleich zu Beginn diverse Filter wie die Interessen der Eigentümerinnen und Eigentümer oder redaktionelle Auswahl, auf die dann eine Veröffentlichung folgt und im Zuge von deren Distribution und Rezeption Öffentlichkeit entsteht. Öffentlichkeit ist wiederum Voraussetzung und Treiber für Organisierungs- und Mobilisierungsprozesse, die es ermöglichen, „nicht-organisierte Kollektive“ in soziale Bewegungen oder Gemeinschaften „mit bewusst geteilten Zielen, Regeln, Identitätsausprägungen und auch organisatorischen Verstrebungen unterhalb formaler Organisation [zu] verdichten“ (Dolata und Schrape 2013, S. 25).

Digitale Plattformöffentlichkeit zeichnet sich demgegenüber dadurch aus, dass es an traditionellen redaktionellen, technologischen oder ökonomischen Filtern fehlt und zunächst einmal (weitgehend) ungefiltert veröffentlicht werden kann (Bruns 2018). Damit ist jedoch noch keine Aufmerksamkeit und auch keine potenziell gemeinschaftsbildende Öffentlichkeit verbunden. Letztere entsteht erst durch das Liken, das Teilen, das Verlinken, das Zitieren und Kommentieren ausgewählter Veröffentlichungen. Es handelt sich also eher um einen Bottom-up-Filter, im Unterschied zum traditionellen Top-down-Filter (Benkler 2006), wobei diese Bottom-up-Herstellung von Öffentlichkeit wiederum stark von zentral durch Plattformbetreiberinnen und -betreiber kontrollierte Algorithmen (mit-)gestaltet wird (Seemann 2021).

Vermittelt über derart offene, digitale Plattformen kommt es zu verschiedenen, in der Literatur in unterschiedlicher Intensität diskutierten, Prozessen der Gemeinschaftsbildung, die sich grob in drei Kategorien einteilen lassen: (1) primär algorithmisch konstituierte Quasigruppen (Filterblasen), (2) algorithmisch verstärkte, latente Quasiakteurinnen und -akteure (Online-Kollektive und Crowds) und (3) partiell algorithmisch moderierte Gruppen (z. B. Facebook-Gruppen oder Reddit-Foren).

Popularisiert unter Begriffen wie „Filterblasen“ (Pariser 2011) oder „Echokammern“ (Hall Jamieson und Cappella 2008) und kritisch gewendet als „Filter-Clash“ (Pörksen 2018) sind primär algorithmisch konstituierte Quasigruppen als solche Formen von Gemeinschaftsbildung zu verstehen, die sich emergent aus Interaktionen mit und algorithmischer Sortierung von (oft: durch Beitragende erstellten) Inhalten auf Plattformen ergeben. Ein Beispiel dafür wären lose Gruppen von Menschen, die zwar unregelmäßig, aber trotzdem wechselseitig erkennbar wiederkehrend Inhalte auf Plattformen wie Facebook oder YouTube mittels Kommentarfunktion diskutieren. Primär algorithmisch ist die Genese und der Fortbestand derart loser Quasigruppen deshalb, weil sie daraus resultieren, dass einer vergleichsweise stabilen Gruppe im Rahmen einer Plattform in überlappenden Zeitfenstern dieselben Inhalte präsentiert und zur diesbezüglichen Interaktion ermuntert wird. Im Ergebnis ist diese Gruppe gleichermaßen durchlässig wie prekär und deren Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden sich in der Regel nicht als Mitglieder einer solchen Gruppe identifizieren, weshalb auch die Bezeichnung Quasigruppe (Dahrendorf 1959) angebracht scheint.

Nicht zuletzt als Folge fundierter empirischer Kritik an der Relevanz von vor allem algorithmischer Personalisierung für die Erzeugung von Filterblasen oder Echokammern (z. B. Stark et al. 2019) gewannen andere Ansätze für die Erklärung von onlinebasierter Gemeinschaftsbildung, wie etwa auf weltanschaulich fundierter Selbstselektion basierende Online-Kollektive, an Bedeutung. Solche Online-Kollektive entstehen ebenfalls in digitalen Plattformkontexten als ephemere, fluide und prekäre Gruppen von Menschen, die allerdings auf Basis vorhandener, bisweilen latenter, Überzeugungen und dem Bedürfnis nach Gemeinschaft und Zugehörigkeit zusammenfinden (vgl. Dawes 2016 unter Rückgriff auf Maffesoli 1996; Seemann 2017).Footnote 4 Hier dienen die Veröffentlichungen und die Nutzung algorithmischer Bewertungs‑, Verbreitungs- und Kommentierungsfunktionen in erster Linie der demonstrativen Zugehörigkeitsbekundung zu einer diffusen Gemeinschaft, die sich auf diese Weise jedoch auch primär onlinebasiert konstituiert (vgl. Nadegger 2019). Im Zuge dieser Prozesse können daraus fluide, aber dennoch zumindest temporär organisationale Strukturen resultieren, wie sie beispielsweise für das Hacker-Netzwerk Anonymous charakteristisch sind (Dobusch und Schoeneborn 2015).

Die dritte Kategorie von nur partiell algorithmisch moderierten Gruppen, die in der Regel auf von Plattformen basierten Softwarefunktionalitäten aufsetzen, weist den höchsten Grad an organisierter Informalität (Dobusch und Quack 2011) auf. In der Regel gibt es festgelegte Moderationsrollen (z. B. Administration von Facebook-Gruppen oder Reddit-Foren) und die Mitgliedschaft folgt explizierten Opt-in- oder Opt-out-Regeln (für Beispiele empirischer Studien vgl. Sowles et al. (2018) oder Partridge et al. (2018)).

Viele Gruppen setzen hierbei ganz bewusst auf Exklusivität, sind nur auf Einladung hin zugänglich und verfolgen keinerlei Offenheitsideal, sondern suchen gerade einen Austausch unter – nach welchen Kriterien auch immer – Auserwählten. Beispiele dafür sind private, also nur per Einladung zugängliche Gruppen in Facebook oder Messengerdiensten wie Telegram. Natürlich existieren solche Gruppen auch jenseits großer Plattformen in Form von Online-Foren oder Mailinglisten. Manche derartigen Gruppen wiederum beantworten die Frage nach Zugangsregeln mehr oder weniger stark offenheitsorientiert, verschreiben sich also einer Offenheitsprogrammatik, die wir im nachfolgenden Kapitel näher erläutern.

2.2 Onlinebasierte Gemeinschaften mit Offenheitsprogrammatik

Wenn wir im Folgenden onlinebasierte Gemeinschaften mit Offenheitsprogrammatik fokussieren, dann beziehen wir uns dabei auf einen zunehmend in verschiedene Domänen ausdifferenzierten Literaturstrang, der Phänomene von Open-Source-Software über Open Innovation und Open Strategy bis hin zu Open Education, Open Science und Open Government/Data umfasst. Der affirmative Bezug auf Offenheit zieht sich nicht nur durch sämtliche Anwendungsfelder, sondern eint auch Publikationen von Praktikern einerseits und der überwiegenden Mehrzahl an wissenschaftlichen Publikationen andererseits (kritisch dazu: Tkacz 2012, 2015; Dobusch und Dobusch 2019).

Die mit einer Wendung hin zu oder Steigerung von Offenheit behaupteten Vorzüge sind jeweils durchaus domänenspezifisch: Im Fall von Open-Source-Software sind das beispielsweise eine größere Wahrscheinlichkeit, Fehler (Bugs) zu finden, wenn mehr Menschen die Möglichkeit zur Einsicht in den Quellcode einer Software haben (Raymond 2001), oder die Auslagerung und Vergemeinschaftung von Entwicklungskosten (Riehle 2007). Im Fall von Open Strategy und Open Innovation liegt das Versprechen einerseits in einem Mehr an Ideen und Wissen, das durch breitere Partizipation an Strategie- und Innovationsprozessen „angezapft“ werden kann, und andererseits an effektiverer Implementation und Verbreitung von Lösungen durch ein höheres Maß an Zugang und Transparenz (von Hippel und von Krogh 2003; Chesbrough und Appleyard 2007; Whittington et al. 2011). Derartige Effizienzargumente werden bei Ansätzen wie Open Government oder Open Education und Open Science noch durch weitere Versprechen ergänzt, wie zum Beispiel demokratische Verantwortlichkeit und gestärktes Institutionenvertrauen dank transparenterem Verwaltungshandeln (Janssen et al. 2012) oder einem besseren Zugang zu und bessere Replizierbarkeit von wissenschaftlichem Wissen (Fecher und Friesike 2014).

Ähnlich ausdifferenziert wie die verschiedenen, mit (einem Mehr an) Offenheit assoziierten Vorzüge sind auch die Art und Rolle von Gemeinschaften für deren Einlösung – wobei die Unterschiede bisweilen auch innerhalb einer Domäne beträchtlich sein können. Die Bandbreite reicht hier von primär gemeinschaftsgetriebenen Offenheitsansätzen, wie sie z. B. für bestimmte Open-Source-Software-Projekte typisch sind (vgl. z. B. das Debian-Projekt; Mateos-Garcia und Steinmueller 2008) über interne oder externe Gemeinschaften von etablierten, formalen Organisationen, wie sie für Open Strategy (z. B. Stieger et al. 2012) oder Open Government (z. B. Kornberger et al. 2017) typisch sind, bis hin zu loseren Ad-hoc-Gemeinschaften, die im Zuge von Open-Innovation-Wettbewerben (z. B. Bullinger et al. 2010) und Crowdscience-Projekten (z. B. Franzoni und Sauermann 2014) mobilisiert werden. Die Übergänge zwischen Gemeinschaften mit wechselseitigen und zumindest partiell autonomen Beziehungen der Mitglieder untereinander und Quasigruppen (Crowds), die ausschließlich über die fokale Organisation zueinander in Beziehung gesetzt werden, sind fließend oder es existieren oftmals beide Typen im Kontext ein und desselben Falles (vgl. Dobusch und Kapeller 2018).

Gerade wegen dieser überwiegend affirmativen Haltung gegenüber Offenheitsansätzen und einer damit einhergehenden Positionierung gegen vermeintlich (Trott und Hartmann 2009) geschlossene Mainstream-Ansätze wurde persistenten oder sogar verstärkten Ausschlüssen in diesen Kontexten kaum Beachtung geschenkt. Das ist vor allem deshalb erstaunlich, als es gerade im wegweisenden Bereich von Open-Source-Software bereits früh vereinzelte Beobachtungen über problematische Schließungstendenzen gab. So veröffentlichte Valerie Aurora schon 2002 (Aurora 2002) einen auch wissenschaftlich rezipierten (z. B. Reagle 2012) Leitfaden „HOWTO Encourage Women in Linux“, der eine Reihe praktischer Hinweise für eine Steigerung des Anteils weiblicher Entwicklerinnen in Open-Source-Projekten enthielt.

Jenseits von Open-Source-Software ist das Vorhandensein von Ausschlüssen im Bereich von Open Government (z. B. Kornberger et al. 2017) und, vor allem, der freien Online-Enzyklopädie Wikipedia Gegenstand von wissenschaftlichen (vgl. z. B. Flöck et al. 2011; Eckert und Steiner 2013; Miquel-Ribé und Laniado 2020) wie praxisbezogenen Debatten (z. B. im Rahmen von Wikimedia-Diversity-Konferenzen in den Jahren 2013, 2016 und 2017).Footnote 5 In beiden Fällen ist es so, dass der Offenheits- mit einem gewissen Repräsentativitäts- (Open Government) oder Neutralitätsanspruch (Wikipedia) einhergeht und deshalb die Thematisierung von Ausschlüssen trotz vermeintlicher Offenheit besonders naheliegend ist. Im Kontext von primär effizienzorientierten Offenheitsansätzen wie Open Innovation und Open Strategy gibt es hingegen kaum Auseinandersetzung mit Fragen der Diversität und damit einhergehender Teilhabechancen.

3 Konstitutive Perspektive auf Offenheit und Geschlossenheit

Wie dargestellt, dominiert in Forschung wie Praxis zu onlinebasierten Gemeinschaften ein affirmativer Bezug auf Offenheit. Offenheit – sei es in Bezug auf Ideen- und Wissensgenerierung, sei es in Bezug auf Transparenz von Verwaltungshandeln oder die möglichst breite Beteiligung unterschiedlicher Akteurinnen und Akteure – wird tendenziell als etwas genuin Positives betrachtet. Geschlossenheit wird als eindeutig negativer Gegenpol verstanden. Ob Offenheit und Geschlossenheit nun als gegensätzliche, qualitativ komplett unterschiedliche Phänomene (z. B. Trott und Hartmann 2009) oder mehr im Sinne eines Kontinuums von geschlossen(er)en hin zu offen(er)en Kontexten (z. B. Whittington et al. 2011) aufgefasst werden, so beruhen beide Perspektiven auf der Annahme, dass Offenheit die Abwesenheit von Geschlossenheit bedeutet und umgekehrt.

Dabei wird allerdings die spezifische Qualität der Beziehung, die einer Offenheit-Geschlossenheit-Dualität inhärent ist, vernachlässigt. So ist Offenheit konzeptionell nur im Vergleich zu/in Abgrenzung von Geschlossenheit zu denken. Öffnungsbestrebungen vorhandener Strukturen (z. B. von zuvor öffentlich nicht zugänglichen Datenbeständen im Bereich von Open Government Data) sowie das Kreieren von als offen markierten Settings (z. B. offene Softwareentwicklungsumgebungen) verweisen stets auf die Beobachtung von als geschlossen wahrgenommenen Kontexten (z. B. intransparente Bürokratieabläufe oder proprietäre Softwareentwicklung mit geheimem Quellcode). Dabei ist sowohl das Identifizieren von Geschlossenheit als auch von einer im Gegenzug herzustellenden Offenheit ein aktiver Prozess. Angeleitet wird dieser Prozess durch teils implizite, teils explizite und sich im Wandel befindliche Offenheitsideale.

Beispielsweise stand bei Wikipedia bald nach der Gründung im Jahre 2001 die kostenlose, (möglichst) frei zugängliche und für Beiträge von möglichst vielen Menschen offene Wissenssammlung und -verbreitung im Vordergrund (expliziert im Untertitel „the free encyclopedia that anyone can edit“).Footnote 6 Seit einer ersten Erhebung (Wikimedia 2011) soziodemografischer Daten unter den Wikipedia-Autorinnen und Autoren, in der sich eine deutliche Ungleichheit hinsichtlich geschlechtsbezogener (nicht einmal jede neunte Beitragende beschrieb sich als Frau) wie geographischer (die Mehrheit der Beitragenden gab an in Nordamerika oder Europa zu leben) Beteiligung abzeichnete, spielt auch die Diversität der Beitragenden bei der Wissensherstellung eine zunehmende Rolle in der Bewertung der Offenheit dieser Plattform (Flöck et al. 2011; Eckert und Steiner 2013).

Der Bedeutungsgehalt von Offenheit ergibt sich also erst durch die immer wieder vorzunehmende Spezifizierung oder Abgrenzung von dem, was er nicht ist – nämlich Formen der Geschlossenheit. Das ist allerdings kein Spezifikum der Offenheit-Geschlossenheit-Dualität. Im Gegenteil, poststrukturalistisch betrachtet ist Bedeutungsgenerierung und damit -fixierung stets das Ergebnis einer zumindest impliziten Differenzsetzung: „Wenn also kein Element aus sich heraus bestimmt werden kann, dann bekommt die Beziehung zu dem, was es nicht ist, eine zentrale Bedeutung“ (Stäheli 2000, S. 9; Hervorhebung der Verfasserin und des Verfassers). Es ist diese Beziehung, genauer, die wechselseitige Bezogenheit aufeinander, kurz: Relationalität zwischen Offenheit und Geschlossenheit, der wir eine besondere Qualität attestieren.

Auf theoretisch-konzeptioneller Ebene zeigt sich diese Besonderheit darin, dass – auch wenn als Gegensatzpaar in Stellung gebracht – Offenheit nicht die gänzliche Überwindung von Geschlossenheit bedeuten kann. Vielmehr stellen bestimmte Formen der Geschlossenheit eine konstitutive Ermöglichungsbedingung bestimmter Offenheitsideale dar. Folgt man etwa der grundlegenden Definition von Popper in Die offene Gesellschaft und ihre Feinde (Popper 2003), zeigt sich, dass eine möglichst breite – offene – Aushandlung darüber, was eine gute Gesellschaft ausmacht, der Festlegung – Schließung – dementsprechender Beteiligungsmodi bedarf (z. B. klare Regeln demokratischer Beteiligung, Möglichkeit der Abwahl von Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern). Armbrüster und Gebert (2002, S. 173) beschreiben dies unter Verweis auf Bunge (1996) als eine Offenheit gegenüber (politischen) Inhalten um den Preis der Geschlossenheit von (politischen) Prozessen:

Popper shifts from substance to procedure, from the prescription of what is good to the prescription of procedures on how to get rid of evil. … [I]t is the agreement about the procedures of change rather than about the contents that ensures that leadership and arbitrariness is limited.

Ebenso offenbart sich der konstitutive Charakter von Offenheit und Geschlossenheit auf empirischer Ebene, etwa wenn Öffnungsbestrebungen von als geschlossen markierten Strukturen zu einer verstärkten Informalisierung anderer Bereiche führen (z. B. van den Brink et al. 2010) oder eine mehr oder weniger radikale Ausschließung vormals einflussreicherer Akteurinnen und Akteure bewirken. Letzteres lässt sich gut mit dem Beispiel von sogenannter positiver Diskriminierung („affirmative action“) illustrieren. Dabei implementieren Unternehmen etwa spezielle Rekrutierungsprogramme für Frauen und andere historisch benachteiligte Gruppen (Kelly und Dobbin 1998) oder versprechen die Orientierung an gruppenbezogenen Bevorzugungsregeln (z. B. von Frauen) bei gleicher Qualifikation (Verbeek und Groeneveld 2012). Genau solche Ansätze positiver Diskriminierung lassen sich jedoch in dezidiert offenen Gemeinschaftskontexten nur schwer realisieren, weil sie einen sehr expliziten Ausschluss von (gesellschaftlich) privilegierten Akteuren zugunsten marginalisierter Gruppen erfordert.

Vor diesem Hintergrund schlagen wir vor, Offenheit und Geschlossenheit nicht als disjunktives Gegensatzpaar zu verstehen, sondern als konstitutiv, als sich gegenseitig bedingend. In weiterer Folge heißt das, nicht mehr die Frage zu stellen, wieso gerade dezidiert offene, onlinebasierte Gemeinschaften mit Schließungstendenzen kämpfen, sondern vielmehr, welche Offenheit-Geschlossenheit-Konfigurationen zu Schließungstendenzen in dezidiert offenen, onlinebasierten Gemeinschaften führen. Bevor wir eine Typologie dieser Konfigurationen entwerfen können, bedarf es allerdings einer theoretischen Präzisierung von Offenheit und Geschlossenheit, die deren normativ aufgeladenen Bedeutungsgehalt hinter sich lässt (Tkacz 2012). Zu diesem Zweck wenden wir uns einer kommunikationstheoretisch unterfütterten Perspektive zu, die Offenheit und Geschlossenheit als spezifische Ausprägung von Inklusions‑/Exklusionsmodi begreift.

4 Offenheit und Geschlossenheit als spezifische Ausprägung von Inklusion und Exklusion

Ähnlich dem Begriffspaar Offenheit/Geschlossenheit stellen die Termini Inklusion und Exklusion sowohl in wissenschaftlichen wie auch praxisbezogenen Diskurszusammenhängen anschlussfähige Konzepte dar (Bohn 2006; Nassehi 2008). Während Offenheit – und damit auch Geschlossenheit – allerdings vor allem in Bezug auf das Phänomen Internet Eingang in die wissenschaftliche Auseinandersetzung fand (Tkacz 2012; für Ausnahmen siehe z. B. Weber 1976), gewann das Begriffspaar Inklusion/Exklusion in unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen wie auch wissenschaftlichen Disziplinen seit Mitte der 1960er-Jahre an Bedeutung. Dementsprechend verzweigt und gleichzeitig elaboriert ist die sozialwissenschaftliche Theoretisierung rund um das Begriffspaar (siehe z. B. Farzin et al. 2008; Woodward und Kohli 2001), die wir uns für die nähere Bestimmung der Offenheit/Geschlossenheit-Dualität zunutze machen wollen.

Sei es, dass Inklusion und Exklusion aus differenzierungs-, devianz- oder ungleichheitstheoretischer Perspektive (Bohn 2006; Leisering 2004) betrachtet werden, sei es, dass Inklusion und Exklusion vor dem Hintergrund thematischer Schwerpunktsetzungen, wie etwa der Herstellung von sozialer Ordnung oder der Persistenz von Ungleichheitslagen (Dobusch 2015; Woodward und Kohli 2001), Beachtung finden, ein gemeinsamer Nenner aller Ansätze ist die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft: inwiefern die individuellen Teilhabewünsche und -notwendigkeiten (z. B. bezahlte Arbeit) mit den gesellschaftlich-institutionell vermittelten Rahmenbedingungen (nicht) korrespondieren und welche Lebenschancen sich daraus für unterschiedliche Gruppen ergeben. Umgelegt auf unseren Forschungsgegenstand bedeutet dies, im ersten Schritt onlinebasierte Gemeinschaften dahingehend zu befragen, welche Rahmenbedingungen – Inklusionsmodi – diese bereitstellen und welche Teilhabeformen und gleichzeitig Ausschlüsse – Exklusionsmodi – damit einhergehen. Im zweiten Schritt gilt es, diese identifizierten Inklusions- und Exklusionsmodi und die daraus resultierenden Offenheit-Geschlossenheit-Konfigurationen vor dem Hintergrund explizit gemachter Offenheitsideale einzuschätzen.

Wichtig bei der Konzeption von Inklusion/Exklusion ist zum einen deren Passung mit der bereits dargelegten konstitutiven Definition von Offenheit und Geschlossenheit. Zum anderen muss sie dem Eigensinn des empirischen Kontexts – den onlinebasierten Gemeinschaften – gerecht werden. Vor diesem Hintergrund erscheint uns eine kommunikationstheoretisch unterfütterte Perspektive (Herzog 2013; Luhmann 1995; Nassehi 2004) auf Inklusion und Exklusion als zielführend. Diese ist sowohl mit einem konstitutiven Offenheit-Geschlossenheit-Ansatz kompatibel als auch dem Gegenstand der onlinebasierten Gemeinschaften angemessen, deren basalste Gemeinsamkeit das Ermöglichen von Kommunikation unter ihren Mitgliedern darstellt (Malinen 2015).

Das konstitutive Verhältnis zwischen Offenheit und Geschlossenheit lässt sich mit dem Luhmannschen Formbegriff (1995, S. 241) von Inklusion und Exklusion abbilden: „‚Inklusion‘ bezeichnet … die innere Seite der Form, deren äußere Seite ‚Exklusion‘ ist. Von Inklusion kann man also sinnvoll nur sprechen, wenn es Exklusion gibt.“ Damit unterscheidet sich diese Lesart von Inklusion/Exklusion von einer normativen, positiv besetzten Perspektive auf Inklusion und betont die sich gegenseitig bedingende – konstitutive – Beziehung des Begriffspaares. Allerdings bedeutet dies nicht, dass Inklusion und Exklusion auch als gleichförmig zu verstehen sind. Vielmehr ist es so, dass Inklusion als die offensichtliche, markierte Seite zutage tritt, während Exklusion in der Regel unmarkiert bleibt (Farzin 2006). Im Kontext onlinebasierter Gemeinschaften bedeutet dies etwa, dass mit der Selbstbezeichnung als „offen“ bestimmte Inklusionsmodi in Anschlag gebracht werden (z. B. Möglichkeit anonymer Beiträge), während damit einhergehende Exklusionsfolgen (z. B. Ausschluss aufgrund mangelnden Internetzugangs) ebendieser Programmatik (vorerst) nicht als solche sichtbar werden.

Kommunikationstheoretisch lässt sich dieses „Schattendasein“ von Exklusion, das gleichzeitig eine konstitutive Ermöglichungsbedingung von Inklusion darstellt, dadurch fassen, dass sich Kommunikationszusammenhänge ganz allgemein durch einen fundamentalen „Ausschließungsvorgang“ (Nassehi 2004, S. 334) auszeichnen. Das heißt: Die große Mehrheit des Sagbaren kann schlicht gar nicht artikuliert werden. Das explizit Geäußerte verweist somit stets auf das dabei implizit Verworfene an alternativen Aussagemöglichkeiten. Dies ist insofern von ganz praktischer Relevanz, als dass kommunikationsbezogene Inklusion nichts weniger bedeutet als intelligible Subjektpositionen zu erzeugen, indem sie als „Sprecher, als Akteure, als Thema, als Bezieher von Leistungen, als Mitglieder etc.“ (Nassehi 2004) eine explizite Anrufung erfahren (siehe auch Butler 2001). In Gemeinschaften mit Offenheitsprogrammatik wird deshalb regelmäßig die Einbindung der (freiwillig) Beitragenden expliziert und organisiert, während jene, die etwa aufgrund von Selbstselektion (Raveendran et al. 2021) keine Beiträge leisten (können), über keine kommunikativ adressierbare Subjektposition verfügen und damit eine „unbestimmte Exklusion“ (Nassehi 2004, S. 338) erfahren.

Zur „bestimmte[n] Exklusion“ (Nassehi 2004, S 337) kommt es dann, wenn „Kommunikationsangebote einer Person missachtet werden“ (Herzog 2013, Absatz 13). Das kann, wie etwa im Falle von onlinebasierten Gemeinschaften, lediglich implizieren, dass Äußerungen von Mitgliedern keine Aufmerksamkeit erfahren, also nicht „geliked“, kommentiert oder geteilt werden; es kann aber auch beinhalten, dass die Mitgliedschaft in einer Online-Gemeinschaft verweigert (z. B. aufgrund von Mindestalter) oder gar entzogen (z. B. das Sperren von Twitter- und Facebook-Profilen) und damit kommunikative Teilhabe verunmöglicht wird. Während der Mangel an Bezugnahme auf eine getätigte Äußerung auf deren Irrelevanz für Anschlusskommunikation verweist, ist der Ausschluss von Mitgliedschaft aufgrund bestimmter Kommunikationsangebote ein Zeichen von Hyperrelevanz im negativen Sinne, denn es sind die Ausschlüsse von als inakzeptabel bewerteten Aussageformationen und daran geknüpfte Subjektpositionen, die die Intelligibilität eines Kommunikationszusammenhangs absichern und somit gegenstandskonstituierend wirken (Butler 1993). Im Falle von als offen markierten Online-Gemeinschaften kommt diesen Ausschlüssen ein besonderer Stellenwert zu, da die Grenzen des jeweiligen Offenheitsanspruchs – wenn überhaupt – meist minimalistisch expliziert werden und es daher den Anlassfall der bestimmten Exklusion (z. B. das Sperren des Subreddits r/The_Donald wegen Verstößen gegen die plattformeigenen, basalen Kommunikationsregeln) braucht, durch den die Offenheit ihre manifeste Rahmung – Begrenzung – erfährt.

5 Typologie von Offenheit-Geschlossenheit-Konfigurationen onlinebasierter Gemeinschaften

Mithilfe der hier dargelegten Definition von Inklusion und Exklusion wollen wir nun eine Typologie an Offenheit-Geschlossenheit-Konfigurationen onlinebasierter Gemeinschaften entwerfen. Diese soll es erleichtern, die Offenheitsversprechen von als dezidiert offen markierten Online-Gemeinschaften im Hinblick auf deren Einlösung abzuklopfen und gleichzeitig den Blick dahingehend zu weiten, dass es konkreter Formen der Schließung/des Ausschlusses bedarf, um bestimmte Offenheitsideale verfolgen zu können. Die Typen unterschiedlicher Offenheit-Geschlossenheit-Konfigurationen – (1) Schließung wegen Öffnung, (2) Schließung trotz Öffnung und (3) Öffnung durch Schließung – werden wir anhand ausgewählter Beispiele (Open-Data-Bewegung, Wikipedia, Reddit) veranschaulichen. Die Auswahl der Beispiele folgte einerseits einer theoretischen Samplinglogik (Eisenhardt und Graebner 2007) mit dem Ziel der bestmöglichen Illustration des jeweiligen Idealtyps und andererseits pragmatischen Überlegungen, allen voran der Kenntnis des empirischen Materials aus früheren Forschungsarbeiten (insbesondere Dobusch et al. 2019; Heimstädt und Dobusch 45,46,a, b).

Der Analysefokus liegt auf den jeweils zentralen Inklusions‑/Exklusionsmodi, die Teilhabemöglichkeiten in onlinebasierten Gemeinschaften maßgeblich strukturieren. Hierbei geht es zum einen darum, zu identifizieren, wer auf welche Weise überhaupt Teil der offenen Online-Gemeinschaft werden kann, wer von vornherein ausgeschlossen ist oder den Zugang zur Gemeinschaft verlieren kann. Zum anderen soll die spezifische Qualität der Teilhabemöglichkeiten vor dem Hintergrund konkreter Offenheitsideale eine Bestandsaufnahme erfahren, denn nur so lassen sich die Offenheitsversprechen von als offen markierten Gemeinschaften differenziert bewerten. Im Rahmen dieses Beitrags fokussieren wir Offenheitsideale, die ideengeschichtlich an das Aufkommen des dezentralen Internets der 1990er-Jahre geknüpft sind (Tkacz 2012). Das bedeutet, danach Ausschau zu halten, inwiefern offene Online-Gemeinschaften den Zugang zu Informationen, die individuellen Beitragsmöglichkeiten sowie gemeinschaftsbezogene Entscheidungsfindungen gestalten (Dobusch et al. 2019).

5.1 Schließung wegen Öffnung

Empirisch gut fundiert sind die Folgen einer Einführung von Informationsfreiheitsgesetzen (IFG) für Praktiken der Archivierung (das zeitübergreifende Zugänglichmachen von Kommunikation), die uns zur Illustration von Konfigurationen der Schließung wegen Öffnung dienen. Denn nicht nur ist ein vollständiger Zugang zu perfekten Archiven schon aus theoretischen Gründen unmöglich, wie Fenster (2015, S. 158) mit Bezug auf Derrida (1998, S. 17) argumentiert: „The archivization produces as much as it records the event.“ Die mit IFGs verbundene Öffnung von staatlichen Archiven gegenüber Journalistinnen und Journalisten, politischen Aktivistinnen und Aktivisten sowie anderen interessierten (Teil‑)Öffentlichkeiten – also Quasigruppen oder Crowds – zieht immer wieder Änderungen in behördlichen Archivierungspraktiken nach sich. Allein die Möglichkeit, auf spätere, konkrete Anfragen hin gesetzlich zur Veröffentlichung von Dokumenten verpflichtet zu sein, führt nämlich zu einem Rückgang verschriftlichter Kommunikation im Behördenalltag.

Flinn und Jones (2009) betitelten ihren Sammelband zu diesem Phänomen (ent)sprechend mit „Open Access or Empty Archives“. Unter anderem wird darin der Fall des schwedischen Öffentlichkeitsprinzips (Offentlichetsprincipen) thematisiert, das bereits seit 1766 in der schwedischen Verfassung verankert ist und zur Entstehung einer mündlichen Entscheidungskultur mit minimaler schriftlicher Erfassung von Entscheidungsprozessen beigetragen hat (Waldemarson 2014).

Derartige Effekte von Öffnungsbestrebungen entstehen nicht nur in klassisch-analogen Verwaltungskontexten, sondern sind auch charakteristisch für jüngere Beispiele von Open-Data-Initiativen (Heimstädt 2017). Hinsichtlich der Inklusionsmodi zeigt sich ein Spektrum von relativ voraussetzungsvoll bis niederschwellig: mit der zunehmenden Verbreitung von Open-Data-Ansätzen hat sich neben der Offenlegung spezifischer Informationen aufgrund einer expliziten Anfrage auch die Offenlegung als Default, also der automatisiert-digitalen Bereitstellung von Daten- und Dokumentenbeständen, etabliert. An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, dass in jedem Fall eine gewisse Expertise und zeitliche Ressourcen nötig sind, um an der Erfassung und Auswertung von diesen Daten teilhaben zu können. Es ist also davon auszugehen, dass der Zugang zu Datenarchiven nur von ganz bestimmten Gruppen (z. B. gebildet, technikaffin) tatsächlich genutzt wird. Das sind etwa regional und global zunehmend vernetzte Open-Data-Gemeinschaften (Heimstädt 2017), die als Praxisgemeinschaften (Wenger 1998) Expertise und Erfahrungen mit Nutzung offener Datenbestände austauschen und als „advocacy coalitions“ (Sabatier und Weible 2019) die Freigabe zusätzlicher Datenbestände einfordern.

Gleichzeitig können mit der zunehmenden Default-Freigabe von Datenbeständen sowie deren Nutzung durch online-basierte Open-Data-Gemeinschaften neue Schließungen verbunden sein. Exemplarisch hierfür ist der Fall der New Yorker Taxi and Limousine Commission (TLC), die Taxi-Daten (z. B. Fahrpreise, Routenverläufe) zunächst auf individuelle IFG-Anfragen in großem Umfang zugänglich gemacht hatten. Die Bereitstellung der Rohdaten erfolgte allerdings auf portablen Speichermedien und nicht online, was zu einem Inklusions‑/Exklusionsmodus führte, der formal Zugang zu Informationen für alle Interessierten bedeutet, gleichzeitig aber räumlich durch die Anforderung persönlicher Abholung beschränkt war.

Nachdem 2014 ein Open-Data-Aktivist den gesamten Taxi-Datenbestand angefordert und mit der Aufforderung „Happy hacking!“ der weltweiten Open-Data-Gemeinschaft auf seinem Blog zur Verfügung gestellt hatte (Whong 2014), führte das zu einer einseitigen Einschränkung der Bereitstellungspraxis (Kommunikationsausschluss) durch die TLC ohne Beteiligung der betroffenen Gemeinschaft(en). Das heißt, dass die Open-Data-Aktivistinnen und Aktivisten keinen Einfluss auf gemeinschaftsbezogene Entscheidungsfindung ausüben konnten. Anlass dafür war der Nachweis eines anderen Open-Data-Aktivisten, dass die umfassenden Datensätze eine zumindest partielle Deanonymisierung und Rückschlüsse auf persönliche Daten (z. B. Einkommen und Wohnadressen von Taxifahrerinnen und Taxifahrern) zuließen (Hern 2014). Im Gegenzug wurden aber neue Formen individueller Beitragsmöglichkeiten, z. B. in Form von Hackathons, geschaffen, wo im Rahmen eines räumlich zugangsbeschränkten Events Daten bereitgestellt und gemeinschaftlich für Auswertungen und Softwareentwicklungen genutzt werden. Im Vergleich zu klassischen, primär auf konkrete Anfragen abstellenden IFG-Ansätzen kann das als Schließung vormals offener Open-Data-Ansätze gedeutet werden.

5.2 Schließung trotz Öffnung

Anhand der im Netz frei zugänglichen und allmendebasierten Online-Enzyklopädie Wikipedia wollen wir die Konfiguration Schließung trotz Öffnung veranschaulichen. Die Inklusionsmodi von Wikipedia zeichnen sich dadurch aus, dass sie zum einen relativ niederschwellig sind und zum anderen nicht automatisch an Personen als solchen andocken, sondern primär die (Kommunikations‑)Beiträge fokussieren: „[A]nyone can edit nearly any page and improve articles immediately. You do not need to register to do this, and anyone who has edited is known as a Wikipedian or editor.“Footnote 7 Der Selbstbeschreibung nach bedarf es also lediglich eines Internetzugangs und nicht einmal einer Registrierung, um am Projekt der Wikipedia – der Sammlung und dem Zugänglichmachen von enzyklopädisch relevantem Wissen – teilzuhaben. Einzige Teilnahmebedingung ist, dass sich das Verfassen und Bearbeiten von Wikipedia-Einträgen an bestimmten GrundprinzipienFootnote 8 ausrichtet. Werden diese, in ein zunehmend komplexes Regelwerk übersetzten, Grundprinzipien verletzt, kann eine Reihe an mehr oder weniger starken Exklusionmodi zum Tragen kommen. Diese reichen von partiellen Ausschlüssen (Kommunikationsbeschränkung), wie etwa, dass Beitragenden das Editieren einer bestimmten Seite untersagt wird, bis hin zum temporären oder unbefristetem Entzug individueller Schreibrechte (Kommunikationsausschluss).Footnote 9 Zusammenfassend bedeutet das, dass ein Inklusionspotenzial im Sinne einer Zugänglichkeit – Offenheit – für all jene besteht, die sich in ihrem Kommunikationsverhalten an der Grundausrichtung der Wikipedia orientieren wollen; bestimmte Exklusion ist im Gegenzug etwas, das explizit hergestellt werden muss. Es zeigt sich daher eine hohe Kongruenz zwischen den grundsätzlichen, formalen Inklusions‑/Exklusionsmodi von Wikipedia und dessen Offenheitsanliegen.

Ein Blick auf die konkreten Offenheitsideale wie den Zugang zu Informationen sowie die gemeinschaftsbezogenen Entscheidungsfindungen scheint dieses Bild zu bestätigen. Dies liegt zum einen an dem zentralen Stellenwert der Wikisoftware, die nicht nur Beitragserstellung/-änderung direkt im Webbrowser ermöglicht, sondern gleichzeitig den Kommunikationsprozess hinter der Bearbeitung jedes Beitrags für alle einsehbar und daher transparent macht. Zum anderen zeigt sich ein hoher Grad an „prozessualer Offenheit“ (Dobusch et al. 2019), das heißt, dass die allermeisten Abläufe – sei es, wie Beiträge erstellt werden können und was im Falle eines Edit-War mit abwechselndem Rückgängigmachen von Änderungen passiert, sei es, welche Rechte die Administration im Vergleich zu einfachen Beitragenden hat – explizit geregelt und in Softwarefunktionen gegossen sind. Aus diesem Grund sind diese Regeln auch für Nichtinsider sowohl nachvollziehbar als auch zumindest prinzipiell infragestellbar.

Hinsichtlich des Offenheitsideals der individuellen Beitragsmöglichkeiten offenbart sich allerdings eine große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Nicht nur ist die Form der Beiträge weitgehend vorgegeben (z. B. durch detaillierte Relevanzkriterien oder Kategoriensysteme), es zeigt sich auch ein „systemic bias“ hinsichtlich der Beitragenden:Footnote 10 So wird der typische Wikipedianer als weiß, männlich, technikaffin, mit formalem Bildungsabschluss, Englisch sprechend, zwischen 15 und 49 Jahren alt und aus einem mehrheitlich christlichen Land des Globalen Nordens stammend beschrieben. In konkreten Zahlen heißt das etwa, dass sich im Jahr 2018 rund 90 % der Beitragenden als männlich, 8,8 % als weiblich und 1 % als nichtbinär identifizierten (Wikimedia 2018; wobei diese Zahlen aufgrund von Geschlechterbias bei der Beantwortung von Umfragen etwas zu niedrig liegen könnten (Hill und Shaw 2013)), oder dass sich nur drei der 20 Länder, von denen die meisten Wikipedia-Beiträge stammen, im Globalen Süden befinden (Graham et al. 2015). Die Gründe hierfür sind vielfältig und reichen von geschlechterdifferenzierender Sozialisation hinsichtlich Kommunikationsverhalten (Stichwort: harscher, misogyner Umgangston in Online-Foren) sowie Technikaffinität (Stichwort: Notwendigkeit Wiki-Syntax zu beherrschen) bis hin zu mangelnder Netzinfrastruktur in Ländern des Globalen Südens, die eine kommunikative Teilhabe an Wikipedia erschweren (Dobusch 2017).

Es zeigt sich eine spezifische Offenheit-Geschlossenheit-Konfiguration, die wir als „Schließung trotz Offenheit“ beschreiben. Nicht nur, weil sich die Inklusionsmodi als niederschwellig gestalten und sie die Teilhabe nicht an bestimmte Subjektpositionen knüpfen, bilden sich globale soziale Ungleichheiten in den Wikipedia-internen Strukturen ab, sondern es besteht auch eine kaum regulierte Durchlässigkeit – Offenheit – für potenziell exkludierendes Kommunikationsverhalten. Gleichzeitig erschwert bis verunmöglicht diese in Software, Regeln und Normen tief verankerte Form von Offenheit potenzielle diversitätssensible Maßnahmen, die – wie beispielsweise positive Diskriminierung – auf expliziten Ausschlüssen basieren. Während im zuvor diskutierten Typus der Schließung wegen Offenheit Ausschlüsse eine organisationale Reaktion auf (externe) Offenheitsansprüche darstellt, sind sie beim Typus Schließung trotz Offenheit eine Folge konkreter, organisationsspezifischer Offenheitsansätze.

5.3 Öffnung durch Schließung

Anders verhält es sich bei der Konfiguration Öffnung durch Schließung, die wir anhand der Subgemeinschaft r/relationships der Plattform Reddit veranschaulichen werden. Diese Subgemeinschaft zeichnet sich zwar durch ebenfalls niederschwellig gestaltete Inklusionsmodi aus, setzt aber gleichzeitig rigide Ausschlüsse bestimmter Inhalte und Kommunikationsweisen durch. Dadurch – so unsere These – können gesamtgesellschaftlich vorhandene Ungleichheiten abgeschwächt und bestimmte Offenheitsideale besser verfolgt werden.

Reddit wurde 2005 in den USA gegründet und ist ein sogenannter Social-News-Aggregator, erlaubt also sowohl das Teilen von Inhalten (z. B. Politik, Serien, Sport) als auch die Kommunikation der Plattformmitglieder (Redditors) untereinander. Reddit ist eine der beliebtesten Websiten weltweit und verzeichnet zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Textes etwa 50 Mrd. Zugriffe pro Monat.Footnote 11 Was die Plattform im Besonderen auszeichnet, ist zum einen das Selbstverständnis als Netzwerk von unten: „Reddit is a vast network of communities that are created, run, and populated by you, the Reddit users.“Footnote 12 Konkret beeinflussen die Mitglieder mittels Upvote- und Downvote-Funktion, welche Kommunikationsangebote (Postings) viel oder wenig bis keine Aufmerksamkeit bekommen sollen. Darüber hinaus können registrierte Nutzerinnen und Nutzer themenspezifische Subgemeinschaften – Subreddits – gründen und diese auch weitestgehend eigenständig verwalten (Singer et al. 2014). Damit sorgte Reddit immer wieder für Aufsehen bezüglich seiner Offenheit gegenüber rechtskonservativen bis rechtsextremen Positionen (Robertson 2015); so wurde die Plattform rund um den Präsidentschaftswahlkampf 2015/16 zu einer bedeutenden Sammelstelle für Trump-Anhängerinnen und -Anhänger (siehe z. B. das mittlerweile aufgelöste Subreddit r/The_Donald). Über 60 % der Redditors identifizieren sich als männlich (Lin 2021) und der Plattform wird eine „toxic geek masculinity … where marginalized populations feel increasingly unwelcome“ (Massanari 2020, S. 186) attestiert.

Ein anderes Bild zeigt sich allerdings in dem Subreddit r/relationships, das sich durch eine vergleichsweise ausgewogene Geschlechterverteilung der Nutzerinnen und Nutzer auszeichnet (Hughes 2019) und als „Unbearably Human Corner“ (Tiffany 2019) von Reddit gilt. Die grundsätzlichen Inklusionsmodi unterscheiden sich allerdings nicht von jenen der allgemeinen Plattform. Um an der Kommunikation teilnehmen zu können, muss ein Mindestalter von 13 Jahren erreicht sein und es bedarf der (auch pseudonymen) Registrierung, um Inhalte teilen, kommentieren und up-/down-voten zu können. Darüber hinaus gibt es ein ganz basales Subreddit-übergreifendes Regelwerk,Footnote 13 an dem sich Redditors in ihrem Kommunikationsverhalten orientieren sollen, wie keine illegalen Inhalte zu teilen, nicht zur Gewalt anzustiften oder keine personenbezogenen Daten Dritter zu veröffentlichen. Werden diese Kommunikationsregeln (mehrmals) von Beitragenden gebrochen, droht ihnen der temporäre oder auch unbegrenzte Kommunikationsausschluss (Sperrung ihres Kontos). Ebenso behält sich Reddit vor, ein gesamtes Subreddit mit Kommunikationsbeschränkungen zu belegen; diese reichen von „quarantining“Footnote 14 (z. B. deren Inhalte werden nicht mehr in den plattform-öffentlichen Newsfeed eingespeist) bis hin zum permanenten „banning“Footnote 15 einer Subgemeinschaft.

Während diese basalen Inklusions‑/Exklusionsmodi auf alle Redditors in gleicher Weise zutreffen, können Subreddits zusätzliche Kommunikationsregeln festlegen, denen letztlich ein bedeutenderer Stellenwert bei der Herstellung der (Sub‑)Gemeinschaften zukommt als dem zentralen Reddit-Regelwerk (Fiesler et al. 2018). Bei dem Subreddit r/relationships zeigt sich das in einer Vielzahl an detaillierten VorgabenFootnote 16 zur Gestaltung von Kommunikationsangeboten, die sich alle um das Thema Beziehungstipps drehen müssen: Diese reichen von formalen Angaben (z. B. Alter, Geschlecht, Dauer der Beziehung) über die erlaubten Inhalte (z. B. Thematisierung konkreter Beziehungsprobleme, keine explizit politischen Äußerungen) bis hin zum Verbot der Verlinkung mit externen Inhalten. Wird gegen diese Regeln verstoßen, löschen die ehrenamtlichen Moderatorinnen und Moderatoren des Subreddits unverzüglich den Beitrag oder sie verbannen – bei mehrmaligen, auch kleineren Verstößen – die Beitragenden aus dem Forum.

Hinsichtlich des Offenheitsideals der individuellen Beitragsmöglichkeiten offenbart sich demnach ein enges Korsett, das die Kommunikationsangebote vorgibt. Noch weniger Spielraum zeigt sich hinsichtlich der gemeinschaftsbezogenen Entscheidungsfindungen, denn die Teilnahmebedingungen des Subreddit werden von der Gruppe ehrenamtlicher Moderatorinnen und Moderatoren sowohl festgelegt als auch exekutiert; deren Rekrutierung sowie interne Entscheidungsfindung ist allerdings durch einfache Nutzerinnen und Nutzer weder einsehbar noch beeinflussbar. Bezüglich des Zugangs zu Informationen ergibt sich dadurch ein durchwachsenes Bild: Einerseits sind die KommmunikationsregelnFootnote 17 und die damit einhergehenden Konsequenzen bei Nichteinhaltung detailliert für alle Mitglieder – und auch nichtregistrierte Nutzerinnen und Nutzer – aufgeschlüsselt, andererseits ist das Zustandekommen und die Exekution dieser Regeln weitgehend opak. Nichtsdestotrotz sind es diese seitens der Moderation immer wieder durchgesetzten Ausschlüsse von Kommunikationsangeboten, die das Subreddit zu einem Ort machen, an dem sich potenziell über 3 Mio. Abonnentinnen und AbonnentenFootnote 18 über Beziehungsfragen austauschen können, ohne dabei Beleidigungen oder sogenannten „troll storms“, also einem gezielten Stören der Diskussion durch einzelne Beitragende, ausgesetzt zu sein.

6 Diskussion und Fazit

Sowohl die Auswahl der untersuchten Fallbeispiele als auch die Strukturierung ihrer Analyse zielte darauf ab, Schließungstendenzen in Online-Gemeinschaften mit expliziter Offenheitsprogrammatik als Ergebnis spezifischer Offenheit-Geschlossenheit-Konfigurationen zu illustrieren. Die Operationalisierung dieser Perspektive unter Rückgriff auf ein konstitutives Verständnis von Inklusion und Exklusion ist dabei nur eine von vielen Möglichkeiten, konkrete Schließungstendenzen zu identifizieren. Im Unterschied zur in der Literatur dominanten Perspektive eines Kontinuums von Geschlossenheit hin zu Offenheit werden Schließungen im Rahmen einer solchen Analyse nicht als Hürden auf dem Weg zu größerer Offenheit verstanden. Stattdessen wird deutlich, dass die Erreichung bestimmter Offenheitsideale mit konkreten Formen von Schließung einhergehen, wenn nicht sogar auf diese angewiesen sind. Dadurch zeigt sich die Ambivalenz von Schließungen: Diese können dazu dienen, Offenheitsideale (un)bewusst zu unterlaufen ebenso wie diese zu ermöglichen.

Daraus ergibt sich, dass in allen beschriebenen Online-Gemeinschaften – einer Open-Data-Initiative, Wikipedia und dem Subreddit r/relationships – bei durchaus unterschiedlichen Offenheitsanliegen jeweils eindeutige Schließungstendenzen auszumachen sind (siehe Tab. 1). Es sind die jeweils gemeinschaftsspezifischen Offenheit-Geschlossenheit-Konfigurationen, die Schließungstendenzen oftmals nicht entgegenwirken, sondern diese gar noch verstärken oder hervorbringen.

Tab. 1 Typen von Offenheit-Geschlossenheit-Konfigurationen hinsichtlich basaler Inklusions‑/Exklusionsmodi und spezifischer Offenheitsideale anhand illustrativer Beispiele

In allen drei Beispielen gestalten sich die basalen Inklusions‑/Exklusionsmodi weitgehend niederschwellig. In keinem der Fälle sind etwa Staatszugehörigkeit, Bildungsabschlüsse oder das Vorhandensein bestimmter finanzieller Ressourcen Bestandteil der formalen Teilnahmebedingungen, denen allerdings jenseits der jeweiligen Gemeinschaften durch die Dominanz nationalstaatlich-kapitalistisch organisierter Gesellschaften ein zentraler Stellenwert bei der Zuteilung von Teilhabechancen zukommt. Exklusion stellt nicht den „Normalfall“ (Nassehi 2004, S. 338) dar, wie in traditionellen Organisationen, sondern wird erst aufgrund ganz konkreter kommunikativer Regelbrüche durch das individuelle Mitglied an diesem vollzogen. Die Offenheit manifestiert sich also in einer asymmetrischen, primär beitragsorientierten Form der Grenzziehung, die nicht ex-ante über Zulassung (z. B. in Form von Mitgliedschaft) sondern ex-post über Zurückweisung oder Ausschluss von Kommunikationsangeboten oder Beitragenden erfolgt (vgl. auch Grothe-Hammer (2019) zur Unterscheidung zwischen Membership und Contributorship).

Das bedeutet jedoch nicht, dass sich die als offen markierten Online-Gemeinschaften den für Gesellschaften charakteristischen strukturellen Ungleichheiten entziehen können. Im Gegenteil, zeigt sich doch sowohl bei den Open-Data-Aktivistinnen und Aktivisten genauso wie bei den Wikipedia-Autorinnen und Autoren als auch den Redditors ein systematischer Bias hinsichtlich Subjektpositionen, die eine hohe Konvergenz mit Technikaffinität und maskuliner Debattenkultur aufweisen sowie über die nötige Netzinfrastruktur wie zeitlichen Ressourcen verfügen: „The most open system theoretically imaginable reveals perfectly the predicating inequities of the wider environment in which it is situated“ (King 2006, S. 53).

Es ist gerade die Offenheit im Sinne der Abwesenheit expliziter (z. B. diversitätssensibler) Teilnahmebedingungen, die die an das dezentrale Internet geknüpften Hoffnungen der Freiheits- und Gleichheitsstiftung unterlaufen. Zusätzlich verstellt die Offenheitsrhetorik den Blick auf gemeinschaftsbezogene Verantwortlichkeiten zur Bearbeitung von umweltinduziertem, systemischem Bias, da die Ursache mangelnder Teilnahme marginalisierter Gruppen oftmals bei diesen selbst gesucht wird (Tkacz 2015, S. 22 f.). Nichtsdestotrotz zeigt sich in den jeweils gemeinschaftsspezifischen Offenheit-Geschlossenheit-Konfigurationen ein gewisser Handlungsspielraum, durch den die umweltinduzierten oder -importierten Ungleichheiten und die damit im Zusammenhang stehenden Teilhabebeschränkungen beeinflusst (moderiert) werden können. Gerade insofern Offenheit eben nicht bloß als ein Endpunkt eines Kontinuums, sondern als konstitutiv mit Geschlossenheit verknüpft verstanden wird (Dobusch und Dobusch 2019), eröffnen sich auch für offenheitsorientierte Online-Gemeinschaften Möglichkeiten der Offenheitsgestaltung. Technologisch gerahmt – im Sinne von „technical affordances“ (Leonardi 2011) – werden diese Gestaltungsmöglichkeiten durch die Charakteristika derjenigen Online-Plattform(en), derer sich eine Gemeinschaft bedient. In den illustrativen Fällen handelt es sich dabei um die Bereitstellungsform(ate) der datenerfassenden Behörde, um die von der Wikimedia Foundation gehostete Mediawiki-Software der Wikipedia sowie um die Software der Plattform Reddit für das Subreddit r/relatonships.

Wie sich im Fall der Open-Data-Initiative in New York zeigt, können Öffnungen in einem Bereich – hier: Ausdehnungen des Zugangs zu sensiblen Daten – zu (neuen) Schließungen in denselben oder anderen Bereichen – hier: Ausmaß der bereitgestellten Daten – führen. Im Beispielfall wird diese Schließung auch dadurch befördert, dass weder die Öffnung noch die Schließungsreaktionen unter Einbindung von Gemeinschaftsmitgliedern erfolgten. Bei Wikipedia wiederum werden die mit ihrer radikal offenen Zugänglichkeit („anyone can edit“) verbundenen Exklusionsfolgen (z. B. Bias unter den Beitragenden) im Sinne einer Geschlossenheit trotz Offenheit durchaus reflektiert. Der Schritt hin zu einer stärkeren Öffnung für bislang unterrepräsentierte Gruppen von (potenziell) Beitragenden durch Schließung – denkbar wären hier beispielsweise die Professionalisierung bestimmter Bereiche wie Community-Management oder Gründung von bezahlten Redaktionen – wird aber bislang nicht gewagt. Genau dieser Weg der Schließung – hier: rigide Vorgaben für Beitragsgestaltung und ebensolche Verfolgung kommunikativer Regelbrüche –, um Offenheit für das gewünschte Themenfeld zu erreichen, wird wiederum im Fall des Subreddits r/relationship unternommen.

Bei den hier diskutierten Typen von Offenheit-Geschlossenheit-Konfigurationen onlinebasierter Gemeinschaften handelt es sich klarerweise um Idealtypen (Weber 1904), die rein analytisch unterschieden werden. Empirisch kommt es zu Überlappungen und Kombinationen dieser verschiedenen Typen, was Gemeinschaften im Ergebnis sehr idiosynkratisch wirken lässt und holistische Vergleiche erschwert. So ließen sich etwa für die Wikipedia auch Beispiele für Schließung wegen Öffnung (z. B. komplexere Regelwerke als Reaktion auf Offenheit für Manipulation, vgl. Butler et al. 2008) sowie für Öffnung durch Schließung (z. B. Verzicht auf Einmischung der Wikimedia Foundation in inhaltliche Diskussionen der Wikipedia-Gemeinschaft als Voraussetzung für offene Deliberation, vgl. Dobusch und Kapeller 2018) finden.

Worin liegt dann der spezifische Erkenntnisgewinn der hier eingeführten Unterscheidungen verschiedener Offenheit-Geschlossenheit-Konfigurationen onlinebasierter Gemeinschaften? Angesichts der Unvermeidbarkeit von Schließungen ist das Streben nach Offenheit im Sinne einer Offenheitsprogrammatik zwar nicht notwendigerweise vergeblich, es erfordert aber immer einen konkreten Bezug. Es geht stets um Offenheit hinsichtlich spezifischer Beiträge oder Beitragenden, die – und hier ist die Operationalisierung in Form eines relationalen Verhältnisses zwischen Inklusion und Exklusion instruktiv – mit bestimmten Schließungen einhergeht oder sogar auf diese angewiesen ist. Offenheit an sich gibt es demnach nicht, sondern nur in Form konkreter Konfigurationen von Offenheit und Geschlossenheit.