1 Einleitung: Digitalisierung und die Regeln politischer Kommunikation

Seit sich in den 1990er-Jahren abzuzeichnen begann, dass sich das Internet als Infrastruktur der Kommunikation in allen gesellschaftlichen Bereichen durchsetzt, wird über die Folgen der Digitalisierung für die politische Kommunikation (und in weiteren Schritten für die Demokratie als Entscheidungsform und die Politik als Entscheidungssystem) diskutiert. Bereits in den 2000er-Jahren verdichtete sich die Diskussion auf drei Szenarien mit nur leicht variierenden Begrifflichkeiten (vgl. u. a. Bene 2021; Rauchfleisch und Metag 2020; Ward und Gibson 2009). Das erste Szenario umfasst Diagnosen eines fundamentalen Wandels der Politik in Form eines disruptiven Bruchs oder zumindest einer Erosion bisheriger Strukturen (Revolutions- oder Erosionsthese). Das zweite Szenario befasst sich weniger mit den Strukturen als vielmehr mit den Akteuren politischer Kommunikation. Argumentiert wird, dass von der Digitalisierung nichtetablierte oder periphere politische Akteure stärker profitieren als etablierte oder zentrumsnahe und es damit zu einem Ausgleich ihrer vormals schwächeren Position komme (Ausgleichsthese). Das dritte Szenario argumentiert schließlich, dass es möglicherweise kurzfristig zu Veränderungen komme, es nach einer Weile aber die großen und ressourcenstarken politischen Kräfte seien, die wieder „normale“ Verhältnisse herstellen würden (Normalisierungsthese). Oft wurden die Szenarien auch auf zwei Alternativen verdichtet und entweder eine Revolution oder Normalisierung als Folge der Digitalisierung in Aussicht gestellt. Dieser „schism between the revolution and normalization ‚schools‘“ wird seit Längerem beklagt (Wright 2012, S. 245) und es wird nach Gründen dafür gesucht, warum die Debatten „seem to continuously oscillate between extreme takes, either those diagnosing a fundamental transformation of politics or relativistic accounts confidently denying there has been any change at all“ (Jungherr et al. 2020, S. 240). Jungherr et al. (2020, S. 240–245) vermuten, dass es die Anreizsysteme der Wissenschaft selbst sind, die zur Beständigkeit dieser Dichotomie führen. Die empirische Forschung orientiere sich bei der Fallauswahl stark an attraktiven, erfolgreichen Beispielen innovativer Formen politischer Kommunikation und vertraue zu sehr (Selbst‑)Auskünften, so von politischen Akteuren oder deren PR-Beauftragten. Zu ergänzen wäre, dass die Wissenschaft auch nur das erforschen kann, zu dem sie Zugang hat. Dies zeigt sich etwa an dem Übergewicht von Studien zur Social-Media-Plattform Twitter, deren Betreiber sich im Unterschied zu anderen (wie Facebook) gegenüber automatisierten Datenerhebungsverfahren nicht verschließt.

Dieser Beitrag versucht, das skizzierte Problem dadurch zu umgehen, dass er nicht auf (wie immer definierte) erfolgreiche Inhalte, Strategien oder Akteure digitaler politischer Kommunikation abstellt, sondern Strukturveränderungen beleuchtet, die sich durch die Digitalisierung im Feld der politischen Kommunikation ergeben. Digitalisierung ist sowohl Bestandteil wie auch Treiber eines grundlegenden strukturellen Wandels der politischen Kommunikation (Vowe 2020, S. 4). Strukturen werden in diesem Beitrag mit Giddens (1995, S. 69) als Regeln und Ressourcen umschrieben. Aus diesem Strukturbegriff lassen sich zwei analytische Perspektiven ableiten: Eine ressourcenorientierte, die vor allem Akteure politischer Kommunikation betrachtet, sowie eine regelorientierte, die nach institutionellen Veränderungen fragt. In der ressourcenorientierten Perspektive werden digitale Kommunikationsmedien als neue Instrumente und -möglichkeiten politischer Akteure betrachtet, wodurch sich Machtverhältnisse verschieben:

„Political actors, organizations, and the public use digital media in pursuit of their goals. Doing so successfully means adapting practices, structures, and processes to best make use of the affordances provided by digital media. This changes the way politics is engaged in and presented. It retools politics. But it does not necessarily lead to changes in the fundamentals of politics; it merely shapes how they are pursued. Political actors and organizations still pursue the same goals and use communication to fulfill the same needs as they did before the advent of digital media“ (Jungherr et al. 2020, S. 22).

In diesem Beitrag wird hingegen eine regelorientierte Perspektive eingenommen und nach den Veränderungen von institutionellen Grundlagen politischer Kommunikation infolge der Digitalisierung gefragt. Der Begriff der Institution orientiert sich an der Definition von March und Olson (1989, S. 160) als „collections of interrelated rules and routines that define appropriate actions in terms of relations between roles and situations“. Mit einer institutionalistischen Perspektive ist die grundlegende Annahme verbunden, dass politische Akteure, Individuen wie Organisationen, sich nicht primär an der Effizienz zur Zielerreichung orientieren, sondern an der Angemessenheit (oder auch Legitimität) ihres Handelns. Im Unterschied zum obenstehenden Zitat wird nicht davon ausgegangen, dass die Digitalisierung die Ziele politischer Akteure und Organisationen unberührt lässt. Erst im Rahmen institutioneller Anforderungen können Akteure Ziele und Präferenzen entwickeln und verfolgen. So kann die Präsenz auf Social-Media-Plattformen für politische Organisationen zum Ziel werden, ohne dass sich ein unmittelbarer Nutzen im Sinne des Effizienz-Kriteriums für sie ergibt. Institutionelle Veränderungen können zur Entstehung von Akteuren führen, wie beispielswiese PR-Agenturen und BeraterFootnote 1 für Social Media, die dann Teil einer politischen Organisation werden und diese im Sinne ihrer institutionellen Logik zu verändern versuchen (vgl. Nitschke 2019). Institutionen und politische Akteure sind „co-constitutive and co-constructed in processes of communication“ (Meyer und Vaara 2020, S. 898) und die Digitalisierung aus der regelorientierten Perspektive mehr als ein neues Werkzeug.

Der Beitrag erinnert zunächst daran, dass Digitalisierung sowohl technisch als auch sozial interpretiert werden kann (Abschn. 2). Politische Kommunikation wird als Vermittlung verstanden und es wird argumentiert, dass durch Digitalisierung ein neuer Typ von Vermittlung entsteht, der als automatisiert algorithmisch bezeichnet wird (Abschn. 3). Von den Folgen, welche die Digitalisierung auf die Strukturen der politischen Kommunikation hat, werden zwei herausgegriffen: die quantitativen wie qualitativen Veränderungen der hergestellten Konnektivität (Abschn. 4) sowie die paradox anmutenden Folgen für die Sichtbarkeit und Zurechenbarkeit der Politik (Abschn. 5). Der letzte Abschnitt fasst die Folgen der Digitalisierung der politischen Kommunikation aus institutionalistischer Perspektive zusammen.

2 Digitalisierung als technische Möglichkeit und soziale Realisierung

Das Nachdenken über Digitalisierung als analytisches Konzept beginnt mit der Schwierigkeit, dass die deutsche Sprache nur diesen einen Begriff zur Verfügung stellt. Im Englischen sind es mit „Digitization“ und „Digitalization“ zwei, die den technischen und sozialen Aspekt unterscheiden (u. a. Leonardi und Treem 2020, S. 1605):

„Digitization“ bezeichnet den technischen Aspekt: Zeichen oder Daten (wie Texte, Bilder, Filme, Töne etc.) werden von einem analogen in ein numerisches Format überführt, in eine Abfolge aus „0“ und „1“, die von Computern verarbeitet werden kann. Durch diese Überführung lösen sich Kommunikationsprozesse von ihren zeitlichen, räumlichen oder materiellen Beschränkungen. Daten können fast beliebig gespeichert, übertragen, kopiert, anderen zugänglich gemacht oder nach Zusammenhängen durchsucht werden, und dies zumeist zu sehr geringen Kosten.

„Digitalization“ bezeichnet hingegen den sozialen Aspekt: die Folgen einer Nutzung dieser technischen Möglichkeiten. „Digitalization refers to the ways in which social life is organized through and around digital technologies“ (Leonardi und Treem 2020, S. 1602).

Eine Definition von Baecker (2017) bringt beide Aspekte auf den Punkt: „Digitalisierung als sozialer und kultureller Prozess heißt, dass sich Maschinen an Kommunikation beteiligen und dass alle anderen Akteure (Menschen, Organisationen, Teams) sich darauf einstellen, dass sie sich beteiligen“ (Baecker 2017, S. 18).

Aus der Unterscheidung des technischen und sozialen Aspekts lässt sich ein Paradoxon ableiten: Durch die technische Digitization werden die Kosten der Produktion, der Verbreitung, des Abrufs oder des Zugangs zu Daten und Informationen erheblich gesenkt. Das Argument gesunkener Kommunikationskosten bezieht sich auf die monetären Kosten auch der individuellen Teilnahme an digitaler Kommunikation. Ausgeblendet werden soziale wie ökologische Kosten der Produktion, Nutzung und Verschrottung digitaler Medientechnologien, die zwischen dem globalen Norden und Süden zudem ungleich verteilt sind (vgl. Kannengießer 2020). In einer ressourcenorientierten Perspektive gelten die gesunkenen Kosten als wesentlicher Mechanismus, durch den sich Politik verändert (Jungherr et al. 2020, S. 22). Digitale Medien ermöglichen es peripheren, ressourcenschwachen und nichtorganisierten Akteuren, an der politischen Kommunikation teilzunehmen. Auch für die in der Einleitung skizzierte Ausgleichsthese ist das ein wesentliches Argument. In sozialer Hinsicht ist aber zu berücksichtigen, dass dies für alle Teilnehmenden an politischen Diskursen einer Gesellschaft gilt und sich die technisch bedingten Vorteile für Einzelne wieder aufheben. Beck und Jünger (2019, S. 21) bezeichnen dies als Paradoxon der Publizität: „[J]e einfacher es ist, etwas (bzw. alles Mögliche) unselektiert zu publizieren, umso größer ist das Gesamtangebot des Publizierten. Da aber Rezeptionszeit und Aufmerksamkeit knappe Güter bleiben, sinkt – gerade durch die Umgehung bzw. den Wegfall professioneller Gatekeeper und professioneller Standards – die Chance gesellschaftlicher Wahrnehmung und gelingender Kommunikation“.

Neben den beiden Aspekten der Digitalisierung wird Datafizierung als ein weiterer Treiber des strukturellen Wandels politischer Kommunikation genannt. Der Begriff geht auf Mayer-Schönberger und Cuckier (2013, S. 78) zurück und bezeichnet die Überführung eines Phänomens in eine quantifizierte Form, in der sie bearbeitet und analysiert werden kann. Im Unterschied zur „Digitization“ betont der Begriff der Datafizierung, dass Daten sich nicht verbrauchen, sondern mehrfach und für unterschiedliche Kontexte verwendet werden können. Phänomene können Aktivitäten, Verhalten oder Prozesse sein, die in „meaningful data“ überführt werden (Leonardi und Treem 2020, S. 1605). Die Überführung kann auf unterschiedliche Art und Weise geschehen. Kitchin (2014, S. 4) unterscheidet drei Formen: Daten können gezielt erhoben und erfasst werden, beispielsweise im Rahmen einer Passkontrolle („directed data“). Daten können freiwillig freigegeben werden, etwa bei Befragungen („volunteered data“). Die für die Digitalisierung wichtigste und häufigste Variante ist jedoch die automatisierte Erfassung von Daten bei der Interaktion zwischen den Nutzern mit digitalen Diensten, d. h. von unabsichtlich hinterlassenen Verhaltensspuren („automated“ oder auch „trace data“) (vgl. Jungherr 2018; Nitschke 2019, S. 75).

Die sozialen Folgen der Datafizierung werden durch den Begriff der Quantifizierung zum Ausdruck gebracht. Quantifizierung bedeutet zunächst die „Übersetzungsleistung“, durch die „Phänomene, Eigenschaften oder Beschaffenheiten eines Sachverhalts“ in Zahlen ausgedrückt werden (Mau 2017, S. 27). Das erklärt aber noch nicht die soziale Relevanz, die aus der Übersetzungsleistung entsteht. Diese ergibt sich erst daraus, dass quantitativen Daten Merkmale wie Messbarkeit, Vergleichbarkeit, Eindeutigkeit, Objektivität etc. zugeschrieben werden. Mau (2017, S. 30–31) zufolge ergibt sich damit „eine Verbindung zwischen dem Abschätzen von Werten im Prozess der Quantifizierung und Wertschätzung im Sinne sozialer Anerkennung“. Erst aus dem Zusammenspiel beider Aspekte, der Datafizierung und Quantifizierung, erklärt sich der Erfolg von Social-Media-Plattformen als Vermittler, die im nächsten Abschnitt aufgegriffen wird.

3 Politische Kommunikation als Vermittlungsprozess

Um die hier diskutierten Folgen der Digitalisierung besser verstehen zu können, ist zunächst die Unterscheidung von Kommunikation und Vermittlung wichtig. Kommunikation ist nach Luhmann eine Synthese aus drei Selektionsprozessen: Information, Mitteilung und Verstehen. Eine Information ist „nach heute geläufigem Verständnis eine Selektion aus einem (bekannten oder unbekannten) Repertoire an Möglichkeiten“ dessen, was kommuniziert werden kann und was nicht (Luhmann 1984, S. 95). Eine Mitteilung wiederum ist die absichtliche oder unabsichtliche Wahl eines Verhaltens, das diese Information mitteilt (Luhmann 1984, S. 95). Verstehen ist aus dieser Perspektive vor allem eine Erfolgserwartung, die „Erwartung einer Annahmeselektion“ (Luhmann 1984, S. 196).

Beim Verhaltensaspekt der Kommunikation, den Mitteilungen, können (Luhmann verlassend) zwei Formen unterschieden werden: Übermittlung und Vermittlung. Jede Mitteilung wird zum einen übermittelt, beispielsweise in Form einer sprachlichen Äußerung oder eines Textes. Erst auf Grundlage dieser Übermittlung kann sich eine Vermittlung von Bedeutungen anschließen, eine soziale Konstruktion von Sinn (Beck 2020, S. 33). Vermittlung ist ein anspruchsvoller Prozess, der vielfältige Formen von Wissen über die Differenz von Information und Mitteilung, den Mitteilenden, das verwendete Zeichensystem oder die Handlungssituation sowie damit verbundene Kompetenzen voraussetzt.

Mit Schönhagen (2004, S. 214–215) lassen sich grundlegend drei Typen von Vermittlung unterscheiden: Kommunikation kann erstens selbstvermittelt sein, wenn zwei Partner ihre Mitteilungen selbst vermitteln, so wie in der Face-to-Face-Interaktion oder bei einem Telefonat. Kommunikation kann zweitens partnergebunden oder partnerabhängig vermittelt sein, etwa wenn eine politische Organisation eigenes Vermittlungspersonal beschäftigt (Kommunikationsabteilung, Pressestelle etc.) oder eine andere Organisation (z. B. PR- oder Werbeagentur) damit beauftragt. Kommunikation kann drittens partnerautonom oder partnerunabhängig vermittelt sein, etwa wenn journalistisch-redaktionelle Medien die Anliegen einer politischen Organisation aufgreifen und über sie berichten. Beck und Donges (2020) bezeichnen diesen Typ der partnerunabhängigen Vermittlung auch als Fremdvermittlung. Sie ist ebenfalls an Organisationen gebunden und erfolgt durch Redaktionen, die nach journalistischen Kriterien und Regeln agieren und Mitteilungen anderer Organisationen (hier aus dem Bereich Politik und Staat) aufnehmen, verarbeiten und in Form von Beiträgen veröffentlichen. Die Regeln der journalistischen Fremdvermittlung sind anderen Akteuren bekannt. In der wissenschaftlichen Literatur werden sie oft verkürzt als Medienlogik oder „media logic“ beschrieben (vgl. Altheide und Snow 1979; Asp 2014; Landerer 2013; Lundby 2009). Politische Organisationen und die von ihnen beauftragten Vermittelnden kennen diese Logiken, nach denen im Journalismus Ereignisse zur Berichterstattung ausgewählt, verarbeitet und präsentiert werden. Da ihnen eine positive Berichterstattung wichtig ist, weisen sie den Logiken eine hohe Bedeutung zu und handeln entsprechend. Das ist der Kern der Medialisierungsthese, die einen doppelseitigen Prozess bezeichnet (Hjarvard 2008, S. 105): Traditionelle journalistische Medien entwickeln sich zu sozialen Institutionen, die über eigene Regeln (in der Literatur auch: Medienlogiken) verfügen. Politische Akteure müssen auf die verschiedenen Logiken der Medien reagieren, wenn sie auf deren Vermittlungsleistung angewiesen sind. Dadurch dringen die Medienlogiken zugleich in die Sphäre des Politischen ein, geraten mit den dort geltenden Regelsystemen in Konflikt und verändern diese.

Durch die Digitalisierung etabliert sich mit Plattformen ein neuer Typ Infrastruktur neben traditionellen Massenmedien. Plattformen sind nach Dolata (2018, S. 6) „digitale, datenbasierte und algorithmisch strukturierende soziotechnische Infrastrukturen, über die Informationen ausgetauscht, Kommunikation strukturiert oder Arbeit organisiert, ein breites Spektrum an Dienstleistungen angeboten oder digitale wie nichtdigitale Produkte vertrieben werden“. Vereinfacht ausgedrückt, ermöglichen Plattformen die Interaktion von zwei oder mehr Gruppen miteinander (Srnicek 2017, S. 33). Seemann (2021, S. 31) definiert Plattformen abstrakter als „erwartete Vorselektionen potenzieller Verbindungen, die unerwartete Anschlussselektionen konkreter Verbindungen wahrscheinlicher machen“. Die eigentliche Leistung von Plattformen besteht für Seemann (2021, S. 28–29) darin, „eine Infrastruktur bereitzustellen, die vorstrukturiert, wer mit wem interagiert“. Plattformen vereinfachen Interaktionsselektionen, so durch Standardisierungen und eine automatisierte Vorauswahl, die das Gelingen von Kommunikation (im Sinne einer Ermöglichung von Anschlusskommunikation) wahrscheinlicher macht.

Plattformen etablieren damit einen neuen Typ von Vermittlung, der hier mit Beck und Donges (2020, S. 39) als automatisiert algorithmisch bezeichnet werden soll. Seine Grundlage ist die algorithmische Selektion als ein „Prozess, der Elementen mittels automationsgestützter, statistischer Bewertung extern generierter Datensignale Relevanz zuweist“ (Saurwein et al. 2017, S. 1). Der Prozess kann als Input-Throughput-Output-Outcome-Modell abgebildet werden: Eingehende Inputdaten werden anhand bestimmter Regeln, dem Algorithmus, automatisch gewichtet, in Beziehung gesetzt oder ausgewählt und dann in unterschiedlichen Formen eines Outputs wiedergegeben, z. B. als Rangliste, Empfehlung, Angebot, Text oder Musik (Saurwein et al. 2017, S. 1). Sozial wird dieser technische Selektionsprozess durch die Relevanzzuschreibung eines Akteurs, der beispielsweise einer Empfehlung folgt und eine entsprechende Entscheidung trifft. Aber auch zuvor ist der Algorithmus nicht neutral: Maschinen lernen unter Anleitung. Die Regeln, anhand derer Daten gewichtet, in Beziehung gesetzt oder ausgewählt werden, müssen programmiert und anhand von Trainingsdaten „geübt“ werden. Damit ist die soziale Relevanzzuweisung nicht erst das Ergebnis algorithmischer Selektion, sondern bereits ihr Ausgangspunkt (Martin 2019, S. 837).

Eine automatisiert algorithmische Vermittlung ist folglich nicht gleichzusetzen mit einer ausschließlich technischen Übermittlung. Auch Plattformen und Algorithmen sind sozial konstruiert und können nur mit Blick auf die Menschen und Organisationen (vor allem profitorientierte Unternehmen) verstanden werden, die sie geschaffen haben (vgl. Klinger und Svensson 2018; Napoli 2014). Ananny (2016, S. 99) bezeichnet Plattformen als „an assemblage … of institutionally situated computational code, human practices, and normative logics that creates, sustains, and signifies relationships among people and data through minimally observable, semiautonomous action“. Im Unterschied zur journalistisch-redaktionellen Vermittlung, deren Regeln (wie etwa die Nachrichtenwerte) nicht zuletzt durch die kommunikationswissenschaftliche Forschung seit Jahrzehnten bekannt sind, sind die Funktionsweisen der automatisiert algorithmischen Vermittlung Geschäftsgeheimnisse einflussreicher Unternehmen und werden von diesen ständig geändert. Algorithmen entziehen sich damit einer „Thematisierung als strittige Institutionen“ (Katzenbach 2018, S. 248), denen die journalistisch-redaktionelle Vermittlung und die an ihr beteiligten Organisationen permanent ausgesetzt sind. Der Aspekt der geringen Beobachtbarkeit wird in Abschn. 5 nochmals aufgegriffen.

Wichtig für die hier eingenommene institutionalistische Perspektive auf die strukturellen Folgen der Digitalisierung politischer Kommunikation ist, dass die automatisiert algorithmische Vermittlung, etwa durch Social-Media-Plattformen, grundlegend anderen Logiken folgt als die journalistisch-redaktionelle. Dies liegt bereits darin begründet, dass Plattformen ein anderes Geschäftsmodell verfolgen. Sie erheben im Kern mehr Daten über das Verhalten ihrer Nutzer, als sie für die Bereitstellung ihres Angebotes benötigen und verkaufen diesen Überschuss an Dritte, die damit zukünftiges Verhalten prognostizieren (Lobigs 2020, S. 164–166; Zuboff 2018, S. 121). Den vermittelten Mitteilungen selbst gegenüber sind Plattformen zunächst indifferent. „Sie vermitteln die Mitteilungen von Laien und von professionellen Ausgangspartnern aus Journalismus, Propaganda, Werbung und PR gleichermaßen“ (Beck und Donges 2020, S. 39), solange daraus Vorhersagen über zukünftiges Nutzerverhalten generiert und verkauft werden können. Kümpel (2021, S. 6) bezeichnet dies als Non-Exklusivität: Während in traditionellen journalistischen Medien politische Informationen abgrenzbar und entsprechend nutzbar sind (der Politikteil einer Zeitung, die Fernsehnachrichten etc.), findet politische Kommunikation auf Social-Media-Plattformen oft in einem Strom aus Mitteilungen statt, in dem sich Nachrichten, Kommentierungen, ironisierende Memes etc. mit den sprichwörtlichen „updates about pets and babies“ (Bode 2016, S. 29) vermischen. Auf diese Non-Exklusivität von Politik müssen sich sowohl politische Akteure wie auch die Medienorganisationen einstellen, etwa indem sie einer „Catch-All-Attract-All-Maxime folgen“ (Nitschke 2019, S. 152). Dabei geht es nicht länger nur um die Gewinnung von Aufmerksamkeit, wie im Fall der journalistisch-redaktionellen Fremdvermittlung. Bei der automatisiert algorithmischen Vermittlung steht zunächst die Auffindbarkeit im Zentrum, die politische Akteure beispielsweise durch Suchmaschinenoptimierung zu erreichen versuchen.

Die hier erfolgte Unterscheidung von Mitteilung, Übermittlung und den verschiedenen Typen von Vermittlung macht deutlich: Mit der Digitalisierung veränderten sich zunächst nur die Strukturen der Übermittlung. Oft wurden die Folgen der Digitalisierung auch mit dieser Veränderung gleichgesetzt, etwa dass politische Mitteilungen nun schneller, billiger und an einen breiteren Kreis von Adressaten etc. übermittelt werden können. Der online übermittelte Bericht über ein politisches Ereignis bleibt jedoch der journalistisch-redaktionellen Vermittlung und ihrer Logiken verhaftet. Erst mit der Unterscheidung von Übermittlung und Vermittlung werden die strukturellen Folgen sichtbar: Die für die politische Kommunikation bislang dominante Form der (partnerunabhängigen) journalistisch-redaktionellen Vermittlung verliert ihre Schlüsselstellung. Dies kann normativ unterschiedlich gedeutet werden: einerseits als emanzipativer Akt, der politische Partizipation jenseits des vormals starken Gatekeepers ermöglicht, der jedoch andererseits mit einem Verlust an professionellen journalistischen Normen und der Bezugnahme auf die Gesellschaft als Adressat einhergeht. Die partnerabhängige Vermittlung löst sich durch die Digitalisierung von ihrem vormals starken Bezug auf Organisationen. Digitalisierung vereinfacht es Individuen innerhalb politischer und staatlicher Organisationen, Vermittlungsprozesse anzustoßen und fördert damit Prozesse der Individualisierung und Personalisierung der Politik. Mit der automatisiert algorithmischen Vermittlung durch Plattformen gewinnt schließlich ein neuer Typ an Bedeutung. Dieser Typ bringt auch eine (kleine) Gruppe neuer relevanter Akteure ins Spiel: die Plattformbetreiber, die den Algorithmus entsprechend ihres Geschäftsmodells und den eigenen Organisationslogiken jederzeit verändern können. Empirische Studien zeigen, wie sich das Design von Plattformen als Reaktion auf politische Skandale verändert (vgl. Bossetta 2020). Zugleich bieten Plattformbetreiber wie Facebook, Twitter und Google ihre Dienste nicht einfach wie andere Akteure der Werbung an, sondern ihre Repräsentanten „serve as quasi-digital consultants to campaigns, shaping digital strategy, content, and execution“ (Kreiss und McGregor 2018, S. 155). Ähnlich wie die Logiken der traditionellen journalistischen Medien dringen damit die Logiken der Plattformen auch in die Sphäre der Politik ein.

4 Folgen der Digitalisierung auf die Konnektivität

Zum Verständnis politischer Kommunikation als Vermittlung gehört, dass diese nicht nur in der Übermittlung einer Information besteht, sondern dass zwischen Vermittlungspartnern eine soziale Verbindung oder Beziehung etabliert wird. Neue Formen der Konnektivität, d. h. der Herstellung und Festigung von Verbindungen, gehören neben den gesunkenen Kommunikationskosten zu den wesentlichen Merkmalen, die der Digitalisierung zugeschrieben werden (Jungherr et al. 2020, S. 22). Van Dijck und Poell (2013, S. 8) zählen Konnektivität neben Programmierbarkeit, Popularitätshinweisen und Datafizierung zu den vier Merkmalen einer Social Media Logic. Das Besondere an der Konnektivität durch Social-Media-Plattformen besteht für sie darin, dass Verbindungen zwischen Menschen durch automatisierte Algorithmen hergestellt werden. Im Unterschied zur persönlichen oder der von Organisationen ausgehenden Ansprache und Vermittlung kommt es durch die Digitalisierung zu drei grundlegenden Änderungen: Zum Ersten ist häufig nicht erkennbar, ob die Urheber von Mitteilungen individuelle Personen, Organisationen oder Maschinen sind. Zum Zweiten wissen die Adressaten einer Mitteilung häufig nicht, aufgrund welcher ihrer Merkmale und Daten sie angesprochen werden. Während sich die politische Ansprache von Individuen früher an Merkmalen wie Alter, Geschlecht, Wohnort, Ethnie etc. orientierte, stehen durch die Digitalisierung hoch aufgelöste Mikrodaten zur Verfügung, mit deren Hilfe die politische Orientierung von Menschen vorhergesagt werden kann. „Je höher die Auflösung ist, desto präziser können die Daten über Ereignisse und Beziehungen ausgewertet werden“ (Van Dijck und Poell 2013, S. 8). Eine Paradoxie besteht für Passoth und Rammert (2019, S. 154) darin, dass die höhere Auflösung zu einer neuen Unübersichtlichkeit führt. Welche Gruppen, warum, durch wen, mit welchen Argumenten angesprochen werden, ist von außen nicht mehr einsehbar. Zum Dritten erfolgt die Adressierung, und damit auch die Herstellung von Verbindungen, nach Passoth und Rammert (2019) in einer höheren Granularität. Der in der Informatik gebräuchliche Begriff bezeichnet „das Maß der Auflösung größerer Einheiten in unterscheidbare kleinere Einheiten oder auch der Verbindung kleinerer ununterscheidbarer Einheiten zu größeren unterscheidbaren Einheiten“ (Passoth und Rammert 2019, S. 153). In der politischen Kommunikation wären solche Einheiten beispielsweise Zielgruppen im Wahlkampf (Roemmele und Gibson 2020, S. 597).

Die Veränderungen der Konnektivität und ihre Folgen sind im Forschungsfeld Politische Kommunikation vor allem durch das Konzept des konnektiven Handelns von Bennett und Segerberg (2012) bekannt geworden (vgl. auch Bennett et al. 2014, 2018). Das Konzept nimmt Bezug auf die Frage, wie aus individuellen Interessen ein gemeinsames Handeln entstehen kann. Olson (1965, S. 5–6) hatte sie in seiner klassischen Studie zur Logik des kollektiven Handelns damit beantwortet, dass dies nur durch die Bildung von Organisationen möglich sei: „[M]ost (though by no means all) of the action taken by or on behalf of groups of individuals is taken through organization“. Das Konzept des konnektiven Handelns geht hingegen davon aus, dass eine politische Handlungskoordination auch durch personalisierte Mitteilungen in Kommunikationsnetzwerken wie Social-Media-Plattformen und losgelöst von bisherigen Organisationen möglich sei. Auch „digital media“ seien als „organizing agents“ (Bennett und Segerberg 2012, S. 752) in der Lage, das Problem der Interessenvermittlung zu lösen. Das Konzept des konnektiven Handelns ist in der Literatur jedoch umstritten. So argumentiert Gerbaudo (2014, S. 265–266), dass es zu sehr auf die kleinteiligen oder molekularen Transaktionen abstelle, durch die Netzwerke gebildet oder verändert werden. Für soziale Bewegungen wichtiger seien aber molare Prozesse der Identitätsbildung und Führung des Kollektivs. Dies setze weiterhin eine Form der Organisiertheit voraus, die nicht durch digitale Kommunikationsmedien geleistet werden könne. Auch Dolata und Schrape (2014, S. 25–26) warnen davor, „die Technik bzw. die technologischen Infrastrukturen als determinierende und als alles Soziale aus dem Feld schlagende Einflussgröße kollektiven Verhaltens und Handelns zu überhöhen“. Die „Prozesse der Formierung und Institutionalisierung kollektiver Akteure“ wird durch die digitale Technik zwar „nachhaltig unterstützt und mitstrukturiert, aber nicht an die koordinations- und kommunikationsfördernden Eigenheiten der Technik selbst übergeben“ (Dolata und Schrape 2014, S. 26). Somit ist noch nicht absehbar, inwieweit konnektives Handeln einen wirklich strukturbildenden Einfluss auf die politische Kommunikation hat und in der Lage ist, Organisationen und Bewegungen als Formen kollektiven Handelns zu ersetzen.

5 Folgen der Digitalisierung auf die Sichtbarkeit und Zurechenbarkeit

Eine weitere Folge der Digitalisierung betrifft die Sichtbarkeit und Zurechenbarkeit des Politischen. Beides sind wichtige Leistungen politischer Kommunikation. Nassehi (2002, S. 45) hat den Vorschlag gemacht, „die Funktion des Politischen nicht nur in der Herstellung von kollektiv bindenden Entscheidungen zu sehen, sondern auch in der Herstellung und Bereitstellung von gesellschaftlicher Sichtbarkeit und Zurechenbarkeit“. Erst dadurch entstehe „jene adressierbare Kollektivität, die ihrer selbst ja ansichtig werden muss, um sich im Konfliktfall an die Entscheidung zu binden beziehungsweise zwangsweise an sie gebunden zu werden“. Somit sei die Kollektivität von bindenden Entscheidungen die eigentliche politische Problemformel (Nassehi 2002, S. 56).

Zurechenbarkeit ist für den demokratischen Prozess und die politische Öffentlichkeit wichtig. Zum Verstehen einer Mitteilung ist relevant, von wem sie kommt. Zum einen erleichtert die Zuordnung von Mitteilungen zu Akteuren die Verarbeitung von Informationen, zum anderen müssen in repräsentativen Demokratien politische Positionen Akteuren zugerechnet werden können, um so entsprechende (Wahl‑)Entscheidungen treffen zu können. Politische Kommunikation stellt damit etwas her, was Wagner (1995, S. 246) als Kommunikationsrepräsentanz bezeichnet, nämlich „die Tatsache …, dass die Mitteilungen bestimmter Zugehöriger von Wissens- und/oder Meinungspositionen (Repräsentanten) den übrigen (Repräsentierten) zugerechnet werden und von diesen als für sie verbindlich ausgesprochen erkannt und anerkannt werden“ (vgl. auch Schönhagen 2004, S. 180).

Mit der Durchsetzung des Internets war die Diagnose einer erhöhten Sichtbarkeit verbunden, die Folgen für Politik habe: „The rise of the Internet and other digital technologies has amplified the significance of the new forms of visibility created by the media and at the same time rendered them more complex“ (Thompson 2005, S. 37). Dies gilt auch für die im vorangegangenen Abschnitt angesprochene Konnektivität: Es ist sichtbar, wer auf Social-Media-Plattformen mit wem verbunden ist und wie viele Verbindungen Akteure auf sich vereinen. Fu und Shumate (2016, S. 307) bezeichnen Hyperlinks daher als „institutionalized connective public goods“, die eine „collective visibility“ ermöglichen.

Für die Kommunikationswissenschaft ist Sichtbarkeit ein zentraler Begriff, der theoretisch oft unterkomplex bleibt – ebenso wie sein öffentlichkeitstheoretisches Pendant, die Transparenz (vgl. Wendelin 2020). Stohl et al. (2016, S. 124) konzeptualisieren Sichtbarkeit als Kombination aus drei Eigenschaften: der Verfügbarkeit von Informationen, der Genehmigung zur Verbreitung von Informationen und der Zugänglichkeit von Informationen für Dritte. Damit wird Sichtbarkeit als ein mehrdimensionales Konstrukt angelegt, das die Übertragung, Vermittlung und Rezeption von Informationen umfasst. Treem et al. (2020, S. 46) bauen auf diesem mehrdimensionalen Verständnis auf und definieren: „Communication visibility refers to the outcomes of activities through which actors strategically or inadvertently: (a) make their communication more or less available, salient, or noticeable to others, and (b) view, access, or become exposed to the communication of others, as they (c) interact with a particular sociomaterial context“. Eine weitere Begriffsbestimmung, die stärker auf Aspekte der Digitalisierung und Datafizierung abhebt, stammt von Leonardi und Treem (2020, S. 1605). Sie beziehen sich nicht auf Sichtbarkeit im Allgemeinen, sondern auf Verhaltenssichtbarkeit („behavioral visibility“) und definieren diese als „the sociomaterial performance of the behavior of people, collectives, technological devices, or nature in a format that can be observed by third parties through minimal effort such that patterns, causes, or motives can be inferred (regardless of the veracity of those inferences)“. Der Ansatz stammt aus der Organisationskommunikation, kann aber auf die politische Kommunikation übertragen werden, die im Wesentlichen eine organisierte Kommunikation ist. Die erhöhte Sichtbarkeit der Politik in digitalen Medien ist nach Leonardi und Treem (2020, S. 1608) drei Mechanismen geschuldet: a) der Selbstrepräsentation einzelner Politiker oder politischen Organisationen, b) der aggregierten Quantifizierung und c) der algorithmischen Sortierung als Mechanismen der Vermittlung.

5.1 Sichtbarkeit und Selbstrepräsentation

Wie bereits angesprochen, erleichtern digitale Medien die Selbstrepräsentation einzelner Politiker durch gesunkene Mitteilungskosten und der Ermöglichung von Konnektivität unter Umgehung traditioneller Vermittler wie politischen Organisationen und der journalistischen Fremdbeobachtung. Damit einher geht ein Personalisierungsschub in der politischen Kommunikation.

Das Phänomen der Personalisierung ist vielschichtig und begleitet die Kommunikationsforschung bereits eine Weile (vgl. Raupp 2020). Traditionell bezieht sich der Begriff auf die Darstellung von Politik in der Selbst- und Fremdvermittlung, so in der Berichterstattung journalistischer Medien (vgl. Metz et al. 2020; Van Aelst et al. 2012). Dort hat sich die Unterscheidung von Personalisierung in Individualisierung und Privatisierung durchgesetzt (Van Aelst et al. 2012, S. 207). Individualisierung meint die erhöhte Sichtbarmachung von einzelnen Personen gegenüber Organisationen wie Parteien und Regierungen. Diese Sichtbarmachung kann nach Van Aelst et al. (2012) als ein allgemeiner Trend beschrieben werden („general visibility“, „shifts to individual politicians“), aber auch in konzentrierter Form vorliegen, wenn sich die Darstellung der Politik auf wenige Führungspersönlichkeiten fokussiert. Diese Form der Individualisierung wird auch als Präsidentialisierung bezeichnet, etwa bei der Fokussierung der Medienberichterstattung im Wahlkampf auf die Spitzenkandidaten (Haßler et al. 2021, S. 5). Als Privatisierung bezeichnen Van Aelst et al. (2012), wenn persönliche Merkmale von Politikern gegenüber ihren stärker öffentlichen Rollenanforderungen hervorgehoben werden. Das können einerseits persönliche Merkmale sein, die auch für die Rolle relevant sind („personal characteristics“), aber auch Aspekte des privaten Lebens („personal life“).

Personalisierung im Sinne einer Individualisierung und Privatisierung hat verschiedene Ursachen: zum Ersten die Selektions- und Darstellungsregeln der journalistischen Vermittlung, die sich an (prominenten und statushohen) Personen orientiert, zum Zweiten die sich daran anpassende Vermittlungslogik politischer wie staatlicher Organisationen, die ihre individuellen Repräsentanten ins rechte Licht rücken möchten. Es ist daher zu unterscheiden, ob Personalisierung a) von den einzelnen Personen selbst vorangetrieben wird (Selbstpersonalisierung, vgl. Metz et al. 2020), b) von den Organisationen, die von ihnen repräsentiert werden, oder c) im Rahmen der journalistischen Fremdvermittlung. Die Personalisierung in der journalistischen Fremdvermittlung wird oft negativ beurteilt, so als Ablenkung von den eigentlich relevanten politischen Themen und Inhalten. Nach Eisenegger (2010, S. 23) erfüllt Personalisierung jedoch wichtige Funktionen: Sie ist erstens ein wirksamer Mechanismus der Komplexitätsreduktion, was Politik für ein breiteres Publikum verarbeitbarer macht. Sie fördert zweitens die für eine Demokratie relevante Adressierung von Verantwortung und kann drittens auch ein Faktor der Vertrauens- und Reputationsbildung sein, die eher an konkrete Personen als an anonyme Organisationen und Verfahren geknüpft wird.

Zu der durch die Digitalisierung veränderten Selbstrepräsentation einzelner Politiker, vor allem auf Social-Media-Plattformen, liegen eine Reihe empirischer Studien vor. Metz et al. (2020, S. 1491) kamen in ihrer Analyse der Selbstrepräsentation deutscher Spitzenpolitiker auf Facebook zu dem Ergebnis, dass die Plattform am häufigsten für die professionelle Selbstrepräsentation genutzt wird, obwohl vor allem emotionale und private Bilder und Videos mehr messbare Reaktionen bei den Nutzenden hervorriefen als politische (Text‑)Botschaften. Auch Haßler et al. (2021) zeigen für die Plattform Instagram, dass Einzelpersonen dort vor allem Bilder von sich veröffentlichen, während die Parteiorganisationen versuchen, Text- und Bildmitteilungen („Kacheln“) zu kombinieren. Die Kommunikationsstrategien sind somit komplementär: Politiker geben in ihren Accounts nicht einfach Mitteilungen der Parteiorganisation wieder, sondern produzieren eigene Botschaften und Mitteilungen. Somit könnten Social-Media-Plattformen nicht nur dazu genutzt werden, die journalistischen Medien als Fremdvermittler zu umgehen, sondern auch die Parteiorganisationen als Selbstvermittler. Haßler et al. (2021, S. 15) bezeichnen dies als „visual personalization with a tendency towards presidentialization“. Demgegenüber zeigen organisationsbezogene Studien, dass politische Organisationen auch die persönlichen Accounts ihrer Führungspersonen nutzen, um auf Social-Media-Plattformen präsent zu sein und Mitteilungen zu verbreiten (Nitschke 2019, S. 153). Die Mitteilungen wirken damit persönlicher und die Organisation kann sich im Konfliktfall davon distanzieren.

Beide Fälle der Selbstrepräsentation von Einzelpersonen, sowohl die Organisationen umgehende als auch die strategisch von den Organisationen selbst hergestellte, können als „Entgrenzung durch Personalisierung organisationaler Kommunikation“ (Nitschke 2019, S. 153) interpretiert werden. Damit ist eine Konvergenz aus persönlichen (und zum Teil intimen) Mitteilungen von Organisationsmitgliedern und den „offiziellen“ Verlautbarungen der Organisation gemeint, die eine Zurechenbarkeit von Mitteilungen erschwert. Bereits früh hat Schmidt (2011, S. 136) die politische Kommunikation auf Social-Media-Plattformen treffend als eine „Konvergenz aus Publikation und Konversation“ beschrieben, da sich hier die Eigenschaften der bewussten und abgewogenen Veröffentlichung wie auch des abgeschirmten und geschützten privaten Gesprächs vereinen.

5.2 Sichtbarkeit und Quantifizierung

Der zweite Mechanismus, der eine erhöhte Sichtbarkeit der Politik schafft, ist die bereits in Abschn. 2 angesprochene Quantifizierung. Leonardi und Treem (2020, S. 1610) beschreiben diese als Praktik, durch die unterschiedliche Daten so miteinander verknüpft werden, dass Akteure in die Lage versetzt werden, ein einheitliches Bild des Verhaltens anderer zu erhalten. Social-Media-Plattformen sind für Mau (2017, S. 160) „ohne Zweifel Pionierorte der Durchsetzung und Verbreitung quantifizierender Bewertungsformen. Durch einfach zugängliche Reputations- und Feedbackmetriken sind ihnen soziale Vergleiche und das Dispositiv des Mehr immanent“. Es gelte eben nicht nur, so das Beispiel von Mau (2017), mehr „Follower“ als andere zu haben. Die Anzahl müsse auch für andere sichtbar sein.

Aggregierte Quantifizierung ist vor allem für politische Organisationen wie Parteien ein wichtiges Instrument zur Bestimmung von Personen, die als mögliche Wähler ansprechbar sind. Auch für Bürger ergeben sich durch die aggregierte Quantifizierung neue Möglichkeiten der Beobachtung von Politik. Ein Beispiel sind die Daten zum Abstimmungsverhalten, die „Watchdog-Organisationen“ (vgl. Mause 2020) wie abgeordnetenwatch.de erheben und zugänglich machen. Solche Organisationen zeigen die Möglichkeit, Mitteilungen und Vernetzungsverhalten von politischen Akteuren auf Social-Media-Plattformen im Zeitablauf beobachten und analysieren zu können.

Die Quantifizierung und ihre Folgen sind in der politischen Kommunikation nicht neu und auch der journalistischen Vermittlungslogik eigen. Ebenso bekannt und oft kritisiert wird die Orientierung politischer Akteure an den Zahlen, die durch Umfragen ermittelt werden (vgl. Holtz-Bacha 2019; Raupp 2007). Durch die Digitalisierung sind aus solchen Daten jedoch Popularitätshinweise entstanden, die eine besondere Qualität aufweisen: „What makes this element of social media logic different from mass media logic, though, is its ability to measure popularity at the same time and by the same means as it tries to influence or manipulate these rankings“ (van Dijck und Poell 2013, S. 7). Empirische Studien zeigen, dass sich die Nutzer von Online-Medien und Social-Media-Plattformen an Popularitätshinweisen orientieren, wobei das Ausmaß an Orientierung mit ihrem Vorwissen über solche Hinweise und weiteren Kontextfaktoren zusammenhängt (Haim et al. 2018, S. 203–204). Die Relevanz von Popularitätshinweisen ist abhängig von der Art der Informationsverarbeitung (Porten-Cheé et al. 2018, S. 224).

Am Mechanismus der aggregierten Quantifizierung lässt sich ein Transparenzparadoxon verdeutlichen, das Leonardi und Treem (2020, S. 1613) formulieren: „Efforts by organizations to provide greater transparency into communication, information, and operations can actually obscure and obfuscate organizational activities, rendering them functionally invisible“. Eine technisch mögliche Transparenz muss nicht zwingend sozial umgesetzt werden, wenn sie anderen institutionalisierten Regeln oder den Interessen der Organisationen zuwiderläuft. Auch Stohl et al. (2016, S. 132) gehen davon aus, dass es zwei mögliche Pfade gebe „by which greater levels of availability, approval, and accessibility of information may lead to less rather than more transparency: inadvertent and strategic opacity.“ Im ersten Fall, der unbeabsichtigten Undurchsichtigkeit, wären derart viele Informationen zugänglich, dass sie von den Akteuren nicht mehr sinnvoll bearbeitet werden können. Sie verstecken sich nach Stohl et al. (2016) in Sichtweite der Rezipienten. Im zweiten Fall, der strategischen Undurchsichtigkeit, werden Informationen durch strategisch handelnde Akteure versteckt, die beispielsweise derart viele Mitteilungen produzieren, dass die relevanten Informationen dabei unsichtbar werden. Beide Strategien sind nicht erst durch die Digitalisierung entstanden, werden durch sie aber relevanter.

5.3 Sichtbarkeit und algorithmische Sortierung

Der dritte Mechanismus, der die Sichtbarkeit in der politischen Kommunikation erhöht, ist die algorithmische Sortierung: „Though a plethora of data and information is accessible to actors, algorithms serve to make content functionally visible by sorting, ranking, recommending, and categorizing information so that it is presumably more easily understood and useful“ (Leonardi und Treem 2020, S. 1611). Mit dieser Umschreibung wird der hohe Nutzen dargestellt, den algorithmische Sortierung für die Sichtbarkeit der Politik hat: Sie erleichtert den Zugang zu Informationen, entlastet Selektionsentscheidungen und macht das Verstehen damit wahrscheinlicher. Allerdings ist algorithmische Sortierung auch mit Unsichtbarkeiten verbunden. Die Regeln, nach denen Algorithmen Informationen selektieren oder hervorheben, sind für Nutzer oft nicht einsehbar oder verstehbar. Oft ist für sie auch nicht erkennbar, ob Mitteilungen von Menschen oder Maschinen ausgehen.

Diese Unsicherheit über die Urheberschaft von Mitteilungen lässt sich an der starken Aufmerksamkeit ablesen, die dem Thema Social Bots sowohl in der Wissenschaft als auch in der Kommunikationspraxis entgegengebracht wird. In der Kommunikationswissenschaft ist das Problem, wie Social Bots überhaupt identifiziert und von Menschen unterschieden werden können, weiterhin nicht gelöst. Bislang erfolgt diese Unterscheidung überwiegend binär (Mensch oder Maschine), während aufwendigere Inhaltsanalysen darauf hindeuten, dass „selbst hochgradig automatisierte Accounts bei näherer Betrachtung Momente manueller Kuratierung aufweisen können“ (Muhle 2020, S. 67). Muhle schlägt daher vor, statt von Social Bots von „(teil‑)automatisierten Accounts“ zu sprechen, deren Relevanz für die politische Kommunikation vor allem darin bestehe, dass sie schwieriger zu erkennen seien als die vollständig automatisierten (Muhle 2020, S. 67). Auch Assenmacher et al. (2020, S. 11) diagnostizieren eine „clear discrepancy between the theoretical, literature-based, and the practically achieved degree of intelligence“, über deren Ursachen sie jedoch nur spekulieren können. Mittlerweile mehren sich Stimmen, die bestreiten, dass es Social Bots überhaupt gibt (so etwa Gallwitz und Kreil 2021).

Wie Studien zeigen, sind den Nutzern von Suchmaschinen und Social-Media-Plattformen die Probleme der algorithmischen Ordnung durchaus bewusst und sie begegnen diesen mit einem geringeren Vertrauen. Gemäß dem jährlich durchgeführten Digital News Report des Reuters Institute for the Study of Journalism (2021) vertrauen 53 % der Befragten im Jahr 2021 den Nachrichten in Deutschland (alle Daten siehe Hölig et al. 2021, S. 23–27). Fragt man nach den Nachrichten, die die Befragten tatsächlich nutzen, beträgt der Wert sogar 62 %. Nachrichten aus Suchmaschinen werden deutlich skeptischer aufgenommen: Nur 25 % vertrauen ihnen und 48 % sind sich unentschieden, ob sie den gefundenen Ergebnissen vertrauen können. Bei Nachrichten in sozialen Medien ist das Vertrauen am geringsten: Nur 14 % der erwachsenen Nutzer des Internets sind der Ansicht, ihnen vertrauen zu können, während jeder Zweite (49 %) explizit äußert, ihnen nicht zu vertrauen. Das geringe Vertrauen in Nachrichten aus Social-Media-Plattformen zeigt sich über alle Altersgruppen hinweg, obwohl sich diese in ihrem Nutzungsverhalten erheblich unterscheiden. Auch von den 18- bis 24-Jährigen, von denen 52 % soziale Medien regelmäßig und 25 % sogar als Hautquelle zur Information nutzen, vertrauen ihnen nur 15 % und damit genauso viele, wie in der Altersgruppe 55+.

Mit der algorithmischen Sortierung wird die Befürchtung verbunden, dass sie zur Entstehung von Filterblasen und Echokammern führe, in denen sich nur noch Menschen mit ähnlichen politischen Einstellungen wechselseitig wahrnehmen. Für Deutschland haben sich solche Befürchtungen bislang nicht bestätigt (vgl. zusammenfassend Stark et al. 2021). Stark et al. (2021, S. 314) fassen zusammen, dass „soziale Netzwerkplattformen zwar extreme Positionen sichtbar machen, aber nicht unbedingt erzeugen oder verstärken“. So nehme die Wahrnehmung einer allgemeinen Polarisierung durch Plattformen zu, die sich empirisch aber nur an wenigen und intensiven Nutzern zeige. Für Yarchi et al. (2021) zeigt sich darin ein methodologisches Problem, das ebenfalls mit dem Aspekt der Sichtbarkeit zu tun hat. Empirische Studien über die Kommunikation auf Social Media verwenden oft Daten der Plattform Twitter, die im Unterschied zu Plattformen von Facebook einfacher zugänglich sind und auch mithilfe von Programmen gesammelt werden können. Twitter sei jedoch die Social-Media-Plattform, auf der politische Debatten besonders polarisiert geführt werden. Die politische Kommunikation unterscheidet sich auf den einzelnen Plattformen (Johansson 2019, S. 169) und ist auch sehr stark von den Strategien politischer Akteure abhängig. Wie erfolgreich politische Akteure auf Social-Media-Plattformen sind, hängt auch vom Grad ihrer Aktivitäten ab (so für Facebook Bene 2021, S. 17; für populistische Akteure Ernst et al. 2019, S. 11; für Twitter Rauchfleisch und Metag 2020, S. 183).

6 Fazit: Folgen der Digitalisierung politischer Kommunikation aus institutionalistischer Perspektive

In diesem Beitrag wurde eine institutionalistische Perspektive auf politische Kommunikation eingenommen und nach den Veränderungen ihrer Regeln oder Logiken gefragt, die sich durch die Digitalisierung ergeben. Der Begriff der Digitalisierung wurde zunächst in technische Möglichkeit und soziale Realisierung unterschieden und es wurde die automatisiert algorithmische Vermittlung als neuer Typ neben Selbst- und journalistisch-redaktioneller Fremdvermittlung skizziert. Aus dieser Unterscheidung ergeben sich mehrere Paradoxien, die für eine Betrachtung der institutionellen Folgen relevant sind: Digitalisierung senkt die Kosten der Kommunikation und ermöglicht ein Mehr an publizierten Mitteilungen, erschwert damit jedoch zugleich die Chance gesellschaftlicher Wahrnehmung und gelingender Kommunikation. Durch die automatisiert algorithmische Vermittlung können Akteure ihre Botschaften in höherer Auflösung an spezifische Zielgruppen richten und sich mit ihnen verbinden. Die digitalen Formen der Konnektivität erschweren jedoch die für demokratische Prozesse notwendige Repräsentanz und Zurechenbarkeit von Mitteilungen an politische Akteure. Technisch ermöglichte und sozial eingeforderte Transparenz geht mit der Bemühung von Organisationen einher, das eigene Handeln zu verdecken oder zu verschleiern. Digitalisierung und die automatisiert algorithmische Vermittlung führen damit sowohl zu neuen Sichtbarkeiten als auch zu neuen Unsichtbarkeiten des Politischen.

Digitale Vermittler wie Suchmaschinen oder Social-Media-Plattformen bilden damit neue und eigenständige Institutionen für die politische Kommunikation. Die automatisiert algorithmische Vermittlung unterscheidet sich fundamental von deren journalistisch-redaktioneller Medien. Sie weist eigene Regeln, normative Ansprüche wie auch kulturell-kognitive Leitideen auf. So schreibt auch Jarren (2019, S. 174) von einer „fundamentalen Institutionalisierung“, „weil Social Media Individuen, Gruppen, Netzwerken und Organisationen kommunikative Macht verleihen: Sie können sich, ohne Einschaltung Dritter und ohne einen besonderen Aufwand an Ressourcen, direkt an eine (globale) Öffentlichkeit wenden“. Dies führt zum einen zu einer Schwächung des bisher für die politische Kommunikation wichtigen Typs der journalistisch-redaktionellen Fremdvermittlung, der über eine „Medienkrise“ im Sinne des Verlustes von Auflagen, Marktanteilen oder Werbeeinnahmen hinausgeht. Journalistisch-redaktionelle Fremdvermittlung meint die Auswahl, Bearbeitung und Mitteilung von politisch für relevant erachteten Mitteilungen, die jedoch zugleich mit einer normativen Bindung der Vermittler an politische Gemeinwesen einhergeht. So formulierte jüngst Jürgen Habermas (2021, S. 489), dass das „erodierende Gatekeeper-Modell der Massenmedien“ keineswegs eine „Entmündigung der Mediennutzer“ bedeute: Das Modell „beschreibt nur eine Gestalt der Kommunikation, die die Staatsbürger instand setzen kann, die Kenntnisse und Informationen zu erwerben, die notwendig sind, damit sich jeder und jede über politisch regelungsbedürftige Probleme ein eigenes Urteil bilden kann“. Bei digitalen Plattformen und der automatisiert algorithmischen Vermittlung stehen hingegen die Nutzer als Individuen im Zentrum. Diese sollen zu einer dauerhaften Bindung an die Plattform animiert werden, um möglichst viele Überschussdaten von ihnen abgreifen zu können (vgl. Zuboff 2018). Weitergehende „Bindung und Verpflichtungen, wie sie ansonsten fast alle Organisationen der modernen Gesellschaft erwarten, werden nicht abverlangt“ (Jarren 2019, S. 175). Im Geschäftsmodell der Plattformbetreiber bedeutet Konnektivität nicht die Herstellung und Aufrechterhaltung von Beziehungen zwischen sozialen Akteuren, sondern ihre Integration in ein System „that has little to do with human connectedness and is all about automated connectivity and data flows nudging them into commercial attention zones“ (van Dijck 2015, S. 1).

Gleichwohl findet in diesem institutionalisierten Rahmen politische Kommunikation im Sinne eines Austausches über kollektiv zu treffende Entscheidungen eines Gemeinwesens statt. Sie folgt aber anderen Regeln und entwickelt andere Dynamiken. So befürchtet Habermas die „Gefahr der Fragmentierung in Verbindung mit einer gleichzeitig entgrenzten Öffentlichkeit“: „Die grenzenlosen Kommunikationsnetze, die sich spontan um bestimmte Themen oder Personen bilden, können sich zentrifugal ausbreiten und gleichzeitig zu Kommunikationskreisläufen verdichten, die sich dogmatisch voneinander abschotten“ (Habermas 2021, S. 489). Dies muss jedoch nicht zwingend negativ gedeutet werden. Trotz der geografischen Grenzenlosigkeit digitaler Kommunikation spielen lokale Vernetzungen weiterhin eine wichtige Rolle, wie etwa Chen et al. (2021, S. 10) am Beispiel der Proteste in Hongkong zeigen. In ähnlicher Weise diagnostiziert Seemann (2021, S. 368): „Die sozialen Medien hingegen versuchen gar nicht erst zu repräsentieren, sondern stellen stattdessen die Verbindungen zu Verfügung, über die sich verschiedene Identitäten ausdrücken, gründen, finden und organisieren“. Für eine sich repräsentativ nennende Demokratie, die sowohl Sichtbarkeit als auch Zurechenbarkeit oder Repräsentanz voraussetzt, kann das zum Problem werden.