1 Einleitung

Neben neuen Formen der Technisierung und Rationalisierung traditioneller Wirtschaftssegmente besteht ein wesentliches Element der jüngeren digitalen Transformation im Entstehen einer sogenannten „Plattformökonomie“, die ganz unterschiedliche Geschäftsmodelle und Leistungsangebote umfasst (Dolata 2019; Srnicek 2017). In der Debatte um den digitalen Wandel von Arbeitsgesellschaften stehen Plattformen in ihrer Funktion als Online-Arbeitsmärkte und virtuelle Orte für digitale, plattformbasierte Arbeit (Schmidt 2017) im Fokus. Zentrales Merkmal dieser Plattformökonomie ist die Vermittlung von Arbeitsaufträgen, die von AuftraggebernFootnote 1 über Online-Plattformen an sogenannte Crowd‑, Click- oder Gigworker vergeben werden und die dann entweder „offline“ (beispielsweise als Kurierdienst oder Übernachtungsdienstleistung) oder „online“ (also auf den Plattformen selbst, beispielsweise als sogenanntes „Clickwork“) ausgeführt werden. Plattformbasierte Arbeit weist im Spannungsfeld der Strukturen von Plattformarbeitsmärkten, der spezifischen Organisation von Arbeit „im“ oder „mit dem Internet“ (Papsdorf 2019) und der Technikdurchdringung derartiger Tätigkeiten Merkmale auf, die sie in vielerlei Hinsicht grundlegend von Tätigkeiten und Arbeitsformen innerhalb der traditionellen Ökonomie unterscheiden.

Diese Besonderheiten der prosperierenden plattformbasierten Arbeit ziehen in den letzten Jahren ein hohes Maß wissenschaftlicher Aufmerksamkeit auf sich.Footnote 2 Die vorliegenden Studien unterscheiden sich dabei erheblich hinsichtlich ihrer Untersuchungsgegenstände, aber auch bezüglich der Reichweite und analytischen Tiefe ihrer Befunde. Weitgehende Übereinstimmung besteht darin, dass die Plattformökonomie vielfältige, durchaus ambivalente und widersprüchliche Veränderungen mit sich bringt (Staab 2019). Tenor vorliegender Studien ist ebenso, dass die beobachteten Phänomene auf die Besonderheiten der Plattformökonomie zurückzuführen sind. Der spezifisch „neue“ Einfluss auf Arbeit ist in den Dimensionen „Communitys“ und „Plattformen“, die bei traditioneller Erwerbsarbeit naturgemäß keine Rolle spielen (Voß 2018), zu vermuten. Als Communitys werden internetbasierte Gemeinschaften verstanden, die vor allem die Tätigen, zum Teil aber auch „Peers“, „User“ oder „Kunden“ umfassen. Plattformen als soziotechnische Systeme werden in ihren Funktionen als technische Strukturen und wirtschaftliche Akteure mit eigenen Profitinteressen untersucht. In der Forschungslandschaft lässt sich ein übergreifendes Narrativ ausmachen, das die Besonderheiten und (Fehl‑)Entwicklungen digitaler plattformbasierter Arbeit zu erklären vermag (vgl. etwa Nachtwey und Staab 2018; Schor und Fitzmaurice 2015). Im Rahmen dessen spannen die Strategien der Plattformunternehmen, die Macht- und Abhängigkeitsstrukturen digitaler Märkte, die spezifischen Orientierungen der Crowdworker sowie Diskurse und Kulturmuster der Internet-Communitys ein wirkungsvolles, gleichsam aber bislang noch diffuses Kräftefeld auf.

Vor diesem Hintergrund untersucht der vorliegende Beitrag die Merkmale und Prägekräfte von Arbeit, die durch digitale Plattformen vermittelt und teilweise auf diesen verrichtet wird. Ziel ist es, auf Basis eines Systematic Literature Reviews (Snyder 2019) die Besonderheiten digitaler Arbeit und die zugrundeliegenden ursächlichen Faktoren zu analysieren. Eine systematische Aufarbeitung vorhandener Befunde ist hier im Besonderen geeignet, da es eine Vielzahl an bislang unverbundenen Einzelbefunden zum Thema gibt. Zu plattformbasierter Arbeit im weiteren Sinne liegen bisher neun Literature Reviews vor. Nur wenige Studien (Ertz und Leblanc-Proulx 2018; Gol et al. 2019; Schlagwein et al. 2020) gehen dabei über die Analyse bibliometrischer und soziometrischer Daten hinaus (Kaine und Josserand 2019; Wazny 2018).

Der Beitrag verschreibt sich im Sinne einer umfassenden Aufarbeitung beiden Spielarten: Erstens wird auf Basis einer Analyse der Metadaten untersucht, welche Disziplinen mit welchen Methoden in welchen Kontexten plattformbasierte Arbeit erforschen. Der zweite Fragekomplex fokussiert Arbeit im engeren Sinne. Auf Basis der Inhalte der untersuchten Publikationen werden die vorhandenen Forschungsergebnisse zunächst abstrahiert und theoretisiert, indem über alle Studien hinweg analysiert wird, (a) welche Dimensionen plattformbasierter Arbeit im Rahmen der Publikationen beforscht werden, (b) welche Prägekräfte (im Sinne von Akteuren und Institutionen) auf Arbeit wirken und (c) über welche Einflussfaktoren dies geschieht. Grundlage der Analyse sind 235 thematisch einschlägige Artikel aus unterschiedlichen Fachdisziplinen, die zwischen 2010 und 2020 in englischsprachigen Fachzeitschriften erschienen sind.

Der spezifische Beitrag unserer Studie zum Forschungsfeld besteht darin, die Einzelbefunde zusammenzuführen und auf dieser Basis eine begrifflich-theoretische Systematisierung zu entwickeln, die sowohl für zukünftige Forschungsarbeiten als auch für Diagnosen gesellschaftlicher Dynamiken und sozialpolitischer Herausforderungen instruktiv sein kann.

Der nachfolgende Abschn. 2 umreißt den Gegenstand sowie die zugehörigen Begriffe. Abschnitt 3 stellt die Methodik und den Samplingprozess vor. Daraufhin werden die Ergebnisse für beide Fragekomplexe erarbeitet (Abschn. 4) und in Abschn. 5 reflektiert. Der Beitrag schließt mit einem Fazit und Ausblick (Abschn. 6).

2 Gegenstand: Prägekräfte plattformbasierter Arbeit

Digitale Arbeit unter Nutzung von Online-Plattformen wird klassischerweise als Crowdwork, Clickwork, Arbeit in der Gig Economy oder Arbeit in der Sharing Economy bezeichnet und separat beforscht. Arbeit wird hier in einem weiten Sinne (Voß 2018) verstanden und nicht auf Erwerbsarbeit im Rahmen eines Normalarbeitsverhältnisses reduziert, da beispielsweise Crowdwork und auch Arbeit in der Sharing Economy nicht zwangsläufig erwerbsorientiert sind (Hertwig und Papsdorf 2017). Die unter den genannten Begriffen subsumierten Arbeitskontexte weisen eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf, etwa die Notwendigkeit einer digitalen Infrastruktur, die Implementierung von Bewertungen oder die Integration atypischer Beschäftigungsverhältnisse jenseits von abhängiger und klassischer selbstständiger Tätigkeit, oder bezeichnen sogar identische Phänomene. Unsere Betrachtung bezieht sich ausschließlich auf solche Plattformen, die Arbeitsmärkte konstituieren oder Arbeitsleistungen einer Crowd organisieren. Unter plattformbasierter Arbeit (Maier et al. 2017; Greef et al. 2017) sind folglich arbeitsförmige Tätigkeiten zu verstehen, die ohne eine digitale Plattform im Sinne eines Arbeitsmarktes nicht realisierbar sind. Plattformbasierte Arbeit wird einerseits im Rahmen einer Online-Variante als „Arbeit im Internet“ (ortsungebunden) erbracht, andererseits wird „Offline-Arbeit“ lediglich durch die Plattformen vermittelt und organisiert, dann aber „analog“ (ortsgebunden) erbracht.

Die namensgebenden Plattformen haben im Sinne soziotechnischer Systeme zwei Funktionen: Erstens handelt es sich um technische Strukturen, in die handlungsrelevante Regeln und Ressourcen eingeschrieben sind (Gould et al. 2016). Plattformen verfügen „über regelsetzende und handlungsstrukturierende Macht und übernehmen quasi-hoheitliche Aufgaben der Marktstrukturierung und -regulierung“ (Dolata 2019, S. 194). Zweitens sind die Plattformen selbst wirtschaftliche Akteure, die eigene Profitinteressen verfolgen (Postigo 2016).

Eine zweite zu untersuchende Prägekraft auf plattformbasierte Arbeit stellen die erst in den letzten Jahren relevant gewordenen Communitys dar. Dies sind mehr oder minder strukturierte und abgrenzbare Gemeinschaften, die „im Laufe ihrer Entwicklung … regelmäßig institutionelle Elemente wie Konventionen, Werte, Normen oder Wissensstrukturen heraus[bilden], die das Verhalten ihrer Mitglieder prägen, in der Selbst- oder Fremdbeobachtung die Grenzen der Community markieren und identitätsstiftend wirken“ (Dolata und Schrape 2014, S. 18). Communitys konstituieren sich etwa in den Foren der Plattformen durch Kommunikation und Wissensaustausch und prägen Arbeit unter anderem durch Bewertungssysteme.

3 Methode und Sample

Ein Systematic Literature Review unterscheidet sich von einer „klassischen“ Aufarbeitung des Forschungsstandes durch Gründlichkeit, Stringenz, Struktur (Snyder 2019, S. 333) und die Tatsache, dass es sich um eine eigenständige Forschungsmethode (Okoli 2015, S. 879) handelt. Der instruktiven Dreiteilung von Snyder (2019, S. 335) in systematische, semisystematische und integrative Reviews folgend, wird sich der vorliegenden Fragestellung im Rahmen eines semisystematischen Literature Reviews angenommen. Dieses erlaubt es, Themen zu erforschen, die bisher nicht klar umrissen wurden. Angesichts der unterschiedlichen Terminologien und Verständnisse von plattformbasierter Arbeit ist dies ohne Frage gegeben. Der Textkorpus wird im Rahmen einer qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring 2008) ausgewertet.

Das Review basiert auf einer Recherche in der Publikationsdatenbank Web of Science, die die größte ihrer Art ist und mehr Treffer zu plattformbasierter Arbeit auswies als andere Datenbanken. Ende November 2020 fand die Literaturrecherche anhand des Begriffes „crowdwork“ und der Begriffspaare „gig work“, „work sharing economy“, „work crowdsourcing“ statt. Zusätzlich wurde „work“ jeweils durch „labour/labor“ ersetzt. Die Treffer wurden auf englischsprachige Paper aus Journals und Proceedings beschränkt, die zwischen 2010 und 2020 publiziert wurden. Die aus der Suche resultierenden 5373 Publikationen wurden nach „Relevance“ sortiert. Dabei handelt es sich um ein Rankingsystem, das das Vorkommen der Suchbegriffe im Titel, Abstract und den Schlagworten einbezieht. Die Publikationen wurden in dieser Reihenfolge mitsamt aller bibliometrischer Angaben und der Abstracts exportiert. Danach wurden in absteigender Reihenfolge Titel und Abstract jeder Publikation gelesen und diejenigen Publikationen aus dem Sample entfernt, die sich eindeutig nicht mit plattformbasierter Arbeit befassten. Dies geschah in Paketen von 50 Stück für die ersten 1800 Publikationen.

Danach sank der Anteil an potenziell relevanten Publikationen so stark, dass aus forschungsökonomischen Gründen auf die Überprüfung der verbleibenden Publikationen verzichtet wurde. Von den ersten 50 Veröffentlichungen waren 43 potenziell relevant, vom letzten in Abb. 1 aufgeführten Paket hingegen nur 2. In den nachfolgenden Arbeitsschritten zeigte sich zudem eine theoretische Sättigung im Rahmen der ersten 1800 Publikationen.

Abb. 1
figure 1

Anteil an relevanten Publikationen pro 50 Suchtreffer

Von den 450 verbleibenden Publikationen wurden sechs ausgeschlossen, weil sie Duplikate waren. Elf weitere wurden entfernt, weil es sich nicht um einen Artikel oder ein Proceeding handelte. Die verbleibenden Publikationen wurden als Volltext heruntergeladen, wobei sieben Veröffentlichungen weder digital noch gedruckt verfügbar waren. In einem zweiten Auswahlschritt wurden von den verbleibenden 426 Publikationen jeweils Einleitung, Ergebnisteil und Diskussionskapitel gelesen, um tatsächlich relevante Veröffentlichungen zu identifizieren. War dies als Entscheidungsgrundlage nicht ausreichend, wurde die vollständige Publikation analysiert. In diesem Arbeitsschritt konnten zudem mit der Software MAXQDA (Firma VERBI) erstens bibliometrische Angaben, zweitens das methodische Vorgehen der Studie sowie drittens die untersuchten Dimensionen von Arbeit mitsamt den Befunden codiert werden. Im Ergebnis umfasst das Sample 235 Publikationen.

Ausgeschlossen wurden Publikationen, die sich dem Thema Arbeit nur indirekt widmen, indem beispielsweise Diskurse analysiert oder hypothetische Potenziale ausgelotet werden, und die „Arbeit“ gar nicht betrachten, weil beispielsweise die Auswirkungen auf Kunden im Mittelpunkt stehen. Inkludiert wurden hingegen auch Publikationen, die nicht auf empirischer Forschung basieren, sondern ihre Ergebnisse theoretisch erarbeiten. Nach der erfolgten Grobcodierung wurden alle Publikationen erneut detailliert mit Hinblick auf die zugrundeliegenden Prägekräfte und Einflussfaktoren codiert. Der Arbeitsschritt der Synthetisierung der Publikationen erfolgte im Rahmen einer qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring 2008), die induktiv realisiert wurde.

Wenig überraschend zeigt sich zunächst ein deutliches Wachstum an thematisch relevanten Publikationen über die Jahre. Bis zum Jahr 2015 finden sich jährlich nur maximal drei Studien in unserem Sample, danach steigen die Zahlen bis auf 72 an (Abb. 2). Die Daten wurden Ende November 2020 abgerufen, sodass für das gesamte Jahr 2020 von einem Zuwachs im Vergleich zu 2019 auszugehen ist.

Abb. 2
figure 2

Verteilung der Publikationen auf Erscheinungsjahre

Da im Selektionsprozess ausschließlich Publikationen berücksichtigt wurden, die sich plattformbasierter Arbeit widmen, liegt die Vermutung nahe, dass ein Großteil der Publikationen aus den Sozialwissenschaften, den Arbeitswissenschaften und den Wirtschaftswissenschaften stammt. Abbildung 3 verweist – trotz des Einbezugs aller Disziplinen ins Sample – tatsächlich auf eine Dominanz weniger Fächer.

Abb. 3
figure 3

Verteilung der Publikationen auf wissenschaftliche Disziplinen

Die über die Institutszugehörigkeit der Erstautoren erhobene disziplinäre Verortung der Forschung zeigt eine Konzentration von 71 % der relevanten Publikationen zum Thema in drei Fächern. Während sich die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften häufig mit Kerndimensionen plattformbasierter Arbeit befassen, widmen sich die übrigen Disziplinen eher komplementären Aspekten. Die Medien- und Kommunikationswissenschaften fragen beispielsweise nach der Rolle von Social Media oder dem Datenschutz, die Rechts- und Politikwissenschaften erforschen die politische Regulierung digitaler Arbeit, die (Human‑)Geographie untersucht vor allem die neuen räumlichen Konstellationen, und die Ingenieurwissenschaften analysieren beispielsweise Arbeitsbelastungen und Sicherheitsrisiken. Überraschend ist der hohe Anteil an Publikationen aus der Informatik, die sich der Gestaltung der Plattformen, aber auch ihren Auswirkungen auf Arbeit widmet.

Hinsichtlich der genutzten Methoden steht ein Anteil von 26 % an theoretischen Publikationen einem Anteil von 74 % empirischen Studien gegenüber. Innerhalb der empirischen Studien entfallen 46 % auf qualitative Forschungsdesigns, 39 % auf quantitative Ansätze (inklusive Simulationen) und 15 % auf Mixed Methods. Damit handelt es sich bei plattformbasierter Arbeit um ein Forschungsthema, das augenscheinlich in vielen Aspekten unter Rückgriff auf reaktive Daten (etwa im Rahmen von Interviews) und nonreaktive Daten (beispielsweise in Form von Informationen auf Plattformen und Webseiten) in seinen konkreten alltagspraktischen Erscheinungsformen erforscht wird. Eine detaillierte Betrachtung zeigt allerdings, dass es sich häufig um Forschung handelt, die spezifische Aspekte mit verhältnismäßig kleinen Fallzahlen in sehr kurzen Zeiträumen oder mit Fokus auf einzelne Plattformen untersucht. Trianguläre Forschung, Panelstudien sowie Vergleichsstudien bilden die Ausnahme.

Knapp 40 % der Veröffentlichungen beziehen sich nicht auf eine bestimmte Region oder geben nicht an, in welcher Region die Forschung stattfand. Dies betrifft oftmals theoretische Arbeiten. Die übrigen Publikationen beforschen primär plattformbasierte Arbeit in Amerika (48 Studien), hier ganz überwiegend in den USA und vereinzelt in Kanada, Chile und Brasilien. Die 34 Studien, die Asien beforschen, fokussieren plattformbasierte Arbeit in China, Indien und Japan. Die 28 Studien zu plattformbasierter Arbeit in Europa verteilen sich auf 18 Länder, wobei kein Land dominiert. Australien und Afrika werden als Forschungskontext eher vernachlässigt, während 16 Studien einen interkontinentalen Vergleich realisieren.

Die Auswertung der Tätigkeitsfelder (siehe Abb. 4) verweist, analog zum geographischen Forschungskontext, auf einen hohen Anteil unspezifischer Publikationen sowie auf verhältnismäßig viele Veröffentlichungen, die mehrere Tätigkeitsfelder betrachten. Dabei handelt es sich in der Regel um (theoretische) Forschung zu Crowdsourcing, der Sharing Economy oder der Gig Economy als Ganzes. Die übrigen Publikationen konzentrieren sich auf drei dominante und vier eher randständige Tätigkeitsfelder. So werden kleinteilige Tätigkeiten vor allem auf der Clickworking-Plattform Amazon Mechanical Turk und bei der Personenbeförderung im Rahmen von Uber, Lyft und ähnlichen Diensten erforscht. Plattformen für wissensintensive Dienstleistungen sind primär im Bereich der Softwareentwicklung und des Designs anzutreffen. Das Feld der Logistik umfasst Lieferdienste für Speisen und Kurierfahrten, während sich die Vermietung nahezu ausschließlich auf privaten Wohnraum beschränkt. Nur in Ansätzen ist die Vermittlung von Putzhilfen, Pflegekräften und privaten Köchen sowie die akademische Lehre vertreten. Die Forschung konzentriert sich mehrheitlich auf die „Leuchtturm“-Plattformen und Branchen, während die bestehende Vielfalt (Hertwig und Papsdorf 2017) an Tätigkeitsfeldern bisher kaum untersucht ist.

Abb. 4
figure 4

Untersuchte Tätigkeitsfelder

Schließlich zeigt sich, dass sich die Publikationen zu plattformbasierter Arbeit zu jeweils etwa 35 % auf die Online- und die Offline-Variante beziehen. Beiden Spielarten widmen sich 8 % der Veröffentlichungen, indem sie beispielsweise die Arbeitsbedingungen verschiedener Plattformen vergleichen.

4 Ergebnisse

4.1 Überblick: Prägekräfte, Einflussfaktoren und Dimensionen plattformbasierter Arbeit

Dieser Abschnitt systematisiert zunächst die Bandbreite der Forschung zum Thema. Die vorliegenden Befunde wurden zu einem Modell (siehe Abb. 5) verdichtet, welches es erlaubt, die einzelnen Studien vor allem im Hinblick auf ihre Erkenntnisse zu Ursache-Wirkungs-Beziehungen zu analysieren. Die Grenzen und Schwächen dieses heuristischen Modells werden im fünften Abschnitt diskutiert. Mit dem Modell lassen sich drei Gruppen von Elementen unterscheiden: (1) vier distinkte, induktiv aus der Forschung erarbeitete Dimensionen von Arbeit (mit jeweiligen Subdimensionen); (2) Akteure und Institutionen, die als Prägekräfte über (3) je spezifische Einflussfaktoren auf plattformbasierte Arbeit wirken. Mit dem Ziel der Komplexitätsreduktion des Modells wurden erstens nur die jeweils in der Forschung dominante Beziehung zwischen den Einflussfaktoren und Arbeitsdimensionen abgebildet und zweitens Wechselwirkungen, wie beispielsweise zwischen den Plattformunternehmen und den politischen Akteuren (etwa in Form von Lobby-Tätigkeiten) oder zwischen dem Verdienst der Tätigen und wohlfahrtsstaatliche Strukturen, explizit nicht berücksichtigt.Footnote 3

Abb. 5
figure 5

Einflussfaktoren plattformbasierter Arbeit

4.2 Dimensionen plattformbasierter Arbeit

Um den Stand der Forschung adäquat abzubilden, wurden die relevanten Dimensionen von Arbeit, die in der Forschungslandschaft thematisiert werden, induktiv aus dem Material gewonnen und zu vier Dimensionen oder thematischen Clustern gebündelt.

Ein erster Forschungsschwerpunkt widmet sich den Rahmenbedingungen von Arbeit. Hier werden Fragen der gesetzlichen Regulierung sowie Ansätze verbandlicher oder auch zivilgesellschaftlicher Interessenvertretung thematisiert. Es zeigt sich, dass in sämtlichen nationalen Kontexten ähnliche Herausforderungen hinsichtlich des rechtlichen Status’ der Tätigen und, vor dem Hintergrund der diagnostizierten Schutzbedarfe, nationale und übernationale Möglichkeiten der Einordnung diskutiert werden.

Der zweite Forschungsschwerpunkt lässt sich mit „Voraussetzungen von Arbeit“ überschreiben. Die Hälfte der Studien in diesem Cluster untersucht, aus welchen Motivlagen heraus Tätige plattformbasierter Arbeit nachgehen. Im Zentrum stehen das (zusätzliche) Einkommen sowie die Flexibilität und Freiheit in der Arbeitsgestaltung. Allerdings finden sich oft komplexe, vielschichtige Motivlagen, wobei auch Spaß an der Arbeit, Chancen auf Kompetenzerwerb oder auch das Entfliehen aus Arbeitslosigkeit eine Rolle spielen.

Damit verbunden sind Fragen nach der soziodemographischen Zusammensetzung der Crowd. Hier ist festzustellen, dass gravierende Unterschiede unter den Plattformarbeitenden bestehen, die zum Teil von der Anforderung der Arbeit (Qualifikation, Skills), dem individuellen sozioökonomischen Kontext (Lebenssituation, Haushaltseinkommen, Ergänzung vorhandener atypischer Beschäftigung) und auch der geographischen Verortung abhängen. Beispielsweise stellen Wood et al. (2019a) heraus, dass plattformbasierte Tätigkeiten in manchen afrikanischen Ländern überhaupt erst dazu führen, dass monetäre Mittel (über Subsistenzmittel hinaus) erwirtschaftet werden und dass dabei aufgrund des sozioökonomischen Kontextes (beispielsweise Kaufkraft- und Lohnniveauunterschiede zwischen westlichen Ländern und Schwellenökonomien) kaum Prekarisierungsgefahren bestehen. Weitere Unterthemen betrachten Fragen von Qualifikation oder der Identität der Crowdworker.

Der dritte Forschungsschwerpunkt thematisiert die Arbeitsverrichtung und -organisation und damit den Kern plattformbasierter Arbeit. Die vorliegenden Publikationen beschäftigen sich schwerpunktmäßig mit Fragen der Autonomie. Hierzu gehören Aspekte der zeitlichen Autonomie, der Preisgestaltung und der unternehmerischen Freiheit. Eng damit verbunden sind Untersuchungen zum Zusammenhang von Plattformdesign und Autonomie der Tätigen. Ein weiteres wichtiges Forschungsthema stellen die räumliche und zeitliche Flexibilisierung dar. Im Unterschied zur zeitlichen Autonomie geht es hierbei nicht nur um die Möglichkeit, Arbeitszeiten selbst zu gestalten, sondern auch um das Arbeitszeitvolumen, die Gestaltung der Work-Life-Balance sowie den Umgang mit Deadlines. Die räumliche Flexibilisierung wird primär hinsichtlich ortunabhängiger Arbeit untersucht. Die Forschung zu Arbeitsbelastungen fokussiert physische und psychische Herausforderungen, die sich aber nicht von klassischer Erwerbsarbeit unterscheiden.

Den weitaus größten Umfang weisen die Arbeitsfolgen als viertes thematisches Cluster auf. Ein großer Teil der Studien beforscht plattformbasierte Arbeit aus einer Prekarisierungsperspektive. Im Fokus stehen materielle Entgeltfragen, aber auch das subjektive Erleben (Sinnhaftigkeit, Entfremdung), Gesundheitsaspekte oder allgemein die Zufriedenheit mit der Arbeit. Generell bildet der Prekarisierungsdiskurs im Feld plattformbasierter Arbeit ein Leitnarrativ, denn auch in den anderen hier identifizierten Clustern werden Aspekte von Prekarisierung beforscht (beispielsweise als Teilhabe am rechtlich-institutionellen System oder den Arbeitsinhalten).

Obgleich einige Themen bereits recht intensiv beforscht wurden (etwa Motive, rechtliche Rahmenbedingungen, Arbeitsfolgen), muss konstatiert werden, dass es sich in der Regel um Momentaufnahmen einzelner Teilbereiche der Plattformökonomie handelt. In anderen Clustern, etwa hinsichtlich der Qualifikationen oder der Berufsbiografien, findet sich auffällig wenig Forschung, sodass die Plattformökonomie in Summe nicht als hinreichend beforscht gelten kann. Dies gilt umso mehr bezüglich der Frage, wie Arbeit im Zusammenspiel neuer und alter Akteure und Institutionen strukturiert wird. Im Großteil der thematischen Cluster werden inhaltliche Fragen mit weitergehenden Analysen verknüpft oder bereits über die Fragestellungen Kausalbeziehungen antizipiert und untersucht. Eine Systematisierung der Prägekräfte plattformbasierter Arbeit ist Ziel des folgenden Abschnitts.

4.3 Prägekräfte plattformbasierter Arbeit

Auf Basis der Literatur zum Thema lassen sich sechs Prägekräfte differenzieren. Analog zu klassischen Formen der Erwerbsarbeit handelt es sich dabei um die Tätigen selbst, um Staat und Politik sowie um Verbände (hier ausschließlich Gewerkschaften). Neue Prägekräfte stellen hingegen die Plattformen und die Communitys von Tätigen dar. Eine weitere Prägekraft sind Auftraggeber und Kunden, die auch in einigen Feldern klassischer Erwerbsarbeit, etwa bei soloselbstständigen Dienstleistern, Arbeit stark beeinflussen und auch bei plattformbasierter Arbeit eine Rolle spielen.

Die Tätigen als Prägekraft plattformbasierter Arbeit zu konzipieren, mag irritieren, da diese Personengruppe und die von ihnen vollbrachte Arbeit gewissermaßen die abhängige Variable im Kräftespiel der Einflussfaktoren darstellt. Gleichwohl zeigt die Forschung, dass die Tätigen, wie in Abschn. 4.4 genauer beschrieben wird, in vielerlei Hinsicht plattformbasierte Arbeit prägen. Die Forschung zu den Tätigen ist dabei vielmals teleologischer Natur und zielt auf die Optimierung bestehender Prozesse und Plattformen ab.

Gewerkschaften stellen im Kontext plattformbasierter Arbeit die einzig erforschten Verbände dar, wohingegen Arbeitgeberverbände, Berufsverbände oder Fachverbände keine Rolle spielen. Die vielmals prekären Arbeitsbedingungen bieten Ansatzpunkte für Forschung zum Einfluss der Gewerkschaften oder der (widersprüchlichen) Bereitschaft der Tätigen, sich in Kollektiven zu organisieren. Staat und Politik werden primär in theoretischen Untersuchungen hinsichtlich ihrer stark limitierten Einflussnahme und -möglichkeiten auf plattformbasierte Arbeit behandelt. Die in Summe spärlich vorhandenen Publikationen fokussieren auf die Wohlfahrtsstaatlichkeit und punktuell auf den Arbeitsschutz.

Plattformen in ihrer Doppelfunktion als technische und organisationale Einheiten stellen die am stärksten erforschte Prägekraft plattformbasierter Arbeit dar. Aufgrund ihrer zentralen Bedeutung sowie ihrer Neuartigkeit sind sie von unterschiedlichen Disziplinen in den letzten Jahren auf vielfache Weise empirisch untersucht worden.

Die Community der Tätigen als Prägekraft von Arbeit ist in ihrer Existenz zunächst überraschend, da die Tätigen, gerade weil sie auf einer bestimmten Plattform arbeiten, oftmals um Aufträge konkurrieren. Die mehrheitlich sozialwissenschaftliche Forschung widmet sich eher deskriptiv typischen Identitätsmustern, Kultur‑, Normen- und Regelsystemen.

Die letzte Prägekraft, die im Rahmen der Inhaltsanalyse ausgemacht werden konnte, stellen die Kunden plattformbasierter Tätigkeiten dar. Diese sind bisher kaum als Gemeinschaft untersucht worden, auch weil sie sich teils nur mittelbar, etwa über die Kumulation der individuellen Bewertungen, konstituieren.

4.4 Einflussfaktoren plattformbasierter Arbeit

Im vorliegenden Abschnitt werden die spezifischen Einflussfaktoren auf die Dimensionen von Arbeit in systematisierter Weise modelliert und diskutiert. Wir unterscheiden je zwei Ebenen in Anlehnung an Giddens (1984): Die Ebene der Handlung fokussiert Aktivitäten und Praktiken der Plattformen, Communitys oder Tätigen sowie deren Auswirkungen auf Arbeit. Die Ebene der Strukturen thematisiert dauerhafte Muster (Regeln und Ressourcen), die im Handeln entstehen oder verändert werden und Arbeit beeinflussen.

4.4.1 Einflussfaktoren der Plattformen: Kontrolle, Beschäftigungsmodell, Preissystem und Design der Plattformprozesse

(1) Technisierte Strukturen der Steuerung und Kontrolle stellen einen ersten (und in der Forschung prominent behandelten) Einflussfaktor der Plattformen dar, der sich von den bisher gekannten Einflussfaktoren durch einen hohen Grad an Automatisierung unterscheidet. Er wirkt primär auf die Arbeitsverrichtung und auf die Arbeitsfolgen. Vergleichsweise intensiv wirken neue Formen der Kontrolle, die bei Crowdwork auf den Mausklick genau, bei Fahrdiensten auf den Meter präzise und bei Cloudwork über regelmäßige Screenshots aus der Ferne die Tätigen sehr kleinteilig überwachen (Heiland 2019). Ein Novum mit Blick auf die konkrete Arbeitssituation besteht in der umfassenden echtzeitlichen Überwachung (Chen et al. 2020). Aspekte der Steuerung zeigen sich in bestimmten Branchen, in denen Algorithmen bereits in der Lage sind, die Arbeitsqualität zu evaluieren, Tätige zu klassifizieren und ihnen entsprechende Arbeitsaufträge (teils ohne aktive Zustimmung) zuzuweisen (Veen et al. 2020). Die in aller Regel auf großen Datenmengen basierenden Algorithmen stellen für die Tätigen Blackboxes dar (Heiland 2019; Rosenblat und Stark 2016). Dies führt u. a. dazu, dass Diskriminierungen, etwa nach Gender oder Nationalität (Rani und Furrer 2021), in Praxis und Wissenschaft nur zögerlich aufgedeckt werden. In der Summe werden die Auswirkungen dieser Kontroll- und Steuerungsstrukturen als nachteilig für die Tätigen angesehen, weil aus ihnen ein geringes Einkommensniveau, soziale Isolation, zeitlich entgrenzte Arbeit sowie Erschöpfung resultieren können (Wood et al. 2019a).

Neben der Arbeitsverrichtung und den Arbeitsfolgen beeinflussen technische Strukturen auch die Zusammensetzung der Crowd und individuelle Erwerbschancen, z. B. über Konfliktlösungsmechanismen und Gatekeeping-Strategien (Jarrahi et al. 2020), die von Plattformen verhängte und algorithmisch umgesetzte Sperrungen von Tätigen umfassen. Eine herausragende Bedeutung kommt auch der Auslagerung von Managementfunktionen an die Kunden über die Bewertungs- und Ratinginstrumente (Gerber 2021) zu. Diese werden vermehrt genutzt, um Tätige bei zu schlechten Bewertungen oder nonkonformem Verhalten automatisiert vom Online-Arbeitsmarkt auszuschließen (Chen et al. 2020; Wu et al. 2019).

(2) Das Beschäftigungsmodell der Plattform umfasst von den Plattformunternehmen aufgestellte Regeln des Marktzugangs und die Beschäftigungsformen. Das Beschäftigungsmodell wirkt gemäß der vorliegenden Forschung als Einflussfaktor auf die Rahmenbedingungen und Folgen von Arbeit. Der Erwerbsstatus der Tätigen wird in zahlreichen Publikationen thematisiert. Plattformbasierte Arbeit kann prinzipiell als selbstständige Tätigkeit (Shade 2018; Kaine und Josserand 2019), als abhängige Beschäftigung oder neuartiger Hybrid organisiert werden (Koutsimpogiorgos et al. 2020; Minter 2017; Arcidiacono et al. 2019). Tenor der interdisziplinären Forschung ist ein von den Plattformen bewusst gestalteter rechtlicher Graubereich, der selbigen eine Auslagerung unternehmerischer Risiken auf die Tätigen bei gleichzeitiger Weisungsgebundenheit erlaubt. Wenige Veröffentlichungen thematisieren die rechtliche oder verbandliche Durchsetzung von Regulierungen, etwa eines Mindestlohns für Crowdworker in Australien (Minter 2017).

(3) Das Preissystem umfasst Regeln der Gratifikation oder Entgeltgestaltung und enthält damit grundlegende Mechanismen der Preisbildung auf Online-Arbeitsmärkten. Dieses System beeinflusst die Arbeitsfolgen, namentlich Verdienst und Prekarität, in erheblichem Maße. Bei vielen Diensten (etwa der Personenbeförderung) sind Preise nicht von den selbstständig Tätigen unternehmerisch gestaltbar, sondern durch die Plattform vorgegeben (Chen 2020). Damit handelt es sich um Märkte mit ungleicher Machtverteilung, in denen Plattformen in vielen Fällen neben den Preisen auch den Marktzugang und die Anzahl der Anbieter beeinflussen können. Vor allem Plattformen für Lieferdienste und Personenbeförderung arbeiten mit flexiblen Preisen, Boni und Verdienstgarantien, um das Arbeitskräfteangebot in besonders nachfragestarken oder -schwachen Phasen zu sichern (Wu et al. 2019). Ebenso werden Preise kurzfristig angepasst, um Unmut oder gar Streiks zu verhindern oder in ihrer Wirkung abzuschwächen (Marrone und Finotto 2019). Die Priorität vieler Plattformen liegt in möglichst geringen Kosten für die Kunden, während die wirtschaftlichen Interessen der Tätigen nachrangig behandelt werden (Mäntymäki et al. 2019).

(4) Das Design der Plattformprozesse ist die handlungsbezogene Komponente der Prägekraft Plattform. Nur wenige Studien berücksichtigen, dass die drei bisher genannten Einflussfaktoren Ergebnisse von (Management‑)Entscheidungen und damit kontingent sind, aber auch, dass ein etabliertes Design durchaus Raum für unterschiedliche Stile des Managements- oder Human-Resource-Managements (HRM) lässt (Ravenelle 2019a).

Das Plattformdesign definiert grundlegende Kommunikations- und Handlungsmöglichkeiten der Tätigen und prägt Arbeit in Gänze. So sind die Arbeitsergebnisse (Weidema et al. 2016; Ho et al. 2015) und die Arbeitszufriedenheit (Barashev und Li 2019) davon abhängig, welche Freiheitsgrade (Kim et al. 2018) den Tätigen eingeräumt werden. Verhältnismäßig intensiv erforscht sind hierbei Möglichkeiten und Restriktionen in der Kommunikation. Die Studien unseres Samples dokumentieren einhellig, dass die Kommunikation zwischen Tätigen und Kunden (Schörpf et al. 2017), zwischen Tätigen und Plattform (Wentrup et al. 2019) sowie innerhalb der Community der Tätigen (Gegenhuber et al. 2021) so gestaltet ist, dass sie nur innerhalb der Plattform stattfinden kann und auf wenige, unmittelbar der Arbeitsverrichtung zuträgliche Funktionen beschränkt ist. In Konsequenz sind Tätige vereinzelt und die Vertretung gemeinsamer Interessen ist erschwert (Wells et al. 2021). Weiterhin gibt die Plattform vielmals vor, in welcher Form Profile angelegt werden können, schlägt Beschreibungen, Kategorien oder Optionen für Tätigkeiten vor (Jarrahi et al. 2020). Aus dem Design vieler Plattformen resultiert eine Informations- und damit auch Machtasymmetrie zugunsten der Plattformen (Rosenblat und Stark 2016; Heiland 2019), während Tätige durch eine hohe Transparenz ihrer Leistungen und Referenzen einem erhöhten Konkurrenzdruck unterliegen (Shibata 2020; Chen et al. 2020).

4.4.2 Einflussfaktoren der Communitys der Tätigen: Kommunikation, Kultur, Solidarität und kollektive Aktionen

Auch hinsichtlich der Communitys lassen sich handlungsbezogene und strukturelle Einflussfaktoren unterscheiden: Über die (1) Kommunikation und Austauschbeziehungen bilden Communitys (2) Kulturmuster und Regelsysteme (wie etwa Solidarität), die in manchen Fällen (3) kollektive Aktionen befördern.

(1) Ein charakteristisches Merkmal plattformbezogener Communitys besteht darin, dass sie sich über die Kommunikation (unter den Tätigen sowie zwischen Tätigen und den Usern) konstituieren. Dieser Prozess hat unmittelbar Auswirkungen auf die Voraussetzungen von Arbeit, denn über die plattformvermittelte Kommunikation (Chan 2019) wird die Identifikation der Tätigen mit „ihrer“ Community (und darüber hinaus auch mit „ihrer“ Plattform) befördert (Panteli et al. 2020). Hierbei tragen wechselseitige Hilfestellungen der Crowdworker (über Social Media oder Foren) dazu bei, das Gemeinschaftsgefühl und die Zugehörigkeit zur jeweiligen Community zu stärken (Ihl et al. 2020; Gray et al. 2016). So vermitteln erfahrene Tätige neuen oder hilfebedürftigen Community-Mitgliedern Informationen und Wissen. Dabei erstreckt sich das Spektrum von Anleitungen zur Plattformnutzung bis zur effizienten Arbeitsgestaltung und Warnungen vor unzuverlässigen Auftraggebern (McInnis et al. 2016). Diese Hilfestellung erfolgt in der Regel ohne unmittelbare Gegenleistung (Wood et al. 2018).

(2) Über die Kommunikation und Interaktion bilden Communitys eigene, überindividuelle Kulturmuster und Regelsysteme aus (Berger und Luckmann 1966), die die Arbeitsverrichtung unmittelbar beeinflussen, weil sich die Tätigen an den normativen Standards der Community orientieren (Fitzmaurice et al. 2020; Duhaime und Woessner 2019). Auf diese Weise tragen Communitys zur Herausbildung kollektiver Orientierungen und Praktiken bei (Maffie 2020).

Die institutionalisierten Kulturmuster einiger Communitys lassen sich als kultureller Gegenentwurf zur Marktlogik der Plattformökonomie werten (Fitzmaurice et al. 2020). Wenn Crowdworker ihre Tätigkeit als „sinnvoll“ wahrnehmen (wozu die Community beitragen kann), dann steigert dies ihr Engagement (Ihl et al. 2020). Damit erbringen Communitys jedoch Leistungen, die auch den kapitalistischen Plattformunternehmen zugutekommen (Gerber 2021).

Communitys können Bewältigungspraktiken bereitstellen, die das Informationsdefizit der Tätigen verringern (Chan 2019), ausbeuterische Praktiken abmildern und unter Umständen sogar ein kollektives Bewusstsein wecken und Solidarität erzeugen (Panteli et al. 2020; Ravenelle 2019b; Wood et al. 2018). Auf diese Weise generieren sie einerseits Voraussetzungen für Widerstand, als Gefühl der Gemeinschaft, der kollektiven Zugehörigkeit und Betroffenheit; andererseits können Communitys aber die Bereitschaft für Widerstand verringern, indem sie die Resilienz der Tätigen gegenüber prekären Arbeitsbedingungen erhöhen (Soriano und Cabañes 2020).

(3) In diesem Zusammenhang sind durchaus spontane und auch länger währende Formen von Protest, die sich an der Wahrnehmung kollektiver Missstände entzünden, in mehreren Studien dokumentiert worden. Die Protestformen umfassen das klassische Repertoire des Arbeitskampfes wie Arbeitsniederlegungen und Streiks (Chen 2018). Gleichwohl werden diese auf den Plattformkontext angepasst: So genügt es zum Teil, wenn Uber-Fahrer sich kollektiv aus einer App ausloggen und damit dem Arbeitsmarkt (zu Stoßzeiten) nicht mehr zur Verfügung stehen (Chesta et al. 2019). Im Falle plattformbasierter Offline-Arbeit sind derartige Prozesse wahrscheinlicher als bei Online-Arbeit, weil sich Tätige im urbanen Raum begegnen, interagieren können und sich beispielsweise aufgrund ihrer Arbeitskleidung (z. B. als Essenlieferanten) wahrnehmen (Chesta et al. 2019, S. 830; Briziarelli und Armano 2020). Sichtbarkeit ist damit ein wichtiger Faktor, der prinzipiell aber sowohl online als auch offline hergestellt werden kann.

Ein zentrales Medium der Kommunikation in Communitys, und damit auch der Herausbildung von Solidarität und kollektiven Aktionen, sind technische Plattformen. Zum Teil werden proprietäre Plattformen von einer Community aufgebaut (etwa Foren oder das „Turkopticon“; Irani und Silberman 2013), zum Teil aber auch (halb-)öffentliche Social-Media-Anwendungen für Kommunikation genutzt (Whatsapp- oder Facebook-Gruppen; Carmody und Fortuin 2019). Über digitale Medien tauschen sich Tätige zu den Bedingungen ihrer Arbeit aus und generieren damit erst die kollektive Wahrnehmung von Missständen sowie Gefühle von Identität und Solidarität (Soriano und Cabañes 2020). Den Anlass, mit der Online-Community zu kommunizieren, bilden oft Konflikterfahrungen mit Kunden, für die sich Tätige entsprechenden Rückhalt in der Gemeinschaft erhoffen (Maffie 2020).

Die einzigartige Verfasstheit plattformbasierter Arbeit stellt Communitys vor spezifische Herausforderungen, die insbesondere kollektive Aktionen erschweren: (a) eine vielfach virtuelle und damit unpersönliche Arbeitsumgebung; (b) ein globaler Arbeitsmarkt und damit einhergehende nationale Fragmentierung; (c) verschiedene Tätigkeitskontexte und dadurch bedingte berufliche Fraktionierung; (d) die Angst der Tätigen, aufgrund kollektiven Engagements von Plattformen oder Kunden sanktioniert zu werden; (e) aktive Gegenstrategien der Plattformen; und letztlich (f) fluide und kurzzeitige Beschäftigungsabsichten vieler Tätiger, die langfristiges Engagement aus der Subjektperspektive irrational erscheinen lassen (Howcroft und Bergvall-Kåreborn 2019; Barratt et al. 2020; Gegenhuber et al. 2021).

4.4.3 Einflussfaktoren der Kunden, User und Peers: Bewertungen, Ratings und Kundenmacht

Die Gruppe der Kunden, Konsumenten und Auftraggeber plattformbasierter Tätigkeiten ist sehr heterogen: Sie reicht von privatwirtschaftlichen Unternehmen, die etwa bei Amazon Mechanical Turk oder Upwork Aufträge einstellen, bis hin zu Privatpersonen, die auf Couchsurfing eine kostenlose Unterkunft in Anspruch nehmen und sich dabei als „Peers“ in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter wahrnehmen. Gemein ist Kunden, Konsumenten oder Auftraggebern, dass sie über ihren Konsum von Leistungen, ihre Aufträge, Erwartungen und Bewertungen Standards plattformbasierter Arbeit definieren und somit wesentlich zur Strukturierung des Feldes beitragen.

In der Literatur wird ihnen durchweg ein Machtübergewicht gegenüber den Tätigen zugeschrieben. Dies resultiert zum einen aus dem Überangebot von Arbeitskraft oder Leistungen auf vielen Plattformen. Zum anderen, und ganz wesentlich, resultiert es aus den Strukturen der Plattformen. Kunden realisieren ihre Macht, indem sie die von den Plattformen bereitgestellten Strukturen nutzen und die von den Plattformen gesteuerten Marktprozesse (Knappheitsverhältnisse und Preissystem) zu ihren Gunsten einsetzen (Kingsley et al. 2015). So gestalten die Plattformunternehmen die Ratingsysteme, mit denen Kunden die Tätigen bewerten können (McInnis et al. 2016). Ratingsysteme werden für die Funktionsweise der Plattformökonomie allgemein als unerlässlich angesehen, denn ihnen kommt die Funktion zu, innerhalb einer anonymen und räumlich entbetteten Geschäftsbeziehung essenzielle Marktsignale zu transportieren (Gandini 2020; Wood et al. 2019b). Indem sie Informationen über Fähigkeiten und Qualifikationen, aber auch allgemeine Eindrücke über die Vertrauenswürdigkeit oder die subjektiv wahrgenommene Qualität von Leistungen transportieren, beeinflussen sie Arbeit ganz erheblich. Einige Plattformen geben ihnen die Möglichkeit, die von den Tätigen erbrachten Arbeitsleistungen (aufgrund vermeintlicher Qualitätsmängel) zurückzuweisen. Geschieht dies, erhalten die Tätigen oft keine Entlohnung (McInnis et al. 2016).

Obgleich Bewertungen zum Teil wechselseitig erfolgen, wirken Bewertungssysteme primär disziplinierend, denn sie sorgen dafür, dass Tätige sich in der Arbeitsverrichtung „sozial erwünscht“ verhalten, da die Akquise zukünftiger Aufträge von der Reputation abhängt (Gandini 2020).

4.4.4 Einflussfaktoren der Tätigen: Kompetenzen, sozioökonomischer Hintergrund und individuelle Praktiken

(1) Über die Entwicklung und Aktivierung der notwendigen „Skills“ oder Qualifikationen, die für bestimmte Jobs erforderlich sind, können Tätige ihren Zugang zu Jobs (Voraussetzungen von Arbeit) selbst beeinflussen. Eine dynamische Wechselwirkung zwischen Qualifikationen und Jobs besteht deshalb, weil spezifische Skills eine Voraussetzung sind, um bestimmte Arbeitsaufträge zu erhalten; die Arbeitspraxis wirkt aber wiederum auf das Skillset zurück und beeinflusst damit die „Employability“ (Barnes et al. 2015).

(2) Der sozioökonomische Hintergrund der Tätigen spielt demnach eine wichtige Rolle, denn er beeinflusst Abhängigkeit und Marktmacht der Tätigen sowie die Arbeitsfolgen in Form von Verdienstchancen (Peticca-Harris et al. 2018). Prekarisierungsrisiken ergeben sich vor allem für Tätige, „who are new to gig work; belong to disadvantaged socio-economic background; lack educational qualifications and do less-complex work activities such as transcription, data entry and search engine optimization“ (Anwar und Graham 2021, S. 253). Auf Märkten der Plattformökonomie ist die Preisbildung selten ein offener und dynamischer Prozess, da das Preissystem von den Plattformunternehmen definiert wird. Nur in bestimmten Fällen, etwa bei Programmier- oder Designausschreibungen, sind Tätige an der Preissetzung beteiligt oder können ihre Angebotspreise selbst bestimmen (Jäger et al. 2019).

(3) Der Umgang mit problematischen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen ist Thema einiger Studien, die auf individuelle (Bewältigungs- oder subversive) Praktiken abstellen (Anwar und Graham 2020). Tätige entwickeln derartige Praktiken, um sich gegen widrige und benachteiligende Arbeitsbedingungen zur Wehr zu setzen. Hierzu zählen kreative Formen, sich mit Vorgaben und Regeln der Plattformen zu arrangieren oder diese sogar zu umgehen (Sutherland et al. 2020). Dabei nutzen Tätige selbst digitale Tools als „practice of multi-homing and using bot apps … to manipulate and to gain an advantage over the digital platform“ (Chen 2018, S. 2706).

Der Übergang von individuellen Bewältigungspraktiken hin zu kollektiven Aktionen der Community ist bislang wenig erforscht. Vorliegende Studien zeigen, dass individuelle subversive Praktiken in der Lage sind, kollektive Gegenwehr zu entfachen: So entwickeln manche Tätige Software-Scripts (um beispielsweise repetitive Arbeiten zu umgehen, Arbeitsschritte zu automatisieren oder Job-Alerts zu erhalten), die sie anderen zur Verfügung stellen (Maarry et al. 2018). Auf diese Weise gelingt es, Regeln der Plattformen und Strategien der Kunden (kollektiv) zu unterlaufen (Anwar und Graham 2020). Die wechselseitige Hilfestellung der Tätigen und die Einbettung in eine Community kann damit ein bedeutsamer Katalysator für subversive Praktiken sein.

4.4.5 Einflussfaktor Gewerkschaften

Grundlegende Einflussfaktoren gewerkschaftlicher Organisierung liegen im Aufbau von „Gegenmacht“, in kollektiven Aktionen, die Plattformen und Kunden zu Verhaltensänderungen bringen, oder auch im Abschluss von Tarifverträgen, die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen regulieren.

Die Formierung gewerkschaftlicher Gegenmacht wird in den Publikationen als voraussetzungsvoll erachtet. Zum einen fallen kollektive Bestrebungen eigentlich unter das Wettbewerbs- und Kartellrecht, weil Crowdworker nach vorherrschender Rechtsauslegung in vielen Ländern Soloselbstständige sind (Shade 2018; Kaine und Josserand 2019). Dementsprechend wird das gewerkschaftliche Kerngeschäft, das Aushandeln von Tarifverträgen, in keiner der von uns betrachteten Studien thematisiert. Zum anderen sind Tätige aufgrund individualistischer Orientierungen für kollektive Organisationsformen oder gewerkschaftliche Angebote schwer erreichbar. Studien stellen heraus, dass Tätige sich zum Teil durchaus eine gewerkschaftliche Interessenvertretung wünschen, gleichsam aber nicht wissen, wie dies umzusetzen wäre (Anwar und Graham 2021). In einem repräsentativen Survey über verschiedene europäische Länder hinweg (Newlands et al. 2018) sind nur knapp 30 % der befragten Online-Crowdworker der Ansicht, dass Tätige in der Plattformökonomie eine eigene Gewerkschaft besitzen sollten. Die Autoren identifizieren verschiedene Gruppierungen unter den Tätigen, von denen einige kollektiver Organisation stark ablehnend gegenüberstehen. Die spezifischen Orientierungen werden auf die Arbeitsorganisation und die Arbeitsmarktprozesse zurückgeführt, wie die Fluktuation und das Überangebot an Arbeitskraft, das Fehlen persönlicher Kontakte bei Online-Arbeit, aber auch die spezifische Freiheitsideologie der Plattformökonomie (Newlands et al. 2018). Weitere mögliche Ursachen sind die Fragmentierung der Tätigen aufgrund von Nationalität, Beruf oder Plattform (Wood et al. 2018; Al-Ani und Stumpp 2016). Auch hier ist die Kommunikation innerhalb der Community ein wichtiger Faktor, denn sie befördert positive Sichtweisen und Erwartungen an die kollektive Organisation (Maffie 2020).

Ansätze einer verbandlichen Regulierung plattformbasierter Arbeit gibt es in mehreren Ländern. In Australien finden sich beispielsweise Versuche von Gewerkschaften, gemeinsam mit staatlichen Instanzen Mindestlohnverpflichtungen oder Schiedsgerichte zu installieren (Minter 2017) und darüber Einfluss auf die Voraussetzungen von Arbeit und Arbeitsfolgen zu nehmen.

4.4.6 Einflussfaktor des Staates: Regulierung

Regulierungen als staatlicher Einflussfaktor auf plattformbasierte Arbeit wirken auf die Rahmenbedingungen von Arbeit (etwa den rechtlichen Status der Crowdworker), die Arbeitsverrichtung (beispielsweise den Arbeitsschutz) sowie die Arbeitsfolgen (beispielsweise sozialpolitischer und wohlfahrtsstaatlicher Art). Die Forschung zu den staatlichen Regulierungen widmet sich erstens der Frage, ob selbige im Kontext plattformbasierter Arbeit überhaupt möglich sind. Einige Beiträge argumentieren, dass Plattformarbeit prinzipiell genauso stark wie klassische Arbeit reguliert ist (Koutsimpogiorgos et al. 2020; Zou 2017). Es gelten in vielen Ländern, Deutschland ist hier eine Ausnahme, dieselben Gesetze und Verordnungen. Deren Durchsetzung ist aufgrund der fehlenden nationalstaatlichen Verortung bestimmter Tätigkeiten allerdings schwierig (Graham et al. 2017). Zudem ist dies nur bei abhängig Beschäftigten der Fall. Als Selbstständige klassifizierte Tätige werden von zentralen arbeitsschutzrechtlichen und wohlfahrtsstaatlichen Bestimmungen hingegen nicht erfasst (Chen et al. 2020). Ob staatliche Regulierungen Zugriff auf plattformbasierte Arbeit bekommen, liegt weiterhin an der rechtlichen Klassifikation der Plattformen: Entweder werden diese als Innovation angesehen und mit einem eigenständigen rechtlichen Rahmen versehen oder es gelten bestehende Regeln für bekannte Tätigkeiten, die „nur“ online vermittelt werden (Koutsimpogiorgos et al. 2020).

Zweitens thematisieren die Publikationen die Auswirkungen (fehlender) staatlicher Regulierungen. Mehrheitlich sind negative Folgen für Arbeit Gegenstand der Studien. So fehlt es an Gesundheitsfürsorge (Wood et al. 2019b), an einer adäquaten Arbeitsumgebung, Arbeitsmitteln sowie Sach- und Zusatzleistungen der Arbeitgeber (Jacques und Kristensson 2019) oder an Leistungen im Rahmen der Sozialversicherung (Corujo 2017).

In der Summe offeriert die Forschung zu plattformbasierter Arbeit zu jeder der sechs Prägekräfte eine fundierte und in ihren Wirkungen empirisch gut belegte Sammlung von Einflussfaktoren. Gleichwohl fand die jeweilige Wirkmächtigkeit konkreter Einflussmöglichkeiten in den analysierten Studien bisher keine Beachtung. Ebenso ist die Forschung an vielen Stellen, beispielsweise hinsichtlich des Einflusses der Plattformen durch technisch-organisatorische Regeln, auf vordergründige Wirkbeziehungen fokussiert, während die zugrundeliegenden Interessen der Plattformunternehmen sowie andere Prägekräfte kaum reflektiert werden. Nur in Ansätzen sind zudem „weiche Einflussfaktoren“, etwa über die Community der Tätigen transportierte Framing-Prozesse, sowie die Differenzierung in struktur- und handlungsbezogene Elemente thematisiert worden.

5 Diskussion und Fazit

Das vorliegende Literature Review systematisiert erstens den Stand der Forschung zu den Einflussfaktoren plattformbasierter Arbeit und identifiziert zweitens Forschungsdesiderata. Drittens bietet es mit dem in Abschn. 4 vorgestellten Modell eine Heuristik an, die die oftmals kleinteiligen Forschungsergebnisse systematisiert und aufeinander bezieht. Diese drei Ergebnisse sollen im Folgenden resümiert und reflektiert werden.

(1) Wie klassische Erwerbsarbeit auch bewegt sich digitale, plattformbasierte Arbeit in einem Spannungsfeld unterschiedlicher gesellschaftlicher Strukturen, Institutionen oder Systeme. Auf Basis des Literature Reviews lassen sich sechs Prägekräfte unterscheiden, die über je eigene Mechanismen unterschiedliche Aspekte von Arbeit beeinflussen. Zentrales Ergebnis der Studie ist, dass im Vergleich zu klassischer Erwerbsarbeit Plattformen und Communitys emergente Prägekräfte darstellen, die Arbeit mittels neuer, aber auch altbekannter Einflussfaktoren strukturieren. Eine Eigenheit der Plattformökonomie liegt darin, dass diese beiden Prägekräfte Strukturierungsleistungen und Funktionen klassischer Institutionen des Erwerbssystems übernehmen. Indem Plattformen Arbeit mittels Entscheidungen über Arbeitsorganisation, Arbeitsteilung, Arbeitszeiten, Kontroll- und Entlohnungssysteme steuern, agieren sie wie „Unternehmen“ oder „Betriebe“. Da die Dienstleistung von Plattformen im Betreiben von Märkten besteht (Srnicek 2017), sind sie in der Lage, den „Markt“ über interessengeleitete Manipulation der Marktprozesse zu strukturieren. Letztlich erfüllen sie aber auch staatliche Aufgaben der „Regulierung“, denn sie setzen Regeln des Marktzugangs und der Marktprozesse. Plattformen vereinigen so Funktionen und Leistungen mehrerer klassischer Institutionen und dies, so unsere These, ist eine wichtige Ursache ihrer enormen Machtfülle.

Communitys wirken in der Praxis als funktionale Äquivalente für Institutionen der Beruflichkeit, der staatlichen und verbandlichen Regulierung und auch der sozialen Netzwerke, die innerhalb klassischer Erwerbsarbeit wichtige Strukturierungsleistungen erbringen. Umfang und Wirkungen variieren jedoch stark, weil einige Communitys nur lose Zusammenhänge darstellen, andere jedoch gut strukturierte Kollektive sind.

In der Gesamtschau ist der von unserem Sample repräsentierte wissenschaftliche Erkenntnisstand umfangreich, aber vergleichsweise diffus. Zwar liegen zahlreiche Ergebnisse zu (Teil‑)Aspekten plattformbasierter Arbeit vor, diese werden jedoch kaum miteinander in Beziehung gesetzt. Die spezifischen Ausprägungen von Arbeit lassen sich nicht allein auf Plattformstrategien oder die Präferenzen der Tätigen zurückführen, sondern sind immer Ergebnis eines komplexen Wechselspiels verschiedener Systeme und Institutionen, die sich im Zeitverlauf durch das Handeln von Akteuren wandeln.

(2) Obgleich viele Studien die Community als wichtigen Einflussfaktor auf Arbeit betrachten, ist dieser Forschungsschwerpunkt noch wenig entwickelt. Dies liegt mitunter daran, dass der Gegenstand aufgrund seiner Vielschichtigkeit und konzeptuellen Unbestimmtheit durchaus als schillernd bezeichnet werden kann und, im Gegensatz zu Plattformen, bislang kaum Systematisierungen von „Communitys“ existieren (siehe Dolata und Schrape 2014). Unser Plädoyer lautet, die Communitys im Kontext plattformbasierter Arbeit systematischer zu konzeptualisieren, Merkmale und Unterschiede empirisch zu erheben und auf diese Weise die Wechselwirkungen zwischen (verschiedenen) Communitys und der Arbeitspraxis zu analysieren. Von Interesse ist auch, wie Plattformen und Kunden die Communitys aktiv als Profit- oder Rationalisierungsquelle nutzen und mithilfe von Technologie „managen“, um beispielsweise Steuerungsarbeit auf die Crowd zu verlagern (Gerber 2021). Es geht auch darum, die Ideologiefunktion von Communitys zu enttarnen und zu benennen, wie Communitys (oder Diskurse in und über Communitys) Herrschaft und Ausbeutung verschleiern und damit perpetuieren. Hier wäre auch interessant, inwiefern Communitys neue Spaltungen (in Insider und Outsider) begründen, da sie beispielsweise nur einen kleinen Teil der Crowd überhaupt kommunikativ einbinden. Als Kollektive bergen Communitys die Chance auf die Entwicklung von Organisationsmacht (Schmalz und Dörre 2013): Unter welchen Bedingungen dies gelingt, wann aber die Resilienzfunktion von Communitys genau das Gegenteil bewirkt und die Tätigen dazu bringt, prekäre Arbeitsfolgen zu akzeptieren, wäre zu erforschen.

Bislang kaum beforscht sind plattforminterne (Entscheidungs‑)Prozesse, die zur Auswahl eines bestimmten Plattformdesigns führen. Wir plädieren daher für eine stärker handlungstheoretische Perspektive, die Plattformen nicht ausschließlich als zu Strukturen geronnene Kontrollsysteme, sondern in ihrer Rolle als wirtschaftliche Akteure (Unternehmen) und als Organisationen (Betrieb) begreift. Denn erst dann wird erkennbar, dass Systeme algorithmischer Steuerung permanent (weiter‑)entwickelt werden und Ergebnis von Entscheidungen, innerbetrieblichen Aushandlungen und damit auch mikropolitischen Konflikten sind (Crozier und Friedberg 1979). Ebenso gerät dann die gesellschaftliche Einbettung von Plattformen stärker in den Blick, und damit Normen und Erwartungen, die wirtschaftliches Handeln beeinflussen (Granovetter 1985).

(3) Das dritte Ergebnis unserer Studie ist schließlich eine theoretische Modellierung der Einflüsse, die auf digitale Arbeit wirken und sie strukturieren. Für das Verständnis plattformbasierter Arbeit erscheint uns ein doppelter Blick unerlässlich, der zum einen die Prägekräfte und die mit ihnen korrespondierenden Einflussfaktoren identifiziert, zum anderen aber in Rechnung stellt, dass Arbeit in einem dynamischen Kräftefeld verschiedener Institutionen und Praktiken strukturiert wird.

Als Heuristik ist das Modell, mitsamt seiner sechs Prägekräfte, die über insgesamt 14 distinkte Einflussfaktoren auf vier Dimension von Arbeit wirken, in zweifacher Hinsicht hilfreich. Erstens dekonstruiert es insbesondere die neuartigen Prägekräfte (Plattformen und Communitys), die in vorliegenden Studien zwar als zentrale Prägekräfte (oder gar Determinanten) von Arbeit identifiziert werden, aber weitestgehend eine Blackbox bleiben. Unsere Analyse erlaubt es hingegen, über die spezifischen Einflussfaktoren genauer die vielfältigen soziotechnischen Mechanismen zu benennen, die Arbeit prägen. Durch ein solches „Heranzoomen“ wird beispielsweise ersichtlich, dass Plattformen ganz verschiedene Arten von Regeln setzen, die weit über die rein technisch-automatisierte Strukturierung von Matchingprozessen hinausgehen.

Unsere Unterscheidung der Ebenen von Handlung und Strukturen scheint hier sinnvoll (Giddens 1984). Denn Plattformen prägen Arbeit über Strukturen, etwa über das Plattformdesign, über Regeln der technischen Kontrolle und Steuerung sowie über das Beschäftigungs- und Preissystem. Diese Regeln werden aber zum einen in sozialen Prozessen gestaltet (Orlikowski 1992), bevor sie auf Arbeitshandeln einwirken. Zum anderen müssen sie von Akteuren auch in einer spezifischen Weise eingesetzt werden, wobei erhebliche Entscheidungsspielräume und interpretative Offenheit bestehen (Bijker et al. 1987). Erst dieser handlungsbezogene Blick macht deutlich, dass nicht allein Strukturen Arbeit beeinflussen, sondern dass innerhalb der Strukturen verschiedene Handlungsalternativen bestehen, die von Managern (etwa bei Preissetzungen oder Konfliktschlichtungen) oder von Kunden (im Rahmen von Bewertungen, Boni oder „rejection“) im Handeln genutzt und ausgestaltet werden.

Zweitens eröffnet das Modell durch „Herauszoomen“ einen Blick auf das gesamte Feld, innerhalb dessen Arbeit strukturiert wird. Hier unterscheiden wir vier Systeme, die sich, so unsere Annahme, über das Wechselspiel verschiedener Prägekräfte konstituieren. Gerade dieses Wechselspiel macht die Besonderheiten plattformbasierter Arbeit verständlich.

Beispielsweise können wir die in der Literatur durchweg diagnostizierten negativen Folgen plattformbasierter Arbeit aus dem Wechselspiel der verschiedenen Systeme (mit ihren einzelnen Einflussfaktoren) erklären. Ein erster Aspekt ist die (für Beschäftigte und Erwerbssystem) ungünstige Ausgestaltung der relevanten rechtlichen Institutionen, denn bezüglich des „Regulierungssystems“ zeigt sich ein Regulierungsdefizit in der rechtlichen Einbettung der Plattformen, des arbeitsrechtlichen Status’ sowie der wohlfahrtsstaatlichen Absicherung der Tätigen. Im „Plattformsystem“ werden diese „Lücken“ gefüllt oder ausgenutzt: So bewirkt das Entscheidungsrecht der Eigentümer und Manager in den Plattformunternehmen, dass Regelungen und Mechanismen zugunsten der Unternehmen und Kunden ausgestaltet werden (über die technische und regelhafte Ausgestaltung der Marktplätze). Im gleichen System verortet hängt es von den Orientierungen und Praktiken der Kunden ab, ob die von den Plattformen definierten technisch-organisatorischen Regeln tatsächlich zur Ausbeutung der Tätigen genutzt werden.

Im „persönlichen System“ bedingen Abhängigkeiten, defizitäre sozialstaatliche Absicherungen und fehlende Arbeitsmarktchancen die geringe Marktmacht der Tätigen. Durch die Vereinzelung des Arbeitsprozesses sind kollektive Formen von Gegenmacht erschwert. Das „Community-System“ kann letztlich negative Wirkungen über Solidarität und kollektive Aktionen abfedern, aber auch verstärken, wenn die kulturelle Strukturierung einer Community die individuelle Identifikation der Tätigen mit „ihrem“ Job befördert. Communitys tragen dann (als unintendierter Nebeneffekt) zur ideologischen Stabilisierung des Systems plattformbasierter Arbeit bei.

Eine solche ganzheitliche Betrachtung legt Chancen für Veränderungen offen, sucht diese aber nicht nur im System (defizitärer) politischer Regulierung. Potenzielle Resilienzfaktoren liegen zweifelsohne im rechtlichen System (Arbeits- und Wettbewerbsrecht), aber eben auch im persönlichen System (Bildung von Qualifikationen, Bewältigungsstrategien, subversive Gegenwehr), im Aufbau kollektiv-verbandlicher Gegenmacht (Interessenvertretung, Arbeitskampf), in der Community (Solidarität, Kooperation) und auch in der Einflussnahme auf Strategien der Plattformen, die als sozial „eingebettete“ Organisationen (Granovetter 1985) durchaus empfindlich auf die öffentliche Meinung reagieren.

Einschränkend muss konstatiert werden, dass das entwickelte Modell nur so aussagekräftig wie die zugrundeliegende Forschung ist. Es wurde auf Basis einer Literaturauswertung entwickelt, die selbst Forschungslücken aufweist. Einerseits konnte nur ein Teil der verfügbaren Veröffentlichungen untersucht werden, etwa weil Buchpublikationen ausgeschlossen waren. Schwerer wiegt aber andererseits, dass die Heuristik auf einem Forschungsstand basiert, der als defizitär und lückenhaft einzuschätzen ist. Damit spiegelt die Heuristik nur den Teil der arbeitsweltlichen Realität wider, der bislang erforscht ist und Eingang in unser Sample gefunden hat. Sie bleibt ein Abbild der aktuellen arbeitsweltlichen Situation, die angesichts des hohen Anteils an Publikationen innerhalb der letzten fünf Jahre sowie des dynamischen Feldes tendenziell als veränderlich gelten muss. Unsere Betrachtung ist damit notwendigerweise nur eine Momentaufnahme. Eine Verifikation oder Modifikation des Modells scheint in absehbarer Zeit geboten.