1 Einleitung

Kaum ein Thema beschäftigt die soziologische Bildungsforschung so sehr wie die enge Kopplung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg, die sich nicht nur an Bildungsübergängen und bei Abschlüssen (z. B. Erikson 2019; Breen et al. 2012), sondern auch in Form von Kompetenz- und Notenunterschieden manifestiert (z. B. OECD 2019). Entsprechend umfangreich sind die Bemühungen, zugrundeliegende Mechanismen von sozialen Bildungsungleichheiten zu erklären und Möglichkeiten aufzudecken, ihnen entgegenzuwirken (im Überblick: Becker und Lauterbach 2016).

Während der Fokus vor allem auf familiären Bedingungen und schulstrukturellen Maßnahmen liegt, geraten auch Lehrkräfte vermehrt in den Fokus. Schließlich sind sie die zentralen Akteure des Bildungssystems, die für die Vermittlung von (ungleichen) Kompetenzen und die Benotung derselben hauptverantwortlich sind (Neugebauer 2019; Hanushek 2011; Kunter et al. 2013). Eine Reihe an Studien zeigt in diesem Zusammenhang, dass Lehrkräfte gegenüber Schülern aus niedrigeren Sozialschichten durchschnittlich niedrigere Leistungserwartungen hegen, die wiederum geringere Kompetenzzuwächse zur Folge haben können (Lorenz et al. 2016; Gentrup et al. 2018; Tobisch und Dresel 2017; Alvidrez und Weinstein 1999). Darüber hinaus liefern etliche Studien Hinweise für Nachteile bei der Benotung, auch unter Kontrolle von Testleistungen und weiteren Kovariaten (Helbig und Morar 2018; Becker und Beck 2012; Maaz und Nagy 2009; Arnold et al. 2007; keine Hinweise auf soziale Diskriminierung bei der Notenvergabe finden hingegen Wenz und Hoenig 2020). Kaum untersucht wurde indes die Frage, ob alle Lehrkräfte in gleicher Weise diskriminieren oder ob Lehrkräfte – womöglich in Abhängigkeit von ihrer eigenen Biografie – unterschiedlich auf sozioökonomisch benachteiligte Schüler reagieren.

Eine der prominentesten soziologischen Erklärungen für die Benachteiligung dieser Schüler liefert Bourdieus Theorie der kulturellen Reproduktion (Bourdieu und Passeron 1971). Nach Bourdieu (2018b) würden nicht alle Schüler aufgrund der kulturellen Ressourcen im Elternhaus und den daraus resultierenden Haltungen und Praktiken – dem Habitus – den Erwartungshaltungen der Schule gerecht werden können, da sie mit ihrem familiär erworbenen Habitus nicht zu der in der Schule herrschenden Kultur passen. Schulen, so Bourdieu, seien Mittelschichtsinstitutionen, die entsprechende Verhaltensweisen erwarten und prämieren. Zum einen kann ein fehlender Mittelschichtshabitus die Leistungsentwicklung behindern, weil Lehrkräfte gegenüber sozioökonomisch benachteiligten Schülern niedrigere Leistungserwartungen hegen, die sich im Stile selbsterfüllender Prophezeiungen (Merton 1948; Rosenthal und Jacobson 1968; Jussim et al. 2009) – u. a. vermittelt über weniger unterstützendes Verhalten und die Vergabe anspruchsloserer Aufgaben (Babad 1993) – negativ auf deren Kompetenzerwerb auswirken. Darüber hinaus kann ein fehlender Mittelschichtshabitus, der über Sprache, Kleidung, Verhaltensweisen oder den Besuch der Eltern am Elternabend sichtbar wird, fehlende akademische Brillanz lediglich „signalisieren“, auch wenn der tatsächliche Kompetenzerwerb nicht negativ beeinflusst wird. Diese Signalwirkung sollte sich dann unter Kontrolle der Kompetenzen in der Notenvergabe oder anderen subjektiven Leistungsbewertungen durch Lehrkräfte zeigen. Beide Mechanismen erfahren in der Literatur weitgehend empirische Bestätigung (z. B. Jæger Meier 2011; Jæger Meier und Breen 2016; DiMaggio 1982; Mikus et al. 2020).

Theoretisch wie empirisch offen ist allerdings die Frage, welche Rolle die soziale Herkunft der Lehrkräfte in diesem Zusammenhang spielt. Möglicherweise zeigen Lehrkräfte aus niedrigeren Sozialschichten aufgrund ihrer eigenen Sozialisation ein anderes Unterstützungsverhalten gegenüber Schülern aus ähnlichen sozialen Verhältnissen, mit entsprechenden Konsequenzen für die Kompetenzentwicklung dieser Schüler. Ebenso könnten diese Lehrkräfte weniger durch einen fehlenden Mittelschichtshabitus irritiert sein, was sich wiederum in einer weniger negativen Benotung widerspiegeln sollte. Dies würde voraussetzen, dass der Habitus der Lehrkräfte – trotz Studiums und akademischen Berufs – seine herkunftsspezifische Färbung behält (Bourdieu 2018a). Da theoretisch (Bourdieu 2001) und empirisch (Helsper 2019) jedoch ebenso gut von einer Veränderung des Habitus im Lebensverlauf ausgegangen werden kann, ist auch vorstellbar, dass Schüler von einer familiär ähnlich geprägten Lehrkraft kaum profitieren. Welche dieser Interpretationen von Bourdieu eher empirische Bestätigung findet, ist unklar.

Trotz der zentralen Rolle von Lehrkräften für schulisches Lernen und der Bedeutung von Bourdieus Werk für die Bildungsungleichheitsforschung erfährt die soziale Herkunft von Lehrkräften, und wie diese Schulleistung beeinflussen kann, bisher kaum Aufmerksamkeit. Die wenigen vorhandenen Studien, die wir im folgenden Abschnitt vorstellen, kommen zudem zu unklaren Befunden. Vor diesem Hintergrund geht unser Beitrag der Frage nach, ob Lehrkräfte aus niedrigen Sozialschichten soziale Bildungsungleichheiten reduzieren können. Dabei folgen wir den beiden theoretischen Mechanismen und untersuchen einerseits, ob sich die „soziale Ähnlichkeit“ von Lehrkraft und Schüler auf das Unterstützungsverhalten und in der Folge auf den Kompetenzerwerb der Schüler auswirkt. Andererseits prüfen wir den Ähnlichkeitseffekt hinsichtlich der Benotung bei gleichem Kompetenzstand. Zur Beantwortung der Fragestellung werden Längsschnittdaten von Schülern am Ende der Sekundarstufe I und ihren zugehörigen Mathematiklehrkräften der Studie PISA-I-Plus 2003, 2004 mithilfe von Propensity-Score-Matching-Analysen untersucht.

2 Theoretischer und empirischer Hintergrund

Während zum Einfluss des Geschlechts (z. B. Dee 2007; Neugebauer et al. 2011) oder der ethnischen Herkunft von Lehrpersonen (z. B. Redding 2019; Neugebauer und Klein 2016) zahlreiche empirische Untersuchungen vorliegen, wird der Einfluss der sozialen Herkunft von Lehrkräften auf die Schulleistung bisher kaum untersucht. Die Befunde der wenigen vorhandenen Studien sind außerdem nicht eindeutig. In einer Studie mit Erstklässlern aus Baltimore (N = 825) konnten Alexander et al. (1987) zeigen, dass die soziale Herkunft von Lehrkräften bei der Beurteilung von benachteiligten Schülern durchaus bedeutsam ist. Schüler ethnischer Minderheiten erzielten schlechtere Leistungen, wenn sie von Lehrkräften mit hoher sozioökonomischer Herkunft unterrichtet wurden. Für Lehrkräfte mit niedriger sozialer Herkunft zeigten sich solche Leistungsunterschiede nicht. Lehrer mit hoher sozioökonomischer Herkunft schätzten Schüler ethnischer Minderheiten außerdem als weniger reif ein, hatten niedrigere Leistungserwartungen und empfanden das Schulklima als besonders negativ. Alexander et al. (1987, S. 679) schlussfolgern, dass eher der soziale als der ethnische Hintergrund von Lehrkräften den Umgang zwischen Schülern und Lehrern beeinträchtigt. Wenngleich der soziale Hintergrund der Schüler bei diesen Prozessen nicht bedeutsam war, stellen sie die Annahme auf, dass die Passung („congruence“) zwischen Schülern und Lehrkräften eine förderliche Lernumgebung schaffen kann (Alexander et al. 1987, S. 680). Im Vergleich dazu fanden Westphal et al. (2016) für Deutschland, dass die soziale Herkunft der Lehrkraft keinen signifikanten Einfluss auf die Mathematiknoten von Viertklässlern (N = 3285) hatte. Die Ergebnisse lieferten Hinweise darauf, dass Lehrerbeurteilungen eher von der sozialen und leistungsmäßigen Klassenkomposition und weniger von den Hintergrundmerkmalen der beurteilenden Lehrkraft abhängen. Inwiefern sich ähnliche Ergebnisse für andere Schulerfolgsindikatoren als die Note finden, ist ebenso unklar wie die Frage, ob sich die Befunde auf Schüler anderer Altersklassen übertragen lassen. Weitere Studien liegen unseres Wissens nicht vor, was sicherlich auch dem Umstand geschuldet ist, dass die soziale Herkunft von Lehrern kaum erhoben wird. Zwar beschäftigen sich zahlreiche Studien mit der Frage, inwiefern Lehrkräfte in Abhängigkeit der sozialen Herkunft der Schüler unterschiedliche Erwartungshaltungen haben (Lorenz et al. 2016; Gentrup et al. 2018; Tobisch und Dresel 2017; Alvidrez und Weinstein 1999) oder bei der Notenvergabe diskriminieren (Helbig und Morar 2018; Becker und Beck 2012; Maaz und Nagy 2009; Arnold et al. 2007; für gegenteilige Befunde siehe Wenz und Hoenig 2020). Vor dem Hintergrund, dass solche Haltungen und Handlungsweisen als Ausdruck des Habitus von der sozialen Herkunft geprägt sein können (Bourdieu 2018a), ist eine gleichzeitige Berücksichtigung des sozialen Hintergrundes von Schülern und Lehrkräften allerdings notwendig.

Bourdieus (12,13,a, b; Bourdieu und Passeron 1971) Habituskonzept und seine Erklärungsansätze zur Reproduktion von Ungleichheit durch das Bildungssystem verdeutlichen, wie die soziale Herkunft von Schülern und Lehrern im Schulalltag wirksam werden kann. In seiner Theorie der kulturellen Reproduktion schildert er den nichtgelingenden Schulerfolg von Schülern aus sozial benachteiligten Familien als Passungsproblem zwischen Habitus und Schulkultur. Mit dem Konzept des Habitus beschreibt Bourdieu, wie die kulturellen Ressourcen in der Familie (Bildung, Sprache, Umgangsformen) die Einstellungen, Verhaltens- und Ausdrucksweisen einer Person prägen. Als komplexes System von Wahrnehmungs‑, Bewertungs- und Handlungsmustern äußert sich der Habitus als grundlegende Haltung zur sozialen Welt in Ansichten und Handlungen, die einem völlig selbstverständlich erscheinen. Nun ist die Schule, Bourdieu (2018b) zufolge, ein voraussetzungsvoller Ort der Mittel- und Oberschicht, an dem implizite Erwartungen darüber herrschen, welche Haltungen, Verhaltens- und Ausdrucksweisen legitim sind (vgl. Höhne 2013, S. 270). Dabei müssten Lehrkräfte mit ihren eigenen Haltungen und Handlungsweisen allerdings eine entscheidende Rolle spielen. Schließlich sind sie diejenigen, die – geprägt von ihrer eigenen Herkunft – bestimmte Haltungen und Verhaltensweisen erwarten und auf dieser Basis mit den Schülern interagieren, sie unterstützen, Wissen vermitteln und Schülerleistungen bewerten. Somit bilden sie eine entscheidende Schnittstelle zwischen Schülerhabitus und Schulkultur. Aufgrund von Bourdieus semantischer Unschärfe zur Rolle von Lehrkräften und der nicht eindeutig benannten Wirkmechanismen in der Schule lassen sich aus der Theorie drei konkurrierende Positionen ableiten, die wir im Folgenden vorstellen.

2.1 Eine ähnliche Herkunft wirkt sich positiv auf den Schulerfolg aus

Lehrkräfte könnten aufgrund ihrer eigenen Herkunft, vermittelt über ihren Habitus, die kulturelle Distanz von sozial benachteiligten Schülern zur Kultur der Schule reduzieren – mit positiven Folgen für den Schulerfolg.Footnote 1 Ausgangspunkt für den Einfluss der sozialen Herkunft von Lehrkräften stellt die Annahme dar, dass der herkunftsspezifische Habitus über die Lebensspanne stabil bleibt (Bourdieu 1979, S. 181 f., 2018a, S. 187 f.). Diese Stabilität müsste sich in herkunftsspezifischen Haltungen und Handlungsweisen von Lehrkräften äußern. Qualitative Untersuchungen zum Lehrerhabitus weisen auf ein vielfältiges Spektrum an milieuspezifischen Habitusmustern von Lehrkräften hin (Lange-Vester 2015). Zwischen Schülern und Lehrern mit ähnlichen sozialen Hintergründen könnte die geringere kulturelle Distanz zu einem „blinden Verstehen“ führen, wodurch ihre Schüler-Lehrer-Beziehung von einem gesteigerten Verständnis geprägt sein sollte (vgl. Lange-Vester und Teiwes-Kügler 2014). Dieses Verständnis könnte sich in mehr Geduld bei Schülerantworten, persönlicher Zuwendung, Lob oder anspruchsvolleren Aufgaben ausdrücken. Zudem könnten Lehrkräfte die Bedarfe von sozial ähnlichen Schülern im Unterricht besser antizipieren. Wenn sie aus eigener Erfahrung wissen, wie herausfordernd Unterricht sein kann, weil man sich nicht richtig zugehörig fühlt oder weil man die „Unterrichtssprache“ aufgrund seines Habitus nicht versteht (Bourdieu 2018b), können sie diesen Problematiken früher vorbeugen und ihr Unterrichtshandeln anpassen. So könnte sich das „blinde Verstehen“ in Form von einem an die Bedarfe der Schüler ausgerichteten sprachlichen Ausdruck während der Instruktion, in geduldigen und alltagsnäheren Erklärungen, verlängerter Lernzeit oder einem konstruktiven Umgang mit Fehlern äußern. Schüler sollten sich deshalb subjektiv stärker von Lehrkräften unterstützt fühlen, die ihnen sozial ähnlich sind. Das verstärkte Unterstützungsverhalten sollte sich in der Folge positiv auf den objektiven Kompetenzerwerb auswirken.

In Schulnoten spiegeln sich mehr als nur die gezeigten Leistungen wider (Südkamp et al. 2012), auch die Ähnlichkeit von Lehrkraft und Schülern (Rausch et al. 2016) sowie die Wahrnehmung von Verhaltensweisen, wie Stören im Unterricht (Krämer und Zimmermann 2020), fließen in die Beurteilung durch Lehrkräfte ein. Rausch et al. (2016) liefern beispielsweise Hinweise darauf, dass die Ähnlichkeit von Schülern und Lehrern im Hinblick auf Persönlichkeitsmerkmale unter Kontrolle der Testleistung Lehrerurteile beeinflusst und allgemeine Beurteilungen von ähnlichen Schülern besser ausfallen als von unähnlichen. Mit Blick auf die soziale Herkunft ist in diesem Zusammenhang vorstellbar, dass die Wahrnehmung von ähnlichen Schülern sowie ihre Leistungsbeurteilung weniger durch negative Stereotype verzerrt sind. Darüber hinaus könnten Lehrkräfte aus sozial benachteiligten Familien über eine gewisse „Habitussensibilität“ verfügen und negative Verhaltensweisen von Schülern in Benotungssituationen nicht als Ausdruck von Leistungsdefiziten interpretieren, sondern als Fremdheitserfahrung mit der Schule (Lange-Vester und Teiwes-Kügler 2014; Kramer und Helsper 2010). Es wäre also möglich, dass Schüler bei gleichem Kompetenzstand von einer sozial ähnlichen Lehrkraft häufiger positive Leistungsrückmeldungen in Form von Schulnoten erhalten.

2.2 Eine ähnliche Herkunft hat keinen Einfluss auf den Schulerfolg

Im Kontrast zu diesen Überlegungen stellt sich die Frage, ob Lehrkräfte ihren herkunftsspezifischen Habitus beibehalten oder im Laufe der Ausbildung sowie der beruflichen Tätigkeit ablegen. Wenn die soziale Herkunft für den Habitus zugunsten eines berufsspezifischen Habitus an Bedeutung verliert, sind herkunftsspezifische Unterschiede in Haltungen und Praktiken von Lehrkräften nicht zu erwarten (vgl. Westphal et al. 2016). Bourdieu selbst hat hervorgehoben, dass der Habitus zwar „dauerhaft, aber nicht unveränderlich“ sei (Bourdieu und Loic Wacquant 1996, S. 168), da er auch durch Erfahrungen aus gesellschaftlichen Auf- und Abstiegen geprägt wird (Bourdieu 1979, S. 181). Veränderungen sind somit möglich, erfordern allerdings enorme Anstrengung im Sinne einer „Gegendressur, die ähnlich dem athletischen Training wiederholte Übungen einschließt“ (Bourdieu 2001, S. 220). Qualitative Forschungen zum Lehrerhabitus gehen von mehreren Transformationen während Adoleszenz, Schulzeit, Lehramtsausbildung, Referendariat und Berufsphase aus, die schließlich in einen berufsspezifischen Habitus münden (Helsper 2019; Košinár 2019). In Übereinstimmung finden Kampa et al. (2011) auf Grundlage der Lehrerbefragung von PISA 2003 keinen systematischen Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Herkunft und berufsbezogenen Überzeugungen von Lehrkräften. Für Lehrer unterschiedlicher sozialer Herkunft waren Ordnung, Disziplin, Anstrengungsbereitschaft sowie moralische Urteilsfähigkeit und soziale Verantwortungsbereitschaft gleichermaßen bedeutsam. Ferner gibt es Hinweise darauf, dass über Milieugrenzen hinweg Lehrkräfte in ihrer Einschätzung von unteren sozialen Klassen übereinstimmen und deren Verhaltens- und sprachliche Ausdrucksweisen gleichermaßen als defizitär einschätzen (Lange-Vester 2015). Sind habituell keine Unterschiede mehr zwischen Lehrkräften mit niedriger und hoher sozialer Herkunft zu erwarten, sollten sich auch keine Unterschiede im pädagogischen Handeln oder Beurteilungsverhalten zeigen. Schüler würden dementsprechend nicht von einer sozial ähnlichen Lehrkraft profitieren, weder beim Unterstützungsverhalten noch beim Kompetenzerwerb oder der Benotung.

2.3 Eine ähnliche Herkunft wirkt sich negativ auf den Schulerfolg aus

Allerdings bauen alle Transformationen auf dem primären familiären Habitus auf; er entscheidet mit „über das, was ihn umformt“ (Bourdieu 2001, S. 191). Somit würden Lehramtsstudierende aus nichtakademischen Haushalten ihren Habitus während des Studiums in anderer Weise verändern als Studierende mit akademischem Hintergrund. Nach Bourdieu und Passeron (1971) weisen Studierende aus nichtakademischen Familien eine größere kulturelle Distanz zum Hochschulsystem auf, wodurch eine stärkere Anpassung erfolgen muss und die Orientierung im Studium sowie ein erfolgreiches Absolvieren erschwert werden. Wenn Lehrkräfte nichtakademischer Herkunft Verhaltensweisen wie Anstrengung, Disziplin und Fleiß ihren Bildungsaufstiegen verdanken, könnten sie deshalb sogar umso stärker diese Verhaltensweisen fordern (vgl. Lange-Vester und Teiwes-Kügler 2014). Sofern sie solche Anforderungen auch an Schüler aus sozial schwachen Familien stellen, könnte eine sozial ähnliche Lehrkraft diesen sogar zum Nachteil hinsichtlich der betrachteten Ergebnisvariablen (Unterstützungsverhalten, Kompetenzerwerb, Benotung) werden.

2.4 Forschungsfrage

Zusammenfassend lassen sich aus Bourdieus Theorie konkurrierende Hypothesen über den Einfluss der sozialen Herkunft von Lehrkräften auf die Schulleistung ableiten. Auf der einen Seite steht die Annahme, dass sich herkunftsspezifische Haltungs- und Handlungsmuster im Unterrichtshandeln von Lehrkräften niederschlagen, sodass sozial ähnliche Schüler mehr Unterstützung erfahren und darüber mehr lernen. Außerdem könnte die Notenvergabe von Lehrkräften aus sozial schwachen Familien gegenüber sozial benachteiligten Schülern weniger durch negative Stereotype verzerrt sein, sodass ein positiver Ähnlichkeitseffekt bei den Schulnoten erwartet werden kann. Auf der anderen Seite spricht eine Harmonisierung der Habitusmuster von Lehrkräften während des Lehramtsstudiums und im Berufsleben gegen den Einfluss sozialer Ähnlichkeit auf die Schulleistung. Schließlich finden sich sogar Argumente, die nachteilige Ähnlichkeitseffekte für Schüler aus Familien ohne akademischen Hintergrund vermuten lassen. Nachfolgend fokussiert dieser Beitrag einerseits sozioökonomisch benachteiligte Schüler, da für diese Schüler eine „passende“ Lehrkraft möglicherweise wichtiger ist, weil ihre Eltern sie bei der Kompetenzentwicklung weniger gut unterstützen können. Das Lehrerverhalten könnte für Schüler aus höheren Sozialschichten dementsprechend weniger bedeutsam sein. Andererseits kann sich eine Benachteiligung für Schüler aus niedrigen Sozialschichten auch aus der Bevorzugung von sozial privilegierten Schülern durch Lehrkräfte aus höheren Sozialschichten ergeben, weshalb eine Aussage über Effekte sozial ähnlicher Lehrkräfte für sozioökonomisch benachteiligte Schüler erst bei Betrachtung beider Herkunftsgruppen getroffen werden kann. Die zentrale Forschungsfrage lautet somit, ob sich Schüler von einer sozial ähnlichen Lehrkraft stärker unterstützt fühlen und von ihr im Hinblick auf die Kompetenzentwicklung und Schulnoten „profitieren“.

3 Methode

3.1 Datengrundlage

Die vorliegende Studie basiert auf Daten der nationalen Erweiterung der PISA-Studie 2003 um eine Längsschnittkomponente in PISA-I-Plus 2003, 2004 (Prenzel et al. 2006a).Footnote 2 Im Rahmen von PISA-I-Plus wurde schwerpunktmäßig die Entwicklung der mathematischen Kompetenz im Verlauf eines Schuljahres von Klasse 9 bis Klasse 10 anhand eines repräsentativen Samples untersucht. Das Sample beinhaltet nur diejenigen Schüler, die in die 10. Klasse übergegangen sind. Da Hauptschulen in der Regel nur die Klassenstufen 5 bis 9 umfassen, sind sie kein Bestandteil der Längsschnittstichprobe. Zusätzlich wurden die zugehörigen Mathematiklehrkräfte der untersuchten Klassen befragt und ihre soziodemografischen Merkmale erhoben. Darüber hinaus liegen Einschätzungen zur allgemeinen Schulqualität über die Schulleiterbefragung in PISA 2003 vor. Da unseres Wissens nach in Deutschland bis auf die von Westphal et al. (2016) analysierte TIMMS-Übergangsstudie kaum weitere Untersuchungen vorliegen, die die soziale Herkunft von Lehrkräften erfassen, bietet PISA-I-Plus eine der wenigen Datengrundlagen zur Beantwortung unserer Fragestellung.Footnote 3 Aufgrund des Mathematikschwerpunktes der Studie können in diesem Beitrag nur Mathematiklehrkräfte untersucht werden, wenngleich andere Domänen, wie z. B. Deutsch, ebenfalls interessante Untersuchungsbereiche darstellen, da diese womöglich in stärkerem Maße an die soziale Herkunft geknüpft sind als Mathematik. Andererseits hat Mathematik für unsere Fragestellung den Vorteil, dass es in stärkerem Maße als Lesen in der Schule erlernt wird und somit stärker vom Einfluss der Lehrkraft abhängt. Die nachfolgenden Analysen beruhen auf einem Sample, dass nur diejenigen Schüler umfasst, die anhand einer Klassen-ID eindeutig einer Mathematiklehrkraft zugeordnet werden konnten und in Klasse 9 und Klasse 10 von derselben Lehrkraft unterrichtet wurden (N = 3511). Fehlende Werte auf den verwendeten Variablen führten zum Ausschluss von N = 972 Fällen („listwise deletion“). Die Analysestichprobe besteht aus N = 2539 Schülern (55,9 % weiblich) und N = 139 Lehrkräften (49,2 % weiblich).Footnote 4 Die befragten Lehrkräfte waren im Mittel 56,5 Jahre alt (SD = 8,2) und verfügten über 20,3 Jahre Berufserfahrung (SD = 9,8).

3.2 Abhängige Variablen

In unseren Analysen konzentrieren wir uns zunächst auf den Effekt der sozialen Ähnlichkeit, auf das Unterstützungsverhalten der Lehrkräfte und auf den Kompetenzerwerb, bevor wir prüfen, ob sich Effekte hinsichtlich der Benotung und unter Kontrolle der Kompetenz zeigen.

Unterstützungsverhalten der Lehrkräfte. Schüler wurden zum ersten Messzeitpunkt in Klasse 9 gebeten, auf einer Skala von 1 („in jeder Stunde“) bis 4 („nie oder fast nie“) einzuschätzen, wie häufig es im Mathematikunterricht vorkommt, dass ihre Lehrkraft a) sich für den Lernfortschritt jedes einzelnen Schülers interessiert; b) zusätzlich unterstützt, wenn die Schüler Hilfe brauchen; c) beim Lernen unterstützt; d) etwas so lange erklärt, bis es die Schüler verstanden haben und e) den Schülern Gelegenheit gibt, ihre Meinung zu sagen. Zu diesem Zeitpunkt unterrichtete die Lehrkraft mindestens seit einem halben Schuljahr die jeweilige Klasse. Wir verwenden die in den PISA-Daten enthaltenen Weighted Likelihood Estimates (WLE) der Unterstützungsskala (Ramm et al. 2006, S. 196), die regelmäßig in den PISA-Zyklen zum Einsatz kommt und eine sehr gute Reliabilität aufweist (α = 0,85). Die Items wurden zur Bestimmung der WLE rekodiert, sodass höhere Werte einer stärkeren Unterstützung durch die Lehrkraft entsprechen (MW = 2,6, SD = 0,8).

Mathematische Kompetenz. Während Schüler das Unterstützungsverhalten unmittelbar einschätzen können, sollten sich mögliche Kompetenzeffekte erst nach einiger Zeit des Unterrichtens zeigen. Wir verwenden Kompetenzmessungen aus Klasse 10 (MW = 570,4, SD = 77,2), um sicherzustellen, dass die Schüler mindestens von Klasse 9 bis Klasse 10 von der entsprechenden Lehrkraft unterrichtet wurden. In einer weiteren Spezifikation testen wir den Ähnlichkeitseffekt auf die Kompetenzentwicklung zwischen Klasse 9 und 10 („change score“) (MW = 27,9, SD = 64,6). Wir verwenden jeweils die Kompetenzmessungen aus einem an den Lehrplänen orientierten, curricularen Test (Prenzel et al. 2006b), der in der nationalen Erweiterung PISA-I-Plus enthalten ist. Verglichen mit dem ebenfalls in den Daten enthaltenen Test zu mathematischer Grundbildung (Mathematical Literacy), der eher lebensnahes Wissen testet, welches auch außerhalb des Unterrichts erworben wird, liegen die Testinhalte des curricularen Tests stärker im Einflussbereich der jeweiligen Lehrkraft. Der Test eignet sich damit besser zur Messung von Lehrereffekten. Es wurde auf die im Datensatz enthaltenen WLE-Personenmesswerte für das Zwei-Zeitpunkte-Modell zurückgegriffen.

Note in Mathematik. Die Schüler berichteten zum zweiten Messzeitpunkt ihre Halbjahreszeugnisnote der Klasse 10. Die Noten wurden rekodiert, sodass höhere Werte besseren Leistungen entsprechen.

Um die Ergebnisinterpretation zu vereinfachen, wurden alle abhängigen Variablen z‑standardisiert.Footnote 5

3.3 Ähnlichkeit der sozialen Herkunft von Lehrkräften und Schülern

Die soziale Herkunft von Lehrkräften und Schülern wurde zunächst über die höchste EGP-Klassenposition (Erikson und Goldthorpe 1992) der jeweiligen Eltern operationalisiert, wobei zwischen Arbeiterklasse (EGP-Klassen V, VI und VII) und höherer Klassenposition (EGP-Klassen I, II, III und IV) differenziert wurde.Footnote 6 Eine „soziale Ähnlichkeit“ liegt vor, wenn sowohl Lehrkraft als auch der unterrichtete Schüler eine nach dieser Definition gleiche Klassenherkunft hatten.

In alternativen Operationalisierungen verwendeten wir den höchsten Bildungsabschluss im Elternhaus (akademischer Abschluss versus niedriger). Um darüber hinaus zu prüfen, ob Effekte nur an den Rändern der Verteilung, etwa bei traditionell besonders benachteiligten Gruppen auftreten, testeten wir zusätzlich eine Kombination von Klassenposition und Bildungsabschluss (Arbeiterklasse in Verbindung mit nichtakademischem Abschluss versus höhere Klassenposition in Verbindung mit einem akademischen Abschluss), wobei diejenigen Fälle aus dem „Mittelfeld“ ausgeschlossen wurden, die in keine der Kategorien fallen. Schließlich operationalisierten wir die Herkunft metrisch über den höchsten sozioökonomischen Status (HISEI) in den Familien; zur weiteren Absicherung unserer Ergebnisse vgl. Abschn. 3.4 unten. Da die alternativen Operationalisierungen zu den substanziell gleichen Befunden führten, berichten wir diese im Abschn. 4.2 Sensitivitätsanalysen.

3.4 Analytisches Vorgehen

Zur Beantwortung der Fragestellung wurden Schüler mit niedriger sozialer Herkunft, die von Lehrkräften mit ebenfalls niedriger sozialer Herkunft unterrichtet wurden (Treatment), mit solchen verglichen, die mit Lehrkräften aus höheren Sozialschichten (Control) konfrontiert sind. Da sich eine Benachteiligung für Schüler aus niedrigen Sozialschichten ebenfalls ergeben kann, wenn Lehrkräfte aus höheren Sozialschichten sozial privilegierte Schüler bevorzugen, führten wir die Vergleiche in einem zweiten Schritt ebenfalls für Schüler mit höherer sozialer Herkunft durch, die entweder von sozial ähnlichen oder sozial unähnlichen Lehrkräften unterrichtet wurden.

Da einfache bivariate Vergleiche auf der starken Annahme basieren, dass es keine weiteren Unterschiede zwischen Treatment und Kontrollgruppe gibt, die für das Ergebnis verantwortlich sein können, verwenden wir Propensity-Score-Matching-Verfahren (PSM), und zwar separat für Schüler mit niedriger sozialer Herkunft und für Schüler mit höherer sozialer Herkunft. Die Grundidee des PSM besteht in der statistischen Konstruktion möglichst ähnlicher Vergleichsgruppen, um sich trotz nichtexperimenteller Daten dem kausalen Effekt einer Treatmentbedingung T auf eine Ergebnisvariable Y annähern zu können (Gangl 2010; Caliendo und Kopeinig 2008). Analytisch werden in einem ersten Schritt Variablen bestimmt, die sich sowohl auf die Wahrscheinlichkeit auswirken, der Treatmentbedingung („Lehrkraft mit niedriger sozialer Herkunft“) anzugehören, als auch mit der abhängigen Variablen zusammenhängen. Diese Kontrollvariablen werden in ein Zuweisungsmodell aufgenommen, das die Wahrscheinlichkeit der Zugehörigkeit zur Treatmentbedingung T, den Propensity Score, schätzt. In einem zweiten Schritt wird mithilfe eines Matchingalgorithmus die Verteilung der Kontrollvariablen soweit statistisch ausbalanciert, dass sich Treatment- und Kontrollgruppe in den berücksichtigten Hintergrundmerkmalen nicht mehr statistisch bedeutsam voneinander unterscheiden, sondern nur noch hinsichtlich des Treatments. Unterschiede in der Ergebnisvariable, die im abschließenden Schritt ermittelt werden, entsprechen dann dem kausalen Effekt des Treatments auf Y. Im Gegensatz zur Regressionsanalyse werden beim PSM sämtliche Kovariaten ausschließlich zur Erstellung einer vergleichbaren Kontrollgruppe verwendet. Das erhöht die konzeptuelle Klarheit, zudem lassen sich Verzerrungen durch falsche Annahmen über die zugrundeliegende funktionale Form vermeiden. Ein weiterer Vorteil des PSM besteht in der Berücksichtigung des „common support“, also darin, dass lediglich tatsächlich vergleichbare Beobachtungen von Treatment- und Kontrollgruppe in die Analyse einbezogen werden.

Hinter der Spezifikation unseres Zuweisungsmodells standen folgende theoretische Überlegungen: Grundsätzlich erwarten wir keine starken Selektionsprozesse bei der Zuweisung von Lehrkräften zu Schülern hinsichtlich ihrer Herkunft. Allerdings unterrichten Lehrkräfte aus höheren Sozialschichten eher an Gymnasien (Lautenbach 2019; Neugebauer 2013). Gleichzeitig ist bekannt, dass sich ein gymnasiales Entwicklungsmilieu positiv auf die Leistungsentwicklung auswirkt (Baumert et al. 2006). Insofern ist davon auszugehen, dass Schulformeffekte mit sozialen Herkunftseffekten der Lehrkraft konfundiert sind. Negative Effekte einer Lehrkraft aus niedrigen sozialen Herkunftsgruppen und positive Effekte einer Lehrkraft mit hoher sozialer Herkunft auf die Schulleistung wären nicht die Folge ihrer Herkunft oder gelingender Passungsverhältnisse, sondern würden aus der Selbstselektion in Schulformen resultieren. Aus diesem Grund nehmen wir die Schulform ins Zuweisungsmodell auf. Darüber hinaus ist vorstellbar, dass sich sozial privilegierte Lehrkräfte systematisch häufiger „bessere“ Schulen aussuchen können (vgl. Racherbäumer et al. 2013, S. 244), etwa weil sie bessere Examensnoten erzielt haben oder in schulscharfen Einstellungsverfahren zu überzeugen wissen. Wenn sich die Schulqualität auf die Schulleistung auswirkt, könnte dies eine positive Wirkung von Lehrkräften mit niedriger sozialer Herkunft auf Schüler mit niedriger sozialer Herkunft verdecken. Empirisch berücksichtigen wir diesen Selektionsmechanismus zum einen über eine 13 Items umfassende Skala zur räumlichen und materiellen Ausstattungsqualität der Schulen aus Sicht der Lehrkräfte (z. B. „die Räume der Schule bieten eine angenehme Lernumgebung“ oder „die materielle Ausstattung ist zufriedenstellend“, α = 0,84). Zum anderen berücksichtigen wir die Sicht der Schulleitungen durch zwei Skalen zur Beeinträchtigung des Schulklimas durch Schülerverhalten (z. B. „fehlender Respekt vor den Lehrkräften“, α = 0,77) und Lehrerverhalten (z. B. „häufige Abwesenheit von Lehrkräften“, α = 0,66). Neben diesen Selektionseffekten auf Schulebene kommen auch potenzielle Zuweisungsprozesse von Lehrkräften innerhalb von Schulen zu bestimmten Klassen in Betracht. So ist denkbar, dass Lehrkräfte aus hohen sozialen Herkunftsgruppen seltener Schulklassen unterrichten, die durch geringe Leistungen und hohe Anteile an Schülern aus sozial schwachen sowie Familien mit Migrationshintergrund auffallen. Entweder, weil sich diese Lehrkräfte innerhalb von Schulen eher die „angenehmen“ Klassen aussuchen, ähnlich wie es auf Schulebene zu vermuten wäre, oder, weil die Schulleitung (bewusst oder unbewusst) Lehrkräfte aufgrund ihres sozialen Hintergrunds Schulklassen zuteilt, deren Zusammensetzung im Mittel eher der Herkunft der Lehrkraft entspricht. Mit Berücksichtigung solcher Klassenkompositionsmerkmale (mittlere kognitive Fähigkeiten, HISEI sowie Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund) ist sichergestellt, dass Lehrkräfte mit hoher sozialer Herkunft nicht die leistungsstärkeren Klassen unterrichten, für die unabhängig von der Lehrkraft stärkere Lernzuwächse zu erwarten sind (Dumont et al. 2013). Tabelle 1 gibt einen Überblick über die verwendeten Variablen.

Tab. 1 Variablenüberblick nach sozialer Herkunft der Schülerinnen und Schüler (SuS)

Bei der Ausbalancierung von Treatment- und Kontrollgruppen erwies sich ein Nearest-Neighbor-Matchingalgorithmus als tragfähigste Lösung.Footnote 7 Die Matchings führten bei allen Operationalisierungen der sozialen Herkunft zu einer hinreichenden Balancierung der Kovariaten, auch unter Hinzunahme der Mathematikkompetenz für die Berechnung des Treatmenteffekts auf die Schulnote (siehe Tab. A2–A4 im Online-Anhang). Wenngleich nicht für jede Kontrollvariable ein standardisierter Bias von max. 5 % erreicht wird (vgl. Caliendo und Kopeinig 2008), deuten die standardisierten Differenzen zwischen den Propensity Scores darauf hin, dass sich Treatment- und Kontrollgruppe im Mittel nicht voneinander unterscheiden. Sie liegen in allen Fällen unter 3 % und sind in den meisten Fällen nahe null. Darüber hinaus reduzieren sich durch das Matching der mittlere Bias sowie Pseudo‑R2 deutlich.

Um sicherzustellen, dass unsere Befunde nicht von der Wahl des methodischen Vorgehens abhängen, haben wir zusätzlich zu den Propensity-Score-Matching-Analysen lineare Mehrebenenregressionen (Schüler genestet in Schulklassen) gepoolt über alle Schüler und Lehrkräfte durchgeführt. Dies geschah für alle Ergebnisvariablen und mit den gleichen Kovariaten, die auch bei der Konstruktion der Propensity Scores verwendet wurden. Der interessierende Effekt ist dabei der Cross-Level-Interaktionsterm zwischen der Herkunft der Schüler und der Herkunft der Lehrkräfte. Wie oben beschrieben, kann ein lineares (Mehrebenen‑)Regressionsverfahren zu verzerrten Schätzungen durch Extrapolation oder falsche Annahmen über die zugrunde liegende funktionale Form führen. Allerdings lässt sich in diesem Fall die Herkunft von Schülern und Lehrkräften jeweils metrisch messen, und zwar über den höchsten sozioökonomischen Status in den Herkunftsfamilien (HISEI). Wie im Online-Anhang dargestellt, führten die Mehrebenenanalysen zu den substanziell gleichen Befunden, weshalb wir darauf im Haupttext nicht näher eingehen.

4 Ergebnisse

4.1 Effekte ähnlicher Klassenherkunft auf Unterstützungsverhalten, Kompetenz und Benotung

In Abb. 1 sind die Gruppenmittelwerte für die drei abhängigen Variablen sowie die Signifikanztests nach dem Matching von Schülern mit niedriger sozialer Herkunft und dem Matching von Schülern mit höherer sozialer Herkunft abgetragen. Im Ergebnis zeigt sich, dass sowohl Schüler aus Arbeiterfamilien als auch Schüler, deren Eltern höheren Klassen angehören, Unterschiede im Unterstützungsverhalten von Lehrkräften je nach sozialer Herkunft der Lehrer wahrnehmen. Allerdings scheinen sich Schüler der Arbeiterklassen nicht von sozial ähnlichen, sondern von Lehrkräften aus höheren sozialen Schichten besser unterstützt zu fühlen (Diff = |0,40|, SE = 0,11, t(255,7) = −3,6238, p < 0,001). Auch Schüler aus höheren sozialen Klassen fühlen sich von Lehrkräften aus höheren sozialen Schichten stärker unterstützt (Diff = |0,19|, SE = 0,05, t(1227) = −3,6918, p < 0,001). Die Differenzen weisen darauf hin, dass sich Schüler unabhängig von ihrer Herkunft von Lehrkräften aus Familien mit Arbeiterhintergrund schlechter unterstützt fühlen als von Lehrkräften höherer sozialer Herkunftsgruppen. Für die Mathematikkompetenz lassen sich nach erfolgreichen Matchings keine signifikanten Unterschiede nach sozialer Herkunft der Lehrkräfte feststellen. Weder Schüler aus Arbeiterfamilien (Diff = |0,01|, SE = 0,11, t(268) = 0,0488, p = 0,961) noch diejenigen aus Familien mit höherer sozialer Position (Diff = |0,08|, SE = 0,05, t(1238,6) = 1,5489, p = 0,122) profitieren hinsichtlich ihrer mathematischen Kompetenz von einer sozial ähnlichen Lehrkraft. Das gleiche Muster zeigt sich hinsichtlich der Benotung. Schüler aus Arbeiterklassen erhalten unter Kontrolle der Mathematikkompetenz keine signifikant besseren Noten, wenn sie von einer sozial ähnlichen Lehrerkraft unterrichtet werden und sie erfahren keine Nachteile bei einer unähnlichen Lehrkraft (Diff = |0,02|, SE = 0,11, t(248,3) = 0,1771, p = 0,860). Gleiches trifft auf Schüler aus höheren sozialen Herkunftsgruppen zu. Auch sie werden bei der Notenvergabe nicht von einer sozial ähnlichen Lehrkraft bevorteilt (Diff = |0,01|, SE = 0,05, t(1191,2) = 0,2933, p = 0,769).

Abb. 1
figure 1

Mittelwertunterschiede nach Klassenherkunft. LK Lehrkraft, SuS Schülerinnen und Schüler. Alle Variablen z‑standardisiert, Berechnung der gematchten Mittelwertunterschiede gewichtet anhand der Anzahl an Matchingpartnern, Bootstrap-Standardfehler mit 1000 Wiederholungen, Modellspezifikationen SuS aus Arbeiterfamilien: Caliper = 0,25, Ratio = 5, Modellspezifikationen SuS aus Familien höher als Arbeiterklassen: Caliper = 0,22, Ratio = 5, exaktes Matching nach Schulform, unpassende Fälle in Treatment- und Kontrollgruppe „discarded“ mit anschließender Neuschätzung, a: für die Schätzung des ATT auf die Mathenote in Kl. 10 wurde die Mathekompetenz in Kl. 10 in den Propensity Score einbezogen, die Modellspezifikationen wurden nicht verändert

4.2 Sensitivitätsanalysen

Nachfolgend wird geprüft, ob die Befunde alternativen Operationalisierungen der zentralen Variablen standhalten.

4.2.1 Bildungshintergrund statt Klassenherkunft

Für die Herausbildung eines klassenspezifischen Habitus betont Bourdieu (1983, 2018a) die Bedeutsamkeit des familiären Bildungshintergrundes, da dieser im Grunde verinnerlichtes kulturelles Kapital darstellt. Als alternativer Indikator für einen herkunftsspezifischen Habitus wird deshalb in einer ersten Sensitivitätsanalyse der höchste Bildungsabschluss im Elternhaus (akademischer Abschluss versus niedriger) verwendet. Im Gegensatz zu den bisherigen Befunden zeigt sich nach dem Matching, dass Schüler mit nichtakademischer Herkunft keinen Unterschied im Unterstützungsverhalten von Lehrern je nach Bildungsherkunft der Lehrkraft wahrnehmen (Diff = |0,01|, SE = 0,06, t(724,7) = −0,2118, p = 0,832) (siehe Abb. 2). Der nicht signifikante Punktschätzer deutet jedoch in die gleiche Richtung wie zuvor. Im Rahmen eines weiteren Matchings können für die höhere soziale Herkunftsgruppe die vorhergehenden Befunde repliziert werden. Schüler mit akademischer Herkunft fühlen sich von einer Lehrkraft mit ebenfalls akademischem Hintergrund stärker unterstützt (Diff = |0,25|, SE = 0,08, t(468,8) = −3,0068, p = 0,003). Fasst man beide Schülergruppen zusammen (nicht grafisch dargestellt), findet sich ein signifikanter Haupteffekt der Lehrkraft: Alle Schüler fühlen sich unabhängig von ihrer Herkunft weniger unterstützt von Lehrkräften aus Nichtakademikerfamilien (β = −0,18, SE = 0,04, p < 0,001). Für die leistungsbezogenen Variablen lassen sich, wie in den vorherigen Analysen auch, keine signifikanten Unterschiede in Abhängigkeit des familiären Bildungshintergrundes der Lehrkraft in der Mathematikkompetenz oder der Mathematiknote unter Kontrolle der Kompetenz feststellen.

Abb. 2
figure 2

Mittelwertunterschiede nach Bildungsherkunft. LK Lehrkraft, SuS Schülerinnen und Schüler. Alle Variablen z‑standardisiert, Berechnung der gematchten Mittelwertunterschiede gewichtet anhand der Anzahl an Matchingpartnern, Bootstrap-Standardfehler mit 1000 Wiederholungen, Modellspezifikationen SuS nichtakademisch: Caliper = 0,24, exaktes Matching nach Schulform, Modellspezifikationen SuS akademisch: Caliper = 0,13, Ratio = 5, exaktes Matching nach Schulform, unpassende Fälle in Treatment- und Kontrollgruppe „discarded“ mit anschließender Neuschätzung; a: für die Schätzung des ATT auf die Mathenote in Kl. 10 wurde die Mathekompetenz in Kl. 10 in den Propensity Score einbezogen, die Modellspezifikationen wurden für SuS nichtakademisch nicht verändert, für SuS akademisch angepasst; Modellspezifikationen SuS akademisch: Caliper = 0,15, Matchingreihenfolge „random“, exaktes Matching nach Schulform, unpassende Fälle in Treatment- und Kontrollgruppe „discarded“ mit anschließender Neuschätzung

4.2.2 Traditionell besonders benachteiligte Gruppen

Möglicherweise verschleiert die eher grobe Herkunftsmessung positive Effekte sozialer Ähnlichkeit, da sich diese nur bei traditionell besonders benachteiligten Gruppen zeigen. In Bourdieus (2018a) Theorie zum sozialen Raum sind kulturelles und ökonomisches Kapital in der sozialen Position verschränkt. In einer zusätzlichen Analyse ist deshalb der familiäre Bildungshintergrund mit der Klassenzugehörigkeit kombiniert (Arbeiterklasse in Verbindung mit nichtakademischem Abschluss versus höhere Klassenposition in Verbindung mit einem akademischen Abschluss). Es wurden diejenigen „mittleren Fälle“ ausgeschlossen, die eine niedrige Klassen-, aber hohe Bildungsherkunft haben und vice versa, sodass in das Matching n = 216 „benachteiligte“ und n = 535 „privilegierte“ Schüler eingegangen sind (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Mittelwertunterschiede nach Klassenherkunft * Bildungsherkunft (Arbeiterklasse in Verbindung mit nichtakademischem Abschluss versus höhere Klassenposition in Verbindung mit einem akademischen Abschluss). LK Lehrkraft, SuS Schülerinnen und Schüler. Alle Variablen z‑standardisiert, Berechnung der gematchten Mittelwertunterschiede gewichtet anhand der Anzahl an Matchingpartnern, Bootstrap-Standardfehler mit 1000 Wiederholungen, Modellspezifikationen SuS benachteiligt: Caliper = 0,15, Ratio = 5, Modellspezifikationen SuS privilegiert: Caliper = 0,20, exaktes Matching nach Schulform; a: für die Schätzung des ATT auf die Mathenote in Kl. 10 wurde die Mathekompetenz in Kl. 10 in den Propensity Score einbezogen, die Modellspezifikationen wurden dafür angepasst, SuS benachteiligt: Caliper = 0,19, Ratio = 5, SuS privilegiert: Caliper = 0,24, Ratio = 4, exaktes Matching nach Schulform

Die Befunde für diese Operationalisierung decken sich mit den bisherigen Ergebnissen. Es zeigen sich Effekte der sozialen Herkunft der Lehrkraft auf das wahrgenommene Unterstützungsverhalten, allerdings scheinen Lehrkräfte aus sozial benachteiligten Familien weniger gut zu unterstützen als ihre Kollegen aus privilegierten Haushalten (siehe Abb. 3). Privilegierte Schüler scheinen also auch an dieser Stelle von einer sozial ähnlichen Lehrkraft besser unterstützt zu werden (Diff = |0,38|, SE = 0,10, t(370) = −3,9693, p < 0,001), sozial benachteiligte Schüler jedoch nicht (Diff = |0,41|, SE = 0,13, t(197) = −3,0817, p = 0,002). Für die Schulleistung kann auch hier kein Einfluss des sozialen Hintergrunds der Lehrkraft auf die Mathematikkompetenz oder die Mathenote festgestellt werden.

4.2.3 Kompetenzentwicklung

Das Längsschnittdesign der vorliegenden Studie ermöglicht es, auch die Veränderung der mathematischen Fähigkeiten von Klasse 9 zu Klasse 10 abzubilden. Somit kann zusätzlich überprüft werden, ob eine Lehrkraft mit ähnlicher sozialer Herkunft einen größeren Leistungszuwachs erzeugt. Modelle zur Kompetenzentwicklung erlauben eine bessere Kontrolle der Ausgangsleistung, die sich nicht allein auf den Einfluss der beobachteten Mathematiklehrkraft zurückführen lässt. Die Ergebnisse bestätigen auch in Bezug auf den Kompetenzzuwachs innerhalb eines Schuljahres, dass die soziale Herkunft der Lehrkraft die mathematische Kompetenz nicht beeinflusst und soziale Ähnlichkeit keinen Unterschied macht (siehe Abb. 4). Alle Effekte sind kleiner als 0,15 Standardabweichungen, schwanken unsystematisch und lassen sich nicht zufallskritisch absichern.

Abb. 4
figure 4

Mittelwertunterschiede im Kompetenzzuwachs innerhalb eines Schuljahres in Mathematik. LK Lehrkraft, SuS Schülerinnen und Schüler. Alle Variablen z‑standardisiert, Berechnung der gematchten Mittelwertunterschiede gewichtet anhand der Anzahl an Matchingpartnern, Bootstrap-Standardfehler mit 1000 Wiederholungen, alle p-Werte > 0,05

5 Zusammenfassung und Diskussion

Schulen sind Bourdieu zufolge Mittelschichtsinstitutionen, an denen Lehrkräfte implizite Erwartungen darüber haben, welche Haltungen, Verhaltens- und Ausdrucksweisen legitim sind. Doch reagieren Lehrkräfte, abhängig von ihrer eigenen familiären Prägung, unterschiedlich auf sozioökonomisch benachteiligte Schüler? Trotz der zentralen Rolle von Lehrkräften für schulisches Lernen und der Bedeutung von Bourdieus Werk für die Bildungsungleichheitsforschung erfährt die soziale Herkunft von Lehrkräften und wie diese Schulleistung beeinflussen kann bisher kaum Aufmerksamkeit. Der vorliegende Beitrag ging daher der Frage nach, ob sich eine ähnliche soziale Herkunft von Lehrkraft und Schülern auf das Unterstützungsverhalten und in der Folge auf den Kompetenzerwerb der Schüler auswirkt. Zudem wurde der Ähnlichkeitseffekt hinsichtlich der Benotung bei gleichem Kompetenzstand geprüft. Theoretisch lassen sich konkurrierende Positionen zum Einfluss der Lehrerherkunft ableiten, die in diesem Beitrag einander gegenübergestellt wurden. Die Ergebnisse aus Propensity-Score-Matching-Analysen zeigen, dass Schüler bei einer sozial ähnlichen Lehrkraft weder besser lernten noch bessere Noten erzielten. Hingegen fühlten sich Schüler unabhängig von ihrer sozialen Herkunft weniger unterstützt von Lehrkräften aus Arbeiter- und Nichtakademikerfamilien. Die Ergebnisse zeigten sich robust gegenüber alternativen Messungen der sozialen Herkunft und gegenüber alternativen Modellierungen (Mehrebenenanalyse).

Empirisch stützen unsere Befunde damit die Studie von Westphal et al. (2016), die anhand einer Stichprobe von Viertklässlern ebenfalls keinen Effekt der sozialen Herkunft der Lehrkraft auf die Benotung in Mathematik finden konnten (andere Outcomes wurden nicht betrachtet). Sie widersprechen hingegen dem Befund von Alexander et al. (1987), dass eine Passung („congruence“) zwischen Schülern und Lehrkräften für benachteiligte Schüler von Vorteil sein kann. Insgesamt sprechen die Ergebnisse gegen die Vermutung, dass Lehrkräfte aus niedrigen Sozialschichten aufgrund ihres herkunftsspezifischen Habitus sozial ähnliche Schüler besser unterstützen können und weniger benachteiligen als Lehrkräfte aus höheren Sozialschichten. Als Mittel zur Reduktion sozialer Bildungsungleichheiten sind sie daher wohl nicht geeignet. Ebenso sprechen die Befunde gegen die Position, wonach sich eine ähnliche Herkunft sogar negativ auf den Schulerfolg auswirkt. Hinsichtlich der Kompetenzen und Noten stützen die Befunde eher die Position, wonach die soziale Herkunft einer Lehrkraft irrelevant ist. Eine mögliche Erklärung, die bereits im Theorieteil skizziert wurde, ist eine Habitustransformation während Lehramtsausbildung und Berufstätigkeit. Die gegenwärtige soziale Position sollte in gewissem Maße im Habitus zum Ausdruck kommen (Bourdieu 1979, 2018a), wodurch sich eine Harmonisierung der Habitusmuster von Lehrpersonen einstellen könnte. Eine weitere Erklärung setzt am selektiven Zugang zum Lehrerberuf an. Angehende Lehrkräfte ohne akademischen Hintergrund müssen sich während des Studiums dem Feld der Hochschule anpassen, um darin bestehen zu können. Gelingt dieser Prozess der Umstellung nicht, werden das erfolgreiche Absolvieren des Studiums und der Eintritt in das Berufsleben als Lehrkraft weniger wahrscheinlich. Darüber hinaus werden sich Schüler, die der Kultur der Schule besonders fremd gegenüberstehen, wohl kaum für den Lehrerberuf entscheiden, sofern sie überhaupt den Weg zur Hochschule finden (Helsper 2019). Mit Blick auf Bourdieus Mittelschichtsthese fällt ein weiterer Aspekt ins Auge: 29 % aller Lehrkräfte stammen aus Arbeiterfamilien, 65 % von ihnen stammen aus Familien ohne akademischen Abschluss (vgl. Tab. 1). Ein „Passungsproblem“ oder eine Unterrepräsentation von Lehrkräften aus niedrigeren Sozialschichten, analog zur Unterrepräsentation von Lehrkräften mit Migrationshintergrund, lässt sich demnach nicht feststellen. Zumindest mit Blick auf die Herkunft der Lehrkräfte kann nicht von einer Mittelschichtsinstitution gesprochen werden – der Lehrerberuf ist vielmehr ein sozialer Aufstiegsberuf.

Die Tatsache, dass Kompetenzerwerb und Benotung unabhängig von der familiären Prägung der Lehrkraft sind, kann im Sinne der Gleichbehandlung der Schüler durchaus als positiver Befund gewertet werden. Auf die Qualität der Lehrkraft kommt es an, nicht auf ihre Herkunft. Zur Erhöhung der Chancengleichheit erscheint es daher ratsam, alle Lehrkräfte für subtile Erwartungs- und Bewertungsverzerrungen zu sensibilisieren, anstatt traditionell benachteiligte Schüler gezielt mit „sozial passenden“ Lehrkräften zu konfrontieren.

Überraschend ist unser Befund, wonach sich Schüler unabhängig von ihrer sozialen Herkunft weniger unterstützt fühlen von Lehrkräften mit niedrigerer sozialer Herkunft. Möglicherweise haben diese Lehrkräfte ihren Bildungsaufstieg durch ein besonderes Maß an Anstrengung, Disziplin und Fleiß erreicht (vgl. Lange-Vester und Teiwes-Kügler 2014), weshalb sie diese Verhaltensweisen umso stärker von ihren Schülern einfordern, was wiederum von Schülerseite unabhängig von deren Herkunft als weniger unterstützendes Verhalten wahrgenommen wird. Dieses geringere Maß an wahrgenommener Unterstützung spiegelt sich in der Folge jedoch nicht in einem geringeren Kompetenzzuwachs wider. Womöglich würden sich solche Effekte erst langfristig zeigen, was zukünftige Forschung klären sollte. Eine weitere Erklärung für den Unterstützungseffekt, jedoch ausbleibenden Kompetenzeffekt, ließe sich auf die Erfassung des Konstrukts „Unterstützung durch die Lehrkraft“ zurückführen. Sicherlich werden hier nicht all jene Aspekte des Lehrerhandelns erfasst, die die Kompetenzentwicklung der Schüler begünstigen, wie z. B. die kognitive Aktivierung, den Umgang mit Störungen oder die diagnostische Kompetenz.

Die Diskussion verdeutlicht, dass die Rolle des Lehrerhabitus für das Lehrerhandeln bislang unzureichend untersucht ist. So ist unseres Wissens kaum erforscht, inwiefern sich die soziale Herkunft von Lehrkräften überhaupt im Klassenzimmer bemerkbar macht und ob sich Lehrkräfte tatsächlich hinsichtlich ihrer Unterrichtssprache, Erwartungshaltungen und weiterer Merkmale unterscheiden. Erst in den letzten Jahren hat sich ein systematischer Forschungsstrang zum Lehrerhabitus herausgebildet (vgl. Kramer und Pallesen 2019). Die zum Großteil qualitativen Untersuchungen liefern jedoch kein einheitliches Befundmuster. Einerseits finden sich Hinweise für ein vielfältigen Spektrum an milieuspezifischen Habitusmustern von Lehrkräften, andererseits deutet sich an, dass Lehrkräfte unabhängig von ihrer Herkunft die Kultur unterer sozialer Klassen als gleichermaßen negativ wahrnehmen (Lange-Vester 2015). Ferner könnten die Habitusmuster von Lehrkräften innerhalb der Arbeiterklasse oder mit nichtakademischen Hintergründen immer noch sehr heterogen sein, da Familien auch innerhalb dieser sozialen Gruppen über unterschiedliche kulturelle Ressourcen verfügen, sodass im Mittel kein einheitlicher Einfluss mehr beobachtet werden kann. Möglicherweise ist es manchen Lehrkräften besonders wichtig, ihre niedrige soziale Herkunft im Berufsleben hinter sich zu lassen, während andere sie umso mehr in ihre neue Position integrieren wollen.

Unsere Untersuchung ist mit einer Reihe von Einschränkungen verbunden, die bei der Einordnung der Befunde zu berücksichtigen sind. So konnten aufgrund der Datenlage nur Schüler von Klasse 9 bis 10 untersucht werden, Hauptschulen waren kein Bestandteil der Stichprobe. Die Befunde lassen sich daher nicht für andere Altersklassen oder Schulformen generalisieren. Auch ist unklar, ob sich mögliche Effekte erst nach einer längeren Expositionszeit zeigen, etwa wenn dieselbe Lehrkraft eine Klasse über einen Zeitraum von mehreren Jahren unterrichtet. Zudem konnte nur der Mathematikunterricht untersucht werden, was zwar insofern vorteilhaft ist, als dass Mathematik in höherem Maße als Lesen in der Schule erlernt wird und somit stärker vom Einfluss der Lehrkraft abhängt. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass sich soziale Passungsverhältnisse in anderen Domänen anders auswirken. Die soziale Herkunft würde nach Bourdieu in der Schule vor allem dann deutlich werden, wenn weniger „eine enge und streng kontrollierbare Kompetenz gefordert ist und mehr eine Art Vertrautheit mit Kultur und Bildung“ (Bourdieu 2018a, S. 115 f.). Dies könnte eher für das Fach Deutsch zutreffen und sich als subjektive Einschätzung der Lehrkraft in der Deutschnote niederschlagen. Eine weitere Einschränkung ist die Tatsache, dass uns keine Informationen über die Zusammensetzung des gesamten Lehrerkollegiums einer Schule zur Verfügung standen. In einer US-amerikanischen Studie konnte Banerjee (2018) zeigen, dass ethnische Minderheiten nur dann von Lehrkräften der gleichen Ethnie profitierten, wenn ihr Anteil im Lehrerkollegium größer war. Übertragen auf die soziale Herkunft wäre es folglich denkbar, dass sozial benachteiligte Schüler erst dann einen Vorteil von einer ähnlichen Lehrkraft haben, wenn die schulische Kultur mehrheitlich von Lehrkräften aus niedrigeren Sozialschichten geprägt wird. Wenn diese Lehrer an der Schule in der Minderheit sind, passen sie sich vermutlich eher an den dominierenden Habitus ihrer Kollegen an.

Dieser Beitrag setzt sich erstmals systematisch mit der sehr einflussreichen, aber an vielen Stellen unklaren theoretischen Betrachtung Bourdieus zur Bedeutung der sozialen Herkunft von Lehrkräften für schulisches Lernen auseinander. Im Zentrum des Beitrages stand der Einfluss der Lehrerherkunft auf Schülerleistungen, während die vermittelnden Mechanismen, insbesondere Verhaltensweisen im Unterricht, als Blackboxes behandelt wurden. Zukünftige Forschung sollte hier ansetzen und untersuchen, ob die soziale Herkunft von Lehrkräften ihr Unterrichtshandeln beeinflusst. Allerdings treffen dabei die Potenziale Bourdieus theoretischer Betrachtungen auf die Herausforderung ihrer empirischen Untersuchung. Die unbewussten Prozesse des Habituserwerbs zu messen, stellt empirisch eine ebenso große Schwierigkeit dar, wie die Operationalisierung der nicht eindeutig benannten Wirkungsmechanismen, über die das System Schule und die darin handelnden Lehrkräfte auf unterschiedliche Schüler reagieren.