Die Studie von Revers und Traunmüller fragt danach, ob es Belege gibt für „social pressure to conform to ‚political correctness‘ (PC) and does this restrict free discussion on university campus?“. Damit schließt die inhaltliche Ausrichtung direkt an Narrative an, die, wie beispielsweise Texte von Thilo Sarrazin (2014), „political correctness“ als eine einseitige Zensur und Einschränkung der Meinungsfreiheit darstellen (Niehr 2019). Die Basis dafür ist ein offensichtliches logisches Paradox. Während Positionen öffentlich formuliert werden, die einer sogenannten „political correctness“ widersprechen, wird gleichzeitig eine Einschränkung der Meinungsfreiheit beklagt, nach der es nicht möglich sei, solche Positionen zu äußern. Diejenigen, die sich trotzdem äußern, werden dabei als mutige Vorbilder gerahmt, als diejenigen, die sich trotz angenommener Nachteile trauen zu sprechen. Auch bei der Annahme, dass an dem Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität die Meinungsfreiheit – also ein Grundrecht – durch Studierende und Lehrende eingeschränkt wird, schwingt eine Bezugnahme auf dieses Narrativ mit. Die für die Forschung ausgewählten Fragen an die Studierenden haben den Charakter von Tabubrüchen und suggerieren, dass es mutig sei, solche der „political correctness“ widersprechenden Fragen zu stellen.
Im Ergebnis kommt der Beitrag zu dem Schluss, dass „taking offense is a common experience and that a sizable number of students are in favor of restricting free speech on university campus“. Wie wurde aber in der Studie Meinungsfreiheit überhaupt getestet und verstanden? Gefragt wurden Studierende, ob Personen an der Universität sprechen oder lehren dürfen, die der Meinung sind, „that there are biological differences in talents between men and women“, die gegen „all forms of immigration to this country“ sind, die glauben „that Islam is incompatible with the Western way of life,“ oder die denken „that homosexuality is immoral and dangerous.“ Getestet wurde damit nicht eine Einschränkung von Meinungsfreiheit im Allgemeinen. Sondern, man muss es präziser fassen, getestet wurde, ob es möglich ist, sich am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt rassistisch, antifeministisch und homophob äußern zu können, ohne Widerspruch befürchten zu müssen. Es wurde also gefragt, ob Studierende sich dafür aussprechen, dass solche Positionen nicht von anderen Studierenden oder Lehrenden geäußert werden.
Um eine Einschränkung von Meinungsfreiheit zu belegen, werden in dem Beitrag auch Erfahrungen von Studierenden angeführt, deren geäußerte Meinungen von anderen „dissmissed or criticized“ wurden. Meinungsfreiheit wird damit auch gleichgesetzt mit einem Recht darauf, dass die eigene geäußerte Position nicht von anderen kritisiert oder abgelehnt wird. Ein solches Recht ist im Kern undemokratisch und widerspricht grundsätzlich dem diskursiven Ringen um Wahrheit an Universitäten, an denen es – anders als in Talkshows – um das Argumentieren auf Grundlage von wissenschaftlichen Studien und Ansätzen geht. Wenn man sich an eine Universität begibt, sollte es eine berechtigte Erwartung sein, dass dieses Ringen um Wahrheit mit Debatten und Kritik einhergeht.
Der Beitrag von Revers und Traunmüller unterliegt einem großen Irrtum. Denn dieser geht davon aus, dass das Recht auf Meinungsfreiheit quasi grenzenlos ist und auch das Recht umfasst, andere zu diskriminieren. Das Grundgesetz steckt hier in Artikel 3 einen engeren Rahmen und verbietet solche Diskriminierungen. Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes und das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verfolgen das Ziel, Menschen zu unterstützen und zu schützen, die von solchen, auch sprachlichen Diskriminierungen betroffen sind. Viele Studierende erleiden auch an den Universitäten vielfältige Diskriminierungen, wie beispielsweise rassistische oder sexistische Abwertungen oder Benachteiligungen aufgrund der sozialen Herkunft (Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2013). Warum sollten nun die Universitäten dazu im Widerspruch ein Klima schaffen, an denen solche Diskriminierungen sagbar sind? Es bleibt vor diesem Hintergrund unklar, was eigentlich daran problematisch ist, wenn Studierende von anderen dafür „reprimanded for using the word Rasse“ werden. Warum sollte die Nutzung eines Begriffs, der, gerade weil er diskriminierend ist, aus dem Grundgesetz gestrichen werden soll, unwidersprochen bleiben und warum sollten beispielsweise homosexuelle Menschen oder Menschen mit islamischem Glauben (sprachlichen) Diskriminierungen ausgesetzt sein? Wieso sollten Studierende und Lehrende gegen das Gleichbehandlungsgesetz handeln und nicht dazu beitragen Diskriminierungen in den Universitäten aktiv zu beseitigen und zu verhindern?
Ohne Zweifel kann nicht angenommen werden, dass alle Studierenden zum Anfang ihres Studiums in der Lage sind, Diskriminierungsformen zu erkennen, ihre Wurzeln und Ausdrücke zu begreifen und das eigene, auch sprachliche Verhalten entsprechend zu reflektieren und anzupassen. Die Vermeidung von Diskriminierungen ist auch ein Teil des Lernprozesses im Rahmen von sozialwissenschaftlichen Studiengängen. Die Studierenden und Lehrenden an der Goethe-Universität sind dafür zu beglückwünschen, dass sie diese Lernprozesse forcieren und zwar auch, indem sie versuchen, solche diskriminierenden Äußerungen diskursiv und in Debatten zu kritisieren und zu vermeiden. Sie genau dafür zu kritisieren und ihnen für dieses Ringen eine Einschränkung der Meinungsfreiheit vorzuwerfen, ist der eigentliche Skandal.
Auch für die Forschung gilt, dass die eigene Positionalität der Forschenden offengelegt und produktiv für die Forschung genutzt werden muss. Der Impuls, der bei der Betrachtung von Elektronen erfolgt und keine exakte Bestimmung ihrer Lage ermöglicht, führte in der Physik zur Entwicklung neuer Atommodelle. In der Soziologie ist es die Positionalität der Forschenden, die eine solche Unschärfe produzieren und deren Reflektion bessere Einsichten in gesellschaftliche Zusammenhänge ermöglichen können.