1 Einleitung

Nicht erst seit der Ankündigung des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg, mit Libra eine digitale Währung zu etablieren, überbieten sich die Medien mit Erklärungen, Verheißungen und Sorgen hinsichtlich einer neuen, ominösen Technologie: Blockchain. Die wohl bekannteste Anwendung von Blockchain ist Bitcoin, die erste digitale Währung (Kryptowährung), mit der in einem weltweiten dezentralen Zahlungssystem Transaktionen abgewickelt werden können. Erfunden wurde diese Technologie im Jahr 2008. Eine Person oder Gruppe mit dem Pseudonym Satoshi Nakamoto hatte das Ziel, eine Währung zu entwickeln, die rein auf einer Peer-to-Peer-Basis, also ohne Banken, funktioniert und damit dem Einfluss des Staats entzogen ist. Eine Eigenschaft, die insbesondere auf dem Höhepunkt der Finanzkrise von 2007/08 und angesichts der folgenden tiefgreifenden staatlichen Eingriffe in den Finanzsektor besonders attraktiv erschien.

Bald schon stellte sich jedoch heraus, dass die Anwendungsmöglichkeiten von Blockchain weit über digitale Währungen hinausgehen, was eine ganze Reihe kommerzieller Akteure, zunächst Start-ups, aber auch Banken und traditionelle Computerfirmen (allen voran IBM) motivierte, sich an der Weiterentwicklung von Blockchain zu beteiligen. Blockchain ist im Wesentlichen ein dezentral gespeichertes digitales Protokoll, das alle Transaktionen erfasst. Dieses Protokoll ist für jeden einsehbar und zeichnet sich durch die technologische Unmöglichkeit aus, einmal getätigte Buchungen im Nachhinein unbemerkt zu manipulieren. Blockchain ermöglicht damit eine neue Form der Buchführung, bei der alle Konten und Transaktionen transparent sind, abgebildet in einem Journal, das dezentral gespeichert ist. Dadurch verspricht Blockchain, die bisher zur Validierung von Transaktionen notwendigen (Macht‑)Instanzen, wie Staaten, aber auch Banken oder Kreditkartenfirmen, auszuschalten. Transaktionen aller Art, vom Zahlungsverkehr bis hin zur vertraglichen Festlegung von Eigentumstiteln, sollen nun auf Peer-to-Peer-Basis stattfinden und müssen nicht mehr durch eine dritte Instanz verifiziert werden.

Ob Blockchain jedoch tatsächlich, wie die Utopien der Blockchain-Apologeten anklingen lassen, alle Intermediäre überflüssig machen und durch dezentral organisierte Peer-to-Peer-Netzwerke ersetzen kann, ist eine offene Frage. Diese Frage ist nicht nur von spekulativem Interesse, sondern soziologisch oder politökonomisch in höchstem Maße relevant, da ihre Beantwortung an die Grundfesten der kapitalistischen Gesellschaftsordnung rührt, denn kapitalistische Wirtschaftssysteme sind auf zentralisierte Austauschsysteme mit dominierenden Akteuren, etwa Zentralbanken, angewiesen. Die Bedeutung zentralisierter Austauschsysteme für kapitalistische Gesellschaften hängt mit dem Wesen des Geldes zusammen. So hat Geld in kapitalistischen Gesellschaften immer eine doppelte Natur. Neben der Funktion als Medium, das den Tausch effizienter macht und die Aufbewahrung und den Vergleich abstrakter Werte ermöglicht, nimmt es eine zweite Gestalt an: Es wird von Banken produziertes Kreditgeld und ist damit eine soziale Technologie (Ingham 2004). Das Funktionieren dieser Technologie ist auf Institutionen angewiesen, die ihre Stabilität und Konvertierbarkeit sowohl zeitlich als auch räumlich glaubhaft versichern können. In diesem Sinne werde ich der Annahme der Blockchain-Apologeten widersprechen, die derzeitige zentralisierte Struktur des Finanzsystems sei allein der technologischen Unmöglichkeit geschuldet, große Peer-to-Peer-Netzwerke aufzubauen und zu unterhalten.

Um die Behauptung, Blockchain mache Banken überflüssig, nicht nur technologisch, sondern auch soziologisch oder politökonomisch nachzuvollziehen und zu prüfen, werde ich im ersten Teil dieses Artikels herausarbeiten, in welcher Weise die Erzeugung von Kreditgeld auf zentralisierte Intermediäre angewiesen ist. In kapitalistischen Ökonomien sind diese zentralisierten Intermediäre in der Regel ein nationalstaatlicher Nexus aus einer Zentralbank und individuellen Geschäftsbanken, die mehr oder weniger verlässlich in der Lage sind, Vertrauen in die zeitliche und räumliche Stabilität des Geldes zu erzeugen.

Im zweiten Teil werde ich auf dieser theoretischen Grundlage das Veränderungspotenzial von Blockchain beurteilen. Um der Komplexität des Gegenstandes Rechnung zu tragen, habe ich mich für ein triangulatives Verfahren entschieden. Meine empirische Forschung umfasst: (1) die inhaltsanalytische Auswertung einschlägiger Blog- und Foreneinträge oder Publikationen in der traditionellen Wirtschaftspresse, (2) qualitative Interviews mit Experten und (3) die teilnehmende Beobachtung von Veranstaltungen der Blockchain-Szene.

Diese einzelnen empirischen Befunde habe ich versucht zu systematisieren, um die Entwicklung von Blockchain einordnen zu können. Aufgrund der Aktualität der technologischen Entwicklung von blockchainbasierten Innovationen im Finanzsystem kann meine Forschung nichts anderes sein als eine erste explorative Analyse. Das Ziel dieses Vorgehens ist also weniger Generalisierbarkeit als vielmehr der Versuch, eine aktuelle Entwicklung mit Methoden der empirischen Sozialforschung möglichst systematisch abzubilden und auf der Grundlage politökonomischer Theoriebindung zu analysieren.

Abschließen werde ich diesen Artikel mit der These, dass es bei der Digitalisierung von Finanzdienstleistungen nur untergeordnet um Technologie oder Innovation geht. Vielmehr geht es darum, dass neue Akteure, allen voran große Technologiefirmen wie Facebook, Google und Amazon, Macht über Zahlungsströme oder Geld gewinnen wollen.

2 Kreditgeld und die Bedeutung zentralisierter Intermediäre

Einführungen zum Thema Geld, seien sie nun volkswirtschaftlich oder wirtschaftssoziologisch, bestehen meist aus Katalogen, in denen die Funktionen des Geldes beschrieben werden. Trotz einiger Variationen werden Geld im Wesentlichen drei Funktionen zugeschrieben. Die wohl im Alltagsbewusstsein am stärksten verankerte ist die Funktion als Tauschmittel. So wird durch die Einigung auf ein leicht zu transferierendes Medium der Austausch von Waren und Dienstleistungen effizienter, was die für moderne Gesellschaften essenzielle Arbeitsteilung ermöglicht. Auch die zweite Funktion von Geld als Wertaufbewahrung erschließt sich unmittelbar. Georg Simmel betont jedoch, dass Geld nicht einfach Wert konserviert, sondern die Ansammlung abstrakter Werte ermöglicht und damit die für die Moderne konstitutive Individualisierung vorantreibt (Simmel 1900). Die dritte für moderne Gesellschaften unentbehrliche Funktion von Geld ist die des Wertmaßes oder als Recheneinheit. Erst durch Geld als Wertmaßstab werden die in einer Volkswirtschaft gehandelten Waren und Dienstleistungen in eine Beziehung gesetzt und somit vergleichbar. Nur auf dieser Grundlage ist der Vergleich von Werten möglich, wodurch rationales, an einem abstrakten Kosten-Nutzen-Kalkül orientiertes Handeln möglich wird. Mit der doppelten Buchführung wird diese Funktion des Geldes perfektioniert (Vormbusch 2012).

Die Reduktion des Geldes auf diese Funktionen impliziert, dass die sozialwissenschaftliche Theoriebildung Geld neben der Funktion als Medium, das Werte abbildet und transferiert, keine Bedeutung beimisst. Am dezidiertesten tut dies die Neoklassik, die Geld als Einflussgröße auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung gänzlich verbannt hat (Smithin 2003). Diese Einschätzung hat die Soziologie (kommunikationstheoretisch gerahmt) seit Parsons im Wesentlichen übernommen (Deutschmann 2000). Zwar gab es aus der STSFootnote 1-informierten angloamerikanischen Wirtschaftssoziologie einige Erweiterungen, die herausgearbeitet haben, dass Geld keineswegs bloß ein form- und farbloses, jederzeit leicht zu transferierendes Medium ist, sondern tief in kulturelle Praktiken eingebettet ist (Dodd 2014; Zelizer 1997). Doch schenken auch diese Ansätze der politökonomischen Dimension des Geldes nur unzureichend Beachtung.

Parallel zur weitgehenden Vernachlässigung von Geld als wesentlicher politökonomischer Einflussgröße im soziologischen und volkswirtschaftlichen Mainstream gibt es eine bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreichende Auseinandersetzung über der Natur des Geldes.Footnote 2 Neben der hier nur kursorisch dargestellten Warentheorie des Geldes, in der Geld primär im Hinblick auf seine Eintauschbarkeit thematisiert wird, gibt es ein zweites theoretisches Konzept. In dieser vielfach als Kredittheorie bezeichneten Perspektive wird der Ursprung des Geldes in der Bezifferung von abstrakten Werten (Schulden) ausgemacht. Einer der bedeutendsten aktuellen Vertreter dieser Richtung ist der sich in die Tradition Schumpeters stellende Soziologe Geoffrey Ingham. Dieser betont, dass Geld neben den unzweifelhaft für moderne Gesellschaften nützlichen Funktionen (als Tauschmedium, Wertaufbewahrung und Recheneinheit) eine weitere Dimension hat: Es wird zu von Banken produziertem Kreditgeld und drückt damit ein gesellschaftliches Verhältnis aus. Den Ursprung des modernen Geldes verortet Ingham (2004) in der Vereinigung von zwei zuvor getrennten Formen des Geldes: dem alltäglichen Zahlungsmittel (Währung) und den von den Banken ausgegebenen Schuldscheinen. Historisch verortet Ingham diesen Prozess im England des 17. Jahrhunderts. Durch die stabile Machtbalance zwischen dem Königshaus und der aufstrebenden Bürgerschicht erkennen beide Seiten, dass sie von einer Allianz profitieren könnten. Während sich der Staat durch die Ausstellung staatlicher Schuldscheine einen steten Zugriff auf frisches Geld sichert, gewinnen die besitzenden Klassen regelmäßige Einkünfte durch Zinsen und profitieren von „Rückzahlungen“ der abgeführten Steuern und Abgaben durch den Aufbau und die stete Unterhaltung einer verlässlichen Infrastruktur. Ergebnis war die bereits angesprochene Fusion aus staatlicher Währung und den von privaten Banken vergebenen Krediten (Ingham 2008, 2004).

Aus dieser Vereinigung ging die entscheidende Vorbedingung für den Aufstieg des Kapitalismus hervor: ein Finanzsektor, der die Schöpfung von Kreditgeld durch Banken ermöglicht, welches dann zu Kaufkraft für die emporkommenden Unternehmen wurde (Schumpeter 2006). Geld entsteht im Kapitalismus also durch die Vergabe von Krediten durch Banken und hat damit keinen intrinsischen Wert, sondern ist im Kern eine Vertrauensbeziehung, deren Grundlage die Glaubwürdigkeit des Zahlungsversprechens ist (Beckert 2018, S. 174). Um dieses fragile Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, braucht es – so die These dieses Artikels – zentralisierte Intermediäre, die die Wertstabilität und Konvertierbarkeit des Geldes glaubwürdig inszenieren können. In der Moderne sind das nicht mehr Kaufmannsdynastien wie die Medici oder die Fugger, sondern ein staatlich regulierter Nexus aus privaten Banken und der nationalstaatlichen Zentralbank. Die nationalstaatliche Rechtsordnung gibt dabei Regeln für die private wie die öffentliche Geldschöpfung vor und stellt zudem den staatlichen Machtapparat bereit, um Kreditverträge durchzusetzen.

Mit dem Begriff der fiktionalen Erwartungen beziehe ich mich auf ein Konzept von Jens Beckert (2018), der einen Vorschlag macht, wie die Analyse der Interaktion auf der Mikroebene mit der kapitalistischen Dynamik in Verbindung gebracht werden kann. Dieser theoretische Zuschnitt ist im Hinblick auf mein Erkenntnisinteresse besonders reizvoll, da durch diese Perspektive verstanden werden kann, wie voraussetzungsreich die Institution Geld ist, denn für deren Funktionieren müssen die Akteure dauerhaft an sich wertlose Güter so behandeln, als seien sie wertvoll. Anders gesagt geht es darum, Vertrauensbeziehungen aufzubauen und zu unterhalten, die stark genug sind, damit Menschen dauerhaft bunt bedrucktes Papier oder Zahlen auf einem Computer-Bildschirm gegen wertvolle Dinge wie Arbeitszeit, Lebensmittel etc. tauschen. Der Begriff der fiktionalen Erwartung unterstreicht, dass das Vertrauen in Geld erst durch das komplexe Zusammenspiel der institutionellen Regeln und Prozesse der Geldstabilität in einer Ökonomie mit den diskursiven Prozessen, in denen diese interpretiert werden, entsteht.

Die Erzeugung des Vertrauens in einen stabilen Geldwert hat dabei mindestens zwei Ebenen: eine zeitliche und eine räumliche. Ich will sicher sein, dass ich mein heute hart verdientes Stück Papier auch morgen noch gegen tatsächlich wertvolle Dinge eintauschen kann. Und ich will mich darauf verlassen, dass ich auch noch 200 km entfernt die gewünschten Güter oder Dienstleistungen im Tausch gegen mein farbiges Papier oder meine Plastikkarte erhalte. Mit der ersten Dimension – dem Vertrauen in den zukünftigen Wert des Gelds – hat sich traditionell insbesondere die Volkswirtschaftslehre beschäftigt. Zudem bietet die Wirtschaftssoziologie Heuristiken an, mit denen der komplexe Prozess der Ausweitung des Vertrauens in Zahlungsversprechen besser verstanden werden kann (Beckert 2018; Dodd 2014; Ganßmann 2013; Carruthers und Babb 1996; Mirowski 1991). Die zweite Dimension dagegen, die Erzeugung der Fiktion der räumlichen Stabilität des Geldes hat bisher mit Blick auf die Etablierung nationaler Währungen fast ausschließlich die Wirtschaftsgeschichte untersucht. Mit dem Ziel, die Bedeutung zentralisierter Intermediäre für Finanzsysteme in kapitalistischen Ökonomien herauszuarbeiten, werde ich in den folgenden beiden Punkten die Erkenntnisse dieser Ansätze zusammenzuführen, um dann auf deren politökonomische Bedeutung einzugehen.

2.1 Die Fiktion der zeitlichen Stabilität des Geldes

Fragen nach der zeitlichen Stabilität des Geldwerts fallen traditionell in den Aufgabenbereich der Ökonomik. Dabei wird das Problem der monetären Stabilität üblicherweise wie folgt beschrieben: Nationalstaaten haben einen beständigen Anreiz, die Geldmenge durch die Aufnahme von Schulden zu erhöhen, wodurch sich langfristig das Preisniveau erhöht, d. h. die Inflation ansteigt und so potenziell das Vertrauen in die eigene Währung sinkt. Um diesem Dilemma zu entkommen, so zumindest die Lehrmeinung der Monetaristen, ist es das oberste Ziel, das Preisniveau dauerhaft stabil zu halten. Dies wird in der Regel dadurch versucht, dass Institutionen geschaffen werden, die in der Lage sind, die zirkulierende Geldmenge strikt an die gesamtwirtschaftliche Entwicklung anzupassen. Doch wodurch wird die zirkulierende Geldmenge beeinflusst? In ökonomischen Lehrbüchern wird üblicherweise davon ausgegangen, dass die Geldmenge von den Zentralbanken vorgegeben wird. Ihren Ursprung hat diese Überzeugung in der sogenannten Theorie des Geldmultiplikators.Footnote 3 In diesem Modell wird davon ausgegangen, dass die im Umlauf befindliche Geldmenge durch die von der Zentralbank ausgegebene Geldmenge bestimmt wird. Präziser ausgedrückt, das Modell nimmt an, dass sich aus der Zentralbankgeldmenge ein fester Multiplikator errechnen lässt, mit dem bestimmt werden kann, wie viel Geld die Geschäftsbanken ausgeben können.

Es gibt jedoch gewichtige Einwände gegen die These, die Geldmenge könne von der Zentralbank gesteuert werden. Diese kommen insbesondere von den Vertretern heterodoxer Theorien. Vor allem kritisieren die Theoretiker des Postkeynesianismus, die Neoklassik verkenne die Bedeutung der Geldschöpfung der Geschäftsbanken als wesentlichen Einflussfaktor auf die zirkulierende Geldmenge. In dieser Perspektive sind Banken keineswegs bloße „Vermittlungsinstitutionen“, die gegen eine Gebühr Geld zwischen denjenigen, die zu viel davon haben (Sparern), und denjenigen, die zu wenig davon haben (Kreditnehmern), vermitteln (Sahr 2017; Pettifor 2017). Während die Neoklassik unterstellt, dass die Geschäftsbanken nur Kredite vergeben, wenn sie bereits die entsprechenden Reserven bei der Zentralbank halten, kommen heterodoxe Ökonomen zur entgegensetzten Einschätzung. Sie argumentieren, dass die Nachfrage nach Krediten oder die (Risiko‑)Einschätzung der Banken die Höhe der ausgegebenen Kredite und damit die Geldmenge bestimme. In der Folge entstehe durch die Kreditvergabe der Geschäftsbanken erst die Nachfrage nach Zentralbankgeld. In diesem Sinne ist die Entscheidung der Banken, Kredite zu vergeben, unabhängig von den Zentralbanken, sie richtet sich lediglich nach dem Risikokalkül der jeweiligen Banken (Werner 2014).

Der in der Volkswirtschaftslehre unterstellte Problemzuschnitt erklärt, warum sich die Ökonomik, wenn sie sich mit Geld beschäftigt, vor allem auf die Geldmenge oder die Institutionen, die diese regulieren, blickt. Aus soziologischer Perspektive lässt sich dagegen einwenden, dass monetäre Stabilität keineswegs nur als Ergebnis der zirkulierenden Geldmenge begriffen werden kann. Vielmehr ist das Vertrauen in die Institution Geld das Ergebnis eines politökonomischen diskursiven Prozesses, auf den die Geldmenge, das Vertrauen in die Interpretation der Verfahren, mit denen diese gemessen wird, sowie die Bewertung der Macht der monetären Institutionen Einfluss haben (Beckert 2018, S. 178). Das Vertrauen in den zukünftigen Wert des Geldes ist demnach ein komplexer Vorgang, der performative und politökomische Aspekte hat. Entscheidend ist dabei nicht nur, durch welche formellen Regeln die Erzeugung von Kreditgeld reguliert ist (etwa Mindestreservesätze, Eigenkapital- oder Sicherheitsanforderungen), sondern auch die Stabilität der Beziehungen der Marktakteure untereinander sowie die rhetorischen Strategien, die Finanzmarktakteure (insbesondere die der Vertreter von Zentralbanken) wählen, um ihre Einschätzung der aktuellen wirtschaftlichen Lage zu kommunizieren. So gab es beispielsweise in den letzten Jahrzehnten verstärkt Forschung zur Frage, wie Zentralbankmitarbeiter durch gezielte Narrative versuchen, das Vertrauen in die Stabilität des Geldes zu festigen (Holmes 2013; Abolafia 2010).

Im vorigen Abschnitt haben wir gesehen, dass die Erzeugung von Kreditgeld durch einen staatlich regulierten Nexus aus privaten Banken und der nationalstaatlichen Zentralbank geregelt ist. Der Dreh- und Angelpunkt dieses institutionellen Gefüges ist die politische oder regulatorische Ausgestaltung der Möglichkeit zur Beschaffung von Liquidität (Mehrling 2010). Geschäftsbanken schaffen Geld, indem sie Kredite vergeben. Allerdings müssen Kredite, zumindest sobald diese an andere Banken transferiert werden, ggf. durch (neu erschaffene) Verbindlichkeiten abgesichert werden. So können Banken zwar zunächst unbegrenzt Geld durch Kreditvergabe erschaffen (Buchgeld), sobald jedoch das durch diese Kredite erschaffene Geld an andere Finanzinstitutionen transferiert wird – und das ist in aller Regel sehr bald nach der Vergabe eines Kredites der Fall –, müssen zum Zeitpunkt der Abwicklung Reserven erworben worden sein. Dies geschieht in Nichtkrisenzeiten in aller Regel nicht durch direkte Interaktionen mit der Zentralbank, sondern durch Transaktionen auf dem Interbankenmarkt. Hat beispielsweise eine Bank am Abend zu wenig Reserven, wird sie sich von einer Bank oder einem anderen Finanzinstitut kurzfristig Liquidität besorgen, indem sie auf dem Interbankenmarkt die durch Sicherheiten hinterlegten Versprechen, zu einem späteren Zeitpunkt zu zahlen, in Liquidität verwandelt.

Die politische oder regulatorische Ausgestaltung der Möglichkeiten zur Beschaffung von Liquidität ist einem starken historischen Wandel unterworfen (Tooze 2018). Darüber hinaus spielt jedoch ein weiterer Aspekt eine wichtige Rolle. Die Stabilität eines Finanzsystems basiert auch auf den langfristigen Beziehungen zwischen einzelnen Banken, die so kurzfristig Liquiditätsschocks ausgleichen können. Stabilität wird also nicht nur durch formelle Gesetze erzeugt, sondern auch durch die (vertrauensgesättigte) Weise, in der Akteure die institutionellen Settings ausfüllen. Wie stark Entscheidungen einzelner Banken bei kurzfristigen Zahlungsengpässen durch wechselseitiges Vertrauen charakterisiert sind, zeigt die Studie von Afonso et al. (2014). Die drei Autoren kommen in ihrer Untersuchung des US-amerikanischen InterbankenmarktsFootnote 4 zum überraschenden Ergebnis, dass die überwiegende Mehrheit dieser Transaktionen innerhalb weniger (konzentrierter) Beziehungen abgewickelt wird. In andern Worten: Banken leihen (und verleihen) immer an dieselben Banken Geld, das schlägt sich auch in besseren Preisen (Zinssätzen) nieder, d. h. Banken gewähren ihren privilegierten Partnern in den meisten Fällen sehr viel bessere Zinssätze.

Die Bedeutung zentralisierter Intermediäre ist damit wohl verdeutlicht: Das Bankensystem mit Zentralbanken als letztendlichen Garantiegebern schöpft das für kapitalistische Ökonomien notwendige Kreditgeld und ist gleichzeitig in der Lage, die fiktionale Erwartung von dessen zeitlicher Stabilität aufrechtzuerhalten. Dabei ist das Zusammenspiel von privaten Banken und staatlichen Akteuren entscheidend, denn durch die Beobachtung, wie viel Vertrauen die jeweils andere Seite in einzelne Märkte hat, kommt es zu einer Bewältigung von Risiko (Baecker 2008, S. 77). Trotz der starken Verschränkung des privaten und öffentlichen Sektors bleibt die Garantie eines zeitlich stabilen Geldwerts in kapitalistischen Ökonomien risikoreich, denn als letztendlicher Garantiegeber ist der Nationalstaat uneingeschränkt haftbar, falls das Versprechen des zukünftigen Wertes des Geldes brüchig wird.

2.2 Die räumliche Fiktion der Stabilität des Geldes

Die zweite, weit weniger beachtete, Dimension des Vertrauens in Geld ist die räumliche oder infrastrukturelle. Also das Vertrauen darauf, dass ich auch ein paar Hundert Kilometer weiter noch mit „demselben Geld“ oder derselben Transfertechnologie (etwa Kreditkarten oder Girokonten) bezahlen kann, oder darauf, dass das von mir eingezahlte Geld den gewünschten Empfänger erreicht. Während sich geschichtswissenschaftliche Arbeiten mit den Schwierigkeiten auseinandersetzen, die sich bei der Etablierung nationaler Währungen stellten (Tilly 1989; Garbade und Silber 1979), haben wirtschaftswissenschaftliche, aber auch soziologische Arbeiten dieses Problem bisher nur unzureichend zur Kenntnis genommen. So wird in den meisten sozialwissenschaftlichen Arbeiten schlicht davon ausgegangen, dass sich durch die Verankerung der Währung als gesetzliches Zahlungsmittel das Problem nicht stellt.

Allerdings unterschätzt diese globale Annahme, wie stark die räumliche Stabilität des Geldes von Intermediären abhängt, die in der Lage sind, die entsprechende technologische Infrastruktur aufzubauen, zu unterhalten und Alternativen möglichst im Keim zu ersticken oder in das bestehende System zu integrieren. Ein Grund für die Vernachlässigung der infrastrukturellen Komponente mag das folgende Paradoxon sein: Die Grundlage für (perfekte) Märkte ist eine Infrastruktur, die möglichst friktionslose, also kosten- und risikofreie, Transaktionen ermöglicht. Märkte als eine der grundlegenden Institutionen des Kapitalismus funktionieren also gerade deshalb, weil fragmentierte Akteure aufeinandertreffen, um in einen Wettbewerb zu treten. Allerdings basieren diese Begegnungen auf einer (Finanz‑)Infrastruktur, die möglichst friktionslos, d. h. zentralisiert sein muss (Krarup 2019).

In besonderer Weise eklatant wird das Problem einer fehlenden oder mangelhaften Finanzinfrastruktur einerseits in einigen Ländern des globalen Südens (Demirgüç-Kunt et al. 2017), andererseits im Hinblick auf die Globalisierung der (Finanz‑)Märkte (Krarup 2019; Panourgias 2015). Diese eigentlich sehr unterschiedlichen Probleme haben eine entscheidende Gemeinsamkeit: In beiden Fällen existiert kein Intermediär, der mächtig genug wäre, um die entsprechende Infrastruktur bereitzustellen. Während in vielen Nationalstaaten der historisch gewachsene Nexus aus Zentralbanken einerseits und Geschäftsbanken anderseits in enger Kooperation fähig ist, eine verlässliche Finanzinfrastruktur zu unterhalten, gibt es bei Transaktionen, die über die Grenzen eines Währungsraumes hinausgehen, sowie in Ländern mit instabilen politischen Verhältnissen vielfach Probleme, eine solche Infrastruktur bereitzustellen. Doch worin genau besteht die Herausforderung beim Aufbau und Unterhalt einer verlässlichen Finanzinfrastruktur? Grundlegend geht es darum, die wechselseitigen Forderungen abzuwickeln. Üblicherweise werden hierzu sogenannte Clearing-Stellen eingesetzt. In diesen Zentralstellen werden die wechselseitigen Forderungen gegeneinander gerechnet, und am Ende eines Tages werden dann nur die Differenzen gutgeschrieben oder abgezogen (Schierenbeck et al. 1994, S. 165). Der Vorteil solcher Clearing-Stellen ist, dass nicht jedes Mal erneut die Transaktionspartner individuelle Konditionen aushandeln müssen, wodurch Transaktionen reibungsloser funktionieren. Die Clearing-Häuser treten dann als zentraler Kontrahent auf und übernehmen im Konkursfall Garantien, weswegen sie hohe Verpflichtungen von ihren Mitgliedern verlangen, meist in Form von Reserven. Darüber hinaus unterwerfen sich die Mitglieder den jeweiligen Bestimmungen des Clearing-Hauses. Damit minimieren die Clearing-Stellen nicht nur das individuelle Risiko der Mitglieder, sie reduzieren auch das systemische Risiko des gesamten Finanzsektors, indem sie die individuellen Kreditrisiken homogenisieren, da sie für etwaige Verluste gemeinschaftlich aufkommen (Kress 2011). Die ersten Clearing-Stellen entstanden im Großbritannien des 18. Jahrhunderts (Millo et al. 2005). Hier begannen einige Banken, miteinander zu kooperieren und Forderungen anderer Banken zu akzeptieren, allerdings waren diese Vorläufer der heutigen Clearing-Stellen regional eng begrenzt (Norman et al. 2014). Aktuelle Varianten von Clearing-Häusern sind typischerweise für ganze Währungsräume zuständig und schließen staatliche Akteure ein.

Die Probleme, die sich typischerweise bei der Etablierung und Unterhaltung einer verlässlichen Finanzinfrastruktur stellen, gleichen, abstrakt formuliert, denjenigen Schwierigkeiten, die sich allgemein bei der Bereitstellung öffentlicher Güter stellen. Also einerseits suboptimale Anreizstrukturen, wodurch systematisch eine Unterversorgung im Falle der privaten Bereitstellung eines öffentlichen Guts entsteht (Atkinson und Stiglitz 2015), andererseits das Auftreten starker Netzwerkeffekte (Katz und Shapiro 1994). Konkret besteht die Herausforderung beim Aufbau von Clearing-Stellen darin, dass sich die beteiligten Akteure auf ein von allen akzeptiertes Buchhaltungssystem einigen müssen, mit dem die Forderungen – üblicherweise jeweils am Ende eines Tages – ausgeglichen werden können. Darüber hinaus müssen die beteiligten Akteure gemeinschaftlich die technologische Infrastruktur bereitstellen, die zu einem solch komplexen Vorgang in der Lage ist. Dabei findet die Abwicklung von wechselseitigen Forderungen an unterschiedlichen, teils konkurrierenden Stellen statt. Grundsätzlich können drei Typen unterschieden werden: erstens Clearing-Stellen, in denen der Zahlungsverkehr abgewickelt wird, also Zahlungen mit Kreditkarte oder Überweisungen; zweitens Clearing-Stellen, in denen Banken ihre wechselseitigen Forderungen ausgleichen; und drittens Clearing-Stellen, in denen Wertpapiere wie Aktien aber auch Zentralbankreserven abgewickelt werden.

Traditionell wurden die Schwierigkeiten der Etablierung und Unterhaltung einer verlässlichen Finanzinfrastruktur durch die enge Zusammenarbeit von privaten und staatlichen Akteuren, staatliche Investition in den Aufbau der Infrastruktur sowie die Überwachung der Infrastruktur durch die Zentralbank gelöst (Allen et al. 2006). Die staatliche Aktivität im Hinblick auf Clearing-Stellen bedeutet jedoch nicht, dass alle Clearing-Häuser als öffentliche Organisationen betrieben werden, vielmehr gab es im Zuge der neoliberalen Umstrukturierung in den 1990er-Jahren vermehrt Bestrebungen, die von den Zentralbanken betriebenen Clearing-Stellen zu privatisieren (Krarup 2019). Trotzdem ist es wichtig, zu betonen, dass Clearing-Häuser gerade deshalb in der Lage sind, eine räumliche Stabilität des Geldes zu erzeugen, da sie nicht isoliert agieren, sondern Teil des historisch gewachsenen Nexus aus Zentralbank und Geschäftsbanken sind. Das bedeutet, dass die Garantien der Clearing-Häuser durch die Nationalstaaten ergänzt werden und dass der Nationalstaat oder die Zentralbank Kontrolle über die beteiligen privaten Akteure verspricht (z. B. Bankenaufsicht).

Ich habe versucht herauszuarbeiten, dass die Stabilität des Finanzsystems nicht nur eine zeitliche Komponente (also die Regulation der Erzeugung von Kreditgeld) hat, sondern dass von der Finanzinfrastruktur ebenfalls ein systematisches Risiko für den Finanzsektor ausgeht. Insbesondere in Zeiten, in denen digitale Währungen (Brunton 2019) auf dem Vormarsch sind und FinTechsFootnote 5 versuchen, alternative Bezahlsysteme zu etablieren (z. B. Apple Pay, TransferWise) (Brandl und Hornuf 2020), scheint dies eine zentrale Erkenntnis zu sein.

3 Das Versprechen von Blockchain: die Ausschaltung der Intermediäre

In den letzten Abschnitten habe ich skizziert, inwiefern kapitalistische Ökonomien auf zentralisierte Austauschsysteme mit dominanten Intermediären angewiesen sind. Genau diese Intermediäre soll die Blockchain-Technologie, folgt man ihren Apologeten, überflüssig machen. Aber wie realistisch ist dieses Versprechen mit Blick auf den Finanzsektor? Die Beantwortung dieser Frage ist naturgemäß diffizil, da hier nicht nur über eine ungewisse Zukunft spekuliert werden muss, sondern auch handfeste ökonomische Interessen involviert sind, weswegen Interviewpartner vorsichtig mit ihren Aussagen sein müssen. Erschwerend kommt die Schnelligkeit der technologischen Entwicklung hinzu, die zu einem Mangel an (sozial‑)wissenschaftlichen Studien führt, die aktuelle Neuerungen der Technologie in den Blick nehmen. So wurde in der sozialwissenschaftlichen Forschung die Blockchain-Technologie bisher meist allgemein, etwa im Hinblick auf die potenzielle Ersetzung von Institutionen durch Technologie (Greenfield 2017) oder auf die die Ermöglichung neuer Formen der Governance (Filippi und Wright 2018) thematisiert. Darüber hinaus gibt es in der Wirtschaftssoziologie eine Auseinandersetzung mit Kryptowährungen (Dodd 2017). Meines Wissens ist die hier vorliegende Auseinandersetzung allerdings der erste Versuch, die Bedeutung von Blockchain für die globale Finanzinfrastruktur zu verstehen.

Um den genannten Hürden zu begegnen, habe ich mich für ein exploratives Vorgehen entschieden. Die Schwächen dieses Vorgehens liegen auf der Hand. In diesem Sinne erhebt meine Studie weder den Anspruch auf Vollständigkeit noch auf den systematischen Ausschluss von verzerrenden Annahmen. Dennoch hoffe ich, durch dieses Vorgehen in einen Bereich vorzudringen, der ansonsten der soziologischen Forschung verborgen wäre.

Meine empirische Forschung umfasst: (1) die Analyse der aktuellen Entwicklung der Blockchain-Technologie in der Finanzbranche anhand der traditionellen Wirtschaftspresse,Footnote 6 einschlägiger Blogs und Foren,Footnote 7 der Veröffentlichungen von Blockchain-Start-upsFootnote 8 und der Berichte von Banken, die ich seit etwa Anfang 2016 verfolgt habe; (2) neun, von Mai bis Juli 2018 geführte, qualitative explorative Interviews mit AkteurenFootnote 9 aus dem Finanzsektor, die sich mit der Implementierung von Blockchain beschäftigen; und (3) die teilnehmende Beobachtung an Veranstaltungen der Blockchain-Szene.Footnote 10

Die Kontakte zu den Experten knüpfte ich einerseits auf den erwähnten Konferenzen, anderseits im Rahmen meiner virtuellen Teilnahme an einschlägigen Foren, in denen sich die Akteure über die technologische Entwicklung von Blockchain und deren Regulierung auf dem Laufenden halten. Aufgrund der Brisanz der Informationen konnte ich die telefonisch geführten Interviews nicht aufzeichnen und fertigte deshalb im Anschluss an jedes Gespräch ein Gedächtnisprotokoll an. Die teilnehmende Beobachtung der aufgelisteten Konferenzen ermöglichte es mir, einen Eindruck davon zu bekommen, welche Themen im Feld als zentral wahrgenommen wurden, und Fragen an die vortragenden Experten zu stellen. Es ist wichtig anzumerken, dass ich die einzelnen empirischen „Erhebungen“ nicht unabhängig voneinander durchführt habe, sondern dass sich die unterschiedlichen empirischen Zugänge wechselseitig ergänzten. Konkret bedeutet dies beispielweise, dass ich die einzelnen Interviews anhand des genannten Materials vor- und nachbereitet habe, um schrittweise das beforschte Feld besser zu verstehen.

In den nächsten Absätzen werde ich zunächst einen knappen Überblick über blockchainbasierte Innovationen im Finanzsektor geben. In einem zweiten Schritt beziehe ich die theoretischen Überlegungen dann auf diese Entwicklungen.

Die Entstehung von Blockchain oder der Versuch, diese Technologie kommerziell nutzbar zu machen, fällt in eine Periode, in der der Finanzsektor wie andere Branchen einem Digitalisierungsschub unterworfen ist. Üblicherweise wird unter Finanzinnovationen die Etablierung von institutionellen Strukturen verstanden (Merton 1992). Dadurch wird jedoch leicht die Tatsache übersehen, dass Finanzinnovationen spätestens seit den 1960er-Jahren immer auch eine technologische Komponente hatten. So sind etwa die Ausgaben von Banken – sowie insgesamt innerhalb des Finanzsektors – für IT traditionell sehr hoch. Bereits 1979 gab der Finanzsektor, verglichen mit anderen Branchen, anteilig am meisten Geld für IT aus: 32 % aller Ausgaben – ein Wert, der bis 1992 auf 37,8 % anstieg. In den vergangenen Jahren sank der Anteil auf etwa 18 % (Scott et al. 2017). Dieser Rückgang kann u. a. damit erklärt werden, dass die Finanzindustrie die erste Branche war, die Computer in ihre Arbeitsprozesse integrierte. In der Folge mussten die IT-Systeme nicht mehr aufgebaut, sondern nur noch unterhalten werden. Diese erste Welle der Digitalisierung begann in den späten 1950er-Jahren und erreichte ihren Höhepunkt in den 1980er-Jahren (Franke 1987). Die heute verwendete IT-Infrastruktur des Finanzsystems, etwa die Zahlungsabwicklung zwischen Banken („interbank settlement“), geht auf diese Zeit zurück, was viele Probleme mit der aktuellen IT-Infrastruktur des Finanzsektors erklärt. Die aktuelle Welle der Digitalisierung erhöht die Bedeutung der Technologie für Finanzinnovationen weiter. Korrespondierend dazu steigen die Risiken, die durch die Technologie erzeugt werden. Ein Symptom davon ist, dass einerseits die Nachfrage nach Angestellten für einfache Tätigkeiten stark rückläufig ist, während z. B. Spezialisten für IT-Sicherheit händeringend gesucht werden (Burkert 2019).

3.1 Blockchain, die Grundlagen der Innovation

Ganz grundsätzlich ist Blockchain eine dezentral gesicherte Datenbank oder Protokollform. Ein dezentral gespeichertes Buch, in dem alle Transaktionen abgebildet werden. Technologisch basiert dieses Verfahren auf der sogenannten kryptografischen Verkettung.Footnote 11 Die Funktion der Blockchain ähnelt der des Journals in der doppelten Buchführung, eines Buchs, in dem alle Transaktionen, chronologisch geordnet, aufgelistet werden. Das technologische Problem, das durch Blockchain gelöst wird, ist das sogenannte „double spending“, also die Herausforderung, ein System zu etablieren, mit dem sichergestellt wird, dass jede Währungseinheit nur einmal ausgegeben werden kann (Filippi und Wright 2018). Dieses Problem tritt in allen digitalen Zahlungssystemen auf, da hier keine materielle Basis (wie etwa Metallmünzen) vorhanden ist und die Repräsentanten eines Wertes beliebig oft erzeugt und weitergegeben werden können. In allen derzeit gebräuchlichen Systemen wird dieses Problem durch zentralisierte Clearing-StellenFootnote 12 gelöst, die exklusiv befugt sind, die Zahlungsströme abzuwickeln. Die Notwendigkeit, ein zentrales Buch zu führen und für dessen Richtigkeit zu garantieren, bedarf der Herausbildung einzelner mächtiger Akteure. Mit Blockchain ergibt sich nun die Möglichkeit, Systeme zu etablieren und zu unterhalten, in denen alle Besitzstände und Interaktionen in einem dezentral verwalteten Netzwerk gespeichert sind, weswegen Blockchain auch als „distributed ledger technology“ bezeichnet wird. Blockchain unterscheidet sich damit von der herkömmlichen doppelten Buchführung in zwei Punkten: erstens in der Speicherung des „Buches“ auf allen Rechnern der an der Blockchain beteiligten Personen, zweitens in der technischen Unmöglichkeit, dieses einmal erzeugte Protokoll im Nachhinein zu verändern. Das Ergebnis ist ein dezentral gespeichertes Protokoll, das von allen eingesehen werden kann. Die technologische Unmöglichkeit, Informationen nachträglich unbemerkt zu manipulieren, so das Versprechen, macht Vertrauen in eine Institution (Bank, Staat etc.) überflüssig. Diesem Versprechen über das revolutionäre Potenzial von Blockchain, das aus der Anfangszeit der Technologie stammt, muss aus heutiger Perspektive allerdings entgegengesetzt werden, dass kommerzielle Akteure die im Entstehen begriffene Technologie bereits für ihre Zwecke umgestalten.

Die Grundlage jeder Blockchain ist der sogenannte Konsens, also jenes technologische Verfahren, mit dem entschieden wird, ob ein weiter Block angehängt wird, d. h. eine weitere Transaktion in der Blockchain validiert wird. Das populärste Verfahren ist Proof-of-Work,Footnote 13 das u. a. in der Bitcoin-Blockchain verwendet wird. Nachteile dieses Verfahrens sind erstens die geringe Skalierbarkeit (zu wenig mögliche Transaktionen pro Sekunde) und zweitens der exorbitante Energieaufwand. Um diese Schwächen der ersten Generation von Blockchain-Varianten auszugleichen, wurden vor allem von kommerziellen AkteurenFootnote 14 eine Gruppe von Konsensusverfahren (Proof-of-Authority) entwickelt, die die genannten Probleme lösen, jedoch meist auf Kosten der ursprünglichen Blockchain-Utopie. So können an Blockchains, die auf einem Proof-of-Authority-Konsensus basieren, nicht alle Akteure partizipieren, sondern nur diejenigen, die von einer zentralen Stelle eingeladen werden. Die Mitglieder vertrauen also gerade nicht der Technologie, sondern haben untereinander rechtlich bindende Verträge, die im Schadensfall greifen (Voshmgir 2019, S. 74). In diesem Sinne ist es wichtig zu betonen, dass es unterschiedliche Arten von Blockchain oder „distributed ledger technologies“ gibt. So können u. a. die folgenden Unterscheidungen getroffen werden:

  1. 1.

    Es gibt öffentliche und private Blockchains.Footnote 15 Während die Partizipation an öffentlichen Blockchains, wie etwa der Bitcoin-Blockchain, jedem offensteht, gibt es Unternehmen oder Konsortien, die ihren Mitgliedern den Zugang zu ihren Blockchains exklusiv anbieten. So basiert beispielsweise Libra auf einer privaten Blockchain, die allerdings, so das Versprechen, später in eine öffentliche Blockchain umgewandelt werden soll.Footnote 16

  2. 2.

    Blockchains unterscheiden sich hinsichtlich der Möglichkeit, die Identität ihrer Nutzer preiszugeben. Während die meisten öffentlichen Blockchains ihren Nutzern Pseudonymität zusichern, gibt es Anstrengungen, Blockchains zu entwickeln, die die Identifikation einzelner Nutzer gezielt ermöglichen, um kommerziell attraktiver zu sein. Ein Beispiel dafür ist das Projekt der ehemaligen JP-Morgan-Managerin Blythe Masters. Das Ziel ihres Start-ups Digital Asset Holdings ist es, Blockchain-Lösungen für die veraltete IT-Architektur des Finanzsektors anzubieten. Die in der Blockchain getätigten Transaktionen von Banken sollen hier jedoch identifizierbar bleiben.Footnote 17

  3. 3.

    Es gibt Bestrebungen, Blockchains zu erschaffen, die im Nachhinein umgeschrieben werden können. Ein Beispiel dafür ist Ripple, ein kalifornisches Start-up, das an einem Peer-to-Peer-Zahlungsnetzwerk oder einem Devisenmarkt arbeitet. Auch Digital Asset Holdings arbeitet an Blockchains, die im Nachhinein korrigiert werden können. Allerdings argumentieren einige Experten, dass „distributed ledger technologies“, die nachträglich verändert werden können, keine echten Blockchains seien, da diese Möglichkeit die spezifischen Vorteile von Blockchain korrumpiere. Aus diesem Grund wird auch Ripple vielfach nicht als echte Blockchain bezeichnet.

Durch die Umgestaltung der Blockchain-Technologie von kommerziellen Akteuren bilden sich sukzessive neue Formen der Anwendung von Blockchain heraus. Sehr gut lässt sich der Wandel von Blockchain an der sich aktuell herausbildenden Vielfalt der sogenannten Token ablesen. Generell werden alle durch Blockchains erzeugten Werte als Token bezeichnet. Um die neue entstehende Technologie regulatorisch greifbar zu machen, kategorisieren die meisten mit der Regulation von Blockchain befassten AkteureFootnote 18 Token wie folgt:Footnote 19 (1) Currency Token, also die Nutzung, der von der Blockchain erzeugten Werte als alternatives Zahlungsmittel wie etwa bei Bitcoin und andern Kryptowährungen; (2) Wertpapier(Security)-Token, bei denen angestrebt wird, dass sie ähnlich wie herkömmliche Wertpapiere ihren Inhabern mitgliedschaftliche Rechte oder schuldrechtliche Ansprüche zusichern; und (3) Utilty Token, die als digitale Gutscheine verstanden werden können und ihren Besitzern den Zugang zu digitalen Netzwerken oder den Erwerb einer Dienstleistung (z. B. das Herunterladen einer App) ermöglichen.

Im Gegensatz zu den Currency Token, die überwiegend dezentral erzeugt wurden (z. B. als Belohnung für die Bereitstellung von Rechenleistung wie bei der Bitcoin-Blockchain), werden Wertpapier-, aber auch Utility Token, zentral erzeugt, d. h. nach vom Projektinitiator festgelegten Regeln verteilt (Hahn und Wons 2018). Eine Variante ist die Emission von Token durch Blockchain-Start-ups. Diese Token versprechen dann, so etwas wie funktionale Äquivalente von Aktien zu sein, die allerdings ohne Banken und Börsen als handelnde oder herausgebende Institute auskommen.Footnote 20 Allerdings sprechen sich viele InteressengruppenFootnote 21 dafür aus, Security Token als WertpapiereFootnote 22 zu behandeln.

Die unterschiedlichen Eigenschaften von Blockchain spiegeln sich auch in den sich verändernden Arten der Anwendung von Blockchain wider. War die erste und wahrscheinliche bekannteste Anwendung von Blockchain die Erzeugung von sogenannten Kryptowährungen wie etwa Bitcoin oder Etherum, arbeiten aktuell Banken und Technologieunternehmen an weiteren Arten der Blockchain-Technologie. Während die Erfinder der Bitcoin-Blockchain die Intention hatten, ein Zahlungssystem zu erschaffen, das anonyme Zahlungsvorgänge ermöglicht, um eine Währung zu schaffen, die dem Staat entzogen ist, zeigt sich, dass die neueren Varianten der Blockchain anderen Zielen verpflichtet sind.

3.2 Anwendungsmöglichkeiten von Blockchain im Finanzsektor

Die bereits erwähnten Kryptowährungen sind alternative Bezahlsysteme und zugleich neue Formen der Wertaufbewahrung. Im Gegensatz zu herkömmlichen Währungen basieren Kryptowährungen ausschließlich auf Peer-to-Peer-Interaktionen. Das Fehlen einer zentralisierten (Staats‑)Gewalt impliziert auch, dass keine Garantien für die Stabilität der Währung gegeben werden können. So ist die vorhandene Geldmenge von Kryptowährungen durch die Technologie oder durch das jeweilige Protokoll bestimmt, nicht durch (geld‑)politische Maßnahmen. Zudem hängt die Akzeptanz von Kryptowährungen allein von der individuellen Entscheidung des Verkaufenden und des Kaufenden ab. Während herkömmliche Währungen zu gesetzlichen Zahlungsmitteln werden und deshalb – sofern grundlegende Voraussetzungen erfüllt werden – im jeweiligen Währungsraum akzeptiert werden müssen, kann ein Verkäufer eigenständig entscheiden, ob er Bitcoin oder eine andere Kryptowährung akzeptiert. Die gesetzliche Bindung einer Währung an einen geografischen Raum hat zur Folge, dass Zahlungen, die innerhalb des jeweiligen Währungsraums abgewickelt werden, relativ unproblematisch funktionieren, während Zahlungen zwischen unterschiedlichen Währungsräumen mit viel Aufwand verbunden und deshalb unverhältnismäßig teuer sind. Die Hoffnung, die mit dezentralen Systemen verbunden ist, besteht darin, ein tatsächlich globales Zahlungssystem zu etablieren, das mit sehr viel weniger Gebühren und Verzögerungen auskommt als aktuelle Varianten. Insbesondere für die Etablierung von funktionierenden Zahlungssystemen in Entwicklungsländern, aber auch für die Abwicklung der mit sehr hohen Gebühren belasteten Transfers von in Industrieländern beschäftigten Migranten an ihre Familien in ihren Herkunftsländern scheinen auf Blockchain basierende Systeme eine ideale Lösung zu sein. Bisher hat sich diese Hoffnung allerdings nicht bestätigt. Die existierenden Kryptowährungen dienen im Wesentlichen als Spekulationsobjekte sowie aufgrund der in den meisten Blockchains garantierten Pseudonymität als Zahlungsmittel für illegale Geschäfte, etwa den Erwerb von Waffen oder Drogen im Internet (Bank for International Settlements BIS 2018, S. 106 ff.). Allerdings lassen sich aktuell Bemühungen erkennen, Blockchains zu kreieren, die sogenannte Stable Token erzeugen. Stable Token sind auf unterschiedliche Weise an andere Werte wie WährungenFootnote 23 oder Rohstoffe gekoppelt oder werden künstlich durch entsprechende Algorithmen begrenzt (Voshmgir 2019, S. 176 ff.).

Eine weitere Anwendungsmöglichkeit von Blockchain ähnelt diesen Kryptowährungen insofern, als auch hier nach effizienteren Lösungen für die digitale Abwicklung von Finanztransaktionen gesucht wird. Allerdings geht es dabei nicht um die Erschaffung neuer Währungen, sondern um die effizientere Abwicklung der Transaktionen mit bereits existierenden Währungen. So versuchen Bankenkonsortien oder von Banken und Softwarefirmen unterstützte Start-ups, blockchainbasierte Lösungen für die WertpapierabwicklungFootnote 24 und den internationalen HandelFootnote 25 aufzubauen. Ziel ist es, in beiden Bereichen blockchainbasierte Alternativen zur derzeitigen Finanzinfrastruktur zu etablieren, mithilfe deren die Abwicklung der Zahlungsströme effektiver gestaltet werden kann, da zahllose Intermediäre wie etwa Clearing-Stellen überflüssig werden. Treibende Kräfte in diesem Prozess sind einerseits große internationale Banken, die sich zu Konsortien zusammengeschlossen haben, andererseits Technologiefirmen wie etwa IBM, die die Technologieführerschaft im Bereich Blockchain anstreben. Die meisten in diesen Bereichen entwickelten Lösungen sind private Blockchains, sodass die Partizipation an der Blockchain durch einzelne mächtige Akteure begrenzt werden kann. Zugleich sind bisher alle diese Blockchains Open Source, d. h. der Quellcode ist offen einsehbar. Obgleich fast alle großen Banken Mitglied eines oder meist mehrerer Konsortien sind, gibt es bislang keine Bestrebungen, blockchainbasierte Projekte zu etablieren, die tatsächlich in der Wertpapierabwicklung Anwendung finden könnten. Derzeit geht es den beteiligten Banken mutmaßlich darum, sicherzustellen, dass sie an einer etwaigen blockchainbasierten IT-Lösung im Finanzsektor möglichst frühzeitig beteiligt sind. Im Bereich der Plattformen, auf denen internationale Handelsgeschäfte abgewickelt werden, ist man schon weiter. Hier gibt es bereits erste kommerziell erfolgreiche Anwendungsfälle von Blockchain, etwa we.trade. Diese Handelsplattformen ermöglichen eine effizientere Abwicklung des internationalen Handelsverkehrs, indem sie durch Smart Contracts die sofortige Zahlung nach Erhalt der Ware garantieren und damit die Risiken des internationalen Handels (beispielsweise das Gegenparteiausfallsrisiko) minimieren.

4 Die Unvereinbarkeit von Blockchain und Kreditgeld

Dass die aktuellen Varianten von Kryptowährungen kein Kreditgeld sind, liegt auf der Hand. So steht hinter keiner existierenden Kryptowährung ein Ausgeber mit einem demokratisch legitimierten Mandat, der verspricht, die Währung stabil zu halten und durch entsprechende Gesetze dieser Währung einen Vorrang gegenüber alternativen Währungen zu geben und durchzusetzen. Wie verhält es sich aber mit dem allgemeinen Versprechen der Blockchain-Apologeten, alle Intermediäre des Finanzsystems überflüssig zu machen und durch Systeme zu ersetzen, die rein auf Peer-to-Peer-Interaktion basieren? Zunächst lässt sich an der euphorischen Vorstellung, die von Blockchain-Apologeten unterschiedlicher SchattierungenFootnote 26 farbenprächtig ausgemalt und von technophilen SozialwissenschaftlerinnenFootnote 27 weitergesponnen wird, aus techniksoziologischer Perspektive, die bereits viele Versprechen neuer Technologien demaskiert hat, auch bei Blockchain Skepsis anmelden. So haben wir gesehen, dass es nur sehr wenige kommerzielle Projekte gibt, in denen Blockchain oder „distributed ledger technologies“ tatsächlich Anwendung finden. Das liegt einerseits an technologischen Problemen wie der Skalierbarkeit oder dem hohen Bedarf an Elektrizität aktueller Blockchain-Varianten. In der Frage, ob oder in welcher Zeitspanne diese Probleme zu beheben wären, sind sich die Akteure naturgemäß uneinig. Neben der Frage der technologischen Machbarkeit ist andererseits zudem entscheidend, dass die Technologie selbst derzeit einem fundamentalen Wandel unterzogen wird. Die treibenden Kräfte hierbei sind Unternehmen, allen voran Banken – und eben nicht mehr autonome Kollektive mit libertären Utopien. Entsprechend ignorieren die aktuellen Varianten von Blockchain vielfach die initiale Intention der Erfinder, indem sie den Zugang zu den jeweiligen Blockchains beschränken, die Identität der Nutzer offenlegen oder eine nachträgliche Korrektur der Einträge ermöglichen. Das Ergebnis dieses Prozesses ist eine Technologie, die Intermediäre effizienter macht, statt sie auszuschalten.

Doch auch grundsätzlich scheint das Versprechen, alle zentralisierten Intermediäre im Finanzsektor durch eine Technologie zu ersetzen, die rein auf Peer-to-Peer-Interaktionen basiert, fragwürdig. So haben wir gesehen, dass kapitalistische Ökonomien fundamental auf Intermediäre angewiesen sind, die Vertrauen in die zeitliche sowie die räumliche Stabilität des Geldwerts erzeugen können. Durch diese Intermediäre gelingt die Erzeugung von Kreditgeld. Zahlungsversprechen repräsentieren in dieser Perspektive nicht mehr nur ein individuelles Schuldverhältnis zwischen einzelnen Akteuren, sondern werden zu einem Versprechen, für das das gesamte System haftet. Dieser Vorgang ist eingewoben in die Institutionen des Nationalstaats, zunehmend auch in supranationale Institutionen. Der Nationalstaat übernimmt fortan nicht nur materielle Garantien, sondern stellt durch seinen juristischen Apparat die nötige Infrastruktur der Erzeugung von Kredit bereit. Dass Finanztransaktionen in großem Stil nicht über Peer-to-Peer-Netzwerke abgewickelt werden, sondern zentralisierter Intermediäre bedürfen, ist in dieser Perspektive nicht dem bloßen Fehlen einer geeigneten Technologie geschuldet, sondern tief verwoben mit der Struktur kapitalistischer Gesellschaften. Die entscheidende Frage ist also nicht, ob Blockchain Intermediäre ersetzt, sondern welche Intermediäre in der Lage sind, sich durchzusetzen.

5 Nicht Innovation, sondern Macht über Geld

In den letzten Abschnitten haben wir gesehen, dass die mit Blockchain verbundene Utopie unvereinbar mit den grundlegenden Mechanismen kapitalistischer Gesellschaften ist. Zudem ist deutlich geworden, dass Blockchain jenseits von Kryptowährungen und einigen Testprojekten derzeit nicht kommerziell genutzt wird. Und auch wenn es in Zukunft zur Nutzung von Blockchain im Finanzsystem kommen sollte, werden diese Blockchains wohl nur wenig mit dem gemein haben, was dem anarchistischen Akteur oder Kollektiv Satoshi Nakamoto vorschwebte. Was also soll der ganze Hype um eine Technologie, die sich entweder als untauglich erweisen oder nur in einer Variante Anwendung finden wird, die jeglichen revolutionären Potenzials beraubt ist?

Die Überzeugung, dass Innovationen im Finanzsektor nur untergeordnet auf technologischer Überlegenheit basieren, ist nicht neu. So schlägt etwa Dan Awrey (2013) vor, Innovationen im Finanzsektor vorwiegend als Reaktionen auf Gesetzgebung zu verstehen. Dieser Überlegung geben viele historische Studien recht. Mehrling (2010) zeigt, dass die in der Finanzkrise in Verruf gekommenen SwapsFootnote 28 ihren Ursprung im Versuch der Banken hatten, die rigiden Regelungen des Bretton-Woods-Abkommens zu umgehen. Auch der aktuelle Trend der Entstehung von FinTechs, die konkurrierend mit traditionellen Banken Finanzdienstleistungen anbieten, kann nur unzureichend durch die Technologie selbst erklärt werden (Brandl und Hornuf 2020). Während in anderen Branchen (beispielsweise der Biotechnologie) Wandel durch wissenschaftliche oder technologische Durchbrüche ausgelöst wurde, basiert der Erfolg der FinTechs gerade nicht auf überlegener Technologie, sondern auf anderen Faktoren, beispielsweise erfolgreichem Marketing. Wenn es also bei der Digitalisierung des Finanzsektors nur untergeordnet um Technologie geht, worum geht es dann?

Ein Teil der Antwort ist sicherlich: Es geht nur vordergründig um Innovation, eigentlich geht es um die Kontrolle des Geldes. Oder um es in den theoretischen Begriffen dieses Artikels zu auszudrücken: Es geht darum, wer in Zukunft als Intermediär die fiktionale Erwartung an einen stabilen Geldwert erzeugen kann. War dies über Jahrhunderte das Monopol eines nationalstaatlich regulierten Nexus aus Zentralbank und Geschäftsbanken, versuchen nun neue Player, Kontrolle zu übernehmen (Westermaier 2020). Das Potenzial, Banken tatsächlich überflüssig zu machen, haben demnach nicht Blockchain oder die mit vielerlei Erwartungen begleiteten FinTechs, sondern die großen Technologiefirmen. Denn Firmen wie Facebook, Google und Amazon bringen drei Voraussetzungen mit, die es ihnen ermöglichen könnten, ein friktionsloses globales Finanzsystem aufzubauen: eine riesige globale Kundenbasis, Zugriff auf deren persönliche Daten sowie ein breites, auch den Handel einschließendes Geschäftsmodell (Bank for International Settlements BIS 2019, S. 55 ff.).

Allerdings geht es den neuen Akteuren gerade nicht darum, Institutionen zu schaffen, welche alle Funktionen der traditionellen Intermediäre im Finanzsektor übernehmen, sondern darum, möglichst in eine monopolähnliche Stellung zu kommen, was die Finanzinfrastruktur betrifft. Denn im Gegensatz zur zeitlichen Stabilität des Geldes ist das Versprechen der räumlichen Stabilität weit weniger risikoreich. So geht mit der Versicherung der Glaubwürdigkeit von Zahlungsversprechen immer auch ein enormes Risiko einher, da der Intermediär im Schadensfall haftet, was in der Finanzkrise 2007/08 eindrücklich zu beobachten war. Im Gegensatz dazu kann derjenige Intermediär, der Infrastruktur bereitstellt, potenziell die Monopolrente abschöpfen.

Eine Entwicklung, die bereits in diese Richtung weist, ist die Ankündigung des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg, gemeinsam mit zahlreichen anderen UnternehmenFootnote 29 eine neue Währung namens Libra zu etablieren. Auch wenn die technologische Grundlage von Libra eine Blockchain ist, unterscheidet sich Libra von den derzeitigen Kryptowährungen. So basiert Libra, wenigstens in der ursprünglichen Form, auf einer privaten Blockchain, an der sich nur zugelassene Akteure beteiligen können. Transaktionen über die Libra-Blockchain sind auch nicht anonym, sondern können über das Calibra Wallet einzelnen Individuen zugeordnet werden. Darüber hinaus werden durch die Libra-Blockchain gerade keine neuen Werte erzeugt, wie dies bei den existierenden Kryptowährungen der Fall ist. Vielmehr stehen die durch die Libra-Blockchain geschaffenen Werte in einem mehr oder weniger fixen Wechselkurs zu existierenden Währungen und sollen komplett durch diese gestützt werden (es werden sogenannte StablecoinsFootnote 30 emittiert). Dabei gibt es bisher noch keine Informationen, wie dieser Wechselkurs festgelegt wird und ob oder wann sich dieser ändern kann. Die in Libra eingezahlten Werte sollen in der sogenannten Libra Reserve verwaltet oder angelegt werden. Was genau mit den Guthaben geschehen soll, bleibt unklar, die Libra Association schreibt dazu auf ihrer Webseite lediglich: „Die Reserve wird aus einer Sammlung an risikoarmen Vermögenswerten bestehen, darunter Bankguthaben und Staatsanleihen in Währungen von stabilen und angesehenen Zentralbanken.“

Entgegen der Behauptung der Libra Association handelt es sich bei Libra also gerade nicht um eine Kryptowährung, bei der die Geldmenge inhärent durch die Technologie selbst festgelegt ist, sondern um ein noch unbestimmtes Hybrid aus Bank, Aktienfonds und einer von einem privatwirtschaftlichen Unternehmen gesteuerten Währung. So interagieren die Nutzer von Libra nicht direkt mit der Reserve, vielmehr ist dies autorisierten Wiederverkäufern vorbehalten. Die Entscheidung über die verfügbare Geldmenge, die Wechselkurse mit existierenden Währungen etc. obliegen allein der Libra Association. Die Vermutung, dass mit Libra ein funktionales Äquivalent zu Banken geschaffen werden soll, liegt also nahe.

Im Gegensatz zu den nur innerhalb einzelner Währungsräume effizient funktionierenden Banken verspricht Libra eine globale Alternative. Die Gefahren liegen auf der Hand, neben dem Kontrollverlust nationalstaatlicher Geldpolitik kommt es zu noch nicht abschätzbaren systemischen Risiken. Denn während Banken der staatlichen Regulierung unterliegen, die festlegt, wie diese mit den bei ihnen hinterlegten Werten verfahren sollen, gelten diese Regeln für die Libra Association nicht. Vielmehr entsteht mit Libra eine neue Form des Shadow Banking.

In welcher Form Libra tatsächlich realisiert wird, ist weniger eine Frage der Technologie selbst als vielmehr der Regulation und damit politischer Kräfteverhältnisse. Bisher ist weitgehend unklar, wie Libra tatsächlich ausgestaltet wird, was Parlamente und Aufsichtsbehörden vor große Herausforderungen stellt. Trotzdem war die Frage, wie Libra rechtlich eingeordnet werden soll, Gegenstand reger Diskussionen in Parlamenten dies- und jenseits des Atlantiks. Insgesamt waren die politischen Reaktionen auf Libra verhalten bis offen ablehnend. So beschlossen beispielsweise die europäischen Finanzminister im Dezember 2019, Libra vorerst nicht zuzulassen. Im April 2020 reagierte die Libra Association auf die vorgetragene Kritik mit einem veränderten Konzept,Footnote 31 dessen Kern das zusätzliche Angebot von fest an einzelne Währungen gekoppelten Libra-Zahlungseinheiten, verstärke Maßnahmen gegen Geldwäsche und das Versprechen eines höheren Datenschutzes bilden.

Ende November 2020 gab Facebook bekannt, dass Libra im Januar 2021 in abgespeckter Form (zunächst nur in Eins-zu-eins-Verhätnis zum Dollar) eingeführt werden soll. Die künftige Entwicklung von Libra ist weiterhin offen. Allerdings arbeitet die Angst der mit der Regulation befassten Akteure, den Anschluss an die „digitale Revolution“ zu verlieren, für die Libra Association. Zudem ist das Problem, das Libra zu einer verlockenden Möglichkeit macht, nicht von der Hand zu weisen: eine veraltete IT-Architektur des Finanzsektors, die nur innerhalb einzelner Währungsräume halbwegs effizient funktioniert und große Teile der Weltbevölkerung ausschließt. In diesem Sinne ist die einzige sinnvolle Strategie gegen autokratische Projekte wie Libra, den Aufbau und Unterhalt einer tatsächlich globalen, effizienten IT-Architektur des Finanzsektors als öffentliches Gut zu begreifen und dieses Problem nicht den großen Tech-Unternehmen zu überlassen.