1 Einleitung

Obgleich in Deutschland grundlegende Arbeiten zur Begründung der Soziologie schon am Ende des 19. Jahrhunderts publiziert wurden, etablierte sich die Soziologie an den deutschen Universitäten erst langsam und in einem schwierigen Prozess in der Weimarer Zeit. Zwar gab es am Beginn des 20. Jahrhunderts an vielen deutschen Universitäten soziologische Lehrangebote (von Wiese 1921a). Insbesondere an den Philosophischen Fakultäten wurden an den Universitäten Berlin, Freiburg, Gießen, Heidelberg, Kiel, Leipzig und München bereits zwischen 1905 und 1910 Kurse und Übungen durchgeführt, die sich soziologischen Fragestellungen widmeten (Sala 2019, S. 334 ff.). Doch waren der eigenständige wissenschaftliche Status der Soziologie und ihr Gebiet umstritten. Manche Vorlesung oder manches Seminar, das im Rahmen eines wirtschaftswissenschaftlichen oder philosophischen Studiengangs stattfand, würden wir heute der Soziologie zurechnen und manche universitäre Veranstaltung, die explizit als „soziologisch“ betitelt wurde, würde aus heutiger Sicht nicht mehr in einen soziologischen Studiengang passen. Solche Ambivalenzen spiegeln sich auch in der Wissenschaftsgeschichte wider: Um die Verflechtung zwischen Soziologie und Nationalökonomie in der Weimarer Zeit zu verdeutlichen, spricht Köster (2011, S. 169) von den „soziologischen Nationalökonomen“. Die damalige akademische Präsenz der Soziologie täuscht darüber hinweg, dass es keinen Konsens darüber gab, welcher wissenschaftlicher und praktischer Stellenwert der Soziologie an den Universitäten eingeräumt werden sollte.

So herrschten – erstens – verschiedene Meinungen darüber vor, ob die Soziologie einen eigenen Gegenstand habe oder ob sie nicht vielmehr eine eigene und neue Perspektive auf die Gegenstände etablierter Wissenschaften werfen würde (Stölting 2006). Zu solchen Debatten trug auch bei, dass die Begriffe Soziologie, Sozialwissenschaft und Sozialphilosophie nicht klar voneinander abgegrenzt wurden und man sich nicht einig war, ob die akademische Soziologie eine eigene Wissenschaft oder ein bloßes Unterrichtsfach sei (von Wiese 1921b). Ferner ist zu bedenken, dass die Soziologie mehrere disziplinäre Wurzeln hat. So haben Philosophie, Geschichte, Jurisprudenz und die Nationalökonomie den „institutionellen Rahmen für die Entwicklung der Soziologie“ abgegeben (Lepsius 1961, S. 6). Auch diese disziplinäre Vielfalt wird es erschwert haben, den Gegenstand der Soziologie zu definieren.

Zweitens war die Soziologie intern in verschiedene Lager und Schulen aufgespalten. Ein Teil der Soziologen neigte eher den Geisteswissenschaften und ihren Methoden zu, während andere sich eher an naturwissenschaftlichen Idealen orientierten. Korte (2011, S. 119 f.) unterscheidet mehrere Perspektiven, die in der deutschen Soziologie der 1920er-Jahre die Debatten prägten: Leopold von Wiese (Köln) mit seiner Beziehungslehre, Alfred Weber (Heidelberg) mit seiner Kultursoziologie, Karl Mannheim (Heidelberg) mit seiner Wissenssoziologie sowie Hans Freyer (Leipzig), der nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten als Präsident bzw. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Soziologie eingesetzt wurde.Footnote 1 Korte erwähnt weiterhin Franz Oppenheimer in Frankfurt a.M., besonders aber das 1923 gegründete Frankfurter Institut für Sozialforschung, dessen Mitglieder sich am wissenschaftlichen Marxismus orientierten.

Drittens war nicht offensichtlich, worin der praktische Nutzen der Soziologie für den beruflichen Erfolg bestehen sollte – eine Kritik, mit der sich die Wirtschaftswissenschaften weniger auseinandersetzen mussten. Angesichts der prekären Lage der Bevölkerung am Ende des Ersten Weltkriegs sowie der politischen Lage Deutschlands wäre es indessen durchaus angebracht und notwendig gewesen, dass sich Soziologen der sozialen Lage der Bevölkerung und gesellschaftlichen Reformen widmeten. Nach Einschätzung vieler Experten für die Geschichte der Soziologie haben sich die Soziologen der Weimarer Zeit jedoch nicht oder kaum aktiv am Aufbau einer gesellschaftlichen und politischen Nachkriegsordnung beteiligt (hierzu ausführlich: Käsler 1984).

Viertens muss man wohl erwähnen, dass sich die Vertreter der Soziologie innerhalb der Universitäten gegen die Vertreter der traditionellen Fächer durchsetzen mussten – beispielsweise bei der Schaffung und Besetzung von Lehrstühlen oder der Gestaltung von Prüfungsordnungen. Zu den letzteren gehörten nicht nur Wirtschaftswissenschaftler, sondern auch Juristen. Bei universitären Neugründungen konnten sich die Soziologen gegenüber den Vertretern traditioneller Fächer leichter behaupten (Siefer 1995, S. 259).

Am Beginn des 20. Jahrhunderts gab es also konfliktreiche Diskurse über die Soziologie als Wissenschaft. Es ist daher nicht verwunderlich, dass auch die soziologische Lehre an den deutschen Universitäten noch in ihren Anfängen steckte. Es gab kein geregeltes Studium der Soziologie, weder offizielle Lehrpläne noch Studienordnungen waren vorhanden. Speziell auf die Soziologie zugeschnittene Magister- oder Diplomstudiengänge wurden noch nicht angeboten. Wer mit einem soziologischen Thema sein Studium beenden wollte, musste promovieren. Dennoch gab es soziologische Lehrveranstaltungen und Studierende, die sie besuchten, weil sie Soziologie studieren wollten.

Nachfolgend wollen wir nachzeichnen, wie sich die Soziologie in der Lehre an der Kölner Universität etabliert hat. Wir konzentrieren uns auf die Zeit der Weimarer Republik (1918–1933) und fragen, wie die soziologische Lehre im Spektrum der Fakultäten und Fächer organisiert wurde. Zunächst wird die Situation der soziologischen Universitätslehre im Deutschen Reich am Anfang des 20. Jahrhunderts umrissen, um die Situation in Köln in einen weiteren Kontext zu setzen. Hieran schließt sich die Darstellung der soziologischen Lehre in Köln an, in welcher zunächst für die Städtische Handelshochschule und danach für die Universität zu Köln alle relevanten Studiengänge, das soziologische Lehrpersonal sowie die soziologischen Lehrveranstaltungen vorgestellt werden. Ferner tragen wir einige Informationen zu den ersten in Köln ausgebildeten Soziologinnen und Soziologen zusammen und skizzieren die weitere Entwicklung der Kölner Soziologielehre.

2 Anfänge der Soziologielehre in Köln

In den 1920er-Jahren gab es eine Reihe von Stimmen, die sich für eine Etablierung der Soziologie an den Universitäten einsetzten. So hielt der preußische Kultusminister Carl Heinrich BeckerFootnote 2 schon im Jahr 1919 die Einrichtung soziologischer Lehrstühle für dringend notwendig. In seiner Schrift Gedanken zur Hochschulreform sollte die Soziologie u. a. zur Überwindung eines Partikularismus in der Wissenschaft beitragen und den Weg zum „staatsbürgerlichen Charakter“ ebnen (Becker 1919, S. 9). Offenbar nahm die preußische Kulturpolitik an, dass die Soziologie bei der Demokratisierung Deutschlands eine wichtige Rolle spielen könnte (Käsler 1984, S. 503; Lepsius 1961, S. 11). Ferner publizierte Hans Lorenz Stoltenberg auf Initiative der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) im Jahr 1926 eine Schrift unter dem Titel Soziologie als Lehrfach an Deutschen Hochschulen (Stoltenberg 1926). Ferdinand Tönnies, der damalige Präsident der DGS, verfasste dazu ein Vor- und ein Nachwort. Stoltenberg formulierte drei Aufgaben der Hochschulen (Stoltenberg 1926, S. 12): Sie sollten Studierende auf „besondere von der Gesellschaft verlangte ‚Berufe‘“ vorbereiten, die Universitäten sollten zu „Staats- und Volksbürgern“ erziehen und sie sollten „Stätten der Forschung und der Ausbildung von Hochschullehrern sein“. Um diese Ziele zu erreichen, bedarf es, so Stoltenberg, auch der Soziologie, vor allem der allgemeinen Soziologie.

Im Jahr 1919 gab es in Deutschland nur drei Lehrstühle (ordentliche Professuren) – zwei in Köln und einen in Frankfurt a.M. –, die (auch) der Soziologie gewidmet waren: An der Universität zu Köln übernahmen Leopold von Wiese an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät einen Lehrstuhl für „Wirtschaftliche Staatswissenschaften und Soziologie“ und Max Scheler an der Philosophischen Fakultät einen Lehrstuhl für „Philosophie und Soziologie“. In Frankfurt a.M. erhielt Franz Oppenheimer im Jahr 1919 einen Lehrstuhl für „Theoretische Nationalökonomie und Soziologie“ (Käsler 1984, S. 626; Kruse 2018, S. 168; Glatzer 2020). Den ersten Lehrstuhl, der ausschließlich der Soziologie gewidmet war, übernahm Hans Freyer im Jahr 1924 an der Universität Leipzig. Im Jahr 1925 bekam Alfred Vierkandt eine Professur für Soziologie in Berlin, im Jahr 1927 gelang dies Andreas WaltherFootnote 3 an der Universität Hamburg und im Jahr 1929/30 Karl Mannheim in Frankfurt a.M. (Käsler 1984, S. 627; Siefer 1995, S. 259 f.; Glatzer 2020). Darüber hinaus war es in den 1920er-Jahren in Preußen üblich, Lehraufträge für Soziologie an Lehrstühlen für Philosophie und wirtschaftliche Staatswissenschaften anzusiedeln (Ludwig 1991, S. 132).

2.1 Soziologielehre an der Städtischen Handelshochschule (1914–1919)

Die Geschichte der soziologischen Lehre in Köln beginnt bereits an der am 1. Mai 1901 gegründeten Städtischen Handelshochschule. Hier konnten die kaufmännische Diplomprüfung und die Handelslehrerprüfung abgelegt werden.Footnote 4 Das mindestens viersemestrige kaufmännische Diplom sollte die Studierenden auf Führungspositionen in der Wirtschaft und der Verwaltung vorbereiten. Das mindestens fünfsemestrige Handelslehrerdiplom diente hingegen der Weiterqualifikation vor allem der Volksschullehrer, denen aufgrund eines fehlenden Abiturs ein Studium an einer Universität versagt war (Asmuth 1985, S. 45 ff., 110 ff.). Ziel beider Studiengänge war neben der allgemeinen und fachspezifischen Weiterbildung der Studierenden die (erhoffte) Erhöhung des Ansehens des Kaufmannsstandes.

Zum Studium an der Städtischen Handelshochschule waren neben Abiturienten auch gelernte Kaufleute mit dem sogenannten „Einjährigen“ zugelassen, also der Berechtigung zum einjährig-freiwilligen Militärdienst im Deutschen Reich, welche durch die mittlere Reife an einem Gymnasium oder einer Mittelstufe erlangt werden konnte, sowie seminaristisch gebildete Lehrer und ausländische Personen. Entsprechend setzte sich die Studierendenschaft an der Städtischen Handelshochschule zu 59,9 % aus Kaufleuten mit „Einjährigem“, zu 30,3 % aus Abiturienten und zu 5,5 % aus Lehrern zusammen (Asmuth 1985, S. 92 ff.).

Frauen konnten sich erst ab dem Sommersemester 1907 zum Studium an der Städtischen Handelshochschule immatrikulieren. Sie strebten – insbesondere in den letzten Kriegsjahren – vor allem das Handelslehrerdiplom an, nur eine Minderheit absolvierte den kaufmännischen Diplomstudiengang (Hayashima 1998, S. 55).

An der Handelshochschule gab es ein breites Angebot an universitären Disziplinen, wie Volkswirtschaftslehre, Rechtslehre, Geistes- und Sozialwissenschaften, aus denen die Studierenden recht frei wählen konnten. Insbesondere innerhalb der ersten 10 Jahre wurde an der Handelshochschule nichts gelehrt, was man laut Ludwig (1991, S. 42) der heutigen Betriebswirtschaftslehre zurechnen könnte. Die Soziologie war zwar nicht als eigenständiges Fach an der Städtischen Handelshochschule vertreten, allerdings kam sie in der Volkswirtschaftslehre vor. Nach Leopold von Wieses Berufung auf den Lehrstuhl für Staatswissenschaften im Jahr 1914 nahm dieser am 1. April 1915 seine Tätigkeit auf und bot bereits in seinem ersten Sommersemester eine öffentliche Übung an, in der es offensichtlich auch um soziologische Fragen ging und die den damaligen gesellschaftlichen Umständen Rechnung trug: „Kolloquium über soziologische und volkswirtschaftliche Probleme des Kriegs“ (Städtische Handelshochschule Köln 1915). Knapp vier Jahre später, im Sommerhalbjahr 1919 – dem letzten Semester der Städtischen Handelshochschule Köln – las von Wiese dann erstmals eine soziologische Vorlesung mit dem Titel „Grundzüge der Soziologie zur Einführung in die Sozialwissenschaften“ (Städtische Handelshochschule Köln 1919). In den dazwischenliegenden Semestern bot von Wiese laut den entsprechenden VorlesungsverzeichnissenFootnote 5 keine soziologischen Lehrveranstaltungen an. Er las in jedem Semester jeweils zwei einführende Vorlesungen in die Volkswirtschaftslehre sowie eine bis zwei vertiefende volkswirtschaftliche Vorlesungen und bot zwei bis drei volkswirtschaftliche Kolloquien und Seminare an.

2.2 Soziologielehre an der Universität zu Köln (1919–1933)

Aus dem Zusammenschluss der Städtischen Handelshochschule mit der Akademie für praktische Medizin und der Hochschule für kommunale und soziale Verwaltung ging die neue Universität zu Köln (UzK) hervor, die am 12. Juni 1919 eröffnet wurde (Heimbüchel 1990, S. 125). Sozialwissenschaftliche Disziplinen spielten an der neugegründeten Universität zunächst eine eher untergeordnete Rolle, obwohl schon am 1. April 1919 das – allerdings städtische – sozialwissenschaftliche Forschungsinstitut gegründet wurde (siehe ausführlich Knebelspieß und Moebius 2019).Footnote 6

In den „Satzungen des Forschungsinstituts für Sozialwissenschaften in Köln“ vom Juni 1919 steht, dass das Institut „der wissenschaftlichen Forschung auf dem Gebiet der Sozialwissenschaften“ dienen solle. Das Institut diente also satzungsgemäß nicht der Lehre, vielmehr sollte es den „ganzen Umkreis sozialer Fragen“ bearbeiten und die Beziehungen zwischen gesellschaftlichen Gruppen beschreiben und erklären (Eckert 1921, S. 12).

An der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät (WiSo) konnten weiterhin die zwei Diplomabschlüsse „Diplom-Kaufmann“ und „Diplom-Handelslehrer“ erworben werden. Im Jahr 1923 kam dann der Diplom-VolkswirtFootnote 7 hinzu (siehe dazu ausführlich Stölting 1986, S. 232 ff.), in welchem Soziologie ab 1929 als Wahlpflichtfach belegt werden konnte (UAK 9/56 Prüfungsamt für Volkswirte an der Universität zu Köln 1923)Footnote 8. Ab 1932 wurde Soziologie des Weiteren als Wahlpflichtfach für die Diplomprüfung für Kaufleute und als Ergänzungsfach für Handelslehrer zugelassen (Ludwig 1991, S. 134). Der Versuch von Benedikt Schmittmann, der 1923 Direktor des Seminars für Sozialpolitik und Wohlfahrtspflege wurde, ein eigenständiges sozialwissenschaftliches Studium zu etablieren, blieb indes erfolglos (Schmittmann 1926).

Leopold von Wiese, Max Ferdinand Scheler und Paul Honigsheim bildeten das Dreigestirn der soziologischen Lehre an der Universität zu Köln während der Weimarer Zeit. Nach der Gründung der neuen UzK wurde von Wiese auf eine ordentliche Professur für Wirtschaftliche Staatswissenschaften und Soziologie an die WiSo-Fakultät berufen, welche er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1949 innehatte (Scheuch 2001, S. 137). Diese doppelte Denomination seiner Professur kommt beispielsweise auch darin zum Ausdruck, dass von Wiese in der WiSo-Fakultät zwischen 1921 und dem Beginn der 1930er-Jahre vor allem im jeweiligen Wintersemester den ersten Teil einer volkswirtschaftlichen Vorlesung unter der Rubrik „Wirtschaftssoziologie“ hielt. Leopold von Wiese war nicht nur der maßgebliche Direktor der soziologischen Abteilung des Forschungsinstituts (der zweite Direktor war Max Scheler). Er trieb die Institutionalisierung der Soziologie voran und begründete die „Kölner Vierteljahrshefte für Sozialwissenschaft“ – die wichtigste deutschsprachige Fachzeitschrift für Soziologie, die heute als Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie geführt wird (siehe hierzu ausführlich Dreier 2018 sowie Moebius und Griesbacher 2019). Schließlich war er einer der Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Soziologie.

Ebenfalls seit der Neugründung der UzK bekleidete Max Scheler bis zu seinem Wechsel 1928 nach Frankfurt a.M. eine ordentliche Professur für Philosophie und Soziologie an der Philosophischen Fakultät (Käsler 1984, S. 626). Ebenso wie von Wiese hatte seine Professur also eine doppelte Denomination. So hielt Scheler beispielsweise im Sommersemester 1927 zwei Vorlesungen: Eine richtete sich unter dem Titel „Einleitung in die Philosophie“ an Studierende der Philosophie, die andere mit dem Titel „Wissensformen und Gesellschaftsformen“ an Studierende der Soziologie. Die erste Vorlesung wurde „privatissime“ abgehalten, die zweite aber „publice“ (vgl. UzK 1926).

Als dritte Person mit soziologischer Lehrtätigkeit wurde zum Wintersemester 1920/21 Paul Honigsheim als Privatdozent für Philosophie und Soziologie an der Philosophischen Fakultät beauftragt. Zum Wintersemester 1927/28 wurde er zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor für Philosophie und Soziologie berufen, später kam noch die Sozialpädagogik in die Denomination hinzu (UzK 1920, 1927, 1931a, 1931b). Bis zu seiner Emigration nach Paris im Jahr 1933 lehrte und forschte Honigsheim in dieser Funktion an der Philosophischen Fakultät. Die soziologische Lehre fand also in zwei Fakultäten statt und folgte zwei Auffassungen von Soziologie: Während von Wiese Soziologie als Beziehungslehre lehrte, fassten Scheler und Honigsheim die Soziologie als Sozialphilosophie auf (von Wiese 1922, S. 107).

Neben den drei genannten Professoren finden sich noch die Namen Wilhelm Vleugels, Julius Lips und Willy Gierlichs in den Vorlesungsverzeichnissen der ersten Jahre wieder, die an der WiSo-Fakultät und/oder der Philosophischen Fakultät soziologische Lehrveranstaltungen anboten. Wilhelm Vleugels wird erstmals im Sommersemester 1924 als Privatdozent für Wirtschaftliche Staatswissenschaften und Soziologie an der WiSo-Fakultät im Vorlesungsverzeichnis aufgeführt und hielt im darauffolgenden Wintersemester eine Vorlesung „Soziologie der Masse“ (UzK 1924a, 1924b). Allerdings blieb dies seine einzige dem Titel nach explizit soziologische Vorlesung an der UzK. Hiernach waren es der Volkswirtschaftslehre zuordenbare Lehrveranstaltungen sowie einführende und vertiefende Lehrveranstaltungen zum Genossenschaftswesen. Ab dem Wintersemester 1928/29 war Vleugels dann auch nichtbeamteter außerordentlicher Professor für Wirtschaftliche Staatswissenschaften und Soziologie mit einem expliziten Lehrauftrag für Genossenschaftswesen (UzK 1928a). Allerdings verließ er noch im selben Jahr die UzK, um einem Ruf als ordentlicher Professor an die Universität Königsberg zu folgen. Ebenso bot Julius Lips, der spätere Direktor des städtischen Rautenstrauch-Joest-Museums, im Sommersemester 1928 als Privatdozent für Völkerkunde und Soziologie eine Übung zur „Soziologie der Naturvölker“ an der Philosophischen Fakultät an (UzK 1928b). Allerdings wurden alle seine weiteren Lehrveranstaltungen in den folgenden Vorlesungsverzeichnissen der Völkerkunde zugeordnet. Des Weiteren wird Willy Gierlichs im Sommersemester 1932 erstmals als Privatdozent für Soziologie an der WiSo-Fakultät im Vorlesungsverzeichnis aufgeführt (UzK 1932). Seine ersten Lehrveranstaltungen gab er jedoch erst im Wintersemester 1933/34: Er las zwei Vorlesungen („Geschichte und Hauptprobleme der Soziologie“ und „Sozialleben und Einzelmensch“) (UzK 1933). Außerdem veranstaltete er ab diesem Wintersemester stets eines der soziologischen Seminare, welche von Wiese zuvor alleine angeboten hatte. Ludwig (1991, S. 135) berichtet, dass Gierlichs in den 1930er-Jahren – als es in den Veranstaltungen häufig um „Volk und Rasse“ ging – „einen großen Teil der ideologisch gefärbten Lehrveranstaltungen innerhalb der Volkswirtschaftslehre hielt“ (zur Kölner Soziologie während des Nationalsozialismus siehe ausführlich Knebelspieß und Moebius 2019).

Anfang der 1920er-Jahre bestanden die Sozialwissenschaften an der WiSo-Fakultät aus vier Disziplinen: Sozialpolitik, Soziologie, Politikwissenschaft, Wirtschafts- und Sozialpsychologie. Der Anteil der Sozialwissenschaften am gesamten Lehrangebot der Fakultät betrug im WS 1922 etwa 8 % und erhöhte sich bis 1932 nur leicht auf 10 % (Ludwig 1991, S. 147). Unter den sozialwissenschaftlichen Lehrveranstaltungen dominierte zwar die Sozialpolitik, aber seit Aufnahme des Lehrbetriebs im Zwischensemester 1919 hatte auch die Soziologie Einzug in das Lehrangebot gehalten. Das erste soziologische Seminar („Soziologisches Seminar im Sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut“) bot von Wiese im Zwischensemester 1919 privatissime et gratis an. Dem Vorlesungsverzeichnis nach war es weiterhin der Volkswirtschaftslehre zugeordnet (UzK 1919). Es wurde fester Bestandteil des soziologischen Lehrbetriebs und ab dem Sommersemester 1921 weiter aufgegliedert in eine Unterstufe, welche als in die Soziologie einführendes Seminar gedacht war, und eine Oberstufe für Fortgeschrittene mit einer stärker methodologischen Ausrichtung (von Wiese 1922, S. 109 f.).Footnote 9 Für von Wiese hatten die Seminare eine besondere Bedeutung: „Deshalb kann ein soziologisches Seminar intelligenten und geistig selbstständigen Studierenden so viel mehr bieten, weil es alsbald mehr oder weniger zu einer Werkstätte des Mitforschens werden kann“ (von Wiese 1921b, S. 12; vgl. auch von Alemann 1988, S. 109). Von Alemann kommt zu dem Schluss, dass die von von Wiese angebotenen Oberseminare eine besondere Bedeutung in der Lehre hatten und „gewissermaßen eine Art von Graduierungskolleg vorentwurfen [wurde], in dem von den Studierenden selbstständige Forschungsleistungen erbracht werden sollten“ (von Alemann 1988, S. 127), die teilweise auch in Ausgaben der Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie veröffentlicht wurden. Im Wintersemester 1920/21 finden sich erstmals explizit soziologische Lehrveranstaltungen an der Philosophischen Fakultät: Scheler bot ein Seminar mit dem Titel „Soziologisches Seminar: Über christlichen Solidarismus“ an und Honigsheim las eine Vorlesung mit dem Titel „Soziologie der Religion“ (UzK 1920).

Für den Zeitraum von 1919–1933 zeigt sich im Hinblick auf die Anzahl der Lehrveranstaltungen an der UzK, welche dem Titel nach auch soziologische Fragen behandelten, ein Anstieg bis Mitte der 1920er-Jahre und hiernach – abgesehen vom Wintersemester 1931/32 und dem Sommersemester 1932Footnote 10 – eine konstante Vertretung von fünf bis sieben Lehrveranstaltungen (vgl. Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Anzahl von Lehrveranstaltungen an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät und der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln, welche dem Titel nach (auch) soziologische Fragen behandelten (1919–1933)

Auch emanzipierte sich die Soziologie während der Weimarer Republik zunehmend in den Strukturen der UzK. Ab dem Sommersemester 1922 wurden soziologische Lehrtätigkeiten im Vorlesungsverzeichnis nicht mehr unter „Volkswirtschaftslehre“, sondern unter der Rubrik „Soziologie und Sozialpolitik“ an der WiSo-Fakultät aufgeführt. Unter dieser Rubrik bot von Wiese im Sommersemester 1922 eine Vorlesung „Soziologie als Lehre von den menschlichen Beziehungen (Beziehungslehre)“, im Sommersemester 1923 eine Vorlesung „Sexualsoziologie“ und im Sommersemester 1924 zur Beziehungslehre an. Ab dem Wintersemester 1924/25 wurde die Lehre um die Rubrik „Soziologie, Sozialpolitik und Kommunalpolitik“ erweitert (Ludwig 1991, S. 134). Zum Sommersemester 1931 wurde „Soziologie, Sozialpolitik und Kommunalpolitik“ wiederum in „Soziologie“ sowie „Sozialpolitik und Kommunalpolitik“ aufgespalten (UzK 1922a, 1926, 1931b). Von Wiese widmete sich in diesem Semester in einer Vorlesung der „Gebildelehre“ und bot zwei Seminare an.

An der Philosophischen Fakultät firmierten soziologische Lehrveranstaltungen bis einschließlich des Sommersemesters 1922 unter „Philosophie, Psychologie und Pädagogik“. Ab dem Wintersemester 1922/23 wurde Soziologie in die Systematik der im Vorlesungsverzeichnis aufgeführten Lehrveranstaltungen aufgenommen und die bisher bestehende Systematik auf „Philosophie, Soziologie, Psychologie und Pädagogik“ erweitert (UzK 1922b). Dies ist als Indiz dafür zu werten, dass Soziologie zunehmend einem breiter werdenden Publikum ein Begriff wurde und aus dem Schatten bereits etablierter Fächer hervortrat, der sie bis dato zugeordnet worden war.Footnote 11

Während der nationalsozialistischen Herrschaft lehrte von Wiese weiter. Von Alemann schreibt, dass sich von Wiese zwar „unter Druck gesetzt“ sah, er mit Lehrveranstaltungen zur „philosophischen Anthropologie bzw. der Ethik“ (von Alemann 1988, S. 101) diese Zeit an der Kölner Universität aber durchhielt. Ludwig (1991, S. 135) stellt fest, dass von Wiese lediglich im WS 1934/35 für Hörer aller Fakultäten eine Veranstaltung über „Volk und Rasse“ abhielt, ansonsten aber weiterhin seine „regulären Lehrveranstaltungen“ durchführte.

2.3 Soziologiestudierende an der Universität zu Köln (1919–1933)

Am Ende des Ersten Weltkriegs waren Studierende in einer prekären Lage. Wir haben eine biografische Darstellung von Rosa Maria Ellscheid (1988), die uns die damaligen Studienbedingungen recht deutlich veranschaulicht. Ellscheid begann ihr Studium bereits im April 1918 an der Kölner Hochschule für Kommunale und Soziale Verwaltung und setze es nach zwei Semestern an der Kölner Universität fort. Sie wollte nicht nur einen „sozialen Beruf“ ergreifen, sondern auch „dazu beitragen, daß [sic] der Einfluß der Frauen, die nach dem I. Weltkrieg das politische Stimmrecht erhalten hatten, in dem fast ausschließlich von Männern geprägten öffentlichen Leben etwas mehr zur Geltung komme“ (Ellscheid 1988, S. 78). Ellscheid studierte also Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Soziologie, und sie fügt in ihrer Biografie hinzu: „Die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Kölner Universität stand in besonders hohem Ansehen“ (Ellscheid 1988, S. 78).

In der Nachkriegszeit, so berichtet sie, herrschte sehr hohe Arbeitslosigkeit, viele Studierende hungerten und hatten große Probleme, nicht nur eine Wohnung, sondern überhaupt einen Schlafplatz zu finden. Die Studierenden mussten sich um eine Nebenbeschäftigung bemühen, zumal Kolleggelder zu zahlen waren.Footnote 12 Hinzu kamen die instabilen politischen Verhältnisse, die durch die Novemberrevolution 1918 ausgelöst wurden. Unter solchen Bedingungen war ein Studium der Soziologie durchaus riskant: Es „gehörte schon Mut dazu, eine Ausbildung zu beginnen, die keinerlei Zugang zu bestimmten Berufen erschloß. Vor allem das Soziologiestudium wurde damals noch als Luxus empfunden“ (Ellscheid 1988, S. 78).

Trotz der sehr schwierigen äußeren Lebensumstände konnten die Studierenden „herrlich frei studieren“ (Ellscheid 1988, S. 80). Ellscheid berichtet von den kleinen soziologischen Seminaren bei von Wiese, die wohl auch gelegentlich in einer Gaststätte stattfanden, wo von Wiese aus seinen Schriften vorlas und man dann darüber diskutierte. Rosa Maria Ellscheid promovierte 1923 mit einer Arbeit über „Die Frau in den deutschen Arbeiterberufsvereinen“ zum Doktor der Staatswissenschaften (Ellscheid 1988, S. 82). Was für heutige Studierende und Lehrende dabei mindestens bemerkenswert erscheint: Bis zu ihrer Promotion musste Ellscheid keine einzige Klausur schreiben oder irgendeine schriftliche Arbeit anfertigen (Ellscheid 1988, S. 80).

Eine zweite Frau, die ebenfalls in den 1920er-Jahren bei von Wiese promoviert hat, ist Hanna Meuter. Hanna Meuter gehört wahrscheinlich zu den ersten deutschen Soziologinnen (Wobbe 1994, S. 189). Sie studierte in Bonn (Mathematik, Physik, Chemie, Meteorologie) und Aachen (Allgemeine Wissenschaften), absolvierte 1918 das Examen für Studienräte, war stellvertretende Direktorin des Meteorologischen Observatoriums in Aachen, wurde 1918 Direktorin der Evangelischen Höheren Mädchenschule in Köln-Kalk und war von 1921–1928 Fachreferentin für das Volksbildungswesen Köln. Parallel dazu wurde sie Gasthörerin an der Universität zu Köln (Fächer Soziologie, Psychologie, Pädagogik), studierte aber ab dem Wintersemester 1924/25 ausschließlich Soziologie. Sie promovierte 1924 bei von Wiese über „Heimlosigkeit. Ihr Einwirken auf Verhalten und Gruppenbildung der Menschen“Footnote 13 und wurde 1923 „Hauptmitarbeiterin der Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie“ (Wobbe 1994, S. 194). Da Hanna Meuter sich nicht habilitieren und Professorin werden konnte,Footnote 14 arbeitete sie als Stadtbibliothekarin, wurde aber 1933 aus dem Dienst ohne Ruhegeldzahlung entlassen. Leopold von Wiese, Howard Becker und Louis Wirth vermittelten ihr in dieser Zeit Übersetzungsaufträge (zu den Details über Meuters Werk und ihrer beruflichen Karriere nach 1945 siehe Wobbe 1994, S. 195 ff.).

Abgesehen von diesen beiden biografischen Skizzen zweier prominenter Frauen, die in den 1920er-Jahren in Köln Soziologie studiert haben, stellt sich selbstverständlich die Frage, was wir allgemein über die Soziologiestudierenden der damaligen Zeit wissen. In einer Situation, in der die Soziologie als Wissenschaft noch keinen gefestigten Status hatte und auch ihr praktischer Nutzen durchaus umstritten war, ist es besonders interessant zu sehen, wer in den 1920er-Jahren Soziologie studiert hat. Man kann vermuten, dass es sich hier um Studierende handelte, die einerseits einen sicheren ökonomischen Rückhalt hatten oder dieses zumindest nach ihrem Studium erwarten konnten, andererseits aber auch den Themengebieten neuer Wissenschaften besonders aufgeschlossen waren.

Leider sind nur sehr spärliche Daten über diese ehemaligen Soziologiestudierenden vorhanden. Dem Kölner Universitätsarchiv lassen sich für die Weimarer Zeit Informationen über Studierende entnehmen, die entweder an der WiSo-Fakultät einen Diplomabschluss erworben oder aber an der WiSo-Fakultät oder Philosophischen Fakultät promoviert haben. Die Studierenden mit einem Diplomabschluss haben diesen Titel entweder als Diplomkaufmann, Diplomhandelslehrer oder ab 1923 als Diplomvolkswirt erworben.

Da es, wie dargelegt, zu Beginn der Universität zu Köln noch kein eigenständiges Soziologiestudium gab, kann nur mit Vorsicht die Gruppe jener eingekreist werden, welche als die ersten in Köln ausgebildeten Soziologinnen und Soziologen gelten können. Vonseiten der Universität zu Köln liegen hierzu keine zuverlässigen Daten vor. Daher wurden mehrere DatenquellenFootnote 15 des Universitätsarchivs der Universität zu Köln (UAK) ausgewertet.Footnote 16 Alle männlichen und weiblichen Absolventen und Doktoranden, als deren Erst- oder Zweitbetreuer an der WiSo-Fakultät von Wiese, Vleugels oder Gierlichs und an der philosophischen Fakultät von Wiese, Scheler oder Honigsheim fungierten, wurden hierzu in einem ersten Schritt herausgesucht. Somit ergibt sich für den Zeitraum zwischen dem Zwischensemester 1919 bis zum Sommersemester 1933 ein approximatives Bild der Studierenden und Promovierenden jener fünf Dozenten, welche die soziologische Lehre zu Beginn der Universität zu Köln maßgeblich prägten.Footnote 17

In einem zweiten Schritt wurde der Titel der Abschlussarbeit oder Promotion als maßgebliches Kriterium für die Bestimmung von Soziologinnen und Soziologen gewählt.Footnote 18 Unsere Zuschreibung des Status „Soziologin“ oder „Soziologe“ auf der Grundlage des Abschluss- oder Promotionsarbeitstitels ist jedoch nicht unproblematisch. Es ist fraglich, ob sich die Studierenden/Promovierenden damals selbst als Soziologinnen und Soziologen angesehen haben, da es ein gleichnamiges Studium noch nicht gab. Auch die verliehenen Doktortitel ließen keinerlei Rückschlüsse auf einen soziologischen Schwerpunkt im Studium zu. Bei der Einteilung der Abschlussarbeiten wurde in drei Schritten vorgegangen.Footnote 19 In einem ersten Schritt wurden alle Abschlussarbeiten oder Promotionen auf die Verwendung des Begriffs „Soziologie“ und „soziologisch“ durchsucht. Als Beispiel sei die Promotion von Erich Roehrbein im Dekanatsjahr 1919/20 bei von Wiese an der WiSo-Fakultät genannt, welche den Titel „Soziologie und Geschichtsphilosophie“ trägt (UAK 747/146). Dann wurden die restlichen Titel nach der namentlichen Nennung von – aus heutiger Sicht – soziologischen Denkern als soziologisch markiert. Die Promotion von Moritz Hirsch an der Philosophischen Fakultät bei Max Scheler im Wintersemester 1920/21 mit dem Titel „Das Dreistadiengesetz Auguste Comtes & die Religion“ sei hier als Beispiel genannt (UAK 580/3). Zuletzt wurde beurteilt, inwiefern der sich im Titel andeutende Gegenstand der jeweiligen Arbeit eine soziologische Arbeit nahelegt. Exemplarisch sei hier die Promotion „Die Frau in den deutschen Arbeiterberufsvereinen“ von der weiter oben vorgestellten Rosa Ellscheid im Wintersemester 1922/23 bei von Wiese genannt (UAK 727/147).Footnote 20

Von den als soziologisch eingestuften Abschlussarbeiten und Dissertationen haben wir folgende Angaben: Abgabesemester, Nachname, Vorname, Diplomarbeit oder Dissertation, Titel der Dissertation, Fakultät, Name des Erstprüfers, Name der Zweitprüfers, Beruf des Vaters, Geburtsort.Footnote 21

Es zeigt sich für den Zeitraum vom ZS 1919–SS 1933, dass Diplomabschlussarbeiten mit soziologischen Themen eine große Ausnahme bildeten: Bei einer von 70 Abschlussarbeiten von diplomierten Handelslehrinnen und -lehrern sowie bei zwei der 58 Abschlussarbeiten von diplomierten Kaufleuten handelt es sich dem Titel nach um eine soziologische Arbeit. Bei dem ab 1921 eingeführten Diplomvolkswirt waren bereits fünf der 16 Abschlussarbeiten dem Titel nach soziologisch. Letzteres scheint vor dem Hintergrund der thematischen Nähe beider Fächer zu Beginn des 20. Jahrhunderts plausibel (Stölting 1986, S. 221 ff.). Auch bei den Dissertationen waren explizit soziologische Titel in der Minderheit: Bei neun von 50 an der Philosophischen Fakultät eingereichten Dissertationen handelt es sich um soziologische Titel. Bei den Dissertationen an der WiSo-Fakultät waren es 27 von 245.

Fragen wir zunächst, mit welchen von uns als soziologisch eingestuften Themen sich die Promovenden der Wiso- und der Philosophischen Fakultät beschäftigt haben. Eine Reihe von Dissertationen setzte sich mit den (aus heutiger Sicht) klassischen Wegbereitern der Soziologie auseinander: Auguste Comte, Émile Durkheim, Karl Marx, Georg Simmel, Henri de Saint-Simon, Gustav von Schmoller, Werner Sombart, Max Weber. Andere Dissertationen stellten soziologische Grundkategorien in den Mittelpunkt: Beziehung, soziales Gebilde, Gemeinschaft, Gesellschaft, Gruppe, soziales Handeln, Individuum, Klasse, Stand, Vergesellschaftung. Weiterhin findet man zwei Dissertationen, die sich mit sozialen Bewegungen befassten, nämlich der Frauenbewegung und der Jugendbewegung. Hinzu kommen Arbeiten mit dem Titel „Soziologie und Geschichtsphilosophie“, „Die Reichen“, „Das Spiel der Kinder. Eine soziologische Untersuchung“, „Der Junggesellenverein in der Eifel. Ein Beitrag zur Soziologie der Männerbünde, Altersklassen und Geschlechter“, „Auswirkungen der Technisierung im Familienhaushalt“, „Masse und Führer“, „Die Lehre vom Existenzminimum in den Sozialwissenschaften“, „Versuch einer soziologischen Analyse des Komischen“, „Das Werturteil in den Sozialwissenschaften“, „Die Polizeischule. Eine soziologische Studie“, „Das Unbekannte, die Angst und Reaktionsarten gegen das Unbekannte im Modus der Angst“ sowie „Katholische Mystik als soziologisches Phänomen“, „Die Heimatlosigkeit (ihre Einwirkung auf Verhalten und Gruppenbildung der Menschen)“.

An beiden Fakultäten waren männliche Promovenden deutlich in der Überzahl: Unter den 245 Promovierten der WiSo-Fakultät befanden sich 52 Frauen (21,2 %) und unter den 50 Promovierten der Philosophischen Fakultät waren es acht (16,0 %). Bei einer weiteren Unterteilung nach der soziologischen Abschlussarbeit zeigt sich ebenfalls die zahlenmäßige Überlegenheit von Männern, wenngleich der prozentuale Anteil von Frauen höher liegt: neun der 27 promovierten Soziologen an der WiSo-Fakultät waren Frauen (33,3 %) und unter den neun promovierten Soziologen der Philosophischen Fakultät befanden sich zwei Frauen (22,2 %). Nähere Informationen zum Anteil von Frauen an den Studierenden an der UzK oder Städtischen Handelshochschule finden sich bei Henning et al. (1988, S. 293 ff.), Asmuth (1985) sowie bei Hayashima (1998).

Promovierte der Wirtschaftswissenschaften an der WiSo-Fakultät waren durchschnittlich 27 Jahre alt, als ihnen die Doktorwürde verliehen wurde. Ihre soziologischen Kolleginnen und Kollegen waren durchschnittlich ein Jahr älter. An der Philosophischen Fakultät hingegen kehrt sich dieses Verhältnis um: Hier waren die Soziologinnen und Soziologen mit einem Alter 29 Jahren etwas jünger als die Nichtsoziologinnen und Nichtsoziologen (30 Jahre).

Um die regionale Herkunft der Promovenden zu bestimmen, betrachten wir deren Angaben zum Geburtsort. Wir haben die Distanz zwischen Geburtsort und der Universität zu Köln ermittelt. Bei 20 von 30 Promovierenden mit einem soziologischen Thema betrug die Entfernung zwischen Geburtsort und der UzK mehr als 50 km.

Die soziale Herkunft können wir nur sehr grob anhand der väterlichen Berufe bestimmen. Käsler (1984, S. 337 f.) teilt in seiner Analyse der Entstehungsmilieus der deutschen Soziologie im Zeitraum 1909–1934 in „Besitzbürgertum“, „Bildungsbürgertum“, „Kleinbürgertum“ und „Adel“ ein. Asmuth (1985, S. 60) wählt in ihrer Analyse der Studierendenschaft der Städtischen Handelshochschule eine Einteilung der Studierenden in Schichten. Von den 30 Promovenden, die bei von Wiese, Scheler oder Honigsheim promovierten, liegen bei 21 Promovenden Angaben zum Beruf des Vaters vor. Dem Besitzbürgertum oder Kleinbürgertum kann man die Berufsangaben Kaufmann (6), Fabrikant (2), Apotheker (1) sowie Werk‑, Bau- und Fleischermeister (3) zuordnen. Zum Bildungsbürgertum gehören die Berufe Rektor (1), Lehrer (1), Notar (1). Schließlich gibt es eine Reihe höherer oder mittlerer Angestellte oder Beamten: Proviantamtsdirektor (1), geheimer und Oberpostrat (1), Telegraphensekretär (1), städtischer Beamter (1), Eisenbahnkanzleisekretär (1), Arbeitsleiter (1). Gelernte oder ungelernte Arbeiter sind nicht vertreten, was darauf hindeutet, dass die Promovenden nicht den unteren Schichten entstammen. Ein quantitativer Vergleich der sozialen Herkunft von Promovenden unterschiedlicher Disziplinen ist nicht möglich. Bemerkenswert ist jedoch, dass auch unter den Promovenden der Wirtschaftswissenschaften die Arbeiterschaft nicht vertreten ist. Diese Beobachtungen verdeutlichen den damals immer noch herrschenden, schichtspezifischen Zugang zur höheren Bildung.Footnote 22 Den Angehörigen der unteren Schichten war nicht nur aus institutionellen Gründen der Zugang zum Gymnasium und damit auch zur Universität verbaut, sie konnten ihren Kindern diesen Bildungsweg auch nicht finanzieren.

3 Zusammenfassung und Ausblick

Es gibt zwar eine ganze Reihe detaillierter Darstellungen zur Geschichte der deutschen akademischen Soziologie in der Zwischenkriegszeit, jedoch wird der soziologischen Lehre und der Situation der Studierenden relativ wenig Raum gegeben. Zur Geschichte der akademischen Soziologie gehören aber auch Informationen zur soziologischen Lehre, denn ihre Entwicklung wirft ein eigenes Licht auf die Institutionalisierung der akademischen Soziologie.

Die Soziologie und die soziologische Lehre haben in Köln eine lange Tradition. Seit über 100 Jahren wird in Köln Soziologie gelehrt – was kaum bei einer anderen deutschen Universität der Fall ist. Ob die Kölner soziologische Lehre in der damaligen Zeit einen besonderen Weg genommen hat, lässt sich zwar nur im Vergleich mit anderen Universitäten ermitteln. Dennoch haben wir es mit zwei Besonderheiten zu tun: Erstens ist festzustellen, dass soziologische Lehrveranstaltungen in Köln schon vor der Neugründung der Universität im Jahr 1919 in der städtischen Handelshochschule durchgeführt wurden. Es war Leopold von Wiese, der bereits in der Städtischen Handelsschule vor der Neugründung der Universität Soziologie lehrte. Damit begann die soziologische Lehre am Beginn des 20. Jahrhunderts, lange bevor universitäre Lehrstühle mit einer ausschließlichen Denomination für Soziologie besetzt wurden. Eine zweite Besonderheit ist, dass in den 1920er-Jahren soziologische Lehrstühle an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen sowie der Philosophischen Fakultät eingerichtet wurden. Im Einklang mit klassischen theoretischen Grundpositionen erfuhr die Soziologie eine gespaltene Institutionalisierung und wurde organisatorisch einerseits mit den Wirtschaftswissenschaften und andererseits mit den Geisteswissenschaften verbunden.

Alle Darstellungen zur Geschichte der akademischen Institutionalisierung der Soziologie heben hervor, dass dies in Deutschland ein langsamer Prozess war, geprägt von einem uneinheitlichen Selbstverständnis der Soziologie und Widerständen traditioneller Disziplinen. So war es auch in Köln. Mit von Wiese und Scheler waren in den 1920er-Jahren zwei Soziologen tätig, die im Hinblick auf die theoretische Grundlegung der Soziologie unterschiedliche Auffassungen vertraten und folgerichtig auch unterschiedlichen Fakultäten angehörten. Diese organisatorische „Polarisierung“ der Soziologie hat vermutlich nicht die Stellung der Soziologie gegenüber traditionellen Disziplinen gestärkt. Ebenso standen der Wechsel von Scheler im Jahr 1928 nach Frankfurt a.M. sowie der Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft wenige Jahre später einem weiteren Ausbau der soziologischen Lehre in Köln entgegen.

Bei aller Schwierigkeit, Lehrveranstaltungen einem bestimmten Fach zuzuordnen, wird man doch sagen können, dass die Zahl der Lehrveranstaltungen, die recht eindeutig der Soziologie zuzurechnen sind, in den 1920er-Jahren zwischen fünf und sieben pro Semester lag. Zunächst nahm die Zahl der soziologischen Lehrveranstaltungen bis zum Sommersemester 1924 zu und blieb dann in den meisten folgenden Semestern auf diesem Niveau. Die Zahl der Studierenden, die sich für die Soziologie interessiert haben, wird ebenfalls mit dem Lehrangebot zugenommen haben. Auf der einen Seite waren die Studienbedingungen prekär und von Wohnungsnot und Existenzsorgen der Studierenden geprägt. Auf der anderen Seite bot das noch wenig institutionalisierte Studium der Soziologie große Freiräume. Wer das Studium abschließen wollte, konnte mit – aus heutiger Perspektive – relativ wenig Aufwand mit einem soziologischen Thema promovieren.

Die Sozialstruktur der Promovierenden, die ein soziologisches Thema bearbeitet haben, unterscheidet sich kaum von Doktoranden der Wirtschaftswissenschaften. In der ersten Gruppe gibt es wahrscheinlich mehr Frauen, aber im Hinblick auf das Alter, der sozialen und räumlichen Herkunft dürfte es kaum markante Unterschiede geben. Die Studierenden der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät kamen mehrheitlich aus groß- und kleinbürgerlichen Elternhäusern, Studierende aus der Arbeiterschicht haben wir unter den Absolventen nicht gefunden.

Es dauerte noch Jahrzehnte, bis man an der Universität zu Köln Soziologie nicht nur als Wahlfach oder Nebenfach, sondern als Hauptfach studieren konnte. Selbst die Berufung von René König, der einen „reinen“ Soziologie-Lehrstuhl innehatte, änderte daran wenig (vgl. König 1962). Erst mit der Einführung des Abschlusses „Diplomvolkswirt sozialwissenschaftlicher Richtung“ (VWL-Soz) im Jahr 1962 wurde die Soziologie an der WiSo-Fakultät aus ihrer Rolle als Wahlpflicht- und Ergänzungsfach befreit. Während sich im Jahr 1965 rund 5 % der Studierenden an der WiSo-Fakultät für die Soziologie als Wahlfach ihrer Diplomprüfungen entschieden, waren es zwei Jahre später 15 % aller Diplom-Kaufleute, Diplom-Volkswirte, Diplom-Volkswirte sozialwissenschaftlicher Richtung, Diplom-Handelslehrer und Diplom-Gewerbelehrer (Schiefer et al. 1969, S. 21). An der Philosophischen Fakultät wurde erst im Jahr 1985 die Soziologie nicht nur als Nebenfach, sondern auch als Magister-Hauptfach zugelassen. Im Jahr 2002 wurde dann an der WiSo-Fakultät der Diplom-Studiengang Sozialwissenschaften eingeführt. In diesem Studiengang konnten sich die Studierenden zwischen einem politikwissenschaftlichen und einem soziologischen Schwerpunkt entscheiden. Im zweiten Fall wurde ihnen der Abschluss Diplom-Soziologe oder -Soziologin zuerkannt (Mitteilung 117/2002). Im Jahr 2007 wurde der Bachelor-Studiengang Sozialwissenschaften eingeführt (Mitteilungen 71/2007), im Jahr 2008 der Masterstudiengang Soziologie und Empirische Sozialforschung, der 2015 in Sociology and Social Research umbenannt wurde (Mitteilungen 36/21.07.2008). Schließlich wurde im Jahr 2015 der Bachelor-Studiengang Volkswirtschaftslehre sozialwissenschaftlicher Richtung ins Leben gerufen (Mitteilungen 127/2015). Neben dem eigenständigen soziologischen Studium, das sich erst vor wenigen Jahrzehnten etabliert hat, existiert also immer noch die enge Verbindung zwischen Soziologie und der Volkswirtschaftslehre, die in Köln eine über 100-jährige Tradition hat.