1 Einleitung

Deutschland wird in der international vergleichenden Forschung traditionell als Arbeitsmarkt beschrieben, auf dem der berufliche Status und die Löhne eng mit den formalen Zertifikaten des nationalen (Berufs‑)Bildungssystems verbunden sind (vgl. z. B. Allmendinger 1989; König und Müller 1986). Das liegt vor allem daran, dass die berufliche Ausbildung in Deutschland in sehr vielen Berufen verbreitet und standardisiert ist (vgl. Abraham et al. 2011). So ist der Standardisierungsgrad von (Aus‑)Bildungsabschlüssen ein wichtiger Einflussfaktor für den Lohn (vgl. Haupt 2012), der allerdings auch innerhalb von Deutschland stark über Berufe variiert (Vicari 2014). Eine starke Standardisierung kann auch ohne rechtlich reglementierte Berufsausübung dazu führen, dass für eine Einstellung bestimmte Zertifikate verlangt werden, die zu der zu besetzenden Stelle passen. Oder Beförderungen werden an formale Weiterbildungen geknüpft – beispielsweise an eine Meisterfortbildung.

Dass eine hohe berufliche Standardisierung, in Form von standardisierten (Aus‑)Bildungsgängen innerhalb von Berufen, mit geringen Chancen auf eine höhere Beschäftigung ohne passendes Zertifikat einhergeht, wird in der Literatur zur beruflichen Schließung immer wieder explizit und implizit angenommen (Bol und Weeden 2014; Bol und Werfhorst 2011; Gittleman et al. 2018; Kleiner und Krueger 2013; Weeden 2002). Obwohl die hierzu angestellten Lohnanalysen immer wieder zu dem Ergebnis kommen, dass Zertifikate auf der Berufsebene einen positiven Lohneffekt haben (Bol und Weeden 2014; Drange und Helland 2019; Haupt 2012; Weeden 2002), ist der angenommene Schließungseffekt empirisch noch nicht überprüft worden. Dieser Beitrag wird daher in erster Linie prüfen, ob es in stärker standardisierten Berufen tatsächlich schwieriger ist, ohne entsprechende (Aus‑)Bildungszertifikate höhere Positionen zu besetzen – also formal unterqualifiziert zu sein. Damit wird der Frage nachgegangen, ob die Standardisierung von (Aus‑)Bildungszertifikaten einen schließenden Effekt innerhalb von Berufen hat.

Gerade Migranten aus Drittstaaten, also vor allem aus Ländern außerhalb der Europäischen Union, haben in ihren Herkunftsländern weniger Möglichkeiten, Zertifikate zu erwerben, die unmittelbar auf dem deutschen Arbeitsmarkt verwertbar sind. Das gilt insbesondere für nichtakademische Abschlüsse, denn im Ausland ist das Pendant zur beruflichen Ausbildung häufig das informelle Lernen am Arbeitsplatz („learning on the job“; Bundesinstitut für Berufsbildung 2017; DiPrete et al. 2017; Liebau und Salikutluk 2016). Diese institutionellen Differenzen zwischen den Herkunftsländern und Deutschland sind auch eine Erklärung für den Umstand, dass der Anteil der Personen ohne berufsqualifizierende Zertifikate unter Migranten deutlich erhöht ist (vgl. z. B. Steinhardt 2011). Ob Arbeitgeber ausländische Zertifikate bei der Positionierung von Arbeitnehmern systematisch abwerten oder ob sie berücksichtigen, dass fehlende Zertifikate bei Migranten nicht mit geringen beruflichen Fähigkeiten zusammenhängen müssen (vgl. Schaeffer et al. 2015), soll im Rahmen dieses Beitrags geprüft werden. Die Untersuchung der Unterqualifikation von Migranten hat auch eine arbeitsmarktpolitische Relevanz: Eine formale Unterqualifikation ist nämlich vielfach die einzige Möglichkeit für Migranten, trotz fehlendem Zertifikat und ohne eine lange und gering entlohnte Ausbildung, einer höheren Beschäftigung nachzugehen.Footnote 1 Wenn ein fehlendes Zertifikat dazu führt, dass sie in standardisierten Berufen nur formal passend und damit als Helfer tätig werden, bleibt ihre Berufserfahrung aus dem Herkunftsland (vgl. Bürmann et al. 2018; Liebau und Salikutluk 2016) auf dem deutschen Arbeitsmarkt häufig ungenutzt.

Der vorliegende Beitrag erweitert zum einen die Forschung zur beruflichen Schließung um eine Prüfung des häufig angenommenen Zusammenhangs zwischen der beruflichen Standardisierung und der individuellen Unterqualifikation. Zum anderen wird die Forschung zur Arbeitsmarktintegration von Migranten durch dieselbe Prüfung um eine Berufs- und Unterqualifikationsperspektive erweitert. Während sich die bisherige Forschung zu den formalen Fehlqualifikationen von Migranten auf die sogenannte formale Überqualifikation beschränkt, also vor allem formal qualifizierte Migranten beleuchtet, werden Fehlqualifikationen von der großen Zahl an Migranten ohne Zertifikate, die bestenfalls formal unterqualifiziert beschäftigt sein können, bisher größtenteils ausgeblendet.

2 Theoretische Konzepte, Stand der Forschung und Hypothesen

2.1 Unterqualifikation, Standardisierung und Schließung

Eine formale Fehlqualifikation („educational mismatch“) liegt vor, wenn das Anforderungsniveau einer beruflichen Tätigkeit nicht zu der individuellen formalen Qualifikation passt (vgl. Leuven und Oosterbeek 2011).Footnote 2 Bei einer formalen Unterqualifikation liegt das individuelle formale Qualifikationsniveau unterhalb jenes Qualifikationsniveaus, das für die Ausübung einer Tätigkeit üblicherweise notwendig ist. Formal Unterqualifizierte sind dadurch aber nicht per se ungeeignet für ihre Tätigkeiten. Ob eine tatsächliche Fehlallokation der Kompetenzen vorliegt, wird durch die sogenannte fähigkeitsbezogene Fehlqualifikation („skill mismatch“) beschrieben. Die Forschung zu Fehlqualifikationen nahm gerade zu Beginn an, dass formale Fehlqualifikationen auch fähigkeitsbezogene Fehlqualifikationen sind (Freeman 1976; Smith und Welch 1978). Neuere Untersuchungen kommen hingegen zu dem Ergebnis, dass dies nur selten der Fall ist (Allen und van der Velden 2001; Green und McIntosh 2007; Prokic-Breuer und McManus 2016). So konnten beispielsweise Rohrbach-Schmidt und Tiemann (2016) auf Grundlage der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung des Jahres 2006 für Deutschland zeigen, dass sich formal Unterqualifizierte genauso selten überfordert fühlen wie adäquat Qualifizierte. Formal Unterqualifizierte verdienen hierbei in der Regel mehr als Beschäftigte mit gleicher formaler Qualifikation, die auf entsprechend niedrigeren Positionen passend qualifiziert sind. Allerdings müssen sie im Vergleich zu formal passend qualifizierten Arbeitnehmern auf den gleichen Stellen häufig einen Lohnabschlag in Kauf nehmen (Hartog 2000; Leuven und Oosterbeek 2011; Rubb 2003).

Unter der beruflichen Standardisierung wird in diesem Beitrag der Grad verstanden, zu dem Berufe durch räumlich und zeitlich vergleichbare (Aus‑)Bildungsabschlüsse (in diesem Fall „Zertifikate“) geprägt sind. Solche Zertifikate können innerhalb von Berufen eine Hürde im Zugang zu höheren Positionen darstellen, da die Ausübung einer Tätigkeit zwar nicht rechtlich, aber informell an standardisierte Zertifikate geknüpft werden kann. Eine formale Reglementierung der Berufsausübung liegt hingegen vor, wenn sie rechtlich an (Aus‑)Bildungstitel (in diesem Fall „Lizenzen“) geknüpft ist. Weil eine formale Unterqualifikation in lizenzierten Berufen rechtlich in den allermeisten FällenFootnote 3 ausgeschlossen ist, wird die berufliche Lizenzierung in der vorliegenden Arbeit nicht explizit untersucht.

Das Konzept der beruflichen Schließung, welches im folgenden Kapitel detaillierter diskutiert wird, beruht auf dem Konzept der sozialen Schließung von Max Weber. So sind Beziehungen (Gruppen, Organisationen, Märkte) nach Weber sozial „nach außen“ geschlossen, wenn sie die „Teilnahme ausschließen oder beschränken oder an Bedingungen knüpfen“ (Weber 1964, S. 31). Die Geschlossenheit hat für die Mitglieder den Vorteil, dass der Wettbewerb mit Außenstehenden reduziert ist. Neben dieser Geschlossenheit „nach außen“ führt Weber auch die Geschlossenheit „nach innen“ an (Weber 1964, S. 31 ff.). Hierbei sind Beziehungen unter den „Beteiligten selbst und im Verhältnis dieser zueinander“ (Weber 1964, S. 33) sozial „nach innen“ geschlossen. Mit Blick auf die berufliche Strukturierung von Arbeitsmärkten wäre ein Beruf demnach „nach außen“ geschlossen, wenn die grundsätzliche Ausübung eines Berufs nur einem ausgewählten Kreis von Personen gewährt wird. Gerade reglementierte Berufe sind stark „nach außen“ geschlossen, weil die Berufsausübung rechtlich nur jenen vorbehalten ist, die eine Lizenz vorweisen können. Ein Beruf ist hingegen „nach innen“ geschlossen, wenn die Positionierung in berufsspezifischen Hierarchien – und damit das Verhältnis der an einem Beruf Beteiligten – an Bedingungen geknüpft wird. Eine solche Bedingung können standardisierte (Aus‑)Bildungsabschlüsse darstellen, obwohl sie grundsätzlich auch den Zugang zu Berufen erschweren und damit „nach außen“ schließen können. Da sich dieser Beitrag aber mit der formalen Unterqualifikation innerhalb von Berufen und der Abhängigkeit dieser von der beruflichen Standardisierung beschäftigt, wird die berufliche Geschlossenheit im Folgenden vor allem als Geschlossenheit „nach innen“ verstanden.

2.2 Berufliche Schließung durch Standardisierung

Mit dem Konzept der beruflichen Schließung überträgt Weeden (2002) Webers Argumente zur sozialen Schließung auf beruflich strukturierte Arbeitsmärkte und unterscheidet bei den zugrunde liegenden Mechanismen zwischen der Angebots- und der Nachfrageseite. Mit Blick auf die in einem Beruf relevanten (Aus‑)Bildungsabschlüsse und deren Standardisierung sind zwei der insgesamt vier MechanismenFootnote 4 hervorzuheben: die Verknappung des Arbeitskräfteangebots und die Signalisierung der fachlichen Qualität von Leistungen.

Die berufliche Standardisierung hängt unmittelbar mit dem Mechanismus der Verknappung des Arbeitskräfteangebots zusammen. So wird im Sinne dieses Mechanismus der Wettbewerb um Stellen auf Personen reduziert, die bestimmte Zertifikate vorweisen können. Das kann ein zentrales Informationsdefizit reduzieren, mit dem Arbeitgeber bei Einstellungs- und Beförderungsentscheidungen konfrontiert sind. So versuchen sie, die Bewerber oder Mitarbeiter mit dem höchsten Humankapital auszuwählen (Becker 1964), das beispielsweise durch formale Bildung und informelles Lernen am Arbeitsplatz erworben wurde (vgl. Mincer 1974). Allerdings ließe sich das gesamte Humankapital nur näherungsweise und durch aufwendige Auswahlprozesse feststellen, die mit langen Vakanzzeiten und hohen Kosten einhergingen. Aufgrund dieser asymmetrischen Informationslage verlassen sich Arbeitgeber im Sinne der Signalingtheorie (Spence 1973; Stiglitz 1975) auf leicht beobachtbare Signale wie beispielsweise Zertifikate. Die Auswahlentscheidung basiert dann auf Wahrscheinlichkeitsannahmen über die tatsächliche Leistungsfähigkeit von Personen mit bestimmten Zertifikaten (Spence 1973, S. 359). Hierbei kann angenommen werden, dass Arbeitgeber standardisierten Zertifikaten eine höhere Signalkraft beimessen als unstandardisierten Zertifikaten (vgl. Sengenberger 1987, S. 127). Bei ausreichendem Angebot an qualifizierten Bewerbern dürfte es demnach für Arbeitgeber in Berufen mit standardisierten (Aus‑)Bildungsabschlüssen einfacher sein, vakante Stellen zu besetzen. Dengler et al. (2016) konnten diesbezüglich auf Basis administrativer Daten der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass stark standardisierte Berufe tatsächlich eine erhöhte AllokationseffizienzFootnote 5 aufweisen. Je standardisierter ein Beruf also ist, desto geringer sind die Suchkosten für Arbeitgeber.Footnote 6

Hierbei können zwei unterschiedliche Perspektiven auf die Wirkung dieses Schließungsmechanismus eingenommen werden (vgl. Weeden 2002). Die erste Perspektive stellt darauf ab, dass die (Aus‑)Bildung die tatsächlich notwendigen Fähigkeiten vermittelt, die zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit erforderlich sind. Dadurch wird die Anzahl der potenziellen Kandidaten für höhere Stellen auf jene Personen reduziert, die die relevanten Fähigkeiten mitbringen (Parkin 1979). Die zweite Perspektive stellt den Kompetenzerwerb in den Hintergrund und fokussiert den kulturellen Wert von Zertifikaten (Bourdieu 1983; Collins 1979). Demnach ist es vor allem wichtig, dass alle relevanten Marktteilnehmer „daran glauben“, dass die Zertifikatsinhaber die relevanten Fähigkeiten besitzen (Weeden 2002, S. 62) – eine Interpretation, die auch als Kredentialismus bekannt ist. Interessanterweise kann das auch bei einer geringen Korrelation zwischen Zertifikaten und Kompetenzen dazu führen, dass Berufe stark geschlossen sind. Unter Auslassung weiterer Einflussfaktoren vereint beide Perspektiven die folgende Schlussfolgerung: Je stärker Berufe durch standardisierte (Aus‑)Bildungsgänge geprägt sind, desto stärker wird sich der Wettbewerb um die vakanten Stellen auf Inhaber der entsprechenden Zertifikate konzentrieren.

Der eher indirekte, aber dennoch relevante Schließungsmechanismus ist jener der Qualitätssignalisierung, der stark mit der Verknappung des Arbeitskräfteangebots zusammenhängt. Den Akteuren, die innerhalb von Berufen aktiv sind (Unternehmen, Verbände, etc.), helfe die berufliche Standardisierung dabei, den Kunden zu signalisieren, dass Leistungen von gut ausgebildeten Personen auf einem bestimmten Qualitätsniveau erbracht werden (vgl. Weeden 2002). Je mehr Personen also beispielsweise ohne entsprechende Zertifikate höhere Tätigkeiten ausüben, desto schwieriger ist es für die Akteure, mithilfe der Zertifikate eine hohe Qualität von Leistungen zu signalisieren. Auch dies spricht dafür, dass in stärker standardisierten Berufen der Anreiz geringer ausfallen dürfte, höhere Stellen mit Personen ohne entsprechende Zertifikate zu besetzen. Aufgrund der diskutierten Mechanismen der beruflichen Schließung durch Standardisierung ist mit Blick auf die Unterqualifikation insgesamt zu erwarten:

H 1

Je höher der Standardisierungsgrad eines Berufs ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit für Beschäftigte, in diesem Beruf formal unterqualifiziert zu sein.

2.3 Gleiche Schließung bei in- und ausländischen Abschlüssen?

Des Weiteren stellt sich nun die Frage, ob sich ein solcher Schließungseffekt zwischen Migranten und Personen ohne Migrationshintergrund unterscheidet. Unter der Annahme, dass die berufliche Schließung durch Standardisierung vor allem den Ausschluss von formal nicht ausreichend (also zu gering) qualifizierten Beschäftigten bewirkt, dürfte es keine Rolle spielen, woher die nicht ausreichenden Zertifikate stammen. Hierbei würden institutionelle Unterschiede zwischen Drittstaaten und Deutschland bei der Einstellung und Positionierung von Arbeitnehmern nicht berücksichtigt. Wenn die berufliche Schließung entlang der Standardisierung in dieser Form kontextunsensibel ist und vor allem entlang der Qualifikationshöhe wirksam wird, sollten nicht ausreichende (also zu niedrige) in- und ausländische Zertifikate in standardisierten Berufen gleich stark sanktioniert werden. Eine formale Unterqualifikation müsste demnach in standardisierten Berufen für beide Gruppen gleichsam schwieriger sein:

H 2

Der schließende Effekt der beruflichen Standardisierung wirkt sich bei Migranten und Personen ohne Migrationshintergrund gleich stark auf die Wahrscheinlichkeit aus, formal unterqualifiziert beschäftigt zu sein.


Wenn diese Hypothese nicht zutreffen sollte, fällt der schließende Effekt der beruflichen Standardisierung bei Migranten entweder stärker oder schwächer aus als bei Personen ohne Migrationshintergrund. Dies würde bedeuten, dass Arbeitgeber (fehlende) ausländische Zertifikate systematisch unterschiedlich bewerten als (fehlende) inländische Zertifikate.

Sollten Migranten in standardisierten Berufen stärker von höheren Stellen ausgeschlossen sein, so könnte dies darauf hindeuten, dass Arbeitgeber gerade in standardisierten Berufen die zu niedrigen ausländischen Zertifikate aufgrund ihrer geringeren Signalkraft sanktionieren. Während angenommen werden kann, dass Arbeitgeber in Deutschland bereits klare Wahrscheinlichkeitsannahmen über die Signalkraft deutscher (Aus‑)Bildungsabschlüsse haben, ist dies bei ausländischen Abschlüssen eher unplausibel. Damelang und Abraham (2016) konnten diese Vermutung mit einer Vignettenstudie zum Einstellungsverhalten von Unternehmen bestätigen. So bevorzugen Arbeitgeber in Deutschland Bewerber mit deutschen Zertifikaten gegenüber Migranten mit ausländischen Zertifikaten. Das könnte beispielsweise bedeuten, dass sich Arbeitgeber bei der Besetzung einer Akademikerstelle im Zweifel eher für den – zwar zu niedrigen, aber immerhin bekannten – deutschen Ausbildungsabschluss und gegen einen vergleichbaren ausländischen Abschluss entscheiden. Selbst bei fehlender beruflicher Qualifikation können Arbeitgeber in der Regel noch auf deutsche Schulabschlüsse zurückgreifen, deren Signalwert wohl häufig ebenfalls höher sein dürfte als jener von ausländischen Schulabschlüssen.

Wenn der schließende Effekt der Standardisierung allerdings schwächer ausfällt, könnte dies darauf hindeuten, dass Arbeitgeber die Möglichkeiten („opportunity sets“, Spence 1973, S. 370) des Signalerwerbs berücksichtigen. Da ein berufliches Ausbildungssystem wie in Deutschland vor allem in Drittstaaten kaum existiert, kann davon ausgegangen werden, dass sich bei formal nicht qualifizierten Migranten um eine sehr heterogene Gruppe hinsichtlich ihrer Fähigkeiten handelt. Viele Berufe werden gerade in Drittstaaten informell am Arbeitsplatz und ohne formale Zertifizierung erlernt. Wenn in solchen Fällen die Einstellung und Positionierung trotzdem an formale Qualifikation geknüpft wird, erhöht dies das Risiko für Arbeitgeber, leistungsfähige Personen fälschlicherweise nicht auszuwählen oder zu niedrig zu positionieren (vgl. Schaeffer et al. 2015; Solga 2005). Diesbezüglich konnten Damelang et al. (2019a) in einer Vignettenstudie zum Einstellungsverhalten von Unternehmen zeigen, dass Arbeitgeber fehlende Zertifikate mit der Berufserfahrung aufwiegen, wenn das (Berufs‑)Bildungssystem des Herkunftslands nicht standardisiert ist und kaum spezielle berufspraktische Kompetenzen vermittelt. Hinsichtlich der beruflichen Standardisierung kann ferner angenommen werden, dass das Bewusstsein über die (Nicht‑)Existenz ausländischer Abschlüsse bei Arbeitgebern in standardisierten Berufen höher ist. Vor allem die institutionellen Unterschiede in den (Berufs‑)Bildungssystemen könnten also dazu führen, dass die berufliche Schließung bei Migranten ohne berufsqualifizierende Abschlüsse weniger wirksam wird.

2.4 Ökonomischer Druck, Diskriminierung und Netzwerke als alternative Erklärungen

Wie erläutert, beruht die berufliche Schließung auf der Angebotsseite vor allem auf der Verknappung des Arbeitskräfteangebots. Daher ist es grundsätzlich möglich, dass ein Schließungseffekt durch einen höheren ökonomischen Druck in standardisierten Berufen verdeckt wird. So kann ein geringes Arbeitskräfteangebot nämlich dazu führen, dass Arbeitgeber von ihren üblichen Auswahlentscheidungen abweichen (müssen) (vgl. Damelang et al. 2019a), was zunächst nicht unmittelbar mit der hier vermuteten Wirkung der Standardisierung zusammenhängt. Um möglichst auszuschließen, dass die Ergebnisse durch ein sehr geringes Arbeitskräfteangebot in standardisierten Berufen verzerrt werden oder sich gerade unterschiedliche Schließungseffekte zwischen Migranten und Personen ohne Migrationshintergrund durch unterschiedlich starken ökonomischen Druck in den Berufen ergeben, wird die Arbeitslosigkeit in den Berufen bei den Analysen berücksichtigt.

Die erläuterten Wahrscheinlichkeitsannahmen über die mutmaßlich höhere Produktivität von Zertifikatsinhabern können dazu führen, dass Personen mit einer vergleichbaren Produktivität ausschließlich aufgrund des fehlenden Zertifikats ausgeschlossen werden. Eine solche Auswahl bei Einstellungs- und Beförderungsentscheidungen könnte auch reine statistische Diskriminierung darstellen (Phelps 1972). Dies lässt sich zwar nicht direkt ausschließen, widerspricht den dargelegten theoretischen Argumenten im Sinne des kulturellen Werts von Zertifikaten allerdings auch nicht. Neben dieser statistischen Diskriminierung lässt sich gerade mit Hinblick auf Migranten auch die „härtere“ Diskriminierung aufgrund von individuellen Präferenzen der Entscheidungsträger als alternative Erklärung anführen („taste-based discrimination“, Becker 2010). So könnten Arbeitgeber die Herkunft der Beschäftigten nutzen, um (un-)bewusst Personen auszuwählen, die ihnen ähnlich sind und jene auszuschließen, die ihnen unähnlich sind. Solche und ähnliche Entscheidungen werden empirisch häufig beobachtet und sind unter dem Begriff Homophilie bekannt (McPherson et al. 2001).Footnote 7 Darüber hinaus könnten sich Unterschiede in den Unterqualifikationswahrscheinlichkeiten ergeben, die sich durch Netzwerkeffekte erklären lassen (Alaverdyan 2018; Chort 2017; Haas et al. 2013). So könnten Migranten durch persönliche Empfehlungen gerade in Berufen eine Anstellung in Unterqualifikation bekommen, in denen bereits viele Migranten arbeiten. Um möglichst sowohl Homophilie- als auch Netzwerkeffekte auszuschließen, wird der Anteil der Beschäftigten ohne deutsche Staatsangehörigkeit in den Berufen bei den Analysen berücksichtigt.

3 Daten und Analysestrategie

3.1 Individual- und Berufsdaten

Auf der Individualebene (L1) wird zur Untersuchung der formalen Unterqualifikation das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) der Jahre 2013 bis 2017 genutzt (v34.1, Goebel et al. 2018). Das SOEP wird bereits seit 1984 erhoben und umfasst pro Jahr etwa 20.000 Personen aus etwa 11.000 Haushalten, die größtenteils persönlich befragt werden (CAPI). Der ausgewählte Untersuchungszeitraum begründet sich zum einen durch die Verfügbarkeit der neuesten Version der Klassifikation der Berufe, die in der Fassung von 2010 (KldB 2010, vgl. Wiemer et al. 2011) seit dem Erhebungsjahr 2013 im SOEP verfügbar ist. Zum anderen sind im SOEP seit 2013 fünf neue Stichproben mit MigrantenFootnote 8 der Jahre 1995 bis 2016 in den Datenbestand aufgenommen worden. Dadurch sind Migranten im SOEP seit 2013 überproportional vertreten, was migrationsspezifische Analysen deutlich verbessert.

Für die Analysen wurden Personen ohne Migrationshintergrund und zugewanderte Personen der ersten Generation berücksichtigt. Bei beiden Personengruppen wurden Arbeitnehmende in abhängigen Beschäftigungsverhältnissen (exkl. Selbstständige, Freiberufler, mithelfende Familienangehörige) berücksichtigt, die nicht in Ausbildung (sowie Praktika und Volontariate) beschäftigt waren und Angaben zu ihrem Beruf und ihren Qualifikationen gemacht haben. Beschäftigte mit den höchsten akademischen Abschlüssen (Tab. 1) wurden ausgeschlossen, da sie per Definition nicht unterqualifiziert sein können. Im Sinne der Fokussierung auf Migranten aus Drittstaaten wurden Migranten aus den EU-15-Ländern sowie aus hoch entwickelten Ländern (Schweiz, USA, Australien, Kanada und Japan) ausgeschlossen. Um ausschließlich die Signalwirkung ausländischer Abschlüsse zu untersuchen, wurden nur Migranten berücksichtigt, die zum Zeitpunkt der Zuwanderung mindestens 18 Jahre alt waren und in Deutschland bis zum Befragungszeitpunkt keinen berufsqualifizierenden Abschluss des deutschen (Berufs‑)Bildungssystems nachgeholt haben.Footnote 9 Auf Basis dieser Daten wurde ein QuerschnittFootnote 10 für die Jahre 2013 bis 2017 erstellt, für den bei Arbeitnehmern mit den geschilderten Merkmalen der erste Beobachtungszeitpunkt ausgewählt wurde. Insgesamt stehen für die multivariaten Analysen auf der Individualebene für mehr als 97 % der Befragten der oben beschriebenen Subpopulation vollständige Informationen zu den Kontrollvariablen auf der Individualebene zur Verfügung. Diese beinhalten neben soziodemografischen Merkmalen auch Arbeitsplatzmerkmale, die als relevant für formale Unterqualifikationen erachtet werden können.Footnote 11 Im Querschnitt stehen damit insgesamt 15.421 Befragte für die Analysen zur Verfügung (13.470 Personen ohne Migrationshintergrund und 1951 Migranten).Footnote 12 Zur Gewichtung der deskriptiven Ergebnisse wurde das Designgewicht des jeweiligen Befragungsjahres verwendet.

Tab. 1 Operationalisierungsgrundlage für die formale Unterqualifikation

Die Operationalisierung der formalen Unterqualifikation als abhängige Variable beruht auf einer Gegenüberstellung der Anforderungsniveaus von Tätigkeiten und den formalen Qualifikationsniveaus der Befragten. Seit der neuen „Klassifikation der Berufe 2010“ (KldB 2010) ist es für Deutschland möglich, anhand von Experteneinschätzungen die Anforderungen von beruflichen Tätigkeiten zu messen (sogenannte „job analysis method“ [JA-Methode], vgl. Hartog 2000). Die fünfte Stelle der Klassifikation bildet nämlich innerhalb von Berufen das sogenannte Anforderungsniveau der jeweiligen Tätigkeit ab, das auf Grundlage der von den Befragten angegebenen Berufsbezeichnungen und weiteren Informationen zur beruflichen Tätigkeit gebildet wurde (Wiemer et al. 2011). Um hinsichtlich der formalen Qualifikationen die internationale Vergleichbarkeit der erhobenen Abschlüsse zu erhöhen, wurde die „International Standard Classification of Education“ (ISCED) in der Fassung von 2011 verwendet (UNESCO 2012). Eine adäquate Qualifikation wird über die in Tab. 1 dargestellten Passungen (vgl. Wiemer et al. 2011) zwischen den Anforderungsniveaus und den ISCED 2011 Niveaus definiert.

Eine formale Unterqualifikation hingegen liegt vor, wenn der formale Bildungsabschluss unterhalb des Anforderungsniveaus liegt. So sind beispielsweise Personen formal unterqualifiziert, die eine komplexe Spezialistentätigkeit ausüben, aber nur einen mittleren Abschluss (ISCED 3 & 4) vorweisen können. Die dichotome abhängige Variable für die empirischen Analysen weist bei einer formalen Unterqualifikation den Wert 1 auf, während sie den Wert 0 annimmt, wenn Personen adäquat- oder überqualifiziert sind.

Die Ergebnisse auf Grundlage dieser Operationalisierung werden an zentralen Stellen mit Ergebnissen auf Grundlage der selbsteingeschätzten Anforderungsniveaus (sogenannte „worker self-assessment method“ [WA-Methode], vgl. Hartog 2000) auf Robustheit getestet. Das Anforderungsniveau ergibt sich hierbei aus der Frage zu der aktuellen Tätigkeit der Befragten: „Welche Art von Ausbildung ist für diese Tätigkeit in der Regel erforderlich?“. Hierbei wurden die Anforderungsniveaus „Kein beruflicher Ausbildungsabschluss erforderlich“, „Eine abgeschlossene Berufsausbildung“ und „Ein abgeschlossenes Fachhochschul‑, Universitäts- oder Hochschulstudium“Footnote 13 gebildet. Zur Operationalisierung der Unterqualifikation wurden diesen Anforderungsniveaus die Qualifikationsniveaus „keine“ (ISCED 1 & 2) und „mittlere“ (ISCED 3–5) berufliche Qualifikation gegenübergestellt.Footnote 14 Der Qualifikation „Fachschule/Meister“ (ISCED 5) wurde das Anforderungsniveau „Eine abgeschlossene Berufsausbildung“ zugeordnet.

Als zentrale unabhängige Variable auf der Individualebene fungiert das Qualifikationsniveau. Hierbei wird auf die in Tab. 1 dargestellten Kategorien zurückgegriffen, die auf Grundlage der ISCED-Klassifikation gebildet wurden. Um die Effekte eines fehlenden (ISCED 1 & 2) und eines hohen Abschlusses (ISCED 5 & 6) im Vergleich zum Qualifikationsniveau deutscher Ausbildungsabschlüsse zu schätzen, werden die mittleren Abschlüsse (ISCED 3 & 4) in den Modellen als Referenzkategorie genutzt.

Auf der Berufsebene (L2) werden alle 36 nichtmilitärischen „Berufshauptgruppen“ der Klassifikation der Berufe (zweite Stelle) in der Fassung von 2010 untersucht.Footnote 15 Die zentrale unabhängige Variable auf Ebene dieser Berufsgruppen ist der Standardisierungsgrad von (Aus‑)Bildungsabschlüssen. Vicari (2014) hat auf Grundlage umfangreicher Informationen der Bundesagentur für Arbeit einen Indikator entwickelt, der diesen Standardisierungsgrad abbildet (bei Vicari „Grad der standardisierten Abschlusszertifikate“). Der Indikator misst, wie prominent formale und standardisierte (Aus‑)Bildungsgänge in Berufen vertreten sind. Einzelberufe haben hierbei standardisierte Zertifikate, wenn die für ihre Ausübung üblicherweise notwendige formale Zertifizierung „bundes- oder landeseinheitlich“ geregelt ist (Vicari 2014, S. 11). Abschließend weist Vicari (2014) den Berufsgruppen gewichtete Werte auf Basis der jeweiligen Beschäftigtenzahlen in den Einzelberufen zu. Um den von Vicari für das Jahr 2012 gebildeten Indikator näherungsweise in Prozent interpretieren zu können, wurde er für die Auswertungen mit 100 multipliziert.Footnote 16 Die höchsten Standardisierungswerte weisen die Berufsgruppen „Führer/Innen von Fahrzeugen und Transportgeräten“ (92,1) und „Berufe in Recht und Verwaltung“ (89,7) auf. Geringe Standardisierungswerte sind in den Berufsgruppen „Sprach-, literatur-, geistes-, gesellschafts- und wirtschaftswissenschaftliche Berufe“ (2,4) und „Lehrende und ausbildende Berufe“ (17) zu finden.

Um die alternativen Erklärungsansätze zu berücksichtigen, werden zwei zusätzliche Berufsmerkmale des Jahres 2013 aus der Datenbank Berufe im Spiegel der Statistik (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2018) an die Berufsgruppen der KldB 2010 angespielt und in den Modellrechnungen kontrolliert. So wird zum einen die Arbeitslosigkeit von Personen mit dem entsprechenden Zielberuf berücksichtigt, um verzerrte Effekte durch unterschiedlich hohen ökonomischen Druck auszuschließen. Zum anderen wird der Anteil der Beschäftigten mit ausländischer Staatsbürgerschaft an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Berufen (als bester Proxy für den Anteil der Migranten) hinzugezogen, um für Homophilie- und Netzwerkeffekte zu kontrollieren.Footnote 17

3.2 Methode und Analysestrategie

Im deskriptiven Teil dieser Arbeit wird sowohl der Anteil der Beschäftigten als auch der Anteil der Unterqualifizierten nach Terzilen des beruflichen Standardisierungsgrads dargestellt, die auf Basis der 36 Berufsgruppen gebildet wurden. Nach der deskriptiven Darstellung der Unterqualifikation entlang der Standardisierungsterzile wird mithilfe von Mehrebenenmodellen empirisch geprüft, ob die deskriptiven Befunde auch unter Kontrolle individueller und beruflicher Merkmale bestehen bleiben. Hierbei werden Random-Intercept-Mehrebenenmodelle verwendet, bei denen die Konstante der abhängigen Variable „Unterqualifikation“ zwischen den Berufen variieren darf. Um heterogene Effekte bei den Kontrollvariablen zuzulassen und die Ergebnisdarstellung übersichtlich zu halten, werden getrennte Modelle für Personen ohne Migrationshintergrund und Migranten berechnet.Footnote 18 Damit die Ergebnisse der getrennten Modelle miteinander und mit Ergebnissen aus Modellen für Tests auf Robustheit verglichen werden können, werden lineare Wahrscheinlichkeitsmodelle einer nichtlinearen Modellierung vorgezogen (Allison 1999; Mood 2010).Footnote 19 Diese Entscheidung ist auch deshalb vertretbar, weil nicht die geschätzten Unterqualifikationswahrscheinlichkeiten selbst, sondern die geschätzten Effektstärken der Standardisierung im Fokus der Analysen stehen.Footnote 20 Die Modelle werden mit clusterrobusten Standardfehlern auf Ebene der Berufsgruppen berechnet.

Der Aufbau der Mehrebenenmodelle orientiert sich an dem von Hox (1995) vorgeschlagenen. So wird zunächst ein nahezu leeres Modell (M0) berechnet, in dem lediglich die Befragungsjahre als unabhängige Variablen aufgenommen werden. Im Modell 1 (M1) werden die Individualvariablen aufgenommen, bevor in Modell 2 (M2) mit den Berufsmerkmalen der qualifikationsübergreifende Effekt der beruflichen Standardisierung unter Kontrolle der Arbeitslosigkeitsquote und des Ausländeranteils geschätzt wird. In einem letzten Modell (M3) wird mit Cross-Level-Interaktionen von den Berufsmerkmalen und dem Qualifikationsniveau geprüft, ob sich der Effekt der beruflichen Standardisierung entlang der beruflichen Qualifikationsniveaus unterscheidet. Diese finalen Modelle ermöglichen eine nach Qualifikationsniveaus differenzierte Überprüfung der aufgestellten Hypothesen. Der schrittweise Aufbau der vier Mehrebenenmodelle für Personen ohne Migrationshintergrund und Migranten ist in Tab. 2 dargestellt.

Tab. 2 Sukzessiver Aufbau der getrennten linearen Mehrebenenwahrscheinlichkeitsmodelle

4 Ergebnisse

4.1 Deskriptive Befunde

Ein Hinweis darauf, inwiefern der Zugang zu stark standardisierten Berufen realisiert wird, kann die Verteilung der Beschäftigten entlang des beruflichen Standardisierungsgrads geben. In Abb. 1 ist die Verteilung aller betrachteten Beschäftigten insgesamt sowie die Verteilung der Beschäftigten einzelner Qualifikationsniveaus entlang der Standardisierungsterzile abgebildet. Insgesamt sind Personen ohne Migrationshintergrund in 78 % der Fälle in Berufen beschäftigt, die durch eine mittlere und hohe Standardisierung geprägt sind. In diesen Berufen arbeiten gerade einmal 59 % der Migranten. Mit 40 % sind sie am häufigsten in Berufen mit einem geringen Standardisierungsgrad beschäftigt. Insgesamt scheinen Migranten also seltener den Zugang zu standardisierten Berufen zu schaffen als Personen ohne Migrationshintergrund.

Abb. 1
figure 1

Verteilung der Beschäftigten nach Standardisierungsgrad und Qualifikation. (Quelle: SOEP v34.1, gewichtet, eigene Berechnungen. aQualifikationsniveaus nach ISCED 2011: keine = ISCED 1 & 2, mittel = ISCED 3 & 4, hoch = ISCED 5 & 6, alle = ISCED 1–6 [ohne ISCED 7 & 8]. ohne MH ohne Migrationshintergrund, Mig. Migranten; diese Darstellung basiert auf der Modellstichprobe [N = 15.421]; Differenzen zu einer Gesamtsumme von 100 % ergeben sich durch Rundungen)

Eine Differenzierung nach Qualifikationsniveaus offenbart allerdings, dass diese Verteilungen vor allem bei fehlenden und mittleren Abschlüssen vorzufinden sind. So sind unter den Beschäftigten ohne berufsqualifizierende Abschlüsse gerade Migranten besonders häufig in gering standardisierten Berufen beschäftigt (41 %). Den Zugang zu stark standardisierten Berufen schaffen sie deutlich seltener (28 %). Personen ohne Migrationshintergrund sind hingegen auch ohne berufsqualifizierende Abschlüsse häufiger in hoch standardisierten Berufen beschäftigt (37 %) als in Berufen mit geringer Standardisierung (30 %). Bei Beschäftigten mit mittleren Abschlüssen sind die Verteilungen sogar noch eindeutiger. Beschäftigte ohne Migrationshintergrund sind in 80 % der Fälle in Berufen mit einem mittleren oder hohen Standardisierungsgrad beschäftigt. Migranten wiederum arbeiten nur in 58 % der Fälle in diesen Berufen. Sie sind trotz einer im Sinne der ISCED-Klassifikation vergleichbaren formalen Qualifikation am häufigsten in der Gruppe der gering standardisierten Berufe beschäftigt (41 %).

In Abb. 2 sind die Unterqualifikationsquoten der Beschäftigten wie in Abb. 1 nach den Qualifikationsniveaus und entlang der Standardisierungsterzile dargestellt. Im Sinne der theoretischen Überlegungen zur beruflichen Schließung ist zu erwarten, dass eine Unterqualifikation mit zunehmender Standardisierung unwahrscheinlicher wird. Bei allen betrachteten Personen ohne Migrationshintergrund ist dieser Zusammenhang ohne Differenzierung nach Qualifikationsniveaus in der Tat feststellbar. In den gering standardisierten Berufen sind 39 % der Beschäftigten auf höheren Stellen tätig, ohne das üblicherweise erforderliche Zertifikat vorweisen zu können. Dieser Anteil sinkt in hoch standardisierten Berufen auf gerade einmal 20 %. Bei Migranten ist dieser Zusammenhang deskriptiv allerdings nicht feststellbar. Sie sind in hoch standardisierten Berufen sogar etwas häufiger (27 %) unterqualifiziert als in gering standardisierten Berufen (21 %). Da diese Quoten entlang der Standardisierung aber vor allem durch den hohen Anteil von formal nicht qualifizierten Migranten in gering standardisierten Berufen verzerrt sein können, empfiehlt sich auch hier eine Differenzierung nach den Qualifikationsniveaus.

Abb. 2
figure 2

Anteil der Unterqualifizierten nach Standardisierungsgrad und Qualifikation. (Quelle: SOEP v34.1, gewichtet, eigene Berechnungen. aQualifikationsniveaus nach ISCED 2011: keine = ISCED 1 & 2, mittel = ISCED 3 & 4, hoch = ISCED 5 & 6, alle = ISCED 1–6 [ohne ISCED 7 & 8]. ohne MH ohne Migrationshintergrund, Mig. Migranten; diese Darstellung beruht auf der Modellstichprobe [N = 15.421])

Bei formal qualifizierten Beschäftigten ohne Migrationshintergrund sind deskriptiv eindeutige Schließungseffekte feststellbar. So sinkt die Unterqualifikationsquote bei Beschäftigten mit mittleren Abschlüssen von 29 % bei geringer Standardisierung auf gerade einmal 12 % bei hoher Standardisierung. Bei hohen Abschlüssen liegt die Quote im Terzil mit geringer Standardisierung bei 58 %, während im Terzil mit der höchsten Standardisierung nur noch 29 % der Beschäftigten auf höheren Stellen arbeiten, ohne das üblicherweise notwendige Zertifikat zu besitzen (hier z. B. Master oder Promotion). In beiden Qualifikationsgruppen liegt die Unterqualifikationsquote in Berufen mit geringer Standardisierung also mindestens doppelt so hoch wie in Berufen mit hoher Standardisierung.

Bei qualifizierten Migranten ist die Frage nach der Schließung deskriptiv weniger eindeutig zu beantworten. Bei mittleren Abschlüssen haben Migranten zunächst insgesamt eine deutlich geringere Unterqualifikationsquote als Personen ohne Migrationshintergrund (6 zu 18 %). Migranten mit ausländischen Abschlüssen auf dem Niveau einer beruflichen Ausbildung schaffen also seltener als Personen ohne Migrationshintergrund mit inländischen Abschlüssen den „Sprung“ in berufliche Tätigkeiten, die mindestens einen Meister- oder Bachelorabschluss erfordern. Aber im Gegensatz zu dem Befund bei Personen ohne Migrationshintergrund lässt sich bei formal qualifizierten Migranten zumindest deskriptiv kein eindeutiger Schließungseffekt ausmachen.

Bei Beschäftigten ohne berufsqualifizierenden Abschluss sind die höchsten Unterqualifikationsquoten zu verzeichnen. Migranten sind hierbei seltener (48 %) als Personen ohne Migrationshintergrund (64 %) ohne berufsqualifizierenden Abschluss oberhalb des Helferniveaus beschäftigt. Da ohne Abschluss per Definition die meisten Möglichkeiten in Form höherer Positionen zur Verfügung stehen, um eine formale Unterqualifikation zu realisieren, ist dieser Befund grundsätzlich nicht unplausibel. Auf Grundlage der theoretischen Überlegungen zur beruflichen Schließung ist die Verteilung der Unterqualifikationsquoten über die Terzile der beruflichen Standardisierung allerdings überraschend. Während in den Berufen mit der geringsten Standardisierung 46 % der geringqualifizierten Personen ohne Migrationshintergrund unterqualifiziert sind, sind es im Terzil mit der höchsten Standardisierung 80 %. Wenn auch auf niedrigerem Niveau, ist ein ähnlich linearer Anstieg über die Standardisierungsterzile auch bei Migranten beobachtbar (35 zu 68 %). Bei Beschäftigten ohne berufsqualifizierende Abschlüsse wird eine Unterqualifikation mit zunehmender Standardisierung also nicht unwahrscheinlicher, wie es theoretisch zu erwarten war, sondern wahrscheinlicher. Wenn der Zugang zu einem standardisierten Beruf trotz fehlendem Abschluss gelingt, was für Migranten schwieriger zu sein scheint (vgl. Abb. 1), dann ist eine Beschäftigung auf höheren Positionen deutlich häufiger vorzufinden als in gering standardisierten Berufen.

In der für die Operationalisierung der Unterqualifikation genutzten Klassifikation der Berufe sind allerdings nicht in allen Berufen alle Anforderungsniveaus abgebildet. So gibt es zum Beispiel Berufe, die per Definition kein Helferniveau aufweisen. Um auszuschließen, dass sich gerade der zuletzt dargestellte Befund aufgrund der Konstruktion der Klassifikation der Berufe ergibt, wurde das Ergebnis mit der Unterqualifikation auf Grundlage der Selbsteinschätzung der Befragten abgeglichen. Bei geringqualifizierten Beschäftigten lässt sich der Anstieg der Unterqualifikation entlang der Standardisierung auch anhand der Selbsteinschätzung bestätigen – allerdings auf einem niedrigeren Niveau (insgesamt: Personen ohne Migrationshintergrund 38 %; Migranten 15 %). Auch der Schließungseffekt bei Beschäftigten mit mittlerem Qualifikationsniveau lässt sich durch die Selbsteinschätzung der Befragten auf einem niedrigeren Niveau im Wesentlichen bestätigen.Footnote 21

4.2 Multivariate Befunde

Durch lineare Mehrebenenwahrscheinlichkeitsmodelle wird im Folgenden geprüft, ob die deskriptiven Befunde auch unter Kontrolle individueller und beruflicher Merkmale bestehen bleiben. Im linearen Mehrebenenmodell (Maximum Likelihood), in dem neben der abhängigen Variable „Unterqualifikation“ nur die Befragungsjahre als unabhängige Variablen aufgenommen werden (M0), beträgt der Intraklassenkoeffizient (ICC) bei Personen ohne Migrationshintergrund 0,23 (M0a) und bei Migranten 0,22 (M0b). Damit lässt sich festhalten, dass in beiden Gruppen über 20 % der Gesamtvarianz der Unterqualifikation auf der Berufsebene zu verorten ist.Footnote 22

In den Modellen M1a und M1b werden die Individualvariablen aufgenommen. Hinsichtlich der Effekte dieser VariablenFootnote 23 lässt sich für beide Gruppen zum Beispiel festhalten, dass Frauen seltener unterqualifiziert sind als Männer. Ebenso sind geringfügig oder in Teilzeit Beschäftigte seltener unterqualifiziert als Beschäftigte, die in Vollzeit arbeiten. Auch der Befund, dass Arbeiter im Vergleich zu Angestellten und Beamteten seltener unterqualifiziert sind, zeigt sich bei beiden Gruppen. Mindestens das Alter und die Betriebsgröße weisen allerdings sehr unterschiedliche Effekte zwischen den Gruppen auf. So ist bei Personen ohne Migrationshintergrund vor allem ein positiver Effekt des Alters zu finden, der mit zunehmendem Alter zwar abnimmt, bei Migranten aber insgesamt ausbleibt. Darüber hinaus sind Personen ohne Migrationshintergrund in großen Unternehmen signifikant häufiger in Unterqualifikation als vergleichbare Beschäftigte in kleinen Unternehmen. Ein solcher Effekt bleibt bei Migranten ebenfalls aus.

Hinsichtlich der Effekte der Qualifikationsniveaus, die wie alle im Folgenden diskutierten Effekte in Tab. 3 dargestellt sind, lässt sich sowohl bei Personen ohne Migrationshintergrund als auch bei Migranten ein positiver Effekt für Beschäftigte ohne berufsqualifizierende Abschlüsse feststellen. Sie sind im Vergleich zu Beschäftigten mit mittleren Abschlüssen signifikant häufiger unterqualifiziert. Da sich bereits deskriptiv zeigte, dass die Unterqualifikation bei Migranten mit mittleren Abschlüssen besonders niedrig ist, ist ein positiver Effekt hoher Abschlüsse nur bei Migranten und nicht bei Personen ohne Migrationshintergrund zu finden.

Tab. 3 Random Intercept linearer Mehrebenenwahrscheinlichkeitsmodelle

In den Modellen M2a und M2b werden die Berufsmerkmale aufgenommen. Bei dem Standardisierungsgrad zeigt sich der theoretisch erwartete Effekt. Eine höhere Standardisierung geht mit einer geringeren Unterqualifikationswahrscheinlichkeit einher. Dieser Effekt ist in gleicher Effektstärke (β = −0,008) und Signifikanz (p < 0,001) bei Personen ohne Migrationshintergrund und Migranten feststellbar. Auf Grundlage der linearen Modellierung geht demnach eine 10 Prozentpunkte höhere Standardisierung mit einer 8 Prozentpunkte geringeren Wahrscheinlichkeit einher, formal unterqualifiziert zu sein. Ohne eine Differenzierung nach Qualifikationsniveaus lässt sich damit festhalten, dass es in stärker standardisierten Berufen offensichtlich schwieriger ist, ohne entsprechendes Zertifikat einer höheren beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Dieser Befund hält also auch der Kontrolle individueller und beruflicher Merkmale stand, die alternative Erklärungen für die deskriptiven Muster hätten sein können. Hinsichtlich der Kontrollvariablen auf der Berufsebene lässt sich zum einen festhalten, dass der Ausländeranteil positiv mit der Unterqualifikation zusammenhängt. So sind Beschäftigte in Berufen, in denen weniger Ausländer arbeiten, häufiger unterqualifiziert. Da dies allerdings nicht nur für Personen ohne Migrationshintergrund, sondern auch für Migranten gilt, kann es sich hierbei kaum um positive Homophilie- oder Netzwerkeffekte handeln. Zum anderen zeigt sich der Effekt der Arbeitslosigkeit bei beiden Gruppen in der erwarteten Richtung, ist allerdings nur bei Personen ohne Migrationshintergrund signifikant (p < 0,01) von null verschieden. So sind zumindest Personen ohne Migrationshintergrund in Berufen mit einer niedrigeren Arbeitslosigkeit signifikant häufiger unterqualifiziert, was für angepasste Einstellungs- und Beförderungsentscheidungen aufgrund eines erhöhten ökonomischen Drucks spricht.

In den finalen Modellen M3a und M3b werden nun Mehrebeneninteraktionen zwischen dem Qualifikationsniveau und den Berufsmerkmalen aufgenommen. Die Haupteffekte der Berufsmerkmale, die nun konditionale Effekte bei mittleren Abschlüssen abbilden, fallen ähnlich aus wie in dem vorherigen Modell. Die berufliche Standardisierung zeigt sowohl bei Personen ohne Migrationshintergrund (β = −0,010; p < 0,001), als auch bei Migranten (β = −0,009; p < 0,001) deutliche Schließungseffekte an. Die Interaktionen zwischen dem Standardisierungsgrad und dem Qualifikationsniveau zeigen, dass sich die Effekte bei hohen Abschlüssen nicht signifikant von denen bei mittleren Abschlüssen unterscheiden. Obwohl die deskriptiven Ergebnisse hinsichtlich der Schließungseffekte bei qualifizierten Migranten weniger eindeutig waren als bei Personen ohne Migrationshintergrund, zeigen die Modellrechnungen bei beiden Gruppen ähnliche Effekte der Standardisierung. Darüber hinaus ist bei Beschäftigten ohne berufsqualifizierenden Abschluss auch unter Kontrolle individueller und beruflicher Merkmale kein Schließungseffekt feststellbar. Bei Beschäftigten ohne Abschluss führen die Interaktionseffekte zu marginalen Effekten der beruflichen Standardisierung, die nahe null liegen (ohne MH: β = –0,0003, p > 0,1; Mig.: β = 0,003, p > 0,1). Eine Zunahme der Unterqualifikation, so wie sie sich deskriptiv zeigte, kann unter Kontrolle individueller und beruflicher Merkmale also nicht mehr festgestellt werden.

Neben den soeben diskutierten Effekten der Standardisierung sind in Abb. 3 die Effekte auf Grundlage der selbsteingeschätzten Unterqualifikation dargestellt. Bei der Selbsteinschätzung zeigt sich bei qualifizierten Beschäftigten ohne Migrationshintergrund ein signifikanter Effekt der Standardisierung (Abb. 3b), der allerdings schwächer ist als bei der Operationalisierung über die Klassifikation der Berufe (Abb. 3a). Dieser Effekt fällt bei Migranten nur etwas geringer aus, ist aber nicht signifikant von null verschieden. Das kann daran liegen, dass für die Berechnung bei Migranten zwei Berufsgruppen aufgrund der kleineren Stichprobe nicht berücksichtigt werden konnten. Abschließend lässt sich allerdings festhalten, dass bei Beschäftigten ohne berufsqualifizierende Abschlüsse auch bei der Operationalisierung über die Selbsteinschätzung kein Effekt der Standardisierung feststellbar ist. Für Migranten wurde darüber hinaus auf beiden Operationalisierungsgrundlagen ein Modell mit migrationsspezifischen Variablen geschätzt. Die Hinzunahme der selbsteingeschätzten Deutschkenntnisse und der Jahre seit Migration verändert den Effekt der Standardisierung bei Migranten allerdings kaum (Abb. 3a, b). Die Effekte auf Basis der Klassifikation der Berufe bleiben darüber hinaus auch bei einer Überprüfung anhand des Mikrozensus (s. Online-Anhang „Prüfungen auf Robustheit mit dem Mikrozensus“) und unter Kontrolle der Interaktion zwischen Qualifikation und beruflicher Reglementierung robust (s. Online-Anhang Tab. A10).Footnote 24

Abb. 3
figure 3

Lineare Effektstärken des Standardisierungsgrads auf die Unterqualifikation nach Operationalisierung. (Quellen: SOEP v34.1, ungewichtet, eigene Berechnungen, clusterrobuste Standardfehler, s. Online-Anhang Tab. A5 und A6. aQualifikationsniveaus nach ISCED 2011: keine = ISCED 1 & 2, mittel = ISCED 3 & 4, hoch = ISCED 5 & 6; bSelbsteingeschätzte Deutschkenntnisse [sprechen, schreiben, lesen] und Jahre seit Migration; cQualifikationsniveaus nach ISCED 2011: keine = ISCED 1 & 2, mittel = ISCED 3–5; dnur 34 der 36 Berufsgruppen konnten berücksichtigt werden)

Die berufliche Standardisierung hat also vor allem bei Beschäftigten mit berufsqualifizierenden Abschlüssen einen schließenden Effekt innerhalb von Berufen. Für qualifizierte Beschäftigte lässt sich die Hypothese H 1 damit weitestgehend bestätigen, während sie für Beschäftigte ohne Abschlüsse verworfen werden muss. Für Beschäftigte ohne berufsqualifizierenden Abschluss ist eine Unterqualifikation in standardisierten Berufen nämlich nicht unwahrscheinlicher, sondern mindestens genauso wahrscheinlich wie in gering standardisierten Berufen. Bezüglich möglicher Unterschiede in den Schließungseffekten zwischen Personen ohne Migrationshintergrund und Migranten bleibt festzuhalten, dass die Effekte der Standardisierung auf keinem Qualifikationsniveau signifikant voneinander verschieden sind. Dies spricht für die Hypothese H 2, aufgrund derer identische Schließungseffekte bei in- und ausländischen Abschlüssen erwartet wurden.

5 Zusammenfassung und Ausblick

Der vorliegende Beitrag untersuchte die Wahrscheinlichkeit einer formalen Unterqualifikation entlang des Standardisierungsgrads von Berufen in Deutschland. Die Analysen auf Grundlage des Sozio-oekonomischen Panels konnten für Beschäftigte mit berufsqualifizierenden Abschlüssen zeigen, dass eine Beschäftigung auf höheren Stellen ohne die notwendigen Zertifikate umso unwahrscheinlicher ist, je stärker Berufe standardisiert sind. Dieser Befund entspricht der häufig formulierten, aber bisher noch nicht geprüften Annahme der Literatur zur beruflichen Schließung. Allerdings sind Beschäftigte ohne berufsqualifizierende Abschlüsse überraschenderweise nicht von einer solchen Schließung betroffen. Wenn sie den Zugang zu standardisierten Berufen schaffen, sind sie auch unter Kontrolle individueller und beruflicher Merkmale mindestens genauso häufig unterqualifiziert wie Beschäftigte in weniger standardisierten Berufen. Aus der individuellen Perspektive von Beschäftigten ohne Abschlüsse sind hoch standardisierte Berufe damit zumindest hinsichtlich der berufsinternen Positionierung nicht geschlossener als gering standardisierte Berufe. Dabei können die standardisierten Berufe weiterhin stark durch Zertifikatsinhaber geprägt sein, während die formal nicht qualifizierten Beschäftigten die Ausnahme darstellen. Die deskriptiv geringeren Quoten und der schwächere Effekt der Standardisierung auf Basis der selbsteingeschätzten Unterqualifikation deuten allerdings darauf hin, dass ein Teil der Beschäftigten das Anforderungsniveau ihrer Tätigkeit niedriger einschätzt, als es berufsfachliche Experten für die Klassifikation der Berufe bewertet haben. Diese Differenz könnte beispielsweise bei formal nicht qualifizierten Beschäftigten daher rühren, dass bestimmte Tätigkeiten häufig angelernt werden, anstatt zertifizierte Fachkräfte einzustellen. Zukünftige Arbeiten könnten hier ansetzen und überprüfen, wie sich ein zunehmender Zugang von formal nicht qualifizierten Beschäftigten – der ja, wie gezeigt werden konnte, auch in standardisierten Berufen möglich ist – auf das Lohnniveau der Berufe und die Bildungsrendite der Abschlüsse auswirkt (vgl. Ebner und Horn 2016).

Der schließende Effekt der beruflichen Standardisierung fällt bei qualifizierten Beschäftigten ohne Migrationshintergrund und Migranten sehr ähnlich aus. Bezüglich der berufsinternen Positionierung entlang der Standardisierung gibt es keine Hinweise darauf, dass Arbeitgeber ausländische Abschlüsse systematisch abwerten oder fehlende Möglichkeiten zum Erwerb beruflicher Ausbildungsabschlüsse im Ausland berücksichtigen. Dadurch haben Migranten im Vergleich zu Personen ohne Migrationshintergrund zumindest durch die berufliche Standardisierung keinen zusätzlichen Nachteil bei der Realisierung von höheren Stellen innerhalb von Berufen. Die deskriptiven Auswertungen zur Verteilung der Beschäftigten entlang des Standardisierungsgrads deuten allerdings darauf hin, dass vor allem beim Zugang zu den Berufen Unterschiede bestehen. Migranten arbeiten häufig in gering standardisierten Berufen, während Personen ohne Migrationshintergrund häufig in stark standardisierten Berufen beschäftigt sind. Auch wenn bei diesen Auswertungen keine weiteren Einflussfaktoren berücksichtigt wurden, liegt die Vermutung nahe, dass Migranten eher vom Zugang zu standardisierten Berufen ausgeschlossen sind als Personen ohne Migrationshintergrund. Somit könnten Migranten nach Weber zusätzlich zu der Schließung „nach innen“ auch von einer Schließung „nach außen“ betroffen sein. Diese in der Literatur zur beruflichen Schließung bisher nicht unternommene Unterscheidung kann helfen, die Mechanismen der beruflichen Schließung besser zu differenzieren. So könnten fehlende inländische Abschlüsse ein negatives Signal darstellen, aufgrund dessen vor allem der erstmalige Zugang zu standardisierten Berufen verwehrt bleibt. Zukünftige Analysen sollten die berufliche Schließung als mindestens zweistufigen Prozess betrachten und neben der hier untersuchten Schließung „nach innen“ auch die vorgelagerte Schließung „nach außen“ entlang der beruflichen Standardisierung genauer beleuchten.