1 Einleitung

Der Beruf ist eine zentrale Dimension sozialer Ungleichheit, denn die berufliche Stellung entscheidet in großem Maße über den Zugang zu zentralen Ressourcen (Abraham et al. 2018, S. 225). Dementsprechend hat die Wahl eines Berufs im Jugendalter weitreichende Konsequenzen für die individuelle ökonomische und soziale Positionierung (siehe Beck et al. 1980, S. 40) – insbesondere in einem institutionellen Kontext wie dem deutschen, in dem Erwerbsverläufe von einer geringen beruflichen Mobilität geprägt sind (z. B. Allmendinger und Hinz 1997; Manzoni et al. 2014).

Die zum Ende der Schulzeit von Jugendlichen entwickelten beruflichen Aspirationen sind Handlungsziele, an denen sich ihre Entscheidungen und Bewerbungsbemühungen für die weitere Ausbildung und den Übergang in den Arbeitsmarkt orientieren (Gottfredson 1981, 2002; Schoon und Heckhausen 2019; Schoon und Parsons 2002). Solche handlungsleitenden beruflichen Aspirationen werden im Gegensatz zu idealistischen Aspirationen oder Wünschen als realistische Aspirationen, auch Erwartungen oder Pläne, bezeichnet (vgl. Gottfredson 2002, S. 91, 102; Haller 1968).Footnote 1 Berufe können für Jugendliche unterschiedlich interessant sein, da sie verschiedene Bündel von spezifischen Tätigkeiten darstellen (siehe z. B. Abraham et al. 2018, S. 226). Neben dem Tätigkeitsfeld differenzieren Heranwachsende Berufe anhand ihrer Geschlechtstypik und des Prestiges, d. h. der sozialen Anerkennung („overall desirability“), die mit ihnen verknüpft ist (Gottfredson 2002, S. 88). Berufe sind so für die meisten Jugendlichen mehr oder weniger attraktiv und werden daher auch mehr oder weniger häufig aspiriert (Granato et al. 2016; Matthes 2019).

Die sozialen, sozialräumlichen und institutionellen Kontexte, in denen sich die Jugendlichen bewegen, sind dabei entscheidend für die Entwicklung von Aspirationen (Schoon und Heckhausen 2019). Sie strukturieren Berufswahlprozesse und damit den Zugang zu Berufen. Für Jugendliche in Deutschland heißt das, dass sie ein geschlechtlich segregierter Arbeitsmarkt erwartet und dass ihre beruflichen Optionsspielräume je nach Schulabschlussniveau durch das mehrgliedrige Schul- und Ausbildungssystem definiert werden (Heinz und Krüger 1990; Protsch und Solga 2016). Innerhalb gegebener institutioneller Strukturen sind regionale Arbeitsmärkte wichtige sozialräumliche Kontexte, die über das unmittelbare Umfeld der Familie, die Schule oder Nachbarschaft hinausgehend die Entwicklung von Aspirationen bedingen (siehe z. B. auch Hartung 2017; Hartung et al. 2019). Wenn nun bestimmte Berufe einen großen Anteil an der Berufsstruktur des regionalen Arbeitsmarkts haben, sollten sie für Jugendliche konkreter erfahrbar werden und so auch eher für die eigene Erwerbstätigkeit in Erwägung gezogen werden. Ob Jugendliche jedoch tatsächlich eher diejenigen Berufe aspirieren, die auf dem jeweiligen regionalen Arbeitsmarkt häufiger vertreten sind, ist zwar eine Frage, die bereits einige der ersten soziologischen Forschungsarbeiten zu beruflichen Aspirationen beschäftigte (Lazarsfeld 1931; Sewell und Orenstein 1965), bisher empirisch jedoch weitgehend unbeantwortet bleibt (für erste Ansätze siehe Sutton und Weeden 2017). Mit unserem Beitrag fragen wir daher, inwiefern sich Jugendliche bei ihrer Berufswahl an der regionalen Berufsstruktur, d. h. der regionalen Präsenz von Berufen orientieren und ob dieser Zusammenhang durch das berufliche Prestige und die Geschlechtstypik von Berufen moderiert wird.

Wir betrachten Jugendliche in der 9. Klasse, die erwarten, die allgemeinbildende Schule in Deutschland mit maximal Haupt- oder Realschulabschluss (oder einem vergleichbaren Schulabschluss) zu verlassen. Diese nichtstudienberechtigten Schülerinnen und Schüler sind für unsere Fragestellung eine besonders interessante Untersuchungsgruppe, da sie aufgrund des jungen Alters, in dem sie ihre beruflichen Aspirationen konkretisieren müssen, und den damit einhergehenden Ressourceneinschränkungen eine im Vergleich zu Studienberechtigten geringere räumliche Mobilität aufweisen (siehe z. B. Jost et al. 2019). Regionale berufliche Strukturen sollten für sie deshalb ein wichtiger Referenzpunkt bei der Entwicklung von beruflichen Aspirationen sein. Dies dürfte dadurch weiter unterstützt werden, dass sich auch die Berufsorientierungsangebote der Schulen und Agenturen für Arbeit an regionalen Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten orientieren. Der Fokus auf nichtstudienberechtigte Jugendliche hat für unser Forschungsdesign zudem den Vorteil, dass sich Schülerinnen und Schüler noch nicht selbst in solche regionalen Arbeitsmarktkontexte selektieren können, in denen die von ihnen aspirierten Berufe häufiger vertreten sind, und somit unsere Ergebnisse nicht auf derartige Selektionsprozesse zurückgehen. Unsere empirischen Analysen basieren auf Individualdaten der Startkohorte 4 des Nationalen Bildungspanels (NEPS), die wir mit aggregierten Daten auf Regional- und Berufsebene verbinden. Letztere haben wir auf Basis der Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit generiert. Mithilfe von konditionalen logistischen Regressionsmodellen untersuchen wir den Zusammenhang zwischen der Wahrscheinlichkeit, einen bestimmten Beruf zu aspirieren, und der Präsenz dieses Berufs auf dem regionalen Arbeitsmarkt.

2 Berufliche Aspirationen in sozialen Kontexten

Für welche Berufe Jugendliche sich interessieren, wird von einer Reihe von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst. Zum einen hängt es von den Merkmalen der Berufe selbst ab, ob Jugendliche diese als interessant und attraktiv empfinden, zum anderen können wir sozialpsychologischen Ansätzen folgend davon ausgehen, dass Jugendliche ihre beruflichen Aspirationen in Interaktion mit signifikanten Anderen in sozialen und sozialräumlichen Kontexten entwickeln, die wiederum in größere institutionelle Strukturen, wie den nationalen Bildungssystemen und Arbeitsmärkten, eingebettet sind (Bronfenbrenner 1981; Sewell et al. 1969; Schoon und Heckhausen 2019).

2.1 Berufliche Aspirationen und institutionelle Opportunitätsstrukturen

Wie es sowohl die entwicklungstheoretische Berufswahltheorie nach Gottfredson (1981, 2002) als auch werterwartungstheoretische Überlegungen (aufbauend auf Esser 1999) vorhersagen würden, bestätigen empirische Untersuchungen, dass sich Jugendliche in Deutschland bei der Entwicklung ihrer beruflichen Aspirationen an gewissen Merkmalen der theoretisch möglichen Berufsoptionen orientieren. Neben Faktoren, wie beispielweise der gebotenen Beschäftigungssicherheit (Hartung 2017; Hartung et al. 2019) oder zu den eigenen Interessen passende Tätigkeiten, berücksichtigen Jugendliche insbesondere die soziale Anerkennung und das Prestige (oder auch den sozialen Status), die mit Berufen verknüpft sind (z. B. Eberhard et al. 2015; Granato et al. 2016; Hartung 2017; Steinritz et al. 2016; Wicht und Ludwig-Mayerhofer 2014). Vor dem Hintergrund geschlechtlich segregierter Arbeitsmärkte kommt darüber hinaus der Geschlechtstypik von Berufen eine besondere Bedeutung zu (z. B. Busch-Heizmann 2015; Dombrowski 2015; Helbig und Leuze 2012; Malin und Jacob 2018). Geschlechtsspezifische Berufs- oder Arbeitswerte (siehe z. B. Busch-Heizmann 2015; Pollmann-Schult 2009) können neben wahrgenommenen geschlechtsspezifischen Barrieren so Ausdruck in der Berufswahl von jungen Männern und Frauen finden.

Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass Berufe für Jugendliche per se unterschiedlich attraktiv sind (Granato et al. 2016; Matthes 2019), und welche konkreten Berufe als wünschenswert erscheinen, unterscheidet sich dabei zwischen jungen Frauen und Männern (bspw. Beicht und Walden 2014). Jugendliche verorten ihre berufsfachlichen Interessen somit innerhalb des durch Geschlechts- und Prestigegrenzen festgelegten Spektrums akzeptabler Berufsoptionen (Gottfredson 1981, 2002). Hinzu kommt, dass das erreichbar erscheinende Berufsspektrum in Deutschland durch die Ausgestaltung des Bildungs- und Ausbildungssystems strukturiert wird (Heinz und Krüger 1990; Protsch und Solga 2016). Daraus ergibt sich, dass vor allem nichtstudienberechtige Jugendliche zu Kompromissen im Berufsfindungsprozess bereit sein müssen, da sie auf Berufe im mittleren Qualifikationssegment festgelegt sind. Für Jugendliche mit maximal Hauptschulabschluss ist zudem auch eine Mehrzahl dieser Berufe kaum erreichbar. Damit unterscheidet sich das Spektrum der Berufe, die aspiriert werden, nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern auch nach dem Schulabschlussniveau, mit dem die Jugendlichen erwarten, die Schule zu verlassen (z. B. Holtmann et al. 2019). Da fachliche Interessen und allgemeine Attraktivitätsvorstellungen im Berufswahlprozess mit den real gegebenen Opportunitätsstrukturen abgeglichen werden müssen, stellen die sogenannten realistischen beruflichen Aspirationen zum Ende der Schulzeit einen Kompromiss zwischen den gewünschten und den als erreichbar wahrgenommenen Berufsoptionen dar (Gottfredson 1981, 2002; Heckhausen und Tomasik 2002, S. 214).

2.2 Berufliche Aspirationen in sozialräumlichen Kontexten

Als signifikanten Anderen kommt den Eltern im Berufswahlprozess eine zentrale Stellung zu (z. B. Buchmann und Kriesi 2012; Dombrowski 2015; Helbig und Leuze 2012; Richter 2016; Pruisken 2018; Pruisken et al. 2016), die bis hin zu einer „Vererbung der Berufe der Eltern“ an ihre Kinder reichen kann (z. B. Jonsson et al. 2009; Kaiser und Schels 2016; Knoll et al. 2017). Jugendliche werden bei der Entwicklung ihrer beruflichen Aspirationen auch von ihren Peers sowie weiteren signifikanten Anderen im schulischen Kontext (Dombrowski 2015; Helbig und Leuze 2012; Richter 2016; Wicht 2016; Wicht und Ludwig-Mayerhofer 2014), in den erweiterten Netzwerken sowie den nachbarschaftlichen Kontexten beeinflusst. So zeigt Dombrowski (2015, S. 174 f.), dass über die Hälfte der von ihr untersuchten Hauptschülerinnen und Hauptschüler sich einen Beruf wünscht, in dem eine Person aus ihrem sozialen Netzwerk arbeitet. Außerdem ist bekannt, dass in deprivierten nachbarschaftlichen Kontexten Jugendliche Berufe mit vergleichsweise geringem sozialen Status aspirieren (Furlong et al. 1996), wohingegen sie statushöhere Berufe oder Bildungsgänge aspirieren, wenn der Anteil an Nachbarschaftshaushalten mit höherem sozialen Status steigt (Kauppinen 2008; Wicht und Ludwig-Mayerhofer 2014).

Eine Reihe von Studien hat kürzlich die Aufmerksamkeit auf regionale Arbeitsmärkte gelenkt, die als erweiterte sozialräumliche Kontexte das nachbarschaftliche und schulische Umfeld mit einschließen. Verschiedene Charakteristika regionaler Arbeitsmärkte hängen sowohl mit schulischen und beruflichen Aspirationen (Glauser und Becker 2016; Hartung 2017; Malin und Jacob 2018; Sutton und Weeden 2017) als auch mit den beobachteten Übergängen von der Schule in Ausbildung und den Arbeitsmarkt zusammen (siehe z. B. Clark 2011; Eckelt und Schauer 2019; Hillmert et al. 2017; Sutton et al. 2016; Weßling et al. 2015; Wicht und Nonnenmacher 2017). Hinsichtlich der Entwicklung von beruflichen Aspirationen im Kontext regionaler Arbeitsmärkte wurden Befunde aus der internationalen Literatur zum sogenannten „discouraged worker effect“ (siehe bspw. Clark 2011; Raffe und Willms 1989) auch für Deutschland bestätigt. Um bei einer hohen regionalen Arbeitslosigkeit einer möglichen eigenen Arbeitslosigkeit vorzubeugen, tendieren Jugendliche dazu, länger die allgemeinbildende Schule zu besuchen und statushöhere Berufe zu aspirieren. Interessanterweise werden Berufe mit potenziell höherer Beschäftigungssicherheit unter diesen regionalen Bedingungen jedoch nicht häufiger aspiriert (Hartung 2017; Hartung et al. 2019). Bekannt ist aber, dass die Wahrscheinlichkeit einer geschlechtstypischen Berufswahl mit dem regionalen Anteil der Erwerbstätigen in männer- und frauentypischen Berufen variiert (Malin und Jacob 2018).

Unser Beitrag ergänzt den aktuellen Forschungsstand zur Bedeutung des regionalen Arbeitsmarkts für berufliche Aspirationen, indem wir nicht allgemeine Arbeitsmarktcharakteristika, wie die regionale Arbeitslosigkeit oder den Gesamtanteil an Beschäftigten in geschlechtlich dominierten Berufen, betrachten, sondern den Fokus auf die regionale Präsenz der einzelnen Berufe, zwischen denen Jugendliche wählen können, richten. Wir schlagen damit eine Brücke zu einigen der ersten soziologischen Arbeiten zu beruflichen Aspirationen von Heranwachsenden, die eine Verbindung dieser mit den regional vorgefundenen Berufsstrukturen beobachtet haben. Inspiriert durch Lazarsfeld (1931) fanden Sewell und Orenstein (1965) auf Basis der Wisconsin-Studie frühe Belege für die These, dass sich die Präsenz von prestigereichen Berufen in der lokalen Berufsstruktur unter Kontrolle von sozialen Merkmalen in den Aspirationen von Jugendlichen widerspiegelt. In der Studie konnte die Berufsstruktur allerdings nur über die Gemeindegröße approximiert werden.

3 Theoretische Erwartungen zum Einfluss der regionalen Berufsstruktur auf die beruflichen Aspirationen von nichtstudienberechtigten Jugendlichen

Wir können an dieser Stelle festhalten, dass Jugendliche durch soziale Interaktionen Berufe und damit verbundene Erwerbskarrieren kennenlernen und als Optionen für sich selbst wahrnehmen. Die verschiedenen Berufe sind für Jugendliche am Ende ihrer Schulzeit per se mehr oder weniger attraktiv, was sich insbesondere anhand des Prestiges sowie der Geschlechtstypik bemisst. Neben einer geschlechtlichen Segregation sind berufliche Optionsspielräume nach dem antizipierten Schulabschlussniveau strukturiert. Welche Berufe für Jugendliche konkret erfahrbar werden, wird einerseits über die familiäre Sozialisation und andererseits durch den regionalen Arbeitsmarkt bestimmt, der die unmittelbare Nachbarschaft und den Schulkontext mit einschließt, aber auch darüber hinausgeht. Der Zusammenhang zwischen den beruflichen Aspirationen und der regionalen Berufsstruktur sollte nicht allein daraus resultieren, dass Eltern ihre Berufe – die Teil der jeweiligen regionalen Berufsstruktur sind – an ihre Kinder „vererben“, sondern auch unter Kontrolle der elterlichen Berufe bestehen. So kann das erweiterte sozialräumliche Umfeld der Jugendlichen über Informationsgewinne durch elterliche Netzwerke, Prozesse der kollektiven Sozialisation oder Ansteckungseffekte unter den Peers relevant werden (Galster 2012; Sewell und Orenstein 1965; Wicht und Ludwig-Mayerhofer 2014). Hinzu kommt, dass Berufsorientierungsangebote in der Schule sowie die Berufsberatung der Agenturen für Arbeit an der regionalen Berufsstruktur ausgerichtet sind. So spielen beispielsweise in der nichtgymnasialen Berufsorientierung Betriebspraktika und -erkundungen sowie Kooperationen mit verschiedenen Akteuren der lokalen Wirtschaft (wie Unternehmen und Kammern) eine große Rolle (siehe z. B. Geier und Hoffmann-Lun 2008; Niemeyer und Frey-Huppert 2009). Dies macht es umso wahrscheinlicher, dass Jugendliche auch hier vor allem in Richtung solcher Berufe gelenkt werden, die auf dem regionalen Arbeitsmarkt stärker vertreten sind (siehe auch Sutton 2017; Sutton et al. 2016). Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die regionale Verfügbarkeit von Beschäftigungsmöglichkeiten in verschiedenen Berufen dazu beiträgt, welche Berufe den Jugendlichen (über formale Zugangsbarrieren hinaus) als erreichbar erscheinen (Gottfredson 1981, S. 548; 2002, S. 101; siehe auch Malin und Jacob 2018, S. 6). Für nichtstudienberechtigte Jugendliche in Deutschland sollte eine täglich pendelbare Nähe zum Wohnort der Eltern zumindest für ihre ersten beruflichen Schritte besonders wichtig sein, da sie aufgrund ihres jungen Alters beim Verlassen der Schule und zunächst geringen Verdienstes auf deren Unterstützung angewiesen sind. Aus diesen Überlegungen heraus nehmen wir an, dass sich unter der Kontrolle einer möglichen „Vererbung der elterlichen Berufe“ sowie der Berücksichtigung von geschlechtlichen und bildungsgruppenspezifischen Optionsspielräumen die regionale Präsenz der Berufe in den realistischen beruflichen Aspirationen der Jugendlichen widerspiegeln sollte. Wir knüpfen damit an Lazarsfeld an, der bereits 1931 formulierte, dass die berufliche Aspiration der Jugendlichen sich „[…] als Niederschlag äußerer Eindrücke gestaltet. Denn die äußeren Berufseindrücke, die das tägliche Leben bietet, sind ja proportional der tatsächlichen Berufsverteilung. Je mehr Metallarbeiter es gibt, umso mehr und umso öfter werden die Jugendlichen von diesem Beruf hören und umso öfter werden sie zu seiner Wahl angeregt werden“ (Lazarsfeld 1931, S. 13). Dementsprechend lautet unsere erste Hypothese:

H 1

Je größer der Anteil eines Berufs an der regionalen Berufsstruktur ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Jugendliche diesen Beruf aspirieren.

Des Weiteren erwarten wir, dass der Zusammenhang zwischen der regionalen Präsenz von Berufen und den beruflichen Aspirationen der Jugendlichen durch das Prestige der Berufe sowie ihre Geschlechtstypik moderiert wird. Selbst wenn bestimmte Berufe regional stark vertreten sind und es auch entsprechende Beschäftigungsmöglichkeiten gibt, könnten sie von den Jugendlichen weniger berücksichtigt werden, weil sie ihnen aufgrund eines geringen Prestiges oder einer gegensätzlichen Geschlechtstypik per se als unattraktiv oder als nicht angemessen erscheinen. Auf der anderen Seite könnten prestigereiche Berufe und stark geschlechtlich dominierte Berufe den positiven Effekt einer starken regionalen Präsenz noch verstärken. Wir erwarten daher mit der zweiten Hypothese:

H 2

Der positive Zusammenhang des regionalen Anteils eines Berufs mit der Aspirationswahrscheinlichkeit ist umso stärker, je höher das Prestige dieses Berufs ist.

Analog dazu lautet unsere dritte Hypothese:

H 3

Der positive Zusammenhang des regionalen Anteils eines Berufs mit der Aspirationswahrscheinlichkeit von jungen Männern oder Frauen ist umso stärker, je größer der Anteil des eigenen Geschlechts an den Erwerbstätigen in diesem Beruf ist.

4 Methodisches Vorgehen, Daten und Operationalisierungen

Für die empirischen Auswertungen kombinieren wir Individualdaten des Nationalen Bildungspanels (NEPS) zu beruflichen Aspirationen von Jugendlichen am Ende ihrer Schulzeit mit Indikatoren auf Berufsebene, die wir auf Basis von administrativen Statistiken der Bundesagentur für Arbeit entwickelt haben.

4.1 Methodisches Vorgehen

Um unsere Hypothesen zum Zusammenhang von beruflichen Aspirationen und regionaler Präsenz von Berufen zu testen, verwenden wir konditionale logistische Regressionsmodelle (McFadden 1973; auch „discrete choice models“ genannt). Diese Art von logistischen Regressionen erlauben es zu modellieren, wie Merkmale von Entscheidungsalternativen die Wahl einer dieser Alternativen beeinflussen – beispielsweise die Wahl zwischen verschiedenen Studienfächern (z. B. Ochsenfeld 2016), Hochschulen (z. B. Long 2004) oder, wie im vorliegenden Fall, Berufen (z. B. Boskin 1974; Eberhard et al. 2015; Kleinjans et al. 2017; Shauman 2006; Xie und Shauman 1997). Im Unterschied zur eng verwandten multinomialen logistischen Regression werden in diesen Modellen unabhängige Variablen berücksichtigt, deren Ausprägung zwischen den Entscheidungsalternativen variiert (Cameron und Trivedi 2005). Dies ist der Fall bei dem uns interessierenden Anteil eines Berufs an der regionalen Berufsstruktur. Dieser variiert nicht nur zwischen Individuen, die in unterschiedlichen regionalen Arbeitsmarktkontexten eingebettet sind, sondern eben auch zwischen den einzelnen Berufen, die die Jugendlichen wählen können. Ebenso können weitere Merkmale berücksichtigt werden, die auf Berufsebene variieren. Mithilfe von konditionalen logistischen Modellen können wir somit über den bisherigen Forschungsstand zur Rolle des regionalen Arbeitsmarkts für die beruflichen Aspirationen von Jugendlichen in Deutschland hinausgehen, da wir anstelle einzelner Charakteristika des regionalen Arbeitsmarkts (z. B der Arbeitslosenquote oder des Anteils von geschlechtstypisch Beschäftigten in der Region) die regionale Berufsstruktur detailliert über die Anteile der Beschäftigen in einzelnen Berufen modellieren können. In unseren konditionalen logistischen Regressionsmodellen ist die vorhergesagte Wahrscheinlichkeit, einen bestimmten Beruf m zu aspirieren, gegeben durch

$$\mathrm{Pr} \left(y_{i}=m\mid z_{i}\right)=\frac{\mathrm{exp} (\mathbf{z}_{im}\upgamma )}{\sum_{j=1}^{J}\mathrm{exp}(\mathbf{z}_{ij}\upgamma )} \mathrm{f}\mathrm{\ddot{u}}\mathrm{r}\ m=1 \mathrm{bis}\ J$$

wobei der k‑dimensionale Vektor \(\mathbf{z}_{im}\) die Werte der unabhängigen Variablen für den Beruf m und das Individuum i beinhaltet (vgl. Long 1997). Generell beruht in den Modellspezifikationen die vorhergesagte Wahrscheinlichkeit auf einem Vergleich zwischen Berufen genestet in Individuen. In der Modellgleichung gibt es einen einzigen Parameter \(\gamma _{k}\) für jede unabhängige Variable \(\mathrm{z}_{k}\). Dies bedeutet, dass sich zwar die Ausprägung der unabhängigen Variablen\(z_{im}\) je nach Beruf m unterscheiden kann, nicht jedoch der Koeffizient für diese Variablen. Um trotzdem für unterschiedliche Einflüsse eines beruflichen Merkmals in Abhängigkeit von individuellen oder regionalen Charakteristika zu erlauben, kann eine unabhängige Variable zk mit Variablen auf der Individual- oder Regionalebene interagiert werden (vgl. Long 1997; Ochsenfeld 2016).

Um zu kontrollieren, dass einzelne Berufe generell beliebter sind als andere und dass für Jugendliche mit mittlerem Schulabschluss aufgrund von formalen oder informellen Zugangsbarrieren andere Berufe erreichbar sind als für Jugendliche mit maximal Hauptschulabschluss, enthalten alle unsere Modelle sowohl Dummys für die einzelnen Berufe als auch für die Interaktionen der einzelnen Berufe mit dem antizipierten Schulabschlussniveau („fixed effects“ analog zu Ochsenfeld 2016; Shauman 2006). Da wir darüber hinaus von geschlechtlich strukturierten Optionsspielräumen für Frauen und Männer bei der Berufswahl ausgehen, schätzen wir getrennte Modelle nach Geschlecht. In unseren Modellen betrachten wir somit regionale Unterschiede innerhalb des gleichen Berufs und innerhalb des gleichen, nach Schulabschlussniveau und Geschlecht definierten Optionsspielraums. Um die Schätzung der „fixed effects“ zu ermöglichen, nehmen wir nur solche Berufe in die Modelle auf, die von den jeweiligen Subgruppen (unterteilt nach Geschlecht und antizipiertem Schulabschlussniveau) mindestens zweimal aspiriert wurden. Dies schränkt die Anzahl an Berufsalternativen J für Frauen auf 37 und für Männer auf 45 ein.

Darüber hinaus berücksichtigen wir die Mehrebenenstruktur der Daten. Zum einen sind Berufe genestet in Individuen, weil jedem Individuum J unterschiedliche Berufe als Entscheidungsalternativen zur Verfügung stehen und nur einer dieser Berufe aspiriert wird. Zum anderen sind Individuen genestet in Arbeitsagenturbezirken, in denen je nach regionalem Arbeitsmarktkontext unterschiedliche Opportunitätsstrukturen bestehen. In unseren Analysen clustern wir die Standardfehler auf der höheren Ebene, also nach Arbeitsagenturbezirken, um eine konservativere Schätzung zu erhalten (Cameron und Miller 2015).

4.2 Individualdaten und Samplezuschnitt

Für unsere Analysen verwenden wir Daten der Startkohorte 4 (SC4) des Nationalen Bildungspanels (NEPS) (Blossfeld und Roßbach 2019). Dabei handelt es sich um eine repräsentative Stichprobe von Schülerinnen und Schülern, die im Herbst 2010 die 9. Klasse an einer allgemeinbildenden Schule in Deutschland besucht haben und seitdem wiederholt befragt wurden. Wir beschränken unsere Untersuchung auf nichtgymnasiale Schulen und schließen zudem Personen aus, die die Förderschule besucht haben.

Weiterhin beziehen wir nur solche Jugendliche in unsere Untersuchung ein, die in der 9. Klasse angegeben haben, dass sie erwarten, die Schule mit maximal einem mittleren Schulabschluss zu verlassen. Dabei unterscheiden wir zwischen Jugendlichen, die maximal einen Hauptschulabschluss erwarten (kurz: HS), und Jugendlichen, die einen mittleren Schulabschluss antizipieren (kurz: MSA). Nicht betrachtet werden also Jugendliche, die beispielsweise nach dem Besuch der Realschule zunächst den Erwerb eines (Fach‑)Abiturs an einer weiterführenden Schule anstreben. Damit beschränken wir uns in unseren Analysen auf die Gruppe von Jugendlichen, die tatsächlich einen baldigen Übergang in berufliche Bildungswege planen und somit vor der Aufgabe stehen, konkrete berufliche Erwartungen zu entwickeln. Dies ergibt zunächst eine Stichprobengröße von 5672 Individuen. Innerhalb dieser Gruppe schließen wir Jugendliche aus, die keine gültige Angabe zu realistischen beruflichen Aspirationen aufweisen (1825 Individuen), sowie jene, die als einzige innerhalb ihres Geschlechts und ihrer Bildungsgruppe einen bestimmten Beruf aspirieren, sodass wir für diesen keine „fixed effect“ schätzen können (506 Individuen). Darüber hinaus schließen wir auch jene Personen aus unserem Sample aus, für die zu keinem Elternteil eine gültige Angabe zum derzeit oder in der Vergangenheit ausgeübten Beruf vorliegt (173 Individuen). Damit umfasst unser Untersuchungssample 3168 Individuen.

4.3 Abhängige Variable: Realistische berufliche Aspirationen

Als abhängige Variable verwenden wir Angaben der Jugendlichen zu ihren realistischen beruflichen Aspirationen, die im 2. Halbjahr der 9. Klasse (Mai bis Juli 2011) und somit zu einem Zeitpunkt erhoben wurden, zu dem sich nichtstudienberechtigte Jugendliche in der Regel akut mit ihren beruflichen Plänen auseinandersetzen müssen. Diejenigen, die die Schule nach der 10. Klasse verlassen, müssen zu diesem Zeitpunkt konkrete Vorstellungen für den mit dem neuen Schuljahr startenden Bewerbungsprozess auf Ausbildungsstellen entwickeln. Für den kleineren Teil der Jugendlichen, der bereits nach der 9. Klasse von der Schule abgeht, ist die Suche nach Ausbildungsstellen zu diesem Zeitpunkt bereits fortgeschritten.

Die realistischen beruflichen Aspirationen der Jugendlichen wurden im NEPS mit folgender Frage erfasst: „Denken Sie einmal an alles, was Sie gerade wissen. Welchen Beruf werden Sie wohl später tatsächlich haben?“ Wir verwenden die Antworten auf diese Frage kodiert in Form der Berufsgruppen (3-Steller) der Klassifikation der Berufe von 2010 (KldB 2010). Damit greifen wir auf eine Klassifikation zurück, die sich – im Gegensatz zu der Vorgängerversion von 1988 – eignet, die berufliche Struktur des heutigen deutschen Arbeitsmarkts abzubilden (Paulus und Matthes 2013). Die KldB 2010 gruppiert Berufe entlang zweier Dimensionen. Die von uns verwendeten 3‑Steller differenzieren Berufe aufgrund der Dimension der Berufsfachlichkeit, d. h. anhand der „in einem Beruf benötigten Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse“ (Paulus und Matthes 2013, S. 8). Anhand der 5. Stelle lassen sich Berufe zudem entlang des Anforderungsniveaus unterscheiden (Paulus und Matthes 2013, S. 9). Da jedoch von den Berufsaspirationen innerhalb unseres Samples 91 % auf das Anforderungsniveau „Fachkraft“ entfallen (der Rest mehrheitlich auf die Niveaus „Spezialist“ und „Experte“ und nur wenige auf das Niveau „Helfer“), verzichten wir in unseren Analysen auf eine weitere Untergliederung nach dieser Dimension. In Tab. 1 werden exemplarisch die fünf am häufigsten aspirierten Berufe (KldB-3-Steller) nach Geschlecht und antizipiertem Schulabschlussniveau ausgewiesen. Für die konditionalen logistischen Regressionsmodelle kodieren wir jeden 3‑Steller der KldB 2010, der für unsere Analysestrategie nicht zu schwach besetzt ist (siehe Abschn. 4.1), als einzelne Entscheidungsalternative. Für den aspirierten Beruf nimmt die abhängige Variable den Wert 1 an, für die restlichen Berufe wird der Wert 0 zugeordnet.

Tab. 1 Rangfolge der am häufigsten aspirierten Berufe getrennt nach Geschlecht und antizipiertem Schulabschlussniveau

4.4 Unabhängige Variablen

Die zentralen uns interessierenden Merkmale, die zwischen den Berufen variieren, sind der Anteil des jeweiligen Berufs an der regionalen Berufsstruktur, sein Prestige sowie seine Geschlechtstypik. Während über die in den Individualdaten vorliegende Berufsvercodung direkt Prestigescores generiert werden können, müssen wir Informationen zum Anteil des Berufs an der regionalen Berufsstruktur sowie seiner Geschlechterkomposition dem aspirierten Beruf aus anderen Datenquellen hinzuspielen. Hierzu nutzen wir die Daten der Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) (siehe Frank und Grimm 2015). Zur Operationalisierung werten wir die Daten getrennt nach 3‑Stellern der KldB 2010 und für die Variable „Anteil des Berufs an der regionalen Berufsstruktur“ zusätzlich nach Arbeitsagenturbezirken aus. Die Beschäftigungsstatistik wird durch das Arbeitgebermeldeverfahren zur Kranken‑, Renten- und Arbeitslosenversicherung gewonnen. In unsere Auswertungen fließen daher durchgehend nur sozialversicherungspflichtige Beschäftigte ein. Sozialversicherungspflichtige Auszubildende werden nicht berücksichtigt. Da die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit erst ab 2013 auf die KldB 2010 umgestellt wurden, beziehen sich alle daraus generierten Informationen auf das Jahr 2013 (Stichtag 30.06.2013). Die Messung der beruflichen Aspirationen im NEPS erfolgte zwei Jahre früher, im Jahr 2011. Wir gehen jedoch davon aus, dass die Verwendung dieser zeitversetzten Indikatoren auf regionaler und beruflicher Ebene zu keinen Verzerrungen führt, da es sich beim Zeitraum 2011 bis 2013 um eine stabile konjunkturelle Phase handelt, die nicht durch größere arbeitsmarktpolitische Veränderungen geprägt war. Deskriptive Verteilungen der im Folgenden beschriebenen Variablen befinden sich in Tab. 2.

Tab. 2 Deskription der unabhängigen Variablen (unstandardisierte Werte)

Anteil des Berufs an der regionalen Berufsstruktur Als Indikator zur regionalen Präsenz eines Berufs, d. h. seines Anteils an der regionalen Berufsstruktur, nutzen wir den Anteil der Beschäftigten im jeweiligen Beruf an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten innerhalb eines Arbeitsagenturbezirks. Unser Sample umfasst 138 der seit 2012 existierenden 156 Bezirke, wobei die drei Berliner Bezirke zusammengefasst wurden. Die Regionalinformation wird dem Schulort der Jugendlichen aus den NEPS-Daten zugespielt. Wir gehen davon aus, dass Arbeitsagenturbezirke eine sinnvolle Bezugsgröße für die regionalen Opportunitätsstrukturen unserer Untersuchungsgruppe darstellen, an der sich auch die lokalen Berufsberatungsangebote orientieren.Footnote 2 Entsprechend zeigt sich, dass über 90 % der Jugendlichen mit maximal mittlerem Schulabschluss eine Ausbildung in ihrem Wohn- oder einem angrenzenden Nachbarkreis absolvieren. Nur eine sehr kleine Minderheit von ihnen sucht nach dem Verlassen der Schule einen weiter entfernten Ausbildungsplatz auf (Jost et al. 2019, S. 5). Da die Anteile der verschiedenen Berufe an der regionalen Berufsstruktur sehr unterschiedliche Größenordnungen aufweisen, werden sie jeweils am berufsspezifischen Mittelwert über alle Arbeitsagenturbezirke hinweg z‑standardisiert. Der Anteil eines Berufs an der regionalen Berufsstruktur geht als (berufs- und regionalspezifische) lineare Variable in die Regressionsmodelle ein.


Prestige und Geschlechtstypik des Berufs Das Prestige des Berufs erfassen wir über die „Standard International Occupational Prestige Scale“ (SIOPS) (Ganzeboom und Treiman 1996). Um den aspirierten Berufen in den Individualdaten, die als 3‑Steller der KldB 2010 vorliegen, einen SIOPS-Wert zuweisen zu können, schlüsseln wir zunächst die ursprüngliche Zuordnung von SIOPS-Werten zur internationalen ISCO-08 Berufsklassifikation (Ganzeboom und Treiman 2012) in die 5‑Steller der KldB 2010 um. Dann fassen wir unterschiedliche SIOPS-Werte von KldB-5-Stellern, die zum gleichen KldB-3-Steller gehören, anhand eines zweistufigen Gewichtungsverfahrens zusammen.Footnote 3 Die Geschlechtstypik des Berufs operationalisieren wir über den Anteil von Personen desselben Geschlechts an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigen im jeweiligen Beruf in Deutschland. Sowohl das Prestige als auch die Geschlechtstypik variieren somit zwischen Berufen, nicht aber zwischen den Arbeitsagenturbezirken. Beide Variablen werden über die Berufe, die in den jeweiligen Modellen als Entscheidungsalternativen eingehen, z‑standardisiert. Dies bedeutet, dass wir bei Frauen 37 Berufe zur Standardisierung berücksichtigen, bei Männern sind es 45 Berufe.

4.5 Kontrollvariablen

Neben diesen Variablen kontrollieren wir in unseren Modellen, ob es eine Übereinstimmung mit elterlichen Berufen gibt und verwenden für Robustheitschecks weitere Informationen zu regionalen und individuellen Merkmalen (siehe Tab. 2):


Übereinstimmung des Berufs mit Beruf eines Elternteils Um zu kontrollieren, ob Jugendliche einen Beruf aspirieren, der mit dem Beruf eines Elternteils übereinstimmt (und nicht weil er in der Region besonders präsent ist), greifen wir auf Angaben zu den Berufen der Eltern auf Ebene der 3‑Steller der KldB 2010 aus den NEPS-Daten zurück. Entspricht eine Berufsalternative dem derzeitigen oder bei Nichterwerbstätigkeit in der Vergangenheit ausgeübten Beruf mindestens eines Elternteils, weist die Variable den Wert 1 auf. Ist dies nicht der Fall, wird der Wert 0 zugeordnet.


Regionale Arbeitslosenquote Für die Erfassung von Unterschieden in den generellen regionalen Arbeitsmarktbedingungen nutzen wir die arbeitsagenturbezirksspezifische Arbeitslosenquote. Für die Berechnung wurden kreisspezifische Arbeitslosenquoten des Jahres 2011 mithilfe von Beschäftigtengewichten auf Arbeitsagenturbezirksebene aggregiert. Hierbei handelt es sich um Informationen aus den „Indikatoren und Karten zur Raum- und Stadtentwicklung“ (INKAR-Daten) des Bundesinstituts für Bau‑, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Die Variable wird am Mittelwert über alle Arbeitsagenturbezirke hinweg z‑standardisiert.


Fluide kognitive Fähigkeiten und Noten Um Unterschiede in kognitiven Fähigkeiten sowie motivationalen Aspekten zwischen den Jugendlichen abbilden zu können, verwenden wir zwei Arten von Maßen. Zum einen nutzen wir die Ergebnisse aus den Kompetenztests des NEPS zum schlussfolgernden Denken und zur Wahrnehmungsgeschwindigkeit als Maß für die fluide Intelligenz der Jugendlichen (Lang et al. 2014). Diese Testscores werden über alle Individuen der Startkohorte 4 hinweg z‑standardisiert. Zum anderen nutzen wir die Schulnoten in Mathematik und Deutsch des Abschlusszeugnisses der 8. Klasse als Maße, die über die kognitiven Fähigkeiten hinaus auch die Leistungsbereitschaft der Jugendlichen erfassen (vgl. Wigfield und Eccles 2000). Um die Interpretation der Ergebnisse zu erleichtern, gehen die Noten in umgedrehter Kodierung in die Analysen ein, sodass höhere Werte für bessere Noten stehen. Da diese Maße nicht für das gesamte Sample vorliegen, weichen die Fallzahlen in den entsprechenden Modellen leicht von den restlichen Modellen ab.

5 Ergebnisse

Tabelle 3 enthält die multivariaten konditionalen logistischen Regressionsergebnisse zum Zusammenhang der regionalen Berufsstruktur mit der Wahrscheinlichkeit, einen bestimmten Beruf zu aspirieren. In der Tabelle werden getrennte Modelle nach Geschlecht dargestellt. Wir berichten die Ergebnisse in Form von Odds-Ratios (vgl. Ochsenfeld 2016; Pforr 2013). Für die Berechnung von marginalen Effekten oder vorhergesagten Wahrscheinlichkeiten müsste die individuelle Ausgangswahrscheinlichkeit oder die Konstante bekannt sein, diese können in konditionalen logistischen Regressionen jedoch nicht geschätzt werden (vgl. Greene 2012, S. 802). Die Ergebnisse zeugen von der Bedeutung der regionalen Berufsstruktur als wichtigen sozialräumlichen Kontextfaktor für die realistischen beruflichen Aspirationen zum Ende der Schulzeit. Im ersten Modell für Frauen (kurz: M1_F) und für Männer (kurz: M1_M) zeigt sich unter Kontrolle der Berufe der Eltern, den Unterschieden zwischen Berufen und den unterschiedlichen Optionsspielräumen nach Schulabschluss ein statistisch signifikanter Zusammenhang für die Variable „Anteil des Berufs an der regionalen Berufsstruktur“. In Modell M1_M bedeutet beispielsweise das Odds-Ratio (Chancenverhältnis) von 1,2 für diese Variable, dass wenn der Anteil eines Berufs an der Berufsstruktur um eine berufsspezifische Standardabweichung steigt, sich die Chance, diesen Beruf zu aspirieren, um den Faktor 1,2 erhöht. Somit lässt sich Hypothese H 1 bestätigen. Je höher der Anteil eines Berufs an der regionalen Berufsstruktur ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass Jugendliche erwarten, diesen Beruf einmal selbst auszuüben. Damit ziehen sie je nach Ausprägung der regionalen Berufsstruktur unterschiedliche Berufe für sich in Erwägung.

Tab. 3 Konditionale logistische Regressionen zu Berufsaspirationen

Bei der Interpretation von Odds-Ratios gilt es zu beachten, dass abhängig von verschiedenen Ausgangswahrscheinlichkeiten ein ähnlicher oder gleicher Wert unterschiedlich starke Veränderungen in Wahrscheinlichkeiten implizieren kann (Best und Wolf 2010). Um eine bessere Vorstellung über die Größenordnung der geschätzten Effekte zu erhalten, nehmen wir daher Werte für die Ausgangswahrscheinlichkeit an und simulieren die vorhergesagten Wahrscheinlichkeiten (analog zu Pforr 2013; Schröder 2010). Die Grundlage für die Festlegung der Werte für die Ausgangswahrscheinlichkeit bilden die Aspirationsanteile von Berufen, die wir in unserem Sample tatsächlich beobachten. In Abb. 1 zeigen wir basierend auf den Modellen M1_M oder M1_F exemplarisch für verschiedene Berufe die vorhergesagte Wahrscheinlichkeit für Jugendliche, die einen mittleren Schulabschluss antizipieren und für die der betrachtete Beruf nicht dem Beruf eines ihrer Elternteile entspricht.Footnote 4 Wir wählen für Männer und Frauen jeweils diejenigen Berufe als Illustrationsbeispiele aus, die in unserem Sample den höchsten, einen eher durchschnittlichen und den geringsten Aspirationsanteil aufweisen. Aus Abb. 1 wird ersichtlich, dass die Wahrscheinlichkeit, einen Beruf zu aspirieren, mit seiner regionalen Präsenz zunimmt. Besonders deutlich zeigt sich dieser Zusammenhang für Berufe mit mittleren und hohen Aspirationsanteilen. Wir bewerten daher den anhand der Regressionsmodelle ausgewiesenen, signifikanten positiven Zusammenhang als substanziell.

Abb. 1
figure 1

Vorhergesagte Wahrscheinlichkeiten Berufe zu aspirieren in Abhängigkeit ihres Anteils an der Berufsstruktur (Auswahl). Hinweis: Grundlage der Berechnungen sind die konditionalen logistischen Regressionsmodelle M1_F und M1_M. Abgebildet sind folgende Berufsgruppen der Klassifikation der Berufe (KldB): Fahrzeug‑, Luft‑, Raumfahrt- und Schiffbautechnik (KldB 252), Chemie (KldB 413), Fahrzeugführung im Straßenverkehr (KldB 521), Erziehung, Sozialarbeit, Heilerziehungspflege (KldB 831), Versicherungs- und Finanzdienstleistungen (KldB 721), Gartenbau (KldB 121). Eigene Darstellung

Mit den Hypothesen H 2 und H 3 erwarten wir, dass der positive Zusammenhang zwischen der regionalen Präsenz und der Aspirationswahrscheinlichkeit von Berufen umso stärker ist, je attraktiver oder angemessener die jeweiligen Berufe hinsichtlich des beruflichen Prestiges und der Geschlechtstypik für die Jugendlichen erscheinen. Diese Erwartungen werden durch unsere Analyse nicht bestätigt. Wir finden keine signifikanten Interaktionseffekte des Anteils eines Berufs an der regionalen Berufsstruktur mit dem beruflichen Prestige (siehe Tab. 3, Modelle M2_F und M2_M) oder der Geschlechterkomposition dieses Berufs (Modelle M3_F und M3_M). Unsere Erwartungen, dass diese beiden beruflichen Merkmale den Einfluss der regionalen Berufsstruktur moderieren, werden durch die empirischen Ergebnisse nicht gestützt.


Robustheitschecks Unser zentrales Ergebnis, dass die beruflichen Aspirationen von nichtstudienberechtigten Jugendlichen am Ende der Schulzeit durch die regionale Berufsstruktur geprägt werden, prüfen wir in einer Reihe von zusätzlichen Modellen. Dabei diskutieren wir zunächst, inwiefern unser Ergebnis durch bisher unberücksichtigte Heterogenität in den Merkmalen der Arbeitsagenturbezirke oder den Merkmalen der Jugendlichen verzerrt sein könnte. Um zur Konfundierung des Berufsstruktureffekts beizutragen, müssten solche Merkmale sowohl mit dem Anteil eines Berufs an der regionalen Berufsstruktur als auch mit den beruflichen Aspirationen der Jugendlichen korreliert sein. Um zu verdeutlichen, dass dies eine eher unwahrscheinliche Situation darstellt, prüfen wir die Robustheit unserer Ergebnisse auf zweierlei Weise. Erstens zeigt die Literatur zum „discouraged worker effect“, dass eine hohe regionale Arbeitslosigkeit dazu führen kann, dass Jugendliche als eine Art Versicherungsstrategie eher Berufe wählen, die ein hohes Prestige versprechen (siehe Abschn. 2). Dies würde unsere Ergebnisse allerdings nur dann verzerren, wenn in Arbeitsagenturbezirken mit einer hohen Arbeitslosenquote zugleich auch prestigereiche Berufe systematisch stärker vertreten wären als in Arbeitsagenturbezirken mit einer niedrigeren Arbeitslosenquote. Dies erscheint zwar wenig wahrscheinlich, wir prüfen dieses Szenario aber dennoch mithilfe einer Interaktion der arbeitsagenturspezifischen Arbeitslosenquote mit dem Prestigewert des jeweiligen Berufs (siehe Modelle M4_F und M4_M in Tab. 4). Diese Modelle zeigen einerseits, dass für unsere Untersuchungsgruppe kein Zusammenhang zwischen der regionalen Arbeitslosigkeit und der Aspiration von prestigereicheren Berufen besteht. Wir führen dies darauf zurück, dass Jugendliche, die prestigereiche Berufe aspirieren, sich eher für einen weiterführenden Schulbesuch entscheiden und somit unserer Untersuchungsgruppe nicht angehören (vgl. Hartung et al. 2019). Die Modelle zeigen andererseits, dass der Effekt des regionalen Anteils der Berufe auf die Aspirationswahrscheinlichkeit auch unter Berücksichtigung der oben genannten Interaktionen Bestand hat.

Tab. 4 Robustheitschecks, konditionale logistische Regressionen zu Berufsaspirationen

Zweitens können Jugendliche sich zwar nicht selbst in unterschiedliche regionale Arbeitsmarktkontexte selektieren (siehe Abschn. 1), wohl aber ihre Eltern. So wäre theoretisch denkbar, dass Eltern mit höheren kognitiven Fähigkeiten und einer höheren Leistungsbereitschaft eher prestigereiche Berufe anstreben und sich daher in Regionen selektieren, in denen solche Berufe stärker vertreten sind als in anderen. Wenn die Eltern diese Eigenschaften durch Vererbungs- und Sozialisationsprozesse zu einem gewissen Ausmaß an ihre Kinder weitergeben oder Lehrkräfte diese Eigenschaften bei Kindern von Eltern mit prestigereicheren Berufen besonders stark fördern, dann kann dies dazu führen, dass sich auch die Merkmale der Kinder systematisch zwischen Arbeitsagenturbezirken unterscheiden. Unsere bisher berichteten Ergebnisse wären somit verzerrt, wenn in Arbeitsagenturbezirken, in denen prestigereiche Berufe häufiger vertreten sind, auch die kognitiven Fähigkeiten und die Leistungsbereitschaft in unserer Zielgruppe höher ausfallen – und gleichzeitig Jugendliche mit höheren kognitiven Fähigkeiten und einer höheren Leistungsbereitschaft selbst auch eher Berufe mit einem hohen Prestige aspirieren. Um dieses Szenario zu testen, nehmen wir einerseits Interaktionsterme für das Maß für die Wahrnehmungsgeschwindigkeit oder das Maß für das schlussfolgernde Denken mit dem Prestigewert des jeweiligen Berufs in unsere Modelle auf (siehe M5_F und M5_M in Tab. 4) und anderseits Interaktionsterme für die Deutsch- oder Mathematiknote mit dem Prestigewert des Berufs (siehe M6_F und M6_M in Tab. 4). Die Ergebnisse dieser Modelle sprechen für keine große Bedeutung der eben ausgeführten Zusammenhänge. Zwar finden wir bei jungen Männern einen positiven Zusammenhang zwischen dem Maß für das schlussfolgernde Denken und der Wahrscheinlichkeit, Berufe mit höherem Prestige zu aspirieren (M5_M), sowie einen entsprechenden Zusammenhang für die Mathematiknote (M6_M), die Ergebnisse zum Einfluss des Anteils des Berufs an der regionalen Berufsstruktur auf die Aspirationswahrscheinlichkeit bleiben davon allerdings unbenommen.

In weiteren Analysen zeigt sich zudem, dass unsere Ergebnisse robust gegenüber der Verwendung von gewichteten Daten sind, und auch eine Einschränkung der Untersuchungsgruppe auf Personen ohne Migrationshintergrund verändert die Ergebnisse nicht (Ergebnisse auf Anfrage erhältlich).

6 Zusammenfassung und Diskussion

In Vorbereitung ihres Übergangs von der Schule in den Arbeitsmarkt entwickeln Jugendliche ihre beruflichen Aspirationen in Interaktion mit signifikanten Anderen in sozialen und sozialräumlichen Kontexten. Für nichtstudienberechtigte Jugendliche in Deutschland stellt sich diese Entwicklungsaufgabe vergleichsweise früh im Lebensverlauf. Dies führt dazu, dass zum Ende der 9. Klasse die meisten dieser Schülerinnen und Schüler bereits realistische berufliche Aspirationen geformt haben, die als handlungsleitend für den Übergang in die Ausbildung und den Arbeitsmarkt angesehen werden (z. B. Heckhausen und Tomasik 2002; Schoon und Parsons 2002). In unserem Artikel haben wir diese realistischen beruflichen Aspirationen im Kontext regionaler beruflicher Strukturen untersucht. Dabei knüpfen wir einerseits an die aktuelle Forschung zur Bedeutung von sozialräumlichen Kontexten für den Übergang von der Schule in den Arbeitsmarkt an (z. B. Hillmert et al. 2017; Malin und Jacob 2018; Weßling et al. 2015; Wicht und Ludwig-Mayerhofer 2014; Wicht und Nonnenmacher 2017). Gleichzeitig nehmen wir den Faden einiger der ersten soziologischen Arbeiten zu beruflichen Aspirationen wieder auf, die eine Verbindung zwischen regionalen Berufsstrukturen und den beruflichen Plänen von Jugendlichen beobachtet haben (Lazarsfeld 1931; Sewell und Orenstein 1965).

Unsere auf konditionalen logistischen Regressionsmodellen basierenden Ergebnisse zeigen, dass sich Jugendliche an der Präsenz von Berufen in ihrer Region orientieren. Je höher der Anteil eines Berufs an der regionalen Berufsstruktur ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass Jugendliche diesen Beruf aspirieren. Eine Reihe von Mechanismen ist vorstellbar, die hinter diesem Zusammenhang stehen. Dazu zählen Informationsgewinne über elterliche Netzwerke, Prozesse der kollektiven Sozialisation, Ansteckungseffekte unter den Peers sowie die Orientierung der Berufsberatungen in den Schulen und der Agenturen für Arbeit an der regionalen Berufsstruktur und damit den regionalen Beschäftigungsmöglichkeiten. Wenngleich wir mit unserem Forschungsdesign nicht identifizieren konnten, welche dieser Mechanismen ursächlich sind, können wir ausschließen, dass das Ergebnis auf eine „Vererbung von Berufen“ durch die Eltern oder Attraktivitätsunterschiede zwischen Berufen zurückzuführen ist. Der Zusammenhang zwischen der regionalen Berufsstruktur und den Aspirationen wird auch nicht durch einzelne, für Jugendliche relevante Berufsmerkmale, wie das Prestige oder die Geschlechterkomposition der Berufsausübenden, moderiert. Regionale Strukturen werden also nicht umso bedeutender, je attraktiver oder angemessener ein Beruf für die Jugendlichen erscheint.

Unsere Ergebnisse sind robust gegenüber möglichen Einflüssen der allgemeinen regionalen Arbeitsmarktsituation und gegenüber Unterschieden in der Berufswahl, die aufgrund von kognitiven Fähigkeiten oder der Leistungsbereitschaft von Jugendlichen bestehen. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass in unseren Analysen, mit Ausnahme des Anteils des jeweiligen Berufs an der regionalen Berufsstruktur, weitere regionsspezifische Unterschiede innerhalb von Berufen unbeachtet bleiben. Um unsere Ergebnisse zu konfundieren, müssten solche Unterschiede allerdings sowohl mit dem Anteil eines Berufs an der Berufsstruktur als auch mit der Aspirationswahrscheinlichkeit von Jugendlichen korrelieren.

Es ist anzumerken, dass unser Beitrag als ein erster empirischer Schritt betrachtet werden kann, um die bereits in der frühen soziologischen Forschung zur Berufswahl erkannte Bedeutung der regionalen Berufsstruktur für die Entwicklung von beruflichen Aspirationen von jungen Menschen zu ergründen. Dies bedeutet auch, dass eine Klärung der zutreffenden theoretischen Mechanismen für den von uns nachgewiesenen Zusammenhang an dieser Stelle offen für zukünftige Analysen bleiben muss. Zudem haben wir ausschließlich nichtstudienberechtigte Jugendliche betrachtet. Für zukünftige Analysen scheint eine Kontrastierung mit der Gruppe der Abiturientinnen und Abiturienten vielversprechend, da sie potenziell weit weniger an die regionalen Gegebenheiten gebunden sind. So ist annehmbar, dass für diese Bildungsgruppe ein geringerer Einfluss der regionalen Berufsstruktur festzustellen wäre. Abgesehen davon, dass Studienberechtigte auf dem Ausbildungsmarkt die besseren Chancen haben, können sie ihr realisierbares Berufsspektrum nicht nur durch ein Hochschulstudium, sondern auch durch räumliche Mobilität erweitern, die für Jugendliche ohne (Fach‑)Abitur nur begrenzt möglich ist.

Zusammenfassend schlussfolgern wir, dass die regionale Berufsstruktur ein wichtiger sozialräumlicher Kontextfaktor ist, der über formale und informelle Barrieren hinsichtlich des Schulabschlussniveaus und des Geschlechts hinaus die Berufsfindungsprozesse bestimmt. Innerhalb der bekannten institutionellen Gelegenheitsstrukturen lassen sich also regionale Ungleichheiten feststellen. Die Berufswahl wird so zu einem gewissen Grad zufällig über den Wohnort im Jugendalter geprägt, was als eine Einschränkung der laut Grundgesetz geforderten Berufswahlfreiheit betrachtet werden kann. Da über Berufe weitgehend der Zugang zu ökonomischen und auch sozialen Ressourcen bestimmt wird, bedeutet dies entsprechend ungleiche Lebensbedingungen im weiteren Erwerbsverlauf. Die Angebote und Maßnahmen der Akteure im Bereich der Berufsorientierung und Beratung in den Schulen und Arbeitsagenturen beziehen sich allerdings nicht ohne Grund auf die regionalen Gegebenheiten, denn letztlich kann der Berufseinstieg nur dort erfolgreich sein, wo es auch passende Ausbildungs- und Arbeitsplätze gibt. Die Arbeit solcher Akteure muss sich somit in einem Spannungsfeld verorten. Zudem ist zu erwarten, dass ähnliche Zusammenhänge über den deutschen Fall hinaus auch für andere institutionelle Kontexte festzustellen wären, und zwar immer dann, wenn junge Menschen an die Ausbildungs- und Erwerbschancen regionaler Arbeitsmärkte gebunden sind. Allerdings wäre zu erwarten, dass die Konsequenzen dieser frühen beruflichen Prägung für den weiteren Lebensverlauf in Deutschland und Ländern mit ähnlich segregierten Bildungssystemen und beruflich strukturierten Arbeitsmärkten gravierender sind, da spätere berufliche Wechsel mit hohen Hürden verbunden sind.