Zusammenfassung
In der Arbeitsmarktpolitik werden finanzielle Zuschüsse zum Arbeitslohn (Kombilöhne) eingesetzt, um Arbeitslose zur Beschäftigungsaufnahme zu motivieren. Aus der Perspektive der ökonomischen Theorie sollten solche Anreize wirksam sein, weil sie direkt auf die finanziellen Nutzenmaximierungskalküle von Arbeitslosen ausgerichtet sind. Empirisch zu beobachten ist jedoch häufig die baldige Beendigung von einmal eingegangenen bezuschussten Beschäftigungsverhältnissen. In dieser Arbeit wird dieses Abbruchverhalten erklärt. Dazu wird auf Boudons um subjektive und normative Aspekte erweiterten Rationalitätsbegriff Bezug genommen. Es wird die These aufgestellt, dass der Zuschuss den Beschäftigten subjektiv eine Verletzung der Reziprozitätsnorm durch den Betrieb signalisiert und dass sie deshalb mit Sanktionen reagieren, die mitunter das Beschäftigungsende zur Folge haben. Datenbasis für die empirische Überprüfung der These ist eine Befragung von Kombilohnbeziehern des sogenannten „Mainzer Modells“. Ordered Logit- und Ereignisanalysen werden mit einem Propensity Score Matching kombiniert, um die Hypothesentests durchzuführen. Die Ergebnisse stützen die aufgestellten Hypothesen. Dies wird als Hinweis darauf interpretiert, bereits bei der Konzeption von Kombilöhnen oder anderen Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik nicht ausschließlich von einem ökonomisch informierten Verständnis rationaler Handlungen auszugehen, wenn die Wirksamkeit dieser Instrumente erhöht werden soll.
Abstract
Financial incentives to work (in-work benefits) are an instrument of labour market policy to motivate the unemployed to re-enter employment. Following neoclassical economic reasoning, such financial incentives should be effective, since the unemployed are expected to maximize financial utility. However, one common empirical finding is that such wage-subsidized employment is rather unstable. Applying Boudons cognitivist model to the ending of wage-subsidized employment the hypotheses are derived that firstly the in-work benefit is interpreted by the employee as a signal for the firm’s violation of the norm of reciprocity and secondly that the employee’s resulting sanctioning behaviour can raise the probability for job terminations. Survey data on in-work benefit recipients is used to test the hypotheses, performing ordered logit and event history analysis in combination with propensity score matching. Results from the empirical analysis support the hypotheses. It is concluded that labour market policy should be based not only on the assumption of economically rational behaviour, if labour market programmes are to be effective.
Notes
Zum hohen Stellenwert von finanziellen Anreizen in der Wirtschaftswissenschaft siehe etwa Lazear (1987).
Zwei Drittel der mit dem Kombilohn „Mainzer Modell“ Geförderten geben in einer Befragung an, dass sie nach Abbruch der Beschäftigung wieder arbeitslos waren, nur 20 % sind in eine andere Beschäftigung gewechselt. Von diesen geben zwar 61 % (das entspricht 12,6 % der Geförderten) an, sie hätten sich durch die neue Erwerbstätigkeit im Vergleich zur geförderten Tätigkeit verbessert. Allerdings lässt die Art der Fragestellung keinen Schluss zu, worauf sich die Verbesserung bezieht oder ob ein Verbesserungswunsch der Grund für das Ende der geförderten Beschäftigung war (Quelle: eigene Berechnungen).
Die Verbindung zwischen dem cognitivist model und Erkenntnissen aus der experimentellen Ökonomie wird von Boudon zwar angedeutet (vgl. Boudon 2003, S. 7), wurde jedoch meines Wissens bisher nicht weiter ausgearbeitet.
Der Begriff der Reziprozität spielt nicht nur in der experimentellen Ökonomie, sondern auch in Theorien des sozialen Austausches eine Rolle (Adloff u. Mau 2005). Der Anschluss an erstere erfolgt in dieser Arbeit vor allem, weil er dort auf die nichtökonomischen Aspekte ökonomischen Handelns verweist, während die Austauschtheorie verstärkt die ökonomischen Aspekte auch nichtökonomischer Handlungen aufzeigt.
Zwar wäre aus Sicht der ökonomischen Theorie auch möglich, dass Betriebe in Antizipation des staatlichen Zuschusses den angebotenen Arbeitslohn verringert haben, wodurch der Zuschuss kein zusätzliches Einkommen wäre. Voraussetzung hierfür wäre allerdings, dass die Betriebe von der Förderung des Stellenbewerbers wussten, was in dem für die empirischen Analysen verwendeten Anwendungsfall jedoch fast durchgängig nicht der Fall war (Kaltenborn et al. 2005, S. 35).
Realisiert wurden 3080 Interviews mit geförderten und 1443 Interviews mit Personen der Vergleichsgruppe, wobei letztere eine Zufallsstichprobe aus der Gesamtheit der Personen darstellt, die eine Beschäftigung aus der Arbeitslosigkeit aufnahmen. Unter den befragten Geförderten waren 1176 Personen, die den Kriterien „Arbeitsaufnahme aus der Arbeitslosigkeit bei gleichzeitiger Langzeitarbeitslosigkeit und/oder fehlender Berufsausbildung“ entsprachen. Da in die Vergleichsgruppe auch Personen gelangten, die keine Erwerbstätigkeit aufgenommen hatten (zum Beispiel weil sie in schulische oder berufliche Aus- oder Weiterbildung übergegangen waren), blieben schließlich 671 Vergleichspersonen. In der folgenden Analyse werden zusätzlich noch die allein Erziehenden ausgeschlossen.
Der Koeffizient β 1 misst hingegen aufgrund der Interaktion lediglich den Effekt des finanziellen Zuschusses auf die Beschäftigungsstabilität, wenn der Lohn nicht als zu niedrig eingeschätzt wird. Der Koeffizient β 2 misst entsprechend den Einfluss eines zu niedrig eingeschätzten Lohnes bei Personen ohne Zuschuss. Beide Koeffizienten sind für die Hypothese 2 nicht unmittelbar relevant.
Die vollständige Tabelle ist auf Anfrage vom Autor erhältlich, die vollständige Liste der verwendeten Variablen enthält Tab. 2.
In der Konsequenz ist für die ungeförderten Vergleichspersonen gewährleistet, dass sie in ähnlicher Weise den Bedürftigkeitskriterien des Zuschusses entsprechen, ihn faktisch aber nicht erhalten haben.
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Wertvolle Hinweise zu früheren Versionen dieses Textes verdanke ich Martin Abraham, Natascha Nisic, den Herausgebern der KZfSS, den Betreuern meiner Dissertation Gerhard Schulze und Susanne Rässler sowie ganz besonders Stefan Fuchs. Für das Korrekturlesen danke ich Christiane Spies. Die Verantwortung für eventuell verbliebene Unzulänglichkeiten der Analyse liegt bei mir.
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Krug, G. Paradoxe Folgen finanzieller Anreize zur Arbeitsaufnahme für die Beschäftigungsstabilität. Köln Z Soziol 62, 191–217 (2010). https://doi.org/10.1007/s11577-010-0097-y
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