Kurze Hinführung zum Thema

Seit dem 19. Jahrhundert verwenden Mediziner Terminologien zur Klassifizierung von Krankheiten. Im Laufe der Jahre entstand im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der Gesellschaften und ihrer medizinischen Gesundheitssysteme ein zunehmender Bedarf, Krankheitsbezeichnungen mit „Codes“ zu versehen. Codes ermöglichten eine computergestützte Abfrage und Analyse von Informationen. Dadurch unterstützen Codierungssysteme Qualitätskontrolle und Qualitätsmanagement, Planung der Entwicklung öffentlicher Gesundheitsdienste, Überwachung von Organisationen und ihren Leistungen, Kostenerstattung und natürlich Forschung in vielfacher Hinsicht. All dies gilt auch für die Pathologie. Darüber hinaus sind Codierungssysteme zunehmend wichtig geworden bei der Benennung von Annotationen für die Entwicklung von Algorithmen der künstlichen Intelligenz.

Wie Kidney Biopsy Codes for Pathologists begann

Es ist manchmal sehr leicht, den Anfang einer Geschichte zu erzählen und sie an einem bestimmten Ereignis festzumachen. So auch hier. Die Geschichte des Projekts begann in einer Pause beim European Congress of Pathology in Amsterdam 2017. Amélie hatte einen Vortrag über die Entwicklung einer neuen Codierungsliste für das flämische regionale Nierenbiopsieregister gehalten, und Sabine hatte über die Bildung von Wertelisten für Datensätze bei der Erfassung von Nierenbiopsien gesprochen. Sowohl für das Codieren von Diagnosen für ein Nierenbiopsieregister als auch für die Bildung von Wertelisten werden Codierungssysteme benützt. Amélie und Sabine waren als Registerpathologen in das Flemish Collaborative Glomerulonephritis Group Renal Biopsy Registry (FCGG) bzw. das nationale Norwegian Renal Registry (NNR) eingebunden. Beide hatten deshalb viel Erfahrung im Umgang mit Codierungssystemen – und beide waren unzufrieden. Amélie wünschte sich ein internationales Codierungssystem statt des selbstgemachten, proprietären Systems des FCGG. Sabine benützte ebenfalls ein proprietäres, mehrfach aktualisiertes System, das auf eine Diagnoseliste von 1988, dem Gründungsjahr des NNR, zurückging. Die Aktualisierungen des Codierungssystems waren zunehmend schwieriger geworden, sodass ein komplett neues Codierungssystem eine vielversprechende Weiterentwicklung wäre. Beide Register benutzten zusätzlich die Primary-Renal-Disease-Codes der European Renal Association (ERA-PRD-Codes; [1]). Die Zielgruppe der ERA-PRD-Codes sind jedoch Kliniker und nicht Pathologen, sodass diese Codes die Anforderungen der Pathologen nur bedingt erfüllen. Auf diesem Kongress in Amsterdam wurde also der Plan gefasst, den Nierenpathologen ein geeignetes Codierungssystem zur Verfügung zu stellen. Dieser Plan wurde sofort und dauerhaft von der Arbeitsgruppe Nephropathologie der European Society of Pathology (ESP) unterstützt. Das Projekt bekam den Namen Kidney Biopsy Codes for Pathologists (KBC).

In dieser Leitlinie wollen wir nicht nur darstellen, wie wir ein Codierungssystem für Nierenbiopsien entwickelt haben. Wir wollen auch aufzeigen, welche Prinzipien bei der Erstellung eines Codierungssystems generell wichtig sind. Wir geben weiter einen Überblick über zentrale internationale Terminologien und beschreiben ihre mögliche Verwendung für die Codierung von Nierenbiopsien.

Zunächst zu den Grundlagen: Was ist ein Code?

Alle kennen den Morsecode, der Buchstaben durch eine Kombination von Signalen und Pausen verschiedener Länge ersetzt. Im medizinischen Bereich wird die Bezeichnung „Code“ jedoch oft zweideutig verwendet: Zum einen kann ein Code wie im Morsecode einen Begriff oder ein Konzept ersetzen. Zum anderen umfasst die Bezeichnung „Code“ oft beides – den Code selbst und den Begriff, den er codiert. Dies ist in Abb. 1 für das Konzept „IgA(Immunglobulin A)-Nephropathie“ dargestellt.

Abb. 1
figure 1

Der Code „IgA(Immunglobulin A)-Nephropathie“ besteht aus dem eigentlichen Code oder Codewert 1128 und dem Begriff oder Konzept „IgA-Nephropathie“. Das Beispiel ist den Primary-Renal-Disease-Codes der European Renal Association (ERA PRD Codes) entnommen (wobei „nephropathy“ übersetzt und der Zusatz „histologically proven“ weggelassen wurde [1])

Im medizinischen Bereich wird die Bezeichnung „Code“ oft zweideutig verwendet

Im Zusammenhang mit Codierungssystemen werden Begriffe wie „Konzept“, „Terminologie“ oder „Klassifikation“ häufig verwendet. Wie wir an dem Begriff „Code“ gesehen haben, ist es wichtig, sich über die Bedeutung eines Begriffs im Klaren zu sein. Wie haben deshalb in Tab. 1 zentrale Begriffe definiert.

Tab. 1 Definition zentraler Begriffe: Ein Teil der Definitionen basiert auf van Rees (2003; [19]) und Cornet et al. (2016; [20])

In der ersten Phase des Projekts klärten wir zunächst 2 grundlegende Fragen ab:

  • Ist unser Problem ein generelles?

  • Besteht wirklich ein Bedarf für ein internationales Codierungssystem für medizinische Nierenbiopsien?

Zur Klärung dieser Fragen haben wir uns die Codierungspraxis von Nierenbiopsieregistern angeschaut. Die zweite Frage sollte prüfen, ob es nicht doch schon ein internationales Codierungssystem für medizinische Nierenbiopsien gibt, welches die Anforderungen von Nierenpathologen erfüllt. Die Beantwortung der ersten Frage mit „ja“ und der zweiten Frage mit „nein“ wäre die Bestätigung dafür, dass es richtig ist, das Projekt durchzuführen.

Wie codieren Nierenbiopsieregister?

Nierenbiopsieregister spielen eine wichtige Rolle bei der Sammlung von Daten, da fast alle Nierenerkrankungen seltene Erkrankungen sind [2]. Die geringe Zahl von Fällen macht es sowohl Nephropathologen als auch Nephrologen schwer, genügend Erfahrung zu sammeln. Die Seltenheit von Nierenkrankheiten erschwert auch die Erhebung einer ausreichenden Zahl von Fällen für Forschungsvorhaben. Deshalb sind Register unentbehrlich: Sie tragen Wissen zusammen, fördern die Zusammenarbeit von Interessengruppen und liefern Forschungsdaten.

Wir konnten weltweit 16 Nierenbiopsieregister finden [3]. Um die Codierungspraxis dieser Register zu untersuchen, legten wir ihnen einen gekürzten Pathologierapport einer Nierenbiopsie mit IgA-Nephropathie vor und baten sie, diesen zu codieren. Die überwiegende Zahl der Register benutzt proprietäre Codierungssysteme (Tab. 2). Die verwendeten Konzepte zeigen eine große Variabilität, was nicht überrascht, da klinische Begriffe oft viele Synonyme haben. Die große Variabilität, selbst bei einer so gewöhnlichen Nierenerkrankung wie der IgA-Nephropathie, zeigt aber auch, dass ein Vergleich oder eine Zusammenstellung der Daten von Nierenbiopsieregistern nicht ohne manuelle Interaktion möglich ist, da ein gemeinsamer Code(-wert) fehlt. Wieviel schwieriger wird dann die Datenanalyse bei seltenen Nierenerkrankungen oder morphologischen Reaktionsmustern sein? Unsere Beobachtungen der Codierungspraxis von Nierenbiopsieregistern unterstreichen also deutlich die Notwendigkeit eines gemeinsamen Codierungssystems.

Tab. 2 Codierungspraxis von Nierenbiopsieregistern

Codierungssysteme und Nierenbiopsien

Zur Klärung der Frage, ob es schon ein internationales Codierungssystem für Nierenbiopsien gibt, haben wir uns 3 Codierungssysteme angeschaut:

  • Das ERA Register publizierte 2012 das PRD-Codierungssystem [1, 4]. Dieses richtet sich jedoch an Nephrologen und Register für Nierenerkrankungen und hat nicht die erforderliche Granularität für die Erfassung von histopathologischen Diagnosen.

  • Die International Classification of Diseases (ICD) der World Health Organization (WHO) war bis zur Version ICD-10 eine Klassifikation für Mortalitäts- und Morbiditätsstatistiken, die Krankheiten in Gruppen einteilt und zusätzlich zur Kostenerstattung im Gesundheitswesen verwendet wird [5]. Da sie jedoch keine vollständige Sammlung aller Fachbegriffe enthält, ist sie für die Repräsentation der Information von Nierenbiopsien in dieser Form nicht geeignet [6]. Das könnte sich zukünftig mit der neuen Version ICD-11 ändern, die die sog. „foundation“ beinhaltet – eine reichhaltige Ontologie mit vielen zusätzlichen Konzepten, die durch ein Netzwerk von Relationen miteinander verbunden sind [7, 8]. Die Klassifikation für Mortalitäts- und Morbiditätsstatistiken ist nur noch ein Teil von ICD-11 in Form einer einfachen Hierarchie (ICD-11 MMS; [9]).

Das umfassendste internationale Codierungssystem ist SNOMED CT (Systematized Nomenclature of Medicine Clinical Terms; [10]). Es besteht gegenwärtig aus über 300.000 Konzepten, die im SNOMED-CT-Browser aufgesucht werden können [11]. Jedes Konzept hat einen eindeutigen Identifikator. Ein Konzept in SNOMED CT besteht aus einem bevorzugten Begriff und seinen Synonymen. Zudem werden Konzepte durch Relationen verbunden wie z. B. „ist der Oberbegriff von“ („is parent of“) oder „ist der Unterbegriff von“ („is child of“). So ist z. B. die „chronic mesangial proliferative glomerulonephritis (disorder)“ (chronische mesangioproliferative Glomerulonephritis [Erkrankung]) ein Oberbegriff der IgA-Nephropathie. Unterbegriffe der IgA-Nephropathie sind „immunoglobulin A nephropathy associated with liver disease (disorder)“ (Immunglobulin-A-Nephropathie, assoziiert mit einer Lebererkrankung [Erkrankung]) und „primary immunoglobulin A nephropathy (disorder)“ (primäre Immunglobulin-A-Nephropathie [Erkrankung]). Ein generelles Konzept „secondary immunoglobulin A nephropathy [disorder]“ (sekundäre Immunglobulin-A-Nephropathie [Erkrankung]) fehlt jedoch. Wir konnten den Eindruck, dass SNOMED CT nicht alle für Nierenbiopsien wichtigen Konzepte enthält, in einer späteren Phase des Projekts bestätigen [12].

Keines der 3 internationalen Codierungssysteme hatte eine ausreichende Granularität für unser Vorhaben

Zusammengefasst hatte keines der 3 internationalen Codierungssysteme zum Zeitpunkt der Untersuchung eine ausreichende Granularität für unser Vorhaben. Wir begannen daher, das KBC-Codierungssystem zu erstellen.

Wie wir das KBC-Codierungssystem erstellten

Unser Ziel war es, ein Codierungssystem zu verfassen, welches für jede nichtneoplastische Nierenbiopsie anwendbar ist und von Nephropathologen, Pathologieabteilungen oder Nierenbiopsieregistern verwendet werden kann.

Wir haben das System auf der Grundlage von Fachwissen und Erfahrung in Kombination mit der Analyse von Texten aus Pathologierapporten und Lehrbüchern entwickelt [13]. Nierenpathologen konnten in 2 Arbeitstreffen beitragen: Das erste Treffen 2018 beschäftigte sich mit Prinzipien, denen ein Codierungssystem folgen sollte [14]. Hier wünschten sich die Pathologen ein stets auf dem neuesten Stand befindliches Codierungssystem, das entlang mehrerer Achsen aufgebaut sein sollte. Synonyme für Begriffe sollten vorhanden sein. Das System sollte frei verfügbar, einfach und schnell zu bedienen, aber auch flexibel hinsichtlich der Detailtiefe je nach individuellen Erfordernissen sein. Verschiedene Betriebsarten, einschließlich der Codierung auf Papier, sollten möglich sein. Es sollte ein System für die Wartung und Verwaltung geben, wobei der damit verbundene Arbeitsaufwand möglichst gering sein sollte. Mehrsprachigkeit und Begriffsdefinitionen wurden von den Teilnehmern nicht als wichtig erachtet.

Die Textanalyse ergab eine Sammlung von Fachwörtern, die entsprechend den aufgestellten Prinzipien in 2 Achsen angeordnet wurden, nämlich in eine Krankheitskonzeptachse („disease concept“) und in eine Schadensmusterachse („pattern of injury“; Abb. 2; [15]). Letztere wurde weiter nach histologischen, immunhistologischen und ultrastrukturellen Mustern gegliedert. Alle Konzepte wurden zusätzlich einem, mehreren oder keinem histologischen Kompartiment zugeordnet. Für jedes Konzept wurden ein bevorzugter Begriff und eine variable Anzahl von Synonymen definiert. Die Konzepte wurden in einer Hierarchie angeordnet, in der die Verzweigungen eine wachsende Detailtiefe aufweisen und jedes Konzept einem oder mehreren Oberbegriffen zugeteilt ist. Die Konzepte wurden zudem einer kompakten oder detaillierten Version des Codierungssystems zugeordnet. KBC enthält einige zusätzliche Konzepte außerhalb der beiden Hauptachsen, die als Attribute bezeichnet werden. Beispiele für Attribute sind Begriffe für die Sicherheit einer Diagnose (vermutlich, wahrscheinlich, bestätigt) oder für die Positivität bei der immunpathologischen Untersuchung (IgG-Positivität, Lambda-Positivität). Jeder Code weist einen eindeutigen Identifikator auf.

Abb. 2
figure 2

Struktur des KBC(Kidney Biopsy Codes for Pathologists)-Codierungssystems (IF/IHC Immunfluoreszenz/Immunhistochemie, EM Elektronenmikroskopie)

Nach der Erstellung einer ersten Version von KBC wurde eine projektinterne Überprüfungsrunde durchgeführt. Den Anmerkungen dieser Runde entsprechend, wurde eine zweite Version ausgearbeitet.

Ein zweites Treffen 2019 befasste sich mit Problemen und Fragen, die die projektinterne Überprüfungsrunde aufgeworfen hatte. So wünschten sich z. B. viele Teilnehmer eine zusätzliche Achse mit klinischen Daten. Dies würde jedoch den Rahmen des Projekts sprengen, da klinische Daten besser als Informationselemente dargestellt werden und für die Bezeichnung der Informationselemente schon ein Codierungssystem (Logical Observation Identifiers Names and Codes, LOINC) besteht [16].

KBC heute: Status und Anwendung

Heute besteht KBC aus 576 Konzepten, wovon 168 einem kompakten und 408 einem detaillierten Codierungssystem angehören. Über die Webseite des Projekts kann auf das Codierungssystem zugegriffen werden [17]. Hier besteht auch die Möglichkeit, verschiedene Visualisierungen auszuprobieren. Abb. 3 zeigt die Anwendung von KBC an einem praktischen Beispiel aus der Diagnostik.

Abb. 3
figure 3

Beispiel für die Anwendung des KBC(Kidney Biopsy Codes for Pathologists)-Codierungssystems bei einer Lupusnephritis (IF/IHC Immunfluoreszenz/Immunhistochemie, EM Elektronenmikroskopie)

Ausblick

Ein Codierungssystem entwickelt sich ständig weiter: Neue Krankheiten werden beschrieben, Krankheiten werden umbenannt und veraltete Begriffe aussortiert. Deshalb bedarf jedes Codierungssystem der Pflege und Administration. Die optimale Lösung für KBC wäre es daher, wenn KBC Teil eines internationalen, etablierten Codierungssystems werden würde. Hier kommt SNOMED CT in Betracht, da SNOMED CT die für Nierenpathologen notwendige Granularität besitzt. Eine Integration von KBC als definierte Untergruppe in SNOMED CT würde die Hantierung der Codes in Anbetracht der Komplexität und des Umfangs von SNOMED CT für die Pathologen als Nutzer erleichtern [18]. Allerdings wäre die Frage der Lizenzierung zu klären, da nicht alle Länder (auch Deutschland nicht) Mitglied von SNOMED International sind.

Ein Codierungssystem entwickelt sich ständig weiter

Die KBC-Codeliste ist bisher nur projektintern überprüft worden. Eine weitere Aufgabe des Projekts wird es deshalb sein, eine breite internationale Überprüfung mit Involvierung von möglichst vielen Nierenpathologen und Nephrologen durchzuführen. Wir glauben, dass diese Aufgabe leichter zu meistern ist, wenn KBC ein Teil von SNOMED CT wäre.

Ein Codierungssystem mit hinreichender Granularität ist der erste Schritt zu einem Informationsmodell, welches die gesamte Information, die in einer Nierenbiopsie (und in einem Pathologierapport) enthalten ist, in einer computerlesbaren Form sammelt und so leicht wiederverwendbar macht. KBC will in dieser Richtung weiterarbeiten.

Fazit für die Praxis

  • Medizinische Codierungssysteme spielen eine entscheidende Rolle beim Erfassen und Wiederfinden von Informationen, die in einer Nierenbiopsie enthalten sind, wie z. B. die histopathologische Diagnose oder glomeruläre Reaktionsmuster.

  • Es gibt derzeit kein internationales, etabliertes Codierungssystem, das den Bedarf der Nierenpathologen bei der Codierung von wichtigen Informationen einer medizinischen Nierenbiopsie erfüllt.

  • Das Projekt Kidney Biopsy Codes for Pathologists (KBC) hat ein Codierungssystem mit einer ausreichenden Granularität für medizinische Nierenbiopsien entwickelt.

  • Es ist jetzt wichtig, dieses System in einen geeigneten Rahmen für die Wartung und Administration zu überführen. Hier bietet sich in erster Linie SNOMED CT (Systematized Nomenclature of Medicine Clinical Terms) an. Die optimale Lösung wäre, hier eine Untergruppe zu erstellen, die dann von Nierenpathologen oder Nierenbiopsieregistern benutzt werden könnte.