FormalPara Originalpublikation

Ikizler et al (2020) A prospective cohort study that examined acute kidney injury and kidney outcomes, cardiovascular events and death informs on long-term clinical outcomes. Kidney Int. https://doi.org/10.1016/j.kint.2020.06.032

FormalPara Hintergrund.

Die akute Nierenschädigung („acute kidney injury“, AKI) tritt weltweit immer häufiger bei hospitalisierten Patienten auf und hat einen bedeutenden Einfluss auf die Mortalität kritisch kranker Patienten [1]. Darüber hinaus ist sie an der Entstehung und der Progression einer chronischen Nierenschädigung („chronic kidney disease“, CKD) beteiligt [2]. Die Bedeutung der AKI für die Prognose von Patienten wird aktuell nicht zuletzt während der COVID-19 („Coronavirus disease 2019“)-Pandemie deutlich.

Die Studienlage zum Einfluss von AKI auf nierenspezifische Endpunkte wie die Entwicklung von CKD oder auch auf die Mortalität ist jedoch aus unterschiedlichen Gründen (retrospektives Studiendesign, selektionierte Patientengruppen) bislang heterogen. Zwar wissen wir, dass die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität bei Patienten mit chronischen Nierenfunktionseinschränkungen deutlich erhöht sind, die mögliche Rolle der AKI in diesem Kontext ist jedoch bislang nicht hinreichend untersucht.

In der vorliegenden Arbeit von Ikizler und Kollegen wurde daher in einem prospektiven Studiendesign untersucht, inwieweit AKI bei Nierengesunden oder bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion mit renalen Endpunkten wie inzidenter CKD oder Progression der CKD, mit Herzinsuffizienz, atherosklerotischen Endpunkten und Tod assoziiert ist.

FormalPara Methoden.

Die ASSESS-AKI-Studie ist eine von den National Institutes of Health (NIH) unterstützte, prospektive, multizentrische Kohortenstudie, in die je 769 Patienten mit und ohne AKI zwischen 2009 und 2015 in 4 nordamerikanischen Zentren (Universitätskliniken und private Krankenhäuser) eingeschlossen wurden. AKI wurde nach den KDIGO(Kidney Disease: Improving Global Outcomes)-Kriterien definiert als Anstieg des Serumkreatininwertes um 50 % oder mehr oder um 0,3 mg/dl oder mehr oberhalb eines dokumentierten, stabilen ambulanten Werts im Zeitraum von 7 bis 365 Tagen vor der Indexkrankenhausaufnahme. Eine gleich große Vergleichsgruppe ohne AKI wurde im gleichen Zeitraum in denselben Zentren rekrutiert. Es waren alle Schweregrade von AKI repräsentiert, allerdings wies nur ein Drittel der eingeschlossenen Patienten ein höheres KDIGO-AKI-Stadium (II oder III) auf. Die Patienten wurden zusätzlich in 2 Gruppen eingeteilt:

  • ohne vorherige CKD,

  • mit vorbestehender CKD (eGFR [geschätzte glomeruläre Filtrationsrate] <60 ml/min/1,73 m2 vor der Indexaufnahme).

Die Teilnehmer wurden individuell nach einem multidimensionalen Score vergleichend ausgewählt. Im Unterschied zu anderen Studien wurden 3 Monate nach Krankenhausentlassung bei einem Baseline-Studienbesuch Blutwerte (Kreatinin und Cystatin C) sowie die Proteinurie untersucht. Weitere Verlaufsuntersuchungen erfolgten im 12-Monats-Intervall persönlich mit eGFR-Bestimmung und im 6‑Monats-Intervall über Telefoninterviews.

Inzidente CKD oder Progression der CKD wurden als Nierenereignisse definiert. Dies war bei Patienten in der Gruppe ohne vorherige CKD eine Kombination aus einer 25 %igen Reduktion der eGFR und dem Erreichen des KDIGO-Stadiums III (oder höher). Bei Patienten mit vorbestehender CKD wurde die Progression als mehr als 50 %ige Reduktion der eGFR, Erreichen des KDIGO-Stadiums 5 oder Notwendigkeit eines Nierenersatzverfahrens definiert. Die Ereignisse Herzinsuffizienz und MACE („major adverse cardiovascular events“) wurden mittels Selbstauskunft sowie Suche in elektronischen Patientenakten oder Entlassungsbriefen identifiziert. Dasselbe galt für die Erhebung von Vitalparametern. Todesmeldungen wurden in den jeweiligen Zentren erfasst. Die statistische Auswertung der Patientencharakteristika erfolgte mittels t‑Test und Wilcoxon-Rangtests. Die Endpunkte wurden in Log-Rank-Überlebenskurven errechnet, die dann entsprechend in mehreren Modellen adjustiert wurden. Da das initiale Matching der Patienten nicht exakt genug war, wurden die Patienten einer erneuten Sensitivitätsanalyse unterzogen, in der die Teilnehmer in über 300 Strata nochmals exakt zugeordnet wurden.

FormalPara Ergebnisse.

Es wurden je Gruppe 769 Patienten eingeschlossen, jeweils mit AKI und ohne AKI, davon hatten knapp 40 % eine vorbestehende CKD. Die meisten Patienten mit AKI (73 %) hatten KDIGO-Stadium I, nur 14 % bzw. 13 % Stadium II oder III. Nur bei 1,7 % der Patienten war ein Nierenersatzverfahren notwendig. Bereits beim Vergleich der eingeschlossenen Patienten wurde deutlich, dass Patienten der AKI-Gruppe eine geringere Ausgangs-eGFR hatten, mit mehr kardiovaskulären Vorerkrankungen belastet waren, bei ihnen häufiger eine Sepsis diagnostiziert wurde und sie häufiger auf der Intensivstation behandelt werden mussten. Die erhobenen Daten wurden entsprechend weiteren Sensitivitätsanalysen unterzogen.

Insgesamt betrug die mittlere Beobachtungszeit 4,3 Jahre bei Patienten mit AKI und 4,4 Jahre bei Patienten ohne AKI, jeweils 82 Patienten zogen ihre Studienteilnahme zurück. Der renale Endpunkt „Inzidenz der CKD“ wurde in der AKI-Gruppe signifikant häufiger erreicht als in der Nicht-AKI-Gruppe (4,1 vs. 1,8 pro 100 Personenjahre). Auch die CKD-Progression in der Gruppe mit vorbestehender Niereninsuffizienz wurde durch AKI beschleunigt (2,1 [mit AKI] vs. 0,7 [ohne AKI] pro 100 Personenjahre). In der multivariaten Analyse war AKI bei initial nierengesunden Teilnehmern mit einem 3,4-fach erhöhten Risiko einer inzidenten CKD assoziiert. Diese Assoziation wurde durch Adjustierungen (Demographie, Sepsis, Diabetes) verstärkt. Teilnehmer mit vorbestehender CKD hatten nach AKI ein 2,3-fach erhöhtes Risiko für eine Progression der Nierenerkrankung. Auch dieses Risiko erhöhte sich nach Adjustierung. In der multivariaten Analyse zeigte sich auch eine Assoziation mit der Dauer und der Schwere der AKI. In den Sensitivitätsanalysen, die wegen der Unterschiede der Vergleichsgruppen durchgeführt wurden, konnten die Ergebnisse laut den Autoren bestätigt werden.

In der nichtadjustierten Analyse beider Kohorten (nierengesund und vorbestehende CKD) waren die Endpunkte „Herzinsuffizienz“ (1,68; 95 %-Konfidenzintervall [CI]: 1,22–2,31) und „Tod“ (1,78; 95 %-KI: 1,24–2,56) mit AKI assoziiert. Wurde in den Modellen allerdings auf die Nierenfunktion sowie die Proteinurie 3 Monate nach Entlassung adjustiert, waren die Assoziationen nicht mehr signifikant (Herzinsuffizienz: 1,13, 95 %-KI: 0,80–1,61; Tod: 1,29, 95 %-KI: 0,84–1,98). Das Auftreten von MACE war weder bei Nierengesunden noch bei vorbestehender CKD mit dem Auftreten von AKI assoziiert (0,95; 95 %-KI: 0,70–1,28).

Kommentar

Zusammengefasst liefert die Studie einen weiteren Beleg dafür, dass AKI ein bedeutsamer Risikofaktor für die Entstehung und Progression einer chronischen Nierenerkrankung ist. Darüber hinaus hat die ambulante Bestimmung der Nierenfunktion und der Proteinurie nach einer AKI-Episode wichtige prognostische Aussagekraft.

Die Stärken der Studie sind das prospektive multizentrische Design, die lange Nachbeobachtungszeit sowie die Messung eines Baseline-Kreatininwertes vor Indexkrankenhausaufnahme. Dies ist in den bislang überwiegend retrospektiven Registerstudien so nicht erfolgt. Eine weitere Stärke ist die 3 Monate nach Entlassung durchgeführte Untersuchung der Nierenfunktion (eGFR und Cystatin C) und der Proteinurie. In den statistischen Analysen ergab sich zwar, dass die Assoziation der untersuchen Endpunkte „Herzinsuffizienz“ und „Tod“ nach Adjustierung auf die zu diesem Zeitpunkt erhobenen Werte nicht mehr signifikant war. Im Umkehrschluss bedeutet das aber, dass dieser Zeitpunkt potenziell wertvolle Informationen hinsichtlich der weiteren Patientenstratifizierung geben kann: Erholt sich die Nierenfunktion, ist die Gefahr der Entwicklung von Spätfolgen wie Entwicklung oder Progression einer CKD geringer – genauso wie das Auftreten anderer Endpunkte wie Herzinsuffizienz oder Tod. Die hierfür notwendigen Untersuchungen sind einfach auch in der hausärztlichen Praxis durchführbar und können so als ein wichtiges Instrument in der Versorgung von Patienten nach überstandener AKI dienen.

Leider werden die Ergebnisse v. a. durch die ungünstige Einteilung der Patientengruppen abgeschwächt. Problematisch sind hier v. a. die Unterschiede der Patientenmerkmale zu Studienbeginn. Auch wenn durch Adjustierungen und Sensitivitätsanalysen die Ergebnisse statistisch abgesichert sind, bleibt dennoch eine Unsicherheit in der Generalisierbarkeit der erhobenen Daten. Die Datenerhebung durch Selbstauskunft in der Nachbeobachtung schwächt die Ergebnisse ebenfalls.

Dennoch ist die Studie wichtig, da sie mit einem prospektiven Design einen guten und praktikablen Beitrag zur Nachsorge nach überstandener AKI leistet – einem klinischen Problem, das nach überstandener Intensivtherapie leider viel zu oft unberücksichtigt bleibt.

Fazit für die Praxis

  • Eine akute Nierenschädigung (AKI) stellt unabhängig von einer vorbestehenden Nierenerkrankung einen bedeutsamen Risikofaktor für Entstehung und Progression einer chronischen Nierenerkrankung dar.

  • Die Bestimmung von Nierenfunktion und Proteinurie 3 Monate nach überstandener AKI ist prognostisch wertvoll.

  • Die Etablierung einer Praxisroutine nach AKI kann helfen, Risikopatienten zu identifizieren und diese frühzeitig in nephrologische Behandlung zu überführen.